DIEMUSIK
HALBMONATSSCHRIFT MIT BILDERN UND NOTEN
HERAUSGEGEBEN VON KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
DREIZEHNTER JAHRGANG
ERSTER QUARTALSBAND
BAND XLIX
VERLEGT BEI SCHUSTER & LOEFFLER
BERLIN UND LEIPZIG
1913—1914
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Musfc
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INHALT
Selte
Max A rend, ErgSnzungen und Berichtigungen zu Wotquenne's Thematischem Ver-
zeichnis der Gluckschen Werke 288
Adolf Beyschlag, Uber Irrlehren in der Ornamentik der Musik 104
Henri de Curzon, Gr6try 270
Erich Freund, „Boris Godunow", musikalisches Volksdrama in vier Aufziigen von
M. P. Moussorgsky. Deutsche Urauffuhrung am Stadttheater in Breslau . . 220
Martin Frey, Die Hauptkadenz im Wandel der Zeiten. Ein Beitrag zur Harmonie-
lehre 217
Johannes H. Hatzfeld, Franz Witt. Ein Gedenkblatt zu seinem 25. Todestage . 286
Richard Hohenemser, Cherubini's „Wassertrager a 131
Edgar Istel, Verdi und Shakespeare (Macbeth; Briefe uber Konig Lear; Othello;
Falstaff ) • 27. 67
— Die Not der Buhnenkomponisten 359
Julius Kapp, Paganini in Paris und London 207
Robert Konta, Aufruf zur Grundung einer Organisation von Komponisten ernster
dramatischer Werke 222
La Mara, Eine Nachlese ungedruckter Wagner-Briefe 355
Willy von Moellendorff, Aus Frosch- und Vogelperspektive. Gedanken eines
Schaffenden. Ill 153
Maurice Moszkowski, Uber kritische Neuausgaben von Musikwerken 259
Jos6 Vianna da Motta, Taschenpartituren Verdi'scher Werke 162
Wilibald Nagel, Vom Ausdrucke des Nationalen in der Musik . . 323
Walter Niemann, Jean Sibelius und die finnische Musik 195
Josef Schink, Die neue Orgel in der Jahrhunderthalle zu Breslau 155
Max Schneider, Das 2. kleine Bach-Fest in Eisenach 110
Richard Specht, Verdi's dramatische Technik 50
— Gustav Mahler als Operndirektor 340
Max Unger, Briefe Beethovens an Carl Bernard, E.T. A. Hoffmann, S. A. Steiner &Co.
und Anton Schindler. Verbesserte Abdrucke 147
Adolf Weilimann, Verdi 3
Friedrich Wellmann, Beethoven und Bremen 278
Hermann Wetzel, Der Kongrefi fur Asthetik und allgemeine Kunstwissenschaften
zu Berlin 158
Revue der Revueen 113.163.225.290
Besprechungen (Bucher und Musikalien) 119. 169. 229. 294. 362
Anmerkungen zu unseren Beilagen 64. 128. 192. 256. 320. 384
( ~\-\i'\i\](* Original from
Uiu:.:u:!::v^iUC>yii UNIVERSITY OF MICHIGAN
269017
INHALT
Seite
Antwerpen 300
Basel 300
Berlin 63. 123. 234. 300. 365
Braunschweig . . . 176. 365
Bremen 176. 301
Breslau 235. 365
BrGssel 301
Budapest 366
Dessau 301
Dresden . . . 176. 301. 366
DOsseldorf 235
Elberfeld 235
Frankfurt a. M. . . 176. 236
Graz 177. 367
Kritik (Oper)
Seite
Halle a. S 177. 367
Hamburg 178. 236. 302. 367
Hannover .... 179. 368
Johannesburg 302
Karlsruhe .... 179. 368
Koln .... 179. 303. 368
KOnigsberg i. Pr. . . . 236
Kopenhagen 369
Leipzig 303. 369
Luzern 180
Magdeburg 237
Mainz 180. 369
Mannheim 237
Seite
Moskau 180
MQnchen 180. 237. 304. 369
NQrnberg 181
Paris 237. 369
Prag 238. 370
Riga 181
St. Petersburg .... 181
Schwerin 304
StraOburg i. E 238
Stuttgart 304
Weimar 304
Wien 239
Wiesbaden 240
ZGrich 370
Seite
Aachen 305
Amsterdam 370
Baden-Baden 305
Basel 306
Berlin 123. 181. 240. 306. 370
Braunschweig 377
Bremen 187. 312
Breslau . . .126. 250. 377
BrQssel 312
Dresden . 187. 250. 312. 377
DOsseldorf 251
Elberfeld 251
Essen 313
Frankfurt a. M. 187. 251.
313. 378
Genf 313
Kritik (Konzert)
Seite
Graz 188
Halle a. S 188. 378
Hamburg . . 188. 251. 314
Hannover .... 188. 379
Heidelberg 314
Johannesburg 314
Karlsruhe .... 188. 379
Kassel 314
K61n .... 252. 315. 379
Kftnigsberg i. Pr. ... 252
Kopenhagen 380
Leipzig 315. 380
London 189. 316
Luzern 190
Magdeburg 253
Mainz 190
Mannheim 253
Seite
Moskau 190
MQnchen 127. 191. 253.
318. 380
NQrnberg 381
Paris 254. 382
Prag 254
Riga 191
St. Petersburg 382
Schwerin i. M 319
Sondershausen .... 128
StraOburg i. E 255
Stuttgart 319
Weimar 319
Wien 255. 383
Wiesbaden .... 128. 256
ZQrich 191. 384
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
DIE MUSIK
HALBMONATSSCHRIFT MIT
BILDERN UND NOTEN
HER AUSGEGEBEN VON
KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
1 VERDI-HEFT
HEFT 1 . ERSTES OKTOBER-HEFT
13. JAHRGANG 1913/1914
VERLEGT BEI
SCHUSTERS LOEFFLER- BERLIN W
Olio in al from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
. . . Wenn die Kiinstler des Nordens und des Siidens ver-
schiedene Tendenzen haben, so sollen sie eben verschiedene
Tendenzen haben. Alle sollten einzig und allein den ihrer
Nation eigentiimlichen Charakter behaupten, wie Wagner so
richtig sagte . . .
Verdi
(in einem Brief an Hans von Bfilow)
INHALT DES 1. OKTOBER-HEFTES
ADOLF WEISSMANN: Verdi (geb. 10. Oktober 1813) I: Rimem-
branze II: Der Italiener III: Der Weltbfirger
EDGAR ISTEL: Verdi und Shakespeare („Macbeth«; Briefe
fiber w K6nig Lear 14 ; „Othello"; w Falstaff*) 1: „Macbeth" II:
Verdi's Briefe fiber „K6nig Lear*
RICHARD SPECHT: Verdi's dramatiscbe Technik
KRITIK (Oper): Berlin
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
KUNSTBEILAGEN: Giuseppe Verdi, nach einer Photographie;
Verdi-Bfiste von Giulio Monteverde; Verdi, nach einer Photo-
graphie aus den letzten Lebensjahren; Verdi auf dem Toten-
bett; Vier Verdi-Karikaturen von Melchiorre Ddlfico; Geburts-
haus in Roncole; Verdi's Geburtsurkunde; Verdi's Landsitz
in Sant' Agata; Garten in Sant' Agata; Teatro Verdi in
Busseto; Eine Seite aus der Originalpartitur des „Rigo-
letto"; Eine Seite aus der Originalpartitur der „ATda"; Fak-
simile eines Briefes von Verdi
NACHRICHTEN: Neue Opera, Opernrepertoire, Konzerte,
Verdiana, Tageschronik, Totenschau, Verschiedenes, Aus dem
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DIE MUSIK erscheint monatlich zweimal.
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fQr Frankreich: Costallat & Co., Paris
Ui::i
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
VERDI
(10. OKTOBER 1813 BIS 27. JANUAR 1901)
VON DR. ADOLF WEISSMANN IN BERLIN
Rimembranze
Denkst du noch daran, caro Giovanni, wie wir in Florenz, durch
strenge Pflichten nicht gebunden, nur durch die Liebe zu allem
Schonen vereint, unsere Zeit zwischen Dante, Manzoni und der
italienischen Oper teilten? Ich sog in jenen Jahren fruhester EmpKng-
lichkeit, da den Studenten sonst leicht Biicherstaub und Bierstubendunst
fur ein kiinftiges Brotstudium miirbe machen, den erfrischenden Hauch
italienischen Lebens, italienischer Kunst ein. Von Verdi'schen Melodieen
und den lauen Abendluften umspielt, zogen wir aus dem Teatro Pagliano,
aus dem Politeama in jene kleine Osteria nahe den Cascine, liefien den
Klang zu Worten werden, tauschten Gedanken und Erkenntnisse aus und
kehrten mahlich durch die einschlummernde Firenze in unser kleines
Studentenasyl zuruck. Dort suchtest du mich am nachsten Tage auf, und
wir durchlebten noch einmal am Klavier den Rausch des verklungenen
Abends.
Den immer noch Welthungrigen, Freiheitsdurstigen halten Scholle,
Schaffenslust, Zwang. Was ich damals empfangen, ist mit einer dicken
Schicht andersgearteter Erfahrung bedeckt. Doch nun, im giinstigen Augen-
blick, da es gilt, eurem Verdi zu seinem Ehrentage ein Blatt zu widmen,
baut Sehnsucht, starker denn je, Brucken zur Vergangenheit. Und es trifft
sich gut, dafi alle spSteren MischklSnge jenen italienischen Naturklang nicht
zu iibertonen vermochten. Gerade der lOOjahrige Verdi findet uns bereit,
ihm zu lauschen. Mit einer Freude, die keine noch so starke BewuBtheit,
kein noch 60 heikler Kunstverstand ihm triiben kann, stattet der Deutsche
dem grofien und immer grofieren italienischen Meister seine Dankesschuld ab*
Der Italiener
Italienische Musik! Die Mundwinkel des gelehrten (oder ungelehrten)
deutschen Musikers verziehen sich zu einem geringschatzigen Lacheln. Die
Zeiten, da man von jenseits der Alpen musikalische Lehren empfing, sind
historisch geworden. Palestrina, Marcello, die Florentiner: man pflegt die
einen, man ehrt die anderen, weil man den Stil um seiner selbst willen
liebt. Das 18. Jahrhundert hat es uns angetan: Pergolesi's „La serva
padrona", Cimarosa's „I1 matrimonio segreto" schauen uns naiv an, ohne
das Zwerchfell zu erschuttern. Im Anfang des 19. Jahrhunderts erscheinen
die glanzenden Gestirne Rossini, Bellini, Donizetti. Wieviel von ihnen
erreicht unser Ohr, spricht zu unserer Phantasie? Bellini's „Norma a , von
( " / w\nlr Original from
■ ! : -'W^ ni c > lv UNIVERSITY OF MICHIGAN
DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
Richard Wagner huldvollst begonnert, gedeiht noch auf dcutschem Boden.
Von Donizetti haben sich „Die Regimentstochter", der „Don Pasquale",
aL'elisire d'amore" aus der Sintflut gerettet. Noch bejubelt man Rossini's
mit einer reichen Erbschaft von Kalauern ausgestatteten ,Barbier a . Sehen
wir nicht, daB das Ernste verklingt und nur das Komische dauert? Wo
der Italiener Ernst macht, belachelt der Deutsche den tonenden Unsinn der
reinen Melodie. Und ein Italiener, der das friihzeitig ahnte, steht mit
gefurchter Stirn abseits: Gasparo Spontini. Er legte dem ersten Napoleon
seine napoleonisch gedachte Musik zu FiiBen, um als Generalmusikdirektor
in Koniglich PreuBischen Diensten zu enden. Nein, nicht zu enden. Denn
mit tiefster Verachtung fur die Koniglich PreuBische Musik verschied er
auf romanischer Erde. Spontini hatte zu viel dramatisches Gewissen und
zu wenig Natur. Er schwor die leichte italienische Mache ab, bekannte
sich zu Gluck, arbeitete schwer und verblutete am Zwiespalt seines Geistes.
Solche Mitstrebende sieht der beginnende Verdi um sich, auf solche
Vorgfinger schaut er zuriick. Der geistreiche Epikuraer Rossini hangt
seine Lyra 1829 auf, um in der Welt, in der man sich nicht langweilt,
dezennienlang genuBreich zu leben und als echter Pariser 1868 zu sterben.
Italien und die Kunst galten ihm weniger als jenem genialen Bellini, den
ein zarter Korper zu wehmiitiger Kantilene stimmte und zu fruhem Tode
verurteilte. Donizetti nur lebt und schafft noch zugleich, auch er ein
gliicklicher Kantilenenerfinder, doch ohne die eigenste Pragung, iiberdies
vom geistigen Tode bedroht. Hier also fehlte die physische, dort die
geistige Kraft, die italienische Oper zu retten. Wollte sie fortschreiten,
dann hatte sie den Pakt mit der Wahrheit zu erneuern. Wie hatte sie
ihn uberhaupt nur losen konnen? Vergifit man schon die bahnbrechende
italienische Renaissancebewegung fur das Musikdrama, wie war's moglich,
daB je der reine Gesang abirrte und selbstherrlich jede andere Rucksicht
verdrMngte? Klafft nicht ein Widerspruch zwischen der eingeborenen
Dramatik des Italieners, die im Wortdrama Wirklichkeitsausdruck bis zur
Ubertreibung erstrebt, und diesem dauernden Kniefall vor dem bel canto,
der jeden Unsinn zu rechtfertigen scheint? Dort sucht ein Sterbender
jede Phase seines (natiirlichen oder unnaturlichen) Hinscheidens glaubhaft
zu machen, will er uns keine von den Verzerrungen des verendenden
Korpers ersparen, hier schleppt sich der zu Tode Getroffene an die Rampe,
um mit dem Aufgebot seiner frischen Krafte eine Arie von langstem Atem
in das Parterre zu schmettern. Der Widerspruch, der in der Tat unlosbar
scheint, laBt sich erklaren. Auch hier, in der Oper, die nur dem reinen
Gesang zu dienen scheint, herrscht, so seltsam es klingt, Wahrheitsdrang.
Nur wendet er sich einseitig dem lyrischen Ausdruck zu. Auch dieser
wird ubertrieben, da er iiber das am starksten erregende Instrument, iiber
die menschliche Stimme verfugt. DaB diese, ihrer Kunst bewuBt, durch
f V^\nl,« Original from
jc r x:u::!::yViUC>^!i UNIVERSITY OF MICHIGAN
WEISSMANN: VERDI
Triumphe verwohnt, sich mehr und mehr in den Vordergrund schob, wer
begreift es nicht? Aber nur der Nichtitaliener kann annehmen, daB die
Stimme sich ganzlich vom Ausdruck loslosen durfte, um sich und der
eigenen Fertigkeit zu dienen. In der Nachahmung durch Fremde biiflte
die Kantilene ihren Ausdruckswert ein, gewann die Koloratur die Oberhand.
Der Italiener aber lieB sich solche Leidenschaftslosigkeit nicht gefallen und
vergotterte in seinen prime donne und primi uomini mit den Stimmheroen
zugleich die Ausdruckskiinstler.
Aber die lyrische Einseitigkeit entbehrte des Gegengewichtes drama-
tischer Kraft und Wahrheit. Sie wurde der italienischen Oper von Giu-
seppe Verdi geschenkt, der an korperlicher und geistiger Gesundheit, an
Gewissenhaftigkeit, an Sammlung alle Genannten ubertraf. Ein Drang zur
Vervollkommnung gebiert einen LauterungsprozeB, der ein ganzes und sehr
langes Leben umspannt, dem vom Wahrheitsdrang Gefolterten nicht Rast
gibt und schlieBlich Italien noch einmal zur Mitherrscherin im Reiche der
Oper macht.
Die Kraft stammt aus dem italienischen Volkstum, aus dem des
tatigen Nordens. Nicht allzu weit ist Piemont, dem Italien seine tapfersten,
widerstandsfahigsten Soldaten dankt. „Meine Jugend war schwer", sagte
der mit Worten sehr sparsame Verdi einmal. Aber auch ohne die Schule
des Leidens war seinem Gesicht ein diisterer Zug ausgepragt. Wir be-
wundern am Italiener gewohnlich die kindliche Naivitat, die uns auch seine
Schwachen liebenswiirdig vergoldet. Wir sehen im Theater, in der Oper
zumal, eine eminent gesellschaftliche Kunst, die ihren Vertretern gesell-
schaftliche Talente spendet. Verdi aber bleibt sein Leben lang ein groBer
Einsamer. Er hat den unbezwinglichen Drang, sich mitzuteilen. Aber
nur als Prophet. Der hohen Sendung bewuBt, entfernt er den Chor der
Schwatzer, um hemmungslos zur Masse zu sprechen. Er besitzt die groBe
Naivitat, die dem Theatermann unentbehrlich ist; aber auch das MiBtrauen
in den Menschen als Individuum, das in ihm gekraftigt wurde durch das
Jahr 1840, da er als doppelt Unglucklicher, im Leben und auf der Biihne,
des Zuspruchs bedurfte und doch allein blieb. Er drohte zusammen-
zubrechen. Doch „mit einem guten Panzer von Gleichmut und Uber-
zeugung bewaffnet", raflfte er sich auf. w Solitudine e studio: ecco la
mia vita."
Die Einsamkeit glauben wir ihm also trotz den Ausbriichen der Leiden-
schaft, die sein Erscheinen iiberall hervorrief. Sie steigerte das Selbst-
vertrauen des Kiinstlers, ohne sein Einsamkeitsbediirfnis zu mindern.
Glauben wir ihm auch das Studium? Glauben wir es, meine ich, dem
ersten Verdi? ,Ich wiirde lugen," sagte er, w wenn ich behauptete, daB ich
in meiner Jugend nicht lange und ernste Studien gemacht habe. Gerade
darum fiihle ich meine Hand stark genug, die Note zu biegen, wie ich es
( ^f\i\t\]t* Original from
c> lv UNIVERSITY OF MICHIGAN
6 DIE MUS1K XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
wiinsche, und sicher genug, urn gewohnlich die Wirkungen zu erreichen,
die ich beabsichtige." So sprach er, wenn man sein Konnen verdachtigte;
aber mit nicht geringerer Entschiedenheit lehnte er alle Sezierungsversuche
am lebendigen Kunstwerk, alles Forschen nach den Einzelheiten der Kon-
struktion als Selbstzweck ab. Und in der Tat: was wir an Verdi bewundern,
ist seine Natur. Danken wir einem gutigen Geschick, daD unsere
gebenedeite Kultur sie ungebrochen liefi. Diese hatte freilich nie die Kraft
gehabt, eine solche Natur zu brechen. Seine Kultur war anders geartet als
die unsere; sie kam zu sp2t, den Stamm zu knicken oder zu entwurzeln;
doch friih genug, ihm die Reize eines Altersfruhlings zu schenken.
Der Knabe, 1813 in dem Ortchen Roncole geboren, wachst als Natur-
kind auf. Anregungen kann ihm nur die Landschaft spenden, die Korper
und Nerven stahlt. Aber jener vagierende Geiger Baistrocchi lafit ihn
aufhorchen und lauscht ihm selbst: „In dem Knaben steckt ein Musiker.
LaCt ihn nicht verkummern." Wenig geschieht sonst, ihn dem herkomm-
lichen Analphabetentum zu entreiflen. Ein diinner Firnis von Latein tut
der geistigen Unberiihrtheit keinen Abbruch. Aber die Orgel von Roncole,
jene von Busseto weiC von den weltlichen Melodieen, zu denen sie sich
hergeben mufi, befremdet zu erzahlen, wie das kranke Spinett, dem der
junge Bauer vorher seine Phantasieen anvertraut hatte. Und sein guter
Genius Barezzi, sonst gewiC kein Genius, regt mit seiner Society filarmonica
die fruhreife Einbildungskraft an. Das ist alles. Denn das biBchen Kontra-
punkt, das ihm Provesi antunchte, ist so belanglos, daD der Unterricht von
neuem einsetzen muB. Der Neunzehnjahrige, der ein ganzes Kapital reiner
Musik in sich aufgespeichert hat, aber sonst jeder angelernten Weisheit
bar ist, der nichts von der grofien Welt gesehen, erfahren hat, kann
in Mailand nicht einmal den AnschluD an die Konservatoriumskultur mit
ihrer alleinseligmachenden kontrapunktischen Bettelsuppe erreichen. La
forza del destino schiebt ihn auf ein Nebengeleis. Das Naturkind fallt dem
Theaterkapellmeister Lavigna in die Hande. Hier, abseits von der breiten
HeerstraDe, saugen sein unbeirrbarer, durch nichts getrubter Sinn fur das
Wirkliche, seine Leidenschaft, seine Sinnlichkeit auf, was ihnen den Weg
zur Masse ebnen kann. Der Biihneninstinkt fafit sofort die Bedeutung
glanzender Finales. Aber auch die Ehrfurcht vor der Vergangenheit wird
ihm anerzogen. Nein, nicht anerzogen; denn sein Kindergemiit, sein
religioser Sinn beugt sich selbst vor ihr. Nicht nur die weltliche, auch
die geistliche Musik, auch die Mehrstimmigkeit, auch die Fuge fesselt ihn.
Doch fiber alien thront Mozarts „Don Giovanni", den der Maestro nicht
mude wird mit ihm durchzugehen. Ein Menschenalter erst war's, daO er
in die Welt geklungen. Hier klingt er an.
Das, nur das ist das Fundament, auf dem Verdi's Werk ruht. Nichts
von Bildung, nichts von Literatur beschwert diesen rustikalen Geist, in
f V^\nl,« Original from
jc r x:u::!::yViUC>^!i UNIVERSITY OF MICHIGAN
WEISSMANN: VERDI
dera es singt, ohne UnterlaB. Aber in die geistige Liicke flieBt breit und
machtig der Strom patriotischer Empfindungen, die durch das Ungliick des
geknechteten Vaterlandes geweckt und genahrt werden.
Es bedarf nur eines Funkens, urn in einer solchen Natur gliihenden
Theaterbrand zu entfachen. Fur den Funken sorgt der Impresario Merelli.
Wir aber verweilen mehr als bei solchen Tatsachen (die jeder geniigsame
Deutsche verdiinnt und in italienisch-deutsche Phraseologie getaucht aus
der schlechten, unwurdigen Lebensabschreibung Carlo Perinello's entnehmen
kann) bei dem ele*nentaren Anprall dieser Natur und des Theaters als einer
Merkwurdigkeit ohnegleichen.
Die naive Inbrunst, mit der Verdi auf das Theater zielt, verrMt sich
zunMchst in der Wahl seiner Textdichter. Solera und Piave hatten lSngere
Zeit fur den Maestro dichterische Nichtswiirdigkeiten zu begehen. Piave,
von poetischen Bedenken unbelasteter als Solera, trug die Sklavenketten
leichter als dieser. Verdi wShlte die Stoffe meist selbst, wie sie ihn packten,
und forderte nun rucksichtslos nicht Poesie, nicht Logik, sondern Situationen,
die der niedere Theaterinstinkt der Bediensteten ihm willig hergab. So
war's und blieb's lange Zeit, Widerspruch wurde nicht geduldet. GewiD
ein einziger Fall. Mochte auch oft der Musiker sich als den Allein-
herrscher in der Oper betrachtet haben, solche Riicksichtslosigkeit, solche
Wahllosigkeit war nie und nirgends zu finden. Wer aber unserem Verdi
hier Untreue gegen sich selbst, Mangel an kiinstlerischer Ehrlichkeit,
bewuflte Entwiirdigung der Poesie fur die Zwecke des Theaters vorwarf,
den durfte er von Rechts wegen als einen Verleumder bezeichnen. Man
begreift den Zorn oder besser das HohnlScheln des Asthetikers Hanslick
uber die Verballhornung Schillers, Shakespeare's, Byron's. Hatte der geist-
reiche Kritiker — einer fur viele und Mindere — je die Neigung besessen,
in des Schaffenden Seele zu schauen, den Schaffensprozefl nachzuleben, dann
ware es ihm leicht gefallen, die Kluft zwischen dem ersten Verdi, den er ver-
lachte, und dem zweiten, den er hochschStzte, zu uberbriicken. Nein, der
gSnzlich unliterarische, kulturlose, doch von gliihender Liebe zum Theater
beseelte Maestro konnte damals nicht anders. Der Schrei nach der Wirkung
entwurdigte den Italiener nicht. Solcher Wunsch konnte sich mit dem hochsten
Idealismus vertragen. Er war die Bedingung des Erfolges. Ihn konnte der
Theatermusiker, der fur das Publikum schrieb, auch spfiter nie preisgeben.
Dafi er in den Dichterwerken, die er fur sich^bearbeiten lieB, zunachst nur
instinktiv die Reize des Stoffes spiirte, wer kann es ihm verargen? Das
Wesentliche war da: echte Leidenschaft trieb ihn, verliefi ihn nicht von
der ersten bis zur letzten Note. Sie farbte auch die Mittel, iiber die er
als Musiker gebot. Sie hiefl ihn von der Lehre alles ausscheiden, was der
Theatermusik zuwider war. Denn „l'opera b l'opera, e la sinfonia b la
sinfonia", dekretierte er nicht tiefsinnig, aber kurz und bundig. Harte
( ^f\i\t\]t* Original from
Uc r x:u::!::y^iUC>yii UNIVERSITY OF MICHIGAN
8 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
Trivialitat des Wortes, Nachhall gewisser Verdfscher Musik. Was ist in
ihr Trivialitat? Nichts als KraftiiberschuB. Genau wie der Selbstherrscher,
der seine Textdichter demiitigte, nicht Feinheiten, nicht Zwischenstufen,
nicht Seelenentwickelung kannte, so standen sich in seiner Musik die
beiden Tongeschlechter scharf und unvermittelt gegeniiber. Dieser undurch-
kreuzten Diatonik paart sich die motivisch gerichtete Rhythmik, schneidend,
bestimmt, aber nur skizzenhaft und darum triebkraftig. Der Musiker
ist zu ziel-, zu instinktsicher, um je nach harmonisch Interessantem zu
jagen; er sagt minder trivial, aber wahr, dafl solche Jagd nach interessanten
Ubergangen nur den Strom, das Ungestiim des Gedankens hemme (seliges
Ungestiim des Gedankens!); seine Ausdrucksehrlichkeit also verpflichtet ihn
hier zum Diatonischen, wie sie seinen Rhythmus sich oft mit dem Tanzrhythmus
mischen, in ihn iibergehen laCt. Ist's dann kokette Salonmusik? GewiB nicht.
Sie atmet die ruvidezza, die Rauheit des Bauerischen, den Wahrheitsdrang des
Theatermusikers, der nichts Unentschiedenes, Nebelhaftes duldet. Als Selbst-
herrlicher, als Eigener schaltet er auch fiber die stolze Kiinstlerschar, die ihm
Rossini, Bellini, Donizetti als zu erwerbendes Erbe zuriickgelassen haben.
Sucht er, von der Liebe zum unterdruckten Italien getrieben, zunachst die
Hauptwirkung im Kollektivgesang, in jenen Choren, die wie Sprichworter
von Mund zu Munde fliegen und ihn zum gefeierten, geliebten „maestro della
rivoluzione" stempeln, so weifl er in der Solokantilene, in Cavatine, Duetti,
Terzetti nicht immer gleichwertige, aber doch oft ergreifende Urmusik zu
schafifen. Er fiihlt die Liebe als starkes Stimulans des Opernkomponisten,
fiihlt sie in sich und laCt sie Ausdruck werden. Aber die ruvidezza, die
Ehrlichkeit gestattet ihm nicht, bei der herkommlichen Verwendung der
menschlichen Stimme stillzustehen; er erhoht seine Forderungen, er
zwingt sie zur hochsten Leistungsfahigkeit um der Wirkung willen. Durch
die Stimmen wird der Kern des Dramas gekiindet; noch kennzeichnen
sie nicht iiberall die Menschen, die auch im Text dem Geschehnis zuliebe
oft im Dunkel bleiben. Aber die gegensatzlichen Charaktere heben sich
scharf ab; das Rezitativ hat Beschwingtheit. Alles, das Geschmack-
volle wie das Geschmacklose, das Kraft- wie das TrSnenvolle, stoCt sich
hart im Raume, ist mehr zusammengeflickt als -gefugt. Das Orchester,
meist Fiillsel, hat bis zum UberdruC akkordlich „Ja a zu sagen. Doch
gibt es Augenblicke, wo es sich zusammenreifit und mit verletzendem Blech
sein Kornchen zur Wahrheit beitragt. Alfrescotechnik, aus Konnen und
Halbkdnnen, aus Nichtkonnen und Nichtanderskonnen seltsam gemischt.
So ware der beginnende Verdi zu bestimmen. Hat er uns aber nicht
schon uberholt? Denn dieser Verdi gehort noch halb zu den Vielschreibern,
den Notenverschwendern der verflossenen Generation und leidet erst splter
am retardierenden Gewissen der gegenwirtigen. So verhaltnismaOig lang
der Weg vom Ohr zum Gehirn ist, so kurz zunachst der Weg vom Kopf
( ^f\i\t\]t* Original from
c> lv UNIVERSITY OF MICHIGAN
WEISSMANN: VERDI 9
zur Feder. „Per scrivere bene occorre poter scrivere rapidamente, quasi
d'un fiato . ." Die Skizze vom Grobsten zu befreien, auffiihrungsfahig zu
machen, bleibt der Nachtragsarbeit vorbehalten. Die Zeit wird kommen,
wo schon die Skizze dem priifenden Auge mehr Schaden enthiillt und die
Nachpriifung mehr Aufwand fordert. Aber Verdi's kiinstlerische Ehrlich-
keit geht so weit, dafi er sich nicht scheut, vor den Augen Europas den
Theaterinstinkt von alien Schlacken zu reinigen. Wahrend der Jubel der
Masse ihn noch tragt und sein Werk als Losung an andere Buhnen weiter-
gibt, ist er sich der Schwachen eben dieses Werkes schon bewufit ge-
worden, und sein kategorischer Imperativ hat ihm iiber die rasche Selbst-
erkenntnis zugerufen: weiter und besser. Jede seiner Opera zeigt die
Spur von Einkehr und Besserung. Aber die Italiener sind andere Horer
als wir. Sie halten sich an die grofien Momente und plaudern iiber die
toten hinweg. Das Lebenswerk des Meisters iiberschauend, halten wir
uns bei den musikalischen Rekrutendiensten des jungen Maestro fur die
Religion, den Humor, fiir Italien, fiir oder wider Victor Hugo, Schiller,
Voltaire, Shakespeare, Byron nicht auf; mifiachten seinen „Oberto*, ver-
gessen seine verungliickte komische Oper „Un giorno di regno", bewundern
in der biblischen Oper „Nabucco a nur die herzbewegende Klage der Juden,
einen Chor, der aus Genieland stammt; bemerken kiihl die „Lombardi ft ,
erinnern uns, im „Ernani" in einem Wust von Unertraglichem machtvolle
Ensembles gehort zu haben, beschleunigen das Tempo iiber „I due Foscari",
w Giovanna d'Arco", „Alzira tt , „Attila a , „Macbeth tt , „I Masnadieri 44 (Die
Rauber), „ll Corsaro", „La battaglia di Legnano 44 hinweg, beobachten in
„Luisa Miller 44 kaum das Aufleuchten neuer Ausdruckskraft im Orchester,
belacheln eben noch den wildromantisch-naiven „Stiffelio a : da zwingt uns
das Dreigestirn w Rigoletto a , W II Trovatore 44 , w La Traviata 44 zu einem langen
Halt, Von 1839 bis 1851 nichts als Reinigungsarbeit. Hier ist sie, wenn
nicht vollendet, doch so weit gediehen, dafi der Genialitat kein ernster
Widerspruch mehr standhalt. Von Marz 1851 also bis Marz 1853 geschieht
das fiir unsere Zeit Unerhorte, daC drei Opern von verschiedener Haltung,
doch von gleicher Promptheit in Entwurf und Wurf, das Schaffen eines
Meisters fiir Europa mit Blitzlicht erhellen.
Die erste in dieser Reihe, ^Rigoletto 44 , ist zugleich diejenige, die vor
unsern gescharften Sinnen am wenigsten von ihrem Zeitwert einbiiDt.
Damit, dafi Charakteristisches, Musikalisch-Dramatisches, Reinmusikalisches,
dafi Vornehmes und Vulgares sich innig beriihren, haben wir uns abge-
funden. Weder die festlich galoppierenden Sexten, noch die gossenhaften
M2nnerch6re, noch das limonadenhafte PensionsmSdchen Gilda, noch der
leicht hingehauchte Schwerenoter konnen uns dauernd verstimmen. w La
Maledizione* 4 nimmt uns mit. Des Dramas Anfang und Ende ist Rigoletto.
So sehr, dafi ganz gegen die Absicht des Komponisten Kunstler, die mit
( ^f\i\t\]t* Original from
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10 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
dem Musikdrama, mit dem Verismo gewachsen waren, ihn ehrgeizig stets
von neuem beleuchten. Dieser Narr, der dienstfertige Kuppler des Herzogs,
zwingt uns zum Mitgefiihl, wenn er in seinem Kinde, seinem einzigen
cchten Besitz getroffen, zusammenbricht. Wir Menschen einer neuen
Generation spiiren in den Mienen des Rigoletto alle Zeichen des Galgen-
humors, des Kampfes zwischen Komik und Tragik auf; wollen auch im
Habitus, im scbleppenden kriecbenden Gang, in der geduckten Haltung,
in der Betonung des Wortes die starkste Illusion. Und warum? Weil
keine Naturwahrheit des Spiels je dem Rhythmus, dem Charakter dieser
erzwahren Musik wehe tun kann. Man braucbt nur an das Duett zwischen
Rigoletto und Sparafucile, an des Narren Selbstgesprache zu denken, und
man hat den neuen Verdi der treffsicheren Einzelcharakteristik. Konnten
wir aber in den verflossenen Akten zuweilen iiberlegen lacheln, der dritte
Akt wird uns, in alien seinen Werten verwirklicht, stets das Blut stocken
machen. Verdi selbst gestand, er werde nie Besseres schaffen als das
w Rigoletto"quartett. Vor ihm erklarte auch Victor Hugo seine Niederlage.
Ein solches Nebeneinander von Stimmen, von denen jede zugleich der
Schonheit und der Wahrheit dient, ward nie vorher gehort. Der Konner
Verdi triumphierte mit dem Genie. Aber er konnte mindestens so laut
triumphieren, wenn er auf sein Orchester wies. Mord und Sturm ergeben
eine ganz neue Melodie. Hort ihr die Chromatik, zu der sich der
leidenschaftliche Diatoniker urn des Ausdrucks willen entschlossen hat?
Diese Takte des Chors, der mit geschlossenem Munde das sparsame
Orchester ergfinzt, sind von bescheidener Schlagfertigkeit. Wir ahnen den
kiinftigen Meister schildernder, doch stets leidenschaftdurchgluhter Musik.
Vor dem .Trovatore" wiinschen wir uns die Unschuld der ersten
Kindheit zuruck. Nicht ohne Zwang konnen wir ihn vorurteilslos be-
trachten. AbgegrifFene ScheidemCinze iiberall. Jedes Zitat aus dieser Oper
verletzt uns. Das Festumrissene, das Sangbare ist ihr zum Verhangnis
geworden, weil die Gedankenlosigkeit es herabzieht. Ware es nur die
Gedankenlosigkeit! Aber da ist ein Riickfall ins Kolportagehafte, der
selbst nach einem Streifzug durch die Theatermusik, auch durch die
Verdi'sche, peinlich beriihrt. Es ist fiir den Kulturmenschen nicht leicht,
wohl iiberhaupt nicht moglich, alle Einzelheiten des von Cammarano her-
gerichteten spanischen Schauermarchens jederzeit zu beherrschen. Ja, der
Nebel darf sich mit Fug dariiber breiten; er entzieht uns keine Charaktere
und laBt nur die Ereignisse schwach hindurchschimmern. Aber aus dem
Nebel steigt klar die Figur der Azucena auf. Horen wir ihr zu. Je
williger wir ihr unsere gekrankten Sinne zuwenden, desto versohnlicher
sind wir fur Verdi gestimmt. Das Fremdartige, das Malerische, HaB, Ent-
setzen, Mutterliebe rufen alle Kraft des Rhythmikers, des Melodikers, des
Instrumentators auf; und der grandiose vierte Akt entlaCt uns halb bekehrt.
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WEISSMANN: VERDI 11
So rechtfertigen wir vor uns selbst, was wir in seinem Fluge durch die
Welt langst nicht mehr aufhalten konnen.
Von der Kraftgenialitat, von der Schauerromantik, von der Ent-
fesselung aller Naturkrafte im „Trovatore a zur Veredelung der Halbwelt-
lerin Marie Duplessis durch „Traviata a ist ein Sprung, kein Schritt. Aber
wphrend eben noch Verdi's Phantasie durch die Flammen des Scheiter-
haufens, durch Rachedurst und Kindermord in Aufruhr geriet, tauchte er
schon die Feder ein, um dem Elan seines Theaterblutes und zugleich seiner
Giite zu folgen und die Entsiihnung durch die Liebe zu verherrlichen. Wir
konnen begreifen, dafi der Mensch und Kiinstler an dem einen Werk die
Revanche fiir das andere nahm. 46 Tage trennen das Erscheinen des
„Trovatore" von dem der „Traviata*. Man weiB, welche siifien Schauer
Dumas' „Kameliendame* Anfang der fiinfzigerjahre erregte; und es versteht
sich von selbst, dafi auch Verdi bald zu den Glaubigen zahlte. Aber seine
„Traviata a wird in Venedig ebenso leidenschaftlich niedergezischf, wie in
Rom sein „Trovatore" gefeiert worden war. Die Italiener, an tonendes
Pathos, an Ubertreibung und Unwahrscheinlichkeit gewohnt, stofien sich am
Realismus des StofFes. Die Schwindsucht einer Kokotte auf der Biihne!
Es ist interessant, unser seelisches Verhaltnis zu „Traviata a mit dem der
Zeitgenossen zu vergleichen. Der Realismus der Oper hat sich fiir uns so
stark abgeschwacht, daft wir nur den Ton der Liebe und der Ruhrseligkeit
erklingen horen; oft iiberzeugt, oft mitgenommen, zuweilen durch das Nicht-
wahlerische des musikalischen Gewandes erniichtert. Denn weder Mon-
daines noch Demimondaines stimmen im Grunde zu Verdi's w ruvidezza**.
Noch hatte sich die Erregung jener, die in der Biihne eine moralische
Anstalt sehen, nicht beruhigt — man bedenke, in 20 Jahren — , als Bizet's
„Carmen a die Sittlichkeitsprediger in Harnisch brachte. Seitdem ist es
ublich geworden, die beiden Werke einzig wegen der Weitherzigkeit der
Titelheldin als stoffverwandt nebeneinander zu stellen; aber die Epidermis
hat sich gliicklicherweise durch andere Erfahrungen langst so verdickt, daO
fiir die Entriistung kein Raum mehr ist. Doch den Abstand, nicht die Ver-
wandtschaft zwischen beiden Opera zu betrachten, ist aus gewissen Griinden
nicht ohne Reiz. Da hier polygame Liebe anderswohin zielt als dort, da sie
sich hier aufzuheben, dort in aller Freiheit zu behaupten trachtet, so muC
in der „Traviata a der Schwerpunkt naturgemaC nach der Richtung der Lyrik,
in „ Carmen" nach der Seite der Naturwahrheit geriickt werden. Aber trotz
alledem wird das Auseinanderstreben zweier Genies in der Stoffbehandlung
ihre verschiedene Art kennzeichnen. Bizet ist Kulturmusiker. Er hatte
nicht nur mit der regelrechten Konservatoriumsbildung zugleich das gesamte
Handwerkszeug des Zunftmusikanten erworben; er war nicht nur im Hin-
blick auf die deutsche Musik herangewachsen; in ihm lebte neben dem
geborenen Theatermann, neben dem erfindungsreichen Musiker ein an
( ^f\i\t\]t* Original from
Uc r x:u::!::y^iUC>yii UNIVERSITY OF MICHIGAN
12 DIE MUSIK XIII. 1: I. OKTOBERHEFT 1913
Geschmack und Begabung hochstehender Literat. Nichts von Schnell-
fertigkeit ist in seinem Schaffen zu bemerken. Technik und Gedanke
bekampfen sich nicht; sie durchdringen sich. Riicksicht auf logische und
psychologiscbe Entwickelung verlangsamt den Schritt der Ausfuhrung. In
„ Carmen" erreicht er mit iibermenschlicher Anstrengung einen Gipfel. Hier
schliefien Natur und Kultur ein Biindnis, wie es sich fester nicht denken
laCt. Soweit Menschliches, Seelisches, soweit Charaktere und Handlungen
durch die geschlossene Nummer, durch ein symphonisches Orchester, durch
GleichmaB in Zeichnung und Farbe in rausikalischen Ausdruck zu fassen
sind, hier ist es ohne Rest getan; und selbst die Lyrik mit ihrem leisen
Schimmer von Unpersonlichkeit scheint durch einen iiberlegenen, sicheren
Geschmack von jedem stiOlichen Beiklang befreit. War „Carmen a Gipfel
und wurde sie — zunachst durch den friihen Tod des Meisters — ein Zeugnis
hochster Selbstopferung, so blieb fur den Naturmusiker Verdi „Traviata"
nur Stufe zu hoherem Aufstieg. Weiter an Jahren, war er doch noch nicht
so reif an Geist; besaB er den kostlichen Schatz ungebrochener Kraft und
Kindlichkeit. Diese siegte auch in der „Traviata tt iiber den Realismus, der
nur selten und nur im Sinne des fuhlenden Herzens hervorbrach. Wir
empfinden als starkes Erregungsmittel die Klage der Geigen, deren fein-
sinnigen Gebrauch wir anerkennen; lassen uns von dem Zwiestimmungs-
Duett Alfreds und Violetta's, von dem Tranenlacheln des liebenden Weibes,
von ihrem musikalisch gesteigerten Ende einen Augenblick wirklich riihren.
Aber all das hindert uns nicht, den Koloraturgesang der Violetta nur teil-
weise ausdruckstief, die Ergiisse Vater Germont's schal, das Auseinander-
fallen von Wahrem und Riihrseligem, von Noblem und Unedlem storend
zu finden.
Nach solchen drei KraftauBerungen ware fur den Weltruhm wenig mehr
zu tun. Urn so ungestiimer dringt Verdi's Selbstkritik auf Verfeinerung des
Dramas. Der Urmusiker sucht Hebel des Wachstums und richtet den Blick
auf den glanzvoll hochstrebenden Meyerbeer, von dem er, was Wirkung ist,
instinktiv geahnt, was Steigerung und Entwickelung ist, mit sicherer Technik
durchgefiihrt sieht. Buhnenblutsverwandtschaft treibt ihn zu ihm. Aber
er mahnt sich selbst zur Hut. Die grofie Oper ist ihm die lange Oper.
„Lang aber ist gleichbedeutend mit langweilig; und das langweilige Genre",
sagt er nicht ganz neu, doch als echter Italiener, „ist das schlimmste von
allem". Meyerbeer, glaubt er, hat die Klippe wenn nicht immer, doch
meist gliicklich umschifft. Er selbst will sich nicht an lange, allzu ver-
zweigte Texte binden, die der StoOkraft des musikalischen Gedankens
schaden. Nun steht fur einige Jahre nicht sein selbstqualerisches, allzu
zwitterhaftes Schaffen, sondern sein fortschreitendes Denken im Mittelpunkt.
Was kummern uns seine w Vespri Siciliani* 1 , was sein aus Schillers w Fiesco a
geschopfter w Simon Boccanegra"? Schon zwingt ihn die zunehmende
Jirj
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WEISSMANN: VERDI 13
Erkenntnis, den unseligen „Stiffelio" in „Aroldo a umzuschweiBen. Hilft
nichts; der bleibt eine zweifach verwachsene MiBgeburt. Welche Dinge
aber damals Verdi in seinem Hirn walzte, verrSt uns der Briefwechsel mit
Antonio So mm a. 1 ) Shakespeare's „Lear", den er liest, riittelt ihn machtig.
Er dringt in die feinsten Verastelungen des Dramas, lafit vereinfachen und
feilen, baut das Geriist und — schreckt doch davor zuriick, sich mit der
Gewalt des Wortes zu messen. Wird der „Lear a beiseitegeschoben, so
fordert ihn doch etwas anderes zur Tat auf: ein Scribe'scher Text
w Gustave III** , den Auber schon fur sich gepfliickt hat, soil noch einmal
fur ihn umgeschaffen, nein, nachgezeichnet werden. Hier ist er der Sorge
urn die unmittelbare Wirkung ledig. Aber Somma's Dichterskrupel gestatten
ihm nicht, seinen Namen auf das Libretto zu setzen. Dabei hat Verdi den
getreuen Diener hier anders gezwackt als jene Armen im Geiste Solera, Piave,
Cammarano; der Vers ist nicht mehr nur ein Notbehelf, eine Fortbewegungs-
maschine der Musik, er soil seinen Eigenwert haben, soil klingen und etwas
bedeuten; selbstverstandlich unter alien jenen Bedingungen, die Verdi immer
noch und immer dringlicher stellte, als da waren: Klarheit der Charaktere,
der Ereignisse, der Entwickelung, und, als Garstoff, rastlose Leidenschaft.
Renato, Amelia, Riccardo, Oscar, Ulrica, ihr alle seid Zeugen dafiir,
dafi Kopfarbeit in Naturgewalt iibergegangen ist. Doppelte Sensationsaffare,
wie fast jede von der Zensur bedraute, vom Publikum bejubelte Opef
Verdi's, hat dieser in den Konigsmord miindende „Ballo in Maschera** die
Obrigkeit besonders auf den Fersen. Aber der Starrsinn Verdi's lafit ihn
ohne ernstere Verstiimmelungen aus diesem Zweikampf hervorgehen. Denn
ob Schweden, ob Amerika der Schauplatz, das braucht den gottlich un-
bekiimmerten Italiener noch nicht zu scheren. Der hochdramatische, wenn
auch immer noch hinkende Text hat seinen Mann gefunden. Frische
ist da, noch stets bereit, sich in derbes Zupacken zu verwandeln; aber
auch Feinheit ist da und die Kunst, Themen in klangvollem Kontrapunkt
sich umarmen zu lassen wie in der Ouvertiire, in gewissen vielsagenden
Rezitativen. Das Verschworerthema ein Fugatothema von leitmotivischer
Pragung. Ulrica stammt aus der Familie der Zigeunerinnen und hat
mit der Dusterkeit der Azucena auch ihre Schlagkraft geerbt. Des Pagen
Oscar Munterkeit, in frisch-frohlichen Rhythmen ausgesprochen, ist nicht
ohne weltmHnnischen Zug. Amelia, Ulrica und Riccardo finden sich im
Terzett zusammen; aber in die Nahe der Katastrophe hetzt die Dreistim-
migkeit durch den Mund Amelias, Riccardos, Renatos. Und doch singt
dieser, ein echter Bariton, die Prachtromanze: „Eri tu che macchiavi . . . a
Wo die Gefahren sich haufen, wie in der Ballszene, gibt es einen Triumph
ohnegleichen: der anmutigste mondaine Tanz, vielfaltige erregte, ja listige
Wechselrede, Meuchelmord, das alles verkettet sich. Und bleibt doch,
') Vgl. Seite 34 ff. dieses Heftes. Red.
( ^f\i\t\]t* Original from
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14 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
vielleicht zu sehr, ballo in maschera. Wir belauschen die Verdi-Oper in
dem Augcnblick, wo sie den Bruch mit der Vergangenbeit vollziehen will,
aber noch Sirene genug ist, uns mit den stSrksten Reizen zu locken.
Wahrend vor dem inneren Ohr, vor dem geistigen Auge alle diese
Genietaten aufsteigen, will manche bittere Erinnerung sie uns vergallen.
Wir deaken an verruchte Bastardauffuhrungen dieser nationalen Werke.
Wo haben wir sie in Deutschland unverfalscht gehort? Etwa auf unseren
standigen Opernbiihnen, wo Sinnvolles und Unsinniges im schmierigen
Kostiim einer Afterubersetzung Lachsalven herausfordern wurde, wenn
man das Wort verstande; wo das Phlegma und die Angst vor Tollkuhnheit
den Kapellmeister nur zu oft hemmen; wo in alien Satteln gerechte, und
darum in diesem unsichere Sanger der Kantilene, dem Rezitativ Blut,
Wesen und Stil rauben? Um gerecht zu sein: der Sprachenwirrwarr'wird
zuweilen beseitigt; Gastspiele werden uns gespendet; Caruso vergeistigt
selbst den Duca di Mantova und darf „La donna g mobile" vor dem
jubelnden Hause viermal wiederholen; der Bariton Battistini zaubert uns
mit ewig schmiegsamem Metall und schauspielerischer Unschuld Je gioie
d'un tempo" zuriick. Doch nur die Stagione IMOt das Fremdnationale zu
kurzem, aber aufschluGreichem Dasein aufleben. Ensemble und Kapell-
meister, sie miissen in einer Sprache schwatzen, in einem Feuer brennen.
Ich war in Italien Zuschauer, oft mehr als Zuschauer in Dutzend-
auffiihrungen. Am Pult steht ein Mannchen, kein Vigna; ein Nichts.
Aber wie der seinen Verdi zuckend erlebt und weitergibt! Wie der dem
Rhythmus dieser Musik nicht entrinnen kann! Und die Leute, poveri,
schlimmer als Nichts. Aber sie spielten, entflammt, Verdi. Auf der Biihne
bescheidene Stimmen, verschlissene Dekorationen. Aber wie griff das
ineinander, wie ruhrte, schiittelte es micb, uns alle! Nichts weiter als die
Macht einer nationalen Musik, in ihrem Kern iibertragen, hatte das
dramatische Wunder vollbracht. Keine Regie, kein Biihnenbild kann es
hier schaffen. Diese Musik kennt dank ihrer Urkraft und Bildhaftigkeit
das Geheimnis der unmittelbaren Doppelwirkung auf Ohr und Auge.
Gliickt sie, dann diirfen auch Spielleiter und Dekorationsmaler urns Nach-
wort bitten.
Also Verdi der Italiener.
Der Weltburger
Und er blieb Italiener.
Die groCe Nervenkrise der Welt hebt an. Der „volkische* Richard
Wagner droht mit seinen Hydrakopfen den Damm fremden Volkstums zu
durchbrechen. Auch dort, wo die Nummer kraft eingeborener Lust am
musikalischen Zitat Ewigkeitsrechte zu haben schien, in Italien beginnt man
zu fiebern. Das 50jahrige Naturkind Verdi, kernstark und selbstsicher,
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WEISSMANN: VERDI 15
mit dem Wort stets dem Ton nacbhinkend, hat im folgerichtigen seelischen
Heranreifen seine ruvidezza langst abgeschliffen ; aber wenn jedes Naturkind
vor Wissen und Schrifttum den Hut zieht, so muCte dieses nach Stutz-
punkten in der Literatur suchen, die Best&tigung seiner Innenentwickelung
durch sie wunschen. Stimmt er den medizinisch-musikalischen Unter-
suchungen des ihm freundscbaftlich ergebenen kunstverstandigen Dott. Cesare
Vigna lebhaft zu, hangt er an dem Dichter Maffei, so mochte er sein
musikalisch Fleisch und Blut in einem Schriftwerk wiederfinden. Er kann
einen Augenblick stutzen, doch vom zehrenden Wagner-Fieber nicht er-
griffen werden. „Deutsch in der Musik sein wollen", sagt er, „heiflt so viel,
wie zur Gotik in der Baukunst zurtickkehren wollen." Da offnet sich ihm
in Alessandro Manzoni der Ausblick in echt italienische Gegend. Seine
Verehrung fur den Verfasser der „Promessi sposi* grenzt an glfiubige An-
betung. Sein Roman ist ihm nicht nur »das bedeutendste Buch seiner
Zeit, sondern eines der bedeutendsten Bucher, die je aus einem mensch-
lichen Hirn geflossen sind . . . Denn vor allem ist's ein wahres Buch,
so wahr wie die Wahrheit. Ach! wenn die Kunstler doch dieses Wahre
einmal begreifen wollten, dann gfibe es keine Zukunfts- und Vergangen-
heitsmusiker, keine veristischen, realistischen, idealistischen Maler, keine
klassischen und romantischen Dichter mehr, sondern nur wahre Dichter,
wahre Maler, wahre Musiker." In Manzoni also findet der Musiker sein
Fleisch und Blut wieder; in diesem Kenner der italienischen Volksseele,
die er liebevoll, ohne Diinkel betrachtet, der italienischen Volkssprache,
die er in fliissigen und einprfigsamen Ausdruck bannt; in dem fein
ironischen Schilderer des Don Abbondio, der kleinen, prachtigen, gefiihls-
starken Leute von engem Gesichtskreis, der Landschaft um den Comer
See. Wieder, in der kritischsten aller Zeiten, erklart Verdi: w Ich bin der
Italiener, ich kann nicht anders." Aber aus dieser literarischen, italienischen
Hilfsquelle, die hemmungslos in sein Inneres stromt, entnimmt er Be-
stitigung und Berichtigung der eigenen Seelenkunde; sie wird ihn fahig
machen, was in der Charakteristik noch skizzenhaft und uneben ist, unbe*
schadet seines Ur-Instinkts kunstlerisch befriedigender auszufuhren. Und
so wird der Zeitgeist den Italianismo, der begrenzt schien, dem Weltburger-
tum annShern — , ohne die naturliche Scheidewand zwischen den Volkern
niederzureifien.
Die Musik, Kunst der Leidenschaft, verlangt nach Verdi's eigenen
Worten Jugendlichkeit der Sinne, kochendes Blut, Vollkraft des Lebens, um
der Wirkung auf die Seelen gewiO zu sein. Hat er das vergessen? Nein,
er traut sie sich zu, er ist nicht zaghaft geworden. Denn wo Kraftnatur
aus dem eigenen Bediirfnis heraus und darum sparsam und schrittweise
nahrhafte Bildungssafte einsaugt, spottet sie auch des Naturgesetzes. Und
doch verlangsamt sich das Tempo des Schaffens. Gereinigte Melodie flieBt
( ' , . * Yl ,* T , s Original from
^ ,v UNIVERSITY OF MICHIGAN
16 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
bedachtiger als plebejische. Aber sie ist 1862 noch stark genug, urn jn „La
forza del destino", einer dem Verhangnis w Piave" verfallenen, im Keim
verfehlten, von der Kritik abgelehnten Oper, die Massen zu bezwingen.
Wissen wir in der Tat vieles, was sich dem beriihmten Duett an Fiille des
Klangs, an Warme des Ausdrucks, an breit ausladendem Gedanken wiirdig
anreiht? Das Weltbiirgerliche aufiert sich nun schon darin, daD der
Maestro immer haufiger in fremdem Auftrag arbeitet. Der Instinkt als
Lohndiener bewahrt sich nicht. Auch Verdi hat seine seelischen Schwache-
anfalle. Wer Wirkung in die Breite will, kann nicht miirrisch zuriickweisen,
wo er ergiebiges Erdreich zu spiiren glaubt. Fast iiberall noch sehnt man
sich trotz alledem nach der italienischen, nach derVerdi-Oper; am starksten
immer in Paris. Von dort aus winkt man ihm auch jetzt zu.
Das Ergebnis sich kreuzender Gedanken ist „Don Carlos'", 1867 an
der Pariser Op6ra aufgefiihrt. Mehr ein menschliches, als ein kiinstlerisches
Dokument. Ein Beweis dafiir, wie selbst ein Verdi, aus seiner Bahn ge-
worfen, einen Augenblick schwankt. Er laOt sich von Land und Leuten,
von Dingen iibermannen, die er sonst beherrschte, die er aber hier als
force majeure empfindet. Hat er sie hingenommen, dann sucht der Wahr-
heitsfanatiker, der gewissenhafte Kiinstler mit ihnen im Vertragswege aus-
zukommen. Verdi halt lange Texte fur schadlich ; wir wissen das. Hier
beugt er sich den Forderungen der grofien Oper und lafit sich fiinf Akte
gefallen. Er laCt sie sich gefallen. Der Beherrscher seiner Textdichter
verzichtet auf einen Teil seiner Macht. Grund: zwei Schriftsteller von
Namen, wie M6ry und Du Locle, Schriftsteller dazu des Landes, das ihn
zu Gaste geladen, kann er nicht vor den Kopf stofien. (An sich neigt er
bereits zu einer gleicheren Verteilung der Befugnisse.) Den Stoff hat ja
Verdi selbst gewahlt; seine Schillerverehrung aber, die im Dramatiker
begreiflich ist, hat ihn hier geblendet. Uncharakteristisches, Redseliges
ist mehr Hemmschuh, als einem Opernlibretto forderlich. Anderes folgt
daraus: fiinf unplastische Akte, aus der Unplastik auseinandergezogen,
sollen sich in bildhafte Musik auflosen. Der Boden, dem er Frucht
entlocken will, ist zahe. Gut denn, denkt er, ich werde experimentieren.
Vielleicht tut der Zwang, dem Melodischen als Urgrund der Wirkung zu
entsagen, dem technisch reiferen Kiinstler gut. Das Rezitativ darf kraftiger
gedeihen. Sagte er nicht einmal selbst, daD er lange Rezitative mittel-
mSDiger Lyrik vorziehe? Ein kurzer Blick auf Meyerbeer und Wagner.
Das Orchester wird reicher, verzweigter, die Ausstattung wird prunkvoll sein.
Ein Novum fur Verdi. Immer bisher hat er in der Musik das Primare,
Zwingende gesehen, nie von dem Sekundaren einen nennenswerten Zuwachs
an Effekt erwartet. Hier tut er's. Hier schreibt er das Finale des dritten
Aktes im Hinblick auf Pomp und Glanz. Ein Aufeinanderschichten von
drohnenden Effekten. Himmel und Erde spielen ihre Triimpfe aus.
( ^f\i\t\]t* Original from
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WEISSMANN: VERDI 17
Man will iiber diesen „Don Carlos" hinweggehen. Nicht Verdi. Er
hat hier gekampft; er liebt dieses Kind seiner Phantasie, gerade, weil es
nicht im Buhnensonnenschein lebt. Von der Hohe seiner Erkenntnis und
seines Weltruhms scheint es ihm den Kiinstler zu beschamen und seinen
Nachrubm zu scbmalern, wenn ein starker Bruchteil seines Schaffens nicht
lebensfahig ist. Dieser „Don Carlos" wird dem Italiener Ghislanzoni an-
vertraut, ja, auch einmal auf ein Mindestmafl von vier Akten gebracht. Man
konnte nun, aller organischen Fehler ungeachtet, die Reize dieses Biihnen-
stiefkindes gerechter schatzen: seine Tiefenlyrik, die zu dem „Dormird
sol nel manto mio regal" Philipp II. aufsteigt; seinen wenn auch trageren,
doch besser abgewogenen Schritt; seinen dunklen Unterton. Aber es bleibt
ein wenig flugellahm, wird mit achtungsvollem GruB abgefunden.
„Man muC nicht nur Melodiker sein ... In der Musik gibt's etwas
Hoheres als Melodie, etwas Hoheres als Harmonie: es gibt die Musik.
Das wird dir ratselhaft erscheinen." Der „ATda a -Komponist spricht's. 1871.
Merken wir, was da vorgegangen ist? Das Wagner-Fieber hat in Italien den
Glauben an die gute italienische Musik erschuttert. Sollte auch Verdi . . .
Er hat dieses Modetreiben aufmerksam verfolgt. Noch aufmerksamer
den Kern der Fortschrittsbewegung ergriindet. Und er schreibt ^Aida".
Fur den Khedive. Aber so sehr im Einklang mit seiner innersten kiinst-
lerischen Cberzeugung, dafi er dem Werk die unmittelbare Wirkung auch
ohne seine personliche Anwesenheit zutraut.
Noch einmal und seit langer Zeit am starksten macht „AYda" staunen.
Wo kurz vorher Flackern, Schwanken, Selbstqual herrschte, ist absolute
Sicherheit eingetreten, hat eine Innenentwickelung zur Hohe getrieben.
Dieses Werk des nun fast Sechzigjahrigen ist ein neues Wunder an Reife
und Frische, aber zugleich das entschiedene Bekenntnis des Italieners.
Schon scheint es, als ob das Zusammenwirken von Gelehrsamkeit und
Reimkunst textliches Stuckwerk und darum ein dramatisches Hindernis
schaffen solle. Aber zu sehr ist Verdi wieder er selbst geworden, um
nicht beides zugleich, sein Volkstum und sein verfeinertes Eigenwesen,
durchsetzen zu konnen. Der Kiinstler Verdi schopft aus dem im tiefsten
Grunde leidenden Menschen: die Poesie des Schmerzes wird seine Musik
tragen. Aida, Radames, Amneris — auf alien lastet ein Verhangnis. Doch
eines, in dem Liebesglut die Dusterkeit mit Farbe sattigt. Dem Leiden-
schaftlichen vermahlt sich das Malerische; diesem mischt sich das Glanzende.
Nicht umsonst hat Verdi in dem .Carlos* -Labyrinth geachzt. Er hat sich so
sein Gleichmafi, einen erhohten, veredelten Stil im Wahren errungen.
Das von Ghislanzoni in italienische Verse iibertragene Textbuch
fremder Herkunft ist von Verdi selbst bereichert worden: die Urteilsszene
und das Finale mit seiner Zweiteilung der Biihne bestehen durch ihn, Der
Meister mit dem Scharfblick fur Wirkung hat hier den entscheidenden
XIII. l. 2
f V^\nl,« Original from
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18 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
Kontrast zwischen Tempel und Liebestod, zwischen Heiligem und Mensch-
lichem, Unabanderlichem und Verganglichem geschaffen. Das Szenische
an sich hat ihn gereizt; aber niemand sieht die Vorgange anders als inner-
lich. Der festliche AnlaC, die Eroffnung des Suezkanals, hat auch sonst
noch die Haltung der Musik bestimmt; am wirksamsten im glanzvollen
Finale des zweiten Aktes. Aber merkwiirdig! Auch hier ist alle Leerheit
der groOen Oper iiberwunden, der Glanz Quaderstein des Dramas geworden,
Starres beginnt sich in Bewegliches zu wandeln. Die gleiche Beherr-
schung im Malerischen. Hier hatte ein spielerischer Geist Exotiksport
treiben konnen; der dramatische Komponist ist bescheidener, greift zu
Floten und Harfe, spendet sparsam Reichtiimer, und die Vision von Alt-
agypten, mit zarten Tinten, fremden Intervallen angedeutet und durch einen
neuzeitlichen Geschmack gemeistert, steigt vor uns auf. Und welche anderen
Bundesgenossen findet das Drama selbst, das fur den dritten Akt alle
Energieen aufgesammelt hat! Schon das Vorspiel will nichts weiter sein
als Zeuge des neuen Verdi'schen Wortes: „Das Orchester ist schon, wenn
es etwas bedeutet." Wir finden das Symphonische, die Zweiteilung der
Geigen, die Gedrungenheit der Form in dem Vorzimmer dieser Herrlich-
keit jetzt natiirlicher denn je; und auch sonst bleibt trotz Pharaonenprunk,
agyptischen Tanzen, trotz Schlachtszenen und Kriegsdrommeten das Orchester
iiberall nur Diener des Ausdrucks; es darf traumen, wimmern, flehen, grollen,
sich iiber Verrat entsetzen. Und doch gehort die Allmacht der Stimme,
der hier verschwenderisch gehuldigt wird. Sie ist hochstes Erregungs-
mittel. Das bedeutsame Orchester, die gesteigerte Rede enthalten sich
jeden Ubereifers, jeder Worterlauterung; die Formen kommen sich ent-
gegen, um dem singenden Menschen den Raum nicht zu beengen. Ein
jeder von ihnen ist reich bedacht; „Jugendlichkeit der Sinne, Kochen des
Blutes" hat ihnen bliihendes Leben eingehaucht.
Die Oper von 1871, mit ehrfiirch tiger Bewunderung betrachtet, eilt
von Kairo iiber Mailand siegreich durch Europa. Der Meister selbst glaubt
in schwerer Zeit sein Testament niedergeschrieben zu haben und spinnt sich
ein. „Vom Morgen bis Abend bin ich in den Feldern, in den Waldern,
mitten unter den Bauern, den Tieren, doch unter den besten von ihnen,
den VierfiiBlera." Den sich selbst verneinenden Landsleuten hat er nichts
mehr zu sagen.
Die fruchtbarste aller Generalpausen. Er steht gewifl nicht nur im
Verkehr mit der Natur. „Solitudine e studio", wird uns nochmals zu-
gefliistert; nur dafi die Vervollkommnung des Ichs nicht mehr dem Ehr-
geiz dient. Ein achtsames Nachfiihlen des Zeitgeistes mit der Unterfrage:
Habe ich mich iiberlebt? Hat jener andere mir den Atem benommen?
Die Quintessenz des Bildungsstoffes fuhrt er sich zu. Aber wir diirfen
( ^f\i\t\]t* Original from
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WEISSMANN: VERDI 19
auch gewiB sein, daB er immer und immer wieder jenes Hohere, das er in
der Musik errafft hat, in praktischen Ubungen sich vertraut, blutsverwandt
macht. Je aufschlufireicher ihm die Dichter sind, desto heiBer das Ver-
langen, ihr musikalischer Vollender zu sein. Der Geheimschrank mit seinem
der Vernichtung geweihten Inhalt entzieht uns die Kenntnis dieser Lau-
terungsarbeit. Sie reicht auch ins Gebiet des Glaubens und laBt ihn zu
jenen altitalienischen Meistern zuriickgreifen, die seine Landsleute —
Verdi gesteht es in einem Briefe an Biilow — nie hatten aufgeben diirfen.
Schweigen, Lauterungsarbeit, Biihnenvergessenheit.
Arrigo Boito klopft an. Kulturmensch, von Wagner nicht unberiihrt,
dem er im „Mefistofele a geopfert hat, ohne ihn, sich und den Italianismo
versohnen zu konnen. Wie war's mit Shakespeare? Mit „ Othello"? Der
„eherne KoloB* Verdi soil zum Tonen gebracht werden. Shakespeare,
„Othello" — der Meister fuhlt die alte Liebe zum groilten Dramatiker an
sich riitteln; sieht einen Dichterkomponisten, der bescheidentlich ihm die
Frucht seiner Arbeit reicht, aus Selbstkritik auf den eigenen Ton verzichtet.
Boito erhofft alles von der unvergleichlich starkeren Natur. Da ist ein
Libretto ohne Sprachgebrechen, mit einem neuartigen szenischen Geriist,
das doch die Grundforderung der Gedrangtheit zu erfiillen scheint; der
venezianische Akt des Schauspiels beseitigt, das Drama in die knappste
Formel gezwangt. Die Beziehungen des Komponisten zum Textdichter als
zu einem gleichberechtigten Mitarbeiter scheinen ihm nun nicht mehr
prufungsbedurftig.
Liebe, die treibende Kraft der Oper, fordert noch einmal die ganze
IllusionsKhigkeit des Greises heraus. Eifersucht, zweifelnde Leidenschaft
ruft nicht nur urwuchsige Wildheit des Empfindens, sondern ein denkendes
Miterleben dieser seelischen Selbstvernichtung auf. Zu leicht emport sich
der Zuschauer gegen den jahen Absturz von blinder Vertrauensseligkeit,
von unfaBbarem Gliick zum hemmungslosen Wuten des Dolches. Nicht
umsonst haben Rossi und Salvini im Shakespeare-Drama den Werdegang des
bohrenden GefCihls mit der Logik des Instinkts Italien in die Erinnerung
gegraben. Denken lost sich vom Leidenschaftlichen in Jago, der das Gift
langsam in Othellos Seele trSufeln laBt. Dem Musiker bieten sich hier
dornige Probleme: Gefuhlsraserei, die doch der Nuancen nicht entbehren
soil, teuflische Ironie eines Rachsuchtigen, der doch die Kraft hat, ruhig
Stein an Stein zu fugen, lachelnd seine Opfer ins Netz zu Ziehen (Faden
kniipfen sich zwischen dem Kritiker Boito, der den „Mefistofele* schuf und
dem Textdichter, der den Jago herausmeiBelte). Der UberschuB an Denken
in Jago, der mit Worten nicht kargt, konnte einem blutarmen Musiker ge-
fahrlich werden. Im glutvollen Verdi mindert sich die Gefahr. Aber
Othello und Jago streben so auseinander, daB Liicken klaffen. Im Instinkt-
menschen (der Tenor ist) schwacht sich das Gehirn also, daB der Mord
2*
C^nnolr Original from
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20 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
Desdemonas seinem geistigen Bankerott gleichkommt, mag auch das Or-
chester ihn verhuten wollen. Othellos Monologe, sein musikalisch er-
greifendes „Addio, sante memorie", so fein gesponnen sie auch sind, sie
losen keine seelischen Ratsel. Um so mehr, als Jago alle Schleichwege
seines Gedankens, alle Niedrigkeit seines Hohns, alle seine perfiden Rat-
schlage in einem musikalischen parlando verrat, dessen Verdi bis dahin
nicht fahig gewesen ware. Der Weg von jenem Spottchor im ,Maskenball a ,
der so schlagkraftig, doch ein wenig grob pointiert, zu dieser kiinstlerischen
Umwertung kuhler Nichtswiirdigkeit ist weit. Aber er zeigt auch die
Spuren der jahrelangen Lauterungsarbeit, die wieder in der Urkraft des
Schaffenden ihre Synthese gefunden hat.
Zum ersten Male wird der ganze Apparat, mit dem zeitgenossische
Charakteristik arbeitet, in Dauerbetrieb gesetzt. Von dem Augenblick an,
da das Schiff mit dem Orkan ringt, Blechblaser und Geigen aufschreien
und die geteilten Chore in diesen Wettstreit der Elemente hineinrufen,
bis zu Othellos Ende spurt das Orchester jeden Schritt des Dramas auf.
Stets bereit, sich mit dem Volk zu farbigem Hintergrund zu paaren, stets den
Worten und Ereignissen auflauernd, segnet es doch die Liebe Othellos
und Desdemonas, folgt es doch geheimnisvoll dem Traum Jagos, stimmt
es doch dem prachtigen Quartett zu; mit einem Wort: es vermag lebens-
wahr zu schildern, sich selbstherrlich zu dehnen und miihelos den Weg
zur Heimat der Musik, zum Gesang, zuriickzufinden. Es will nicht leit-
motivisch sein, es will stets Musik aus sich heraus gebaren; es durcheilt
die Zwischenstufen der Chromatik, doch nur um desto iiberzeugter der
Mutter Diatonik zu huldigen. Immer weltbiirgerlich, bricht doch diese
Musik nie die Briicken zur Vergangenheit ab. Die Nummer im alten Sinn,
die Dramatik der Berge, Taler, Moraste, ja auch die Kadenz ist bis auf
kleine Reste aufgegeben; aber ununterbrochen lauft die Entwickelungslinie.
Gewifl: mit der „Aida a -Lyrik verglichen, erreicht diese Lyrik hier nur Mittel-
hohe. Kein greisenhaftes Moderato, wie mancher glauben mochte; ihn will
der Eilschritt des Dramas widerlegen, das, aus neuem kiinstlerischen Credo
geboren, alles Uberpopulare hinwegschwemmt. Der vierte Akt des „Othello a
ist die hochste Kraftprobe des alten und des neuen Verdi: jener, der Verdi
knapper und glanzender Schliisse, drangt atemlos zur Katastrophe, dieser
hutet sich vor der sentimentalen Nummer; das Lied vom Weidenbaum
steht nicht urplotzlich vor uns, es wird in der Erinnerung aufgesucht,
es tropft leise hinein. Angst, Gebet, Einschlummern, Wechselrede, Mord,
Selbstanklage und Selbstmord, alles jagt hintereinander her und versteht
sich doch, dank der Triebkraft von Stimme und Orchester, von selbst.
Ist der Durchschnittsitaliener von 1887 dem „Othello a komponisten
dankbar? Er ehrt in ihm den Meister; verbeiCt aber seinen Schmerz dariiber,
daB Verdi ihm, dem Gewohnheitsmenschen, abtriinnig geworden sei. Den
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WEISSMANN: VERDI 21
.Othello" auch nur teilweise im Kopf heimzutragen, gelingt ihm nicht. Ein
Orchester, das der Stimme allerorten ins Wort fallt, ist ihm nicht italienisch
genug.
Und wir, wie schatzen wir ihn ein? Auch wir zahlen den „Othello a mit
Bedauern zu jenen Meisterwerken, die man mehr lobt als auffuhrt. Denn
das Zwingende kann fur die Masse hier weder der Text noch die Musik
noch ihr fast restloser ZusammenschluB sein; es kann nur von der Uber-
tragung solcher Einheit auf die Darsteller ausgehen. Ein kuhl uberlegener
Jago, ein packender Othello (der kein Dummkopf sein diirfte), eine kind-
lich-hingegebene Desdemona, sie alle im selbstverstandlichen Besitz der
Belcantostimmen und -technik, — man begreift, dafi solche Kunst einer
gliicklichen Stunde einmal hinreifien kann. Andeutungen lassen aber nur den
Kenner ahnen. Es ist der Geist der nachdenklicheren Neuzeit, der hier
aus einem noch Jungen spricht. Die leidenschaftliche Personlichkeit muO
dem Objekt entgegenkommen. Und keine dithyrambische Kritik wird sie
aus der Erde stampfen.
Ahnlich ist das Los des „Falstaff*. Er kam 1893. Hat der Greis
einmal das Schweigen gebrochen, warum sollte er nicht wenige Jahre
darauf noch einmal die Welt vor Staunen stumm machen? Uber Wagner,
fiber die Krise hinaus hat er geschaffen, ein Naturwunder. Die Hand-
schrift ist zittrig, aber das Eherne des Geistes, die Klarheit des Blickes
ist geblieben. Den unwiderstehlichen Drang, sich mitzuteilen, besitzt er
nicht mehr; den vergluhenden Funken muC Boito anblasen. Schon nach
dem „Othello a hat Verdi das Gefiihl, ein Geheimnis preisgegeben zu haben.
Jene Zeiten, da er zwischen dem ersten Kontrabafi und dem ersten Violon-
cell sitzend dem Erfolg entgegenbebte, ersehnt er nicht mehr. Kammer-
musik des Theaters konnte man nennen, was ihn jetzt erfiillt. Aber das
Blut, das gar rasch in ihm kreist, leiht ihm auch ohne das anfeuernde
Gesicht des Publikums das Tempo her. Dieses Tempo des w Falstaff*,
diese Kraft, es in rhythmischer Mannigfaltigkeit, mit einem wohlerwogenen
Auf und Ab von Stimmungen zu halten, das ist das Jugendliche an ihm.
Wie es sich die Eroberungen des Alters noch einmal unterwirft, den ge-
wahltesten Geschmack walten laBt, nie GleichmaB, Durchsichtigkeit ver-
letzt, das ist jung und alt zugleich. Denn die entbundene Energie des
Kraftmenschen und des Nurlyrikers ist fur die Vornehmheit frei geworden.
Die risata sonora ist ein verhaltenes Lacheln. Ein ganz lockres Lachen
hatte Verdi nie aufbringen konnen. Seit fiinfzig Jahren klingen die „Merry
Wives" in ihm an. Nun, mit dem Humor des abgeklarten Greises, fuhlt er
sich reif fur sie.
Und in der Tat — dieses Libretto ist nicht lustig. Der Opern-
falstaff ist eine Karikatur; noch dazu eine, deren Martyrium sich mehr an
unser Mitgefuhl als an unsere Heiterkeit wendet. Verdi erschien er
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22 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
anders. Haben wir aber erst unsere Sinne auf ein ruhigeres Erlebnis
eingestellt, dann Ziehen eitel Lust und Staunen in sie ein. Mit der Aus-
schaltung des Leidenschaftlichen ist jene selbstverstandliche Beherrschung
aller Einzelheiten im Dienste des Gesamtkunstwerks erworben, die wir
Stil nennen. Mozart ist hier von einem Durchkomponierenden fortgesetzt;
doch so, daO auch die gesteigerte Empfindlichkeit des Zeitalters hineingestromt
ist. Die Causerie behauptet sich als der Grund, aus dem das iibrige empor-
wachst; hier ist sie geistreich gefarbt, dort lyrisch vertieft; und im romantischen
dritten Akt wird die Nummer, die schon vorher zeitweise gedieh, liebevoller
gepflegt. Sie will nicht in Eigenfarben leuchten; sie hebt sich kaum aus
ihrer Umgebung heraus. Falstaffs Korperlichkeit drangt fiber das mifigliickte
Abenteuer mit so naturlichem Schwergewicht zur Themse hin, daD der
Musiker und der Theatermann lachen muB, wo der Mensch unerschiittert
bleibt. Jenen aufgeschwemmten Edelmann mit so sicherem Stift zu zeichnen;
das Sammel- und das Einzelgeschwatz so zwanglos zu meistern; den Spuk
und Scherz mit dem Zauber der Holzblaser zu beschworen, — das ware
dem Verdi von einst nicht gelungen. Und italienisch bleibt, im Sinne der
Wenigen, die unerbittliche Berufung auf ein vom Stimmklang beherrschtes
Ohr. Auch hier ein Sieg des Diatonischen. Der Leckerbissen wird —
das Bild mag durch die musikalische Komodie gerechtfertigt sein — dem
Feinschmecker nur als wiirzende Zukost gereicht. Das C-dur Gefuhl
weicht nicht bis zur magistralen Fuge. Trotz jener Edelharmonik, die den
Mitternachtsglockenschlagen einen neuen, geheimen Sinn gibt.
Die „Lustigen Weiber von Windsor" jenes Nicolai, der das „Nabucco a -
Textbuch ablehnte, scheinen damit im Werte gesunken. Aber sie leben,
ja leben glucklich unter dem Schutz des Biirgertums, das in ihrer vielfach
zusammengesetzten Nummer selig ist. Ich will sie nicht verachten; nur
darauf hindeuten, daB bei gleicher textlicher Grundlage burgerliche Zahigkeit
am Guten, Alten festhalt. So ist w Falstaff« mit seinem gedampften Ton fiir
den Kampf urns Biihnendasein noch weniger geriistet als „Othello a .
Der Meister heiliger Musik ist mehr als ein Intermezzo. In wenigen
Beispielen zusammengefaBt, bezeugt sie eine mit der dramatischen gleich-
laufende Entwickelung. Wie Natur die Kultur langsam und schrittweise
einsaugt, brockelt von dem Kindesglauben manches ab. Aber die Urn-
fassungsmauern, die den Blick ins Freie nicht trfiben, stehen noch; wie
die Kindlichkeit nie zerstort wiirde. Einst flofi Verdi's Religion in seine Oper.
Nun, mit deren Vermenschlichung und Vergeistigung, fliichtet sie abseits
und baut sich ein eigen Haus. Der hochste Trost des Einsamen, des
Greises.
Das Requiem, das ihm die Liebe zu dem abgeschiedenen Manzoni
( ^f\i\t\]t* Original from
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WEISSMANN: VERDI 23
1873 diktiert, hatte in jene Generalpause Bresche gelegt. Es verleugnet
seine Aida-Nahe nicht, ist Palestrina ferner. Das Opernhafte, ins Innerliche,
Mystische gewandt, schimmert doch allenthalben durch. Die Solostimme
ist wirksamste Sprecherin des Gefiihls; im Dies irae jagt das Blut des
Dramatikers; uberall sonst sucht es sich zu beruhigen. Aber der Lyriker
schweigt nicht. Und selbst die SchluOfuge hat nichts Asketisches; sie drangt
zu machtvollem Ausstromen der Melodie, zur Wirkung hin. Die blieb
dem Requiem nirgends versagt. Die Kirche, in der es 1874 zuerst erklang
— es war die von San Marco in Mailand — hat es seinem Wesen nach zu
meiden. Hat Verdi selbst nicht zugestimmt? In Wien weckt das Werk helle
Begeisterung; der Meister schreibt gliicklich an einen Freund, das Offertorium
und das Agnus Dei seien wiederholt worden. Der Liebhaber der Opern-
dacapos ist nicht sprode. Die Quattropezzisacri: Ave Maria, Stabat mater,
Laudi alia Vergine Maria, Te Deum, in Paris 1898 aufgefiihrt, zeigen die
Weltlichkeit weit mehr gebandigt. Aber auch hier ein Aufkochen des
Blutes, wie im Te Deum; der Asket will die verfeinerte, verzweigte
Empfindung des Dramatikers vom Beiwerk losen, ubertrSgt die gewachsene
Harmonik ins Vokale, biirdet sich im Ave Maria die Last der Scala
enigmatica auf, stutzt nicht bei Quinten- und Oktavenfortschreitungen.
Viel Muhsal am Wege. Aber der Wahrheits- und der Schonheitssucher finden
sich im Lyrischen, im Melodischen. Man fragte, ob Dante's schone, klingende
Paradiso-Strophen nach Verdi's Musik verlangten. Ihm ist sie Bediirfnis,
Glaubensbekenntnis.
Verdi ist nun bis zur groBen Abrechnung mit Wagner gediehen. Vor
zehn Jahren noch ware sie eine Notwendigkeit gewesen. Heut schrumpft
sie zu einem freundlichen Ausgleich zwischen Ebenbiirtigen zusammen.
Das glaubige, bildungsdurstige Naturkind lauscht dem Propheten in
eigener Sache, weil es in ihm die staunenswerte Zuammenfassung einer
Zeitkultur wittert; die Lauterungsarbeit, in Verdi's kunstlerischem Gewissen
keimend, wird beschleunigt. Die Feder entsagt der Eilfertigkeit. Das ist
viel, sehr viel. Wie weit das individuelle Vervollkommnungsbedurfnis
in weniger kritischen Zeiten gelangt wfire, wissen wir nicht. Nur das eine
wissen wir, daO dieser Uritaliener nach sorgsamer Selbstpnifung doch die
eiserne Kraft besaB, sich und sein Volk gegeniiber Fremdem zu betonen,
nur das Allgemeingiiltige einzusaugen, alles Ungeeignete abzustoBen. Was
eine Welt bis zu volliger Denkunfahigkeit knechtete, konnte ihn nicht
schwachen, nur emportragen.
Wir stehen bei einer Wagner-Revision. Sie wird uns erleichtert, wenn
wir den Kontrast der beiden Erscheinungen ins Licht riicken. Ja, wir
dringen so bis zum Herzen der Biihnenmusik.
( ^f\i\t\]t* Original from
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24 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
Ewige Klage: auslandische, meist italienische Einfuhr deckt den Be-
darf des deutschen Opernspielplans. In der Vergangenheit sind ganze
Biihnen dem Italianismo geweiht; in der Gegenwart jammern die musika-
lischen Fiihrer iiber Vernachlassigung, konnen aber den Opernhunger des
Volkes nicht stillen. Dieses leidet unter der Theaterfremdheit des deutschen
Musikers, die nur von seltenen und nicht immer reinrassigen Gliedern
der Zunft iiberwunden wird. Wer unter den Musikern vermag die Reali-
taten der Musikbiihne zu erkennen? Wer wirft den Ballast des Denkens
fort, um diese mit der Erbsiinde des Unwahrhaftigen beschwerte, aber
volkstiimlichste Mischkunst in ihrera Wesen zu pflegen? Die Denkenden
wehren sich gegen die Erbsunde, die Unbedenklichen entehren sich in
elenden Kompromissen. Man mochte so gern das Geheimnis der Wirkung
entschleiern. Sie ist zusammengesetzt wie der Organismus der Oper.
Nur da, wo keiner der Faktoren dieser Mischwirkung versagt, kann die
treibende Kraft einer mehr oder minder musikalischen Regie den Erfolg
bekraftigen, sonst wird auch dieses hochst verfeinerte Ersatzmittel ihn nicht
herbeizwingen konnen. Die Mischwirkung aber, nur mit verschieden
starken Komponenten, bis zum Triumph iiber die Horenden und Schauen-
den zu steigern, ist Verdi und Wagner gegliickt.
Und doch konnte der eine zum anderen nicht kommen. Verdi mag Wagner
die Weite des Gesichtskreises, die Uberwaltigung eines Volkes von Gebildeten,
den Schriftstellerruhm einen Augenblick neiden. Im nachsten schon wirft er
ihm bei aller Schatzung des Kunstwerks vor, er habe Musik auf Theorieen gebaut.
Sein Wirklichkeitssinn riittelt nicht an der Begrenztheit der Oper, laCt sich
von ihrer Erbsunde nicht zur Phantastik verfiihren; er zielt leidenschaft-
lich ohne hemmende Zwischenglieder auf die Sinne des Theaterbesuchers.
Im Volkstum wurzelnd, dem Volkstum dienend, kann er sich doch so nie
in den Nebel des Mythologischen, des Ubermenschlichen verirren. Sein
Biihneninstinkt und sein Musikerblut mogen ihn zweimal in eine Sackgasse
treiben, beim dritten Anhieb bleibt er Sieger. Der Sechziger noch be-
gniigt sich in „Aida" mit der annahernden Wahrheit und verteidigt sie
mit der ganzen Schlagkraft einer geklarten Jugend. Wagners gedehnte
Szene, gegen die sich die Biihne aufzulehnen beginnt, wird nicht nur von
Verdi's Wirklichkeitssinn verurteilt. Wie dieser zur Spannung drangt und
alle Uberspannung vermeidet, so spricht auch im Musiker der bon sens
das entscheidende Wort. Sein Musikzentrum ist nicht das wagnersche;
es ist iiberhaupt mehr Zentrum als dieses. Von gesundester Sinnlichkeit,
braucht er nicht aufpeitschenden Nervenreiz noch entliehene Stimmung,
um zu erfinden. Aus dem Geschehnis springt ihm ungerufen das Klang-
bild hervor, der seelischen Verfeinerung harrend, die zuerst nicht einmal
gesucht wird. Den Umweg iiber die Sprache kennt er nicht, auch dann
nicht, wenn zuletzt unter dem Zwang des Geistes die Formen sich dehnen,
Original from
i r.yC tOOoIc
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WEISSMANN: VERDI 25
sich Idsen. Die sangbaren Intervalle im Spiel des rhythmischen Wechsels
sind sein Reich. Der Musiker jubelt, wenn sie sich kunst- und sinn-
voll zur Mehrstimmigkeit fugen. Er jubelt, wahrend Wagner im Solde
der Wahrheit Enthaltsamkeit iibt, das endlose Selbst- und Zwiegesprach
zur Stilregel erhebt und nur ausnahmsweise, wie in einem Schwache-
anfall, der vielfachen Schonheit opfert. Er kann verzichten, weil der Ton
des Orchesters ihm sinnvoller zu reden scheint. Wie oft auch Wagner
den Gesang als die Quelle der Tonkunst riihmt, der Stimmungsmensch
und -musiker, der Denker, der jeden Schritt (iberwacht, der Dramatiker
ziehen ihn schwerbliitig nach dem Orchester. Dort thront die Phantasie,
die verzweigterem Anreiz gehorcht. Von dort aus steigt der Geist der
Dichtung glutfarbig auf, wird der Geist der Ermiidung krampfhaft be-
schworen. Mit diesem einzigen Orchester wird die Welt bezwungen. Aber
die Krucke des Leitmotivs, die einer verarmenden Phantasie gereicht wird,
vielmehr dieses pedantisch-phantastisch aufeinander getiirmte groQe System
von Krucken lehnt Verdi's aus anderer Quelle gespeistes Musikertum
lachelnd ab. Lieber einen Abstrich von der sogenannten Wahrheit, lieber
ein bezeichnendes Nurstreifen des Charakters als solch schwer atmendes
Hinaufklimmen zu einer Hohe, von der wir jederzeit abstiirzen konnen.
Oder waren wirklich Siegfrieds und Violettas Schwanensang im Sinne der
Buhnenwahrheit einander fern? So konnen auch Verdi's Rezitativ und De-
klamation selbst hart an der Wagner-Grenze nie in den Sprachgesang miinden,
der dem Empfundenen wie dem Nuchternen gilt, in Ode und Sand gerat
und allmahlich das Unartikulierte geboren hat. Verdi's Orchester wird — es
ist wahr — folgerichtig nie den Status meisterlicher Selbstverstandlichkeit
iibersteigen, wird nie durch Auffallendes zur Nachahmung reizen; es ist
prunklos, bescheiden, wie der Mensch war. Wie seltsam, daO solche
Prunklosigkeit und Echtheit eines zur Kultur emporgestiegenen Naturkindes
im Augenblick der Erinnerungsfeier die durch rastlosen Uberreiz erschopften
Sinne zu kuhlen bestimmt ist! Also waltet die Racherin Zeit. Und doch
kann eben nur die Ungerechtigkeit einer Stunde der Erschopfung den einen
gegen den anderen ausspielen. Selbst wenn Verdi's Biihnenwirklichkeitssinn
den Blick auf die stelzbeinige Kunstlichkeit mancher Wagnerschen Szene
lenkt, im Wagner-Werk, soweit es Menschen faBt, steht zunachst noch
mehr als ein Denkmal des deutschen Idealismus, der sich das Drama iiber
Hemmnisse hinweg erobert; steckt noch ein unzerstorbarer Kern, eine an
Festtagen des Gefiihls hinreiflende Kraft. Ruinen liegen genug am Wege
der Oper, und gerade der Oper. Das Lebenskraftige aber zu erhalten und
zu entwickeln, tut not.
Ist nun Verdi entwickelungsfShig? Zuweilen ist auf den „Falstaff"
als moglichen Ausgangspunkt einer neuen und verfeinerten italienischen
Oper gedeutet worden. Aber nicht rein zufallig sind schon Zeitgenossen
f V^\nl,« Original from
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26 DIE MUSIK XIII. 1: 1, OKTOBERHEFT 1913
und Nachfolger abgebogen, Wenn Puccini zwischen Italien and Frankreich
Fiden knfipft, aparsam leltmotiviscb wird und docb der KraBbeit aits
Oberzeugung dlent, so liegt in der Ttt in dem Werk des gr&Qten KSnners
unter den Veristen eine allzu zersplltterte Miniaturmlschkunst vor. Und
der weltbfirgerliche Italiener Verdi, auf die Nacbahmer Bixets und Wagners
nnter den macatri ireisend, kJagt: »Es fehtt v6Uig an Patriotlamns in der
italienischen Musik,*
Das nene Italien, von Verdi aelbst musikallsch vorgeahnt, nimmt
anders als das frubere am Wettstreit der VSlker tell. Es will nur zeit*
gemU und nnr weltbfirgcrlich aeia. Es 1st im Begriff, die Bfirde der
historiscben Vergsngcnheit abzusch&tteln und, auf nene Terte gestfltzt,
Bnanzkriftig zu werdon. Stilck urn Stfick werden Symbol© des EInst i&r-
st3rt Stldte streifen ihr Eigenates ab, nod nur abseits vom grofien
Menschenstrom kSnnen sicb die Ideale des r&ckblickenden Trlnmers nocb
verankern. Handel und Technlk drfngen nnweigerllcb vorw&rts und
treten WiderstSnde nieder* LBngst schon, in den Zeiten virtscbaftlichen
Schlummers, bat Italien die Sendboten des Volkes, seine Singer und
Singerinnen, die einst scbarenweis im Lande vuchsen, ans kfinstleriscben
Griinden sich vennindern sehcn; dann, Immer wenig begelsterungp- und
darum immer wcniger aufopferungsHhlg, sie als Merkwfirdigkeiten an die
staunende Umwelt abgegeben; und miide, verw&hnt, fremd kehrt das Kind
dea Landes als Gast heim. Milano, nicht umsonst ^capitals morale" Italians
gpnannt, ist ancb sein Kopf, ist Gradmesser seines Anfstieges; im Scala-
tbeater bat nocb fede Ricbtung ihr Ecbo gefundeu. Von dort aus scbreitet
auch jetzt unsendmentales Weltb&rgertnm vorwirts* Nocb trennt, vie
immer, die Kunst dieses denkenden Kopfes und die des trigeren Rumpfes
eine Kluft. Mailand ist fiber den letzten Richard Wagner scbon beim Jung-
6teo Richard Straufi augelsngt, vfthrend veiter unten noch Neuerungssfichtigc
im .Lohengrin* selig fortdSmmern. Docb der Kurs Ist gegeben* Man
steuert ISogst von der alten Melodie ab, wie man der wirtscbaftllch hem-
menden Vergangenbeit entsagt hat, Man ist curop&isch.
An der Schwelle dieses neuen Italiens, das ibm noch Krftnze winden
kann, mit einen kurzen Blick ins zwanzigste Jahrbundert, steht Giuseppe
Verdi: Italiener und Weltbfirger*
[" ^ % | , Origin ^1 from
" " ::jl ^' tK ^s K UNIVERSITY OF MICHIGAN
VERDI UND SHAKESPEARE
(MACBETH - BRIEFE UBER K6NIG LEAR — OTHELLO — FALSTAFF)
VON EDGAR ISTEL IN BERLIN-WILMERSDORF
„Vi pare che la mia flsionomia sia quella d'un
tedesco? Vi pare che sotto questo sole e questo cielo
io avrei potuto scrivere il Tristano o la Trilogia? Siamo
italiani, per Dio! in tutto, anche nclla musical"
(Sie halten meine Physiognomic fur die eines
Deutschen? Sie glauben, unter dieser Sonne und
diesem Himmel hfitte ich den „Tristan a oder die
Trilogie schreiben konnen? Italiener sind wir, bei
Gott, in allem, auch in der Musik!)
Verdi zu Monaldi
Shakespeare's Theater, nach des jungen Goethe Ausspruch „ein
schoner Raritatenkasten, in dem die Geschichte der Welt vor unseren
Augen an dem unsichtbaren Faden der Zeit vorbeiwallt", hat zu alien Zeiten
die Phantasie der Musiker lebhaft erregt und zur Nachgestaltung in Tonen
gereizt. Unbekannt mit Lessings wundervollem Wort: ^Shakespeare will
studiert, nicht geplundert sein", stiirzte sich die Menge der Komponisten
in Gefolgschaft meist sehr zweifelhafter Textdichter auf Shakespeare's Erbe,
wie die hungrigen Raben auf das Aas, um hier an scheinbar herrenlosem
Gut sich zu sittigen. Doch des gfofien Briten gewaltiger Geist trium-
phierte fast stets iiber diese Allzugierigen, und herrlich wie am ersten Tag
blieben die hohen Schopfungen seines Geistes, wahrend die meisten
Shakespeare-Opern bald schon der Vergessenheit anheimfielen. Eine ein-
zige ruhmliche Ausnahme unter den vielzuvielen, die sich an Shakespeare
vergriffen, bildet Felix Mendelssohn Bartholdy, der, ohne Shake-
speare's Wort anzutasten, mit seiner kongenialen „Sommernachtstraum a -
Musik ein Kunstwerk schuf, das sich so harmonisch dem Dichterwerk ein-
gliedert, daft wir uns eine Auffiihrung des herrlichen Marchens ohne Mendels-
sohns Tone gar nicht mehr zu denken vermogen. Uberhaupt zeigten die
deutschen Komponisten — wenigstens die bedeutenderen — mehr Respekt
vor Shakespeare als die romanischen. So iible Verballhornungen wie
Rossini's „Othello a , Bellini's und Gounod's „Romeo und Julie", A.
Thomas' „Hamlet a hat man in Deutschland nicht versucht, und, von
Goldmarks kurzlebigem w Wintermarchen a abgesehen, hat sich an den
tragischen Shakespeare-Stoffen kaum ein deutscher Komponist von Namen
und Rang vergriffen. Dafi sich der junge Richard Wagner aus dem
ernsten B MaD fur Mafi" sein iibermutiges B Liebesverbot" zurechtzimmerte,
mag nur als Kuriositat noch interessieren. In Wirklichkeit hat Wagner
von Shakespeare nur den Stoff in ganz allgemeiner Weise entlehnt und
f V^\nl,« Original from
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28 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
etwas, das kaum noch an Shakespeare erinnert, daraus gemacht. 1 ) Gluck-
licher als mit den ernsten Stoffen waren die Komponisten mit Shake-
speare's Lustspielen: Nicola is auf ein zum groBten Teile sehr geschicktes
Textbuch komponierte „Lustige Weiber a (Text von Mosenthal unter
Mitwirkung Nicolais), Hermann Goetz' „Der Widerspenstigen
Zahmung" auf ein die rohe Shakespeare'sche Jugendposse veredelndes
ausgezeichnetes Buch von J. V. Widmann komponiert, haben die gleich-
namigen Lustspiele Shakespeare's fast ganz von der Buhne verdrangt, was
allerdings im Hinblick auf die prachtigen „Lustigen Weiber" Shakespeare's
sehr zu bedauern ist. Auch Berlioz hat mit seiner komischen Oper
„Benedikt und Beatrice" (nach „Viel Larm um nichts") eine recht
gliickliche Hand gehabt, obwohl sein Textbuch durchaus keine ideale Um-
gestaltung des englischen Lustspieles darstellt. Das Wesentliche jedoch ist
und bleibt, daB diese drei Tondichter wirklich ein Stuck heiteren Shake-
speare'schen Geistes in Musik zu bannen verstanden, wahrend die bereits
genannten Komponisten tragischer Opera Shakespeare entweder verwasserten
Oder versiiBlichten. Ganz merkwurdig, einzigartig steht es dagegen um
Verdi, den groCten italienischen Musikdramatiker des 19. Jahrhunderts,
den einzigen ebenbiirtigen Rivalen Wagners, um jenen seltsamen Mann,
der nach manchen Irrwegen noch als hochbetagter Greis gerade an der
Hand des einst von ihm selbst opernhaft miBhandelten Shakespeare einen
neuen tragischen und komischen Stil erfinden sollte, dessen Wirkung auf
die Zukunft der lyrischen Buhne vielleicht starker sein wird als die der
Wagner-Nachfolge.
Als Verdi zum ersten Male im Jahre 1847 sich an Shakespeare's
„Macbeth a heranwagte, war ihm, wie alien Italienern seiner Zeit, der
Geist des groBen Briten noch fremd, und ihn reizte wahrscheinlich
nur die schauerliche Moritat mit ihren fur die Musik oft sehr giinstigen
Nachtszenen. Unmittelbar nach Beendigung des „Macbeth*, dessen Buch
von Piave, dem Dichter des „Rigoletto" herruhrte, schlug ihm der Schiller-
iibersetzer Maffei den Stoff des „Konig Lear" fur eine Oper vor, doch
Verdi lehnte ab mit den Worten: „Wo keine Liebe ist, kann auch keine
Musik sein**. 2 ) Doch Verdi blieb nicht bei dieser Ablehnung, im Gegen-
teil, der Stoff zog ihn so mlchtig an, daB er ihn nicht nur dem Dichter
Cammarano, der den ^Troubadour" fur ihn schrieb, noch kurz vor dessen
Tode, sondern spater im Jahre 1853 nochmals dem Venezianer Dichter
Antonio Somma vorschlug, wobei er bekannte, er ziehe Shakespeare alien
Dramatikern vor, selbst die alten Griechen nicht ausgenommen. Dies laBt
bereits auf eine vertraute Bekanntschaft mit dem groBen Briten schlieBen,
J ) Vgl. meine ausfuhrliche Studie uber das „Liebesverbot" ( w Die Musik**,
VIII. Jahrgang, Heft 19).
2 ) Von Monaldi in seiner Verdi-Biographie, 9. Kapitel, erzihlt.
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 29
und in der Tat, die Bemerkungen Verdi's in der sich iiber drei Jahre
hinziehenden Korrespondenz mit Somma, die ich bier zum ersten Male
deutsch veroffentliche, zeigen zum allergroflten Teile ein feineres Ver-
standnis, wenngleich nicht zu verkennen ist, dafi auch hier in vieler Hin-
sicht noch Shakespeare zugunsten einer italienisch-effektvollen Oper
einfach vergewaltigt wird. Dafi sich die Shakespeare'sche Tragodie diese
Prokrustesbehandlung nicht recht gefallen liefi, sah Verdi zu guter Letzt
ein, und so blieb es nach den eifrigsten Bemiihungen urn das Textbuch
endgiiltig dabei, daft Verdi die Musik dazu nicht ausarbeitete. Erst iiber
ein Menschenalter spater kam der 70jahrige, inzwischen aufs feinste
kultivierte Meister auf seine alte Liebe Shakespeare zuriick, und er hatte
das grofle Gliick, in Arrigo Boito einen Mann zu finden, der die Erforder-
nisse des Komponisten mit grofiter Pietat gegen den Dichter zu vereinen
wufite. Aus dem brutalen Vergewaltiger Shakespeare's wurde Verdi so
im hochsten Alter noch dessen Diener: nicht mehr die absolute „Wirk-
samkeit" der Musik, der krasse Theatereffekt urn jeden Preis, sondern die
psychologische Ausdeutung der poetischen Situation waren ihm nun,
ganz im Sinne Wagners, aber ohne diesen irgendwie aufierlich nachzuahmen,
die Hauptsache. Und so wurde denn seinem Jugendtraum, daft er im Zeichen
Shakespeare's siegen werde, eine herrliche Erfiillung im Alter zuteil.
a Othello" und „Falstaff a , unsterbliche Meisterwerke, sie bilden mit „Aida",
„Rigoletto a , „Trovatore", „Traviata" und „Maskenball a die Kette jener
Opern, die den Namen Verdi's iiber den Erdball trugen, und wenn von
den alteren Werkeji schon manches verblafit und abgebrockelt sein wird,
„Othello" und w Falstaff tt allein werden den Namen Verdi durch die Jahr-
hunderte geleiten.
In welchem Geiste aber der alte Verdi diese Werke schuf, moge
ein charakteristischer, von Italo Pizzi (Ricordi Verdiani) iiberlieferter Aus-
spruch des Meisters zeigen: ^Shakespeare analysierte die menschliche
Seele so scharf und drang so tief in sie ein, dafi das, was er seine
Personen sagen lafit, offenbar gerade menschliche Gewohnheit ist, dafi es
wahr ist, und dafi manches so wirklich sein musse." Er stellte ihn
aufierdem, wie Pizzi berichtet, in Gegensatz zu dem iibertriebenen Victor
Hugo — dessen „Le roi s'amuse* Verdi zu „Rigoletto* benutzt hatte —
und dem zu sehr idealisierenden Schiller, dessen „Rauber", „Kabale und
Liebe - , „Fiesco*, w Don Carlos", „Jungfrau von Orleans" Verdi in ziem-
lich erfolglos gebliebenen Opern verarbeitet hatte.
Gewifi, Verdi blieb in alledem, auch in B Othello" und w Falstaff a , er
selbst, ein echter Italiener, und doch, die starke Wendung zum deutsch-
franzdsischen Musikdrama-Ideal, das allezeit dem italienischen Schwelgen
in schoner Melodie und krassen Situationen stark entgegengesetzt war, ist
nicht zu verkennen. Waren ^Othello" und „Falstaff" auch zunSchst bei
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30 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
ihren italienischen Urauffiihrungen groBe Erfolge, so hielten diese Erfolge
doch nicht geniigend an; heimisch wurde „Othello a ausschlieBlich in
Deutschland, wo dem „Falstaff a immer noch in Nicolais „Lustigen Weibern a
ein fast uniiberwindlicher Rivale im Wege steht, merkwiirdigerweise wohl
gerade deshalb, weil die sinnlich-italienische Art des in Italien gebildeten
jungen deutschen Nicolai unserem Opernpublikum mehr zusagt als der
destillierte Humor des durch germanische Schule hindurchgegangenen alten
Italieners Verdi, — eine seltsame Erscheinung der Kunstgeschichte. Urn
einen Vergleich zu gebrauchen: bei Nicolai spruhender Champagner, bei
Verdi milder abgelagerter alter Wein. Wie sich das italienische Volk
indes mit dem alten Verdi, dem Meister des „OthelIo* und „Falstaff a ab-
fand, dafiir ist nichts charakteristischer als des Marchese Monaldi Be-
merkung am SchluB seiner Verdibiographie: „Fiir die Geschichte bleibt
der Musiker des ,Othello 4 und des ,FalstafT' groB, ja grofier noch, als er
in der Vergangenheit gewesen; aber fur die Volksiiberlieferung endet
Giuseppe Verdi mit der ,Aida' ". Das heiOt mit anderen Worten ganz
richtig, daB die Physiognomie des Lombarden Verdi zuletzt doch noch
ein „ultramontanes a Gesicht angenommen hatte. ^Ultramontan" sind
namlich fixr den Italiener die — Deutschen.
I.
„Macbeth"
Selbst die begeistertsten Biographen Verdi's sind sich dariiber einig,
daB die Oper „Macbeth a keine der hervorragenden Schopfungen Verdi's
ist, und insbesondere wird das von Piave herruhrende Textbuch durch-
weg einer abfalligen Kritik unterzogen. Ich vermag in diese Verdammung
nicht unbedingt einzustimmen und finde rein vom Standpunkt der thea-
tralischen Wirksamkeit aus das allerdings etwas einfarbig diistere Text-
buch nicht gar so iibel zusammengestellt. An Shakespeare's fein psycho-
logische Motivierungen darf man dabei allerdings nicht denken; aber sollte
eine Zeit, die die unglaublichsten Verballhornungen von Meisterwerken
der Weltliteratur im Kino duldet, gar so strenge ins Gericht gehen mit
dem jungen Verdi und seinem Textfabrikanten, die sich aus all den
blutigen Greueln der Tragodie ein Spektakelstiick fur ihr Publikum zurecht-
zimmerten? Das Verhaltnis des Verdi'schen Textbuches zu Shakespeare's
Meisterwerk eingehend darzulegen, verlohnt sich kaum der Miihe. Ich
beschranke mich also auf einen allgemeinen Uberblick daruber, welche
Szenen Piave benutzte, und wie er die reiche Shakespeare'sche Handlung
auf wenige Momente zusammendrangte. Aus den fiinf Akten des Briten
sind hier vier geworden, und zwar derart, daB im groBen ganzen der erste
Akt der Oper den beiden ersten Akten Shakespeare's entspricht, der zweite
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 31
Akt dem dritten des Dichters, der dritte einem Teil des vierten, der vierte
dem vierten und fiinften Shakespeare's. Die Hauptpersonen des Dichters
sind beibehalten. Gestrichen sind lediglich Nebenpersonen, wie der zweite
Sohn des Konigs Duncan, weiter eine Reihe schottischer Edelleute, Macduff's
Frau und Sohn usw.
Der erste Akt zerfallt in zwei Abteilungen: ZunMchst freies Feld
mit Hexenszenen sowie Macbeth's und Banco's Duett, dann Verwandlung
in Macbeth's SchloB, Lady Macbeth zunachst allein, weiter Ankunft der
Gaste, groBe Szene zwischen Macbeth und seiner Frau (BeschluB, den
Konig zu ermorden) und schlieBlich Finale, Entdeckung des Mordes mit
groBem Sextett: Lady, deren Dame, Macduff, Malcolm, Macbeth, Banco
und Chor (Piave laBt Banco statt Lenox den Mord entdecken). Der zweite
Akt hat drei Abteilungen: Zunachst beschlieBen Macbeth und seine Frau
Banco's Tod, dann verwandelt sich die Szene in den Park, wo der Chor
der Morder auftritt, um Banco zu ermorden, und schlieBlich spielt der
Akt wieder in Macbeth's Schlosse, — zweites Finale, welches das beruhmte
Gastmahl, mit Banco's Erscheinen als Geist enthfilt. Der dritte Akt spielt
lediglich in einer Hohle, wo Hexen und Geister ihr tolles Wesen treiben
und schlieBlich sich sogar Lady Macbeth einfindet, um mit ihrem Mann
ein Duett zu singen(!). Der vierte Akt hat wiederum drei Abteilungen:
ZunSchst wuste Gegend an der Grenze Englands und Schottlands, in der
Feme das SchloB Birnam. Ein Chor schottischer Fliichtlinge beklagt das
unterdruckte Vaterland. Soloszene Macduff's, Malcolm mit Soldaten kommt
hinzu, Duett Malcolm's und Macduff's. Dann Saal in Macbeth's SchloB,
Nachtwandelszene der Lady, dann Macbeth allein. Uberleitungs-
musik zum Schlachtfeld, Schlacht und schlieBlich Siegeschor. Man sieht,
es waren die grobsten Effektstellen, die den Textdichter reizten. Verdi
selbst hingegen konzentrierte sein Interesse auf einige wenige Szenen, in
denen sich denn auch eigenartige und merkwiirdige Genieziige finden,
wahrend der Rest der Partitur sich kaum iiber den Durchschnitt des im
Jahre 1846 ublich gewesenen Opemmusizierens erhebt. Der Einflufl des
Meyerbeer'schen ^Robert der Teufel", dessen Erfolg Verdi reizte, auch
einmal einen Ausflug ins Schauerliche zu wagen, ist unverkennbar, und
der Geist der Partitur laflt sich wohl am ehesten mit Victor Hugo'scher
Romantik bezeichnen. Insbesondere der Hexentanz und die groBe Er-
scheinungsszene im dritten Akt sind unleugbare Kopien Meyerbeer'scher
Schauerromantik, einer Art von Romantik, die, etwa gegen Marschners
„Vampyr" und Wagners „Fliegenden Hollander* gehalten, uns heute als
durchaus unecht erscheinen muB, wenn gleichwohl Verdi damals wirklich
so empfunden haben mag. Immerhin war sich Verdi dariiber klar,
welche auBerordentlichen Schwierigkeiten der Stoff ihm darbot, und er
hatte gerne mehr Zeit und Sorgfalt auf die Komposition verwandt, wie
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32 DIE MUSIK XIII. I: 1. OKTOBERHEFT 1913
er auch seinen Freunden, vor allem Mafifei, mitteilte. Aber er konnte
nicht mehr zuruck, die Proben waren schon seit langer Zeit im Gange,
die Oper angekiindigt, und Verdi muflte um jeden Preis mit der Partitur
fertig werden. Tatsachlich wird berichtet, daB Verdi damals auBerordentlich
nervos, unruhig und launisch war; nichtsdestoweniger aber verwendete er
viel Sorgfalt auf die Proben. Eine anschauliche Schilderung jener Vor-
gange verdanken wir der Sangerin Nini Barbieri, die von Verdi selbst fur
die Partie der Lady ausgewahlt worden war. Sie erzahlt:
„Die Klavier- und Orchesterproben beliefen sich auf mehr als 100, da Verdi
sich nie mit der Ausfuhrung zufrieden zeigte und eine bessere Wiedergabe von den
Kunstlern verlangte, die teils wegen dieser seiner ubertriebenen Anforderung, teils wegen
des ibm eigenen verscblossenen und schweigsamen Charakters keine sonderlicbe
Sympathie fur ihn begten. Morgens und abends richteten sich im Probesaal und auf
der Buhne, sobald der Meister sich zur Probe einstellte, alle Augen auf ihn, um aus
seinem Gesichtsausdruck abzulesen, ob es was Neues giibe. Kam er lSchelnd heran,
so war es so gut wie gewifi, daB er an diesem Tage eine Zusatzprobe begehrte. Ich
erinnere mich, daB zwei Stellen die Kulminationspunkte der Oper waren: die Szene
des Nachtwandelns -und mein Duett mit dem Bariton (Macbeth). Es klingt kaum
glaublich, aber es ist Tatsache, daB die Szene des Nachtwandelns allein drei Monate
des Studiums in Anspruch nahm. Drei Monate suchte ich morgens und abends
jemanden nachzuahmen, der im Schlafe spricht, der, wie mir der Meister sagte, Worte
hervorbringt, gewissermafien, ohne die Lippen zu bewegen, die ubrigen Teile des
Gesichts unbeweglich, die Augen geschlossen . . . Es war das etwas zum Verruckt-
werden! . . . Und das Duett mit dem Bariton, das beginnt: ,Fatal, mia donna, un
murmure' wurde, so unglaublich es klingt, 150 mal probiert, damit es, wie Verdi
sagte, dahin gelange, daB es mehr wie gesprochen als gesungen klange. Nun, das
ging voruber. Am Abend der Generalprobe verlangte Verdi vor vollem Hause auch
noch, daB die Kunstler das Kostum anlegen sollten, 1 ) und wenn er sich auf etwas
versteifte, so gab es keinen Widerspruch! Wir waren endlich alle angekleidet und
bereit, das Orchester in Ordnung und die Sachen auf der Buhne, als Verdi, nachdem
er mir und Varese einen Wink gegeben, uns hinter die Kulissen rief und sagte, wir
mochten ihm den Gefallen erzeigen und uns mit ihm in den Probesaal begeben, um
nochmals dieses gottverfluchte Duett zu probieren . . ."
„Man muBte dem Tyrannen mit Gewalt gehorchen. Ich erinnere mich auch noch
der wutenden Blicke, die Varese ihm hinter der Buhne zuwarf, als er in den Probe-
saal trat, die Hand am Degen, als habe er vor, Verdi niederzustoBen, wie er spater
den Konig Duncan niederstoBen muBte. Trotzdem resignierte schlieBlich auch er
sich, und die 151. Probe fand statt, wShrend das Publikum ungeduldig im Parterre
hin und her tobte. Wer nun aber sagte, dieses Duett habe Begeisterung hervor-
gerufen, wurde gar nichts sagen: es war etwas Unglaubliches, Neues, etwas, was noch
nie erlebt worden war. Uberall, wo ich noch in Macbeth gesungen habe, und regel-
maBig an alien Abenden wahrend der Stagione der Pergola 2 ) muBte ich dieses Duett
wiederholen, zwei-, drei- und sogar viermal. An einem Abend muBten mir uns
sogar zu funf Wiederholungen entscbliefien!"
*) Im Gegensatz zu unseren Bubnen hat man die italienischen OpernsSnger
niemals dazu bringen konnen, die Generalprobe im Kostum zu singen.
2 ) In diesem Florentiner Theater hat im MSrz 1847 die Urauffuhrung des
„Macbeth a stattgefunden.
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 33
„Am Abend der ersten Vorstellung werde ich nicht vergcssen, wie Verdi mich
vor der Szene des Nachtwandelns, die eine der letzten der Oper ist, unruhig urn-
kreiste, ohne ein Wort zu sprechen; man merkte sehr wohl, dafi der Erfolg, der
schon sehr grofi war, ihm als definitiv erst nach dieser Szene erscheinen wurde. —
Die Blatter jener Zeit mogen sagen, ob ich den dramatischen und musikalischen
Gedanken des grofien Meisters richtig wiedergegeben habe. Ich weifi nur eines: daQ
ich, als sich das Tosen des Beifalls kaum gelegt hatte und ich noch ganz zitternd
und keines Wortes mfichtig in mein Ankleidezimmer getreten war, die Tiir sich
offnen und — ich war schon halb ausgekleidet — Verdi eintreten sah, mit den
Handen gestikulierend und die Lippen bewegend, als ob er eine Rede halten wollte;
aber es gelang ihm nicht, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Ich lachte
und weinte und sprach gleichfalls kein Wort, aber den Meister ansehend, gewahrte
ich, dafi auch er rote Augen hatte . . . Wir druckten uns die H&nde fest und innig,
und dann sturzte er davon. — Diese Szene aufrichtiger Erregung entschSdigte mich
reichlich fur so viele Monate unausgesetzter Arbeit und bestSndiger Aufregung."
Es beweist nicht nur Verdi's klare Einsicht in das Wesen seiner
Oper, sondern auch den guten Geschmack des Florentiner Publikutns, dafi
gerade das Duett aus dem ersten Akte und die Nachtwandelszene aus dem
letzten solch auflerordentlichen Erfolg schon bei der ersten Auffiihrung er-
zielten. Tatsachlich sind diese beiden Szenen die Glanzpunkte der Partitur,
die einzigen beiden Szenen, die durchweg die geniale Begabung Verdi's
zeigen und auch heute noch einer starken Wirkung fahig waren. Schon
A. Basevi, der im Jahre 1859 zu Florenz ein sehr gescheites Buch er-
scheinen liefi (Studio sulle opere di G. Verdi), das leider nur bis zur Oper
„Aroldo a reicht und fur die spateren Werke Verdi's nicht fortgesetzt wurde,
hat dieses Stuck „il pezzo culminante" (den Kulminationspunkt) der Oper
genannt.
Da mir leider die Partitur nicht vorliegt, der Klavierauszug aber nur
ein sehr unvollkommenes Bild bietet, mbchte ich einige Satze Basevi's
iiber diese Szene wiedergeben :
„Zur magischen Wirkung des Ganzen tr3gt nicht nur die Melodie bei, sondern
auch die zwar einfache, aber wirkungsvolle Instrumentation. Die zweiten Violinen
mit Dampfern vollbringen eine Art Murmeln, wShrend die ersten Violinen und das
Englisch-Horn dem Gesang pianissimo folgen. Dann schliefien sich andere Instrumente
an, immer mit magischer Wirkung. Verdi hatte in dieser Oper viel Vorteil gezogen
von der Kombination der Holzblaser, die etwas Phantastisches hat oder besser gesagt,
sich dem Phantastischen anschliefit, wie Weber und Meyerbeer usw. bewiesen."
Auch in der Nachtwandel-Szene hebt Basevi die eigenartige Ver-
wendung des Englisch-Horns hervor, eines Instruments, von dem ubereifrige
Wagnerianer gem behaupten, Wagner habe es erst fur die moderne
Instrumentation entdeckt, wahrend romanische Meister es schon weit fruher
ausdrucksvoll verwendet haben. Trotz dieser beiden genialen Szenen hielt
sich die Oper nicht lange auf den Theatern. Auch die Umarbeitung des
Textes, die die Librettisten Nuitter und Beaumont fur die am 21. April 1865
stattgehabte Pariser Auffiihrung vornahmen, und die musikalischen Retouchen,
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34 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
zu denen sich Verdi damals verstand, haben das Schicksal der Oper nicht
wenden konnen. Im Handel ist gegenwartig nur noch der Klavier-Auszug
der Pariser Fassung (mit italienischem Text) zu haben, wahrend fur Auf-
fiihrungen (die allerdings aufierhalb des Jubilaumsjahres kaum mehr statt-
finden diirften) der Verleger Ricordi die Partitur in beiden Bearbeitungen
vorrStig halt. Wie hoch Verdi selbst das Werk schatzte, mag folgender Brief
beweisen, den er an seinen Schwiegervater und Wohltater Barezzi schrieb:
[„Mein lieber Schwiegervater!
Ich habe stets vorgehabt, Ihnen, der Sie mir ein Vater, Freund und Wohltater
gewesen sind, eine Oper zu widmen; aber gebieterische Umst3nde haben mich bisher
daran verhindert. Heute, da ich es kann, widme ich Ihnen meinen Macbeth, den ich
von alien meinen Opern so sehr liebe. Das Herz bietet ihn an; mdge das Herz ihn
annehmen.
Ihr aufrichtigster
G. Verdi«.
II.
Verdi's Briefe iiber „Konig Lear"
Dafi Verdi einen „K6nig Lear" zu komponieren beabsichtige, war zu
seinen Lebzeiten nur geriichtweise gelegentlich in die Offentlichkeit ge-
drungen, und dieses Geriicht tauchte sogar in den letzten Jahren vor seinem
Tode, nach Beendigung des „Falstaff a in den Zeitungen wiederholt auf;
wie ernsthaft sich indes der Meister mit dem Learproblem drei Jahre hin-
durch befafit hatte, kam erst unmittelbar nach seinem Tode zutage, jedoch
derart, daft die Offentlichkeit selbst in Italien, inmitten der Flut von Verdi-
publikationen kaum Notiz davon nahm und eine Kunde in deutsche Publi-
kationen iiber Verdi tiberhaupt nicht gedrungen ist. Im Jahre 1902 ver-
offentlichte in Citt& di Castello ein gewisser Alessandro Pascolato Briefe
Verdi's an einen venezianischen Advokaten Antonio Somma, 1 ) der, was
ebenfalls kaum bekannt war, der anonyme Verfasser des Librettos zu Verdi's
„Maskenball a gewesen ist. In dieser Korrespondenz finden sich nun nicht
weniger als 18 Briefe Verdi's, die sich mit einem von Somma fiir Verdi
geschriebenen und von diesem gekauften Operntext „K6nig Lear" befassen
und eine uberaus rege Anteilnahme des Komponisten beweisen. Diese
Briefe stellen in gewissem Sinn sogar ein Kompendium dramaturgischer
Librettokunst dar und sind somit auch iiber den Einzelfall hinaus von
groflem kiinstlerischen Wert. Die Ausfiihrungen Verdi's iiber Abwechslung,
Ktirze, Metren, seine genauen Erorterungen einzelner szenischer Momente
sind insbesondere fiir Komponisten, die sich noch strebend bemuhen, von
2 ) 1810—1864. Als Dichter wurde er insbesondere durch sein fur die Ristori ge-
schriebenes Drama w Kassandra a bekannt, das 1859 in Paris grofien Erfolg errang.
Seine ausgewahlten Werke publizierte der genannte Pascolato, Venedig 1868.
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1STEL: VERDI UND SHAKESPEARE 35
hervorragendem Interesse. Leider ist bis auf den heutigen Tag das Textbuch
Somma's nicht publiziert worden, so dafl man die Bemerkungen Verdi's nur
an der Hand Shakespeare's verfolgen kann; ob sich das Manuskript nebst den
Gegenbriefen Somma's in Verdi's noch unzuganglichem NachlaB befindet,
ist unbekannt. 1 ) Eines ist jedenfalls sicher: Nach dem Tode Somma's (1864),
also zehn Jahre nach der Korrespondenz mit Verdi und der Vollendung
des Buches, wollte Pascolato von Verdi die Erlaubnis erhalten, den „K6nig
Lear* Somma's in den ausgewahlten Werken des Dichters zu publizieren;
Verdi weigerte sich aber, das Libretto herauszugeben, vermutlich, weil er
es damals noch immer zu komponieren beabsichtigte. Daft Verdi auch
musikalische Vorarbeiten zum „Lear a gemacht haben muB, ist bei der
Genauigkeit, mit der er drei Jahre lang iiber das Textbuch korrespondierte
und dem Anteil, den er an einzelnen Szenen nahm, fast sicher. Leider
sind diese Skizzen vermutlich dem groBen Autodaf6 zum Opfer gefallen, das
Verdi nach seinem letzten Wunsch veranstalten lieB, da er nicht wollte, daB
unvollkommene und unvollendete Werke nach seinem Tode veroffentlicht
wurden. Dadurch ist uns ein sehr interessanter Einblick in die Werkstatt
des Meisters entzogen worden; immerhin: bei dem Eifer, mit dem die Musik-
philologie sich heutzutage jeder Kleinigkeit bemachtigt, die ein groBer Mann
zufallig hinterlieB, ist es begreiflich, daB Verdi das profanum vulgus der
musikwissenschaftlichen Karrner von seinem NachlaB ausgeschlossen
wunschte. Ahnlich hat ja auch Brahms gedacht und gehandelt. Jedoch
ist es nicht ganz ausgeschlossen, daB manche Absicht Verdi's — ich will
nicht sagen: manches musikalische Thema — vom „Lear" in den .Othello"
uberging. Wenn man liest, was Verdi iiber den Charakter Edmunds, so
wie er ihn im Gegensatz zu Shakespeare haben wollte, schreibt und wie
er ihn musikalisch zu illustrieren gedenkt, so liegt der Gedanke nahe, daB
dieser Edmund nur eine Vorstudie zum spateren Jago war. Und auch
die Cordelia Verdi's ware wohl eine Zwillingsschwester seiner Desdemona
geworden.
Interessant ist es, Verdi's Vorgehen bei dieser Opernangelegenheit
zu beobachten. Uberzeugt davon, daB — wie Bellini einmal treffend sagte
und jeder Opernkomponist bestatigen kann — es schwieriger ist, einen
guten Stoff zu finden, als die Musik dazu zu schreiben, verwirft er im ersten
Brief alle Vorschlage Somma's und verweist ihn dagegen auf Shakespeare's
*) NachtrSgliche Anmerkung wahrend der Korrektur: Soeben getit
eine Notiz durch die Zeitungen, wonach ein von Verdi selbst (?) niedergeschriebenes
und verfaBtes (?) Lear-Textbuch, das sowohl Verse wie Prosa enthalte, im NachlaB
gefunden worden sei. Es ist aber wohl anzunehmen, daB dieses Textbuch nebst den
ubrigen Funden aus dem NachlaB jetzt publiziert wird. Es kann sich naturlich nur
um Somma's Textbuch handeln, von dem sich Verdi vielleicht eine eigenhlndige
Reinscbrift herstellte.
3*
Ui::i
( I(K>o!r Original from
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36 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
Drama. Im nachsten Brief schon gibt er dem Dichter ein Schema der
Oper mit Akt- und Szeneneinteilung, Hauptsituationen, Zahl und Bedeutung
der Rollen. Dieses Schema bildete, obwohl es spater noch starke Modi-
fikationen erfahren muflte, doch die Grundlage der dichterischen Arbeit.
Verdi erhielt den ersten Akt am 30. August 1853, zehn Tage spater den
zweiten, und am 15. Oktober die beiden letzten Akte. Der Preis, den
Verdi seinem Librettisten zahlte, war ein fiir die damalige Zeit sehr be-
trachtlicher (2000 osterreichische Lire); daO Verdi schliefilich Miihe und
Geld lieber verloren sein liefi, als einen ihm doch nicht mehr zusagenden
Text zu komponieren, beweist aufs deutlichste seine kunstlerische Ge-
wissenhaftigkeit. Fiir den armen Dichter begann mit der Honorarzahlung
allerdings eine wahre Leidenszeit: denn nun hatte er noch zweieinhalb
Jahre lang fortwfihrend zu andern und zu streichen, wobei Verdi nicht
miide wurde, immer wieder aufs neue zu mahnen. Tatsachlich durfte
Verdi zwar ein gut Teil der poetischen Arbeit fiir sich in Anspruch nehmen,
und doch, zuletzt war er von dem Libretto wieder gar nicht befriedigt; wo-
ran es lag, konnte er nicht so leicht ergriinden, doch gefiel ihm der SchluQ-
akt zu wenig, und mit Recht mochte er sagen, dafi ein wirkungsloser
Schlufi den Tod einer im librigen noch so vorzuglichen Oper bedeute.
B Ende gut, alles gut", diese Maxime gilt nirgends so sehr wie im Theater.
Mir scheint, Verdi hatte sich zu Beginn der Arbeit durch einige ihm sehr
gemafie Situationen und Charaktere blenden lassen, und dabei iibersehen,
dafi es eine durchaus unmogliche Sache sei, die Shakespeare'sche Handlung
derart musikalisch zu machen, dafi sie sich restlos der Vertonung fugte.
Wagner wurde nicht miide, den prinzipiellen Unterschied zwischen solchen
Handlungen, die ihrer Natur nach der musikalischen Ausdeutung fahig
sind, ja, ihrer bedurfen, und solchen, die durchaus in der Sphare des
gesprochenen Dramas bleiben, zu betonen. Wenn auch freilich diese
Wagnersche Theorie, wie alle Theorieen, einseitig ist und durch eine Reihe
von gelungenen Meisterwerken — ich mochte hier gerade nur an Verdi's
„Othello a erinnern — widerlegt wird, so ist doch nicht zu verkennen, dafi
der Versuch, ein gesprochenes Drama in ein Opernbuch zu verwandeln,
um so eher fehlschlagen wird, je vollkommener das Drama als gesprochenes
Theaterstuck ist. Ich glaube, dafi die Learsage, hatte sie Shakespeare
zufSllig nicht behandelt, einem phantasievollen Operndichter vielleicht den
Stoff zu einer wirksamen und in ihrer Art vortrefflichen Oper geboten
haben wurde. Nachdem aber ein Shakespeare einmal den Stoff auf seine
Art endgultig gestaltet hatte, war es fur jeden Nachfolgenden unmoglich,
sich von des grofien Briten gewaltigen Phantasiebildern loszumachen und
irgendwie noch eigenes zu geben. Folgte man Shakespeare, so wurde man
unmusikalisch, folgte man ihm nicht, — schwMchlich. So erging es dem
guten Somma, der kein grofies Theatertalent war — und dies mochte ein
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 37
Genie vom Rang Verdi's wohl gefuhlt haben. Was Verdi an Shakespeare
vor allem reizte, waren die Figuren des Schurken Edmund, des Narren und
der engelgleichen Cordelia. Lear selbst scheint ihn am meisten in der
Gerichtsszene und beim Wiedererkennen Cordelia's interessiert zu haben.
Dafi wir die Skizzen Verdi's zu diesen Szenen nicht besitzen, scheint mir ein
groCer Verlust fiir die dramatische Musik. — Und nun lese man die Briefe
des Meisters:
1.
Sant* Agata 22. April 1853
Lieber Somma,
ich bedaure, daB ich Ihnen nicht fruher auf ihr liebenswurdiges Schreiben antworten
konnte, aber eine Menge kleiner Angelegenbeiten, die ich erledigen muBte, und dann
die notwendige Oberlegung jener von Ihnen mir vorgeschlagenen Stoffe waren die
Ursache dieser Verzogerung. Fur mich giebt es nichts schoneres, nichts lieberes,
als meinen mit Ihrem groBen Namen zu verbinden: aber um wurdig oder auf die
beste mir mogliche Weise die erhabene Poesie zu komponieren, die Sie sicher schaffen
werden, gestatten Sie mir, Ihnen einige meiner Ansichten anzudeuten, welcher Art
sie auch sein mogen. Die lange Erfahrung hat mich bestSrkt in den Ideen fiber die
theatralische Wirkung, die ich immer besaB, wenn ich auch in meinen AnfSngen nur
den Mut hatte, sie teilweise zu verwirklichen. (Zum Beispiel vor zehn Jahren hatte
ich noch nicht gewagt, den Rigoletto zu schreiben.) Ich finde, unsere Oper leidet an
zu groBer Monotonie, und darum wurde ich mich heute weigern, Stoffe in der Art
von „Nabucco a , *) »Foscari a 2 ) usw. zu komponieren. Sie bieten sehr interessante
szenische Momente, aber ohne Abwechslung. Es ist eine einzige Saite gespannt
wenn Sie wollen, aber immer dieselbe. Und um mich besser auszudrucken: die
Dichtung des Tasso mag die bessere sein, aber ich liebe tausendmal mehr den Ariost.
Aus demselben Grunde ziehe ich Shakespeare alien Dramatikern vor, selbst die
Griechen nicht ausgenommen. Mir scheint, der theatralisch wirksamste Stoff, den
ich bisher in Musik setzte (ich will gar nicht vom litterarischen und poetischen Wert
sprechen), ist der Rigoletto. Da giebt es m3chtige Vorgange, Abwechslung, Temperament,
Pathetik: alle Peripetien gehen hervor aus der leichtfertigen zugellosen Personlichkeit
des Herzogs, daraus wieder die Befurchtungen des Rigoletto, die Leidenschaft der
Gilda usw., die viele hervorragende dramatische Momente hervorbringen, unter anderen
die Quartettszene, die an Wirksamkeit immer eine der besten bleiben wird, die unser
Theater ziert. Viele haben Ruy Bias 3 ) behandelt, indem sie die Partie des Don
Cesar strichen. Nun, wenn ich diesen Stoff komponieren miiBte, wurde er mir vor
allem Vergnugen machen wegen des Kontrastes, die dieser hochoriginelle Charakter
hervorbringt. Sie haben schon verstanden, wie ich fuhle und denke; und da ich
weiB, ich spreche mit einem Mann von ehrlichem und freiem Charakter, so erlaube
ich mir, Ihnen zu sagen, daB unter denen von Ihnen vorgeschlagenen Stoffen, so
hervorragend dramatisch sie sein mogen, ich nicht die Abwechslung finde, die
mein narrisches Gehirn [il mio pazzo cervello] begehrt. Sie sagen, in den „Sordello" *)
x ) Text von Solera, Verdi's vierte Oper (9. M2rz 1842), sein erster groBer Erfolg.
2 ) „I due Foscari" (3. Nov. 1844), Verdi's siebente Oper.
*) Vermutlich ein von Somma vorgeschlagener Stoff.
4 ) Ein von Somma vorgeschlagener Stoff.
,ir
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38 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
konne man ein Fest, ein Gastmahl, aucta ein Turnier einlegen: aber die Personen
werden nichtsdcstowcniger cine strenge und ernste Farbe behalten. Ubrigens eilt
es gar nicht. Wenn meine Verbindlichkeiten micb zwingen wurden, fur eine sehr
nahe Stagione zu schreiben, *) so wurde ich mich darein fugen, ein moglichst gut-
gemachtes Libretto in Musik zu setzen, fur spitter aber das Gluck erwarten, eine
Ihrer Arbeiten in Noten zu kleiden, eine Arbeit, die der litterarischen Welt gegen-
uber das Gewicht eines Ereignisses hatte. Als der arme Cammarano 2 ) lebte, habe
ich ibm den Konig Lear vorgescblagen. Schauen Sie ibn einmal fluchtig durch,
wenns Ihnen nicbt unangenehm ist. Icb werde es ebenso machen, da ich ihn seit
einiger Zeit nicht mehr gelesen habe, und sagen Sie mir Ihre Ansicht.
Verzeihen Sie dies dumme Geschwatz [questa pazza chiacchierata], und halten
Sie mich fur Ihren Bewunderer und aufrichtigsten Freund
G. Verdi
2.
Busseto, 22. Mai 1S53
Lieber Somma,
ich habe den Konig Lear wieder gelesen, der erstaunlich schon ist, wenn nur nicht
die Notwendigkeit abscbreckte, einen so mafilosen Stoff in kleinere Portionen zu
bringen, dabei aber doch die Originality und GroOe der Charaktere und Dramas zu
wahren. Aber nur Mut, und wer weift, ob es nicht gelingt, etwas auttergewohnliches
zu stande zu bringen.
Ich bin ubrigens der Meinung, die Oper auf drei, hochstens vier Akte zu
reducieren.
Im ersten Akt die Verteilung des Reiches mit der Abreise der Cordelia (was
eine Arie geben wurde): die Scenen der beiden Hofe darauf, und schliefilich briichte
ich den Ausbruch des Konigs, da, wo er sagt, er werde schreckliche Dinge tun, noch
weiQ er nicht, was, aber die Erde soil daruber erzittern. 8 )
Den zweiten Akt begiinne ich mit der Gewitterscene, darauf die anderen Scenen,
darunter die des Gerichts (sehr originell und rubrend) und ich schlosse damit, dafi
Cordelia ihren Vater suchen laQt, der beim Anblick der Ritter flieht usw. 4 )
Den dritten Akt wurde ich mit dem entschlummerten Lear beginnen: Cordelia
steht ihm bei (herrliches Duett) usw. 6 ) Schlacht: und letzte Scene. )
Erste Partien: Lear, Cordelia, die beiden Bruder Edgar, Edmund, der Narr, den
ich vielleicht zum Kontra-Alt machen wurde. — Comprimari: Goneril, Regan, Kent
usw. — Der Rest zweite Partien.
Die Hauptstucke dieser Oper scheinen mir bis jetzt zu sein: Die Introduktion
mit der Arie der Cordelia; 7 ) die Gewitterscene; 8 ) die Gerichtsscene; 9 ) das Duett
zwischen Lear und Cordelia, 10 ) und die Schluliscene.
Das ist meine Meinung, im ubrigen machen Sie in Ihrer Weisheit nur, was Sie
fur besser erachten. Haben Sie nur auf die notige Kurze acht. Das Publikum lang-
weilt sich leicht!
J ) Anspielung auf die spater tatsachlich bald erfolgte Pariser Reise (vgl. Brief No.7).
*) Der Librettist des „Trovatore a ; er schrieb vorher schon fur Verdi drei erfolg-
lose Operntexte.
8 ) Also dem 1. und 2. Akt Shakespeare's entsprechend.
*) Shakespeare's 3. und 4. Akt bis zur Mitte der 6. Szene.
& ) Shakespeare IV, 7. °) 5. Akt Shakespeare's. 7 ) Shakespeare I, 1.
8 ) II, 1. e ) 111,6. 10 ) IV, 7.
Jirj
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 39
Es schien mir und scheint mir noch, dafi in der ersten Scene der Grund, aus
dem Lear Cordelia enterbt, kindisch, fur unser Zeitalter vielleicht lacherlich sei.
Konnte man nicht elwas bedeutsameres erfinden? Vielleicht wurde man dann den
Charakter der Cordelia schadigen: jedenfalls wird man jene Scene mit vieler Vorsicht
behandeln mussen. 1 )
Ich erwarte also das Scenarium, das Sie davon machen wollen, und da Sie es
erlauben, werde ich Ihnen offen meine Meinung sagen (ich verstehe immer von der
Theaterwirkung zu reden). Wenn einmal das Scenarium gut geordnet ist, ist das
meiste getan. Inzwischen ganz der Ihre
G. Verdi
PS. — Ich empfehle Ihnen die Rolle des Narren, die ich sehr liebe, sie ist so
originell und tief. Beachten Sie, daft die Rolle des Lear nicht schliefilich aufier-
ordentlich anstrengend wird.
3.
Busseto, 29.Juni 1853
Lieber Somma,
Machen Sie mit den von mir in Ihren Entwurf eingezeichneten Anmerkungen,
was Sie wollen.
Zwei Sachen geben mir in diesem Entwurf viel zu denken. Die erste, dafi, wie
mir scheint, die Oper aufierordentlich lang spielen wird und besonders die ersten
beiden Akte; also wenn Sie etwas wegzulassen oder zu streichen finden, so machen
Sie es, wenn nur die Wirkung nicht verdorben wird. Und wenn das nicht geht, so
achten Sie wenigstens drauf, in den minder wichtigen Scenen alles auf die moglichst
kurzeste Art zu sagen. Das zweite ist, dafi es zuviel scenische Verwandlungen giebt.
Der einzige Grund, der mich abhielt, hSufiger Shakespearesche Stoffe zu benutzen,
ist gerade diese Notwendigkeit, jeden Augenblick die Dekorationen zu wechseln. Als
ich das Theater haufiger besuchte, war dies etwas, das mir ungeheures Unbehagen
verursachte, und ich glaubte einer Laterna-magica-Vorstellung beizuwohnen. Die
Franzosen haben darin das Richtige getroffen: sie richten ihre Dramen derart ein,
dafi sie nur eine Dekoration fur jeden Akt brauchen: die Handlung schreitet so eilig
und ohne Hindernisse weiter, ohne dafi etwas die Aufmerksamkeit des Publikums
ablenkt. Ich verstehe wohl, dafi man im Lear nicht mit einer Dekoration fur jeden
Akt auskommen kann, aber wenn Sie auf irgend eine Art eine Verwandlung sparen
konnten, w£re das sehr schon. Denken Sie dran. Inzwischen drucke ich Ihnen herz-
lich die Hand, und wenn Sie irgendeine Scene versiflziert haben, senden Sie sie mir.
Addio. G. Verdi
4.
Busseto, 26. Juli 1853
Liebster,
Piave 2 ) hat mir nicht vom Konig Lear gesprochen und ich halte es fur unnutz, ihm
*) Im 10. Brief bekennt Verdi, von Somma uberzeugt worden zu sein, dafi er
hierin Shakespeare Unrecht tat. Obrigens hat auch Goethe Lears Verfahren in dieser
Szene als absurd bezeichnet. Das MSrchenhafte des Stoffes ist hier in der Tat von
Shakespeare nicht vollig in wirkliches Leben umgesetzt worden, — was mehr am
Stoff als am Dichter lag.
*) Der Dichter, der Verdi die meisten Libretti (zehn) lieferte, darunter .Macbeth"
und die erfolgreichen „Rigoletto a und „Traviata a .
Ui::i
( I(K>o!r Original from
VUK cV K UNIVERSITY OF MICHIGAN
40 DIE MUSK XIIL 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
devon was zu tsgen. Was das Hononr betrift, so bielbt abgemecht, vu Ste En
Ibrero fretindlicbeu Brief worn. 10. des Monats schreiben.
Fflrdern Sle also die Arbeit bis zum Elide trad la Being anf Verindenmgen
usw* werden wir zuletzt rerbandela*
lazwlscben verblcibe Ich In Hocbicbtung und Freundschaft
lbr ergcbenster
G. Verdi
Busseto, 30l August 1853
Llebster Somms,
Selt vlerzehn Tsgen wollte ich Ihnen schreiben, tber ich wurde Immer too
einem llstigen Besuch oder intend elner Angelegenheit abgcbalten. Jetzt endllch
else Stunde Frelheitt Icb babe den Rest des eraten Aktea erhalten; nicht* will ich
Ihnen iiber die Ve«e sagen, die immer schtin und Ibrer wurdlg slnd, aber bei alter
Hochschtuog, die icb Ibrem Talent tcbulde, mufl ich Ihnen segen, daG die Form sich
nicht ellzusehr fBr die Musik elgnet, Nlemand kann mehr als icb die Neubeit der
Formen tteben, aber eine Neubeit von der Art, dall man sle immer in Musik setzen
kann. AHes kann man in Musik setzen, das ist wahr, aber nicht ailes kann wirksam
warden, Um zu komponieren, braucht man Strophen fBr canubile SteHon, Stropben
Kir Ensembles, Strophen fur Lsrgi, fur AUcgrl usw^ und all das wechselnd derart, dafi
nlcbts kalt und monoton bleibt Gestatten Sle ralr Ibre Dichtung daraufhin durcb>
zugehen. Nichts will ich gegen die Arte des Edmund sagen, in der, obwohl sie zu
brisk Tom Adagio zum Allegro Bbergeht, — trotzdem, ste ktan blelben. Im darauf-
folgtnden Dnettino weiB icb wirklich nlcbt, wo icb eine Melodic oder elne meloditcbe
Phrase anbiingen kann, aber, da ea kure 1st, kffnnte es stehen blelben, wenit man
am Ende des Duettino eine Strophe von Tier Versen deaselben Metrums (Hr Edmund
macbt und noch mehr fflr Edgar. 1 ) Vorausgesetzt, dall man zwel davon dem jVJen
tl ceta* hlnzufQgen und ao rler formen Minute.
Zlemlich verwickelt 1st der Schlull, der, mnsikslisch gesprocbeu, das Finale
des Aktes werden wfirde. Die Strophen des Narrtn gehen aehr gut, aber vom Moment
an, wo Nerill* 1 ) eintritt; wel& man nlcht, was man tun soli. Sle haben riellelcbt
bcabsichtlgt, eln Ensemblcstttck In den techs Stropben, jede zu sechs Versen, zu
machen aber in jenen Strophen 1st Dialog, also mussen slch die Personen gegen-
seltlg antworten und folgllch kflnnen sie ihre Stimmen nicht gleichzeitig ertfnen
lessen. Welter mftflte man aus demselben Grunde eln anderes Ensemblestfick macben
aus den Stropben zu acbt Versen, wena Regans elntritt. 1 ) SeblieQlich lasaen Sie
Nerilla und Regana abgeheo, und Lear alleln schliettt den Akt. 1 ) Das 1st gut in
elner Tragfidie, En einem geaprochenen Drama, aber mit Musjk wftrde das mindestens
kalt sein, Venn Sie einmal die besseren Dramen des Roman! 1 ) durcbiesen woilten
(von dem Sle aonai gewlO nlcbts zu lernen hsben), wQrden Sie mir viellelcht recht
geben. Mir scheint, mlt geringer M&he kflnnte man diese Scene komponierbar und
wirksam machen ohne etwas von dem Jnteresse des Dramas zu opfern. Kflunte man
*) Akt 1, Szene 2 bei Shakespeare,
^ Goneril, Akt I, Szene 4.
•» II, 4_
4 ) Abweicbend von Shakeapeare.
*) Romani wsr fibrigens der Librettist der ditrchgefkilenen komiscben Oper
Verdfa »Un gioroo di regno*.
[" ^ y | , Origin ^1 from
*' " ::jl ^ jtK ^s K UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 41
vielleicht die ersten sechs Strophen zu sechs Versen lassen und auf dasselbe Metrum
das ganze Stuck von „Lascierd le tue soglie" bis „Dileguisi da te a bringen. Es ist
gar nicht notwendig, dafX alle Personen eine Strophe von sechs Versen haben (was
vielmehr monoton wurde), es genugt, daB das Metrum fortgeht, woraus ich in der
Musik eine gemessene Bewegung machen kann. Nachdem Regana gesagt hat „La
villana porta si deve dileguare", beginnt Lear einen deklamierten Gesang fur den
man „Ohime de' nembi" verwenden konnte, aber von diesem Metrum mochte ich
eine gleiche Strophe fur alle anderen Personen, jede nach thren speziellen Gefuhlen.
Ist dies Stuck beendet, so konnte Regana (das Metrum andernd) sagen, dafi „Lear
si pud servire dei servi del principe e rimandare tutti i suoi cavalieriV) Lange Pause.
Lear sucht die Krone, hernach Ausbruch: „Voi antri cupi" usw. Keiner sollte ab-
gehen und alle sollten (immer jeder nach seinen eigenen Gefuhlen) wenigstens eine
kleine Strophe von sechs Versen des gleichen Metrum haben. Verzeihen Sie das
lange Geplapper [cicalata], schreiben Sie mir gleich. Wie immer der Ihre
G. Verdi
6.
Busseto, 9. September 1853
Lieber Somma,
Ich habe den zweiten Akt und Ihren lieben Brief vom zweiten des Monats er-
halten. Auch in diesem zweiten Akt sind einige Dinge nicht gerade sehr musikalisch,
aber um diese herzurichten ist es besser, wie Sie richtig meinen, abzuwarten, bis Sie
das ganze Drama fertig haben. Bezuglich der Recitative, wenn der Moment interessant
ist, durfen auch kleine LSngen da sein. Ich selbst habe sehr lange gemacht, z. B.
den Monolog im Duett des zweiten Aktes von Macbeth, und den andern Monolog im
Duett des ersten Aktes von Rigoletto. Eiligst
Ihr ergebenster
G. Verdi
7.
Busseto, 15. Oktober 1853
Liebster Somma,
Ich wollte den Winter in Neapel verbringen, gehe aber nun nach Paris und
reise noch heute ab. Ich habe wieder und wieder den KSnig Lear gelesen und
wollte Ihnen besonders fiber den zweiten Akt schreiben, der mehr als die andern
Anderungen braucht, aber ich weiB jetzt noch nicht welche. Ich schreibe Ihnen von
Paris aus und Sie konnen Ihre Briefe dorthin postlagernd richten.
Ich schulde Ihnen fur diesen Konig Lear zweitausend osterreichische Lire. 2 )
Ich habe immer Geld bei Ricordi s ) liegen, durch den ich den Betrag anweisen werde,
sobald Sie mir schreiben. Inzwischen sage ich Ihnen in groCer Eile Lebewohl.
Ihr ergebenster
G. Verdi
J ) Lear kann sich von den Dienern des Fursten bedienen lassen und alle seine
Ritter entlassen.
*) Nach heutigem Geldwert ungefShr ebensoviele Francs.
3 ) Der Mailander Verleger.
( ^f\i\t\]t* Original from
tV v UNIVERSITY OF MICHIGAN
42 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
8.
Paris, 7. November 1853
Liebster Somma,
Ist's moglich, dafi ich noch keinen Augenblick Zeit gehabt habe, um Ihnen
ausfuhrlich auf Ihren lieben Brief vom 18. Oktober zu antworten? Ich habe mich
noch nicht mit dem Konig Lear beschfiftigen konnen, aber werde es baldmoglichst
tun. Inzwischen schicke ich Ihnen diesen Brief fur Ricordi, der zweitausend oster-
reichische Lire in bar an eine von Ihnen bestimmtc Person bezahlen wird oder sie
nach Venedig sendet, wenn Sie ihm gleichzeitig mit meinem Briefe Nachricht geben.
Nach Belieben senden Sie mir dann die Quittung sowie die urheberrechtliche Abtretung
des Konig Lear, den ich dann meinerseits zusammen mit der Musik an den Impresario
oder den Verleger etc. verkaufen kann.
Eilig drucke ich Ihnen die Hand und sage Ihnen Lebewohl
G. Verdi
9.
Paris, 19. November 1853
Liebster,
Gestern Abend, kaum war mein Brief zur Post gegeben, empfing ich Ihren
frdl. Brief vom 12. November: inzwischen werden Sie einen Brief von mir, den ich
schon vor 8 oder 10 Tagen aufgab, mit einer Anweisung an Ricordi erhalten haben.
Ich bin hierhergekommen, um einen Vertrag zu erfullen, den ich schon seit vielen
Jahren mit der GrofSen Oper geschlossen hatte. Sie sehen, daft ich nichts mit dem
„Th6atre italien" zu tun habe, und aufierdem ware der Konig Lear ein zu gewaltiger
Stoff von zu neuen und gewagten Formen, um ihn hier zu riskieren, wo man nur
die Melodien versteht, die sich seit zwanzig Jahren wiederholen.
Vom zweiten Akt sprach ich Ihnen ausfuhrlich in meinem vorigen Brief. 1 ) Im
dritten Akt sind nur zwei Strophen herzurichten, aus denen man — der Moment ver-
langt es — zwei nette, viertaktige Melodien von recht gemessenem Rhythmus machen
kann. Die Strophen sind: „Ti sien grazie" usw. und die andere „Deh non volermi
illudere a . In der ersten haben Sie zwei Verse gemacht, dann funf, dann drei, usw.
Mit dieser Unregelmifiigkeit ist es unmoglich, die musikalische Phrase nicht hinkend
zu machen. Das gleiche gilt vom Vers, der nicht endet: „Non ti far gioco" und vom
anderen, der zu lang ist: „Varcato ho V ottantesimo anno". Denken Sie an die
popularsten Melodien unserer italienischen Opern und Sie werden sehen, wie die
Strophen sind. Zum Beispiel „Casta diva" usw., „Meco tu vieni o miseria" usw.,
„Non, non ti son rivale" usw. Da gibt es im Vers keine Unterbrechung, keinen Bruch.
Wollen Sie also gutigst die genannten Strophen herrichten, denn ich wiederhole, die
Stellung verlangt zwei nette, rechte, leidenschaftliche, populare Melodien zu machen.
In der Arie „Ti sien grazie" ware es vielleicht noch gut, wenn das Recitativ mit zwei
oder drei Versen Delias endigte. Dann fur das Cantabile machen Sie acht oder auch
zehn Verse. Wenn Sie zehn machen, denken Sie, ob es nicht zwei Vierzeiler mit
zwei Endversen sein konnen. Im Duett „Deh non volermi" suchen Sie diesen Gesang
auf acht Verse in zwei Vierzeilern einzurichten und finden Sie einen Gedanken, um
zwei andere Vierzeiler fur Delia zu machen, woraus ich ein schones leidenschaftliches
Largo zweistimmig machen konnte. Ich glaube, das wird fur Sie nicht schwer sein
und das musikalische Stuck wird dadurch unendlich gewinnen.
*) Leider verloren gegangen.
( ^f\i\i\]c> Original from
Uc r x:u::!::y^iUC>yii UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 43
Im vierten Akt in der Szene Edmund, Edgar, Albanien, Regana 1 ) muflten Sie
am Ende zwei Verse fur Rosane 2 ) einzufugen, als wollte er den Zweikampf hindern,
und noch zwei Verse fur Albanien, der Rosane beim Arm packt usw.: alles das nach „il
tuo sangue berra". Wohl verstanden im vorangebenden Metrum und gereimt aufs betonte
„a", damit es zu „sta" und „berra a paBt. Nach den letzten Worten des Dramas brauche
ich einige Ausrufungen, einige Phrasen, einige Verse fur „Tutti a : wenn Sie nachher
die sechs Recitativverse zusammenziehen konnten, t§te es sehr gut. Das Drama, die
Handlung ist beim Tode der Cordelia zu Ende, also je rascher dann der Vorhang
fallt, umso grofier der Eindruck.
Sie wollen Albanien in die Introduktion einfuhren: machen Sies nur. Noch
etwas: da ist ein Arzt, der niemals ein Wort sagt: ware es nicht besser, ihn etwas
sagen zu lassen zum Recitativ der Delia-Arie? Ubrigens geht mich das nichts an,
machen Sies nur. Im Anfang des vierten Aktes ist kein Stuck aus den Vierzeilern
zwischen Giorgio und Mira 3 ) herauszunehmen. Es ware vielleicht besser, diese ganz
zu streichen, und wenn Sie sich etwas sagen lassen wollten, es mit zwei oder drei
Recitativversen zu tun. Es ware kurzer und man kommt rascher an die SchluBszene,
das ist besser.
Das ist alles. Und in diesen letzten Akten haben Sie wenig zu tun.
Es konnte sich ergeben, daft ich da und dort, um ein Cantabile oder ein Motiv
zu machen gewisse Anderungen brauchte, doch das wird das Drama nie benachteiligen.
Ubrigens wird dies nie eine Forderung des Kunstlers sein, sondern eher eine von
der Kunst selbst geforderte Notwendigkeit. Erinnern Sie sich der Arie des Belisario:
.Trema Bisanzio"? 4 ) Donizetti hat hier ganz ohne Skrupel „sterminatrice a an
„Bisanzio* angeschlossen und so einen schrecklichen Unsinn gemacht; aber der
musikalische Rhythmus verlangte es absolut. Unmoglich wire es gewesen, ein Motiv
zu erfinden, das dem Sinn dieser Verse folgte. War es nicht besser, den Dichter zu
bitten, diese Strophe zu andern?
Doch nun ists Zeit, mich zu verabschieden.
Senden Sie mir baldmoglichst diesen Lear ganzlich hergerichtet, wir werden ihn
einem grofien italienischen Theater geben. Fur diese Oper brauchen wir ein enthusiast-
isches und verstandnisvolles Publikum, das nach dem empfangenen Eindruck urteilt.
Addio, addio.
P. S. Adressieren Sie: Rue Richer 4.
10.
Ihr ergebenster
G. Verdi
Paris, 6. Februar 1854
Lieber Somma,
Ich freue mich, dafi Sie das notierte Stuck im Duett des dritten Aktes noch-
mals durchgesehen haben. Es ist ein Punkt, der der Muhe wert ist, ihn zur Voll-
endung zu bringen, da er zu einer der schonsten Scenen des Dramas gehort und
auch eines der besten Stucke der Oper werden durfte.
Die Veranderungen einiger Verse oder Phrasen, die ich ndtig haben konnte,
sind Kleinigkeiten, die ich Ihnen erst je nach dem Fortschritt der Musik angeben
2 ) Shakespeare V, 1.
*) Eine bei Shakespeare nicht vorkommende Person.
3 ) Personen, die bei Shakespeare nicht vorkommen oder wenigstens nicht diese
Namen fuhren.
4 ) Der Text lautet vollstandig: „Trema, Bisanzio! sterminatrice — su te de la
guerra discendera".
f i^r\^I.- Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
44 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
kann. Ich wiederhole, es werden Kleinigkeiten sein, etwa ein Accent, dem sich die
Note nicht anschmiegen kann oder ein Wort, das gesungen schlecht klange. Machen
Sie immerhin alle Varianten, die Sie fur notig halten, um, wie Sie sagen, die Phrasen
da und dort zu verbessem. Je schoner und klangvoller der Vers ist, umso besser
fur mich. Es ist gut, dafi Sie die Schwierigkeit der Aussprache von Lear und
Glocester beseitigt haben.
Seit vielen Jahren habe ich einen Kontrakt mit der GroBen Oper, und jetzt
habe ich ein vollig vollendetes Libretto von Scribe erhalten. 1 ) Ich hoffte, den Konig
Lear vorher fur Italien componieren zu konnen, aber es ist mir unmoglich gewesen.
Vielleicht ists besser so, weil ich mich dann spater mit aller Mufie dieser Oper
widmen kann, und daraus, ich wage nicht zu sagen: eine neue, aber immerhin eine
von den andern Opern abweichende Sache zu machen. lnzwischen haben Sie alle
Zeit fur die Retuschen, die Sie machen wollen.
Sie haben mir nicht geantwortet auf das, was ich fiber Delias Charakter sagte
Vielleicht t&usche ich mich: uberzeugen Sie mich. Oberzeugen Sie mich wie damals,
als ich behauptete, der Grund der Enterbung Delias schiene mir fur unsere Zeit
kindisch: kaum las ich die ersten Worte Ihrer Antwort, als ich meine Ignoranz und
mein Unrecht einsah.
Ich sagte Ihnen aucb, daft das Libretto noch etwas zu lang ist, und, ich
wiederhole es nochmals, wenn Sie da und dort einen Vers, eine Strophe heraus
nehmen konnten ware es gut. Es fehlt auch noch mancher Vers und manches Wort,
wie ich Ihnen im letzten Brief sagte.
Antworten Sie ganz nach Ihrer Bequemlichkeit, gruilen SieVigna, 2 ) der wirklich
ein hervorragender Mensch ist und halten Sie mich furs Leben als Ihren ergebensten
G. Verdi
11.
Paris, 31. Marz 1854
Lieber Somma,
Ich antworte recht sp2t auf Ihren freundlichen Brief vom 18. des vorigen
Monats!!
Bezuglich Traviata glaube ich, dafi Gallo und Ricordi sich nach Gutdunken ge-
einigt haben, zumal ich Ricordi hierzu die Moglichkeit gab.
Um den Konig Lear etwas zu kurzen, glaube ich, man konnte im Finale des
ersten Aktes vom Verse „Padre, angusto e il mio castello", bis zu: w O ciel! de'
nembi il tuono" jene 42 Verse auf 12 oder 15 oder 20 Verse: Recitativ mit recht leb-
haftem Dialog und mit ein par Bosheiten des Narren reducieren.
Im zweiten Akt konnte man vielleicht die ersten 16 des Chores „ricca Albion"
auf wenige Verse reducieren.
Im dritten konnte man nur zwei Strophen der 2. Scene herausnehmen. Vom
Vers „Ti scosta d Delia" bis „Buffoni tt . Diese beiden Strophen konnte man heraus-
nehmen aus dem Zusammenhang, weil die Handlung stehen bleibt.
Dann konnte man streichen von der ersten Scene des ersten Aktes bis zum
Auftritt Lears. Hochstens, wenn Sie etwas furs Drama auseinandersetzen mussen,
so lassen Sie funf oder sechs Verse Recitativ zwischen Kent und Glocester, laflt
man den Chor, muli man dazu Musik machen, und ein Musikstuck braucht immer
*) „Les vepres siciliennes" von Scribe und Duveyrier.
2 ) Dr. Cesare Vigna, venezianischer Arzt, Freund Verdi's und Somma's; er
verfafite eine Reihe von Schriften uber den EinfluB der Musik auf Korper und Geist.
Verdi widmete ihm die „Traviata a und bewunderte die Schriften Vigna's sehr.
f"i^\^I.- Original from
tV v UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 45
Zeit. Und mir scheint, wenn man die Oper gleich bcim Aufgehen des Vorhanges
mit TrompetenstoBen (nicht Militartrompeten, sondern langen, geraden nach antiker
Art) beginnen lieBe, so wa*re das gewaltiger und charakteristischer. Im ubrigen
machen Sie, was Sie wollen.
Wenn es irgend einen Vers in den Recitativen giebt, den Sie kurzen oder
streichen konnten, wird viel gewonnen sein fur die ganze Oper. Im Theater ist das
Lange gleichbedeutend mit dem Langweiligen, und das Langweilige ist das scblechteste
aller Kunstarten. 1 )
Addio, mein lieber Somma, noch sehe ich nicht die Stunde, die mir gefillt,
um mich dem Konig Lear zu widmen, doch hoffe ich damit etwas weniger schlechtes
als meine andere Musik zu machen.
GriiCen Sie Vigna und Gallo. Sagen Sie letzterem, er moge wohl an Traviata
denken, und derart, dad ers spater nicht zu bereuen hat. Addio, Addio.
Ihr ergebenster
G. Verdi
12.
17. Mai 1854
Lieber Somma,
Alles, was Sie mit dem Konig Lear machen wollen, wird vorzuglich sein. Wenn
Sie diese Verse streichen, wird das Libretto ziemlich das rechte Mali erhalten. So
konnen Sie auch manche scenische Verwandlung in den ersten beiden Akten sparen.
Es sind ihrer so viele, daft ich wirklich furchte, das Publikum wird zu sehr abgelenkt.
Denken Sie dran.
Sie konnen ganz nach Belieben arbeiten, da die Winterkalte und schlechte Gesund-
heit mich verhindert haben, die franzosische Oper zur rechten Zeit fertigzubringen:
so kam der Moment des Fortgangs der [Sangerin] Cruvelli. Die Proben werden erst
im September begonnen und die Oper kann erst im Winter gegeben werden, in dem
ich leider das Vergnugen werde entbehren mtissen, Sie in meiner Bauernhutte [tugurio]
bei mir zu sehen, wie Sie mich hoffen liefien. Das wird in einem anderen Jahr sein,
und wenn Sie mir dann keinen Konig Lear zu bringen haben, so bringen Sie mir da-
fur Ihre mir so teure Person.
Ich danke Ihnen fur die Nachrichten iiber Traviata und bin daruber sehr zu-
frieden. Ich stelle mir den Larm vor, den Gallo 2 ) machen wird, und die Stellung
seines Cylinderhutes, den er von hinten durch eine Saite unterstutzt haben wird, um
ihn recht hoch zu schnellen. Ich hore wunderbares von der Spezia. Konnte sie
eine gute Cordelia sein? Sagen Sie's mir. W5re die Stimme fur ein groBes Haus
ausreichend? Ganz egal, ob sie dick oder klein ist, Hauptsache ist, dafi man sie
hdrt. Intelligenz und Seele mufi sie haben . . . Addio, Addio; jetzt und immer
Ihr ergebenster
G. Verdi
13.
Paris, 4. Januar 1855
Lieber Somma,
Ich bin vollstandig Ihrer Meinung. Man gewinnt hundert Procent, wenn man
*) Der letzte Gedanke ist Voltairescher Herkunft.
*) Antonio Gallo, Theaterunternehmer und Dirigent, ein venezianisches Original;
seinem Enthusiasmus fur Verdi verdankte dieser die Rehabilitierung der im Teatro Fenice
zu Venedig bei der Urauffuhrung durchgefallenen „Traviata a vor dem Publikum des
Teatro di San Benedetto.
f V^\nl,« Original from
jc r x:u::!::yViUC>^!i UNIVERSITY OF MICHIGAN
46 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
die beiden Glocester 1 ) streicht. Aufier der Handlung, die klarer und einheitlicher
bleibt, gewinnt man an Kurze, und zwei oder drei wirkungslose Stucke fallen fort.
Nur sehe ich nicht, wie Sie's machen wollen, urn die Missetaten des Edmund auf-
zudecken. Wer wird den Zweikampf machen? 2 ) Vielleicht Albanien? Oder erflnden
Sie was anderes? Mir scheint auch, Sie konnten Gelegenheit haben, eine Dekoration
zu ersparen, die zweite: die des Schlosses der Glocester. Vom Moment an, wo Edmund
schon den doppelten Mord begangen hat und Herzog geworden ist, kann er sich wohl am
Hofe des Lear befinden in der Introduktion oder auch im Park des Palastes von Goneril
und in einer dieser beiden Scenen seine Arie singen und seinen Charakter dartun.
Arbeiten Sie diese Arie auch gut aus und geben Sie ihr auch einen neuen Ab-
schnitt mit Abwechslung zwischen Recitativ und gereimten Strophen usw. Daft ja
grofte Farbenabwechslung darin herrscht: Ironie, Veracbtung, Zorn mogen gut dargelegt
sein, woraus ich in der Musik, da ich einer solchen Person kein Gantabile geben kann,
verschiedene Farben erflnden kann.
Schade ist nur, daft wir Edgar nicht mehr in der Gewitterscene haben, und
mehr noch bedaure ich, daft es keine Gerichtsscene mehr gibt. In dieser Scene mit
den Hirten machte sich jene vierte Person recht gut. Vielleicht konnte man an Edgars
Stelle einen armen Teufel, einen Bettler setzen, der sich in die Hutte des Unwetters
wegen gefluchtet hat. Lear wurde ihn dann in der nachfolgenden Gerichtsscene mit
sich wegfuhren. Dieser arme Kerl konnte auch ein alter Diener sein, ein Majordomus,
ein Ritter der Familie Glocester, der mit einem Erkennungszeichen kame, um dem
Albanien alle Untaten Edmunds zu entdecken, und er konnte auch den Zweikampf
unternehmen. Was meinen Sie dazu? . . . Machen Sie damit, wie Sie's meinen, und
wie es am besten furs Drama ist.
Sie flnden in meinen fruheren Briefen einige Bemerkungen uber die Form ge-
wisser Stucke, z. B. der Introduktion u. a. Ich finde noch, daft in dem Duett zwischen
Lear und Delia die Wiedererkennung nicht gut herauskommt, und nach einem Largo
cantabile kommt jenes „Delia tu sei?" ein wenig zu brusk und wirkungslos.
Arbeiten Sie inzwischen an jenen Sachen, damit ich gleich nach Beendigung
der franzosischen Oper mich an die Arbeit des Lear machen kann.
Jetzt und immer
Ihr ergebenster
G. Verdi
P. S. Viele Grufie unserem lieben Vigna und diesem schrecklichen Gallo.
14.
Paris, 8. Januar 1855
Lieber Freund,
Ich antworte gleich auf Ihren Brief vom 3. Ich hoffe, Sie haben inzwischen
meinen anderen Brief in Beantwortung Ihres letzten erhalten.
In der neuen Arie, die Sie fur Edmund erdacht haben, scheint mir zuviel
gekunstelter und gesuchter Effekt zu sein. Dieser Tanz, dieser Chor wurden doch
meiner Meinung nach monoton werden, statt Abwechslung zu bringen. Im Ganzen
wurde der Akt zu voll werden, das heiftt, es giebt zu viele Stucke, von denen sich
das Auge nie ausruhen kann. Auch das Ohr wurde in diesem Akt ermudet werden,
denn es gSbe darin eine Introduktion, in der alle Menschen singen; eine Arie mit
1 ) Also den Alten und seinen Sohn Edgar. Die Glocestergeschichte ist ubrigens
erst von Shakespeare mit der Learsage verwoben worden. Die Trennung ist ein
Gewaltstreich, der auf rein opernhafte Bedurfnisse zuruckgeht.
2 ) Shakespeare V, 3.
( ^f\i\t\]t* Original from
tV v UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 47
doppeltem Tanz- und Singcbor; ein Finale mit starken Leidenschaften usw. Ich bin
immer der Meinung, in die Scene des Edmund nur ein Stuck zu setzen. Arbeiten
Sie soviel aus, wie Sie wollen und spuren Sie diesem Charakter gut nach [tracciate
bene questo charattere], und baben Sie keine Furcht, zu lang zu werden, weil, sobald
man die beiden Glocester streicht, die Oper die rechten Dimensionen hat. Ich
meinesteils werde den Edmund keine Gewissensbisse spuren lassen, 1 ) sondern ihn
zum offenen Bosewicht machen: nicht zu einem widerwartigen Bosewicht, wie der
Franz in Schillers Raubern ist, sondern zu einem, der alles verspottet und verhohnt und
die schlimmsten Greueltaten mit der groftten Gleichgultigkeit begeht. Doch das
verstehen Sie besser als ich, machen Sie, wie Sie es fur richtig halten. Nur der
Theaterwirkung halber hier einen Tanz- und Singchor einzufuhren, halte ich fur
schlecht. Wenn Sie sich entschlieBen, eine Arie (Solo) zu machen, so machen Sie
sie in der Form, die ich in meinem letzten Brief angedeutet habe und suchen Sie
eine Dekoration zu vermeiden, indem Sie Edmund an den Hof von Goneril versetzen.
Wenn im Verlauf der Arie es nStig w2re, entweder fur einen Augenblick Goneril
selbst oder einen Boten erscheinen zu lassen, um dem Edmund Gelegenheit zu
geben, seine Intrigen mit den beiden Schwestern darzulegen, machen Sies nur, es
hat keine UnzutrSglichkeit. Ich habe Sie gebeten, aus dem Edmund einen hohnischen
Charakter zu machen, weil er dann in der Musik mehr Abwechslung erhalt: wenn
man ihn anders macht, muftte man ihn eine jener plumpen Phrasen mit Schreien
singen lassen [bisognerebbe farlo cantare una delle frasi grosse con dei gridi]. Der
Hohn, die Ironie werden (und das ist neuartiger) mezza voce gemalt; das wird
schrecklicher und giebt mir Farbenabwechslung in bezug auf Introduktion und Finale.
Im Finale, wenn Sie da die Strophen in freie Verse umwandeln, sorgen Sie, daft es
Abwechslung giebt zwischen sieben- und elfsilbigen: nicht, weil das so gebraucblich
ist, sondern weil man beim Singen mehr Zeit braucht als beim Sprechen, und es ist
notwendig, dafi die Recitativverse nicht stetig lang sind. Wenn Sie Edmund in dies
Finale bringen konnen, umso besser.
Im zweiten Akt fallt viel fort, und es geht gut. Ich habe einige Bedenken
wegen jenes Viehhirten, der in der Gerichtsscene nicht spricht. Weh uns, wenn er
lacherlich werden mfiflte! Ich glaube, es ware vorsichtiger, eine Rolle zweiten
Ranges hineinzubringen, die etwas zu sagen hltte: wie ich Ihnen sagte, ein armer
Kerl, in der Hutte der Gewitterscene gefunden. Ich bin nicht der Meinung, dem
Narren weitere Gesange zu geben, nur noch einige Worte, ein paar Phrasen usw.
Suchen Sie, suchen Sie in diesem Akt die fortwahrend zu starken Sfitze Lears zu
mildern. Zum Beispiel in der Strophe: „0 pigro Giove! e rocchio" — statt alle
sechs Verse heftig zu machen, konnten Sie nicht die Anrufung des Himmels mit
den ersten beiden Versen schlieBen und konnte nicht in den andren vier eine
plStzliche, konfuse Erinnerung an Delia die Ausdrucke mildern? Spfiter, nach den
zwei starken Strophen „ElIa d morta" usw. konnten Sie eine dritte fur Lear hinzu-
fugen aus abgerissenen, zerstuckelten Phrasen, die darstellten (wie Sie es angeben),
dafi die Krfifte allmShlich versagen; und schliefilich schlummert er ein usw.
Im dritten Akt, wie ich es Ihnen fruher schon sagte, 2 ) wurde ich Delia nicht
als Kriegerin kleiden, sondern ich lieBe sie engelhafte Frau bleiben wie im ganzen
Drama. Beim Wiederlesen dieser Scene flnde ich das Gebet „E tuo dono" kalt
wirken, wie alle Gebete im allgemeinen. Wenn Sie sie dem Himmel danken lassen
wollen, so fugen Sie nach der Unterredung mit Kent zwei oder drei Recitativverse
an (es ware uberhaupt gut, wenn sie das Recitativ beendigte), und dann erfinden Sie
*) Siehe dagegen Shakespeare V, 3.
*) Vermutlich in dem verloren gegangenen Brief.
f \^\M.« Original from
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48 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
zwei schone, gefuhlvolle leidenschaftliche Strophen, aus denen ich ein schoncs largo
cantabile machen kann.
Was Sie vom 4. Akt sagen, geht gut, nur lieBe ich die Strophe der fernen
Stimmen: „fuggitivi drizzatevi al mar . ."
Ich hoffe Ende Februar hier fertig zu sein, so daQ ich gleich in den ersten
Tagen des Marz in Busseto sein werde; und ich wunschte, fur diesen Zeitpunkt
konnte Konig Lear bereit sein, Ja . . . der Trovatore geht gut im Theatre italien.
Boucarde" allerdings ist nicht besonders, doch die andern gefallen, und das Ganze
ist gut. Viele, viele Grufle an Vigna.
Addio, addio; immer Ihr ergebenster G. Verdi
P. S. Indem ich Ihr Postscriptum nochmals lese, finde ich, daB Sie recht
haben, dem Narren zu Beginn des zweiten Aktes noch zwei kleine Strophen zu
geben. Sehen Sie zu, Vierzeiler zu machen, und wenn die Verse kurz sind, das
heiBt Ftinfsilber oder Sechssilber, so konnen Sie statt 12 oder 16 Verse auch 20 oder
24 machen, wenns Ihnen so paftt. Aber machen Sie keinen Officierchor im Zelt
der Delia.
15.
Paris, 24.Januar 1855
Lieber Somma,
Der Sechszeiler, den Sie mir schicken, ist gut; nur, wenn Sie vier Sechszeiler
zu je 10 Silben machen, wird die Arie oder der musikalische Rhythmus monoton.
Wenn wir, um Ihre Idee auszufuhren, 24 oder 30 Verse brauchen, so machen Sie's,
aber wechseln Sie die Metren. Behalten Sie ruhig diesen ersten Sechszeiler und
machen Sie noch einen, wenn Sie wollen, aber dann wechseln Sie das Metrum: je
mehr Abwechslung im Metrum, umsomehr Abwechslung in der Musik. Wenn diese
Arie selbst drei oder vier verschiedene Metren hfitte, ware das nicht schlimm: je
mehr Originalitat der Form, um so besser wirds.
Uber die Gerichtsscene ist nichts zu sagen, sie ist gut so, wie Sie sie mir senden.
Eiligst drucke ich Ihnen die Hand und verbleibe
Ihr ergebenster
G. Verdi
16.
(ohne Datum; Poststempel: Paris 10. Marz 1855)
Lieber Somma,
Senden Sie das Libretto des Lear hierher, weil ich bis zur Erdffnung der Aus
stellung hier sein werde und uberdies die Oper erst Ende April in Scene gehen kann. 1 )
Nun wo Sie den Lear vollendet haben, konnen Sie mir ein andres Sujet suchen, das
Sie ganz in Ruhe ausfiihren wurden? Ein schones, originelles, interessantes mit
prSchtigen Situationen und Leidenschaft: Leidenschaften vor allem! Auf gut Gluck
suchen Sie, suchen Sie, suchen Sie!
Eiligst, addio, addio.
G. Verdi
*) Es dauerte sogar bis zum 13.Juni 1855, bis die „Sicilianische Vesper" auf-
gefuhrt wurde.
Jirj
( I(K>o!r Original from
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 49
17.
(ohne Datum, Poststempel: Paris 5. April 1855)
Lieber Somma,
Ich babe vor einigen Tagen auch die beiden letzten Akte des Lear erhalten.
Ich finde, Sie haben nicht wohlgetan, in der Arie der Delia das Andante zu streichen.
So bleibt nur ein unvollkommenes Stuck. Ich wollte es geandert, aber nicht gestrichen
haben. Mir gefiel diese Strophe ferner Stimmen nach der Schlacht sehr: sie hatte
Charakter und Farbe. DerStaatsstreich, den Albanien macht, scheint mir nicht naturlich.
Dieser Herzog, der bis dahin schwachkopfig gewesen ist, wie kann er so stark werden,
die leibhaftige Konigin und ihren Liebsten, dem sie Vollmacht gegeben, einsperren zu
lassen? Der Tod Gonerils und der Zweikampf 1 ) waren naturlicher!
Denken Sie dran: im ubrigen reden wir in Itaiien daruber.
Was den „Monaco" betrifft, so gefallt er mir, wenns der von Levis ist, nicht
als Opernstoff. Wenn er von Ihnen erfunden ist, kann ich daruber nichts sagen. Nur
mufl ich Ihnen bemerken, daO ich einen Stoff mochte, der nicht ein Spektakelstuck ist,
sondern einen gefuhlvollen, eine Art Somnambula oder Linda, von dem Genre selbst
abgesehen, da es ja schon bekannt ist. Ich kann Ihnen im Augenblick keine Stoffe
vorschlagen.
Wenn Sie etwas in besagter Art flnden, machen Sie ganz in Ruhe ein Scenarium,
das Sie mir, sobald ich wieder in Itaiien zu Hause sein werde, senden.
Addio in Eile Ihr ergebenster
G. Verdi
18.
Busseto, 7. April 1856
Lieber Somma,
Ich habe sehr aufmerksam den Vorschlag, den Sie mir gutigst sandten, gelesen.
Ich will nicht von den Schonheiten reden, die sich in alien Ihren Dichtungen flnden,
doch fur ein musikalisches Drama scheinen mir die Charaktere etwas zu trist und
graBlicb, und es ist zu wenig Abwechslung drin. Indem ich zugebe, daB ich mich
tSuschen konnte, erinnere ich Sie dran, daB, als ich das Vergnugen hatte, Sie zu
sehen und en passant fiber diese Sache zu sprechen, ich Ihnen sagte, wie gern ich
ein ruhiges, einfaches, zartes Drama hStte: eine Art Somnambula, ohne daB es eine
Nachahmung der Somnambula 2 ) ware. Hier sind wir tausend Meilen auseinander. Ich
danke Ihnen also, und Sie konnen es anderweitig verwenden.
Ich bin nicht sicber, ob der vierte Akt des Konig Lear, so wie Sie ihn zuletzt
sandten, geht, doch eines ist sicher, daB man das Publikum nicht soviele Recitative
schlucken [inghiottire] lassen kann, besonders nicht in einem vierten Akt. Das sind
keine Komponistenforderungen: ich konnte auch eine Zeitung oder einen Brief usw.
in Musik setzen, doch das Publikum erlaubt im Theater alles auBer der Langeweile.
Alle diese Recitative, w&ren sie auch von Rossini oder Meyerbeer, konnen nicht
anders als lang, also langweilig werden. Wenn ich die Wahrheit sagen soil, so furchte
ich sehr fur diese erste H&lfte des vierten Aktes. Ich kanns nicht ausdrucken, aber
etwas darin befriedigt mich nicht. Sicher mangelt die Kurze, vielleicht auch die Klar-
heit, vielleicht die Wahrheit .... ich weifi es nicht. Ich bitte Sie also daruber noch
nachzudenken, um zu sehen, ob es moglich ist, etwas theaterwirksameres zu flnden.
Addio, addio. Seien Sie nicht bos
Ihrem ergebensten
G. Verdi
l ) Also Shakespear's Losung.
*) Von Bellini, Text von Romani.
SchluB folgt
XIII. 1.
Ui::i
( I(K>o!r Original from
VUK cV K UNIVERSITY OF MICHIGAN
VERDI'S DRAMATISCHE TECHNIK
VON RICHARD SPECHT IN WIEN
In der groQen kunstgeschichtlichen Registratur, deren Zweck es ist,
jede kiinstlerische Erscheinung sauberlich geordnet zu rubrizieren,
klassifizieren und etikettieren — in dieser noch immer betriebsamen
Anstalt herrscht Verlegenheit, wenn der Name Giuseppe Verdi genannt
wird. Auch jetzt noch. Obwohl es heute, hundert Jahre nach der Geburt
des Meisters, eigentlich schon an der Zeit ware, ihm sein endgultiges
Schubfach anzuweisen. Aber er wehrt sich, eigensinnig, jah, schweigsam
trotzig, wie er von jeher war, noch immer gegen jede Einschachtelung, und
laBt sich in kein Fach zwangen. Wer es versucht, wird jedesmal gewahr,
dafi er nie den ganzen Verdi w unterzubringen* vermag; dafi immer, einem
ironischen Springkobold gleich, ein Rest herausguckt, der die saubere
Etikette des Faszikels vollkommen ad absurdum fiihrt. Kommt dazu, daO
sein Wesen nicht nur jedem Volk, sondern — von alien AffinitSten der
Rassenelemente abgesehen — auch jeder kunstlerischen „Partei a anders
erscheint und anderes bedeutet. So dafi es nicht nur den Friedsamen, die
Ordnung im Haushalt der Kunst wollen, sondern auch jenen schwer ist,
Verdi's Wesen in eine Formel zu fassen, die die Feststellung fesselt, wie
sich dieses Wesen in unserer Gegenwart spiegelt und was von ihm wirk-
lich lebendig, nicht nur traditionell festgehalten ist.
Der Kunstler, der das wundersame und einzigartige Schauspiel einer
Entwickelung sondergleichen gegeben hat: von der unbedenklichen, trieb-
haften, oft rohen und blutrunstigen Musik fur panoptikumhafte Schauer-
dramatik, von uberreicher, prasselnder, bis zum Reifien angespannter, aber
unkultivierter Melodik und einer fast gleichgiiltigen Primitivitat der in-
strumentalen Palette zu einer sublim vergeistigten, wMhlerischen, mit
souveraner Hand unfehlbar gestaltenden Meisterschaft, zu edelstem Ge-
schmack, zu einem Orchesterstil, dem fiir jede seelische Regung und fur
jede Stimmung die ganze Farbenskala von briinstigster Scharlachglut bis
zum flimmerndsten Perlmutterglanz zu Gebote steht — dieser Kunstler
ist mehr als blofi die Summe all dessen, was die einzelnen Werke von
ihm aussagen, ist in jedem Augenblick seines Schaffens ebenso wider-
spruchsvoll als in seiner Totalitat. Keine Formel sagt ihn ganz aus. Ist
er der Troubadour der italienischen Freiheit (oder besser der Liberty, die
sich, nebenbei bemerkt, nicht nur klimatisch von der deutschen „Freiheit"
unterscheidet) oder nur ihr grofier BMnkelsanger? Ist er wirklich der Victor
Hugo der Musik, wie er gem genannt wurde — sogar in Monaldi's Verdi-
buch, dem Muster einer schlechten und leblosen Biographie — , oder nicht
vielmehr der Tintoretto der Tone: ganz ungallisch, ganz italienisch, uber-
f V^\nl,« Original from
jc r x:u::!::yViUC>^!i UNIVERSITY OF MICHIGAN
SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHNIK 51
lebhaft in der Geste, von hitzigen Visionen wilder und lauter Massen
bedrangt? Nichts stimmt ganz. Man hat ihm mit Recht vorgeworfen, daO
er nur zu oft — wenn auch immer aus ungeheurer Kraft, Fiille und
Spontanitat heraus — Kolportagemusik gemacht habe und war bereit, den
Meister der „Aida a und des Requiems zu einem derben und leichtfertigen
und dazu ungebildeten Trabanten Meyerbeers zu stempeln, mit dem er
nicht nur in seiner redlichen Lauterkeit, sondern auch im innersten Wesen
seiner ganz und gar niemals berechnenden Kunst nicht das mindeste
gemein hat; nur hochstens ein paar AuCerlichkeiten der Technik. Man
hat ihm jeden Humor und jede Grazie, ja jeden Geist in seiner Musik
abgesprochen und die animalische Kraft, die ganz unzerebrale Sinnlichkeit
und Wut der eruptiven Melodik seiner ersten Opern konnte dazu ver-
fiihren, dieses Urteil zu unterschreiben; aber man braucht gar nicht an
den „Falstaff tt , diese mutwillig flimmernde, witzspriihende, von alien guten
Spottgeistern gesegnete frohliche Wissenschaft eines kostlich reif, weise,
heiter und gutig gewordenen Menschen zu denken, um jenen Spruch zu
verwerfen: in den Gesangen des Pagen, dem Quintett oder gar in dem
hohnischen Chor der Verschworer im „Maskenball a und in der Chor-
erzahlung im „Rigoletto a stecken mehr Anmut, Ironie, scherzhafter esprit
und Laune als in den meisten „komischen a Opern zusammengenommen.
Nichts stimmt ganz. Und es wird nicht leicht zu entscheiden sein, wo
der w eigentliche* Verdi steckt: ob in der fabelhaften Stofikraft, der robusten
Vitalitat, den ganz dem Trieb und dem Urgefiihl einer unbandigen Erotik,
ungebrochenen Zorns, stiernackigen Schmerzes entstromenden melodischen
Ausbruchen seiner friiheren Werke, dem „Troubadour a , dem „Maskenball",
dem „Rigoletto% der „Traviata tt ; oder in der gebandigten Fiille, der
inneren Ordnung, der prachtvollen Architektur, der dramatischen Charak-
teristik seiner letzten, der „AYda a , des B Othello a , des „Falstaff a .
Zweierlei ist sicher: er war einer der starksten und urspriinglichsten
Erfinder, die die Musik iiberhaupt kennt; von einem Glanz, einer Furie,
einer Leidenschaft, einer gliihenden Melancholie, wie sie nur wenige auBer
ihm haben und von einer melodischen Potenz, neben der in ihrer Sub-
stanz und in ihrem Quantitativen — von den Unterschieden des Niveaus
und von intellektuellen Unterschieden ganz abgesehen — vielleicht nur
noch Schubert und Johann Straufi in Betracht kommen. Und: er war
Dramatiker vom Scheitel bis zur Zehe. Keiner im hochsten Sinn; kein
Darsteller des AuQerordentlichen, keiner, der der Menschheit Beispiele
hinstellt, keiner, dessen Werk eine metaphysische Erfiillung bedeutet, der
dem GenieOenden innere Reinigung zuteil werden laOt und ihn mit un-
verlierbaren seelischen Bereicherungen beschenkt. Von Richard Wagner
trtnnt ihn eine Welt; und nicht nur im Geistigen. Was er gegeben hat,
ist Theater allerbester Art. Uber diese Art hinaus schreiten freilich die
4*
Jirj
f"i^r\nl.- Original from
x:u;i:,y ViUC^Ii UNIVERSITY OF MICHIGAN
52 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
beiden herrlichen Alterswerke, der „Othello a und der „Falstaff a , in denen
er wirklich dem Dramatischen im hocbsten Sinn nahekam und in denen
nur das Stoffliche im Verhaltnis zu den Moglichkeiten seines Tonwerdens
problematisch sein mag. Alles andere, sogar noch die „ATda a , in der das
Musikalische filtriert und allem allzu Leutseligen entriickt ist wie bei ihm
nichts zuvor, ist doch nur Schaubiihne als Anstalt der Spannung, des
Effekts, der erregten Zerstreuung, nicht — um das Schillersche Schlagwort
in Wagnerschem Sinn zu gebrauchen — als „moralische Anstalt". Mag
sein, daC die empfindlichere Reaktion auf die Versuchungen des wirkungs-
voll Gewohnlichen, die groOe Linie der musikalischen Szenenfuhrung, die
durchaus edle und doch immer von heftigstem Temperament hervor-
getriebene Melodik und die orchestrale Dramatik seiner Spatschopfungen
auf Wagners EinfluB zuruckzufiibren sind; so sehr alle Verdibiographen,
Gino Monaldi, 1 ) Carlo Perinello, 2 ) Arthur Pougin 8 ) und all die andern
diesen Einflufi, ja die Bekanntschaft Verdi's mit dem Werk Richard
Wagners zu leugnen versuchen. Trotzdem kann fur den aufmerksamer
Hinhorchenden kein Zweifel an solcher Einwirkung aufkommen. Zu be-
weisen ist sie freilich schwer; so auffallend auch die stilistische Ver-
Mnderung und Verfeinerung wirken mag, die Verdi's letzte drei drama-
tische Werke von ihren VorgSngern unterscheidet. Aber schliefilich ware es
ja nicht ausgeschlossen, daQ ein Musiker von solch unbedingter und un-
fehlbarer dramatischer Empfindung wie Verdi in den Jahren des Reif-
gewordenseins aus dem blofi Intuitiven zu wissender Erkenntnis der Be-
dingungen und Gesetze seiner Kunst gelangen und durch das Gebot seiner
inneren Entwickelung auf den Weg solch bewuBter dramatischer Meister-
schaft getrieben werden konne. Auch die immer starker hervortretende
Neigung, durch das Mittel des musikalischen Symbols, des Erinnerungs-
motivs bedeutsame und blitzartig aufhellende Wirkungen zu iiben, miiBte
nicht von vornherein durch Wagners Beispiel motiviert werden; nicht nur,
weil mancher Vorganger des Bayreuther Meisters dieses technische Mittel
verwendet hat, sondern vor allem, weil Verdi selbst, der sich niemals viel
um andere Musik gekiimmert hat und dessen Tonen gerade seine wunder-
volle Unerfahrenheit (auch im musikalischen Sinn) ihre unbekiimmerte,
explosive, leidenschaftlich aufschnellende Gewalt und Selbstherrlichkeit
gibt, schon in fruheren Werken, im „Rigoletto ft z. B., ja sogar in dem
vielverlfisterten und trotzdem (wie kaum ein anderes Werk seines SchSpfers)
sprudelnden, wahllosen, aber fast unbegreiflich verschwenderischen Reichtum
offenbarenden ^Trovatore" das Leitmotiv mit entscheidender Sicherheit an
den rechten Platz gestellt hat. Wer aber Wagners EinfluB auf Verdi
a ) Verdi und seine Werke. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1898.
*) Giuseppe Verdi. Verlagsgesellschaft „Harmonie tt , Berlin, 1900.
8 ) Verdi. Histoire anecdotique, Paris, 1896.
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SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHNIK 53
leugnen will, der betrachte das Vorspiel der „Aida" neben dem des
w Lohengrin". Es ware eine selbst im Bereich der Musik unerhorte
Duplizitat der Ereignisse, wenn diese beiden Stiicke, die in itarem
dynamischen Schema, in ihrer Anlage, in ihrem Beginn, ihrer Steigerung
und ihrem Ausklingen einfach parallel laufen, entstanden waren, ohne daB
der Schopfer des spater gekommenen von dem verwandten (wenn auch
thematisch natiirlich durchaus verschiedenen) Gebilde etwas geahnt hatte.
Von dem Thema „Falstaff-Meistersinger" ganz zu schweigen.
Trotz alledem und auch in bezug auf Verdi's Spatschopfungen ge-
sprochen: nichts verschiedener als das dramatische Verfahren der beiden
groflten Beherrscher des Tondramas ihrer Epoche. (Immer wieder: die
ungeheure geistige Distanz beider Erscheinungen und die ihrer kulturellen
Wichtigkeit bedarf nicht erst der Feststellung und bleibt bei den folgenden
Untersuchungen durchaus ausgeschaltet.) Um es mit einem Schlagwort
auszudrucken, das freilich fur Verdi's letzte Werke nur bedingte Geltung
hat: bei Wagner steht das dramatische Orchester im Vordergrund, bei
Verdi die dramatische Melodic
Der Dramatiker Verdi wird bis zum heutigen Tage zugunsten des
ungeheuren Melodikers unterschatzt. Nur wenige wissen es, daO er fast
alle Stoffe seiner Opern selbst gewfihlt und selbst skizziert hat, daft seine
dichterischen Mitarbeiter zumeist nur die Aufgabe der Versifizierung hatten,
daB er mit unerbittlicher Genauigkeit jedem szenischen Detail nachging,
von seinen Dichtern immer wieder und wieder Anderungen zum Vorteil
der dramatischen Pragnanz und Straffheit, des rechten Ausdrucks, der
charakteristischen psychologischen Wendung forderte. 1 ) Wenn einmal in
Deutschland Verdi's Lebenswerk in wiirdiger Form und den Intentionen
des Meisters entsprechend interpretiert wiirde, nicht als Gelegenheit zu
bei canto und Koloratur, sondern als empfundene und musikalisch mit der
hochsten Gefiihlsexpansion und Scharfe geformte szenische Aktion, dann
wiirde man es erst mit Staunen bis in die feinsten Einzelheiten verfolgen
konnen, wie Verdi jede seelische Schwingung melodisch auszudrucken, aber
auch jeden Charakter in der bloBen Gesangslinie festzuhalten vermag, ohne
erst umstandliche symphonische orchestrale Ausdeutungen zu benotigen.
DaB er auf seiner ganzen Hohe ist, wo er beides vereint, was durchaus
nicht nur in den drei Meisteropern der Fall ist, bedarf nicht erst des be-
kraftigenden Worts; ebensowenig, daB er oft und oft, nur der Virtuositat
irgendwelcher Primadonna gedenkend, den dramatischen Sinn plotzlich ver-
giBt und mifiachtet, um nur in moglichst verbliiffenden Effekten auBer-
licher Bravour einen Eindruck zu erzielen, der den allzeit Gedankenlosen,
*) Vgl. z. B. den Briefwechsel Verdi's mit Antonio Somma im vorliegenden
Heft, S. 34 ff. Red.
Original from
3j o
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
fur die eine Melodie nur das ist, was man nachpfeifen kann, und denen die
Musik nicht die Sprache des wahren Lebens, sondern nur Ergotzung des
Ohres ist, immer willkommener sein wird, als der ergreifende, die Seelen
der Menschen und die Laute der Natur entschleiernde Ausdruck des ernst-
haften Dramatikers oder Symphonikers. Ein entsetzliches Beispiel fur
diese Art ist (ira ^Troubadour*) Leonores »ich lachle unter Thranen",
B^3^^&j=^*ffi
Kann ich fur ihn nicht le
ben will
ster
ben will ster - ben ich fur ihn.
eine Stelle, die selbst der treffliche Dirigent Vigna, der den stereotypen
Verdi'schen Arien- und Strettarhythmus r (m ». » •»» k S g"* * — '
t F-^?~g — uJ u — Lf—
als klingendes Herzklopfen bezeichnete und auch wirklich oft herzbeklemmend
zum Ausdruck zu bringen vermochte, kaum „retten" konnen wird. Wah-
rend — um vorzugreifen — andere dieser Art oft verkannt werden:
nichts falscher zum Exempel — andere sollen spater angefiihrt werden —
als wenn im Miserere des „Troubadour* Tone wie die folgenden: 1 )
s^
con - ten - de Tam-ba - sci - a
che tut -la m'in-ve - ste al lab-bro re-
s
bp-.-
^^^^^^W^'^^^f^f^
^cz^r=^±
spi - ro
pal - pi - ti cor il re - spi - ro pal - pi
al
cor
nicht in geprefiter, hastiger Angst, in abgerissenen, atemlosen, halberstickten
Schreien, sondern irgendwie instrumental* oder gar im Sinne der Koloratur-
diva gebracht werden, statt mit stockender Stimme und erloschender Kraft.
Eine Stimmung von wirklicher Macht, die der unheimlich zuckende, vibrierende
Rhythmus des fahlfarbigen Orchesters j ZZ j — I 3 C ; 5 p
meisterlich verstarkt. Solche Eindriicke durch blofie Klangfarbe trifft Verdi
oft mit iiberwaltigender Genialitat und den einfachsten Mitteln. Prachtvoll
— um nur eine Stelle aus einem trotz aller „Beliebtheit* bei den Viel-
J ) Die Notenbeispiele nab' ich mit Absicht sehr bekannten Stellen und nicht den
zwei Spatwerken entnommen.
Ui::i
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHNIK
55
zuvielen lange nicht nach Gebiihr gewerteten Werke anzufuhren — wie im
.Maskenball" die sprungbereite Erwartung der Verschworer, die den Tater
auslosen, und das Grauenvolle der Mordtat, die schon ihre Schatten vor-
auswirft, in den gestopften Trompeten und den zitternden Streichertremoli
zum Ausdruck kommt:
ein Thema, das dann spaterhin in verkleinerter Form die Szene beherrscht,
Oder die lahmende Wirkung der erst in furchtbarer Kraft und dann ganz
gespenstisch tonenden Pauken zu dem verschwebend leise gehaltenen E-dur
Akkord der Blaser — wahrend die wehrlose Amelia den Namen dessen
aus der Urne Ziehen muC, der ihren Geliebten morden soil —
Ipafe
VP
&
Pk.
usw.
T ,333 3 ,333 * t -
oder, im gleichen Werk (das ich absichtlich wahle, um zu zeigen, daD nicht
erst in der „Aida" und den ihr folgenden Schopfungen das w dramatische
Orchester" in seine Funktion tritt) der schaurige Beginn des dritten Akts,
in dem es im Orchester wie glimmendes faules Holz leuchtet und gleich
dumpfen Miasmen aufschwalt, bis Amelias innige Liebesmelodie silbern
aufstrahlt und all die Schatten der Verwesung fortscheucht. Oder der des
zweiten, bei der Wahrsagerin: die drei wiitenden Orchesterschlage, denen
das unheimliche Motiv
*£■
f — -p^ — nr~
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Original from
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56 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
folgt, und dann dieses sich schleichend aufringelnde:
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^r a ' a f4±= a ' [' a s *
col basso unisono
F=^
in das es gleich ziingelnden Blitzen hineinfahrt. Und Ahnliches findet sich
iiberall; auch in jenen Werken, in denen ihrem Schopfer — und oft mit
Recht — ein gedankenloses Draufloskomponieren brutaler Cabalettastucke
vorgeworfen wurde. Und freilich: iiberall finden sich auch Stellen von
unbegreiflicher Liederlichkeit und von aufreizender Zusammenhanglosigkeit
mit dem stofflich Auszudruckenden. Nur daO all das eigentlich Nebensache
ist; daO auch jene genialen Einfalle orchestraler Charakteristik, die gerade
durch ihre knappe Pragnanz, Sparsamkeit und Einfachheit so unwiderstehlich
und uberzeugend wirken, ebenso sekundare Mittel der dramatischen Technik
Verdi's sind wie seine Leitmotive. Sein Hauptmittel der Charakteristik, das
ihm wie keinem anderen im Ausdrucke der subtilsten und der grobsten Seelen-
vorgange, zartester Grazie und keuchender Leidenschaft, boser Heimtiicke,
jagender Angst, schmerzlichster Ironie gehorcht, bleibt seine dramatische
Melodie. Um derentwillen er es oft und oft wagt, auf alle instrumentale
Untermalung zu verzichten und das Orchester wie eine Riesengitarre zu
behandeln. Er hat nicht nur nicht auf die uralte Tradition verzichtet, die
den Italiener zum „Sanger an sich u machte. Er hat dieser Tradition alle
Moglichkeiten der Weiterentwicklung abgelistet, hat seine sonderliche Fahig-
keit, w fiir die Stimme zu schreiben* (wie es gern im Gesangslehrerjargon
heiflt), zu ungeahnten Wirkungen ausgeweitet und hat es zuwege gebracht,
nicht nur die technisch sangbarsten und den Bediirfnissen jeder Stimmlage
sich aufs wunderbarste anschmiegenden melodischen Linien zu Ziehen, sondern
sie mit neuartigem Ausdruck jeder Art zu beladen.
Diese Verdische Melodie ist, auch fur sich betrachtet, ganz ohne Be-
ziehung auf ihre seelenentschleiernden, alle menschlichen Regungen bloO-
legenden Moglichkeiten, von einem bezwingenden Ungestiim und von hin-
reiOendem Glanz. Sie ist gewiD nur zu oft derb, gewohnlich, salopp,
gassenhauerisch; aber selbst dann betort sie durch ihre Torpedo- Verve,
durch ihre ejakulierende Energie, durch ihre sausende Schleuderkraft, durch
die prachtvoll gesunde Schamlosigkeit und MaOlosigkeit eines ganz und gar
unverbrauchten, in brennender Gier tobenden Temperaments. Dort aber,
wo herrlicher innerer Adel und passionierte Schonheit in ihr hinstromen,
hat diese Melodik ein wahrhaft berauschendes Aroma, wirkt wie ein un-
glaublich starker und unvergeClicher Naturlaut, in dem wirklich die Seele
Italiens zu schwingen scheint. Auch hier manchmal, gleich der Grimasse
eines wundervollen Angesichts, eine Verzerrung zum blofien Effekt, ja ein
f"i^\^I.- Original from
tV v UNIVERSITY OF MICHIGAN
SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHN1K
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abscheuliches Entstellen durch eine plotzlich aufgeklebte Koloratur, die wie
ein Selbstverrat wirkt, wie das verachtliche Preisgeben des Innigsten an
eine Befleckung durch die unreinen Hande der Menge, die nur ihren SpaO
haben und nicht erschtittert werden will. Aber zum Gliick sind gerade
diese Unbegreiflichkeiten nicht haufig bei den wirklich empfundenen Ein-
gebungen des Meisters, die in unglaublich breitem Strom hinflieCen, in
nicht endenwollendem Gesang, der immer wieder zu neuen, noch iiber-
schwenglicher schwarmenden Gebilden aufbliiht. Diese Melodik ist, auch
ganz ohne Zusammenhang mit ihrem eigentlichen Ausdruck, durchaus
dramatisch; durch ihre innere Spannung, durch ihren Manometerstand,
durch ihre Unaufhaltsamkeit und die Schnellkraft ihrer Steigerungen. Sie
lauft wie mit nackten Fiiflen uber gliihendes Eisen.
Aber sie ist mehr als blofi Belustigung des Ohrs. Sie vermag es
nicht nur, Schmerz und Liebe, Bangen und Sehnsucht, sondern so ver-
steckte und dem Wesen der Musik sonst ganz fremde Regungen, wie falsche
Verschlagenheit, tiickisch aufziingelnden Neid, wiitenden, aber die Maske
der Heiterkeit tragenden Kummer mit greifbarer Unmittelbarkeit zu schildern.
Nichts heuchlerischeres, als die raifitrauisch-liebevolle Ansprache der
Amneris an Ai'da (im 2. Akt):
ife?Jgf f#5r^ BBM^^^
*=*=
espr.
Nichts ergreifenderes als der aufschluchzende Auftakt zu der heiteren
Melodie, die Rigoletto (im 3. Akt) den Hoflingen vortrallert:
^fc^ Mga^^ sjg^^g
la la la la la la la la la la la la la la
und die immer wieder in Tranen auszubrechen scheint. (Freilich, sie mufi
auch so gesungen werden. Der Ausdruck jeder Musik ist so vieldeutig,
daD blofi eine Wortanderung geniigt, um die Moglichkeit ganz entgegen-
gesetzten Vortrags zu geben. Aber im Zusammenhang mit der Situation
sind die Verdi'schen Melodieen von geradezu zwingender Eindeutigkeit und
PrSgnanz des Ausdrucks.) Oder — um die Notenbeispiele nicht allzusehr
zu haufen — : nichts hafierfiillteres, trostloser verfinstertes als Jagos Credo
im„Othello*; nichts raubtierartigeres,kannibalischeresalsAmonasrosAusbruch
im 3. Akt der ^AYda 14 ; nichts . . . aber es ist unnotig, nach Belegen zu
suchen, wo man nur (und ich habe es hier nicht anders getan) aufs
Geratewohl irgendeine Partitur einer beliebigen Verdi-Oper aufzuschlagen
braucht, um auf Schritt und Tritt die Erfullungen dieser ganz einzigen
Gabe der melodischen Charakteristik zu finden.
Jirj
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
Sie ist noch starker in den Ensembles. Ich erinnere an eines der
beruhmtesten: das Quartett im SchluBakt des w Rigoletto". Unmoglich, mit
dem raffiniertesten Orchesterapparat das Wesen dieser vier Menschen und
ihren gegenwartigen Seelenzustand mit solch schlagender Deutlichkeit zu
offenbaren, als es in den Themen dieser vier Singstimmen geschieht; den
leichtsinnig verliebten Herzog:
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?=S=*
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usw.
die seelenlos tandelnde, kalt kokette Maddalena:
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usw.
++
Gildas schmerzliche Seufzer:
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&F^=*
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usw.
und den innig wehmutvollen Ausdruck ihrer enttauschten Liebe:
und wieder Rigolettos verhaltenes Knirschen in atemloser Wut:
3&*33m
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f*- T -e>
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Und rein musikalisch genommen: wie schon verschlingen sich diese
vier Stimmen zu einer einzigen suBen Klangeinheit; mit welcher Noblesse
sind die Linien hier gezogen; welch feine Meisterhand hat diese ganz dis-
paraten Stimmungen zu einem scheinbar widerspruchslosen und gerade
durch seine inneren Kontraste lebendigen Musikstuck geformt! Nicht
ganz auf dieser musikalischen Hohe stehend — weil die primitive Mono-
tonie der Chorstimmen allzu „bequem a wirkt — , aber vielleicht noch
drastischer: das Quintett im 2. Bild des „Maskenball". Richard, der die
Schauer der Prophezeiung durch unbekummertes Scherzen abschiitteln will:
Jirj
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SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHNIK
59
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die Wahrsagerin, die duster und stair an ihrem Spruch festhalt
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E ^^* = ^^^5=V3^
— ^t^-i 1
^*&zh
die Verschworer, deren frohlockende und dabei angstvolle Stimmen gleich
Dolchstofien hineinfahren:
gS^^ ^i^ ^
usw.
und
dann leise grollend: ^^ z^ ^y— — x ^^ J J ^ zzzg EEj
ppp
Und iiber all das hingeschwungen, in zMrtlicher Besorgtheit die helle Stimme
des Pagen mit der breit hinwehenden siiCen und bangen Melodie:
^ft^Sfe^^^i
PP ^VJ ♦
die all diese vielfaltige und erregte Vielstimmigkeit zu einer beruhigten
Einheit bindet.
Diese Meisterschaft, gerade im polyphonen Ensemble dramatische
Charakteristik zu treiben, seine Menschen auf eine einzige Linie zu bringen,
all diese Linien aufeinander bis zum Ergebnis einer sonderlich organi-
schen Form einzustellen und dabei in Ton und Wort nicht nur Gemiits-
schilderung zu erreichen, sondern die Handlung vorwartszupeitschen —
diese Meisterschaft, der in dieser Art Stiicke von solch bewegter und doch
deutlicher Bestimmtheit gelingen wie die eben genannten, hat Verdi manch-
mal dazu verfiihrt, mit dieser Form zu experimentieren. Er ist dabei in
den Fehler verfallen, in derartige weitausschwingende, unter groBen me-
m?zc:J ::■■/ CiOO^Ic
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
60 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
lodischen Bogen hineilende Ensembles entscheidende, die dramatische
Peripetie einzig herbeifiihrende Worte und Vorgange einzuflechten, deren
Ausdruck zumeist hastig rezitierenden Mittelstimmen anvertraut wird und
die eben dadurch nicht nur dem Ohr, sondern sogar nicht selten dem Auge
in der Massenaktion, die das Detail verschluckt, entgehen. Eine verhang-
nisvolle Neigung, die ihn urn eine der besten Wirkungen in einem seiner
reinsten Meisterwerke gebracht hat: im 3. Akt des „Othello a verschlingt
das an sich grandios aufgebaute Riesenensemble nach Desdemonas MiB-
handlung die wichtigen Dialoge Jagos mit Othello und Rodrigo, und — von
der mangelnden Motivierung des Spateren abgesehen — das dramatische Uhr-
werk wird scheinbar zum Stillstand gebracht, urn (an einem der bewegtesten
Punkte der Tragodie) der Musik nichts durch sein Hineinticken zu entziehen.
Scheinbar, denn in Wahrheit tickt es doch; aber nicht bemerkbar genug,
um die tragische Spannung zu steigern — und so wird gerade hier die
Musik in all ihrer Pracht ungeduldig als retardierend und weitschweifig
empfunden. Ein Fehler, der bei solch musikatmenden Naturellen wie Verdi
nur zu leicht zu verstehen ist. Und einer, den ihm sein bester Nachfolger,
Puccini, in den ersten Finali der „Manon a und der „Tosca" zu seinem
Schaden abgeguckt hat. In diesem speziellen Fall wirklich: wie er sich
rauspert . . .
Allerdings: vielleicht sind auch diese so vielfach verschlungenen,
musikalisch klaren, aber dramatisch „verfilzten a Partieen noch zu voller
Deutlichkeit zu entwirren. Wenn man ■ sie namlich beim Vortrag weniger
auf bel canto und Tonbildung hin anlegt, sondern auf den diesen Tonen
einzig entsprechenden dramatischen Akzent; so daO eine Art Wortpoly-
phonie der Tonpolyphonie zur Seite gestellt wird, die zu ganz gleicher
Transparenz wie diese durchgebildet werden muD. Was, nebenbei bemerkt,
in gewisser Hinsicht auch von den Einzelgesangen gilt: der Dramatiker
Verdi wird in seiner wilden Echtheit und seinem Impuls erst ganz erkannt
werden, ja vielleicht eine ungeahnte Renaissance erleben, wenn die Sanger
sich nicht mehr einbilden werden, „all' italiana" singen zu miissen, mit
alien Ungezogenheiten falscher rubati, dem Forcieren der hohen Tone, den
schmahlichen, oft noch „aus eigenem" hinzugefiigten Koloraturbravouren,
der Publikumsanbiederung, den Dacapo-Unarten, dem Uberwintern auf will-
kiirlich gewahlten Fermaten. Sondern ausschlieDlich aus der Situation
heraus: dem Seelenzustand, dem Nachzittern des Erlebten und der Erwar-
tung des Kommenden entsprechend. Wenn beispielsweise im „Masken-
ball* Amelias Gesang im 3. Bild:
Presto assai
g^^^g^^BT ci^S^ si
,iir
i r.yC tOOoIc
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SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHN1K
61
und dann:
usw.
nicht in hastigem, gepreCtem Fliistern gesungen wird, mit jagendem und
stockendem Atem, angstgeschuttelt, die Tone keuchend und krampfhaft
hervorgestoDen und plotzlich in rasende Schreie der Verzweiflung aus-
brechend, sondern mit sorgfaltiger Tongebung, metronomhaft virtuos, mit
behutsamer Beachtung aller Kunste des Atems und der Resonanz, so ist
die dramatische Wirkung beim Teufel, und iibrig bleibt nur eine dann
freilich fast unertraglich triviale, von alien Geistern der Kunst verlassene
Musik, und die Geringschatzung, die sie heute noch von ernsten und
kunstnahen Menschen zu erleiden hat, wird durchaus begreiflich. Wahrend
sich bei richtigem Vortrag ein vollkommen glaubhafter, ja zwingender Ein-
druck einstellt; keiner, der den hohen Offenbarungen der ganz Groflen
gleichkommt, aber ein heiOer, gegenwartvoller und menschlich packender.
Freilich gehorte dazu, daO all diese Werke aus der Sinnlosigkeit, der
haarstraubenden Deklamation, dem leichtfertigen Undeutsch und vor allem
aus der Verzerrung gerettet wiirden, die den Originaldramen Verdi's durch
die deutschen Ubersetzer zugefiigt worden ist. Es ware besser, wenn man
am hundertsten Geburtstag des Meisters, der heute so lebendig ist wie
nur wenig andere, statt Denkmaler zu stiften und allerlei mittelmafiige
Feierlichkeiten zu zelebrieren, eine Nationalspende zuwege brachte, die fur
korrekte Auffiihrungen der Werke und fur das Zustandebringen dichterisch
vollwertiger Ubertragungen des dramatischen Worts zu verwenden ware.
Verdi und .sein Werk waren es wert. Nicht nur die drei Meister-
schopfungen, denen langst ihr Rang im Bewufitsein der Gegenwart an-
gewiesen worden ist; auch die vielleicht weniger reinen, dafiir aber noch
reicheren, noch sturmvolleren, von heftigem, rotem, lebendigem Blut durch-
kreisten Schopfungen seiner mittleren Zeit. Denn in dieser Musik liegt
die Gewahr des Bestandigen. Weil sie elementar ist; weil in diesen
Klangen eines Einzelnen ein ganzes Volk singt, die Sonne seines Landes
gluht, die ganze sinnliche Unb&ndigkeit, die aufruhrerische Verwegenheit,
die revoltierende Ungeziigeltheit einer Rasse lebendig geworden ist. Diese
Musik ist oft im ublen Sinn volksmafiig, oft gewohnlichaufdringlich, ja
gemein; und ist selbst dort von einer Kraft und einer Hitze des Atems,
gegen die man wehrlos ist. Wo sie aber ganz der erlauchte und adelige
Ausdruck ihres menschlich so wahrhaften, vornehmen und mannhaft unab-
Jirj
Cioool
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
62 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
hangigen Schopfers ist, hat sie eine Pracht und einen Reichtum, dem
nicht viel Ahnliches zur Seite zu stellen ist; einen Reichtum, der in jeder
Melodie unterwegs noch viel iippigere Bliiten pfluckt als die, mit denen er
auszog. Wie solch eine Melodie einer gliihenden Rakete gleich auffahrt,
steil und stolz, und immer noch unablassig steigend, bis sie sich auf ihrem
Gipfel zu einer niederregnenden Strahlengarbe erschlieCt; oder in weichem,
sanft klagenden Schmachten hinfliefiend, langsam zu einem majestatischen
Katarakt wird — das hat eine ununterbrochene Fiille, eine Schwungkraft
des Bogens, eine Kontinuitat des Einfalls, mit einem Worte: eine Potenz,
neben der fast alles andere ahnlicher Art schwachlich und blaC wirkt.
Die Kunst Verdi's ist nicht von der hohen Art der Beethoven und Wagner,
ist niemals Andacht, Religion, Befreiung. Sie ist ganz diesseits; ganz
irdische Liebe neben jener himmlischen. Die Substanz seiner ganz un-
spekulativen, ganz von den Sinnen kommenden und zu den Sinnen gehenden
Musik ist oft zu verwerfen. Sie ist sicherlich nicht immer „reinlich a
hat oft zuviel Erdenrest. Aber der Brunnen, der diese melodischen
Strahlen emporschleudert, wird von keinem kiinstlichen Pumpwerk gespeist.
Sondern von einer Naturkraft. Und wird deshalb nicht so bald versiegen.
f V^\nl,« Original from
jc r x:u::!::yViUC>^!i UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK
OPER
DERLIN: Saison. Aberaufdem kritischen Wege
" zur allerjungsten Gegenwart stolpere ich bei
ciner Parenthese. Sie umklammert das gela-
tinehafte Erzeugnis „Som me roper". All-
jahrlich im Wonnemond, wenn Herzen weich
werden, recbnet man auch auf die Abschwachung
der Widerstandsfabigkeit gegen theatralisches
Unkraut. Es ist, als habe Berlin im Winter
schwer genug an der Burde des kunstlerischen
Gewissens getragen. Die Mikroben treten ans
Tageslicht. Sonnenschein verkiart sie. Die
Fremden sollen die Kunststadt in ihrer Glorie
schauen. Es gibt auch Berliner Fremde, un-
scbuldsvolle Seelen, die in einem nordlich-sud-
ostlichen Segment gedeihen. Aber selbst fur
Kunstraubritter sind schwereZeiten angebrochen.
Die Mittelstandsoper beengt ihnen den Atem.
Das Deutsche Opernhaus, jene sozial-kunst-
lerische Grundung, die das Gewissen gescharft
hat, spielt bis tief in den Sommer hinein. Und
wir erinnern uns auch, daB just dieses Jahr das
konigliche Haus den Hundstagsschlaf hinaus-
gescboben hat. Trotz alledem erschien die
Schmarotzeroper. Man begreift, daft ihre Frevel-
taten summarisch abgehandelt werden. Aber
die Flecken im Weltstadtbilde durfen nicht
fehlen. Fand sich da der Direktor Hagin aus
Magdeburg bei Kroll ein, begann mit einer Halb-
stegreifauffuhrung der „Meistersinger a , HeB der
Partitur ibren Klangzauber mit alien Mitteln
mangelnder Orchestertechnik austreiben und
schuf die Buhne zu einem Schauplatz von Zu-
fallswirkungen um. Diesem Anfang entsprach
das Weitere. Meist wurde auf Wagner gezielt,
nebenbei auch auf anderes. ^Tristan" soil sogar
bei einem Cello hingesiecht sein. Oasenhaftes
Auftauchen guter und besserer Sanger, wie Eva
v. d. Osten, Frieda Langendorff, Friedrich
Plaschke, Theodor Lattermann, Leonor
Engelhard. Zwischendurch jubilierte Werner
Alberti; nach unverburgten Geruchten war er
gerade (wieder?) auf der Buhne funfundzwanzig
Jahre alt geworden. Man gdnne es diesem Char-
meur der unteren Hunderttausend. Ich streckte
die Waffen und lieB, obwohl das Gestirn Emmy
Destinn heranriickte, diese Sommeroper sich
in den Nebel verlieren. Erfrischungspause. Als
ich wiederkam, hatte die Hagin-Oper ausgelitten.
Dagegen bluhte die Sachse-Oper im Schiller-
Theater O. und beschwor Morwitzens Geist.
Unter uns: ihr Debut Anfang Juli war peinlich.
Aber sie hatte sich bis Ende August bereits
wacker zum Volksopernniveau heraufgespielt,
hatte z. B. mit Lortzings Hausmannskost, mit
Proben groBerOpern und selbst mit einer Neuheit,
Henri F6vriers „Monna Vanna a , aufgewartet.
Der Direktor Leopold Sachse ist wenigstens
nicht ohne Ehrgeiz und Gewissen und sorgt fur
Geschlossenheit. Man kann ihn nun vollig
O.-reif nennen. Auch unter den heutigen er-
schwerenden Umstlnden.
Wintergarnitur. Wir werden Zeugen eines
Wettkampfes zwischen der Vorstadt- und der
Hofoper sein; eines Kampfes mit nicht allzu
ungleicben Waffen. Seltsames ist geschehen:
Melanie Kurt hat sich nach Charlottenburg ent-
fubren lassen. Wir wissen, was sie un£ inmitten.
fliriO;'.;::! :v,- C tOOOI
der allgemeinen Durre bedeutete. Hier ist eine
musikalische Vollnatur, eine Blute, die sich vor
unseren Augen erschlossen hat; Paarung von
Stimme, Instinkt, Verstand, Ehrgeiz, die stirkste
Entwicklungsmoglichkeiten bedingten; verschie-
dene Gattungen der Oper befruchten ihre Ge-
staltungskraft. Nun ist sie groB geworden und
verlaftt drum auch die Stfitte ihres Wachstums.
Der „Fidelio a lebte von ihr; Brunnhilde atmete
ihre Menschlichkeit. Neben ihr marschieren
noch andere Nummern auf. Und was hat uns
die Konigliche Oper zu bieten? Sie gab uns
zunSchst einen „Fra Diavolo", der ein wenig
nach Moder roch. Man hatte sich auf Jadlowker
eingestellt. Er war indisponiert. Die Ouverture
erklingt. Sehr rhythmisch, sehr forsch, mit
einem GewaltschluBeffekt. Urheber war, wie
man feststellte, Kapellmeister Robert Laugs.
Wir wufiten, daB wir wieder einmal uberrumpelt
waren. Er ist von einem Hofwind hierher ge-
weht worden. Aber das soil uns nicht hindern,
ihn vorurteilslos zu betrachten. Kaum daB er
sich offiziell vorstellt, hat er stfirkste Wider-
stande zu uberwinden. Der eingesprungene
Heinrich Hensel, der seinen wohlklingenden
Tenor mit Grazie meistert, wie ein echter
Kavalier einherschreitet, doch ohne banditen-
haftes Draufgangertum ist, bleibt mit un-
erschutterlicher Ruhe bei seiner Unsicherheit
und bei seinen gedehnten Tempi; Laugs, buch-
stabentreu und buhnenfremd, beharrt ebenso
unerschutterlich bei seinem Takt. So entwickelt
sich ein durch mangelhafte Vorproben gesteiger-
tes MiBverstandnis. Doch sollte man sich huten,
den Fall fur ganzlich irreparabel zu halten.
Laugs hat das Format des Drilldirigenten, ver-
steht sein Handwerk und konnte sich zur utilit6
hinaufarbeiten. Bleischwere bei echten Galli-
zismen ist deutscher Grundfehler, nicht nur der
seinige. Auch an dieser Auffuhrung hingen
Gewichte. Es gab Gutes, das sich, von Unzu-
langlichem durchkreuzt, nicht zur Einheit sum-
mierte. Die zwanglosen Obergange vom Wort zum
Ton fehlen. Da stromt von der durch Lieban ver-
ewigten Episodenfigur des Unterbanditen ein
Spruhregen vonKomik auf unsherab: Henkegab
ihn und liefi aus dem Mime-Grund allerlei Ergotz-
liches wachsen: so einen Falsett-Triller, der vir-
tuoser war als der echte, unechte Zerlinens, Birgit
En gel Is (einer sonst gesangstuchtigen, beweg-
lichen Soldatenbraut). Die Komik erstarrte in
dem Englander und seiner noch wesentlich
schlechteren Haifte (Herrn Schultz und
Fraulein Vilmar), hob sich aber ein wenig
durch Knupfers Maske und Behabigkeit.
Famos Philipp als Lorenzo, der bis auf eine
Ermudung am SchluB metallischen Klang auf-
bracbte. Diesem Typ der franzosischen Konversa-
tionsoper stellt zufailig am nachsten Abend das
Deutsche Opernhaus ein Prachtbeispiel der
groBen Operaus denselben dreiBigerJahren gegen-
uber: Hal^vy's J u d i n*. Sie ist durch den Schlen-
drian entehrt und muBteneuaufgearbeitet werden.
Eduard Morike besorgte es peinlich gewissen-
haft. Ich mochte allerdings nicht alles gut-
heifien: so hemmt der wiedererstandene Quartett-
satz im ersten Akt das Tempo der Handlung.
Doch immer hat die Hand eines kunstverstandi-
gen Praktikers uber,4ieser Bearbeitung gewaltet.
1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
64
DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913
Der Partitur sind kleine Lichter aufgesetzt, die
aber dieOrcbesterfarbe Hal6vy's nicht beschatten.
Die ,Judin" ist ein internationaler Wert, weil
sie billigem Judaisieren entgeht, nur den schwer-
mutigen Grundton anstimmt und echten Pathos
voll ist. So stofit man sich nicht allzu-
sehr an Veraltetes. Die Auffuhrung arbeitete
mit den reichen Mitteln und Farben, die schon
in der „K6nigin von Saba a erfreuten. Nur daft
hier noch andere Krafte vorruckten: Melanie
Kurt, eine leidenschaftliche Recha, grofi in ihrem
Schreiten, in alien Bewegungen, mit leichtem
Schwanken der Mittellage, doch mit starkster
Resonanz in der Hone; Heinz Arensen, ein
sehr manierlich singender, von Stereotypem nicht
freier Eleazar; der neue Paul Hansen, ein
Leopold, dessen schone Stiimme meist pariert;
aber er treibt oft hilflose Ubergymnastik. Der
erstaunliche Paradesanger Carl Braun, der als
Kardinal mit seinem Rohmaterial wuchert; Emmy
Zimmermann, eine den Forderungen der Partie
nicht vollig gewachsene Eudora. Aberdas rundete
sich alles. Die sonst gescheite Regie (Felix
Lagenpusch) hStte noch manchen Widersinn
(im II.Akt) zu beseitigen. Dekorationen von Georg
Hartwig&Co. prima, desgleichen das Ballet
mit seiner reizenden Kommandeuse. Morikes
Geist aber zeigte sich allgegenwartig.
Adolf WeiBmann
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
Der Bilderteil dieses Heftes ist ganz dem Andenken Meister Verdi's gewidmet. An-
schlieBend an die bereits fruher veroffentlichten Portrats eroffnen wir ihn mit der
Wiedergabe einer guten Photograph ie. Ihr folgt die im Senatssaal zu Rom auf-
gestellte Buste von Giulio Monteverde sowie eine mit Verdi's Autograph versehene
Photographie aus seinen letzten Lebensjahren. Das nSchste Blatt zeigt den Meisterauf dem
Totenbett, aufgebahrt im Hotel Milan in Mailand. Melcbiorre Dfclfico hat eine groBe Anzahl
guter Karikaturen Verdi's gezeichnet, von denen wir unsern Lesern vier recht ergotzliche vor-
ftibren. Aus seiner Ruhe, in der das erste Bild so kostlich mit dem getreuen w Tenore" auf den
Knieen den Kunstler darstellt, schrecken ihn die vielen Albums auf, die alle auf ein Auto-
gramm lauern. In freundlicherem Gegensatz zu dieser Schattenseite der Beruhmtheit sehen
wir auf dem folgenden Bild die Geldanweisungen aus aller Welt herbeiflattern. Der Ruhm eines
Geisteshelden aber birgt manche Unannehmlichkeit, deren schlimmste eine es ist, die Werke
werdender Genies beurteilen zu mussen; bei dieser TStigkeit zeigt das vierte Bild den Meister
in tiefem Nachdenken.
Dieser Reihe auf Verdi's Personlichkeit bezuglicher Abbildungen folgen einige der
StStten, die durch ihn beruhmt geworden sind. Da ist das einfache Gasthaus in Ron cole, wo
Verdi das Licht der Welt erblickte. Es folgt das Faksimile seiner Geburtsurkunde. Das
Landgut Sant' A gat a hatte Verdi 1849 gekauft und nach und nach zu einem landwirtschaft-
lichen Musterbetrieb umgestaltet. Wir stellen unsern Lesern den Landsitz des Meisters nebst
einer Partie aus dem prSchtigen Park vor. Zum Bau des „Teatro Verdi a in Busseto
spendete Verdi mit dem Versprechen, dafur eine Oper schreiben zu wollen, 10000 Lire.
Um das aufiere Bild des Meisters soweit als moglich abzurunden, bringen wir schlieBlich
noch Faksimilia zweier beruhmter Stellen aus seinen Werken: des Quartetts aus w Rigoletto a
und des Finales des zweiten Aktes der „ATda a ; seine Handschrift zeigt der Brief vom
25. Mai 1874.
Nachdruck nur rait bcsondcrcr Erlaubnis des Verlages gesttttet
Alle Rcchte, insbesondere das der Obersetzung, vorbchalten
FQr die ZurQcksendung unverlangter oder nicht angemel deter AUnutkrlpte, falU Ihnen nicht genQgend
Porto belliegt, Gbernlmmt die Redaktlon kelne Garantle. Schver leserliche Manuskripte werden ungepraft
zarQckgestndt.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin W 57, BulowstraBe 107 1
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
VERDI
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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EIN BRIEF VERDIS
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
DIE MUSIK
HALBMONATSSCHRIFT MIT
BILDERN UND NOTEN
HERAUSGEGEBEN VON
KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
2. VERDI-HEFT
I^W
HEFT 2 • ZWEITES OKTOBER-HEFT
13. JAHRGANG 1913/1914
VERLEGT BEI
SCHUSTERS LOEFFLER* BERLIN W
Olio in al from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
. . . ich mochte, daft der junge Musiker, wenn er sich an seinen Arbeitstisch
setzt, niemals daran dachte, Melodiker zu sein oder Harmoniker Oder Idealist
oder Zukunftler und wie der Teufel auch alle diese Pedanterieen heifien.
Melodie und Harmonie sollen in den H&nden des Kunstlers nur ein Werk-
zeug sein, urn Musik hervorzubringen; und ein Tag wird kommen, da man
nicht mehr von Melodie, von Harmonie, von deutscher oder italienischer
Schule, von Vergangenheit oder Zukunft usw. usw. sprechen wird, — und
dann wird vielleicht das Reich der Kunst beginnen . . .
Giuseppe Verdi
INHALT DES 2. OKTOBER-HEFTES
EDGAR ISTEL: Verdi und Shakespeare (SchluB) III: w Othello"
IV: ^alstaff*
ADOLF BEYSCHLAG: Ober Irrlehren in der Ornamentik der
Musik
MAX SCHNEIDER: Das zweite kleine Bach-Fest in Eisenach
(27./28. September)
REVUE DER REVUEEN: Zu Richard Wagners 100. Geburts-
tag Aus Tageszeitungen (SchluQ)
BESPRECHUNGEN (Bucher und Musikalien) Referenten: Ernst
Neufeldt, Wilibald Nagel, Wolfgang Golther, Georg Capellen,
Emil Thilo, Walter Dahms, Wilhelm Altmann
KRITIK (Oper und Konzert): Berlin, Breslau, Munchen,
Sondershausen, Wiesbaden
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
KUNSTBEILAGEN: Portrat von Verdi; Verdi nach einer Litho-
graphic vomjahre 1845; Verdi nach einemStich von Ch.Geoffroy
(1853); Verdi nach einer Photographie vomjahre 1873; Verdi's
Leichenbegangnis; Verdi-Karikaturen von Melchiorre Ddlfico
(zwei Blatt); Verdi's Handschrift aus dem Jahrel838; Giuseppina
Verdi-Strepponi; Arrigo Boito; Alessandro Manzoni; Antonio
Ghislanzoni; Das Theater San Carlo in Neapel; Inneres des
Scala-Theaters in Mailand
NACHRICHTEN: Neue Opera, Opernrepertoire, Konzerte,
Verdiana, Tageschronik, Totenschau, Verschiedenes, Aus dem
Verlag
NAMEN- UND SACHREGISTER zum 48. Band der MUSIK
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DIE MUSIK erscheint monatlich zweimal.
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:r. i.:!U:
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
VERDI UND SHAKESPEARE
(MACBETH - BR1EFE UBER KONIG LEAR — OTHELLO — FALSTAFF)
VON EDGAR ISTEL IN BERLIN-WILMERSDORF
ScbluQ
UI.
„Othello" 1 )
Des groflen Briten gewaltige Tragodie von der Eifersucht ist vermut-
lich im Jahre 1603 entstanden, am 1. November 1604 vor dem Konig ge-
spielt und erst nach des Dichters Tode im Jahre 1622 gedruckt worden.
Wahrend ein grofier Teil der ubrigen Shakespeareschen Stiicke bald schon
der Opernliebhaberei zum Opfer fiel und mehrfach den Stoff zu Text-
buchern hergeben muBte, hat w Othello* merkwurdigerweise erst zweihundert
Jahre nach seiner Entstehung den ersten Komponisten in Rossini gefunden,
dessen auf ein Buch von Berio geschriebene dreiaktige Oper am 4. Dezem-
ber 1816 in Neapel zur Urauffiihrung gelangte. DaB bei den ganz auBer-
ordentlichen dramaturgischen Schwierigkeiten, die, wie wir noch sehen
werden, die Umformung der „Othello a -Tragodie in ein Opernbuch darbietet,
Rossini's leichtfertiger Librettist derart mit Shakespeare umsprang, daB er
nur dessen letzten Akt kopierte, im ubrigen aber seiner eigenen freien
Erfindung vertraute, darf uns nicht Wunder nehmen und war auch schlieB-
lich — sollte einmal wirklich das Textbuch nur ausgeschlachtet werden —
das gescheiteste. So lfiBt denn beispielsweise Berio 2 ) im ersten Akt seines
Buches die Desdemona im elterlichen Hause zur Verlobung mit Rodrigo
vom Vater gezwungen sein, eine Heirat, der sie sich dann im letzten
Augenblick entzieht, um Othellos Gattin zu werden. Rossini hat lediglich
in dem letzten, Shakespeare nachgeahmten Akte seine Musik zu tieferem
Ausdruck erhoben und hier sogar einige ergreifende Momente zu erzielen
gewuBt. Nur einen wirklich poetischen Gedanken hatte der Librettist: er
lieB im letzten Akt vor Desdemona's Fenster einen Gondolier die beriihmten
Dante-Verse singen:
„Nessun maggior dolore
Che ricordarsi del tempo felice
Nella miseria."
1 ) Dieses hier etwas gekurzte Kapitel entstammt meinem neuen in Bucbform
zu publizierenden Werke „Die Architektur des Opernbuches", in dem sich nach prin-
zipiellen synthetischen ErSrterungen ausfuhrliche Analysen von sechs Opernbuchern
(Figaros Hochzeit, Wildschutz, Des Teufels Anteil, Carmen, Othello, Meistersinger)
finden.
2 ) Der Vergleich der drei „Othello a -Fassungen in des Fursten Valori Buch
w Verdi et son oeuvre a (Paris 1895) ist unglaublich dilettantisch. Valori stellt Berio
uber Shakespeare und Boito!
5*
j ;i :l u-: : )y ^ „-.i)i >^!1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
68 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
,Kein groBerer Schmerz, als sich im Ungluck glucklicher Zeiten zu
erinnern."
Charakteristisch fiir den Geist der Zeit, der auch in Deutschland so
schreckliche Morde auf der Buhne nicht duldete, bleibt, daB auch das
neapolitanische Publikum die Ermordung der Desdemona nicht mochte
und von der zweiten Vorstellung ab einen gliicklichen Ausgang erzwang:
Desdemona beschwort ihre Unschuld, Othello wird geriihrt und beide singen
Rossini's vergnilgtes, aus der „Armida a adaptiertes Liebesduett „Cara per
quest' anima" ! Noch Hanslick hat den Rossini'schen „Othello", wie er im
„Musikalischen Skizzenbuch* berichtet, so auffuhren horen. Rossini's Oper
hat ubrigens Jahrzehnte hindurch Shakespeare's Werk siegreiche Konkur-
renz gemacht und in Boieldieu (der sie fiir dramatischer als Mozarts .Don
Juan" erklartel), Cherubini, Stendhal, Alfred de Musset und Lamartine
eifrige Bewunderer gefunden, namentlich so lange die Malibran (1808 — 36)
als Desdemona glanzte. Tempi passatit
Als Rossini's „Othello* in Szene ging, lebte in dem kleinen lombardi-
schen Stadtchen Busseto bereits ein dreijahriger Knabe, dem es das Ge-
schick vorbehalten hatte, dem Othello-Stoff die endgultige musikalische
Fassung zu geben: Giuseppe Verdi. Aber merkwiirdig, erst im
70. Lebensjahre, gerade in dem Jahre 1883, das Verdi's groflem gleichalte-
rigen Rivalen Richard Wagner den Tod brachte, erst so spat entschloB sich
Verdi zur Komposition des gewaltigen Stoffes. Es ist hier nicht der Ort,
Verdi's kiinstlerische Entwicklung und jene wunderbare Kraft zu schildern,
mit der er gerade vom 70. Jahre an in w Othello* und .Falstaff* zwei
Meisterwerke von unabsehbarem Zukunftswert schuf. Aber eines mufl
gesagt werden : der alte Verdi verschloB sich nicht mehr der — von Wagner
am scharfsten formulierten — Meinung, daB die Dichtung in vieler Hin-
sicht die Gestalt der Musik zu bestimmen habe, und so gelangte er denn
in seinen letzten Werken (von „Aida" ab) zu ganz anderen Opernbuchern,
als er sie bis dahin komponiert hatte. Zudem entwickelte sich sein im Drang
des Schaffens und in der Hitze des Daseinskampfes friiher wenig kul-
tivierter literarischer Geschmack durch ausgewahlte Lekture und vielseitigen
Umgang schlieOlich derart, dafl er es wagen durfte, die Hand nach Shake-
speare's besten Werken auszustrecken, als ebenbiirtiger dramatischer Meister,
nicht mehr als Verunstalter, wie einst im w Macbeth a , und vielleicht sogar noch
in dem projektierten w K6nig Lear". Die Zeit war »erfullet", die dramatische
Musik hatte es gelernt, ohne opernhafte Alliiren ihr eigenes Gut zu wahren,
Verdi war gereift und sah neue Stilmoglichkeiten vor sich — da stieB er bei
der Lekture Shakespeare's, den er immer mehr zu verehren lernte, auf
w OthelIo a , und sein EntschluB stand fest, sich dieses Stoffes zu bemSchtigen. 1 )
J ) Ich verweise auf einen prachtigen Aufsatz Leopold Schmidts: w Verdi als
Zukunftsmusiker" in dessen „Erlebnisse und Betrachtungen". (Berlin 1913.)
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 69
Zu seinem Gluck fand er auch gleich den rechlen Dichter: Arrigo
Boito (geb. 24. Februar 1842 zu Padua), der Sohn eines Italieners und
einer vornehmen Polin, ein namentlich mit deutscher Kultur genau be-
kannter, um ein Menschenalter jiingerer Freund des Meisters, unternahm
es, die Dichtung zu schreiben, und konnte um so mehr darauf Anspruch
erheben, ein mustergiiltiges Buch zu liefern, da er nicht nur als Dichter
und Wagner-Ubersetzer, sondern auch als Dichter-Komponist sich mehr-
fach betatigt hatte (sein Hauptwerk „Mefistofele a erscheint mir allerdings
als eine wunderliche Fehlgeburt). Boito brachte jedenfalls drei absolut
notwendige Eigenschaften mit: genaue Kenntnis der musikalischen Bediirf-
nisse, hervorragende dramaturgische Einsicht und stilvolle Sprachbeherr-
schung . . .*)
Im allgemeinen darf man sagen, daD die Technik Shakespeare's die
Grundlage moderner Dramentechnik ist, wenngleich wir ihn in manchen,
durch seine Biihne bedingten Eigenheiten nicht mehr nachahmen diirfen.
Vor allem ist sein haufiger Szenenwechsel, insbesondere sein standiges
Einschieben ganz kleiner Szenen, fur uns storend. Der modernen An-
schauung entspricht es, soweit das irgend geht, diese kleinen Szenen in
wenige grofie zusammenzulegen. (Wie meisterhaft dies Boito machte, werden
wir noch zu betrachten haben.) Die heutigen Forderungen lauten: weniger
Szenen, straffere Zusammenfassung der Handlung, Ausscheidung alter ent-
behrlichen Details, und diese Forderungen werden fur das Opernbuch noch
strenger als Fur das gesprochene Drama sein. Gustav Freytag meint in seiner
B Technik des Dramas" mit Recht, so bewundernswert und mustergultig
Shakespeare in der aufsteigenden Handlung und in der Katastrophe selbst
sei, so sei doch in manchen seiner Stucke die sinkende Handlung zwischen
Hohepunkt und Katastrophe — also etwa der vierte Akt in fiinfaktigen
Stucken — nicht gleich meisterhaft gestaltet und durch die Gewohnheiten
seiner Biihne eingeengt. „In mehreren der groDten Dramen aus seiner
kunstvollen Zeit zersplittert an diesem Teil die Handlung in kleine Szenen,
welche episodischen Charakter haben und nur eingesetzt sind, den Zu-
sammenhang zu erklSren. Die inneren Zustande des Helden sind verdeckt,
die Erhohung der Wirkungen und die hier so notwendige Zusammenfassung
fehlen.* Freytag fuhrt hier „Lear tt , „Macbeth a , „Hamlet a , „Antonius und
Cleopatra" an, doch scheint mir auch „Othello a ein deutliches Beispiel
dieser Shakespeare'schen Eigentilmlichkeit zu sein, die sich als Oberrest
der alten Gewohnheit, auf der Biihne durch Rede und Gegenrede die
Geschichte zu erzahlen, erklart. Es kommt dadurch manchmal geradezu ein
J ) Die anschlieflenden Auseinandersetzungen uber Shakespeare's Verhaltnis zu
dem vorgefundenen Novellenstoff und die Eigenart der Shakespeare'schen Buhne, aus
der die spezifische Technik des groflen Briten zu erklaren ist, fielen hier auf Wunsch
der Redaktion fort.
• - - . - rVuuilr Original from
i :-j ■;!. ,ul. jy ^ ,uu t V l UNIVERSITYOF MICHIGAN
70 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
nndramstiach-noYellistiscbes Moment in die Werke hinein. Trotzdem ist
es — wie anch Freytag betont — sebr lehrreicb, sicb die kunstvolle Zn-
sammenfflgung seiner Drmmen einmal schemstlsch klar zn machen, wenn-
gleich dag plnnm&Bigp und zweckvolle des Banes vom Dlchter wohl intnitfr
geftinden und nicht durch verstandesmifilge Erwlgnngen veranla&t wnrde.
„Aber die Gesetze fBr sein Scbaffien, m&gen sie nun geheim und ihm
selbst nnbewuflt seine Erfindung gerichtet, oder m5gen sie Ihm «ls erkannte
Regeln die scbSpferische Kraft f&r gewisse Wirknngen angcrcgt hnben, sie
sind flir ans an dem fertigen Verke &beraU deatlich erkennbsr."
Dss Szensrium des „Ofhello a m&ge dies erwelsen.
Erstcr Akt,
Erate Szene. 1 )
Venedig, oiae Stra&e.
A* Redrigo, J ago,
Rodrtgo bat ohne Erfalg um Desdemona geworben und mtcht dem j ago Vorwfirte^
d*B dieter Ibm Ihre bereft* erfolgte beimtlche VennShlung mit Othello verachwiegen
tube. Jagp bebauptet, selbat dadurch uberrascht warden zu mtln. Er bcgrHndet
mlt seiner Zurifckaetzung gegen&ber dem Csssfo seinen tiefwarzelndea Htfi (egeu
den Mohren and erfcllrt, daft er Ihm our dieue, am Vorteil daraae zu Ziehen, aber
Liebe an ibm heachle> am sein Vertrsuen zn gewinnen.
B. V*rige p Brabantlo.
Auf Jagos Anstiftung, urn dem Mohren die .Lost au vcif)ften% weckt RodHgo
Brabantio, und belde bringen den tlten Mann auOer atch dnrth den Bericht fiber die
Entfuhrung seiner Tochter Desdemona. Mit seiner gansen SJppschaft aturst er dutch
die Stadt, urn den Mohren au auchen und umznbringen.
Zweite Szene.
Venedig, eine andere Straits
A. Othello, Jago.
Jago, unter der Maake des Freundes, warm Othello ?or dem mlcbtlgen
Brabantio. Othello, „eua kdnigllcbem BIui*, fBrchtet kelnen Gegner, zumal er in
der Gunst der Signorie fest sitzt.
B- Vorige, Ceasio*
Casalo forderi Othello auf, zum Herzog zu kommen, vermtitlich handle ei
sich urn Cypern,
C, Vorige, Brabantio, Rodrigo und Gefolge.
Brabantlo will Othello mit dem Schwert snr Rede atellen, doch da dleser zum
Herzog entboten lit, will Brabantio dort Klage gegen ibn rorbringen.
Drltte Siene,
Venedig, Senatizjinmer.
A. Herzog, Senatoren*
Beratung fiber einen scbleunlgen KHegazug gegen die turkleclie Flotte bel
Cypern* Othello ala bewibrtester Fuhrer soli den Oberbefehl erhalten.
l ) Ala Szenen aind bier die am gleicben Ort apielenden oder zeitltch dJfflerenxierten
Aktabachnitte von Shakespeare bezeichnet und numerlert, Innerhalb der Szenen
habe ich die wicbtigeren AnftHtte mlt BuchaUben abgeteilt Ich twnutze fur den
ersten Akt teilweiae Bodenstedta Inbaltaangabe.
t ^ I , Original from
^ .OOvK UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 71
B. Vorige, Othello, Brabantio, Cassio, Jago, Rodrigo und Gefolge.
Brabantio unterbricht die Beratung durch die ErklSrung, sein personlicher
Gram sei so uberwaltigender Natur, daft er alle Sorge um das Staatswohl verschlinge.
Er klagt Othello an, Desdemona durch Zaubermittel verfuhrt zu haben; denn dafi
sie ihm freiwillig gefolgt sei, kann er sich gar nicht denken. Othello weist die
heftige Beschuldigung zuruck und verlangt, dafi man Desdemona selbst hore.
WShrend Jago nach dieser geschickt wird, berichtet er den einfachen Hergang seiner
Liebesgeschichte: wie scbon die Erzahlung seines sturmvollen Lebens Desdemonas
Herz gewonnen habe, so dafi er nur durch ihr eigenes Entgegenkommen ermutigt
worden sei, um ihre Hand zu werben. Der Herzog erklfcrte, diese ErzShlung
wurde auch seine Tochter gewonnen haben.
C. Vorige, Desdemona.
Desdemona best5tigt Othellos Angaben. Auf die Frage ihres Vaters, wem sie
in diesem Kreise am meisten Gehorsam schuldig sei, antwortet sie: ihre Pflicht sei
hier geteilt, dem Vater verdanke sie Leben und Erziehung, aber gerade so viel Pflicht
als ihre Mutter ihm gezeigt, als sie seinetwillen den eigenen Vater verlieB, nehme
sie auch ihrem Gemahl, dem Othello, gegenuber in Anspruch. Brabantio erwidert:
„Gott sei mit dir! Ich bin fertig. — Jetzt zu den StaatsgeschSften." Othello erklSrt
sich trotz seiner jungen Ehe bereit, noch in derselben Nacht gegen die Turken aus-
zuziehen, und Desdemona bittet den Herzog, ihrem Gemahl folgen zu durfen. Desde-
monas Bitte wird gewfihrt, und da Othello gleich fort mufi, vertraut er sie der
Obhut Jagos an, um ihm zu folgen. Brabantio gibt Othello die verhangnisvolle
Warnung mit auf den Weg:
„Merk auf sie, Mohr, hast Augen du, zu sehn:
Sie trog den Vater, so mag dir's gescbeh'n!"
D. Jago, Rodrigo.
Rodrigo will sich, verzweifelnd, jemals Desdemonas Gunst zu erlangen, ertranken;
aber Jago weifi ihm klar zu machen, dafi ihre Liebe zu Othello nicht lange dauern
konne. Er beredet Rodrigo, nach Cypern mitzukommen, aber sich tuchtig mit Geld
zu versorgen, dann werde er dort Desdemona schon gewinnen.
E. Jago all ein.
Hier enthullt sich Jagos Schandlichkeit offen: Rodrigo will er nur ausbeuten,
den Mohren aber hafit er wirklich. Als Scheingrund (an den er selbst nicht glaubt)
gibt er an, der Mohr habe ihm seine Frau verfuhrt. Aber auch den Cassio will er
verderben, um dessen Amt zu bekommen. So verknupft er beides: er will dem
Othello, der ihm arglos vertraut, zuraunen, Cassio verfuhre die Desdemona.
Zweiter Akt.
Cypern. Ein offener Platz am Hafen.
A. Montano und Offiziere, spater Cassio.
Nach einem furchtbaren Sturm sp5ht der Gouverneur Montano mit Offlzieren
hinaus, um den Ausgang des Kampfes zu erfahren. Die Turkenflotte ist vom Orkan
vernichtet, und Cassio meldet, er sei von Othello durch den Sturm getrennt worden.
B. Vorige, Desdemona, Emilia, Jago, Rodrigo und Gefolge.
Sie erwarten alle Othello, dessen Schiff erst spater einlSuft. Merkwurdige, von
manchen Kommentatoren beanstandete Unterredung Desdemonas mit Jago, eine Unter-
redung, die aber ganz im Geschmack der Zeit Shakespeare's ist. (Man denke, was
Hamlet alles zu Ophelia sagt.) Fur unser modernes Empflnden wird allerdings der
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
72 DIE MUSrK X1IL 2: 2- OKTOBERHEFT 1913
boldsellg-reiue Charakter Desdemonss hierdurch getrfibt: man mull jedocb die in
dor deutschen Obersetzung nlcht erkennbaren Zoten lm Original veretelien kfonen* 1 }
C. Vorlge, Othello.
Dis Wiederseben Otbellos and Desdemonss nacfa den Stflrmea aelgt tie anf
deal Gipfel det Gl&cfcs. Othello ist so selig, defl er sterben mOchte, deun er flihlt,
grfiftere Sellgkeit sei nlcht mogllcb.
D. J*g&? Rodrigo,
Jago alt suFmerkstmer Zeuge dieser bochpoetischen Szene berecbnet bereft*
den Umschwnng la OthtUos Stimmang, der am so •eblimmer seta rnufi, je hOhcr
vorher seine Tonne itieg, Ei gellugt Him, Rodrigo klar zu macfaen, er komme bet
Desdemona mm weitesten, wean er znnicbtt seinen Nebenbuhler Cassio *us dem
Wege rlume, der momentan bel Desdemona in hoher Gunat stebe.
E. Jago allein,
Hier mtcbt sich Jago wieder ein en neuen Grand vor: er llebe Desdemona,
nicbt bloB sua Usternhelt, send era aus Rache, well Othello EmUlen moglicberweise
verffihrt babe. Nun sol) es Velb urn Weib gehen. Venn dies miBHngt, fall Othello
bla mr Tollbelt eifersficbttg iuf Cassio gemscht werden, deno such Cassio seE
Emilten gefthrlicb* (Man slebt, Jago M eigentlich von Natur ciferefiehriger all
der Mohrl)
Zwelte Scene.
Eine Stra&e.
Ein Herotd proklamlert eln Feat mit Tanz und Freudenfeuer, cm den Unter-
gang der tnrklscben Flotte und Othello* Hochzeit zu felera,
Drltte Szene.
Eine oTfene Halle itn Schlosse.
A. Othello, Desdemona, Cassia und Gefolge.
Freundschaftlicbe Mahnung Otbellos an Cassio, scharfie Vache zu halted nnd
eln gutes Belspiel zu. geben, am Jeder nlcbtlichen Ruhestttrung vorzubeugeitp (Man
sebe, wle eingebend Shakespeare motiviertl) Otbello debt tich mit Desdemona zur&ct.
B. Cassio, Jago,
Jago verffihrt Cassio an einem Trinkgelage, obwobl Cassio betont, wle wenig
Wein er rertrage: nach einem Glaa aei ihm berelti wirr lm Kopf.
C. Jago sllelu*
Entb&llt seinen Plan, den bereits bexechten Rodrigo auf den Cassio tu
hetzen, aobald dieser ein weiteres Glaa getruaken.
D. Jago, Caasto t Montano und Offlxlere.
Jagos Plan gclingt. Caaslo und Rodrigo gereten aneinander, Montano will den
Streit scbllcbten, kommt aber dadurcb setbit in HIndet mit Caaatow Rodrigo wird
von J*go fbrtgeschickt, Aufirubr im Votk xu erregen und die Stunnglocke liuteu in
iisscn (um Otbellos Liebesnacbt an atfirtn and Ibn faerbetzubringen) . . Daneben
spielt er den Beaorgten bei Cassio.
E. Vorlge, Otbello, aplter Deademona.
Othello fragt nach der Urvache dee Linns, stellt die Rube wieder her, Uflt
den verwundeten Montano abMhren end entsetzt den Cassio seines Amies, allerdl&gs
J ) Am schltmmsten ist der Vers:
^Sbe that la wisdom never was so frail*
To change the cod** bead for the salmon's tail*
wobei der Viti in der Zweldeudgkelt von w co6 M liegt
[" ^ y | , Origin al from
^ ,tK ^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 73
mit dem Hinzufugen, dafi er ihn Hebe. Mit der gleichfalls aufgeschreckten Desdemona
zusammen geht er ab.
F. Jago, Cassio.
Cassio, der nur aus Schwache, nicht in boser Absicht gefeblt hat, ist in Ver-
zweiflung, die Ungnade Othellos verdient zu haben. Jago sucht ibn zu tr6sten und
ihm einzureden, dafi durch die ihm so wohlgewogene Desdemona alles wieder gut
zu macben sei.
G. Jago allein.
Er freut sich, wie ihm alles gelingt, denn Cassio, dem er den fur ihn
anscheinend besten Rat gegeben, wird sicher ins Netz gehen, w&hrend Jago anderer-
seits dadurch die schonste Gelegenheit hat, den Mohren auf Cassio eifersiichtig zu
macben. Je mehr sich Desdemona also fur Cassio verwendet, um so schlimmer
wird ihre Sache. „Aus ihrer Gute stride* ich mir das Netz, sie alle zu umgarnen. a
H. Jago, Rodrigo.
Rodrigo macht dem Jago Vorwurfe, daft er fur sein gutes Geld nichts als
Prugel gehabt habe; Jago mahnt ihn zu Geduld, eines sei jedenfalls schon erreicht:
Cassio ist seines Amtes entsetzt.
I. Jago allein.
Neuer Plan: Jagos Frau soil bei Desdemona fur Cassio sprechen, wShrend
Jago den Mohren abseits halten und erst dann dazu bringen will, wenn Cassio bei
Desdemona bittet.
Dritter Akt.
Die ersten drei Szenen dienen dazu, die Ausfuhrung des eben am Schlufi des
Aktes dargelegten Jagoschen Planes zu zeigen.
Erste Szene.
Vor dem Kastell.
A. Cassio, Clown, Musikanten.
Cassio schickt den Clown zu Emilia, nachdem er dem Othello ein StSndchen
hat bringen lassen.
B. Cassio, Jago, spSter Emilia.
Cassio teilt Jago mit, dafi und warum er an Emilia Botschaft geschickt hat.
Jago verspricht Cassio seinen Beistand. Emilia bedauert Cassios Mifigeschick und
versichert, dafi Desdemona daran Anteil nehme. Auf Cassios Wunsch fuhrt sie ihn
zu Desdemona.
Zweite Szene.
Ein Zimmer im Kastell.
Othello, Jago, Offiziere.
Othello bestellt den Jago, nachdem er eine Botschaft ausgerichtet, zu sich auf
die Festungswerke. Diese kleine, eigentlich uberflussige Szene kann nur den einen
Zweck haben, dem Zuschauer klarzumachen, dafi Jago als Begleiter Othellos es
wirklich in der Hand hat, diesen im rechten Moment zur Stelle zu bringen (wie er
dies am Schlufi des vorigen Aktes aussprach) und dadurch das nachfolgende GesprSch
zwischen Cassio und Desdemona als gefahrlich zu bezeichnen.
Dritte Szene.
Im Garten des Kastells.
A. Desdemona, Cassio, Emilia.
Desdemona beteuert dem Cassio, alles daran zu setzen, um ihn wieder mit
Othello auszusohnen. Ein prachtiger Geniezug Shakespeare's, wenn Desdemona die
;i :l u-: : )y ^ „-.i)i >^!1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
74 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
unheilvollen Worte lachelnd ausspricht: „Sei frShlich, Cassio, denn deine Mittlerin
wird ehcr sterben, als enden, dir urn seine Gunst zu werben*. Da Emilia glaubt,
daQ Jago nur aus Freundschaft fur Cassio dessen Angelegenheit sich zu Herzen
genoramen, sucht sie ebenfalls fur ihn zu wirken. Othello und Jago erscheinen in
der Feme, von Emilia bemerkt. Cassio zieht sich im druckenden Gefuhl seiner
Schuld vor ihm zurGck, seine Sache ganz der Vermittelung Desdemonas uberlassend.
Diesen gunstigen Moment benutztjago, der Othello schon von weitem auf die beiden
hingewiesen, urn die Saat des Argwohns in Othellos Herz zu senken.
B. Desdemona, Emilia, Othello, Jago.
„Ha, das gefiUlt mir nicht! a ruft Jago wie unwillkiirlich aus, als sich Cassio
rasch von Desdemona bei Othellos Nahen verabschiedet. Dieser Argwohn des rauhen
Biedermannes, der bis jetzt sich bei Othello stets als Freund Cassios aufgespielt, mufi
auf den harmlosen Othello mfichtig wirken, zumal Jago aufs scblaueste diese Rolle
weiterspielt, urn Othello selbst argwohnisch werden zu lassen, als wolle Jago seinen
Freund Cassio irgendwie decken. Die Wirkung steigert sich, als Desdemona sogleich
Othello mit den warmsten Worten um die Wiederaufnahme Cassios besttirmt. Othello
schlagt — dies ist ein Meisterzug des Dichters — ihre Bitte nicht rundweg ab, zumal
Desdemona ihn daran erinnert, daQ gerade Cassio bei ihr fruher stets warm fur
Othello gesprochen. Doch ersucht Othello seine Gemahlin, diesmal nichts mehr
davon zu sprechen und ihn allein zu lassen. Dadurch fallt er nun vollends in die
H2nde des Schurken Jago.
C. Othello, Jago.
Wie es in diesem Auftritt Jago fertig bringt, den bis dahin kaum argwohnischen
Mohren zu tieferem Mifttrauen zu bringen, ist ein Geniestuck ersten Ranges. Wie
Jago zuerst ganz allgemeine, unverflnglich erscheinende Redensarten bringt, die nur
bezwecken sollen, Othello neugierig zu machen, wie er dann den Othello stuckweise
ihn ausfragen laBt und immer nichts Positives verrSt, bis er schliefllich in den Ruf
ausbricht: w O bewahrt Euch, Herr, vor Eifersucht, dem gruniugigen Scheusal, das
sein Opfer erst quSlt und dann verschlingt" — wie alles dies unter der Maske der
Freundschaft den Othello immer tiefer erregt, gerade weil es allgemeine Redensarten
sind, dies ist ein Meisterstuck. Othello lehnt jeden Verdacht und jede Eifersucht zu-
nfichst ab und betont: „sehen will ich, eh ich zweifle; zweifle ich, Proben; und hab
ich dies, dann bleibt mir nichts, als dies: hinweg zugleich mit Lieb und Eifersucht!"
Nun erst erwShnt Jago den Namen Cassio, und er weist den Othello darauf hin,
zu achten, ob Desdemona die Sache dieses Cassio mit besonders ungestumem Eifer
betreibe. Als einen Haupttrumpf aber spielt Jago gegen Desdemona die Tatsache aus,
daft sie den Vater damals Othello zuliebe tauschte, also auch ihn tauschen konne.
(Man erinnere sich der Warnung des Brabantio im ersten Akt.)
D. Othello allein.
Jagos Worte haben auf ihn tiefen Eindruck gemacht; er halt ihn fur einen „Menschen
von seltner Biederkeit* und gibt Desdemona verloren, die ihn seines Alters und seiner
HaBlichkeit halber wahrscheinlich betruge.
E. Othello, Emilia, Desdemona.
Mit dem Augenblick, wo Desdemona erscheint, sind aber wieder (welch feiner
Zug!) alle seine Zweifel an ihr verflogen: „Ist diese falsch, dann lugt selbst der
Himmel. Ich glaub es nicht". Desdemona fallt sein verandertes Wesen auf. Er klagt
uber Kopfschmerz, sie will ein Taschentuch um seine Stirn binden; es ist ihm zu
klein, und er lafit es fallen.
• - - . - ("ntuil( s Original from
i :-j ■;!. ,ul. jy ^ ,uu t V l UNIVERSITYOF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 75
F. Emilia allein.
Sie bebt das Tucb auf; es ist das erste Liebeszeichen Otbellos an Desdemona;
oft hat Jago schon die Emilia gebeten, es fur ihn zu stehlen, doch hat es Desdemona
nie von sich gegeben. Nun will es Emilia, die nicht weifl, was Jago damit will, es
ihm ubergeben und die Stickerei kopieren lassen.
G. Emilia, Jago.
Emilia zeigtjago das Tuch, fragt ihn aber, was er damit will. Jago entreiBt es
ihr, obwohl ihn Emilia bittet, wenn er's nicht zu wichtigem Zweck brauche, es zuruck-
zugeben, da sonst Desdemona rasend werde, falls sie es vermisse. Jago ersucht Emilia,
sich nichts bei ihr merken zu lassen.
H. Jago allein.
Jago will das Tuch in Cassios Haus verlieren, so daft es Cassio flnden muQ.
Der Mohr spurt schon die Folgen des Giftes, das ihm Jago beigebracht, und das Tucb
soil weiter helfen.
I. Jago, Othello.
Othello ist wutend auf Jago, packt ihn bei der Kehle und fordert Beweise. Jago
erregt seine Phantasie durch scheufiliche Bilder und erzahlt schliefilich, wie Cassio
des Nachts im Traum neben ihm durch verfangliche Reden den Ehebruch mit
Desdemona eingestanden. Aber noch starkere Beweise gebe es: jenes Tuch, das
Othello einst seiner Geliebten gegeben, habe Jago in den Handen Cassios gesehen.
Nun rast Othello vollends, und beide schworen kniend Rache. Othello ersucht den
Jago, den Cassio innerhalb drei Tagen umzubringen; heuchlerisch bittet Jago, der
den ehemaligen Freund betrauert, wenigstens um Desdemonas Leben. Doch Othello
ist entschlossen, auch sie, „den schonen Teufel", zu toten, wenn er ein rasches Todes-
mittel hat. Jago wird an Cassios Stelle Leutnant.
Vierte Szene.
Daselbst.
A. Desdemona, Emilia, der Clown.
Desdemona bestellt durch den Clown Cassio her, da ihr Gemahl ihm verzeihen
wolle. Desdemona fragt Emilia nach dem Tuch; Emilia leugnet davon zu wissen.
Desdemona ist froh, daft Othello von Natur nicht eifersuchtig sei, sonst konnte ihm
das Verschwinden des Tuches Argwohn erregen. (Damit ist gleichzeitig das Nach-
folgende vorbereitet und Desdemonas Arglosigkeit und Ahnungslosigkeit dem Othello
gegenuber dargetan.)
B. Vorige, Othello.
Othello stellt sich harmlos. Desdemona beginnt wieder von Cassio zu reden,
den sie hierherbestellt habe. Othello behauptet, Schnupfen zu haben und bittet um
ihr Taschentuch. Er verlangt, als sie ein anderes gibt, das gestickte. Desdemona
behauptet, es nicht bei sich zu haben. Othello erklart das fur sehr schlimm: es sei
ein agyptisches Zaubertuch seiner Mutter, an das schon die Liebe seines Vaters ge-
bunden war; der Verlust sei ein Ungluck ohne gleichen. Desdemona erschrickt, doch
sie leugnet noch, es verloren zu haben. (Man sieht, es kommt alles hier auf die
Vergeftlichkeit Desdemonas an, die sich nicht mehr erinnert, es zum letztenmal dem
Mohren selbst gereicht zu haben, der es fortschleuderte). Desdemona belugt ihn nun
offensichtlich, als Othello das Taschentuch zu holen fordert. Sie behauptet, das konne
sie, aber sie wolle es nicht, denn Othello wolle sie durch das Taschentuch nur davon
abbringen, weiter fur Cassio zu bitten. Damit hat sie, ohne eine Ahnung zu haben,
den furchtbarsten Verdacht Othellos bestarkt: Cassio und das Taschentuch sind nun
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tV UNIVERSITY OF MICHIGAN
76 DIE MUSIK Xlll. 2: 2, OKTOBERHEPT 1913
fiir ibn unl&sbtr verkniipft Desdemons redet welter von Csssio, Othello h*t nur eine
eimfge Antwort, immer heftlger, dtnuf: »Dts Ttschentuchl". Vfitead gent erdtron
C. DeAdemoiii t Emilli*
EmElIs tbnt nicnt, welches Vcrbingnis drobt, sonst w&rde sie jetztoffien bekennen,
wo dss Ttscbentucb Est. Detdemont gltubt wlrklicb, dtfl ein Ztaber im Tach sei,
drain sei lie fetzt so ungluckllch.
D, Vorige, Csssio, Jtgo,
Csssio bittet wieder am FQrBpnche. Desdemoni ereidert, 4*U lb* Msna so
verindert sei, dtfi mut gelegenere Zeit sbwsrten miltse, docb wollc sie dts mfiglkgitte
tun* Jsgo will til Ibm gehen* well gewill etwts Vlchtiges Voig eltlleu bcL Desdemont
glsubt, dsQ cs Sttttsgeschlfte seien, die ibn beunrubigen, und will ihn tttfs action.
Emilia tbnt, dsQ es *etfer»Gcbtige Grtllen* tind, such obne Grander vie dts oft
so sei. Csssio bleibt slleiu zurfick.
E* Csssio, Blsnct.
Zuftlllg kommt Bisncs diner, Csssio glbt ihr die Tischentuch, dss er bereiti
bet aicb ztt Htuse gpfanden, nnd bittel sie, et ntchzusdckeni Bisncs 1st zwtr cUcr-
s&chtig, well sie dies Tacb far dts Phnd einer neiten Gellebten hilt, docb fug* sie
sEcb, und er venbiedet btld eine Zustmmenkunft mit ibr.
Viertor AM.
Erste Szene.
Cypern, vor dor Citsdelie.
A* Othello, Jtgo.
Jtgo erregt Othello welter darch geschicktes JHsnfivrieren mit Ehebruchsbildern
and Erinnerung sn dtt Tstchcntucn, to dtS Othello In elnem Anftll ton Rsserei in
Ohnmtcht fUlt Jsgo weidet tich en dieiem Anblick.
B. Othello (ohnmlchtig), Jsgo, Ctssio.
Jtgo behtoptet dem Ctssio gegeufiber, Othello btbe einen epileptischen Asftll,
bittet Ihn, slcb eln Weilcben zaruckzuzlehen, er btbe Wlcbtlges spiter mk ibm in sprecnen.
C. Othello, Jsgo.
Othello kommt zu tlcb. Jsgo eralhlt ihn, dstt gertde eben Ctstlo bier gewesen,
den er ffir spiter bcstellt btbe. Iniwitcben mftge slcb Othello reratecken, um selbst
mit eigenen Ohren Csssiot Gestlndnit seines Ehebrucbt in hSren, Othello xieht
slcb zurQck, Jsgo bleibt einen Augenblick tlleln, wlhrend dessen er den Plan tus-
heckt, Ctstlo liber Bitnct zu frsgen and dsdarch den Anscheln za erwecken, tls
iprichen tie Ton Deidemont.
D. Jtgo, Ctstlo.
Hun kommt tin MeEsterstuck der Intrige Jsgot, Er spricbt ltat {dts hefflt:
so, did Othello es bftrt) den Nsmea Deed em ones tas und tern lelse etwts fiber
Bltncs hiuzu, so dsQ Othello Csssios hfihnisches Lschen tuf Dea demons beziehen
mult, ebeaeo wle slles folgende, dss nor von der feilen Dime Btsnee hsndclt.
C. Vorfge, Bisnct*
Bltncs kommt selbst dszu und bringt Ibm dss Tttchentuch wieder. Othello
sieht es in ihrer Hsnd und hSrt, wie teichtfertig Bisncs fiber die mutmsJUiche Von
besltzerln des Taches spricbt, die, wie Bitnct mefnt, eine Eeichtfertige Dime sein msg,
CssbIo eilt Bltncs nsch, nichdem Jsgo noch errshren, dill Csssio bei ihr zu Ntcht
•ein wirdp Othello tritt horror and 1st rssend fiber dts, wss er hflrte and tth. Er
will Desdemont vergiftcn und sle sicbt vorher zur Rede stellen, well tie tonst mit
(" ^ ( \ ( \ tf - Original from
^ ,ul N K UNIVERSITY OF MICHIGAN
1STEL: VERDI UND SHAKESPEARE 77
ihrer SchSnheit ihn umstimmen k6nne. Jago rat, sie im selben Bette zu erwurgen,
in dem sie gcfrevelt habe. Othello findet das sehr gerecht. Jago aber verspricht,
den Cassio um Mitternacht umzubringen. Eine Trompetc verkundet Lodovicos Nahen.
F. Othello, Jago, Lodovico, Desdemona und Gefolge.
Lodovico, der Vetter Desdemonas, kommt als Gesandter des venezianischen
Senats und uberbringt Othello ein Schreiben. Wahrend dieser liest, erkundigt er
sich bei Jago nach Cassio, erfahrt aber von Desdemona, daft Cassio mit Othello zer-
fallen ist, bald jedoch sich mit ihm versohnen werde. Unvorsichtige weitere Be-
merkungen Desdemonas erregen Othello um so mehr, als Cassio in dem Schreiben
zum Nachfolger Otbellos bestellt und dieser abberufen wird. Othello vergiftt sich
soweit, Desdemona zu schlagen, die aber alles mit Engelsgeduld ertrSgt und fortgeht.
Lodovico ist em port und wird in dieser Emporung von Jago noch weiter aufgehetzt
gegen Othello.
Zweite Szene.
Ein Zimmer im Schlosse.
A. Othello und Emilia.
Othello sucht Emilia uber Desdemonens Verh<nis zu Cassio auszufragen,
erfahrt jedoch nichts; Emilia spricht sogar mit W3rme zu ihren Gunsten. Othello
ist uberzeugt, daft sie die Kupplerin zwischen beiden war.
B. Othello, Desdemona.
Othello nennt die vergeblicb ihre Unschuld beteuernde Desdemona eine Hure
und beleidigt aucb Emilia, die er often eine Kupplerin nennt.
C. Desdemona, Jago, Emilia.
Desdemona und Emilia teilen dem Jago diese Beschimpfungen mit; er heuchelt
Mitleid, Emilia aber, die keine Ahnung hat, wer der Anstifter gewesen, ist wutend
auf den Verleumder, weift sie doch selbst, daft sie einst ahnlich bei Jago verleumdet
wurde. Jago versucht indes, Desdemona einzureden, Othello sei nur verletzt, weil
ihn Venedig zuruckberufe; sie solle nur zum Festmahl gehen, das man dem Ge-
sandten bereite, alles werde noch gut gehen.
D. Jago, Rodrigo.
Rodrigo macht dem Jago wieder Vorwurfe; er hat, damit dieser ihm Desdemona
gewinne, alle seine Juwelen geopfert, aber keinen Erfolg gesehen. Jago weift ihn
wieder zu ubertolpcln: er redet dem Rodrigo ein, Othello nehme Desdemona in seine
Heimat, Mauretanien mit, wenn es nicht gelange, ihn hier zuruckzuhalten, und das
konne nur geschehen, wenn man Cassio des Nachts umbringe, sobald er von Bianca
zuruckkehre. Jago will Rodrigo dabei unterstiitzen.
Dritte Szene.
Ein anderes Zimmer im Schlosse.
A. Othello, Lodovico, Desdemona, Emilia und Gefolge.
Othello schickt Desdemona zu Bett; sie moge dort Emilia entlassen, er komme
bald nach. (Othello, Lodovico und Gefolge ab.)
B. Desdemona, Emilia.
Desdemona spricht zu Emilia Todesabnungen aus; sie bat sich ihr Brautkleid
aufs Bett legen lassen. Sie singt ein altes melancholisches Lied von einem ver-
lassenen Madchen, das ihr gerade in den Sinn kommt. Lange Auseinandersetzung
uber Frauentreue, bei der Desdemonas reiner Charakter und Emiliens Zweideutigkeit
hervortritt. Desdemona entlafit schliefllich Emilia.
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78 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
Ffintter Akt.
Erste Szene.
Cypern, eine Strafie.
Jago, Rodrigo, spater Cassio, Othello, Lodovico und Gratiano,
Bianca, Emilia.
Jago und Rodrigo warten den Cassio ab, wobei Jago hofft, daft Rodrigo und
Cassio beide urns Leben kommen. Rodrigo dringt auf Cassio ein, wird aber ver-
wundet, wfihrend Jago aus dem Hinterhalt den Cassio, dessen Panzer undurch-
dringlich ist, ins Bein sticbt. Othello hort vom Balkon herab den verwundeten
Cassio rufen und freut sich, dafi Jago so rasche Arbeit machte. Auf Cassios Rufen
kommen Lodovico und Gratiano, denen sich Jago als angeblich ahnungsloser Freund
zugesellt. Cassio bezeichnet den verwundeten Rodrigo als einen seiner Morder (den
anderen konnte er nicht erkennen), und Jago ersticht unter der Maske der Freund-
schaft fur Cassio den Rodrigo, um den unbequemen Zeugen zu beseitigen. Dagegen
bezichtigt er die ahnungslose Bianca, die das Geschrei herbeigelockt, der Mitwisser-
schaft an dem Mordanschlag gegen Cassio; Emilia, die den Zusammenhang nicht
kennt, sekundiert ihm hierin. Jago schickt Emilia zur Citadelle, um Othello und
Desdemona vom Vorgefallenen zu benachrichtigen.
Zweite Szene.
Schlafzimmer im SchloQ.
A. Desdemona (schlafend), Othello.
Othello ist entschlossen, Desdemona zu toten, wird aber von ihrem Liebreiz
so bestrickt, dafi er sie wiederholt kufit und dadurch aufweckt. Nachdem er erfahren,
dafi sie zu Nacht gebetet, halt er ihr vor, dafi er sie toten werde ihres Vergehens
halber. Er bezichtigt sie des Taschentuches wegen des Ehebruches mit Cassio.
Desdemona beteuert ihre Unschuld und bittet ihn, Cassio selbst zu befragen. Othello
erwidert, dafi Cassio tot sei. Die Tranen Desdemonas um Cassio reizen Othello
wieder aufs neue, er nennt sie wiederum eine Hure und erwurgt sie.
B. Vorige, Emilia.
Die verstorte Emilia berichtet, dafi Rodrigo erschlagen, Cassio aber lebt.
Desdemona hort es noch sterbend und bezeugt Emilien, nicht Othello sei ihr Morder.
Doch Othello bekennt Emilien die Wahrheit und setzt hinzu, dafi Desdemona nach
Jagos Zeugnis Ehebruch mit Cassio getrieben. Emilia bezichtigt Jago der Luge und
schreit um Hilfe,
C. Vorige, Montano, Gratiano, Jago usw.
Emilia stellt Jago zur Rede; dieser behauptet, die Wahrheit gesagt zu haben.
Nun erst erfahrt, nachdem Montano noch seinen Abscheu und Gratiano seine Trauer
ausgedruckt hat, Emilia, dafi Othello das Taschentuch als Schuldbeweis ansah, und
trotzdem Jago das Schwert gegen sie zuckt, bekennt sie die Wahrheit. Othello wutet,
Jago aber entspringt, nachdem er Emilien rasch umgebracht. Montano und Gratiano
verfolgen ihn; es gelingt ihnen, Jago zu fangen und zuruckzubringen. Auch der ver-
wundete Cassio wird hereingetragen. Othello jammert furchtbar um Desdemona
deren Reinheit er jetzt erkennt. Er verwundet Jago — um die Probe zu machen, ob
er ein Teufel sei. Man nimmt Othello das Schwert ab. Jago verweigert weitere Aus-
kunft. Lodovico zeigt einen Brief, den man beim erschlagenen Rodrigo fand: aus ihm
geht hervor, dafi Rodrigo Cassios Ermordung vollziehen sollte; ein zweiter Brief
Rodrigos an Jago war noch unabgesandt da. Nun klart auch Cassio auf, wie er zum
Taschentuch kam; uberhaupt wird Jagos Intrige von Anfang an enthiillt, da Rodrigo
in dem Brief alles deutlich gesagt. Cassio ist jetzt Gouverneur, Jago soil auf Lodo-
vicos Befehl gefoltert, Othello verhaftet werden. Othello aber weifi sich unvermutet
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 79
unter Erinnerung an seine der Republik Venedig geleisteten Dienste zu erstechen.
Er kuBt Desdemona sterbend. Cassio und Lodovico sprechen noch einige uber-
flussige Worte, gewissermaflen als „Verlassenscbaftsgericht", wahrend Gratiano den
tiefen Ausspruch tut: „Ein jedes Wort ist eitel."
Betrachten wir den Aufbau der Shakespeare'schen Tragodie, so werden
wir in mancher Beziehung begreifen konnen, daB Boito seine Oper ur-
sprunglich *Jago" nennen wollte: ist doch das Drama so gestaltet, daB der
nominelle Held, Othello, erst in der zweiten Halfte die Hauptaktion
ubernimmt und bis dahin das „Gegenspiel a , Jago, fiihrt. Ja, man konnte,
wie Hebler richtig bemerkte, die Handlung geradezu derart gliedern,
daB man Othello nur als Objekt der Intrigiersucht Jagos faOt und derart
disponiert:
1. Entschlufi Jagos, Othello eifersiichtig zu machen.
2. Vorbereitung und Ausfiihrung dieses Planes.
3. Hohepunkt des Gelingens.
4. Zunehmende Gefahr fur Jago bei scheinbarem Fortschritt.
5. Katastrophe.
Immerhin bleibt aber zu bedenken, dafl die innere Anteilnahme dem
Othello in viel hoherem MaOe als dem Jago zugewendet bleibt und daher
mit Recht die Tragodie den Namen „Othello a fiihren mufi, wie denn auch
Jago zwar zu schieben glaubt, dabei aber von seinem eigenen Verhangnis
geschoben wird.
Wichtiger noch als diese Frage ist die nach der Exposition im
w Othello a . Man hat Shakespeare mehrfach den Vorwurf gemacht, daO er
die Hauptsache des Stuckes hier erst in der Mitte angehen lasse. Dem-
gegeniiber wurde wieder betont, dafi fur Shakespeare die Hauptsache war,
mit dem, was seine Kommentatoren die Hauptsache nennen, nicht zu fruh
zu kommen. Er hatte die Halfte seiner Arbeit getan, wenn er nur erst
gezeigt hatte, wie ein Mann vom Schlage Othellos fur Jagos Einflusterungen
empfanglich sein kann. Jago darf sich seinerseits nicht iibereilen, sonst
hat er zu befurchten, daB Othello beim ersten Angriff fest bleibt. Statt
des Verdachtes gegen Desdemona und Cassio entstiinde dann leicht einer
gegen Jago selbst, und damit ware sein Spiel von vornherein verloren.
Es kam also alles darauf an, gleich der ersten Einflusterung ihre Wirkung
zu sichern, und hierfiir durfte Shakespeare mit Zeit und Raum nicht
sparen. So bildet denn der erste Akt schon fur sich ein gewissermaCen
abgeschlossenes Ganzes, das fast die Mitte halt zwischen einem gewohnlichen
ersten Akt und einem Vorspiel. Otto Ludwig bemerkt in seinen „Sbake-
speare-Studien" mit Recht, daB zwar der ganze erste Akt sich leicht in
eine Szene hatte zusammenziehen lassen — denn vorzutragen war nur die
Exposition mit wenigem Hin- und Herreden — , daB Shakespeare aber aus
einer Szene drei machen muBte, wenn er seine Charaktere so plastisch
• - - . - rVuuilr Original from
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80 DIE MUS1K XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
hinstellen und alles: Vergangenes, Vorgehendes und Kiinftiges, so durch-
sichtig motivieren wollte. „Und wie er diese Szenen gefuhrt hat, wird
keine Gemutskraft im Zuschauer eine Zusammendrangung verlangen. Wie-
viel unmittelbares sinnliches Leben, wieviel Begegnung mit Othello und Jago,
Brabantio und Rodrigo ware durch Konzentrierung dieser drei Szenen in
eine eingebuOt! Wie ware ein szenischer MaBstab gegeben gewesen, unter
dem die folgenden Akte gelitten hatten! . . . Alles ist nichts als eine in
Handlung verwandelte Exposition. All das bewegte Leben, das Wachrufen
des Alten, sein Aufsuchen Othellos, die Begegnung der beiden sind nichts
als Behelfe der Lebendigmachung der Exposition der Vorgeschichte, der
Charaktere und das Eintiefen der Unnaturlichkeit der MiDehe, und was
aus alledem zur Erweckung der Eifersucht dienen kann."
All dies gilt wohlbemerkt nur fiir das gesprochene Drama. Und
nun lautet die Frage: soil auch die Oper derart kompliziert vorgehen?
Die Antwort kann fiir uns nur heifien: Nein. Je einfacher die Vor-
geschichte, je kiirzer die Exposition ist, urn so wertvoller ist ein Stoff fur den
musikalischen Ausdruck. Dazu kommt noch eines: Shakespeare's Werk
hat fiinf Akte, von denen kein einziger mit Ausnahme des ersten Aktes
entbehrlich ist; lassen sich aber dessen Geschehnisse wirklich abtrennen,
so ist fur unser modernes EmpBnden, dem ftinfaktige Opern immer un-
ertraglicher werden, die unbedingte Notwendigkeit der Streichung dieses
Aktes gegeben — vorausgesetzt, dafi es gelingt, die wesentlichsten Punkte
der Exposition aus ihm herauszunehmen und den nachfolgenden Akten
organisch einzuverleiben. Dies zu bewerkstelligen war ein dramaturgisches
Kunststiick ersten Ranges, aber es ist Boito wirklich gegluckt. Boito hat
einmal Hanslick erz&hlt („Musikalisches Skizzenbuch*), er habe „sich und
Verdi den Kopf zerbrochen, wie dieser erste Shakespeare'sche Akt zu
retten wfire, ohne die Oper zu lang zu machen". Sicherlich war ihm
nicht entgangen, dafi der erste Akt manche fiir den Komponisten gunstige
Situation bot, obwohl gerade hier die von Boito sonst so meisterhaft ge-
wahrte Einheit des Schauplatzes nicht herzustellen gewesen ware. Schliefilich
aber entschied die Erwagung, dafi eben doch vom Standpunkte des Opern-
buches aus diese feineren Motivierungen fiir das nachfolgende entbehrlich
waren. Hanslick meint weiter: „Von dieser Kiirzung abgesehen, ist Boito
nur in der Hinweglassung der beiden Personen Brabantio und Bianca,
dann in einigen bescheidenen lyrischen Zutaten von Shakespeare's Tragodie
abgewichen, deren Fortgang sich fast Szene fiir Szene in der Oper wider-
spiegelt." Das ist ein gewaltiger Irrtum, der den Verdiensten Boitos sehr
unrecht tut. Unser genauer Vergleich wird zeigen, dafi zwar Boitos Worte
meist diejenigen Shakespeare's sind, dagegen die Architektur des Buches
von ihm grundlegend verandert wurde, so dafi jeder Akt seinen einheitlichen
Schauplatz und jede wichtige Aktion ihren ununterbrochenen Verlauf erhielt.
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 81
Durch die Streichung des ersten Aktes fielen der Herzog, Brabantio,
Gratiano und zwei Senatoren fort. Von diesen trat bei Shakespeare spater-
hin nur noch Gratiano auf, den Boito aber zweckmaBigerweise mit dem bei
Shakespeare als Gesandter Venedigs eine wichtige Rolle spielenden Lodovico
vereinigt, was urn so leichter moglich war, als beide Verwandte Desdemonas
sind. Im iibrigen fiel der — schon von Schiller in seiner „Othello tf -Bearbeitung
gestrichene — Narr und die gleichfalls entbehrliche Bianca fort, die indes bei
Boito von Jago dem Cassio gegeniiber zweimal erwahnt wird und in der Be-
lauschungsszene sogar erwahnt werden muDte. Im iibrigen wird Bianca
dadurch leicht beseitigt, daB Boito — was viel wirkungsvoller ist — den
Othello das verhangnisvolle Taschentuch in Cassios eigenen Handen sehen
laflt und auch der nachtliche Streit im letzten Akt fortfallt. Wir werden das
noch im einzelnen betrachten. Wir erfahren bei Boito also iiber die Vor-
geschichte der Ehe Othellos und den Widerstand der Familie (von dem
bereits die Novelle berichtete) gar nichts mit Ausnahme davon, daB Desdemona
den Othello seiner Abenteuer, er sie ihres Mitleids wegen liebte. 1 ) Ganz
ausgeschaltet ist also auch die „Schuld a , die Desdemona ihrem Vater gegen-
iiber auf sich ladt und die dann unter Jagos Argumenten eine Rolle spielt.
Desdemona erscheint bei Boito noch fleckenloser als bei Shakespeare, sie
ist ein wahrer Engel geworden, dem in Jago der leibhaftige Teufel, nicht
etwa nur ein teuflischer Mensch gegeniibergestellt wird. Daher laBt auch
Boito den Jago unverwundet entkommen und verzichtet auf die etwas billige
Vergeltung Shakespeare's. Im iibrigen sind die Charaktere der Tragodie
unverandert geblieben mit Ausnahme Emilias, die veredelt erscheint. Sie
stiehlt nicht das Taschentuch, sondern sie hebt es in Gegenwart Desdemonas
und Othellos, die das nicht bemerken, nur auf, und es wird ihr — ahnlich
wie bei Shakespeare — gewaltsam von Jago, der sie einschiichtert, entrissen.
Ehe wir nun Boitos ersten Akt in seinem Aufbau betrachten, wollen
wir einmal Shakespeare's ersten Akt in seiner Brauchbarkeit fur Boitos
Exposition ansehen. Boito benutzte daraus folgendes:
Erste Szene.
A. Jago, Rodrigo.
Jago erklart dem Rodrigo seinen HaB, weil Othello ihm den Cassio
vorgezogen. (Boito: erster Akt, erste Szene.)
Zweite Szene.
Nichts.
Dritte Szene.
B. Othello, Brabantio, Herzog usw.
Daraus nur die bereits zitierten Verse iiber die Liebe Othellos und
Desdemonas. (Boito: erster Akt, zweite Scene.)
l ) „E tu m'avavi per le mie sventure,
Ed io t'amavi per la tua pieta."
Xlll. 2. 6
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82 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
D. Jago, Rodrigo.
Jago macht Rodrigo klar, dafl Desdemona unmoglich lange den Mohren
lieben konne und er dann alle Aussichten habe. (Boito: erster Akt, erstc
Szene.)
E. Jago allein.
Enthullung seiner schurkischen Absichten (bei Boito verwendet im
zweiten Akt, zweite Szene).
Boito nimmt also die notwendigsten Punkte: Jagos Erklarung seines
Hasses wegen der Zuriicksetzung dem Cassio gegeniiber, seine Uber-
redung des Rodrigo, sich urn Desdemona zu bemiihen (Exposition des
Gegenspiels), und andererseits die Erklarung der tiefen Liebe Desdemonas
und Othellos (Exposition des Spiels) in den Shakespeareschen zweiten
Akt — den ersten der Oper — heriiber, verschiebt aber die Enthullung
der Schurkerei Jagos auf den nachsten Akt (es ist durchaus nicht not-
wendig, dafi wir sofort Jagos wahre Motive kennen lernen; inzwischen
geniigt die Kenntnis seiner angeblichen).
Und nun sehen wir uns den Aufbau der Oper im Verhaltnis zu
Shakespeare an.
Erster Akt.
Eine Hafenstadt auf Cypern.
Ein Platz vor dem Schlosse.
Eine Schenke mit Lauben. Aussicht auf die Hafenwerke und das Meer.
Heftiger Orkan und Gewitter.
Erste Szene. 1 )
A. Montano, Cassio, Jago, Rodrigo, Chor.
Im Gegensatz zu Shakespeare fiihrt Boito — sehr wirkungsvoll fur
den Musiker — den Orkan selbst vor; Cassio, Jago und Rodrigo sind
— ebenfalls im Gegensatz zur Tragodie — bereits auf der Buhne. Des-
demonas Auftreten wird ganz gegen den SchluB des Aktes verschoben
(wegen der Liebesszene). Merkwiirdig ist, daO Boito auch im Gegensatz
zu Shakespeare Desdemona im ganzen Stuck kein Wort mit Jago wechseln
lafit — als sollte ihre Reinheit vor dem Pesthauch des Teufels bewahrt
bleiben. Alle Aufmerksamkeit konzentriert sich so auf die Ankunft des
Othello.
B. Vorige, Othello.
Im Gegensatz zu Shakespeare, dessen Othello hier nur als lieben-
der Gatte erscheint und ganz beilaufig die Niederlage der Tiirken er-
l ) Die Boitosche Szeneneinteilung ist anscheinend nach dramatisch-musikaliscben
Gesichtspunkten erfolgt. Innerhalb seiner Szenen scheide ich wichtige Auftritte durch
Buchstaben aus.
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 83
wahnt, hat Boito Othello als Verkiinder des Sieges auftreten lassen und
ihm personlich das ubertragen, was Shakespeare den Herold in der eigens
eingeschobenen zweiten Szene verkiinden lafit. So schlieDt sich an den
Siegeschor hier gleich ungezwungen das Freudenfeuer an, nachdem sich
das Wetter verzogen. Wahrend der Vorbereitung zum Freudenfeuer haben
Jago und Rodrigo Gelegenheit genug, die Exposition der Gegenhandlung
zu entwickeln. (Othello mit Cassio und Montano ab.)
C. Jago, Rodrigo.
Ungliickliche Liebe Rodrigos zu Desdemona, Aufhetzung Rodrigos durch Jago,
Erklarung seines Hasses gegen Othello und Cassio.
Nun kommt ein sehr geschickter Zug Boitos: er lafit den Jago seinen
Plan, den Cassio trunken zu machen, nicht erst umstandlich entwickeln,
d. h. Jago will es zwar tun, in diesem Augenblick aber wird er durch das
Freudenfeuer und den Chor davon abgehalten (wir mussen annehmen,
dafi seine Worte von dem allgemeinen Larm verschlungen werden).
Doppelter Vorteil: was spater getan wird, braucht nicht erst umstandlich
expliziert zu werden (dadurch wird auch die Spannung erhoht), und der
Chor erhalt Gelegenheit zu einem wirkungsvollen Stuck, dessen Text einer
Symbolik in bezug auf die Haupthandlung nicht entbehrt (die Flammen
symbolisieren die Liebe, ebenso wie auch die Stiirme zu Anfang des Aktes
in gewissem Sinne symbolisch waren).
D- Jago, Rodrigo, Cassio und Offiziere.
Hier wird, ahnlich wie bei Shakespeare, Cassio zum Trinken
von Jago verfiihrt. Dazu hat Boito noch einen ganz ausgezeichneten
Einfall: er lafit den Cassio nur deshalb zum Becher greifen, weil er ein
von Jago vorgeschlagenes Glas auf Desdemonas Wohl nicht ablehnen
will (bei Shakespeare weifi man nicht, warum sich Cassio doch iiberreden
lafit, es ist dort reine Charakterschwache). Jago benutzt bei Boito die Ge-
legenheit, die Cassios Riihmen der Vorziige Desdemonas gibt, um den
Rodrigo ertersiichtig zu machen (bei Shakespeare gelingt dies Jago nicht
ganz recht, weil Jago dort den Rodrigo nur auf die Freundlichkeit auf-
merksam machen kann, mit der Desdemona dem Cassio die Hand reicht).
Dadurch erreicht Boito den doppelten Zweck gleichzeitig: Cassio wird be-
trunken und Rodrigo eifersiichtig gemacht, so dafi die Explosion gut vor-
bereitet ist. Diese erfolgt denn auch, nachdem Jago sein diabolisches
Trinklied (abnlich schon bei Shakespeare) vorgetragen, prompt, als der
betrunkene Cassio von dem hinzutretenden Montano zum Dienst auf-
gefordert wird (wirkungsvoller als bei Shakespeare ist, dafi jetzt erst
Montano kommt). Der Streit wird besser als bei Shakespeare, wo er hinter
der Szene ausbricht, vor unseren Augen durch den Spott des Rodrigo ent-
facht, als Cassio schwankt. Montano mischt sich, um den Streit zu schlichten,
6»
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84 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
ein, wird aber selbst von Cassio (wie bei Shakespeare) angegriffen. Da-
durch wird Rodrigo frei, der nun erst (bei Shakespeare schon friiher) fort-
geschickt wird, um Alarm zu schlagen. AIs der Larm seinen Hohepunkt
erreicht hat, erscheint (groBartiger musikalischer Moment!) Othello.
Zweite Szene.
Vorige, Othello.
Wirksamer als bei Shakespeare, wo Othello erst fragt, was los ist,
tritt er hier mit dem Kraftwort ein: „Hinweg mit den Schwertern." Die
Kampfenden halten ein, die Wolken zerteilen sich nach und nach (Vor-
bereitung der Beleuchtung der Liebesszene!). Othellos Anrede sonst wie
bei Shakespeare. Jagos Auskunft iiber den AnlaC des Streites ahnlich, nur
viel kiirzer, iiberhaupt die ganze Auseinandersetzung sehr knapp. Montanos
Verwundung erregt Othello weit mehr als bei Shakespeare. Da kommt
— ganz wie in der Tragodie — Desdemona, und nun wird in ihrer Gegen-
wart Cassio kurz und bundig abgesetzt (ohne den Zusatz, den Othello bei
Shakespeare macht, er liebe Cassio). Boito laOt Cassios Absetzung mehr
als eine plotzliche Aufwallung Othellos erscheinen und fast durch das
Aufschrecken Desdemonas begrunden (bei Shakespeare ist Cassio gerade
abgesetzt, als Desdemona erscheint, und sie erfahrt jetzt nichts mehr davon).
Othello schickt alle nach Hause; er selbst will hier bleiben, bis es im
Hafen ruhig geworden ist. Dadurch gewinnt Boito, der alles, was weiter
noch in Shakespeare's zweitem Akt erfolgt, in den nachsten Akt verweist,
einen wundervollen AbschluO.
Dritte Szene.
Othello, Desdemona.
Diese fur den Musiker so iiberaus giinstige Szene hat auch dramatisch
ihren hohen Wert. Schon Sonnenthal hatte die treffende Bemerkung ge-
macht, daB ihm in Shakespeare's Tragodie stets ein zartliches Zwiegesprach
zwischen Othello und Desdemona gefehlt habe, das zu den Folgenden
Eifersuchtsszenen zugleich einen freundlichen Kontrast und elne tiefere
Motivierung schaffe. Bei Shakespeare, bemerkt Hanslick ganz richtig,
auDert Othello seine Liebe zu Desdemona nur in einzelnen Worten (diese
hat iibrigens Boito sehr geschickt zusammengestellt: und zwar, wie bereits
gezeigt, aus dem ersten Akt und weiter auch aus der BegruBungsszene
des zweiten Aktes, der bei Shakespeare jede Intimitat abgeht, da selbst
Jago dabei ist). Mit Desdemona allein sehen wir Othello nur als ihren
Peiniger und Morder. In der Oper dagegen bildet das Liebesduett einen
schonen und wohlmotivierten Ausklang des ersten Aktes; seine so innige
SchluDphrase wird durch ihre Wiederholung an Desdemonas Sterbebett
doppelt ergreifend und bedeutungsvoll. Othello und Desdemona gehen,
einander umschlungen haltend, auf das SchloB zu: „ Venus soil uns
j ;i :l u-: :), ^ „-.i)i >^!1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 85
fuhren* singt Othello mit feinem Doppelsinn; denn spat in der Nacht
ist's, und schon beriihren die Plejaden das Meer. Zwar haben die finsteren
Machte schon den dunklen Faden angesponnen, doch ist es ihnen noch
nicht gegliickt, Othellos und Desdemonas Frieden wirklich zu storen: nur
die Nachtruhe ist unterbrochen worden, nicht aber das erst jetzt be-
ginnende Fest der Liebe, und so klingt dieser erste Akt rein und schon
aus. Und doch zittert schon in Othellos aus Shakespeare entlehnten
Worten vom allzugroBen Gliick die geheime Furcht vor unheilvoll drohendem,
unabwendbarem Schicksal.
Zweiter Akt.
Ein ebenerdiger Saal im Schlosse. Eine Wand mit grofien Fensteroffnungen
trennt den Saal von einem weiten Garten. Ein Erker.
Erste Szene.
Jago, Cassio.
Hierher hat nun Boito zweckmaBig die Unterredung der beiden, die
bei Shakespeare noch im vorigen Akte erfolgte, verlegt, und zwar als Eroff-
nung der nachfolgenden Handlung gleich auf denselben Schauplatz wie diese.
(Die Unterredung Jagos mit Rodrigo aus dem vorigen Akt ist von Boito
mit Recht beseitigt; wir werden sehen, daB Boito den Rodrigo von nun
an uberhaupt sehr knapp abfertigt.) Boito nimmt aus Shakespeare's langen
Erorterungen nur das Wesentlichste: Cassios Reue und Jagos Rat, sich an
Desdemona zu wenden, die bald hier mit Emilia im Garten erscheine.
Zweite Szene.
A. Jago allein.
Nun erst kommt die Enthullung der eigentlichen Schurkerei Jagos.
Diese Szene hat ihr Vorbild in den Monologen Jagos im ersten und zweiten
Akt Shakespeare's. Wahrend aber Shakespeare den Jago als echten
Theaterbosewicht alles voraussagen laCt, was er tut, und alles verkiinden
laCt, was er gerade denkt, wahrend also die # Tragodie noch den
Menschen Jago hat, ist hier, wie Boitos Monolog zeigt, ein Teufel
daraus geworden, der mit seinem „Credo a das Heiligste verspottet. Nun
muB man allerdings zugeben, daB hier der deutsche Text viel blasphemischer
als der italienische ist (allerdings auch viel wirksamer) und daB Kalbeck
seinen Jago zu einem .Credo" bringt, das sein Vorbild etwa in den
beruchtigten „schwarzen Messen" des Mittelalters hat 1 ). Wohl ist schon
Boitos Jago eine „Spottgeburt von Dreck und Feuer" im Goetheschen
Sinn, aber was Kalbeck daraus macht — ich will ihn deswegen nicht
l ) Schon Shakespeare laflt aber seinen Jago (II, 3) von einer „TheoIogie der
H61le u (^Divinity of hell") reden.
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86 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
tadeln — geht weit iiber Boitos Kiihnheit hinaus. Ein Vergleich des
Originals mit der Ubersetzung mag diesen grundlegenden Unterschied
zeigen, der nicht nur durch die Notwendigkeit, eine singbare Ubersetzung
zu schaffen, bedingt ist, sondern auch die Grundlagen des Charakters
verandert. Kalbeck sagt iiber den Gegensatz der beiden Jago-Rollen selbst
(Opernabende, Bd. 2) folgendes:
„Bei Shakespeare ist Jago nur das brauchbare und gefugige Werkzeug in der
Hand sittlicher JVUchte, die sich wohl auch zu Zeiten eines Schurken bedienen, um
ihren Willen durchzusetzen. Bei Boito aber wird der elende Geselle zum Meister
der Bosheit und Luge erhoben, zum Herrn der Finsternis und dimonischen Lenker
des Schicksals!*
Und Kalbeck hat diese Umwandlung noch scharfer betont, indem er
das parodistische „Credo" Jagos in eine Verhohnung der Dreifaltigkeit
umwandelte. Man vergleiche:
Boito:
„Credo in un Dio crudel che m' ha creato simile a sfe, e che neir
ira io amo. Da la vilt& d' un germe o d' un atomo vile son nato. Son
scelerato perchfc son uomo, e sento il fonga originario in me. Si! quest'
£ la mia fe ! Credo con fermo cuor, siccome crede la vedovella al tempio,
che il mal ch'io penso e che da me procede per mio destino adempio.
Credo che il giusto b un histrion beffardo e nel viso e nel cuor, che
tutto in lui bugiardo, lagrima, bacio, sguardo, sacrificio ed honor. E credo
1' uom gioco d' iniqua sorte dal germe della culla al verme dell' avel.
Vien dopo tanta irrision la Morte. E poi? La Morte fc il Nulla, e
vecchia fola il Ciel."
Dies bedeutet in wortlicher Ubersetzung (die naturlich nicht
moglich gewesen ware im gesungenen Drama):
„Ich glaube an einen grausamen Gott, der mich ahnlich seiner selbst erscbaften
hat, und den ich im Zorn liebe. Aus der Niedertrachtigkeit eines Keimes oder eines
elenden Atoms bin ich entstanden. Ich bin verrucht, weil ich ein Mensch bin, und
ich fuhle den Urschlamm in mir. Ja, das ist mein Glaube! Ich glaube mit festem
Herzen, wie die junge Witwe glaubt im Tempel, dafi ich das Obel, das ich erdenke,
und das von mir ausgeht, fur mein Geschick erfulle. Ich glaube, dafi der Gerechte
ein Possenschauspieler im Antlitz und im Herzen ist, und dafi alles in ihm lugnerisch
ist, Trfine, KuB, Blick, Opfer und Ehre. Und ich glaube, dafi der Mensch der Spiel-
ball eines ungerechten Schicksals ist vom ersten Keim bis zum Totenwurm. Nach
so viel Spott kommt der Tod. Und dann? Der Tod ist das Nichts, und der Himmel
ist ein altes Marchen.**
Das ist etwas wesentlich anderes als Kalbecks geistvolle, aber
eigentlich die Boitosche Charakteristik ganz umdeutende Ubersetzung:
„lch glaube an einen Gott, der mich zum Affen 1 ) seiner selbst erzeugt. Wehe
ihm, dafi ich*s glaube! Aus einem faulen Keime, Kot oder Staube ward ich geschaffen.
Treu diesem Gotte, mach ich zum Spotte, was dreist mit Ehr und Tugend brustet
l ) Von dieser darwinistisch anmutenden Anspielung stent nichts bei Boito!
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 87
sich. Ja, also glaube ich. Ich glaub* auch an den Sohn, des Vaters Willen hat er
von ihm empfangen, und was er einmal sich gelobt im Stillen, das wird er auch
erlangen. Ich glaub' zum dritten an den Geist des Zweifels, welcher alles erkennt
und jeden Trug des Teufels: Freundschaft, Liebe, Treue mit dem wahren Namen
nennt. Das ist mein Credo. Wir sind des Schicksals Narren und tragen unsere
Sparren bis in das letzte Haus. Uns alien gibt der Tod den Nasenstuber. Und dann
ist es voruber, der dumme Spall ist aus."
Man sieht, Kalbecks Jago ist viel „moderner tt und philosophischer
veranlagt als Boitos etwas gar zu popular-aufklfirerischer Theaterteufel.
B. Desdemona, Emilia, Cassio im Garten, Jago beobachtend
im Erker.
Jago schickt Cassio zu Desdemona (eine von Boito anstelle der ersten
und zweiten sowie des Anfangs der dritten Szene Shakespeare's ein-
geschobene kurze Episode.) Ausgezeichnet ist, daD Boito die Verabredung
Cassios und Jagos und die Ausfuhrung der Fiirsprache bei Desdemona
unmittelbar aneinander reiht — nur durch Jagos Monolog geschieden —
wahrend bei Shakespeare die beiden Szenen weit auseinander liegen.
Dritte Szene.
A. Jago, Othello.
Im Gegensatz zu Shakespeare, wo Jago lange Zeit fur Vorbereitungen
hat, und er also Othello absichtlich im gegebenen Moment heranbringt,
laDt Boito den Othello hier zufallig erscheinen; diesen Zufall aber nutzt
Jago schlau aus, indem er — er hat Othellos Nahen wohl bemerkt —
wie absichtslos das Wort spricht: „Mir geftllt's nicht.* Dies wirkt um
so starker, als Othello sicher glauben muO, dafi Jago ihn nicht bemerkt
haben kann (bei Shakespeare treten Othello und Jago zusammen auf, die
AuGerung Jagos ist also nicht so ganz wirksam). Was nun folgt, ist aus
Shakespeare: Akt drei, Szene drei entwickelt, aber mit wichtigen Anderungen:
bei Shakespeare wird das kaum begonnene Gesprach Jagos und Othellos
durch Desdemona unterbrochen, die inzwischen sich von Cassio ver-
abschiedet hatte; bei Boito bleiben Desdemona und Cassio im Garten,
beobachtet von Othello, und die nach Desdemonas Abgang bei Shake-
speare eintretende Erorterung zwischen Othello und Jago wird unmittelbar
an den Beginn angekniipft. (Fast wortlich aus Shakespeare, nurgelegentlich
gekurzt.) Etwas Neues kommt erst bei jener Stelle, wo Othello Beweise
fordert. Hier laBt Boito eine prachtige, dem Musiker sehr gelegene Er-
findung eintreten : durch die breite Offnung des Hintergrundes sieht man
Desdemona wieder im Garten erscheinen, umgeben von Frauen, Kindern
und Seeleuten, die ihr Blumen und andere Geschenke iiberreichen.
Einige begleiten den Chorgesang mit der Mandoline, andere mit kleinen
Harfen. Dieses liebliche Bild und die ruhrenden Klange entwaffnen
Othello: „Ich dank' euch, siisse Lieder, ihr gebt dem Herzen den alten
Frieden wieder." Jago aber meint: „Wie gut zusammen auch Lieb' und
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
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88 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
Schonheit klingen, den MiCton hinein will ich bringen." (Etwas Ahnliches
sagt Jago an anderer Stelle bei Shakespeare, zweiter Akt, erste Szene,
wenn er Othellos und Desdemonas Zartlichkeit sieht.) Nach Beendigung
des Chorgesanges kiiOt Desdemona einige Kinder aufs Haupt, und die
Frauen kiissen ihr den Saum des Kleides. Sie gibt den Seeleuten eine
Borse. Der Chor entfernt sich. Desdemona kommt, von Emilia geleitet,
in den Saal und geht auf Othello zu.
Vierte Szene.
Othello, Desdemona, Jago, Emilia.
Nun erst tragt Desdemona die Bitte fur Cassio vor, die sie bei
Shakespeare bedeutend fruher vorbringt. Hier werden nun wieder zwei
bedeutungsvolle Auftritte zusammengeschoben, und zwar jene erste
Episode, bei der Othello die Begnadigung Cassios fiir den Augenblick
schroff ablehnt, mit jener Taschentuchepisode, die Shakespeare spater
bringt. Die Zusammenlegung ist vortrefflich als Steigerung: Othello erhitzt
sich immer mehr uber Desdemonas unablassige Bitte, bis sie ihn endlich
fragt, warum er heute gar so streng sei. Er antwortet: „Mir brennt die
Stirne" — und nun ist die Moglichkeit zum Verlust des Taschentuches
gegeben. Besser als bei Shakespeare, wo das Tuch zu klein ist, wirft Othello
ohne weiteres das Tuch zur Erde. Auch das nachfolgende ist nicht nur
dramatisch, sondern auch musikalisch ausgezeichnet angelegt: es entwickelt
sich ein Quartett, das Verdi die Gelegenheit zu scharfster Charakteristik
der vier Personen bietet. Schon Otto Ludwig hatte einmal vom „polyphonen
Dialog* Shakespeare's geredet:
„In solchen Szenen ist das eigentlich dramatische Leben am stSrksten, in
solchen polyphonen Sfitzen, wo sich verschiedene Stimmen in verschiedenen Rhythmen,
jede einzelne mit gehaltener Eigentumlichkeit, begegnen und durchkreuzen. Nur darf
die Zahl dieser verschiedenen nebeneinander gehenden Stimmen die Unterscheidbar-
keit nicht iibersteigen."
Verdi und Boito haben einen derartigen „polyphonen Dialog" hier prachtvoll
ins Musikalische iibersetzt: Desdemona fleht um Liebe, Othello spricht
zweifelnd zu sich selbst (ahnlich wie in dem Shakespeareschen Monolog 11,3),
und wahrend dessen hat Jago eine Auseinandersetzung mit Emilia, die
das Tuch nicht gutwillig herausgeben will, weil sie Boses ahnt, der es aber
von Jago gewaltsam entrissen wird. Jago befiehlt ihr dariiber zu schweigen,
und Emilia, eingeschiichtert von dem Banne des Bosen, wagt nicht zu
widerstreben (auf diese Weise wird Emilias Charakter gegeniiber Shakespeare
veredelt). Othello befiehlt alien fortzugehen. Desdemona und Emilia ab.
Auch Jago tut, als ob er fortgehen wolle, bleibt aber vor der Tiir im
Hintergrund stehen.
• - - . - rVuuilr Original from
i :-j ■;!. ,ul. jy ^ ,uu t V l UNIVERSITYOF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 89
Fiinfte Szene.
Othello, Jago.
Diese Szene folgt ziemlich getreu Shakespeare (dritter Akt, dritte Szene).
Othello wiitet, Jago beschlieflt, Cassio das Tuch in die Hande zu spielen
und Desdemona daraus einen Strick zu drehen, gleichzeitig beobachtet er
Othello, dem er sich mit gut gespielter Biederkeit nahert, um ihn zu
bitten, — nicht weiter daran zu denken. Nun rast Othello gegen Jago,
dann aber wieder gegen sich selbst. Es folgt der wundervolle Abschied
von seiner Kriegslaufbahn (wie bei Shakespeare) und dann — erneuter
Sturm — die Forderung von Reweisen, wobei er Jago an der Gurgel packt
und ihn zu Boden wirft (dieser Zusatz ist von Boito wohl deswegen gemacht,
um dann den SchluO des dritten Aktes der Oper um so wirkungsvoller zu
machen). Sehr geschickt ist auch, daB Boito — im Gegensatz zu Shakespeare —
den Jago dem Othello seinen Abschied anbieten laCt, natiirlich nur zum
Schein. Othello aber faCt wieder Vertrauen zu ihm, — soweit er uberhaupt
noch einem Menschen vertrauen kann. Da nun Othello Beweise verlangt,
erzahlt Jago den Traum Cassios — musikalisch ein Meisterwerk Verdi's —
in einer unseren heutigen Begriffen von Anstand angepaBten Form (bei
Shakespeare mit etwas allzu realistisch-sexuellen Details). Und nun, da
dies Gift gewirkt, folgt — wie bei Shakespeare — der Hinweis aufs
Taschentuch. Othello wiitet nun noch mehr und verbindet sich mit dem
gleichfalls knienden Jago zu einem Racheschwur. Merkwiirdig, daB diese
etwas Meyerbeerische Situation schon genau so bei Shakespeare sich vor-
fand. Selbstverstandlich schlieBt Boito mit dieser effektvollen Situation den
Akt, indemerdie weiteren Geschehnisse des dritten Shakespeare'schen Aktes
teils unterdruckt, teils in den nachsten Akt legt. Auch die Beforderung
Jagos zum Leutnant entfallt hier und wird erst im nfichsten Akt vollzogen.
Dritter Akt.
Der Hauptsaal des Schlosses. Zur rechten ein breiter Saulengang,
der mit einem kleinen Saal in Verbindung steht. Im Hintergrund des
Saales ein Erker mit Balkon.
Erste Szene.
Othello, Jago.
Ein Herold meldet zu Beginn der Szene die Ankunft der venezianischen
Galeere, die die Gesandtschaft bringt. Dadurch wird gleich zu Beginn die
Ankunft Lodovicos vorbereitet (bei Shakespeare tritt Lodovico ganz plotzlich
nach einem TrompetenstoB auf). Hier hat nun Boito mit Geschick die
erste Szene des vierten Shakespeare'schen Aktes ausgenutzt: die Ohnmacht
Othellos ist an dieser Stelle beseitigt — weil sie an den SchluB des Aktes
als Kulminationspunkt gestellt wurde — , und aus der Unterhaltung Othellos
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
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90 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
mit Jago entwickelt sich gleich der Plan, als Falle, in der angeblich Cassio,
in Wirklichkeit aber auch Othello gefangen werden soil. Jago entfernt
sich, um Cassio herbeizubringen.
Zweite Szene.
Othello, Desdemona.
Diese Szene ist gebaut aus Shakespeare III, 4 und IV, 2. Jago hat
dem Othello noch zuletzt eingescharft, ans Taschentuch zu denken, und
nun schutzt Othello (nicht wie Shakespeare: Schnupfen) sein altes Ubel,
Kopfschmerzen, vor, und bittet um ein Tuch. Das Weitere zunachst wie
bei Shakespeare III, 4, nur gekiirzt, mit der drohenden Forderung Othellos
nach dem Taschentuch. Dann springt Boito sehr geschickt sofort hinuber
in die Unterredung, die bei Shakespeare IV, 2 steht: w Sieh mir ins Auge".
Desdemona beschwort ihre Unschuld, doch Othello nennt sie wiederholt
— wie bei Shakespeare — eine Dime. Er notigt sie fortzugehen, dann
kehrt er mit dem Ausdruck tiefster Niedergeschlagenheit zuriick. Psycho-
logisch ist dieser Sprung allerdings wenig gerechtfertigt: bei Shakespeare
geht namlich Othello erst dann so weit, seine Gemahlin mit so fiirchter-
lichen Vorwurfen zu traktieren, nachdem er das Taschentuch bei Cassio
wirklich selbst gesehen hat, wahrend Boito ihn zu diesen rohen Be-
schimpfungen schon vorher greifen lafit. Dafiir sind diese Beleidigungen
allerdings hier zunachst nur unter vier Augen vorgefallen, und als
Steigerung kommt dann die Beschimpfung vor Lodovico und der gesamten
Umgebung.
Dritte Szene.
Othello allein.
Seine Verzweiflung, daC all sein Gliick dahin ist. Ahnlich, wie die
lfingere Betrachtung, die Othello bei Shakespeare in Gegenwart Desdemonas
anstellt (IV, 2). Dramatisch-musikalisch natiirlich geschickter als Monolog.
Vierte Szene.
Jago, Othello.
Jago meldet, daD Cassio da sei. Er zieht Othello schnell in den
Erker im Hintergrund. (Ahnlich wie bei Shakespeare IV, 1, doch be-
deutend abgekiirzt.)
Fiinfte Szene.
Jago, Cassio, Othello (versteckt).
Diese Szene ist ebenfalls entwickelt aus Shakespeare IV, 1. Der
Kniff Jagos, erst laut von Desdemona und dann leise von Bianca zu reden,
ist der gleiche. Die Taschentuchgeschichte ist aber weit geschickter als
bei Shakespeare angelegt. Boito beseitigt Bianca ganzlich, ebenso das
Novellenmotiv des Nachstickens. Jago hat das Tuch bei Cassio unbemerkt
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 91
liegen lassen, und Cassio zeigt es ahnungslos dem Jago, der es so halt,
dafi der lauschende Othello es unbedingt sehen mufi und sich, naher
schleichend und von einer Saule gedeckt, aus nachster Nahe davon uber-
zeugen kann, dafi es wahrhaftig sein Tuch ist. Jagos scherzhafte Be-
merkungen zu Cassio fiber die neue Eroberung des Exhauptmanns und
Cassios leichtsinniges Lachen erhohen Othellos Wut. Nun ertonen die
Lodovicos Ankunft endgultig verkiindenden Trompetensignale (wie bei
Shakespeare), die von Boito ausgezeichnet benutzt werden, urn Cassio zu
entfernen: Jago rat ihm, sich davon zu machen, da Othello hier gleich er-
scheinen werde. Cassio ab.
Sechste Szene.
Jago, Othello.
Ahnlich wie bei Shakespeare IV, 1, nur dafi Boito aus musikalischen
Griinden hier den Empfangschor und die Signale dazwischentonen lafit.
Othello ist entschlossen, Desdemona zu vergiften. Jago rat, sie im Bette
zu erwiirgen, und verspricht Cassio zu beseitigen. Hier nun ernennt erst
Othello, was sehr wirkungsvoll ist, den Jago zum Hauptmann an Cassios
Stelle. x )
Jago rat Othello noch, um Verdacht zu vermeiden, moge er sich mit
Desdemona der Gesandtschaft zeigen. Jago ab, Othello nach dem Hinter-
grunde, um die Gesandten zu empfangen.
Siebente Szene.
Othello, Jago, Lodovico, Rodrigo, Herold. Desdemona mit Emilia.
Wurdentrager der Republik Venedig. Gefolge usw.
Ahnlich wie Shakespeare IV, 1. Abweichend: Desdemona verstandigt
Emilia, die besorgt fragt, kurz davon, dafi Othello unbegreiflich ziirnt.
Lodovico erfahrt ausschliefilich von Jago die Neuigkeit des Sturzes Cassios.
Nun erst mischt sich Desdemona ein, deren Bemerkung Othello reizt.
Othello, der gleichzeitig Cassios Beforderung liest und Desdemonas unvor-
sichtige neue Bemerkung, sie schatze und liebe Cassio, hort, wird nun erst
so wiitend, dafi er sie in Gegenwart aller mifihandelt. Die Steigerung wird
dadurch noch grofier, dafi wir nicht sofort von Cassios Beforderung horen,
sondern — zu allgemeiner Spannung — Othello nur kurz befiehlt: „Man
hole Cassio."
Achte Szene.
Vorige, Cassio.
Diese grofie Ensembleszene ist teils von Boito frei erfunden, teils
J ) Die Chargenangaben schwanken: bei Shakespeare ist Cassio „Leutnant*
(im ursprunglichen Sinne: Stellvertreter), bei Boito „Capo di squadra" (Flottenchef),
bei Kalbeck w Hauptmann".
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92 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
unter Benutzung von Episoden aus Shakespeare IV, 2 (Othello und Des-
demona; Jago, Rodrigo) gestaltet. Der Beginn ist angeregt durch Othellos
letzte Worte bei Shakespeare IV, 1.
Othello verkiindigt zu Rodrigos Arger und Jagos Besturzung, dafi
Cassio an seiner Statt nach dem Befehl des Dogen Gouverneur wird.
Cassio verbeugt sich nur, was Othello als Eingestandnis dessen ansieht,
daO er sich nicht freue. Nun verkiindet Othello, der wahrend seiner
offiziellen Rede fortwahrend wiitende Seitenbemerkungen zu der weinenden
Desdemona macht, dafi er mit Lodovico und Desdemona morgen abreise.
Ein furchtbarer Wutausbruch Othellos: er schleudert das Pergament, das er
vorher gekufit hatte, zu Boden und packt Desdemona so wiitend an, dafi sie
niederstiirzt; sie wird von Emilia und Lodovico mitleidig gestiitzt. Riihrende
Klage der Desdemona, die ihr vernichtetes Liebesgliick beklagt. Nun
kommt das grofie Ensemble, von dem Kalbeck sagt:
„Da platzen gleichzeitig aus alien vier Weltgegenden die Ereignisse und Per-
sonen aufeinander. Othello hat seine Zuruckberufung nach Venedig erhalten und in
der Wut uber Cassios Nachfolgerschaft und Desdemonas vermeintliche Untreue sein
Weib vor aller Augen zu Boden geschlagen. Ein machtig intentioniertes, breit an-
gelegtes polyphones Musikstuck soil die peinliche Spannung losen und die ver-
schiedenen Gefuhle der Anwesenden zum Ausdruck bringen. Rodrigo beklagt die
nahe bevorstehende Abreise der Desdemona, Emilia bewundert die Seelengrofie ihrer
Gebieterin, diese selbst weint dem zerstorten Fruhling ihrer Liebe blutige Tranen
nach, Cassio begegnet der plotzlichen Wendung des Schicksals mit Bangen und
Sorgen, Lodovico, der venezianische Gesandte, spricht seine entrustete Verwunderung
uber das ihm unfafibare Erlebnis aus, und der Chor stellt teilnehmende Betrachtungen
an, bald den Othello verwunschend, bald die Desdemona betrauernd. Damit aber
nicht genug, zettelt der nichtswurdige Jago, nachdem er den Mohren in seinem
mdrderischen Vorhaben bestarkt hat, noch eine neue Intrige mit Rodrigo an, die auf
Cassios Untergang abzielt, — und das alles klagt, jammert, weint, reflektiert, rasonniert,
deliberiert und intrigiert durcheinander, so dafi dem in die Enge getriebenen Zuhorer,
der sich vergebens in dem dreigespaltenen Textbuch zu unterrichten sucht, buchstab-
lich Horen und Sehen vergeht. In der Partitur nehmen stch die zehn Notensysteme
der Sanger vortrefflich aus, und man freut sich beim Anblick der sich ablosenden
und erganzenden, munter wie ein Bienenschwarm wimmelnden Stimmen, aber wehe,
wenn sie losgelassen! Die Generalprobe hat die gefahrliche Wirkungslosigkeit dieses
Ensembles dargetan, obwohl dasselbe aufierst exakt einstudiert war und am Schnurchen
ging; in der Auffuhrung verfiel dann das pompose Stuck, auf welches Verdi offenbar
mit dem Stolze eines volkerversammelnden Fursten herabschaut, zu sieben Achteln
dem mannermordenden Rotstift des Dirigenten.**
Das ist sicher etwas iibertrieben, wenngleich Kalbecks Ausfiihrungen
in mancher Hinsicht nur beizupflichten ist. Insbesondere erscheint es mir
ganz unmoglich, dafi irgend jemand, der das Textbuch nicht genau studiert
hat, wahrend der Auffuhrung auch nur ein Wort von der neuangezettelten
Intrige Jagos, der Rodrigo zum Morde Cassios aufreizt, versteht. Damit
aber wird ein wesentlicher Punkt des letzten Aktes dem Verstandnis
des Horers vollig entzogen. Man unterschatze diesen Nachteil nicht;
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1STEL: VERDI UND SHAKESPEARE 93
wenn iiberhaupt das Buch als Drama aufgebaut sein soil, dann muB
jeder wichtige Punkt dieses Dramas verstandlich werden; dem wider-
spricht aber die Einschachtelung einer wichtigen Intrige in das Getose
eines groBen Ensembles durchaus. Man versteht ja: Boito wollte der
Verabredung zwischen Jago und Rodrigo keine eigene Szene opfern und
glaubte deshalb die Sache innerhalb des Ensembles abtun zu konnen.
Nun tritt ja aber Rodrigo, der iiberhaupt von Boito sehr diirftig skizziert
ist (im Gegensatz zu Shakespeare) weiterhin nicht mehr auf. Da nun
Boito schon sehr frei mit Shakespeare's Handlung verfahren ist, so ware
es vielleicht besser gewesen, diese ganze Intrige zu beseitigen und es
weiter gar nicht aufzuklaren, wie Jago die Ermordung des Cassio plante.
Es hatte geniigt, im letzten Akt zu erfahren, daB ein Mordanschlag
auf Cassio miBlungen ist. Weiterhin ware es — meines Erachtens
wenigstens — fiir Boitos Text viel wirkungsvoller gewesen, im letzten
Akt den Rodrigo selbst auftreten und in Gegenwart der ermordeten
Desdemona reuevoll den Jago bezichtigen zu lassen; dann hatte man ja —
als letzte Schandtat Jagos — anstelle der Ermordung der Emilia einen
Mordversuch Jagos gegen Rodrigo setzen konnen. Ich skizziere dies nicht
etwa, um Shakespeare „verbessern a zu wollen, sondern lediglich deshalb,
weil die komplizierte Shakespearesche Losung fur das Opernbuch nicht
brauchbar ist, der sonst so geschickte Boito aber hier — in der Be-
handlung des Rodrigo — anscheinend nicht das Rechte getroffen hat.
Den von Boito gemachten, von Kalbeck schon gerugten Fehler konnte
man namlich nur dadurch verbessern, daB man die neue Intrige Jagos
streicht und Rodrigo im letzten Akt auftreten laBt. Auch wurde die Er-
mordung des gestandigen Rodrigo vor unseren Augen viel wirkungsvoller
sein als die von Boito beliebte Abstechung hinter der Szene (auch Shake-
speare laBt Rodrigo vor unseren Augen fallen, allerdings auf der StraBe).
Immerhin ware die Ermordung Rodrigos nicht gerade durchaus notwendig,
und ich kann verstehen, daB Boito es vorzog, zum SchluB nur die Leichen
Othellos und Desdemonas, nicht aber — wie das Shakespeare liebt — eine
Haufung von Leichen darzustellen. — Die Szene nimmt ein echt opern-
mafiiges Ende, indem Othello in einem Anfall von Raserei alien Anwesenden
befiehlt, sich zu entfernen, und alle „entsetzt* davon laufen, nachdem
Jago ihnen erklart, daB ein wunderlicher Anfall Othello seiner Sinne
beraube. Auch Desdemona wird von Othello noch schrecklich verwiinscht.
Neunte Szene.
Othello und Jago allein.
Diese kurze Szene findet ihr Vorbild bei Shakespeare IV. 1., wo
Othello ebenfalls nach einem Rasereianfall ohnmachtig wird. Prachtvoll
und echt opernmaBig ist, daB, wahrend Othello ohnmachtig hinsinkt, von
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94 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
drauDen die Siegestrompeten zum Ruhme Othellos erschallen und das
Volk dem Othello huldigt. Sehr „effektvoll", aber durchaus nicht stillos
ist der grandiose Schlufl. Jago setzt seine Ferse auf den Nacken des
leblosen Othello und ruft den in der Feme den „Lowen Venedigs*
preisenden Scharen hohnisch-triumphierend zu: „Da liegt der Lowe!"
Ein Aktschlufl, dessen Wirkung man sich nicht entziehen kann.
Vierter Akt.
Schlafgemach der Desdemona.
Bett, Betstuhl, Tisch, Spiegel und Sessel. — Vor dem Madonnen-
bilde iiber dem Betstuhle brennt eine Ampel. Rechts eine Tur. Es ist
Nacht. Auf dem Tische eine Kerze.
Dieser Akt ist ein Meisterwerk Boito's und Verdi's, einer der
schonsten Akte, die die Opernliteratur aller Zeiten und Volker besitzt.
Kein geringer Anteil fallt hierbei dem Dichter zu, der alles ausschied,
was die Stimmung dieses Aktes irgendwie storen konnte. Hier zeigt sich
deutlich der Unterschied zwischen Shakespeare und moderner Technik.
Shakespeare schliefit seinen vierten Akt mit einer Episode zwischen Desde-
mona und Emilia (voraus geht ein ganz uberflussiger Auftritt Othellos und
Lodovicos im gleichen Gemach!); diese Episode endigt mit dem Abschied
Desdemonas von Emilia. Nun schiebt Shakespeare zu Beginn seines
fiinften Aktes eine grofie, viele Auftritte der verschiedensten Personen
umfassende Szene ein, die die Ermordung Rodrigos und die Verwundung
Cassios als Resultat zeitigt und uns von dem Schicksal Desdemonas vdllig ab-
zulenken droht. Erst zu Beginn der zweiten Szene des fiinften Aktes fuhrt
uns der Dichter ins Schlafgemach Desdemonas. Boito streicht mit einem
kiihnen Federzug die ganze nachtliche Spektakelszene und verbindet jenen
Abschied Emilias unmittelbar mit Othellos Erscheinen im Schlafzimmer
Desdemonas. Dadurch bekommt der vierte Akt der Oper eine wunderbare
Abgeschlossenheit und Einheit, die musikalisch durch das von Shakespeare
bereits eingefiihrte Liedchen vom Weidenbaum noch vertieft wird.
Erste Szene.
Desdemona, Emilia.
Fast ganz wie bei Shakespeare IV, 3. Abweichungen: Desdemona
bittet erst hier, ihr die Brautkleider aufs Bett zu legen. Alles naturlich
viel kiirzer als bei Shakespeare. Das Lied von der Weide wird nicht
durch uberflussige Bemerkungen iiber Lodovico (wie bei Shakespeare),
sondern durch kleine Befehle an Emilia („Beeile dich, bald wird Othello
kommen* usw.) unterbrochen. Die unheimliche Unterbrechung durch den
Wind hat Boito vom Dichter ubernommen, ebenso wie das Brennen der
Augen, was Trfinen bedeutet. Gestrichen ist mit Recht die Auseinander-
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
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1STEL: VERDI UND SHAKESPEARE 95
setzung iiber eheliche Treue, herrlich der Aufschrei Desdemonas, die Emilia
noch ein letztes Mai in der Vorahnung ihres Todes umarmt (nicht bei
Shakespeare).
Zweite Szene.
Dcsdemona allein.
Ein Gebet Desdemonas an die Jungfrau Maria. Von Boito eingeschoben,
veranlaCt durch Othellos Frage (bei Shakespeare), ob Desdemona zu Nacht
gebetet habe. Eine wundervolle Szene fur den Musiker. Desdemona geht
zu Bette.
Dritte Szene.
Othello und Desdemona.
Entspricht im wesentlichen der zweiten Szene des funften Aktes bei
Shakespeare. Hier zeigt sich die Abweichung des musikalischen Dramas
vom gesprochenen am scharfsten. Der englische Dichter muBte den Othello
einen langeren Monolog zur Rechtfertigung seines Mordplans halten lassen;
der Musiker laOt ihn schweigen, um nur das Orchester reden zu lassen.
DaO der schweigende und nur mimisch sich ausdriickende Othello, in
dem Unaussprechliches vorgeht, uns viel tiefer ergreift als der sich und
uns Sophismen vorredende, ist klar.
In der Oper tritt Othello durch eine geheime Tiir ein (was sein Er-
scheinen unheimlicher macht). Er legt einen Sabel auf den Tisch, verweilt
unschliissig, ob er das Licht ausloschen solle, davor, erblickt Desdemona,
loscht das Licht aus, macht eine wiitende Gebarde, nahert sich dem Bett
und bleibt stehen. SchlieClich hebt er den Vorhang auf, betrachtet lange
die schlafende Desdemona und kuBt sie dreimal. Sie erwacht. Die nach-
folgende Unterredung fast ganz wie bei Shakespeare (gekiirzt) bis zum Mord.
B. Vorige, Emilia.
Das Nachfolgende sehr stark gekiirzt, nur die notwendigsten Worte
enthaltend, sonst wie bei Shakespeare. Desdemona stirbt. Die Aufklarung
Emilias und ihr Hilferuf sehr kurz gehalten.
Vierte Szene.
Vorige, Lodovico, Cassio, Jago, spater Montano mit Bewaffneten.
Emilia stellt Jago zur Rede. Sie enthiillt, nachdem sie Jagos
Schurkerei erkannt, alles (die Bedrohung Emilias durch das Schwert und
ihre Ermordung ist gestrichen). Das nachfolgende aufs auOerste zusammen-
gedrSngt: Cassio sagt sofort, daB er das Tuch in seiner Wohnung fand,
Montano (statt Lodovico) bezeugt, daB Rodrigo im Tod ihm Jagos Ranke
enthullte (nicht wie bei Shakespeare ein Brief). Jago entspringt, wird aber
verfolgt (sein Schicksal bleibt ungewiB, wahrend er bei Shakespeare noch
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DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
von Othello verwundet und dann gefangen mit Aussicht auf die Folter vor-
gefiihrt wird). Jetzt erst stiirzt Othello auf sein Schwert, das ihm Lodovico
entreiBen will. Er lafit das Schwert sinken, da es ihm jeder Knabe ent-
reifien konne. „Das ist das Ende der Heldenbahn. O Ehre! Othello war."
Und nun folgt an Stelle des langatmigen Shakespeare'schen Ruhmens seiner
Verdienste um den Staat ein wundervoller Abschiedssang an Desdemona,
deren Reinheit er erkannte. Er zieht heimlich einen Dolch aus dem
Gewande und ersticht sich: „Ich folge dir.* Shakespeare's herrliche Ab-
schiedsworte bilden den SchluB:
„I kiss'd thee ere I kill'd thee: no way but this,
Killing myself, to die upon e kiss.**
(„Ich kuBte dich, dich totend; sei der Schlufl:
Mich selber totend, sterben so im KuQ.")
Bei Boito:
„Pria d' uccirti, sposa, ti baciai. Or morendo sull' ombra in cui mi giacio, un
bacio, un bacio ancora . . . ah! un altro bacio . . .**
Kalbeck:
„Eh den Tod ich dir gab, Liebste, kuflt' ich dich. Nun im Sterben . . . schon
sinkt die Nacht hernieder . . . noch einmal kiifJ ich dich wieder . . . ach! . . . kufi
ich dich wieder!"
Verdi's unsterbliche Tone erinnern an jene Kusse der ersten Liebes-
nacht. Ergriffen schweigen die Anwesenden, denn:
„A11 that's spoke is marr'd."
(Jedes Wort ist eitel.)
So schlieOt der vierte Akt, musikalisch und dramatisch wohl der beste
der ganzen Oper, der Boito's Meisterschaft und Verdi's Genie auf der
Hohe zeigt. DaB Boito's Buch ein Vorbild ersten Ranges ist — meines
Erachtens das beste Buch, das seit dem Tode Richard Wagners geschrieben
wurde, das einzige, das, durchaus auf Wagners Prinzipien beruhend, in
keinem Augenblick von ihm wirklich abhangig ist — , diese Tatsache ist
von deutschen und italienischen Kritikern einstimmig anerkannt worden.
Kalbeck, der Ubersetzer, nennt es „eines der vorziiglichsten Opernbiicher,
die wir besitzen a , und sein Kollege Hanslick meinte: „Boito hat sich in
seiner Bearbeitung des ,Othello 4 als ein feiner literarischer Geist, als er-
fahrener Kenner der Biihne wie der Musik gezeigt und Verse von kraftigem
Wohlklang geliefert.** Wenn er dem gegenuber die Wahl des „Othello a fur
eine Oper nicht besonders gliicklich oder sogar als ihm unsympathisch be-
zeichnet, weil unter alien Leidenschaften die Eifersucht am wenigsten
musikalisch sei, — so konnen wir wohl diese asthetische Professoren-
weisheit durch die Tat Verdi's als widerlegt betrachten. Das, was ein
Hanslick dem Verdi'schen „Othello tt noch vorzuwerfen hatte, ist gerade
das, was wir als „Zukunftsmusik tt erkennen. Wem im „Othello* die
• - - . - ("ntuil( s Original from
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1STEL: VERDI UND SHAKESPEARE 97
schmissigen Melodieen des w Trovatore a fehlen, wer fur die kostliche Milde
und Abgeklartheit dieses Verdi keinen Sinn hat, dem ist nicht zu helfen.
Merkwurdig, daB solch unsinnigem Urteil auch franzosische Kritiker (z. B
in der Revue hebdomaire, 1894) beistimmten: „Othello est un drame superbe,
une 6tude de passion admirable, mais c'est un sujet lyrique trfcs mediocre;
on peut dire, la sc&ne de la mort de Desdemona mise k part, qu'il est
absolument antimusical." Demgegenuber ist es erfreulich zu sehen, wie
die Italiener Carlo Perinello und Gino Monaldi in ihren Verdibiographieen
Boito in Schutz nehmen. Durchaus das Richtige scheint mir vor allem
Monaldi zu treffen, wenn er meint:
„Das Libretto des ,Othello* gehort nicht mebr der halbliterarischen Art der alten
Operntexte an, die im Grunde nur die Plattform des Musikers waren — wie Wagner
sagt das Feld, auf dem er sein Genie zu freier Ausubung bringen konnte. Der ,Othello'
Boito's ist eine Leistung, mit der der Dichter sich wirklich als Mitarbeiter an dem
Kunstwerke des Musikers betfitigt; es ist die dramatische Komposition, die ersonnen
und niedergeschrieben worden ist, um von Bucbstabe zu Bucbstabe in bestandiger
Beruhrung mit der Musik zu bleiben und dichterisch in ihr aufzugehen."
Und nun genug von „Othello a , sonst behalt der alte Verdi recht, der
humoristisch ausrief: „Oh! i Tedeschi! i Tedeschi! Per ogni zampa di pulce
o di moscaun volume di trecento pagine!" („0, die Deutschen, die Deutschen!
Fur jedes Floh- oder Muckenbein ein Band von 300 Seiten!")
IV.
„Falstaff"
Es war im Jahre 1890, als der 77jahrige Verdi bei einem Gastmahi
im Hause Ricordi von seinem Librettisten Boito einen Trinkspruch erhielt,
in dem er ihn zur baldigen Geburt des „Dickwanstes" begluckwunschte.
Wenige Tage spater schrieb Verdi auf eine Anfrage des Marchese Monaldi
diesem folgendes:
„Es sind vierzig Jahre her, daB ich eine komische Oper zu schreiben wunsche,
und funfzig Jahre, daQ ich die ,Lustigen Weiber von Windsor* kenne; indes ... die
gewohnten ,Aber% die sich uberall einstellen, haben sich stets meinem Wunsche wider-
setzt. Nun hat Boito alle die ,Aber* beseitigt und fur mich eine lyrische Komodie
geschrieben, die sich mit keiner anderen vergleichen lafit. Es macht mir Vergnugen,
die Musik dazu zu schreiben, ohne irgend einen Entwurf, und ich weiB auch nicht,
ob ich damit zu Ende kommen werde. Bemerken Sie wohl: es macht mir Vergnugen.
Falstaff ist ein boser Geselle, der schlimme Streiche aller Art macht . . . aber unter
einer belustigenden Form. Er ist ein Typus! Sie sind so selten, die Typen! Die
Oper ist rein komisch. Amen — a .
In diesen wenigen Zeilen liegt alles, was Verdi veranlaOte, im hochsten
Greisenalter noch eine musikalische Komodie in Musik zu setzen, — hatte
er sich doch seit seiner verungluckten Jugendoper B I1 finto Stanislao" aus-
schlieClich der tragischen Muse verschrieben gehabt, Aber der Gedanke,
XIII. 2. ..-..- 7
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d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
98 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
doch einmal seiner heiteren Laune die Zugel schieBen zu lassen, reizte ihn
stets. Scherzend sagte er im Jahre 1879 zu Filippo Filippi, eine komische
Oper von ihm werde wohl recht lustig sein, wenigstens bevor sie auf-
gefuhrt wurde, und dies scbien wie ein Mangel an Selbstvertrauen zu
klingen. Indes der Hauptgrund, warura sicb Verdi nicht fruher zu einem
heiteren Werk entschloB, lag darin, daB er kein geeignetes Textbuch erhalten
konnte; und daB gute komische Bucher noch seltener als gute tragische
sind, diese Erfabrung blieb auch ihm nicht erspart. So ging denn endlich der
fast Achtzigjahrige frohgemut ans Werk und schuf etwas, das einzig in
seiner Art dasteht. Um sich uber den Wert der .Falstaff'-Partitur, die nicht
die blendenden Vorzuge der Nicolaischen Musik hat, klar zu werden, bedarf
es freilich des gereiften Urteils. Als ich vor etwa zehn Jahren in meinem
kleinen Buch „Die komische Oper* Nicolais Werk etwas gar zu sehr auf
Kosten Verdi's lobte — ich hatte damals nur den Klavierauszug des „Fal-
staff* gekannt und weder die Partitur noch eine Auffiihrung des Werkes
gesehen 1 ) — schrieb mir Richard StrauD nach der Lekture an den Rand:
„Die ,Lustigen Weiber* sind eine hiibsche Oper, der ,Falstaff* aber
eines der groCten Meisterwerke aller Zeiten." Ich halte auch heute
noch dies Urteil beziiglich der .Lustigen Weiber", die gewiG den v Rosen-
kavalier" noch lange uberleben werden, fur ungerecht, muB aber bekennen, all-
mahlich StrauB' Urteil iiber „Falstaff* als durchaus angemessen gefunden zu
haben, nachdem ich dieses Wunderwerk wirklich genau kennen gelernt
habe. Uber den Wert der Partitur hier eingehend zu sprechen, hieBe
Eulen nach Athen tragen. Das Verhaltnis des vokalen Teils zum instru-
mentalen, der Ubergang von der geschlossenen zur freien Form, die
Charakterisierungskunst und die Technik der Ensembles kdnnten allein zu
langen Erorterungen AnlaB bieten. Und dazu brauchte man wieder eine
Fulle von Notenbeispielen, ja, am besten die Partitur selbst, Begnugen
wir uns also damit, zu eingehendem Studium der Musik aufzufordern, und
beschranken wir uns hier auf das dramaturgische Problem, wie Verdi und
Boito sich des englischen Lustspieles auf ihre Art bemachtigt haben.
DaB „Die lustigen Weiber von Windsor* oder „Sir John Falstaff",
wie der Titel des Shakespeare'schen Stuckes lautet, einen ausgezeichneten
Opernstoff abgaben, ist friih schon bemerkt worden. 2 ) Von alien Vor-
gangern Verdi's kann uns aber einzig nur Nicolai interessieren, weil dessen
1 ) Verdi zu Pizzi: w O, von Falstaff kann man sich am Klavier unmoglich einen
Begriff machen! Man muB ihn boren. Ich habe da ein sehr leichtes Orchester ge-
macht. Manche Pianissimopassagen kommcn auf dem Klavier ganz wirkungslos her-
aus. Ubrigens geht alles aus dem Ensemble hervor, das man auf dem Klavier nicht
erhalten kann, weil die Oper in den Klavierauszugen verdorben ist.* 4
2 ) Vgl. den trefflicben Aufsatz von G. R. Kruse: w Falstaff in vier Jahrhunderten*
( w Die Musik" 1907, Heft 20 ff.) sowie dessen Opernbuch (Reclam No. 4982) zu Nicolais Werk.
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 99
Oper wirklich noch lebt und in ihrer dramatischen Anlage ein interessantes
Gegenstiick zu Boito's Buch bildet. Ohne einen eingehenden Vergleich der
beidcn Opernbiicher durchzufuhren, wollen wir doch kurz feststellen, worin
sie sich gleichen und worin sie abweichen. Von den Personen Shakespeare's
fehlen sowohl bei Nicolai wie bei Verdi der Friedensrichter, der Pfarrer und
die zahlreichen Diener, von denen Verdi allerdings das Gaunerpaar Pistol und
Bardolph sowie den kleinen (stummen) Pagen Robin beibehalten hat; Bardolph
und Pistol spielen sogar eine ziemlich wichtige Rolle bei Verdi. Die Haupt-
personen sind im ubrigen in beiden Opern gleich (abgesehen davon, daO
Verdi die englischen Namen beibehSlt) mit folgenden Ausnahmen: der ^Junker
Sparlich" fehlt bei Verdi ganz und wird als Rivale Fentons ausschlieBlich
durch Doktor Cajus ersetzt, der indessen bei Verdi nicht als Franzose
erscheint. Ferner fehlt bei Verdi der Mann der Frau Reich (»Page*). Be-
deutungsvoll ist ferner die Anderung, daft die B suBe Anna" (Nannetta) bei
Verdi die Tochter der Frau Flut (Ford) ist, Herr Flut (Ford) also gleich-
zeitig als Tyrann gegen Frau und Tochter erscheint. Die Frau unterstiitzt
infolgedessen auch die Liebschaft der Tochter mit Fenton, wahrend bei
Shakespeare und Nicolai Mann, Frau und Tochter jeder seinen eigenen
Heiratskandidaten hatte, von denen natiirlich der Erwahlte der Tochter
(Fenton) siegt. Bei Nicolai fehlt dagegen die Frau Hurtig (Quickly), die
bei Shakespeare Haushalterin des Dr. Cajus ist, bei Verdi nur als
Freundin der Frauen Alice und Meg (Flut und Reich) erscheint, im ubrigen
aber die gleiche Rolle wie bei Shakespeare als Liebesbotin bei Falstaff
spielt. Shakespeare, der bekanntlich die Figur des Falstaff zuerst in seinen
beiden Konig Heinrich IV. - Dramen episodisch verwendet hatte 1 ) und
dann auf Wunsch der Konigin Elisabeth, die Falstaff verliebt sehen wollte,
die Komodie der lustigen Weiber entwarf, hat den possenhaften Stoff in funf
Akte eingeteilt, die wieder in zahlreiche szenische Verwandlungen zerfallen.
Urn diese Abhandlung nicht allzusehr anwachsen zu lassen, mochte ich hier
nicht das Szenarium Shakespeare's wiedergeben, sondern auf die Lektiire
des Lustspiels selbst verweisen, das ja recht ubersichtlich gebaut ist. Es
genuge, kurz festzustellen, wie das Nicolaische Textbuch die Handlung ver-
einfacht. Nicolai streicht den ganzen ersten Akt Shakespeare's und gewinnt
damit einen iiberaus frischen Anfang. Nachdem so Falstaffs frecher Streich
und unmittelbar darauf die Geschichte der drei Freier exponiert worden, geht
Nicolai mit szenischer Verwandlung direkt auf Shakespeare III, 3 iiber,
ebenfalls ein kiihner Sprung, der aber durchaus vorziiglich wirkt. Am
Schluft des 1. Aktes ist also Falstaff im Waschkorb entkommen. Der
*) Verdi zu Pizzi: „Ich schreibe keine Opera buffa, sondern stelle einen Typus
dar. Mein Falstaff ist nicht nur der aus den , Lustigen Weibern* Shakespeare's, wo er
nur ein SpaBmacher ist und sich von den Weibern prellen laBt, sondern so, wie er
in den beiden Heinrich-Dramen war. Boito hat das Buch ganz in diesem Sini\e entworfen.* 4
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
cV UNIVERSITY OF MICHIGAN
100 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
Anfang des 2. Aktes spielt (wie Shakespeare III, 5) in der Schenke und
verlauft ahnlich wie die Shakespearesche Szene. Wahrend aber Shake-
speare damit seinen dritten Akt schliefit, verwandelt Nicolai die Szene in
den Garten, um die Liebesgeschichte der Anna, die bei Shakespeare sehr
skizzenhaft behandelt ist, ausfiihrlicher darzulegen. Eine weitere Verwand-
lung fiihrt wieder in Fluts Haus, wo sich die bei Shakespeare IV, 2
behandelte Szene abspielt. Falstaff entkommt als dickes Weib verkleidet.
Damit schliefit Nicolais 2. Akt. Die Ahnlichkeit der beiden Finale wirkt
sehr ungiinstig.
Der dritte Akt Nicolais beginnt in Reichs Hause, wo die Verab-
redungen fur den Mummenschanz getroffen werden (ahnlich Shakespeare
IV, 4). Dann folgt Verwandlung, der Park von Windsor, wo sich die
Handlung des Schlusses nach Shakespeare V, 5 abspielt.
Meist geschickter, mehr Shakespeare folgend, und dabei doch stark
vereinfachend, hat Boito die Handlung angelegt, dessen Textbuch mit Aus-
nahme des Beginnes dem Nicolais sehr iiberlegen ist. Boito teilt die
Handlung ebenfalls in drei Akte ein, von denen jeder Akt wieder in zwei
HMlften (je eine szenische Verwandlung) zerfallt.
Erster Akt.
Erste Haifte: In der Schenke.
Beginn ahnlich wie Shakespeare I, 1 (doch ist der Schauplatz bei
Shakespeare zu Beginn auf der Strafie). Statt des Friedensrichters und
Sparlichs beklagt sich nur Cajus iiber die Missetaten Falstaffs und seiner
Diener. Dann folgt eine Auseinandersetzung zwischen Falstaff und seinen
Dienern (nach Shakespeare I, 3); eingeschoben ist der Monolog Shake-
speare's fiber die Ehre aus Heinrich IV., ein ubermafiig langes, durchaus
entbehrliches Stiick, das die schon ohnehin wenig witzig gehaltene erste
Haifte dieses Aktes unertraglich dehnt. Statt des Dieners Nym ist hier
Bardolph verwendet. Falstaff jagt beide Diener davon.
Zweite Haifte: Vor Fords (Fluts) Haus.
Diese zweite Haifte des Aktes macht reichlich wett, was die erste
versaumt hatte. Es erscheinen die vier Frauen mit den beiden Briefen
(Shakespeare II, 1), dann die vier Manner Ford, Fenton, Bardolph, Pistol.
Die davongejagten Diener verraten Ford Falstaffs Plan. Unabhangig von-
•einander beschliefien die Manner sowohl wie die Frauen Rache an Falstaff
(entzuckende Ensembleszenen); dazwischen ist eine Liebesszene zwischen
Fenton und Nannetta sehr geschickt eingeflochten. Szenisch und musi-
kalisch ein Meisterwerk.
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 101
Zweiter Akt.
Erste Halfte: In der Schenke.
Diese Szene verlauft ahnlich wie Shakespeare II, 2. Die Diener
kehren reumiitig zu Falstaff zuruck; Frau Quickly erscheint als Liebes-
botin; Monolog Falstaffs; dann kommt der verkleidete Ford, urn Falstaff
auszuspionieren; dazwischen ein Monolog des sich betrogen glaubenden
Ford; schlieBlich Ford und Falstaff anscheinend als beste Freunde ab.
Zweite Halfte: Im Hause Fords.
Entspricht Shakespeare's III, 3. Umstandlichere Vorbereitungen der
vier Frauen, um Falstaff zu prellen. Exposition der Absicht Fords, seine
Tochter dem Dr. Cajus zu geben, wogegen die Mutter der Tochter recht
gibt. Falstaffs Erscheinen. Unterbrechung durch die Frau Quickly, die
Meg (Frau Reich) einfiihrt. Ford und die Manner kommen und durch-
suchen das Haus, wahrend Falstaff hinter einen Wandschirm gefliichtet ist.
Nun erst wird er in den Waschkorb gesperrt. Eingeschoben : Liebesszene
zwischen Fenton und Nannetta, die sich hinter besagtem Wandschirm
kussen und dabei von Ford erwischt werden. Sehr komische Uberraschung
Fords, der seine Frau und Falstaff dort vermutet hatte (man hort in einer
Generalpause einen lauten Kufi !). Die Manner wiitend ab zu weiterer
Jagd auf Falstaff, wahrend die Frauen von den Dienern den Waschkorb
zum Fenster hinaus in die Themse leeren lassen. Ford kommt dazu und
laBt sich von seiner Frau durchs Fenster den im Wasser kugelnden dicken
Ritter zeigen. Allgemeine Heiterkeit. Ein ausgezeichnetes Finale, viel
geschickter aufgebaut als das Nicolaische. Der Gedanke, den Waschkorb
vor den Augen der Zuschauer durchs Fenster auszuleeren, gehort zu
den ergotzlichsten, eines Shakespeare wiirdigen Einfallen, — aber selbst
Shakespeare hatte diesen Einfall nicht. Die Bestrafung Falstaffs wirkt natiir-
lich kraftiger, wenn wir sie mit eigenen Augen sehen, als wenn wir davon
nur reden horen.
Dritter Akt.
Erste Halfte: Vor der Schenke.
Ist aus Shakespeare III, 5 und IV, 5 zusammengestellt. Ausgezeichnet
ist der Gedanke, die zweite Verabredung in Fords Haus (wo Falstaff als
dickes Weib entkommt) ganz fallen zu lassen. Das Motiv ist zu possen-
maflig, entspricht weder der Intelligenz eines Falstaff noch eines Ford und
wirkt fur den heutigen Zuschauer ermudend.
So hat denn die Frau Quickly dem Falstaff hier gleich eine Ein-
ladung fur den Park von Windsor zu iiberbringen. Sehr geschickt laBt
Boito diese Szene nicht in, sondern vor der Schenke spielen. Dadurch
wird eine szenische Wiederholung vermieden; Falstaff und die Quickly
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
tV UNIVERSITY OF MICHIGAN
102 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
gehen in die Schenke ab, wahrend die drei Frauen erscheinen und sich
tiber ihn lustig machen. Spater kommen noch Ford und Fenton dazu.
Es werden die Verabredungen getroffen (bei Shakespeare IV, 4 und V, 3.).
Zweite Halfte: Park.
Diese Szene entspricht im groDen ganzen, obgleich reicher ausgefuhrt,
dem Shakespeareschen fiin f ten Akt und weicht auch in ihrer szenischen
Fiihrung nicht allzusehr von Nicolais OpernschluC ab. Im Gegensatz zu
Nicolai wird Falstaff hier tuchtig verpriigelt, namentlich von seinen beiden,
ebenfalls verkleideten Dienern, bis er endlich den Bardolph erkennt.
Schon glaubt Ford iiber Falstaff zu triumphieren, als sich herausstellt,
daC Ford inzwischen von seiner eigenen Tochter mit Fenton dupiert
wurde. So ist denn ein jeder der Gefoppte, und Falstaff zieht die Moral
der Geschichte und des ganzen Menschenlebens mit den kostlichen Worten
der SchluDfuge:
Allegro brioso
8
JSK
gneJ^^^^Ms j =g=5=s=MNgjp f
Tut -to nel mon-do h bur-la. L'uom S na-to bur-lo-ne, bur-lo-ne bur-lo-ne
Die ganze Welt ist ein Narrenhaus, und alle sind die Gefoppten, —
mit dieser liebenswiirdigen Weisheit entlaBt uns lachend der greise Verdi.
Klingt diese „frohliche Wissenschaft" nicht ganz anders, nicht viel
natiirlicher und menschlich-einfacher als jenes mystische Weihrauchwort
vom „erlosten Erloser*, das Wagners letzte Weisheit war? Hier der
70jahrige protestantische Deutsche, der Roms Glauben predigt, dort der
80jahrige katholische Italiener, dessen frohliches Altersbekenntnis im
Zeichen des groDen Briten steht, ist das nicht die verkehrte Welt? Uns
Nachstrebenden aber diirfte, sind wir gesunden Sinnes und frohlichen
Herzens, die Wahl nicht schwer fallen zwischen „Parsifal" und ^Falstaff*.
„I1 faut m6diterraniser la musique", meinte Friedrich Nietzsche, als ihm
Richard Wagner halb im Scherz die Parsifaldichtung als „Oberkonsistorial-
rat a gewidmet hatte. Wie man aber die Musik, ja selbst das nordische Genie
Shakespeare's, „vermittelmeeren" konne, das hat uns niemand uberzeugender
gelehrt als Giuseppe Verdi. GewiD, wir sollen uns freuen, B zwei solche
Kerle" wie Wagner und Verdi gehabt zu haben. Eines aber darf schon
heute gesagt werden : Wagners Kunst war eine rein personliche und ist
darum keiner weiteren Entwicklung fahig; Verdi's letzte Kunst ist universell,
an keine Zeit und keine Nation gebunden. Und darum ist's kein Zufall,
daB gerade die ebenfalls weltumspannende Kunst Shakespeare's ihn zu den
letzten Siegen geleitete.
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 103
Nachtrag. Soeben — Ende September 1913 — teilt Alessandro
Luzio, einer der Mitherausgeber von Verdi's nachgelassenen Briefent-
wiirfen, die zum Jubilaum erscheinen werden, interessante Abschnitte
daraus im „Corriere a mit, Abschnitte, die insbesondere das Thema „ Verdi
und Shakespeare* nahe beriihren. So hat Verdi z. B. iiber den Wahnsinn
Konig Lears das Gutachten eines angesehenen Psychiaters eingeholt!
Auch iiber die Rollen des Jago und- der Lady Macbeth finden sich hoch-
interessante Ausfuhrungen, z. B.:
„Wenn ich Schauspieler wire und den Jago darzustellen hStte," erklSrt
Verdi, „mochte ich ein mageres, langes Gesicht haben, schmale Lippen, kleine Augen,
die wie bei den Affen dicht bei der Nase stehen, eine hohe, fliehende Stirn, einen
stark entwickelten Hinterkopf; ich wurde zerstreut, nonchalant, gleichgultig gegen
alles, unglfiubig tun, Gutes und Boses mit einer gewissen legdren Art sagen, als ob
ich an etwas anderes dachte, als was ich sagte, so dali ich auf den Vorhalt: ,Du sagst
da ja etwas ganz Abscheuliches!' antworten konnte: ,Wirklich? Das kann ich gar
nicht glauben . . . Wir wollen nicht mehr daruber reden.' Eine solche Figur konnte
alle Menschen tauschen, bis zu einem gewissen Grade sogar die eigene Gattin.*
Eine andere Stelle gilt der Darstellung der Lady Macbeth. Die
Hauptstellen in der ganzen Oper sind nach Verdis Ausfuhrungen das Duett
zwischen der Lady und ihrem Gatten und die Nachtwandel-Szene.
„Wenn diese Stellen mifiglucken, fSUt damit die ganze Oper: diese Stellen
durfen uberhaupt nicht gesungen werden: man muft sie spielen und # mit hohler, ver-
schleierter Stimme deklamieren: ohne dies geht die Wirkung verloren. Das Orchester
sptelt gedampft, die Buhne ist ganz dunkel."
Die Tadolini, die die Lady verkorpern sollte, hat fur diese Rolle
w zu groBe FShigkeiten! Das scheint vielleicht absurd ... Sie hat ein gutes, schones
Gesicht, und ich mochte die Lady Macbeth schlecht und hafilich haben. Die Tadolini
singt vollkommen, und meiner Ansicht nach darf die Lady nicht singen. Die Tadolini
hat eine uberwfiltigende, klare, flussige, machtige Stimme, und die Lady soil eine
rauhe, hohle, erstickie Stimme haben. Die Tadolini singt wie ein Engel, und die
Lady soil etwas Teuflisches haben.
v • . , ■ ("ntvoh- Original from
j :,T .. c:.. .y. V k u )^J l UNIVERSITYOF MICHIGAN
Ober irrlehren in der ornamentik
der musik
VON ADOLF BEYSCHLAG
Das Interesse fur die Ornamentik in der Musik beginnt sich in
erfreulichem Mafie auszubreiten. So haben in No. 48 und 49 der
„Allgemeinen Musikzeitung", 1912, nicht weniger als drei Schrift-
steller — Paul Schwers, Curt Sachs und Wanda Landowska — die
Bachschen Vorschlage und Mozartschen Triller einer kritischen Be-
trachtung unterzogen, und wenn das Resultat ihrer Untersuchungen ein
hochst unbefriedigendes, ja irrefiihrendes ist, so liegt das hauptsachlich an
der unzureichenden Quellenkenntnis 1 ) der Genannten, die manche Ent-
gleisungen verschuldet. 2 )
Zu den Entgleisungen rechne ich z. B. die Forderungen, die Curt
Sachs aus einer Formel in der Quantz'schen Flotenschule (1752) ableitet.
Quantz verlangt dort fur die Notation
die Ausfiihrung
i
*=*
a
^t
-■%-.
s
%
t
s
£
und gestiitzt hierauf schreibt Curt Sachs im Duett mit Chor aus der
Matthaus-Passion eine Wiedergabe vor wie bei c)
a) Singstimme
b) Instrumental-Begleitung
c) Ausfuhrung nach
Curt Sachs
d) Einzig vernunftige und
richtige Ausfuhrung
S?
*
3S=
So ist mein Je - sus nun ge - fan - gen
^§^^ fe3r-7T753E
JSEi^
m
=«
') Ich muB an dieser Stelle auf mein Buch „Die Ornamentik der Musik" verweisen.
*) Der Leserwirdgut tun, sich folgende Jahreszahlen ins Gedachtnis zuruckzu-
rufen: 1729 Urauffuhrung der Bachschen Matthaus-Passion; 1750 Tod J. S. Bachs;
1759 Tod Handels; 1752 Quantz .Versuch einer Anweisung, die Flote traversifcre zu
spielen"; 1753 Ph. E. Bach „Versuch uber die wahre Art das Klavier zu spielen";
1756 Leopold Mozart „Grundliche Violinschule"; 1756—1791 W. A. Mozart; 1828
J. N. Hummel „Klavierschule". — (O 100) bedeutet („Ornamentik der Musik", Seite 100).
;r:i.:'o:
C >ooqIc
O"
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
BEYSCHLAG: OBER IRRLEHREN IN DER ORNAMENTIK DER MUSiK 105
Die von Curt Sachs verlangte Ausfuhrung ist ganzlich unberechtigt,
unkunstlerisch und irrefiihrend, obschon sie die Autoritat eines Quantz fiir
sich hat.
Es besteht namlich ein allgemein giiltiges Naturgesetz, nach dem,
sobald zwei Gebote in Kollision geraten, das unwichtigere vor dera
wichtigeren zuriickzutreten hat. Dieses Gebot herrscht auch in der Kunst,
und speziell in der Tonkunst reguliert es alles gemeinsame Musizieren
dahin, daO die einzelnen Stimmen sich einander anzupassen haben, und
daO im besonderen die Begleitung sich nach der Melodie richten muB.
Wenn demnach Sebastian Bach die Singstimmen in dem erwahnten
Duett wie bei a), also vorschlagsfrei notiert, so ist es selbstverstandlich,
daD die begleitenden Instrumentalisten hierzu keine langen Vorschlage aus-
fuhren diirfen, sondern nur kurze, die sich der Melodie eng anschlieCen.
Eine aufmerksame Priifung der autographen Partitur lehrt sogar, daO die
kurze Ausfuhrung offenbar in der Absicht des Meisters lag, denn Bach
hat die VorschlSge b) in der autographen Partitur meistenteils unterlassen
aufzunotieren, und sie finden sich nur in den von ihm eigenhandig
geschriebenen Stimmen. Nun kann man wohl so nebensachliche Ver-
zierungen, wie kurze Vorschlage vergessen, nimmermehr aber so gewichtige
Melodieglieder, wie lange Vorhalte von der Dauer einer Viertelnote, die
zudem scharfe und schlecht klingende Dissonanzen einftihren wiirden.
Fordert demnach der gesunde Menschenverstand gebieterisch die Aus-
fuhrung kurzer Vorschlage, so verlangen auch die alten Theoriebiicher
nichts anderes, sobald man nur die fiir J. S. Bach mafigebenden Traktate
heraussucht. Ich betrachte es als ein Verdienst meiner w Ornamentik - ,
nachgewiesen zu haben, daD keine theoretische Schule jemals allein-
herrschend war, daC vielmehr stets verschiedene und mitunter einander
sehr widersprechende Systeme sich gleichzeitig partielle Geltung zu ver-
schaffen wufiten. So beherrschten die beiden einander entgegengesetzten
Schulen, die italienische und franzosische, damals das gesamte Gebiet der
Ornamentik. Wahrend aber die Italiener dabei auf die willkiirliche Aus-
zierung der Vortragenden rechneten, fuOten die Franzosen auf der genauesten
Ausfuhrung der vorgeschriebenen Noten und Zeichen. Gehorte J. S. Bach
zur franzosischen Schule, so war Quantz Anhanger der italienischen. Die
beiden Tonkunstler hatten gar keine Beziehungen zueinander, und keines-
falls kann Quantz eine .kanonische Bedeutung" fiir die Musikpraxis
J. S. Bachs beanspruchen. Schon wahrend der letzten Lebensjahre des
Thomas-Kantors war in Deutschland eine Geschmacksveranderung ein-
getreten. Das Publikum war der strengen kontrapunktischen Kunste iiber-
drussig geworden und begann sich nach leichterer, melodischerer Kost zu
sehnen. Dem kam der neue „galante Stil* entgegen, und die Theoriewerke
von Quantz (1752) und Ph. E. Bach (1753) enthalten vorzugsweise die
• - - . - ("ntuil( s Original from
i :-j ■;!. ,ul. jy ^ ,uu t V l UNIVERSITYOF MICHIGAN
106 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
Regeln fur die neue Setzweise, was in den Traktaten auch geniigend betont
wird. Diese Regeln bestehen etwa aus einem halben Dutzend Forraeln von
gleicher Berechtigung; wollte man sie aber auf J. S. Bachs Kompositionen
anwenden, so kame der tollste Unsinn heraus. Es wiirde schon genugen,
die eine weitere Formel in Anwendung zu bringen, nach der die Notation
— — so auszufuhren ist p— & & ~ , urn es handgreiflich zu
machen, daD die Tonstiicke Johann Sebastians nicht fur die spater erfundenen
Theorieen berechnet sind. Gliicklicherweise liegt auch gar keine Notigung
vor, auf die Formeln des Quantz zuruckzugreifen; es gibt namlich Theo-
retiker genug, die mit Johann Sebastian in engen Beziehungen standen und
die uns iiber seine Musikpraxis unterrichtet haben. Da ist zunachst der
hochbedeutende J. G. Walther, der Bach in so manchem zum Vorbild diente,
und dessen „Kompositionslehre a und „Lexikon tt (1732) uns so wichtige
Aufschlusse iiber Ornamentik geben; dann folgt der nicht minder bedeutende
Joh. Mattheson mit seinem „vollkommenen Kapellmeister" (1739), also
gerade zehn Jahre nach der Urauffiihrung der Matthaus-Passion; endlich
folgt 1749, also ein Jahr vor dem Tode Bachs und 20 Jahre nach der
Urauffiihrung der Matthius-Passion F. W. Marpurg mit seinen Aufsatzen
iiber Ornamentik. Diese Traktate stimmen auch vollkommen mit der
Tabelle iiberein, die Johann Sebastian selbst aufnotiert hat und die in
seiner Handschrift heutzutage noch existiert. Sie sind die einzigen Theorie-
werke, die Geltung fur die Kompositionen Bachs beanspruchen konnen;
ihre Verzierungslehren sind verhaltnismafiig einfach und frei von den ver-
wickelten Formeln, die nur fiir den „galanten Stil" passen.
Der erste, der die Forderung aufstellte, daB die Vorschlagsnotchen
ihrer Geltung nach aufzunotieren seien, war Ph. E. Bach in seinem »Ver-
such* 1753. Aber selbst dieser Erfinder des neuen Systems hatte 12 Jahre
friiher noch keine Ahnung von demselben. In seinen 1741 erschienenen,
Friedrich dem Grofien gewidmeten Sonaten sind noch alle Vorschlage so N
^
bezeichnet und kommen Figuren wie z. B. diese
massenhaft vor.
Verwandt mit dem vorigen ist der Irrtum von Paul Schwers. Wenn
der Letztere in No. 48 seiner Musikzeitung von Vorschlagen in der Matthaus-
Passion spricht, die in der Partitur als lang verzeichnet seien, so trifft dies
nicht zu. Vor Ph. E. Bach hat kein Komponist, auch J. S. Bach nicht,
daran gedacht, die Vorschlagsdauer durch die Vorschlagsnotchen anzuzeigen.
Das beliebteste Zeichen war damals , N ; dieses hat aber weit ofter den
kurzen, als den langen Vorschlag anzukiindigen.
Auch im SchluCsatz der Matthaus-Passion hat Johann Sebastian einige-
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BEYSCHLAG: OBER IRRLEHREN IN DER ORNAMENTIK DER MUSIK 107
mal vergessen, den Vorschlag einzutragen, aber gerade durch dieses Ver-
sehen uns in willkommener Weise fiber seine Absichten aufgeklart. Die
autographen Stimmen wurden bei der Aufffihrung benutzt, und wenn hier
in einer Instrumentalstimme die Melodie so angegeben ist ^ 1 , wahrend
in der anderen sonst identischen Stimme an derselben Stelle nur _ I steht,
so ist die kurze Ausfuhrung dieses Vorschiags die einzig mogliche.
Offenbar ist Schwers in dem weit verbreiteten Irrtum befangen, in
dem Notchen ^ das Symbol fiir den langen Vorschlag zu erblicken. Dieser
Usus kam aber erst im 19. Jahrhundert auf, als Erganzung der gleichfalls
erst im 19. Jahrhundert erfolgten Einfiihrung des Zeichens / fur den
kurzen Vorschlag. (O 208.)
Viel glucklicher als ihre schriftstellernden Kollegen bewegt sich
Wanda Landowska auf dem heiklen Gebiete der Ornamentik. Die von
ihr angeregte Trillerfrage bei W. A. Mozart laBt sich zurzeit iiberhaupt
nicht definitiv beantworten. Es laDt sich nur sagen, dafi eine grofie Wahr-
scheinlichkeit nicht fur ihre Theorie spricht. Jedenfalls haben wir direktere
Nachrichten als die Violinschule von Leopold Mozart (1756), namlich Auf-
zeichnungen von der Hand des Meisters selbst, und diese deuten auf den
Trilleranfang mit der Hauptnote.
Mit Bestimmtheit wissen wir nur, dafi Leopold Mozart, der Vater von
Wolfgang Amadeus, den Triller mit der Hilfsnote begann, der Sohn des
letzteren dagegen mit der Hauptnote. Nun ist es gewiC wahrscheinlicher,
daO ein groCer Mann eine Regel umstoflt als dessen unbedeutender Sohn,
der doch alle Ursache gehabt hatte, durch strikte Anhanglichkeit an die
Lehren seines Vaters sich einen gewissen Nimbus zu verleihen.
Die beiden von W. A. Mozart selbst herriihrenden Belege sind
folgende:
1. Der ausgeschriebene Triller in „Cosi fan tutte a , den ich in meiner
9 Ornamentik" unter Fig. 35 genau nach dem Autograph mitgeteilt habe,
und der das Wort w trillo" durch folgende Figur illustriert
— usw.
2. Die Trilleriibung mit wechselnden Fingern, die Mozart seinen
Schuler Hummel lehrte, und die z. B. in der rechten Hand folgenden
Fingersatz aufweist: 1.2/1.3/2.3/2.4/ usw.
Ich glaube, vielen Lesern einen Dienst zu erweisen durch die nach-
stehende Entwickelungsskizze unseres heutigen Trillers (vgl. namentlich
O 3. 4. 31. 32. 56. 95. 98. 158. 249.)
Trillerartige Verzierungen waren schon in den altesten Zeiten be-
kannt. Die alten Inder bedienten sich bereits der „Kampa a , der gezitterten
j ;i :l u-: :), ^ „-.i)i >^!1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
108 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
Note, worunter sich doch nur ein Caccini'scher Triller, ein »Trillo &
l'italienne" verstehen laCt (s. unten).
Auch von den Ubergriffen eigenmachtiger Virtuosen blieb die alte
Kunst nicht verschont. So besitzen wir noch aus der klassischen Periode
der altgriechischen Literatur ein Lustspiel, in dem Frau Musica in Person
auftritt, um vor Gericht Klage zu fuhren gegen einige Virtuosen, die sie
mit ihren trillerartigen Verzierungen und sonstigen willkurlichen Ver-
anderungen arg miflhandelt und geschunden hatten.
Aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. liegen bereits Zeugnisse vor, daC
unser heutiger Triller, d. h. die Umwechselung zweier benachbarter Tone,
bekannt war.
Auffallend wenig Geschick fur die Ausfiihrung der musikalischen
Ornamentik zeigten die alten Deutschen, und die frankischen Sanger Karls
des Grofien erwiesen sich zur Exekution trillerartiger Verzierungen geradezu
als unfahig.
Von Ammerbach (1571) an liegen dann die Tabellen einer Anzahl
bedeutender Theoretiker und Praktiker vor, die trillerartige Verzierungen
mit der Hauptnote beginnen, bis dann im Jahre 1600 Emilio del Cavaliere
den Triller, angezeigt durch ein t, in seiner modernsten Form notiert: mit
der Hauptnote beginnend und mit einem Nachschlag endend:
Groppo
I'll
t I I Trillo | j I J jl g ! I
—-& 1— = • « m^ ^— ^ <s>— = — r -)^ r9 -^ 9 w « ^ , ^
Hiermit ist die eigentliche Entwickelungsgeschichte des Trillers ab-
geschlossen.
Wie aber in der Ornamentik zu keiner Zeit ein System allein-
herrschend war, so auch damals. Schon ein Jahr spater (1601) trat
Caccini mit einer von der vorigen ganzlich verschiedenen Theorie hervor,
die folgende Formeln aufweist:
Trillo = _* d *_*_
Groppo =
pa r 1 i j 11 i B K=S i=pH
Dieser Caccinfsche Triller fand als „Trillo a l'italienne* (O 95) uber
ein Jahrhundert die weiteste Verbreitung, also gerade wahrend der Bliitezeit
der italienischen Gesangskunst. Aber auch nachdem die Caccini'sche Ton-
wiederholung endgiiltig verlassen und der alternative Tonwechsel die allein-
herrschende Form geworden war, trat kein Friede in der Trillerlehre ein.
Nun begann der Streit dariiber, ob der Triller mit der Hauptnote oder mit
der Hilfsnote anzufangen habe. Die Franzosen entschieden sich von
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BEYSCHLAG: OBER IRRLEHREN IN DER ORNAMENTIK DER MUSIK 109
Mersenne an (1637) unbedingt und ausschliefilich fur den Anfang mit der
oberen Hilfsnote, wahrend die Italiener und Deutschen nicht selten den
Anfang mit der Hauptnote bevorzugten (O 98). Da J. S. Bach in der
Ornamentik ganz auf franzosischem Boden stand (O 119), Handel da-
gegen auf italienischem, so erklart sich hieraus bei dem ersteren der
Trilleranfang mit der oberen Hilfsnote, bei dem letzteren der mit der
Hauptnote. Die franzosische Trillerform wurde durch Ph. E. Bach auch
in Deutschland eingefuhrt und das hohe Ansehen ihres Promotors ver-
schaflfte ihr in akademischen Kreisen fiir geraume Zeit die Geltung der
allein legitimen Fassung. Trotzdem vermochte sie die entgegengesetzte
Form nicht zu unterdriicken, die, durch Tromlitz u. a. gepflegt, weiter
bestand. Interessant ist das Verhalten der Familie Mozart zur Trillerfrage.
Leopold, der Vater von Wolfgang Amadeus, lehrte den Trilleranfang mit
der Hilfsnote, der Sohn des Unsterblichen aber den mit der Hauptnote.
Zwischen Vater und Enkel trat also ein Systemwechsel ein; doch lSBt sich
die Stellung Wolfgang Amadeus' nur vermuten, nicht aber absolut fest-
stellen. Beethoven, Weber und Chopin begannen den Triller mit der Hilfs-
note, der erstere freilich ohne strenge Konsequenz. Die Notation ft/r 1
die sich einigemale bei Weber, ziemlich haufig aber bei Chopin vorfindet
und die mitunter recht wunderliche Auslegungen gefunden hat, bedeutet
demnach weiter nichts als den Trilleranfang mit der Hauptnote (so z. B.
in Chopin's Nocturne op. 62). (O 276.)
Nun aber erfolgte durch J. N. Hummel, den Schuler W. A. Mozarts,
der grofie Umschwung. In seiner Klavierschule trat dieser Pianist 1828
unter eingehender Begrundung seiner Lehre entschieden fur den Triller-
anfang mit der Hauptnote ein und fand damit schnell fast allseitige An-
erkennung. Die nachstehende Tabelle soil die Gruppierung der Kom-
ponisten (soweit sie sich bestimmen laCt) iibersichtlich zusammenstellen.
Den Triller begannen
rait der oberen Hilfsnote: mit der Hauptnote:
Die Familie Bach, Handel,
Leopold Mozart, W. A. Mozart (wahrscheinlich),
Beethoven, dessen Sohn (sicher),
Weber, Hummel und die meisten
Modernen, Spohr, Czerny,
Chopin, Liszt, Brahms.
Der Leser ersieht aus dieser Entwicklungsskizze, daO der Triller
bereits im grauen Altertume bekannt, und dafi von seinen beiden Formen
der Anfang mit der Hauptnote die fruhere war.
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DAS ZWEITE KLEINE BACHFEST IN EISENACH
27. BIS 28. SEPTEMBER 1913
VON MAX SCHNEIDER IN BERLIN
^kllem Anschein nach bewfihrt sich die Einrichtung der kleinen Bach-Feste sehr.
^J^ WShrend die groGen, sogenannten deutschen Bach-Feste wandern, finden die
X jL mit ihnen abwechselnden kleinen Bach-Feste regelmaBig alle zwei Jahre nur
in Eisenach statt, und zwar als Veranstaltungen der Neuen Bach-Gesellschaft allein.
Die deutschen Bach-Feste dagegen sind mehr oder weniger auch Unternehmungen
der Stadte, in denen sie gefeiert werden. (Und das hat seine zwei Seiten!) Den
g rotten Festen entsprechen groBe Mittel, den kleinen in Eisenach steht nur ein be-
scheidener Apparat zur Verfugung. Dennoch wurde jetzt wieder offenbar, daQ
gerade den kleinen Bach-Festen mit ihren in ihrer Art vorbildlichen Programmen
eine grofie Bedeutung innewohnt. Ohne beliebte und bedeutende Werke — wie die
Passacaglia, das Violinkonzert in a-moll — auszuschlieBen, wollen sie vor allem un-
bekanntere und seiten gehorte Kompositionen Bachs in die Offentlichkeit einfuhren
und zweitens mit dem Boden bekannt machen, aus dem seine eigene Kunst empor-
wuchs. (So heifit es im Programmbuche.) Wie gesagr: die Einrichtung bewShrt sich,
und ihr anregender und fordernder EinfluB auf unser Musikleben wird nicht aus-
bleiben. Dafi abermals einer stattlichen Reihe der in sehr grofier Zahl erschienenen
Festteilnehmer dank der Opferwilligkeit hochherziger Bach-Verehrer Reisestipendien
gewahrt werden konnten, ist erfreulich. Sorgen wir, daft das immer mehr erwachende
Interesse an der guten Sache dauernd erhalten bleibt!
Das Kirchenkonzert am Abend des 27. September brachte uberwiegend Werke
Joh. Seb. Bachs. Bernhard Irrgang, der Berliner Orgelmeister, eroffnete es mit
dem virtuosen Vortrage des PrSludiums und der Fuge e-moll. Leider ist die
Eisenacher St. Georgenkirche akustisch ungunstig, denn sie verschlingt alle dunklen
und gedeckten Klange, ganz gleich ob sie instrumental oder vokaler Natur sind.
Infolgedessen kam der ernststrebende Bassist Hermann Weifienborn in der wirkungs-
vollen Kantate fur Sopran- und BafJsolo: „Selig ist der Mann a leider nicht recht zur
Geltung. Viel besser daran waren Eva LeBmann (Sopran), die ihre Partie fein aus-
gearbeitet sang, und Karl Klingler, von dessen Darbietung des Praludiums und der
Fuge aus der C-dur Violinsonate auch nicht das kleinste Detail verloren ging. Eine
schwere Aufgabe hatte Paula Werner-Jensen in der herrlichen Solokantate „Wider-
stehe doch der Sunde" zu bewaltigen; vielleicht w2re dem sympathischen Alt der
Sangerin eine etwas lebhaftere Temponahme sehr zugute gekommen. — Treffliches
leistete der Duisburgeracappella-Chor unter Walter Joseph son zunSchst mit zwei
funfstimmigen Motetten von Johann Christoph Bach ( w Der Gerechte, ob er gleich zu
zeitlich stirbt") und Jacobus Gallus („Mirabile Mysterium"). Namentlich Gallus'
Motette, ein unerhort kuhnes und schwer auszufuhrendes Stiick, vor dem Irrgang
die Passacaglia Johann Sebastians meisterlich spielte, erwies das hervorragende
Konnen des Chors. Mit Heinrich Schutzens w Der zwolfjahrige Jesus im Tempel a
(fiir Sopran-, Alt- und Balisolo, Chor, Orchester und Orgel) boten die Duisburger im
Verein mit den schon genannten Solisten rein musikalisch ihr Bestes. Hier war
Josephsons Neigung zur Breite durchaus am Platze, was man bei den zwei Bach-
Choraien am Schlusse des Konzerts („Gib dich zufrieden" aus Anna Magdalena Bachs
Notenbuch und „So wunsch* ich mir zu guter Letzt** aus Schemellis Gesangbuch,
Satz von Carl Thiel) nicht immer sagen kann. Das Liedhafte trat hier zu sehr in
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SCHNEIDER: DAS ZWE1TE KLEINE BACHFEST IN EISENACH 111
den Hintcrgrund. Und wenn man cinmal das Experiment versuchte, ein und die-
selben Chorale abwechselnd liedmaflig (das heiBt keineswegs ohne Ausdruck!) und
modern-konzerthaft vorzutragen, so wurde wohl sicberlich der Choral als schlichtes
Lied den tiefsten Eindruck hinterlassen.
Am 28. September (Sonntag) gab es eine „Kleine Kammermusik" als Matinee und
eine „GroBe" am Abend. In der Matinee entfachte der von Prof. Carl Thiel geleitete
Madrigalchordes Berliner Kg I. Akademischen Instituts furKirchenmusik
mit je drei vier- bis achtstimmigen Gesangen von Joh. Hermann Schein („Ich will
nun frohlich singen" aus dem Venuskranzlein; „Wenn Filli ihre Liebesstrahl'" aus
den Diletti pastorali; „HoIla, gut G'sell a aus dem Studentenschmaus) und Hans Leo
HaBler („Das Herz tut mir aufspringen a ; „Feinslieb, du hast mich g*fangen"; „Ihr
Musici, frisch auf") sturmische Begeisterung und muBte zweimal da capo („Wenn
Filli" und „Ihr Musici") gewahren. DaB diese glSnzende Chororganisation bald Schule
macht, w3re ein Ziel, aufs innigste zu wunschen. Wieviel Gemut, wieviel Musik
steckt in diesen alten Gesanglein! Und deutsche Meister haben sie erdacht. Ehre
ihnen und alien, die uns solche echte Kunst wieder nahebringen ! — Herzlichen
Beifall fanden vier frische Duette (fur Sopran und Tenor und fur Tenor und
BaB) von Heinrich Albert, dem Vater unseres Sololiedes („Du vormals griiner
Stock"; „Keine Nacht, kein Tag vergeht"; Jetzund heben Wald und Feld"; „Wer
fragt danach"), urn die sich Eva LeBmann, Rudolf Laubenthal (Tenor) und Hermann
WeiBenborn verdient machten. Auch instrumentaliter wurde fein und mannigfaltig
musiziert. Mit dem bewShrten und unermudlichen Prof. Georg Schumann (Klavier)
spielten Maximilian Schwedler J. S. Bachs 2. FIStensonate, Robert Reitz und
Christian Dobereiner Buxtehudes D-dur Sonate fur Violine, Viola da Gamba und
Basso Continuo; zu ihnen gesellte sich KHnglers Quartettgenosse Josef Rywkind
bei einer h-moll Sonate fur zwei Violinen, Violoncell und Continuo von DalP Abaco.
Wanda Landowska, die ausgezeichnete Cembalistin, trug mit dem bekannten Weimarer
Geiger Reitz, der dankenswerterweise fur den durch einen Trauerfall plotzlich
verhinderten Prof. Klingler eingesprungen war, die E-dur Sonate fur Cembalo und
Violine von J. S. Bach vor. Dabei machte sich leider, wie schon (in einer Gamben-
sonate) beim ersten kleinen Bachfeste, der Obelstand geltend, dafi das klangliche Vei-
haltnis zwischen Streichinstrument und Cembalo nicht genugend ausprobiert und aus-
geglichen war — sehr zum Schaden der Wirkung. Den BeschluB der Matinee bildete
das solistisch besetzte Sechste Brandenburgische Konzert fur zwei Bratschen (ihre
Verdoppelung durfte klanglich vorteilhafter sein), zwei Gamben, Violoncell, BaB
und Continuo (Unkenstein, Heintzsch, Dobereiner, Albini, KieBling, Wolschka und
Prof. Seiffert, der dann auch in der groBen Kammermusik trefflich akkompagnierte). —
Vielleicht darf einmal ganz allgemein die Bitte ausgesprochen werden, das Wort
„Bearbeitung* auf Programmen (uberhaupt) sparsamer zu verwenden. Denn wenn
man die Musik der Basso Continuo-Zeit richtig ausfuhrt, d. h. den bezifferten BaB
ex tempore oder schriftlich in Harmonieen umsetzt, so ist das doch nicht gleich eine
„Bearbeitung*! Bei der (nach F transponierten) Flotensonate waren sogar zwei Be-
arbeiter angegeben.
Die B GroBe Kammermusik" (mit Orchester) litt etwas unter einer gewissen
Unruhe, die wohl durch Rucksichtnahme auf abends wieder abreisende Besucher
veranlaBt war. An das einleitende prfichtige Concerto grosso No. 9 von Corelli
(Concertino: Reitz, Arthur Brandenburg, Dobereiner) schloB sich der erste Teil
von J. S. Bachs Serenata w Durchlaucht'ster Leopold" mit Frl. LeBmann und Herrn
WeiBenborn als Solisten. Schade, daB die Sopranistin der Aufgabe nicht ganz gerecht
wurde. Besser fand sich Frau Werner-Jensen mit der Altarie aus Handels Oratorium
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
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112 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
»Jephta": „Schreckensbilder groQ und bleich" ab. „Birg dein verhaQtes Licht, o
Sonn ,a , ebenfalls aus „Jephta", ist eine der empfindungstiefstcn Arien H&ndels; mit
ihr bot der junge Tenorist Laubenthal die beste Gesangsleistung des Festes. — Handel
vorauf gingen drei grdfiere Instrumental werke; zuerst Bachs a- moll Violinkonzert, von
Reitz namentlich im Mittelsatze wundervoll gespielt. Ganz hervorragend war auch
bier das aus Leipziger Gewandbausmusikern gebildete Orchester; schon im Kircben-
konzerte hatten sich diese ausgezeichneten Kunstler vorzuglich bewahrt. Dem
Violinkonzerte folgte Kuhnaus kostlicher „Streit zwiscben David und Goliath (aus
den „Biblischen Historien"), mit welchem Wanda Landowska ihre schon oft
gewurdigte, brillante Gembalokunst aufs neue dokumentierte. Ein im Rah men
des Programms inhaltlich etwas abfallendes Konzert fur Viola d'amore von Carlo
Stamitz zeigte uns in Dr. Niel Vogel (Amsterdam) einen sehr respektabeln Viola-
spieler, dem wir nur dankbar sein konnen, wenn er auf das klanglich so schone In-
strument immer wieder aufmerksam macht. Die Viola d'amore gehort noch lange
nicht ins Museum! — Der SchlulJ des Abends brachte eine lehrreiche Gegenuber-
stellung: Vivaldis h-moll Konzert fur vier Violinen (Reitz, Brandenburg, Rywkind,
Hering) und J. S. Bachs Umgestaltung dieses Werkes zu einem Konzerte fur vier
Klaviere (Landowska, Georg Schumann, C. A. MartienCen, Camillo Schumann). Als
auch dieses verklungen war, bereitete man dem allverehrten, verdienstvollen Fest-
dirigenten und Vorsitzenden der Neuen Bach-Gesellschaft, Hermann Kretzschmar,
eine rauschende, herzliche Ovation.
...... ("nrwh 4 Original from
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REVUE DER REVUEEN
Zu Richard Wagners 100. Geburtstag
II: Aus Tageszeitungen (SchluD)
BERLINER NEUESTE NACHRICHTEN, vom 21. und 24. Mai.— (21. Mai.) „Richard
Wagner in unserer Zeit. a Von Georg Schunemann. „. . . Wir stehcn . . ., von
wenigen musikalischen Formen (wie der Kirchen-, Programm- und Kammermusik)
abgesehen, uberall auf dem Grund und Boden Wagners. Und wenn auch allent-
halben mit neuen Tonverbindungen und Klangkombinationen, mit exotischer und
nationaler Musik experimentiert wird, so gehort doch der Hauptteil aller Produktion
der Richtung Wagners an. Sein Einflufl gleicht dem Wirken der Beethovenschen
Musik in der ersten Haifte des 19. Jahrhunderts. Und es ist durchaus an der Zeit,
daft Wagners Kunst, die lange genug nur einem Tei! der Gebildeten zugSnglich
war, nunmehr durch das Freiwerden aller Werke Gemeingut des gesamten Volkes
wird. Sein Werk und Wirken, sein Leben und Denken, sein kampfschweres Streben
und arbeitsfrohes Schaffen sollte dem ganzen deutschen Volke ebenso vertraut
werden, wie das Wirken Schillers und Goethes. Dann erst konnen wir von einem
nationalen Besitztum dieser Kunst sprechen." — (24. Mai.) „Richard Wagner und
die deutschen Freiheitskriege." Von Josef Stolzing. Ober Wagners Stellung zu
den Befreiungskriegen und zur Restaurationsepoche, wie sie sich aus seinen
Schriften ergibt. „. . . Wagner war kein Politiker, das erklfirte er selbst in einer
Reihe von Stellen in seinen Schriften und Briefen (an Liszt beispielsweise: Ein
politischer Mann ist widerlicb!), aber mit Recht sagt Houston Stewart Chamberlain:
Was Wagner besaB, war das, was Goethe mit Hilfe eines von ihm neu geschmiedeten
Wortes treffend als die Gabe bezeichnet, ,den Willen der Volkheit zu vernehmen'.
Deshalb ist seine Stimme auch dann horenswert, wenn er auf politische Gebiete
abschweift, und welchem echten Deutschen hatte Wagner mit der Darstellung des
Geistes der Freiheitskriege und seiner Verurteilung der Restaurationsperiode nicht
aus der Seele gesprochen?"
LEIPZIGER NEUESTE NACHRICHTEN, vom 22. Mai. — „Zur 100. Wiederkehr
von Richard Wagners Geburtstag." Von Arthur Prufer. „. . . Auf kunstlerisch-
kulturellem Gebiete bildet Bayreuth das wurdige Gegenstuck zu der von Bismarck
und den deutschen Waffen 1870/71 in der Politik errungenen Grundung des
Deutschen Reiches. Ein lebendiges Denkmal sind die Bayreuther Buhnenfestspiele
dafur, was die Heldenkraft eines einzelnen Mannes vermag im unerschutterlichen
Glauben an die Wahrheit und den guten Genius seines Volkes . . . Richard Wagner
in Bayreuth, der Meister und sein Lebenswerk, das ist die einzig richtige und
erscbopfende Formel, um anzudeuten, was hier sich offenbart, ein leuchtender
Gipfel deutscher Kunst und Kultur, eine Erscheinung, die daraus so wenig weg-
zudenken ist, wie Bach, Beethoven, Schiller und Goethe. Richard Wagner steht
diesen GroBen ebenburtig zur Seite. Er fuhrte das Sehnen und Suchen unserer
groliten Meister zum Ziel. Seiner unvergleichlichen Tatkraft gelang es endlich,
diesem Kunstwerk auch die Werdestatte zu schaffen, wo es rein und unverfalscht
in die Erscheinung treten konnte ..." — ^Richard Wagner und wir.** Von Oskar
Walzel. „. . . Gem uberschStzen wir die Bedeutung, die deutscher Kunst und
Dichtung im Ausland zukommt. Noch immer kummert sich der Deutsche viel
mehr um die geistigen Leistungen anderer Volker, als diese um die geistigen
Leistungen der Deutschen. Wohl bessert sich das VerhSltnis allmShlich zugunsten
der Deutschen. Allein auch beute noch ist nur ein einziger deutscher Dichter
XIII. 2. 8
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114 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
und Kiinstler dem Ausland so wichtig und beachtenswert, wie fur urs Deutsche
einst die franzosischen Klassiker, dann Voltaire und Rousseau, dann Shakespeare
wurden: Richard Wagner! Bequem ist's, uber das Bayreutber Publikum zu spotten
und in der Mehrheit dieses Publikums nur erregungssiichtige und modetolle
Amerikaner und Franzosen und Slawen festzustellen. Sollten unter den Nicht-
deutscben, die nach Bayreuth pilgern, wirklich gar keine oder nur wenige sein,
denen Wagners Werk Gegenstand ernsten, echten und tiefen Verstandnisses ist?
Jedenfalls bedeutet Wagners Leistung einen Sieg deutscher Kunst und damit einen
Kulturerfolg, wie ihn noch kein anderer Deutscher, auch Goethe nicht, im Ausland
davongetragen hat . . . a
MUNCHNER NEUESTE NACHRICHTEN, 66. Jahrgang, No. 257 (22. Mai). -
^Richard Wagner und das deutsche Volk." Von Richard Graf Du Moulin-
Eckart. Das Verhaltnis Wagners zum deutschen Volke „ist auf sein ganzes
Schaffen, seine ganze Personlichkeit begrundet. Steht er doch im engsten, untrenn-
baren Zusammenhang mit der ganzen deutschen Entwickelung und bekundet den
wunderbaren Reichtum dieses deutschen Jahrhunderts: mit dem grofiten politischen
Genius ist zugleich der Meister von Bayreuth erstanden. Das deutsche Volk kann
beide nicht vergessen. Auf beider Werk ist seine Zukunft mitbegrundet. Sie
werden in seiner staatlichen und volkischen Entwickelung weiterleben. Und beide
weisen ihm, so verschiedenartig sie selbst sind, ein Ziel: die auf gesunde Kraft
aufgebaute deutsche Grofie.** — „Richard Wagner, der Mensch.* 4 Von Max Hayek.
„. . . man begegnet in deutschen Landen (und nicht nur in deutschen Landen!)
noch immer Urteilen, die besagen, dafi man dem Kunstler Wagner alle Verehrung
und Bewunderung entgegenbringe, den Menschen Wagner aber nur jmenschlich',
am Ende gar ,allzu menschlich' finden konne! Wir stehen hier einem Problem
gegenuber, das wahrscheinlich erst mit der Losung der Menschheitsfrage im allge-
meinen gelost werden durfte. Es riihrt an das Geheimnis der Dualitat, an die bei
aller Verschmolzenheit des Allmenschlichen doch ewig bestehende Fremdartigkeit
des Einzelmenschlichen. Nur das Gottliche im Menschen ahnt den Gott. Gleiches
wird nur von Gleichem erfafit. Und es gibt Dinge, deneh unser Herz widerspricht,
auch wenn der Geist tausendmal recht behalten sollte!" — „Zum Schaffen Richard
Wagners". Von Alexander Dillmann. „. . . Darin liegt das Aufierordentliche,
uberzeugend Geniale in Wagners Werken, dafi Wagner kein Werk in Angriff ge-
nommen hat, dessen Inhalt und Form er nicht so vollkommen beherrschte, dafi
sich nicht eine restlose Losung des Problems ergab. Daraus erklart sich die
Sicherheit und Bestimmtheit in Wagners Schaffen. Manch anderes Genie der
Zeit, Schiller, Goethe, hat spater an seinen Werken unter dem Eindruck einer
verfeinerten kunstlerischen Entwicklung gebessert. Wagner hat an seinen Dramen
fast nichts mehr oder verhaltnismafiig verschwindend wenig geandcrt . . ."
DER SAMMLER (Beilage zur Munchen-Augsburger Abendzeitung), 82. Jahrg.,
No. 61. (22. Mai). — „Richard Wagner." Von Paul Ehlers. „. . . Nur wenn wir
Wagner als Dramatiker erkannt haben und wenn wir alles aufs Drama beziehen, in
den aufieren Geschehnissen und ihrer tonenden Seele den Sinn des Dramas zu er-
schauen trachten, werden wir seinem hochstrebenden Willen gerecht. Indem wir
unsern Blick auf dieses Ziel einstellen, gewinnen wir auch den Mafistab dafur,
wie seine Dramen szenisch zu verwirklichen seien, und es enthullt sich uns die
beschamende Wahrheit, dafi, so viel und so oft in deutschen und aufierdeutschen
Landern seine Werke aufgefuhrt werden und so zauberhaft sie auf alle wirken,
an unsern Theatern arg gegen sie gesundigt wird. Alle Feiern und Jubelreden
werden es nicht andern, dafi man fast allerorten Wagner noch immer nicht gibt,
v • . , ■ ("ntvoh- Original from
j :,T .. c:.. .y. V k u )^J l UNIVERSITYOF MICHIGAN
REVUE DER REVUEEN 115
was Wagners ist. Ware es sonst — um nur etwas Aufteres, das aber grofle innere
Wirkungen hat, zu nennen — moglich, daft bisher ein einziges Theater entstanden
ist, das nach den Lehren des Bayreuther Hauses erbaut wurde? ..." — „Richard
Wagner als Mensch." Von Arthur Bauckner. (Schluft in No. 62.) w . . . Es sei
zugegeben, daft sich in Wagners Leben gar manches findet, was man einem
Philister vielleicht ubel vermerken wurde. Auftergewohnliche Menschen aber er-
heischen einen auftergewohnlichen Maftstab. Und Richard Wagner gehort zu
jenen ganz Groften, wie sie ein Jahrhundert kaum einen hervorbringt." - „David
und Mime." Erinnerungen an Wagner. Von Max Schlosser.
GERMANIA (Berlin), Wissenschaftliche Beilage, No. 20 und 21 (19. und 22. Mai). —
„Richard Wagner. Nachdenklicbes zu seinem 100. Geburtstage. a Von J. H. Hatz-
feld. Verfasser bemerkt zusammenfassend am SchluB seiner Untersuchungen, daft
„der Name des Kunstlers Wagner auch ein kunst-ethisches Programm bedeutet,
dessen innerer Bedeutung fur deutsche Kunst und deutsches Kunstlertum gerade
am 100. Geburtstage des Meisters am allerwenigsten vergessen werden sollte;
dessen um so eher gedacht werden sollte, als man versuchen wird, daruber hinweg
zu sehen. Wagner gehort in die Reihe jener Kiinstler, die gerade, weil sie
Kunstler waren, auch das der Kunst Gunstige und Notwendige in der Religion er-
kannten, die sich wohl hiiteten, sich auf die unfruchtbare Schlackenhalde des Tart
pour l'art-Kunstlertums zu verlieren. Darum auch fuhlte er Geister wie Dante und
Calderon dem seinen verwandt, wenn er auch ihre religiosen Anschauungen im
einzelnen nicht teilte. Er erkannte, daft jene ebensosehr aus der Tiefe ihres Volks-
tums, als ihrer Religion heraus schufen. Und eben das war es, worin er auch
selber seine Grofte suchte und schlieftlich in der Kronung seines Lebenswerkes,
dem ,Parsifal', in zwiefacher Hinsicht auch fand. So darf er wohl, wenn auch nicht
als der, so doch als einer der Fiihrer auf dem Wege zu einer groften deutschen
Kunst auf der Grundlage germanisch-christlicher Innerlichkeit gelten, doppelt in
einer Zeit, der fiber der Technik des Fortschrittes der Sinn und der Atem ausgeht
fur die Erfassung und Aussprache grofter Gedanken, die an den Ohren des Volkes
vorbeidichtet und vorbeikomponiert, weil sie das Beste des Volkes, das die Ge-
sunden aus ihm trotz allem sich noch bewahrt haben, nicht mehr versteht . . ."
BADISCHE LANDES-ZEITUNG (Mannheim), vom 22. Mai. — „Richard Wagner."
Von Michael Georg Conrad. „. . . Es racht sich, daft die Pflege der asthetischen
Kultur, die fur Charakter- und Gemiitsbildung eines Volkes so ausschlaggebend,
in unserem offiziellen Schulbetriebe nicht die ihr gebuhrende Beachtung findet.
Kunsterziehung ist das Aschenbrodel, abfragbare Wissenswiirdigkeiten fur die
Examen-Paraden sind in unseren Unterrichtsanstalten die Prinzessinnen. Musik
und Drama, Bayreuther Buhneweihekunst als Erziehungsmittel — ist das nicht wie
ein Traum? Wo findet in den allgemeinen Volks-, Mittel- und Hochschulen eine
ernste, systematische Einfuhrung in die musik-dramatische Kunst statt? Ist nicht
alles auf die Ausbildung des Verstandes angelegt, auf Aneignung von Fachfertig-
keiten, und wird nicht die Pflege des rein Menschlichen im Gemut und Charakter
groblich vernachlassigt? Versucht unsere Schule nach Schillers Wort durch das
,Morgentor des Schonen in der Erkenntnis Land* einzudringen? Haben die
GeneralstSbler unseres Schulheeres auch nur eine Ahnung von den Lucken und
Einseitigkeiten in der geistigen Ausrustung des Volkes in Waffen? Was ist da von
den anderen Behorden oder vom Reichstage zu erwarten? Keine andere Kunst
hat sich so rein von fremden Einfliissen aus dem deutschen Geiste entwickelt wie
unsere Musik. Niemand hat mehr fur die Bewahrung der deutschen Kultur vor
unheilbarer Verwustung durch welschen Tand und exotische Luxuskunst getan, als
8*
f " . A . ^ ^ 1 . s Original from
5' UNIVERSITY OF MICHIGAN
116 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
unsere musikalischen GroBmeister von Johann Sebastian Bach an bis herauf zu
Beethoven und Wagner. Gelten diese GroBen als Vorbilder unserer Jugend?
Wird in den Schulen in die Werke dieser GroBen mit Liebe und Verstandnis ein-
gefGhrt? Erflhrt man durch die Pfieger unserer offentlichen Bildung, dafl auch
durch Musik deutsche Kultur geschaffen und verbreitet werden kann, besser als
durch grammatikalischen Drill im Griechischen und Lateinischen, Franzosischen
oder Englischen? DaB eine Kantate oder ein Praludium von Bach, ein Satz aus
einer Sonate oder Symphonie von Beethoven, eine musikdramatische Szene aus
den ,Meistersingern* oder dem.Nibelungenring* von Wagner so viel edelsten Bildungs-
gehalt fur Geist und Gemut darzubieten vermag, als irgendein Gesang von Homer,
eine Ode von Horaz oder ein Psalm Davids oder eine Seite aus einem beliebigen
franzosischen oder englischen Schulautor? Kann nur von dem Geklapper der
Verstandesmuhlen das Mehl zum Lebensbrote deutscher Kultur geliefert werden
oder nur aus dem Buchstabenbekenntnis der konfessionellen Katechismen? . . ."
KOLNISCHE VOLKSZEITUNG, vom 22. Mai. — ^Richard Wagner." „. . . Hat nun
aber mit der ungeheuren PopularitSt, deren sich Wagners Werke erfreuen, auch
die kunstlerische Kultur des Theaters, die Wagner erstrebte, Schritt gehalten? So
gut und schlimm es gen', setzen sich die Theater mit den Forderungen Wagners
bei der Wiedergabe seiner Werke auseinander, aber das, worauf es ankommt, ein
dem Charakter der einzelnen Werke entsprechender Stil, fur den Bayreuth das von
Wagner gesetzte Vorbild ist, tritt nur in Ausnahmefallen zutage. Und begegnen
wir nicht ringsum an unseren Theatern statt der von Wagner erhofften Lauterung
des Geschmackes einer gefahrdrohenden Verflachungdes kunstlerischen Empfindens?
Mozart leidet unter der Teilnahmslosigkeit selbst leistungsfShiger Buhnen, Gluck
ist so gut wie verschollen, die feine Spieloper durch frivole Operetten, die Tragik
durch den blutrunstigen Verismus verdrSngt. Wie hat Wagner, der Idealist, der
auch die Buhne idealisieren wollte, diese Verflachung des Geschmackes, diese Ent-
artung der Kunst gehaBt! . . . a
MANNHEIMER TAGBLATT, vom 19. Mai. — „Richard Wagner und das Volk."
Von Oscar Bie. „Wagner, der als ein Einsamer lebte, ist heute der Held des
Volkes geworden. Nicht einer Bourgeoisie, die aus Bequemlichkeit seinen Idealen
folgt und seine Kunst als Mode anschwarmt, sondern des breiteren Volkes, das
voller Tradition ist und seine gesunden Instinkte hat und den Marchenglanz alles
Schonen, den die Oper wie keine andere Kunst verbreitet, zu seinem Dasein
braucht. Dieser Wagner ist der Wagner der ,Meistersinger\ Ist ,Tannh2user* noch
im Schema befangen, , Lohengrin* eine schone unglucklicbe Mischung von atherischem
Ton mit popularer Bilderhaftigkeit, der ,Ring des Nibelungen* der Kampfplatz un-
ausgeglichener Kunste, ,Tristan 4 ein esoterisches Bekenntnis, , Parsifal 4 eine mude
Religion, so sind die ,Meistersinger 4 Wurzel und Krone, Drama und Musik in
wundervoller Einheit und Vielheit, eine Zusammenfassung deutscher Kunst, die
die echte PopularitSt hat, den naturlichen Sinn fur Vergangenes und Zukunftiges,
das wahre ,Volksherz 4 . Erzahlen wir an seinem Geburtstag nicht die hundertmal
wiederholten Daten seines Lebens, halten wir allein dieses Kunstwerk boch, in
dem sein Erbe uns gegeben ist — fur Jahrhunderte. Es ist als Dichtung sein
Edelstes, und Hans Sachs ist ein Spiegel der Menschheit geworden. Es ist als
Text sein Standhaftestes; denn es ist eine gute, richtige, alte Opernszene mit alien
erprobten Wirkungen. Als Orchester ist es Einfachstes und doch so wunderbar
vielfaltig, daB er die Meisterschaft nie schlagender offenbarte. Und als Musik ist
es ein Zentrum der Zeiten, zuruckgesehen ins Mittelalter, vorausgesehen in die
Zukunft, die in Stromen aus diesem Werk flieBt. Es ist der Boden, auf dem wir
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
REVUE DER REVUEEN 117
stehen und froh ins Helle blicken. Die Welt der Diatonik, des ausgesprochenen
C-dur, wo alles fest und gerade und eindeutig wird. Die Symphonie des Tages,
jenes sonnigen Tages, der in Sachsens Zimmer leuchtet, wo unter dem freund-
lichen Glanz des wohlwollend umfangenden Leitmotivs dieser Szene an der Zu-
kunft gearbeitet wird, Lieder entstehen, Regeln gepruft und Gluck geschaffen wird."
PESTER LLOYD (Budapest), vom 21. Mai. — „Richard Wagner." Von August Beer.
„. . . Die Nibelungen-Tetralogie ist ein Ausnahmswerk, an das kein noch so weit
gestrecktes Richtmaft hinanreicht. Ein Ausnahmswerk war auch der machtige
Tempel in dem bayrischen Stfidtchen, welcher diese gigantische Schopfung aufnahm.
Dort hat sich das Unerhorte begeben, hat sich das wie in nfichtlichen Visionen
nur Ertraumte in wunderbare Wirklichkeit verwandelt. Da kommt ein einzelner
Mann daher, bringt es zuwege, einen eigenen, hochragenden Bau aufzurichten fur
das machtige Gebilde seiner Phantasie. Und auch hier waren die Baumeister ein
Riesenpaar: sein Genie und sein stahlerner Wille. Er winkt, und ein imposanter
kunstlerischer Heerbann eilt herbei, stellt sich auf den ersten Ruf des Meisters
in seinen hehren Dienst; er winkt, und die Hunderttausende pilgern aus alien
Weltgegenden andacbtig zu der geweihten Kunststatte auf dem Bayreuther Festspiel-
hugel. Seit drei Jahrzehnten ruht Richard Wagner unter den Granitplatten seines
schmucklosen Grabes, aber er schreitet wie der Gott der Mythe durch die Zeiten,
hat den Speer so weit ausgesendet, daft sein Endziel noch nicht abzusehen ist."
DUSSELDORFER GENERAL-ANZEIGER, vom 25. Mai. — „Richard Wagner und
die Gegenwart. 1 * Von Egon Aders. „. . . Mir scheint: Will Bayreuth bleiben,
was es war und ist, will es Unheil abwenden und von sich aus der neuen Wagner-
Frage Losung flnden, so bleibt dazu nur eine Moglichkeit: zu tun wie seines
Meisters ,Siegfried', — das am ehernen Speer unabwendbaren historischen Ge-
schehens zerspringende Schwert nicht mit Bappe backen, nicht Stucke loten,
sondern die uberkommene buhnentechnische Daseinsform, die traditionelle auQere
Gestalt ganz aufgeben, zerfeilen, zerstampfen, das Edelmetall, die reine Substanz
alsdann mit dem blutvollen Selbsterleben heutiger Menschenkraft neu durchgluhen
und im Rbythmus einer neuen Zeit ihm eine neue Form hammern. Praktisch
ausgedruckt: Wenn der Gedanke von Bayreuth das Jahr 1913 lebendig wirksam
uberdauern, die neue Wagner-Frage losen soil, so mufite das Drama Richard
Wagners von einer modernen, an Kleist und Hebbel erzogenen Dramaturgic ver-
gleichend betrachtet und die tragischen Konflikte im neuen Geiste gedeutet und
ausgepragt werden. Der Dialog, die streitende Rede, dieses innerste Lebens-
element des echten Dramas, mufite noch weit mehr als bisher durch schau-
spielerische Gharakterisierungskunst rhytbmisch gegliedert, die kampfordnende
Kraft entfaltet werden, ehe die Worte in Musik versinken. Die Antithese, deren
antagonierende Energie das Wertkriterium eines Dramas ist, mufite in kunstvoll
gefugter Gliederung herausgemeifielt, in klaren Formen festgestellt werden, ehe
die Harmonieen daruber hinfluten. Regisseure der neuen Berliner Schule — nicht
geschmackvolle Zeremonienmeister — , die wie grofie Psychologen die Isobaren
aller seelischen Bewegungen mit sozusagen naturwissenschaftlicher Exaktheit
kennen und sie als reife Kunstler nachziehen : schopferische Regisseure
mussen den Rhythmus der Darstellung befeuern. Und endlich mufite Wagners
Drama — immer noch mehr als bisher — in einem zeitgemaflen raumkunst-
lerischen Gewand und Rahmen erscheinen. Kostum und Szene mussen in der
kuhnen und doch so streng disziplinierten Optik der modernen Maler zu ganz
neuen Buhnenbildern raumfisthetisch verarbeitet werden . . .*
VORWARTS (Berlin), vom 22. Mai. — „Richard Wagners Werk. Seine Bedeutung
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
118 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
und die Grenzen seiner Geltung." Von W. M. „. . . Wagner hat uns Deutsche
und die ganze Kunstwelt in der Tat erlost. Von der nach Mozart und Weber
versimpelten und total verblodeten, durch Meyerbeer und die Franzosen verrohten
Oper. In der die Schablone, das Tanzbein, die kostumierte und kolorierte Arie,
die Unnatur, die Schminke, die Maskerade alles, die Poesie, die Sprache, die
dramatische Wahrheit, der Geist, die Idee nichts war. Von dieser Oper in der
tiefsten Kurve ihrer Erniedrigung hat uns der groBe Reformator, der , Luther der
Oper*, fur immer erlost. In seinen vier romantischen Opern wie in seinen sieben
eigentlichen Musikdramen. Er erst hat die eigentliche Kunstform der Oper ge-
schaffen, die Mozart und Gluck ahnten, in der eine vernunftige Handlung von
denkenden Schauspielern gesungen wird. Er hat Poesie und Musik zu einer
hoheren Einheit im musikalischen Drama zu vermShlen versucht, wobei nur frei-
lich unerlSBlich blieb, daB die eine die andere stSrte. Die Musik sollte als Mittel
des Ausdrucks eine treue Magd und Geffihrtin der Dichtung sein, sie war nicht
mehr ,tonender Selbstzweck* wie in der alten Oper. Aber leider, sowie die Magd
ihre Stimme erhob, verstand man die Herrin nicht mehr. Das Orchester machte
die Sanger tot . . ." „Wie steht nun heute am Sakulartag die Gegenwart zu Richard
Wagner? Das ist ein ganz eigentumlich verwickeltes Verhaltnis. Bei den so-
genannten Intellektuellen beginnt allmahlich die Entzauberung. Feinhorige Musiker
und Kritiker, hellsehende Kulturforscher sind sich darin einig, daB Wagner der
Hohepunkt einer bestimmten musikalischen Entwickelung war, daB die Musik und
Kulturgeschichte ihm sehr viel verdankt, daB durch ihn der Gipfel tondichterischer
Monumentalitat und Pathetik erreicht wurde, daB aber die dramatische Musik im
schlimmsten Sinne absterbend und zeitfremd wurde, wenn sie weiter in diesen
Bahnen sich bewegte, Man erkennt die Notwendigkeit, daB die musikalische Ent-
wickelung von heute ab rascher uber diesen Riesen wegkommen muB, dessen
Vorherrschaft lahmend auf das ganze moderne Theater, auf die ganze kunst-
lerische Produktion zu wirken beginnt. Man setzt schon sehr energisch mit der
,Ring'-Kritik ein, nachdem man sich von den Feuerwerkereien der Schwanenritter-
und Venusberg-Opern ISngst nicht mehr blenden 13Bt. Man laBt mit herzlicher
Bewunderung die beiden unsterblichen Schopfungen unangetastet stehen: /Tristan'
und die ,Meistersinger* . . , u
SCHLESISCHE ZEITUNG (Breslau), vom 22. Mai. — ^Richard Wagner." Von
Max Koch. „. . . Der alte lange Streit um den Kunstwert von Wagners Werken
ist, trotz des vereinzelten AufbSumens arg verspateter Gegner, endgultig entschieden.
Der Kunstler, der von sich selber sagte, daB er urgermanisch zur Welt gekommen
sei, hat eben durch die aus den edelsten Tiefen seines Volkstums geschopfte
Kraft die Anerkennung aller Volker sich erzwungen. Aber der Ausbreitung be-
ginnt mit der wachsenden Einsicht in das ganze Wesen der edlen kiinstlerischen
und menschlichen Personlichkeit Wagners auch die tiefere Wirkung zu folgen,
so daB wir bei der 100. Wiederkehr seines Geburtstages sagen konnen: Wie
Wagner selbst, als ein immer Strebender, um das Hochste sich bemuht hat, so
scheint den Taten und Gedanken seines arbeitsreichen Lebens eine unabsehbare
Zukunft sich aufzutun. Je ferner wir zeitlich von ihm rucken, desto gewaltiger
wSchst der Meister von Bayreuth empor zu einer der groBten Erscheinungen aller
Kunstgeschichte, zum sieghaften Vorkampfer ,deutscher Art und Kunst*, wie
cinstens Herder und der junge Goethe sie verkundigt haben. tt
Willy Renz
J":;t':l^j:
("ntuil( s Original from
v,UU tV l UNIVERSITY OF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN
BUCHER
1. FaustoTorrefranca: Giacomo Puccini e
l'opera internazionale. Verlag: Fratelli
Bocca, Torino 1912. (2,50 Lire.) j
Ein sonderbares, ein hochst sonderbares Buch.
Man liest es kopfschfittelnd, und doch legt man's
nicht ohne Nutzen aus der Hand. Man spun
von ihm jene Bereicherung, die uns etwas I
unserer ganzen Art zu denken und zu fuhlen i
diametral Entgegengesetztes zu geben vermag.
Wir fuhlen uns am Widerstand gekraftigt und
nehmen voll Verwunderung wabr, wie fern sich
menschliche Anschauungsweisen zu stehen ver-
mogen. Und die Empfindung dieser Distanz
vergroftert unseren Gesichtskreis.
Torrefranca ist ein sonst sehr ernster und
ernst zu nehmender Musikgelehrter, der ubrigens
langere Zeit in Deutschland gelebt hat und von
deutscher Art wohl so manche starke Anregung
erfahren haben mag. Er unternimmt in diesem
Buch nichts Geringeres, als der heutigen Oper
im allgemeinen und Puccini's Schaflfen im be-
sonderen jede, aber auch jede kfinstlerische
Daseinsberechtigung abzusprechen. Er tut das
in einer Weise, die man am treffendsten als
hahnebiichen bezeichnet, mit Ausflugen ins Un-
sachliche, ins Personliche, die seinem Ansehen
nur schaden mfissen und die heute glficklicher-
weise zu den Seltenheiten gehoren. So spricht
er von Puccini, den er grimmig haftt, in Aus-
driicken, die bei dem ruhigen und unparteiischen
Leser genau das Gegenteil des gewollten Effekts
bewirken. Man nimmt ganz unwillkfirlich fur
den Angegriffenen Partei.
Torrefranca sieht in der Oper die Wurzel
alles Obels, aller musikalischen Unkultur, in der
wir stecken. Das mag fur Italien und die Italiener
in gewissem Sinne zutreffen. Zum mindesten
ist es fur die Italiener gut, wenn ihrem ein-
seitigen Opernkult und dem Schaden, den er
angerichtet haben mag, ein Gegner ersteht, einer,
der energisch, meinethalben wenn's durchaus
notwendig scheint, auch einseitig auf den hohen
Wert reiner Instrumentalmusik hinweist. Fur
uns, die wir fiber einseitige Pflege der Oper
ganz und gar nicht zu klagen haben, trifft, was
er in diesem Sinne, meist verallgemeinernd,
formuliert, nicht zu. Immerhin sind diese seine
Gedankengange wenigstens noch verstandlich,
und man kann ihnen bedingt zustimmen. Man
hort eben einen Italiener sprechen, der sich in
der Welt und in anderen Kulturen umgesehen
hat und der seinen lieben Landsleuten nun
grundlich die Meinung sagt fiber ihre gedanken-
lose und unkfinstlerische Affenliebe der nationalen
Oper gegenuber. Naturlich wagt es Torrefranca
nicht, Verdi ernstlich anzugreifen, so oft man
bei ihm die Lust dazu verspurt. Er geht etwas
scheu um diesen heiklen Punkt herum. Um so
schonungsloser geht er daffir gegen die heutigen
italienischen Operisten vor, und Puccini und
seinem Schaffen gegenuberist ihm, wiegesagt,kein
Wort der Verachtung und der Herabsetzung zu
stark. Nicht nur gehort Puccini zu den kleinen
Modegroften, die die Welle emportrSgt und rasch
wieder hinabreiftt, zu den Lamenkunstlern, die
das kleinliche, kitschige Kulturideal der Weibchen
verkorpern, er wird auch als sk r Opel loser J3e,l^ -
n::T*[.-'r::! " ! V V. it 3 ( ,)v It
o
macher geschildert, der seine winzige Hand-
werksgeschicklichkeit schlau in den Dienst der
Konstellation zu stellen weifi, der auf die niedrigen
Instinkte der Vielzuvielen spekuliert. Seine
Muse ist eine Kokotte, wie die Oper uberhaupt
die „Kokotte der Literatur" ist. Alles ist halb
an ihm, impotent, dekadent, er ist der typische
Vertreter der Demimonde in unserer Kultur. In
dieser Tonart geht so ziemlich das ganze Buch.
Ich meine, das ist denn doch ein biftchen
viel, ein biftchen sehr viel. Wir wollen uns
naturlich hfiten, Puccini fur einen Heros zu
halten. Wir wollen uns seinen Menschlichkeiten,
den Grenzen seines Talents gegenuber wahrlich
nichtblind zeigen, wollen uns nichtverhehlen, daft
seine Kurve eher abwarts als aufwfirts geffihrt
hat, daft seine Libretti nicht immer dem feineren,
ja oft nicht einmal dem guten Geschmack gegen-
uber standhalten, daft seine Diktion ganz und
gar nicht frei von Manier ist. Und was derlei
mehr sehr begrfindetermaften gegen Puccini ein-
gewendet werden kann. Aber schlieftlich hat
dieserMann doch die„Boheme a geschrieben. Und
wenn er auch vielleicht nie mehr Besseres er-
reicht hat, wenn die besten Momente in „Butterfly tt
oder „Tosca a nur eben die Erinnerung an jenes
frfihere Werk wachrufen mogen — aber auch
sie enthalten ja Stellen, die ins tiefe Herz greifen,
wie etwa Cavaradossi's Todesschrei „So starb
ich hier in Verzweiflung und liebte doch so sehr
das Leben" — in seiner „Boheme a zum allermin-
desten hat sich Puccini als wirklicher und echter
Dichter erwiesen. Wer das nicht ffiblt, dem ist
eben nicht zu helfen. Gerade diese „Bob6me tt
aber zerpflfickt Torrefranca schonungslos. Er
begreift die Notwendigkeit der ausgelassenen
lustigen Szenen im letzten Akt nicht, die doch
so echt und stark zum Folgenden kontrastieren
und gemeinsam damit so recht das Bild des
bunten Lebensspiels ergeben mit all seinem Hin
und Her von Freud und Leid. Er begreift nicht
die Grofte von Mimis Abschiedsworten: „Sono
andati? Fingevo di dormire," er begreift vor
allem nicht — und das ist schlimm — die tiefe
und echte Poesie des Orchesterepilogs, der
Mimis Sterbegesang wortlos aber unendlich be-
redt wiederholt, da der Mensch in seiner Qual
verstummt und der Vorhang sich fiber einem Bild
von erschiitterndem Weh schlieftt. Ja, wer derlei
nicht fuhlt, dem ist eben nicht zu helfen. Uns
anderen aber wird Puccini wert und lieb bleiben,
weil er das gekonnt hat, auch wenn er nun nichts
Erhebliches mehr zustande brachte, was zu be-
dauern ware.
Torrefranca's Buch ist ubrigens klug und
geistvoll geschrieben. Ein Mensch von Bildung
schaut aus ihm. Um so bedauerlicher bleibt's,
daft der Autor die Grenze nicht fand. Dieses
Buch kann niemand nutzen in der Richtung, in
der es nutzen will, wohl aber einem schaden —
dem Autor selbst. Dr. Ernst Neufeldt
2. Robert Siebeck: Joh. Schultz, Ffirst-
lich Braunschweigisch - Lfineburgi-
scher Organist. (Publikationen der I. M.
G., Beihefte, Zweite Folge, No. XII.) Verlag:
Breitkopf & Hartel, Leipzig. (Mk. 5.—.)
Siebeck hat mit dieser 191 Seiten umfassen-
den Arbeit einen erwunschten Beitrag zur Ge-
schichte der M^ilgiinaNfedtfYBachsen geliefert.
UNIVERSITY OF MICHIGAN
120
DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
Sein sorgfaitig gearbeitetes Buch gliedert sich
in einen biographischen und einen analysieren-
den Teil. Schultz war kein Meister hohen
Ranges; er kann als Typ des Durchschnitts-
Musikers seiner Zeit gelten. Er wurde 1582 in
Luneburg geboren. Seine Wirksamkeit gehorte
der Furstlichen „Hauptstadt" Dannenberg, einem
kleinen Neste, woselbst er seinen Amtsvorganger
Joh. Koch wahrscheinlich 1605 als Organist ab-
loste. Kleinliche Verhaltnisse sind es, uber die
wir unterrichtet werden. Gaben die Akten ein
weniges mehr uber die kunstlerischen Verhfilt-
nisse, so ware diese Darstellung auch leichter
und erfreulicher gewesen. So wie die Dinge
aber liegen, ist's ein ziemlich trockenes Neben-
einander geworden, an dem Siebeck nur inso-
fern eine Schuld trifFt, als er viele Belanglosig-
keiten allzu breit debnt. Andererseits aber bringt
er eine Fulle kulturhistorisch brauchbarer Zuge
der Zeitgeschichte bei, so daft sich aus dem
Ganzen doch deutliche Bilder ergeben. Das
Leben eines solchen kleinstfidtischen Organisten
war nicht eben leicht: die Hauptstelle bot wenig
Gehalt; da gait es auf Nebenverdienst aller Art
zu sinnen. Wer Juristerei studiert hatte, war
wohl als Notar tfitig, andere verfafiten Carmina
zu alien moglichen Gelegenheiten, wieder andere
waren als Wirte tatig. Moglicherweise ist Schultz
auch „provisor scholae* gewesen. Spaterhin war
das Amt nachweisbar mit dem des Organisten
verbunden. Siebeck geht nun den einzelnen Er-
eignissen wfihrend Schultz' Dienstzeit mit grofler
Sorgfalt nach und beleuchtetauch die Hamburger
Verhaltnisse der Zeit, die ohne Frage durch ihre
Bedeutung einen gewissen Ein flu ft auf das Stadt-
chen Dannenberg gehabt, insbesondere die Un-
zufriedenheit der dortigen Organisten gesteigert
haben werden.
1617 setzt der verhaltnismSGig kurze Ab-
schnitt der produktiven Tatigkeit in Schultz*
Leben ein; er endet bereits 1623. Dann folgen
Jahre der Trubsal, finanzielle Note bedrangen
den Armen, und nach jahrzehntelangem Kampfe
beschliefit Schultz sein Leben in der furcht-
baren Zeit des 30jahrigen Krieges. Nicht wie
in Schutz hatte in ihm diese entsetzlichsten
Jahre deutscher Geschichte eine Vertiefung des
Gemutslebens, eine Verinnerlichung des geisti-
gen Schaffens verursacht: nur noch einmal,
anfangs der 40er Jahre, lebte seine Arbeitsfreude
vorubergehend auf. Schultz endete sein „lang-
wieriges, einsames, beschwerliches" Leben Mitte
Februar 1653.
Die groBere Haifte von Siebecks Arbeit be-
schaftigt sich mit Schultz* Schaffen. Es er-
streckte sich auf die weltliche und geistliche
Komposition und umfaBt lnstrumentalstucke von
1617 und 1622, Vokalsatze von 1622 und Mo-
tetten von 1621, 1622, 1623 und 1645. Den
Einzeluntersuchungen konnen wir hier nicht
folgen. Sie bieten ein rein wissenschaftliches
Interesse. Die Instrumentalsatze von Schultz
enthalten in der Hauptsache Tanzstucke, die
zwar ein strenges Festhalten an einer bestimm-
ten Ordnung, aber keinen Suitencharakter er-
kennen lassen. Die modernen Tonarten zeigen
sich erst in der Andeutung. Die von ihm kom-
ponierten Tanze sind die damals altmodischen,
Paduane und Galliarde; Allemanden und Cou-
ranten schrieb er noch, nicht. Tanzcharakter
i":;i
haben diese Satze nicht. Imitierende Stimmfuh-
rung ist fur die Sammlung von 1617 bezeicb-
nend. Sie laBt erkennen, daB Schultz ein guter
Kontrapunktiker war, der freilich sich nicht
uberall geltend macht. Eines der weniger
polyphon gehaltenen Stucke, eine Paduane von
1617, macht bei aller Einfachheit der verwen-
deten Kunstmittel einen vortrefflichen Eindruck
(S. 102ff.). DaB Siebeck bei dem Orgelpunkte
des Anfanges den „Rheingold tf -Orgelpunkt zitiert.
war ubrigens uberflussig. Die w Fugen" Schultz >
sind streng durchgefuhrte kanonische Arbeiten,
andere lnstrumentalstucke sind Phantasieen und
Kanzonen, unter denen eine chromatische
Kanzone besonderes Interesse erweckt (S. 117 ff.).
Sehr Hubscbes bieten die Reigen mit Nachtanz
auf frohliche Texte (S. 122ff.). Madrigal und
Villanelle haben hier ihren EinfluB geauBert.
Im nachsten Abschnitte bespricht Siebeck zu-
nachst die kirchlichen Motetten, deren Schultz
eine groBe Anzahl schrieb. Interessant ist, daB
der Zusammenhang mit den Kirchentonen, den
er offenbar beabsichtigte, sich im Verlaufe der
Stucke vielfach lockert; es uberwiegen, wie
Siebeck zahlenmaBig feststellt, dorisch versetzt
(g mit {?) und jonisch versetzt (F mit p). Nur
selten ist der Kirchenton ganz eingehalten, in
den Cantus "flrmus-Motetten. Indem Siebeck
die Motetten des „Thesaurus" gruppiert, betont
er, wie dieses Werk die verschiedenen Momente,
die sich in der deutsch-evangelischen Kirchen-
musik um die Wende des 16. und 17. Jahr-
hunderts Geltung verschaflFten, nebeneinander
aufweist: den niederlandischen Ursprung, die
venezianische Technik und das deutsche geist-
liche Lied, d. h. also, es erscheinen die reine
niederlandische Imitationstechnik, die venezia-
nische Art, ganze Klangkorper gegeneinander
imitieren und konzertieren zu lassen, und eine
dritte Technik, die vorwarts zur Monodie strebt,
aber auf die einstige Herrschaft des Cantus
firmus zuruckblickt. Der vorletzte Abschnitt
von Siebecks schoner Arbeit behandelt Schultz'
w Kasualmotetten M . Das Wort ist nicht schon.
Gelegenheitsarbeiten oder Motetten zu beson-
deren Aniassen hatte besser geklungen.
Der SchluB zieht die Summe von Schultz'
kunstlerischem Wirken. Vermag man sie mit
den Ohren der Zeitgenossen zu horen, so
werden Schultzens Werke auch heute noch Teil-
nahme wecken, obwohl der Meister auch zu
seiner eigenen Zeit schon etwas veraltet war.
Er war bewuBt konservativ und hielt auch in
AuBerlichkeiten Altes, von anderen Abgetanes
bei. Im allgemeinen ist seine Harmonik einfach.
Seine Stellung zu den Kirchentonen wurde be-
reits betont, erst im Jahre 1645 fand Schultz
voiligen AnschluB an die modern e Tonalitat.
Schultz war nirgendwo ein Neuerer oder ein
Experimentator; was er aber eriernte, das hat
er auch vollig beherrscht. Seine Lebensum-
stande haben sein Schaffen wesentlich beein-
fluBt; sie haben ihn vielleicht gehindert, zu
hoheren Zielen zu kommen, auf jeden Fall aber
ihn auch davor bewahrt, in manchen Fehler seiner
Zeit zu verfallen.
Ich habe versucht, mit diesen Andeutungen
ein Bild von dem Reichtume der Forschungs-
arbeit Siebecks zu geben. Moge sie die gebuh-
rende Be^f^fj^ Wilibald Nagel
UNIVERSITY OF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
121
3. Erich Klocke: Richard Wagners Par-
sifal" an der Hand des Textbuches
erklart. J. Woerners Verlag, Leipzig 1913.
(Mk. 2.50.)
Der Verfasser erzShlt mit seitenlangen Zitaten
den Inbalt und knupft daran einige philosophische
Auslegungen, die sehr allgemein und nicht immer
klar sind. Kundry ist „die Menschheit". Die
wilde Kleidung des ersten Aufzugs wird aber
sonderbar als „tief symbolischer Hinweis darauf,
dafi das Evangelium aus dem Orient in den Okzi-
dent verpflanzt worden ist", gedeutet. Kundrys
leidenschaftliche Liebe zum Erloser ist das
mystische Sehnen der Seele nach Vereinigung
mit Gott. Parsifal uberwindet sich selbst, kebrt
sich aber von der Menschheit ab und gerdt auf
Irrpfade. „Da nimmt sich die von ihm ver-
stofiene Menschheit (Kundry) liebevoll seiner
an* (namlich bei der FuBwaschung und Salbung).
Nun wird Parsifal die Tat des Heilands klar,
„die darin gipfelt, dafi er nicht nur sich selbst
uberwand, sondern seine von auQen unuberwind-
liche Personlichkeit in den Dienst der ganzen
Menschheit stellte". Die Schrift ist voll Be-
geisterung und in der Absicht verfaflt, zu
tieferem Verstandnis des „Parsifal tt anzuleiten.
Sie verliert sich aber ins Abstrakte und Allge-
meine und lifit nichts von der dichterischen
Schonheit des Werkes ahnen Sie gehort zur
Gruppe der uberflussigen Abhandlungen uber
Wagner, da sie unsere Kenntnis durch keine
neuen Ergebnisse und Gedanken fordert und
formlos ist. Wolfgang Golther
4. G6za Revesz: Zur Grundlegung der
Tonpsychologie. Verlag: Veit & Co.,
Leipzig 1913. (Mk. 4.—.)
Man sollte nicht glauben, dafi es im Bereich
der elementaren Tonempfindungen noch unge-
loste Probleme gibt. Fur den Musiker steht
z. B. die Ahnlichkeit, wenn nicht Gleichheit der
Oktavtone eo ipso seit jeher fest, wihrend die
Psychologen noch immer nach einem zureichen-
den Grunde suchen. Diese und andere Fragen
scheinen jetzt durch die experimentellen, auch
das pathologische Geborsgebiet umfassenden
Untersuchungen des Verfassers ihre Losung zu
finden, nachdem hier bereits Fr. Brentano und
W. Kohler bahnbrechend vorangegangen waren.
Verfasser kommt namlich zu der Erkenntnis,
dafi die Reihe einfacher Tone eine Empfindungs-
reihe ist, die aus drei voneinander unabhSngigen
(sogar isolierbaren) Reihen gebildet ist, der
Qualititen-, Hohen- und Vokalreihe. Bei
der musikalischen Tonreihe tritt jedoch die
Vokaleigenschaft zuruck, so dafi diese Tonreihe
vor allem durch die Verbindung der Qualitaten-
und Hohenreihe entsteht. Die Ahnlichkeit der
Oktavtone trotz ihrer Hohendifferenz wurde dem-
nach durch die Gleichheit ihrer Qualitat zu
erklSren sein, ebenso die Tonartencharakteristik
durch die Verschiedenheit der TonqualitSten
innerhalb der Oktave. Plausibel ist auch des
Verfassers Unterscheidung von zwei Arten des
sog. absoluten Gebors, namlich eines ange-
borenen, nach TonqualitSten, und eines er-
worbenen, nach Tonhoben urteilenden. Auf dem
Zusammenwirken von Tonqualitat und Tonhohe
beruht auch die Auffassung sukzessiver Intervalle
(Melodieen), wShrend s i m u 1 1 a n e Intervalle durch
den Verscbmelzungsgrad ihrer Tone charak-
i":;i
Vr::! :v/ ( iOOO|
terisiert werden. Bei der Umkehrung sukzessiver
Intervalle stofit Verfasser auf Schwierigkeiten.
Um zu erklSren, weshalb z. B. c l — e 1 (Terz) und
c 1 — e° (Sexte) verschiedene, wenn auch ahnliche
Intervalle sind, begnugt er sich nicht damit, die
Ahnlichkeit durch die QualitStsgleichheit und
die Verschiedenheit durch den Distanzunter-
schied zu begrunden, sondern stellt er eine eigene
Segmenttheorie auf, die den Sachverhalt unnotig
kompliziert und mir uberflussig zu sein scheint.
Was als drittes Kriterium bei der Intervall-
umkehrung noch in Betracht kommt, kann doch
nur der Richtungsunterschied sein, der sich
auch bei der Umkehrung des Tritonus bemerkbar
macht; vgl. die Wirkung von c l — fis 1 — g l und
c 1 — fis°~g°, obwohl hier (bei temperierter
Stimmung) Qualitfiten und Distanzen gleich
bleiben. Unverstandlich ist mir ferner, wie ein
und dasselbe Intervall in verschiedenen Hohe-
gebieten verschiedene Distanz haben soil. Eine
entsprechende Gehorsempflndung kann doch
nur eine auf besonderen Ursachen beruhende
Tauschung sein. Wenn z. B. der Verfasser meint,
das Intervall a 1 — b° (absteigende gr. Septime)
konne als A— Bi (also in defer Lage) sehr wohl
als aufsteigende kl. Sekunde aufgefaBt werden,
so liegt der Grund nicht in reeller Distanz-
verminderung, sondern in dem starken Mit-
klingen des Oktavobertones von Bi.
Georg Capellen
MUSIKALIEN
5. Carl Ehrenberg: Vier Gesange mit
Orchester oder Klavier. op. 16.
(Mk. 4.—.) — Vier GesSnge. op. 17.
(Mk. 4.—.) Zwei Gesange. op. 18.
(Mk.2.50.) Verlag: F. E. C.Leuckart, Leipzig.
Diese Gesange sind die Produkte eines ernst-
strebenden Musikers, der sich freilich noch in
der Entwickelung zu befinden scheint, und dem
man den Rat geben mdchte, mit mehr Selbst-
kritik und Konzentration an sein Schaffen zu
gehen. Den gunstigsten Eindruck habe ich von
den GesSngen op. 16, weil sie durch bestimmtere
Zeichnung einen geschlosseneren Eindruck
machen. In den anderen findet sich leider viel
Phrasenhaftes. Die rezitierende Gesangsstimme
basiert auf sehr kiihnen und frei ineinander
gewobenen Harmonieen. Da esdem Komponisten
an prMgnanten und charakteristischen Motiven
gebricht, sucht er alles durch Ausdruck zu er-
reichen, der sich aber nicht zu uberzeugenden
Stimmungen verdichtet.
6. Emil liiepe: Vier Gesange fur mitt-
lere Stimme. op. 32. Verlag: „Eos a ,
Berlin-Schoneberg. (Mk. 2.50.)
Gesange, bei denen die Naturlichkeit ange-
nehm beriihrt. Es sind einfache, volksliedmSBige
Verse, die sich der Komponist zum Vorwurf
genommen hat, und es ist ihm gegluckt, die
Musik ebenso zu gestalten. Man muB ent-
schieden Talent fur das Volkstumliche bei ihm
feststellen. So sind w Gro(imutterchen < * und
„Klein Annemarei" ausgezeichnete Proben dafur.
Auch das letzte: „Ach wuOt , ich's", obwohl
etwas schwacher, gibt Zeugnis davon. Im „Ich
sah einst ein Paradies** veriaflt er diese Bahn.
Dann wird er konventionell und hat nicht mehr
so viel Eigenes zu sagen* , £
6 UTiginal from
1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
122
DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
7. Heinrich G. Noren: Zwei Gesange
mit Klavicr oder Orchester. op. 45.
Verlag: „Eos a , Berlin-Schdneberg. (Mk. 1. —
und 1.50.)
Es sind Stucke eines tuchtigen Konners. In
beiden macht sich aber eine merkwurdige Ab-
gerissenheit und fortwShrende Unterbrechung
des gesanglichen Melos bemerkbar. Auch solche
Stellen, die logisch zusammengehoren, sind in
der musikalischen Deklamation getrennt. Das
gereicht dem Ganzen nicht gerade zum Vorteil
und gibt der Gesangsstimme etwas Barockes.
Der Klavierstimme merkt man es stellenweise
an, daft sie wohl ursprunglich fur Orchester
gedacht ist. Das erste, „Bluhen", ist das ein-
fachere. Trefflich illustriert sind in „Aus-
marsch" (Langheinricb) die abziehenden Soldaten
und das in seinem Scbmerz zuruckbleibende
Madchen. Es muft mit Orchester ein wirkungs-
sicherer Gesang sein.
8. Katnillo Horn: Lieder und GesSnge.
Liebesweisen. op. 62, 63, 64. Verlag:
C. F. Kahnt Nachf., Leipzig. (Mk. 15.20.)
Siebzehn Lieder des Komponisten liegen vor.
Sie sind alle gut gemeint, und der Verfasser
glaubt gewift, eine grofte Tat vollbracht zu haben.
Auch die Texte hat er selbst gemacht. Es sind
arg dilettantische Verse, in denen sich alles
sauber reimt, die aber uber einen Durchschnitts-
kitsch nicht hinauskommen. Nicht viel besser
ist die Musik. Sie gebardet sich modern und
groftspurig, als wollte sie Wunder was aus-
drucken. Es bleibt aber alles Phrase und trotz
der vielen Noten — leer. Ein Stuck ist wie
das andere. Man kann eben nur sagen: Weniger
ware mehr gewesen. Was soil eine solche
Massenfabrikation, mit der doch kein Eindruck
zu erzielen ist?
9. Emil Berk&: Sechs GesSnge fur eine
Eos
Berlin-
Singstimme. Verlag
Schoneberg. (Mk. 4. — .)
Ein feinsinniger Liederkomponist stellt sich
hier vor, dem in Texten von Storm und Eichen-
dorff besonders die graziosen, etwas heiteren
Stucke ausgezeichnet gelungen sind. Er schreibt,
ohne in Obertreibung zu geraten, modern und
bleibt stets sanglich. Der durchsichtige Klavier-
satz spielt nie eine so grofte Rolle, daft er die
Stimme uberwuchert und halt sich in solchen
Grenzen, daft er auch von einem mittleren
Spieler ausgefuhrt werden kann. Gewift spurt
man den Einfluft Hugo Wolfs; aber was will
das sagen bei so viel Schonem und Eigenem.
Fur besonders erwahnenswert halte ich: „Durch-
einander**, „Elfe tt und als das beste von alien
„Der Kehraus". In diesem letzteren eint sich
eine bedeutende Charakterisierungskunst mit
leichtem, naturlichem Fluft der Musik.
Emil Thilo
10. Wilh. Friedemann Bach: a) Vier So-
naten fur zwei Floten. Neuausgabe von
Rudolf Tillmetz. (Zusammen Mk. 5. — .)
b) Siciliano fiir Oboe, Fagott und
Cembalo. Neuausgabe von Anton Beer-
Walbrunn. (Mk. 2.-.) c) „Zerbrecht,
zerreiftt ihr schnoden Bande." Aria
per Soprano con Organo e corno obligato.
Herausgegeben von Ludwig Schitteler.
(Mk. 2. — .) Wunderhorn-Verlag, Miinchen.
Diese Kompositionejq sind lohnende Aus-
i":;i
KompositionejQ sind lohne
Vr::! :v, ( lOOOlC
o
grabungen, die Ludwig Schitteler in dem SchafTen
des unglucklichen Friedemann Bach unter-
nommen hat. Die Erfindung flieftt namentlich
in den Flotensonaten, von denen mir die erste
und vierte (diese in einer Ausgabe fur zwei
Violinen von Wilhelm Si eben) vorliegen, frisch
und kostlich. Die beiden Instrumente bewegen
sich meist in Nachahmungen und ergeben bei
aller kunstsinnigen Fuhrung einen unge-
zwungenen und wohlklingenden Satz. Die
perlende Geschwatzigkeit der schnellen Sa*tze
namentlich wirkt prSchtig. Sehr empfindungs-
voll ist die Siciliane fur Oboe, Fagott und
Cembalo, ebenso wie die Flotensonaten fur die
Hausmusik vortrefflich geeignet. In der Sopran-
Arie zeigt sich Friedemann Bach als Vokal-
komponist ganz im Stil seiner Zeit, ein wenig
schnorkelig, aber uberschwanglich im Ausdruck.
Die Hand des Bearbeiters hat in diesen Kom-
positionen nur bescheiden und stilvoll gewirkt,
weshalb man das Unternehmen der Wieder-
erweckung Friedemann Bachscher Kompo-
sitionen freudig begruften kann.
Walter Dahms
11. Anton Bruckner: Intermezzo. Ein
nachgelassener Streichquintettsatz.
Verlag: Universal-Edition, Wien.
Unstreitig gehort dieses Intermezzo in das
einzige Kammermusikwerk Bruckners, in sein
bekanntes Quintett fur zwei Violinen, zwei
Bratschen und Violoncell; thematisch steht es
sogar teilweise in engem Zusammenhang mit
dem zweiten Thema des Finales; auch schlieftt
es fast in derselben Weise wie das Scherzo.
Ich mochte annehmen, daft der Meister statt
dessen ursprunglich dieses Intermezzo ge-
schrieben hat, daft es ihm aber spater nicht
recht gefallen hat. Es ist aber sehr melodisch,
wohlklingend und von gedrungenem Bau. Ich
mochte empfehlen, wenn man das Quintett, sei
es offentlich oder privatim, spielt, dieses
Intermezzo hinter dem wunderbaren Adagio
einzuschalten.
12. J. G. Mraczek: Quintett Es-dur fur
Klavier, 2 Violinen, Bratsche und
Violoncell. Verlag: Universal -Edition,
Wien.
Dieses Klavierquintett kann aufs warmste
empfohlen werden. Herrliche melodische Ein-
falle werden in feiner Verarbeitung darin ge-
boten; auch die knappe Form und der ganze
Aufbau ist hochst bemerkenswert. Die Harmonik
ist modern, eine gewisse Unruhe in der Modu-
lation hangt damit zusammen. Fiir die Streich-
instrumente ergeben sich aus dem fast standigen
Gebrauch der Versetzungszeichen und der Vor-
liebe fiir 7 Bs manche Intonationsschwierig-
keiten. Der erste Satz wirkt besonders durch
seinen ungesuchten melodischen Fluft und die
Pragnanz der Themen sehr gewinnend. Sehr
stimmungsvoll und von eigenartigem melodischen
Geprage ist der„Legende u betitelte langsame Satz.
Voll prickelnden Ubermuts ist das Intermezzo,
das auch rhythmisch durch die Kombination von
" h und 3 u Takt bemerkenswert ist. Ein ungemein
schwungvolles, gedankenreiches Finale bildet den
glanzenden Abschluft dieses Werkes, das im
Konzertsaale immer groften Erfolg haben und
beim hauslichen Musizieren stets Freude und
GenulL-bereiten, durfte. Wilhelm Altmann
Original from
UNIVERSIWOF MICHIGAN
KRITIK
OPER
BERLIN: Ruhe vor dem Sturm. Kleine Proben
vor der groften Kraftprobe, die Wagner gilt.
So wenigstens stellt sich die Opernspiellage dort
dar, wo die neue Rustung in Bereitschaft ge-
halten wird: im Deutschen Opernhause.
Die Neuerung der Saison ist: wir werden mit
LesestofF uberfuttert. Program mbucher sind ent-
standen, von einer Redseligkeit, die nicht immer
Freundliches verheiftt. Sollte auch darin Richard
Wagner seine Schatten vorauswerfen? Nun zu
den Taten: man gab „Lobetanz a von Ludwig
Thuille, eines von den Intermezzi in der Opern-
musik, die notwendig sind, um das Genie vor-
zubereiten. Sie sind nur lebenskraftig, wenn sie
stark auf die Instinkte wirken. Thuilles Musik
leidet an einem Ubermafi von Weichteilen. Man
schiebt das auf den Bierbaumschen Text. Aber
der Komponist wfihlt ihn, weil er Saiten in ihm
erklingen lafit. Er kommt von der Wagner-
Begeisterung nicht los. Er verfugt nicht fiber
den groften Schmelztiegel der Personlichkeit.
Das ist alles so hubsch und liebenswurdig, daft
man dem zart empfindenden Menschen ein
besseres Los wunscht. Aber es darf nicht ver-
schwiegen werden, dafi gute deutsche Lieder-
tafelei mit einem Orchester von urepigonenhafter
Farbe die Grundnote ist. Zuweilen hebt sich das
Niveau, wie in der Kerkerszene. Auch dies wurde
uns geschmackvoll geboten. Denn Krasselt
dirigierte; Konzertmeister Wladislaw Waghalter
erschmeichelte sich mit seinen Monologen die
Gunst des Publikums. Die Szenerie, von Gustav
Wunderwald entworfen, bot von Akt zu Akt
erfolgreicherihre Oberredungskunstauf. Kuppel-
horizont und Beleuchtung paarten sich schliefilich
zum echtesten Marchenton. Und Alexander
Kirchner, der ausgezeichnete Tenor mit emp-
findlicher Stimme, Lulu Kaesser, die an-
genehme Prinzessin, die sich von diesem Lobe-
tanz behexen lafit, stachen den fast clownhaften
Konig aus. Dr. Hans Kaufmann leitete das
Buhnenspiel. Es entflieht dem GedSchtnis. —
Im Koniglichen Opernhaus ein belangloses
Gastspiel in „Madame Butterfly".
Adolf Weifimann
KONZERT
T3ERLIN: In technischer Hinsicht hat die
" Geigerin Irma Seydel viel gelernt, aber an
Beethovens Konzert sollte sie sich nicht wagen,
da sie dessen geistigen Inhalt noch nicht aus-
zuschopfen vermag. Zu tadeln ist auch, dafi
sie auflerdem gleichfalls zwei so oft von ersten
Kraften gespielte Werke, wie Vieuxtemps' Viertes
und Bruchs Erstes Konzert, zum Vortrag gewahlt
hat. — Gleichfalls mit Begleitung des Philhar-
monischen Orchesters liefi sich der etwa 15jahrige
Mischa Violin horen, der ein ausgesprochenes
Geigertalent ist und schon jetzt zu den besten
Vertretern des jungeren Geigergeschlechts zahlt,
zumal er auch im Vortrag keineswegs etwa nur
Angelerntes bietet und einen sehr ausgeglichenen,
feinen Ton hat. Besonderen Dank verdient
er dafur, dafi er dem 9. Konzert von Spohr zu
neuem Leben verhalf. — Die tuchtige Triover-
einigung der Herren Bronislav von,, Pozniak
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Vr::! :v, I lOOOll
Hans Bassermann und Heinz Beyer (dessen
Ton meist gar zu klein ist) verzichtete in ihrem
ersten Konzert leider auf eine Neuheit, brachte
aber wenigstens zwischen dem Brahmsschen
Trio op. 8 (Neue Ausgabe) und dem Schubert-
schen op. 99 drei kleine Satze aus dem 5. Kammer-
konzert von Rameau zu trefflicher, fein abgetonter
Auffuhrung, wobei ein sehr wohlklingendes
Cembalo der Firma Ibach benutzt wurde.
Wilhelm Altmann
Das Journal „Paris-Berlin a veranstaltete in
der Philharmonie eine Matinee zu Ehren Camille
Saint-Saens', bei dem ausschliefilich Kompo-
sitionen des franzosischen Meisters zu Gehor
kamen. Man hatte vollauf Gelegenheit, die ganz
erstaunliche korperliche wie geistige Frische und
Elastizitat des Achtundsiebzigjahrigen zu be-
wundern, der sich als Dirigent, Klavierspieler
und Begleiter am Fliigel betUtigte. Die geschickte
Auswahl der Werke bot einen trefflichen Ober-
blick iiber das Schaffen des Tonsetzers auf in-
strumentalem Gebiet, auf dem er wohl sein Be-
deutendstes geleistet hat. Seine klassizistisch-
romantische Pfade wandelnde, Glatte der tech-
nischen Arbeit, Pragnanz des Ausdrucks und
leichten Fluli der melodischen Erfindung auf-
weisende a-moll-Symphonie ist fur Saint-Saens*
Wesensartebensobezeichnendwieseine Phantasie
w Afrika a und seine Walzercaprice „Wedding-
Cake a fur seine bemerkenswerte Fahigkeit in
der Verwertung exotischer Melismen. In diesen
beiden StCicken spielte der Kunstler mit vollen-
deter Meisterschaft den Klavierpart. Henri
Mar tea u spendete das h-moll Konzert; zwei
Gesangen war Claire Dux eine stimmlich aus-
gezeichnete, im Vortrag uberaus geschmackvolle
lnterpretin. In die Leitung des Philharmoni-
schen Orchesters teilten sich neben dem
sturmisch begruBten und wahrend der ganzen
Veranstaltung mit auQerordentlicher Herzlichkeit
gefeierten Gast noch die Herren Oskar Fried
(Ouverture w Les Barbares") und Marienhagen
(Violinkonzert). Willy Renz
Else Mendel (Violine) konzertierte mit dem
Philharmonischen Orchester. Das Programm
enthielt drei Nummern (Konzert A-Dur von
Mozart, Chaconne von Bach und das Konzert
von Beethoven). Alle drei Werke sind so recht
geeignet, einem Geigenkiinstler in vollstem Mafie
Gelegenheit zu geben, sowohl sein technisches
Konnen als auch sein musikalisches Seelenleben
zu zeigen. Die stellenweise noch recht mangel-
hafte Technik der Violinistin versagte ihr von
vornherein einen Erfolg, aber auch die technisch
weniger schwierigen Stellen kamen — vielleicht
infolge starker Befangenheit — nicht so tonschdn
heraus, wie man es von einer Solistin, die sich
der Begleitung unseres Philharmonischen Or-
chesters bedient, verlangen mufi. Ich glaube gern,
dafi die Kunstlerin in bescheidenerem Rahmen
ihrer Aufgabe gewachsen ist. — Annie Mane
hat vielleicht vor Jahren einmal bessergesungen;
jetzt klingt ihre Stimme schon sehr abgenutzt,
ihr ist daher ein weiteres offentliches Auftreten
nicht mehr anzuraten. — Im 5. Einfiihrungs-
Konzert diplomierter Kunstler des Verbandes
konzertierender Kunstler Deutschlands
lieBen sich Hilde Mosebach (Rezitation) und
Walt Jaeger (Klavi^rj horen .^ Der Pianist spielte
UNIVERSITY OF MICHIGAN
124
DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
die Variationen uber „Weinen und KIagen a von
Liszt mit ansehnlicher Technik, ohne jedoch den
geistigen Inhalt dieses Werkes auszuschopfen.
Frl. Mosebach ist ein ausgesprochenes Vortrags-
talent. Wenn sie ihrer Stimme im Forte noch
mehr Kraft zu geben vermag, durfte sie sicher
ihren Weg als Rezitatorin machen.
Max Vogel
Der Verband der konzertierenden
Kunstler Deutschlands, der es sich zur
Aufgabe gemacht hat, jungen Kunstbeflissenen
unter Umgehung des oft angegriffenen Agenten-
tumes die Wege zur Offentlichkeit zu ebnen,
gab sein 1. Ein fun rungs konzert. Trotzdem
die Verbandsleitung sagt, daB sie nur solche
Krafte einfuhren will, die von Fachmannern
ausgewShlt wurden, und denen man eine gl&nzende
Entwickelung prophezeihen kann, war das, was
am ersten Abend geboten wurde, doch nur guter
Durchschnitt. Allen Debutanten merkte man das
Anfangertum noch zu sehr an. Ella Becht
(Sopran), Henriette Friedrichs-Bohmer (Alt)
und Otto Hecke (Tenor) haben schone, bis auf
weniges gut kultivierte Stimmen, w&hrend das
Geistige ihrer Wiedergaben noch manchen
Wunsch offen laBt. Auch die Violinistin Juanita
Norden macht von dem oben Gesagten keine
Ausnahme; man kann auch bei ihr noch nicht
von reifer Kunst sprechen. — Die Berliner
Tonkunstler-Versammlung beschloB ihre
Tagungen mit einem sehr interessanten Fest-
konzert. Zuerst erklang eine Symphonie von
Friedrich dem GroBen, ein dreiteiliges Werk
fur Streichorchester und Cembalo. Man war
freudig uberrascht durch die wurdigen, an den
besten Meistern der damaligen Zeit gebildeten
Gedanken und durch die imponierende Arbeit.
Danach kam die erste vollstftndige Auffuhrung
von Seb. Bachs „Das musikalische Opfer tt ,
jenes kunstvollen Werkes, das durch ein Thema
Friedrichs des GroBen angeregt wurde. Fur das
Werk, in dem Bach seine ganze ungeheure
Kunstfertigkeit in Fuge und Kanon zeigt, und
das eine Auffuhrungsdauer von einer Stunde
beansprucht, wird sich wohl das groBe Publikum
weniger erwBrmen; aber fur musikalische Fach-
leute war es doch ein seltener Leckerbissen,
das Ganze einmal zu horen. Zuletzt erschien
das schon mehrfach aufgefuhrte Oktett des
Prinzen Louis Ferdinand von PreuBen, das
wieder von der hervorragenden Begabung seines
Autors zeugte. An den Auffuhrungen waren
beteiligt: Ella Jonas-Stockhausen (Klavier)
und die Herren Bassermann (Violine), Heese
und Lenzewski (Bratsche), Fr. Becker (Cello),
Schunemann (FIdte), Schubert (Klarinette),
Skibicki (KontrabaB), Rembt und Stengel
(Horn), Seiffert (Cembalo) und ein von Gustav
Lenzewski geleitetes Streichorchester. — Der
Baritonist Franz Eg6nieff zeigte in seinem
Liederabend wieder seine reife Kunst, mit der
man sich immer einverstanden erklaren muB,
trotzdem er diesmal mit einer kleinen Indis-
position zu kampfen hatte. Zwei Gesange seines
ausgezeichneten Begleiters Jeno Kern tier ver-
dienten den groBen Beifall, der ihnen zuteil
wurde. — Von dem Pianisten Hugo Kander
horte ich das B-dur Konzert von Brahms, das
von dem Philharmonischen Orchester unter
Xaver Scharwenka begleitet wurde. Der
J":;t':l^j
Pianist ist blind. In Anbetracht dessen muB
man seine Leistung als sehr bedeutsam be-
zeichnen, wenn es auch manchmal an ganz
prazisem Zusammenspiel der Ausfuhrenden
fehlte. Sechs Liedern des Konzertgebers, die
eine groBe Begabung erkennen HeBen, war Leo
G oil an in ein guter Interpret. — Mary Mora
von Goetz verfugt fiber eine schone, gut ge-
bildete Mezzosopranstimme, die besonders im
piano einen groBen Reiz ausubt. Ein Tremolo,
das sich hin und wieder bemerkbar macht, wird
sich leicht abstellen lassen. — Das Bluthner-
Orchester gab sein Eroffnungskonzert unter
Leitung von Bruno Weyersberg. Dieser aus-
gezeichnete Dirigent brachte mit der h-moll
Symphonie von Schubert und Liszts „Hunnen-
schlacht" Auffuhrungen zustande, an denen man
seine Freude haben konnte. Ein interessantes
und pikant instrumentiertes Stuck lernte man
in der zum erstenmal aufgefuhrten Scherzo-
Caprice von Oscar Nedbal kennen. Paul
Schramm (Klavier), Alfred Ernst (Harfe) und
Hans Winter (Orgel) waren hervorragend am
Konzert beteiligt. Emil Thilo
Wenig erfreulich waren die Resultate des
2. Einfuhrungskonzertes von diplomierten Mit-
gliedern des Verbandes der konzer-
tierenden Kunstler Deutschlands. Was
wir zu horen bekamen, trug durchweg den
Stempel talentloser MittelmiBigkeit und HeB
weder kunstlerische Eigenart noch uberdurch-
schnittsmaBigeMittel erkennen. Elisabeth Lange
spielte die Mozartschen D-dur Variationen her-
unter, recht und schlecht, technisch leidlich aus-
reichend, aber ohne Innerlichkeit und Ver-
standnis fur die Scbonheit des Mozartschen
Melos, und doch war es noch nahezu die beste
Leistung des Abends. Der As-dur Sonate von
Beethoven war sie ubrigens noch nicht gewachsen.
Erna Piltz zeigte in einer Serie moderner Lieder
eine schmachtige, wenig reizvolle Sopranstimme,
deren Schulung noch keineswegs als beendet
anzusehen ist. Fast dasselbe gilt von der Altistin
Martha Niemann, obwohl sie das klangvollere
Organ besitzt. Immerhin waren auch ihr noch
energische Fachstudien anzuraten. — Ein uppiges,
nur nicht fur den Konzertsaal erzogenes Sopran-
material zeigte Agnes Nering, die sich in einer
Arie aus „HaIka* von Moniuszko zwar als tem-
peramentvolle, aber technisch doch noch nicht
reife Sangerin zeigte. DaB ihr, der Auslanderin,
die Aussprache des Deutschen in Brahms'
w Zigeunerliedern u viele Schwierigkeiten machte,
sei nur nebenbei erwahnt; bedenklicher sind die
vielen flachen und gedruckten Klange in der
Mittellage und die oft recht unkunstlerische
Atemfiihrung. — Therese Gindras stimmliche
Beanlagung wie ihr kunstlerisches Konnen recht-
fertigte keineswegs ihr Auftreten in Berlin. —
Was Elfriede Goette gerade in letzter Zeit durch
unermudlichen FleiB und ernstes VorwSrtsstreben
zugelernt hat, ist ganz bemerkenswert. Auch ihre
Stimme schien mir grSBer und freier denn je.
Glanzvoll und doch weich in der Hone, zeigte
sie auch in den tiefsten Lagen, in die sich sonst
eigentlich nur Altistinnen verirren, wohltuende
Fiille und warmes Timbre. Auch in der jetzt
viel pragnanteren Aussprache waren Fortschritte
zu erkennen, und ihre sichere und ruhige Atem-
fiihrung ist von ieher ein besonderer Vorzug
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
125
ibres Gesanges gewesen. — Einen freundlichen
Erfolg erspielte sich die junge Gcigerin Marie
Caslova. Ihre Technik ist schon recht hubsch
entwickelt und zeigte Sauberkcit in den Passagen
und Temperament im Vortrag. Weniger gut ist
es urn Bogenfuhrung und die damit verbundene
tonlicbe Fulle bestellt; bier gelang es der Kunst-
lerin nur in bescheidenem MaBe zu genugen,
besonders was sinnliche Schonheit und GroBe
des Tons betrifft. Immerhin ein Talent, das
Aufmunterung verdient. Emil Liepe
Gemeinsam konzertierten der Geiger Joan
Man6n, von Walther Meyer-Radon begleitet,
und der Pianist Richard Buhlig. Ersterer
spielte Bruchs „Schottische Phantasie" und die
„Teufelstrillersonate a von Tartini. Die Phantasie
lieB im Vortrag eine gewisse Kuhle zuruck.
Nur die Episoden und Teile der langsamen
Tempi traten aus dieser Reserve heraus. An-
scbeinend hatten sich die Konzertanten noch
nicht ganz zusammengefunden. Die Sonate aber
und nachher die kleineren Stucke von Senaille
und Gluck zeigten Man6n in unverminderter
Meisterschaft seines Instrumentes. Die 32 Va-
riationen c-moll von Beethoven spielte Buhlig
zwar technisch brillanr, jedoch so sehr ohne
inneres Verstindnis, daB der Vortrag dieser
Meistervariationen zeitweise zu einem wenig
musikalischen Getose ausartete. Ghopin liegt
ihra besser, jedoch vermiBte man da sehr die
Weichheit des Anschlags. — Der sehr talentierte
Geiger Sascha Culbertson gab einen Sonaten-
abend. Zum Vortrag brachte er — unter-
stutzt von Otto Nikel, der ein ganz vorzug-
licher Kammerpianist zu werden verspricht —
Brahms' op. 108 in d, Regers Solosonate in B,
Mozarts bekannte in C und Beethovens „Kreutzer-
sonate". Das Technische uberwiegt bei beiden
aber noch zu sehr, um unbedingt als ernste
Musik w an sich" aufgefaBt zu werden. Die
kapriziose Art beispielsweise, wie die beiden
das „Un poco presto e con sentimento"
bei der Brahmsschen d-moll Sonate „inter-
pretierten", entspricht ganz und gar nicht
den Intentionen des Komponisten. Die Reger-
schen Knifflichkeiten manueller und bogentech-
nischer Art, wie auch im Tempo, uberwand Cul-
bertson spielend. Teilweise hoch Anerkennens-
wertes leisteten aber beide in Beethovens be-
ruhmter A-dur Sonate, besonders im Andante
con variazioni. — Arthur Egidi gibt in der Paul-
Gerbardt- Kirche in Schoneberg drei Orgel-
Konzerte, die dadurch ein besonderes Interesse
beanspruchen durfen, dafl die von Furtwangler
& Hammer (in Hannover) erbaute Orgel ein
selten gut gelungenes Exemplar moderner Orgel-
baukunst darstellt. Die Klangqualitat ist auf
den einzelnen Manualen und im Pedal, wie auch
in den verschiedentlichsten Kombinationen und
im Tutti eine durchweg hervorragende. Die so-
genannten Charakterstimmen dieses Werkes sind
von durchaus origineller Farbung. Jedoch das
Schmerzenskind aller Orgelbauer, die Vox hu-
mana, ist auch hier nicht ausgeglichen wohl-
klingend. Die leidige nasale Farbung verdirbt
den GenuB, besonders im harmonischen Zu-
satnmenklang, nicht unbetrfichtlich. Die Ton-
quantit§t wurde vom Erbauer in ein ange-
messenes Verhiltnis zum Kircbenraum gebracht.
Jeglicbes .Oberschreien" der Tonmassen im
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Vr::! :v/C iOOQ
Tutti ist vermieden worden; durch die iiberaus
sinnreiche Anlage der Registrationsmechanik ist
es dem Spieler unbedingt ermoglicht, den Re-
gisterwechsel vollig selbstandig zu bewirken,
was meines Erachtens fur ein kunstlerisch
vollendetes Orgelspielein unerlaBlichesErforder-
nis ist. Jedenfalls ist dies wohl ein leitender
Gedanke bei Aufstellung der Disposition gewesen.
Und Egidi bewies mit seiner uberaus schwieri-
gen Registrierung, daft es dem Erbauer vollig
gelungen ist, dies kunstlerische Prinzip zu reali-
sieren. Max Regers Variationen und Fuge uber
ein Originalthema, op. 73, gab dem Konzertgeber
vollauf Gelegenheit, seine bedeutende Registrier-
gewandtheit im hellsten Lichte zu zeigen. Fast
mehr noch in den von Tilly Koenen mit
sonorer Stimme und gutem Vortrag interpretier-
ten „Vier ernsten Gesangen" von Brahms, deren
Begleitung Egidi auBerst wirksam zu Gehor
brachte. Nur eines wirkte storend: die zu kurz
genommenen Vs-Noten und Akkorde zum SchluB
der verschiedenen Phrasen. Die bewunderns-
werte kontrapunktische Feinarbeit Regers in
seiner Phantasie und Fuge fiber B-A-C-H, op. 46,
beschloB den Abend. Ich muB sagen — nicht
restlos befriedigend. War schon in der Phan-
tasie das Tempo ein wenig sehr „improvi-
sierend", um so mehr fiel es mir auf, daB Egidi
in der Fuge sehr willkurlich vorging und den
Haupteffekt, die permanente Steigerung des
Tempos (Reger selbst schreibt vor: ' =» 50,
^ = 52, a = 54 usw. usw. bis ^ = 140), sich auf
diese Art entgehen lieB. Dadurch wirkt ja das
Werk so grandios. — Maurice Porges wird sich
noch betrachtlich vervollkommnen mussen, ehe
man seinem Cellospiel einen ungetrubten Ge-
nuB abgewinnen kann. Es steckt alles noch zu
sehr im Milieu einer guten Konservatoriums-
leistung. Gute musikaliscbe und technische An-
lagen sind vorhanden. Bach sollte er vorliufig
ganz im offentlichen Vortrag meiden. Jegliches
Verstandnis fur polyphone Stimmfuhrung fehlt
ihm vorlaufig. Vielleicht nimmt er sich ein Bei-
spiel an seinem Begleiter (dessen Name das
Programm merkwurdigerweise verschwieg)
Willi Bardas, der seinen Part mit Akkuratesse
und feinem Geschmack durchfuhrte.
Carl Robert Blum
Der Klavierabend von Gertrud und Hilde
Vietor (Vortrage auf zwei Klavieren) war
wohlgelungen. Das Zusammenspiel der jungen
Pianistinnen war gut ausgeglichen. Die Technik
ist trefflich durchgebildet. Warum jedoch Akkorde,
Oktaven mit vollig steifem Unterarm heraus-
gehauen werden, ist mir nicht recht verstandlich,
da doch die ganze Schwungkraft der Arme, ver-
bunden mit einer leichten Fixation, einen viel
volleren und weicheren Ton erzielt, wahrend jede
Steifheit und Eckigkeit keine runde und voile
Tongebung gestatten. Von den zum ersten Male
vorgetragenen Kompositionen von Sin ding
(Andante op. 41 — 1) und Hugo Kaun (Erste Suite
[Markische] op. 92) kann ich nur der letzteren
Anspruch auf weitere Empfehlung angedeihen
lassen. — Alwyn Browne hat weder freien
groBen Ton noch Warme und Tiefe. Bleibt die
Technik. Ihre Art und Weise ist die von Busoni,
ohne jedoch auch nur im geringsten an deren
innere Erfassung zu reichen. Eine Nachahmung,
Original from
1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
126
DIE MUS1K XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
wie cs hier offensichtlich der Fall war, noch
dazu eine solch pragnante wie von Busoni, sollte
man lieber sein lassen, zumal dem Nichteigen-
tumer des anderen Eigentum verderblich werden
kann. — Michael von Z adora weiB wohl besser
seines Meisters technische Errungenschaften zu
ergrunden. Dennoch kalt und gefuhllos. Reine
Verstandesarbeit zeitigt keinen Kiinstler. Von
einer Naturlichkeit der Spielbewegung muB man
schweigen, da alles aus festen und gesetzten
Formen entwickelt wird. — Kurt Schubert hat
seine Starke in den kleinen Formen. Gestaltungs-
kraft, Schwung und Begeisterung sind ihm fremd,
desgleichen eine Technik, gebildet aus den freien,
schwingenden Bewegungen. Der akademisch ge-
bildete Musiker laflt den Kunstler nicht auf-
kommen. Hanns Reiss
Im 4. „Einfuhrungskonzert M des Dussel-
dorfer Kunstlerverbandes sang die Altistin
Emmy Schaum Lieder von Schubert, Brahms
und anderen. Ihre umfangreiche Stimme klingt
in der Hone glanzend, in der Tiefe jedoch flach
und gaumig. AuBere Korrektheit des Vortrags
konnte den Mangel an Innerlichkeit nicht ver-
decken. Die Sopranistin Elisabeth Gutzmann
hat offenbar fleiBig studiert, mutet ihrer kleinen,
angenehmen Stimme aber zuviel zu; immerhin
gelangen ihr ein paar heikle Koloraturen recht
gut. Der Baritonist Peter Lambertz ist ein
intelligenter Sanger, doch fehlt seinem Organ
vorlaufig noch jede feinere Stimmkultur. Seine
Vortrage wurden von einer jungen Dame am
Flugel begleitet, die zwar viel Eifer aber wenig
Treffsicherheit zeigte und zudem ihr Fufichen
selten rechtzeitig vom Pedale nahm. — Der
Pianist Josef Kniimann, der mit dem Bluthner-
Orchester konzertierte, gehort zu den vielen
Klavierspielem, die man „um ihrer Hande Arbeit
willen a loben muB, ohne ihre musikalische
Leistung hoch bewerten zu konnen. Bei Chopins
f-moll Phantasie z. B. war das Tempo vollig
verfehlt und der Rhythmus ganz verschwommen;
vom 127. Takte ab ist iibrigens piano und nicht
fortissimo vorgeschrieben. Besser gelang die
Wiedergabe eines uberaus langweiligen und in
der Erfindung unselbstandigen Konzerts von
Balakirew. Der Konzertgeber sollte bestrebt
sein, die einzelnen Finger noch unabhangiger
voneinander zu machen, damit es ihm gelingt,
das thematisch Wichtige uberall plastisch heraus-
zuarbeiten. Richard H. Stein
Ich borte das 3. Einfuhrungskonzert des Ver-
bandes der konzertierenden Kunstler
Deutschlands. Offen gestanden — ich halte
nichts von diesen Bestrebungen; ob die Kunstler
nun ihr Geld den Berufsagenten geben oder
den Angestellten des Verbandes, das ist doch
gleichgultig. Ich fiirchte, es wird eine Zucht-
statte fur mittelmaBige Talente werden. Und
dann der „diplomierte Kunstler"! Eine Kunst,
die ein Diplom braucht, um Kunst zu sein, ist
eben keine Kunst. Die drei Konzertgeber waren
noch nicht reif fur die Offentlichkeit. Robert
Broil hat wohl einen ganz hubschen Tenor,
aber erstens mufi er den Mund weiter aufmachen,
zweitens darf er die Kopfresonanz, bzw. die Mit-
wirkung des Nasenrachenraumes nicht durch
eine allzu nasale Tongebung erzwingen wollen,
drittens muB er mit etwas mehr Temperament
und Begeisterung an eine Aufgabe herangehen.
o
J":;t':l^j
Wilhelmine NuBle hat keinen Alt, wie sie glaubt,
sondern einen Mezzosopran, dessenTiefe forciert
und kunstlich gezuchtet ist. Der Obergang zur
Mittellage ist fast noch gar nicht ausgebildet;
Phrasierung und kunstlerische Durcharbeitung
laBt zu wunschen ubrig. Margarete Kraufi,
eine Rezitatorin, hatte zwar ihre Sachen recht
gut gelernt, aber ihr Organ ist doch wohl fur
groBere Aufgaben nicht geschaffen; es ist zu
reizlos und zu wenig modulationsf3hig. Das
Beste am Abend war die feinsinnige Begleitung
der nicht „diplomierten a Frau Lachmannski-
Schaul. — John J. Blackmore stellte sich
dem Publikum als Klavierspieler vor, mit wenig
ErfoIg,denn eine allzu groBe Befangenheit hinderte
ihn an der Entfaltung dessen, was er vielleicht
kann. So stand er der Es-dur Sonate von
Beethoven op. 31 fast fremd gegenuber und
wuBte ihr nichts von der frohlichen Buffolaune
einzuhauchen, die durch das Ganze webt. Da
sein Ton im piano nicht tragt und seine Technik
nicht reif und zuverlassig ist, so gewahrten seine
Chopin-Vortrage erst recht keinen GenuB. — Was
ist dagegen Jascha Heifetz fur eine geradezu
unheimliche Erscheinung; mit derselben paus-
backigen Gesundheit, mit der er vor uns stent,
geigt er auch; dieses Uber-der-Sache-Stehen,
der Schwung und SchmiB seines Vortrages, die
Treffsicherheit und Reinheit bis in das hochste
Flageolet und bei den schwierigsten Doppel-
griffen — wie gesagt, es ist unheimlich!
Max Burkhardt
BRESLAU: Die Stadt Breslau hat zur Er-
innerung an die Befreiungskriege, die hier
ihren Anfang nahmen, mit einem Kostenauf-
wande von mehreren Millionen Mark eine Halle
errichtet, die als die groBte derWeltangesprochen
werden kann und die in ihrer gewaltigen Kuppel-
Spannweite alle ahnlichen Baudenkmfiler der
Welt weit ubertrifff. Diese J ahrhunderthalle,
wie sie hier genannt wird, hat bei den ver-
schiedenen Festiichkeiten zur Verherrlichung
der grofien Zeit vor 100 Jahren auch zu einer
ganzen Reihe musikalischer Auffuhrungen ge-
dient, und sie hatdabei scharfe akustische Proben
bestehen mussen. Das gesprochene Wort ist
auch bei mittlerer Stimmkraft des Redners klar
zu verstehen. Im Orchester behaupten sich,
wie zu erwarten war, am besten die Blechinstru-
mente. Die Geigen bekommen nur in sehr
starker Besetzung den eigentlichen Geigenglanz;
in schwacher Besetzung klingen sie matt. Von
den Holzblasern klingen am intensivsten die
Floten. Der Chorklang erreicht die notige Kraft
mit etwa 5—600 Stimmen, und in Beziehung
auf Solostimmen muB gesagt werden, daB sich
eine voile Baritonstimme in dem weiten Raume,
der 6000 Zuhorer und uber 2500 Mitwirkende
aufnehmen kann, besser behauptet als eine
kraftige Sopranstimme. — Der Schlesische
Sangerbund veranstaltete in der Jahrhundert-
halle vor jedesmal ausverkauftem Hause zwei
Konzerte. Es war bezeichnend, daB in diesen
Konzerten diejenigen Chore am besten ab*
schnitten, bei denen sich der Dirigent auf nur
600 Sanger beschrankte. Dieser Chor, der in
der „Heldenzeit tt von Max Krause und in der
w Landerkennung" von Hugo Fiebig dirigiert
wurde, klang genau so kraftvoll wie im zweiten
Konzert ein Chor von 2000 Stimmen. Vor allem
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
127
hatten die Dirigenten diesen kleineren Chor fest
in der Hand, wahrend der Massenchor der Zwei-
tausend einer feinkunstlerischen Leitung hart-
nackig widerstrebte. Uniibertrefflich sangen
Hans Hielscher das Baritonsolo in der „Land-
erkennung" und Frau Schauer-Bergmann das
Sopransolo in dem Lisztschen Arrangement der
„Allmacht** von Schubert. Von starkster Wirkung
war der von 500 Mann unter Leitung von Paul
Hielscher (Brieg) gesungene „Bardengesang u
(mit Orchester) von Richard Straufi. — Das von
Paul Marx und Alfred Zobel dirigierte Kinder-
Massenchor-Konzert hatteeinenbeispiellosen
Zusprucb. 2800 Knaben und Madchen standen
am Podium, und jeder wollte den seltenen An-
blick einer so grollen, kleinen Konzertgesell-
scbaft geniefien. Das Konzert, bei dem eine
Reihe dreistimmiger Schullieder von Weber,
Kreutzer, Zollner u. a. vorgetragen wurden, war
sechsmal ausverkauft, obwohl die gesanglichen
Darbietungen einen schSrferen kiinstlerischen
MaGstab nicht vertrugen. — Den Charakter einer
aufterordentlichen kiinstlerischen Tat hatte da-
gegen das von der Leitung der Ausstellung
arrangierte „Festkonzert a in der Jahrhundert-
balle. Man hatte zu dem festlichen Zwecke die
beidengrofiten und besten Orchester Breslaus:das
Opernorchester des Stadttheaters und das Sym-
phonieorchester des Breslauer Orchestervereins
kombiniert und die Leitung dem Ersten Kapell-
meister der Breslauer Oper, Julius Priiwer,
iibertragen. Pruwer spielte den Kaisermarsch
von Wagner, die Intermezzi Goldoniani fur
Streichorchester op. 127 von Enrico Bossi, die
sehr interessante Scheherazade (Symphonische
Suite nach 1001 Nacht) op. 25 von Rimsky-Kor-
sakow, „Also sprach Zarathustra" von Straufi
und Les Preludes von Liszt, und er rechtfertigte
die in ihn gesetzten Hoffnungen durch eine
aufierordentlich packende und technisch unan-
fechtbare Wiedergabe der Tondichtungen. —
Mit grofier Spannung wurde die Auffiihrung der
Achten Symphonie Mahlers, der ^Symphonic
der Tausend 4 * erwartet. Unsere Riesenhalle mit
ihrem Riesenpodium war fur die ungewohnlichen
Anspruche, die der Tonsetzer in Beziehung auf
die Zahl der Mitwirkenden stellt, gerade der
rechte Raum. 1000 Sanger und Instrumentalisten
waren ganz bequem auf dem Podium unter-
gebracht. Eine Reihe vorzuglicher Solisten (die
Damen Foerstel, Dorda, Metzger-Latter-
mann sowie die Herren MaikI, Lattermann)
waren auf der Orgelempore plaziert und sangen,
hoch uber der Orchester- und Chormasse stehend,
die Soli. Wenn der Eindruck trotz bester Vor-
bereitung und vorzuglicher Leitung Dohrns
binter den gehegten Erwartungen zuriickblieb,
so mag die Ursache darin zu suchen sein, daB
der Mahlerschen Musik trotz der aufgewandten
Energie und des grofien Ernstes, trotz der grofien
Satzkunst und der geschickten Steigerungen doch
das eigentlich Faszinierende, ohne Reflexion
Wirksame fehlt. — Die Orgel der Jahr-
hunderthalle 1 ) ist die weitaus grofite der Welt,
und der gegenwSrtig als bester Orgelspieler
geltende Karl Straube aus Leipzig war berufen
worden, das einzigartige Werk in zwei Konzerten
*) Wir werden auf die neue Orgel im nSchsten
Heft in Wort und Bild zurOckkommen. Red.
J":;t':l^j
vorzufuhren. Das erste, ein Bachkonzert, hinter-
liefi einen vortrefflichen Eindruck, das zweite
mit Reger, Liszt und einigen alteren Kompo"-
nisten war klanglich so sehr und ausschliefilich
auf die aufiersten Kontraste gestellt, dafi sich
zuletzt statt der beabsichtigten Erbauung^eine
gewisse Nervositat im Zuhorer einstellte. — Ober-
raschend gut hat sich in einem Konzert im Kon-
zerthause das Berliner Bluthner-Orchester
eingefuhrt. Die 55 Musiker entwickelten unter
der ganz ausgezeichneten Leitung des jungen
Max Wachsmann einen derartigen Elan und
klangliche Vollkraft, dafi man ein viel stSrkeres
Orchester vor sich zu haben glaubte. Die Auf-
fiihrung der pathetischen Symphonie von Tschai-
kowsky war eine Meisterleistung ersten Ranges.
J. Schink
l^ONCHEN: Auch in diesem Sommer veran-
1™ staltete der Munchner Konzertverein
unter Ferdinand Lowe einen zehn Abende
umfassenden Zyklus von sogenannten „Fest-
konzerten", die an festspielfreien Tagen statt-
finden und als eine Art von symphonischer
Erganzung der dramatischen Auffuhrungen im
Prinzregenten-Theater und Residenztheater ge-
dacht sind. Den Grundstock des Gesamtpro-
gramms bildeten die neun Symphonieen Beet-
hovens. Ein Abend war Richard StrauB gewidmet
(mit „Tod und VerkUrung", w Don Juan a , „Till
Eulenspiegel** und „Symphonia domestica* 4 ).
Bruckner war mit drei Symphonieen (der Achten
in c-moll, der Siebenten in E-dur und der Fiinften
in B-dur) vertreten, Brahms mit vier Werken
(der Ersten Symphonie in c-moll, der Zweiten
in D-dur, den Haydn-Variationen und der Aka-
demischen Festouverture). Aulierdem horte man
Mozarts Es-dur (Kochel No. 543) und „Linzer a -
Symphonie, Regers „Romantische Suite", Schu-
manns d-moll Symphonie, Liszts „Tasso u und
Tschaikowsky's w Path^tique a . Der Chor in der
Neunten, gestellt von der Konzertgesellschaft
fur Chorgesang und anderen Munchner Chor-
vereinigungen, war gut, das Soloquartett in
seinem weiblichen Teil (Gertrude Foerstel,
Anna Erler-Schnaudt) weit befriedigender
als im mannlichen (Dr. Matthaus Roemer,
Thomas Denys). Sehr brav war durchweg
das Konzertvereins- Orchester, die Leitung
Lowes technisch meisterbaft, in der Auf-
fassung tief durchdacht, in der Gestaltung von
wahrhaft nachschopferischer Kraft getragen und
in allem einen erlesenen musikalischen Ge-
schmack und hohe kunstlerische Kultur be-
wahrend. Auch wer — wie ich — kein Freund
der sommerlichen Konzertsaisons ist, die letzten
Endes doch nur mit dazu beitragen, die Auf-
nahme- und^Genuflfahigkeit des Musikmenschen
durch das Ubermafi des Gebotenen immer mehr
abzustumpfen, — auch er mufl anerkennen,
dafi diese Konzerte zu dem Bedeutendsten und
vor allem auch Gediegensten gehoren, was
Munchen im Sommer an kunstlerischen Ge-
niissen seinem Fremdenpublikum zu bieten
hat. — Das Weiterbestehen des Konzertvereins
und seines Orchesters scheint nunmehr ge-
sichert zu sein. Der Auflosungsbeschlufi, den
der Verein gefafit hatte, nachdem. das Gemeinde-
kollegium die geforderte stadtische Beihilfe von
jahrlich 70000 Mk. abgelehnt hatte, ist in der
letzten Vereinsversammlung ruckgangig gemacht
T » s Original from
11 UNIVERSITY OF MICHIGAN
128
DIE MUS1K XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913
worden. Ein neuer Vorstand mit dem Ober-
burgermeister von Borscht an der Spitze wurde
gewahlt, und die Veranstaltungen des Vereins
sollen vorderhand bis zum Mai 1914 weiter-
gefuhrt werden. Bis dahin hofft man den Verein
auf breiterer Basis so entwickeln zu konnen,
daft er unter geordneten und gefestigten Ver-
haltnissen ruhig weiter arbeiten kann.
Rudolf Louis
SONDERSHAUSEN: Die bauptsfichlichsten
Novitaten der Loh-Konzerte bot uns
diesmal das Ausland. Jung-schwedische Musik
feierte hier ihre Urauffuhrung und erste Auf- '
fiihrung in Deutschland. Der vom Stuttgarter
schwedischen Musikfest gunstig bekannte Kurt
Atterberg HeB seine Zweite Symphonie in [
F-dur op. 6 hier aus der Taufe heben. Sie ist
ein ansehnlicbes, mitunter recht ungebardiges
Musenkind. Der erste Satz hat soliden Bau, auf
sinnffilligen Themen gegrundet, die mit Vorliebe
dem Horn zugeteilt werden. Im Adagio birgt
sich das Scherzo, ein dem nordischen Spring-
tanz gleichendes Presto. Das Finale wirbelt
kurze Motive in ermudender Wiederholung durch-
einander und bedarf wohl noch der sichtenden
Uberarbeitung, die auch manche grellen Effekte
mit gestopften Blechinstrumenten usw. aufs Mali
beschrfinkt. Von mehr gezugelter Phantasie
zeugten die Werke des jung-schwedischen Kom-
ponisten Oskar Lindberg: „In der Wildnis",
symphonische Dichtung, und w Ouverture** in
h-moll. Der Tonkunstler schopft aus der eigen- j
artigen Natur seiner Heimat Dalekarlien den
Stoff fur seine Gebilde, die den Eindruck jener
romantischen Wald- und Felswildnis auf das |
poetische Gemut mit gut gewahlten musikalischen
Mitteln schildern sollen. Symphonische Dich-
tung und Ouverture haben ahnliche Faktur.
Die w Abschiedsszene", symphonische Dichtung
von Ferdinand Braunroth, ein kurzes, auf
elegischer Melodie beruhendes Werk, war der
prophetische Schwanengesang des kurz vor
der Auffuhrung gestorbenen Dresdener Kompo-
nisten. Eine ungewdhnlich grofte Anzahl von
Solisten, meist unserer Hofkapelle angehorig,
gaben mit gediegen ausgefuhrten Instrumental-
konzerten den Loh-Programmen feine Wurze.
Als hochinteressante Gabe bot Georg Worl
Tartini's einziges Violoncell-Konzert in D-dur in
unubertrefflich edler Wiedergabe.
Marie Boltz
W/IESBADEN: Die Achte Symphonie von
w Gustav Mahler gelangte am 28. September
unter groftem Zudrang des Publikums und
enthusiastischem Beifall zuGehor. Musikdirektor
Schuricht erwies sich von Neuem als ein
Dirigent von hervorragender Begabung: er hielt
das Ganze — fiber 600 Mitwirkende — in
straffer Hand, und seine warme Begeisterung
teilte sich unmittelbar alien Ausfuhrenden mit.
Die Hymne w Veni Creator** brauste wie in
einem Feuerstrom daher und imponierte durch
den gewaltigen polyphonen Aufbau, wabrend die
„Faust a -Szene durch ihre phantasievolle Aus-
malung lebhaft zu Gemute spracb. Gertrude
Foerstel sang die Sopranpartie mit vollendeter
Kunst. Die Kurkapelle erfreute durch Fein-
heit der Tongebung. Der Gesamteindruck war
von entschiedener Kraft und Grofte.
Otto Dorn
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
A uch den Bilderteil dieses Heftes widmen wir ganz dem Andenken Verdi's. Wir beginnen
/m mit einigen PortrSts. Das erste Bild zeigt den greisen Meister in ganzer Figur. Das
X^\ erste der drei folgenden auf einem Blatte vereinten Portrats stellt nach einer Litho-
f ^ graphie von G. Rigo, Lebret & Cie. den zweiunddreiftigjihrigen Komponisten von
w Giovanna d'Arco" und von w Alzira a dar; es ist ebenso wie der daneben stehende
Stich von Ch. Geoffroy aus dem Jahre 1853 nicht oft im Handel zu flnden. Die darunter befind-
liche Photographie durfte etwa 1872 ju datieren, also kurz nach der „A!da"-Premiere entstanden
sein. Die beiden Abbildungen der Uberfuhrung der sterblichen Oberreste Verdi's und
seiner zweiten Gattin nach der endgultigen Ruhestatte in der Casa di riposo per musicisti
am 27. Februar 1901 lassen die grofte Teilnahme der Stadt Mailand fur den vielgeliebten Meister
deutlich zutage treten. Auf mehrfachen Wunsch lassen wir den im vorigen Hefte veroffent-
lichten Karikaturen vier weitere, ebenfalls von Melchiorre Ddlfico folgen. Die beiden
ersten zeigen Verdi im Privatleben, bei der Begruftung eines Freundes und beim morgendlichen
Rundblick vom Balkon eines Hotels, die beiden anderen bei den Proben zu einer Oper. Das
obere Bild durfte eine Klavierprobe von w Simon Boccanegra" darstellen; auf der unteren, das
eine Orchesterprobe zeigt, sehen wir den Meister eifrig bemuht, dem Sanger seine Absichten
betreffs der Darstellung klarzumachen. Die aus dem Jahre 1838 stammende Handschrift
der Romanze moge das Suftere Bild des Meisters abrunden helfen, dem die einst beruhmte
Sangerin Giuseppina Strepponi eine treue Lebensgefahrtin wurde.
Wir lassen jetzt einige Personlicbkeiten folgen, die in engem Zusammenhang mit dem
SchafTen des Meisters stehen. Alessandro Manzoni, der Dichter des bekannten Romans
„I promessi sposi**, wurde von Verdi, der auf seinen Tod das „Requiem tt schrieb, stark verehrt.
Antonio Ghislanzoni lieferte den Text der w ATda M , Arrigo Boito den von „Othello a und
w Falstaff"; aufterdem haben beide auch die Umarbeitung einiger alterer Opern vorgenommen.
Den Schluft bilden die Theater von San Carlo in Neapel und die Scala in Mailand;
beide, ganz besonders die letztgenannte, haben die Urauffuhrungen einer groften Reibe Verdiscber
Werke gesehen.
\r:u:\y.
c
Alle Rechte vorbehalien. Vertntwortlicher Scbriflleiier:
Ktpellmeisier Bcrnhird Schuster, Berlin, W. 57, BQlpwstr. 107
, >f v.x ... Original from
uu d R UNIVERSITY OF MICHIGAN
VERDI (1S45)
Lllhogriphls von J, Rl(0 Ubrci & Cic.
VERDI (1853)
Stkh von Ch. Gtoffrcf
VERDI (1873)
Phoioffiphle von PHotil & Toyid In Milland
» * *- *;
X11I
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
VERDIS LEIGHENBEGANGNIS IN MAILAND
AM 27. FEBRUAR 1901
XIII
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
VERDI-KAR1KATUREN
von Melchiorrc Dfclflco
XIII
V:
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
VERD1-KARIKATUREN
von Melcbiorre Dfilflco
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VERDIS HANDSCHRIFT AUS DEM JAHRE 1838
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
VERDIS ZWEITE GATTiN
Giuseppina geb, Sirepponi
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L Rlcci, MiiUnd, phot.
ARR1G0 BOITO
ALESSANDRO MANZONI
ANTONIO GHISLANZOHt'
XII I
by
Google
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
THEATER SAN CARLO IN NEAPEL
1NNERES DES SCALA-THEATERS IN MAILAND
XIII
by
Google
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
DIE MUSIK
HALBMONATSSCHRIFT MIT
BILDERN UND NOTEN
HERAUSGEGEBEN VON
KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
HEFT 3 • ERSTES NOVEMBER-HEFT
13. JAHRGANG 1913/1914
VRRLEGT BEI
SCHUSTER& LOEFFLER- BERLIN W
/ " " M ., Olio in al from
" : '•'• ^ ' iK1 *\ K UNIVERSITY OF MICHIGAN
Cherubini ist mir unter alien lebenden Opernkomponisten der
achtungswerteste.
Beethoven
Ein Anflug von Schwermut ist alien Arbeiten Cherubini's bei-
gemischt, und seine humorreichsten und heitersten Melodieen
werden immer etwas Riihrendes in ihrem Innern tragen.
Weber
INHALT DES l. NOVEMBER-HEFTES
RICHARD HOHENEMSER: Cherubini's „WassertrSger-
MAX UNGER: Briefe Beetbovens an Carl Bernard, E. T. A.
Hoffmann, S. A. Steiner & Co. und Anton Schindler. Ver-
besserte Abdrucke
WILLY VON MOELLENDORFF: Aus Frosch- und Vogel-
perspektive. Gedanken eines Schaffenden. III.
JOSEF SCHINK: Die neue Orgel in der Jahrhundertballe zu
Breslau
HERMANN WETZEL: Der KongreO fur Asthetik und allgemeine
Kunstwissenschaften zu Berlin
JOSfe VIANNA DA MOTTA: Taschenpartituren Verdi'scher
Werke
REVUE DER REVUEEN: Aus deutschen Musikzeitschriften
BESPRECHUNGEN (Bucher und Musikalien) Referenten:
Arnold Sobering, Hjalmar Arlberg, Wilhelm Altmann, Ricbard
H. Stein, Walter Dahms, Albert Leitzmann, Ernst Schnorr
von Carolsfeld, F. A. GeiBler, Martin Frey, Max Burkhardt,
Emil Thilo
KRITIK (Oper und Konzert): Berlin, Braunschweig, Bremen,
Dresden, Frankfurt a. M., Graz, Halle a.S M Hamburg, Hannover,
Karlsruhe, Koln, London, Luzern, Mainz, Moskau, Munchen,
Nurnberg, Riga, St. Petersburg, Zurich
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
KUNSTBEILAGEN: Giuseppe Verdi, Lithographie von Jocosi;
Die Orgel der Jahrhunderthalle in Breslau; Vier Blatt aus
dem Zyklus „Zwolf Phantasieen zu Mozarts ,Zauberfldte' a von
Friedrich W. Seyer
NACHRICHTEN: Neue Opera, Opernrepertoire, Konzerte,
Tageschronik, Totenschau, Verschiedenes, Aus dem Verlag
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DIE MUSIK erscheint monatlich zweimal.
Abonnementspreis fflr das Quartal 4 Mk.
Abonnementspreis fflr den Jahrgang l5Mk.
Preis des cinzelnen Heftes I Mk. Viertel-
jahrseinbanddecken a 1 Mk. Sammel-
kasten fQr die Kunstbeilagen des ganzen
Jahrgangs 2,50 Mk. Abonncments durch
jede Buch- und Musikalienhandlung, fflr
klelne Plfltzc ohne Buchhfindlcr Bezug
durch die Post
General vertretung fOr Frankreich,
Belgien und England: Albert Gutmann,
Paris, 106 Boulevard Saint-Germain
Alleinige buchhflndlerische Vertretung fQr
England und Kolonieen:
Breitkopf & Hirtel, London,
54 Great Marlborough Street
fQr A m e r i k a: Breitkopf & Hftrtel,NewYork
fflr Frankreich: Costallat & Co., Paris
:r.i.:'u
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
CHERUBINI'S „WASSERTRAGER"
VON DR. RICHARD HOHENEMSER IN BERLIN 1 )
im 16. Januar 1800 ging zu Paris im Theatre Feydeau w Les deux
ZA journdes", bei uns als „Wassertrager a bekannt, in Szene. Das
JL 1 bedeutete fur Cherubini den groBten auOeren Erfolg, der ihm be-
scbieden war. Schon vor dem ersten Finale war das Publikum in voller
Begeisterung, und nach Beendigung der Oper brachten die angesehensten
Pariser Komponisten, Gr6try, Gossec, M6hul, Lesueur und Martini, dem
Meister ihre Gluckwunsche dar. Wie still war dagegen w Medea* auf-
genommen worden! Aber mit dem „Wassertrager* hatte Cherubini eben
eines jener seltenen Werke geschaffen, die sofort ziinden konnen und doch
hochsten kiinstlerischen Wert besitzen. So verhfilt es sich ja auch mit dem
„Freischiitz a , und wie dieser und die ^Zauberflote" ist der ,Wassertrager a
eine Volksoper im schonsten Sinne des Wortes, indem er sich gleichzeitig
an hoch und niedrig, an den durchgebildeten Musiker und den musikalischen
Laien wendet und alle vollauf befriedigt. Fur diesen Grundcharakter des
Werkes ist der Text wesentlich mitbestimmend. Bouilly, der Verfasser
desselben, tat einen glucklichen Griff, indem er einen biederen, von tat-
kraftigster Menschenliebe beseelten Mann aus dem Volke, den savoyardischen
WassertrSger Micheli, in den Mittelpunkt der Handlung stellte. Freilich
wird die Moral etwas dick aufgetragen, und nicht nur Micheli, sondern auch
die beiden anderen Hauptpersonen, Graf Armand und seine Gemahlin
Constance, triefen, wie man zu sagen pflegt, von Tugend. Aber was im
gesprochenen Drama geschmacklos ware, macht die Musik, d. h. eine
wirklich gute Musik nicht nur ertraglich, sondern sogar ergreifend, indem
sie uns unmittelbar uberzeugt, dafi die an sich geschmacklosen Worte auf
einem echten und tiefen Gefuhlsgrunde ruhen. Genau die gleiche Er-
scheinung beobachten wir auch in der „Zauberflote". Den Stoff bot dem
Textdichter eine Begebenheit, die sich wahrend der Schreckensherrschaft
gleichsam unter seinen Augen zugetragen hatte. Er selbst erzShlt dariiber
in seinen .Recapitulations":
„Le trait de devouement admirable d'un porteur d'eau, envcrs un magistrat do
mes parents, qui fut sauv6 sous la terreur comme par miracle, m'inspira Tid6e de
donner au peuple une legon d'humanit6. Je composais done, en tr&s peu de temps,
ma pidce intitul6e: Les deux journ£es, que je confiais avec empressement a Cherubini.* 1 )
Zwar verlegte er die Handlung insjahr 1647; aber die Beziehungen
') Mit Genehmigung des Verlages Breitkopf & Hartel in Leipzig der demnSchst
erscheinenden Cherubini-Biographie von Richard Hohenemser entnommen. Red.
*) Bouilly, w Mes recapitulations", 3 Bde., Paris 1836—1837, 2. Bd., S. 169. Am
Tage nach der Auffuhrung brachten die Wassertrager von Paris dem Dichter eine
Ovation dar und lieferten ihm von nun an das Wasser unentgeltlich.
9»
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
132 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
auf die Zustande wahrend der Revolutionszeit blieben klar kenntlich. Wir
haben es mit einer jener Rettungsgeschichten zu tun, wie sie in dieser
Periode als Opernstoffe beliebt waren: Armand und Constance werden nicht
weniger als viermal aus unmittelbar drohender Gefahr befreit, davon dreimal
vor unseren Augen. In diesem Wechsel zwischen Furcht, erlosendera
Aufatmen und Zweifel, ob die Errettung eine endgiiltige sein werde, liegt
das Spannende und in der schliefilichen Beseitigung aller Gefahr durch die
unermiidliche Tatkraft Michelis das tief Befriedigende dieses Textes, der
den Beifall Goethes fand und den Beethoven fur das beste Libretto
neben dem zur M Vestalin a erklarte. 1 ) Der Inhalt ist kurz folgender:
Der Kardinal Mazarin laOt die ihm miDliebigen Mitglieder des so-
genannten Parlamentes (bekanntlich war es ein Gerichtshof), weil sie die
Rechte des Volkes verteidigt haben, durch seine italienischen Soldaten
verfolgen. Auf den Kopf Armands, des Parlamentsprasidenten, sind
6000 Dukaten Belohnung ausgesetzt. Als er und seine Gemahlin von
einem Volkshaufen und Soldaten bedrangt werden, kommt gerade Micheli
voruber und rettet sie, ohne sie zu kennen, gliicklich in sein Haus. Auch
weiO er sie durch List den Blicken des Hauptmanns und der Soldaten zu
verbergen, welche kurz darauf seine Wohnung durchsuchen. Erst jetzt
stellt es sich heraus, daC Armand vor zehn Jahren dem Sohne Michelis,
Antonio, als dieser, ein mit seinem Murmeltier umherwandernder Savoyarden-
knabe, halberfroren und -verhungert in den StraOen Berns lag, das Leben
gerettet hat. Es handelt sich nun darum, den Grafen und auch seine
Gemahlin, die sich in der Gefahr urn keinen Preis von ihm trennen will,
aus Paris, dessen Tore scharf bewacht sind, zu fliichten. Antonio will am
nSchsten Tage in dem Dorfe Gonesse mit der Tochter eines reichen
PMchters, in dessen Dienst er steht, Hochzeit feiern und ist in die Stadt
gekommen, um seine Schwester Marcelline abzuholen. Diese mufi nun
in Paris zuriickbleiben, damit Constance, welche schon seit Tagen als
Savoyardin gekleidet ist, ihren PaC benutzen kann. Am folgenden Morgen
gelingt es ihr und Antonio, nicht ohne Schwierigkeiten, die Torwachen zu
tauschen und gliicklich aus der Stadt zu entkommen. Gleichzeitig laOt
Micheli Armand, den er in seinem Wasserfafi verborgen bis ans Tor ge-
bracht hat, in einem unbewachten Augenblick entschliipfen, indem er die
Soldaten auf eine falsche Fahrte weist. Die Gatten und Antonio erreichen
gliicklich Gonesse. Hier jedoch treffen sie abermals auf Soldaten. Armand,
in einem hohlen Baum versteckt, sieht, wie sich zwei von ihnen seiner
Gemahlin bemachtigen wollen, stiirzt hervor, befreit sie, muB sich aber
nun dem herzugteilten Hauptmann zu erkennen geben. Dieser will ihn,
wenn auch innerlich widerstrebend, seiner Pflicht gemSB dem Kardinal
J ) Vgl. W. A. Thayer, W L. van Beethoven", 4. Bd., 1907, S. 465.
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HOHENEMSER: CHERUBINPS „WASSERTRAGER" 133
uberliefern, da kommt Micheli mit einem Schreiben der Konigin, das
Armand in Freiheit setzt. 20000 Pariser hatten unter Fiihrung des Wasser-
tragers die Befreiung des Parlamentsprasidenten verlangt, und die Konigin
hatte einer gleichfalls von Micheli gefuhrten Deputation Gehor gegeben.
Nun ist alle Gefahr iiberstanden. Aber der Wassertrager weist Armands
Anerbieten, fiir seinen alten Vater sorgen zu wollen, zuriick. Er tut das
Gute rein um des Guten willen.
Es ist nicht zu leugnen, daB bei den verschiedenen Errettungen der
gluckliche Zufall eine wesentliche Rolle spielt. Aber mag das auch ans
Unwahrscheinliche grenzen, so liegt darin doch, wie immer in der dichte-
riscben Verwertung des gliicklichen Zufalls, ein tiefer Sinn: Auch beim
besten und energischsten Willen hangen unsere Erfolge von Gliicksumstanden
ab. Niemand vollbringt eine Tat ohne Mitwirkung von Faktoren, iiber die
er keine Macht besitzt, und so erweckt das Gelingen edler Taten immer
wieder das Gefiihl vom Walten einer Vorsehung.
Musikalisch wird das volkstiimliche Element der Oper gleich mit den
beiden ersten Nummern festgestellt. Die von Antonio bei seiner Hochzeit
vorzutragende Romanze, die er jetzt, am Abend zuvor, seiner Schwester
und seinem GroBvater Daniel vorsingt, und die im Dialog als ein altes
Lied bezeichnet wird, das alle gut kennen, erzahlt, wie ein Franzose einem
Savoyardenknaben das Leben rettete, und wie ihn dieser dafur spater aus
Kriegsgefangenschaft befreite. Aus dem Dialog erfahren wir von dem
Erlebnis Antonios, das mit der ersten Begebenheit der Romanze iiber-
einstimmt. Die Strophe (es sind deren drei) besteht aus einem g-moll
und einem G-dur Teil, in dessen SchluC Marcelline und Daniel einfallen.
Die Anfangsmelodie des g-moll Teils liegt in dem stimmungsvollen Vorspiel
in Soloflote, Klarinette und Fagott (an Blasern kommen in der Romanze
auBerdem nur noch Horner vor) und wird, wo sie der Gesang aufgreift,
zunachst nur von den Streichern begleitet. Sie beginnt:
Andantino con moto
Un pau-vre pe - tit Sa- vo-yard mour-rait de froid et de souf-fran- ce
Der erste Abschnitt schlieBt in B-dur. Ein Zwischenspiel bringt ab-
wechselnd in den beiden Violinen die Figur:
die wahrend des folgenden Gesanges noch eine Zeitlang festgehalten
wird. Nach Abschlufi auf der Dominante beginnt der Durteil:
^^^.CooqIc n^^r^^
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134
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
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9=5*
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Bon Fran-cais, Dieu te re-com-pcn-se! Un bien-fait n'est ja-mais per-du
Die Volkstumlichkeit des ganzen Stiickes ist unverkennbar; doch scheint
es mir mehr an franzosische als an savoyardische Volksweisen anzuklingen.
Fur die Arie Michelis „Guide mes pas, oh providence", einen Monolog,
in dem er sich entschliefit, das Rettungswerk zu Ende zu fuhren, koste
es, was es auch wolle, laCt sich die Anlehnung an ein Volkslied nach-
weisen. Der Gesang beginnt:
Allegro
mm
e
-^-^
t=t
m
£
Damit vergleiche man den Anfang eines Liedes, „Rossignolet du vert
bocage*, das Tiersot aus den „Hautes Alpes", also aus einem Savoyen
benachbarten Gebiet mitteilt: 1 )
f go^
T?
£
-9-*-
&
Nur diesen Anfang kann Cherubini verwertet haben; denn mit dem zweiten
Teil des Liedes:
m
^
&
t
hat die Arie nichts mehr zu tun. Falls ihm die Melodie in obiger Fassung
vorlag, so zeigt sich die Hand des Kiinstlers vor allem darin, dafi er die
erste Periode harmonisch nicht auf der Tonika, sondern auf der zweiten
Stufe schlieCen lieO und nun auch die zweite Periode nicht auf der Tonika
begann. Dadurch wird die Phrase wesentlich mannigfaltiger und aus-
drucksvoller. Die beiden ersten Strophen der Arie sind gleichlautend.
An Blasern verwenden sie nur Oboen, Horner und Fagotte. Oboe und
Cello treten voriibergehend auch solistisch hervor. In der dritten Strophe
„Que r6soudre? a , der einige gesprochene Worte vorangestellt sind und
deren Text den rein lyrischen Ton nicht zulieC, kommen noch Floten und
Klarinetten hinzu, und die Melodie wird zunachst der Hauptsache nach
den Blasern iibertragen, wabrend der Gesang mehr eingewebt wird und
die Violinen im wesentlichen ihre friiheren Figuren beibehalten. Der
Refrain ist dann wieder wie in den anderen Strophen.
*) Tiersot, Chansons populaires des Alpes francaises, Grenoble 1903, S. 317.
Ich gebe die Melodie in Es-dur statt in G-dur.
Vr::! :v, ( iOOQIc
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HOHENEMSER: CHERUBlNrS „WASSERTRAGER a 135
Schon aus diesen Angaben erhellt, daC die Romanze und die Arie
trotz aller Schlichtheit und Gemeinverstandlichkeit keineswegs ohne die
Mittel der hoheren Kunst gearbeitet sind. Auch zeichnen sie sich durch
grofie harmonische Feinheit, namentlich durch bescheidene Verwendung
der Chromatik aus. Sie sind die einzigen liedhaften Stucke der Oper.
Aber ihre erinnerungsmotivische Verwertung macht sie gleichsam zu
Orieotierungstafeln, die immer wieder auf die Triebfedern der Hand-
lung und auf das Milieu, aus dem diese hervorwachst, hinweisen
und damit das volkstumliche Element des Werkes immer wieder hervor-
heben. Nachdem im Finale des ersten Aktes Marcelline das Ansinnen
ihres Vaters, der Hochzeit ihres Bruders fernzubleiben, schmollend zuriick-
gewiesen hat, singt Antonio: „Pour te consoler dis-toi: J'aide mon frfcre
k secourir son bienfaiteur. a Bald nach Beginn dieses Gesanges erklingt
im Orchester der erste Abschnitt der Romanze, aber gekiirzt und mit
etwas geandertem SchluC. Die Stelle wird spater zu Shnlich beschwichtigenden
Worten Michelis wiederholt. Als im zweiten Akt der Wassertrager ans
Stadttor kommt und Antonio und Constance von den Wachen bedrangt
findet, wechselt er mit ersterem einige gesprochene Worte. Wahrend der
Pausen vernehmen wir die Anfangsmelodie seiner Arie. Er spricht sich
gleichsam innerlich Mut zu; denn in diesem Augenblick, in dem Constance
in Gefahr schwebt, in der Stadt zuruckgehalten zu werden, und in dem
er Armand verborgen mit sich fiihrt, gilt es alien Mut und alle Klugheit
zusammenzunehmen. Unmittelbar nachdem ihm die Rettung der Gatten
gelungen ist, bringt zu seinem Gesang das Orchester den Durteil der
Romanze. Der Segen, den das Lied fur den Wohltater des Savoyarden-
knaben herabwiinschte, hat sich, wenigstens fur den Augenblick, erfiillt.
Dann aber, wahrend sich die Soldaten anschicken, Micheli zu folgen, der
sie angeblich auf die rechte Spur fiihren will, wird die Sorge um das
weitere Schicksal des Paares wieder in ihm lebendig, und so ertont zu
seinem Gebet, das mit dem marschartigen Soldatenchor abwechselt, der
SchluB des ersten Teiles der Romanze, und zwar in der fruheren Ver-
anderung, also eine Stelle, in der im Text des Liedes selbst die Losung
noch nicht eingetreten ist. Endlich kehrt der Durteil der Romanze als
Schlufigesang der Oper, aber mit Veranderungen, noch einmal wieder.
Es war zweifellos das volkstumliche Element, das sich zudem im
Charakter Michelis auf die natiirlichste Weise mit heiterem Humor verbindet,
^welches Weber veranlaCte, zu sagen, der „ Wassertrager" sei „andere Gefuhls-
art erbeischend" als die vorangegangenen groCen Werke. Auch in Paris fiel
^leich bei den ersten Auffuhrungen ein Unterschied gegen Cherubini's
fruhere Werke auf. Im w Ann6e thfcatrale" heifit es;
w La partie vocale est plus soignSe et plus chantante que dans ses autres
ouvrages, et cependant Tentente de la scdne y est parfaite."
n - - . - Piv^lr Original from
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136 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
Ganz anderer Meinung ist dagegen Reichardt, der das Werk bei
seinem Aufenthalt in Paris, 1802—1803, kennen lernte. Er berichtet, das
Duett zwischen Armand und Constance im ersten Akt sei von Anfang an
gestrichen worden, und fahrt dann fort: „Dariiber ist denn nun wirklich
in dem ganzen Stuck eigentlich nichts ganz Gesungenes; denn die ubrigen
Gesange sind aus der Cannevas [sic], auf welchem die Instrumentalpartie
brodiert worden ist." 1 ) Als das Hervorleuchtendste und Kunstvollste, als
die Stickerei selbst erscheint ihm also nicht der Gesang, sondern die
Instrumentalbegleitung, wahrend jener mehr nur den Untergrund bilde.
Das aber konnte man mit gewissem Recht auch von den friiheren Werken
behaupten. In dem Duett, das Reichardt ausnimmt, tritt in der Tat
der Gesang besonders selbstandig hervor. Constance, die in ihren Gemahl
dringt, ihm folgen und alle Gefahren mit ihm teilen zu diirfen, beginnt mit
einem groflen, sehr schonen Rezitativ, und auch in der sich anschlieBenden
Kantilene fallt ihr die Hauptaufgabe zu. Im SchluBteil, den beide zu-
sammen singen, haben allerdings die Violinen 24 Takte hindurch mit nur
einmaliger Unterbrechung von zwei Takten die gleiche Figur auszufuhren.
Aber sie wird nicht zum Motiv, sondern dient mehr zur bloBen Be-
gleitung, so daft der Gesang auch hier vorherrschend bleibt. Es konnte
Verwunderung erregen, daft Reichardt nicht auch die Romanze und Michelis
Arie zu dem „ganz Gesungenen* rechnet. Aber es mag ihm aufge fallen
sein, daft in diesen Stiicken im Verhaltnis zu ihrem liedhaften Grund-
charakter das Orchester doch sehr stark beteiligt ist. In den ubrigen
ausschliefilich aus Ensembles und Choren bestehenden Gesangen . Hegt
die Sache so, daft die Singstimmen zwar nicht so unselbstandig gefuhrt
sind wie gelegentlich in den friiheren Opern, daft sie aber auch groftten-
teils nicht die Oberherrschaft haben, sondern dem Orchester gleichberechtigt
gegeniiberstehen und erst zusammen mit diesem ein befriedigendes Ganzes
bilden. So erklaren sich die widersprechenden Urteile.
Die mehrstimmigen Gesange sind nicht nur durch hochste musikalisch-
dramatische Lebendigkeit im ganzen, sondern auch durch eine Menge geist-
voller Einzelziige ausgezeichnet. Am einfachsten ist der landliche Hochzeits-
chor gehalten, der den dritten Akt eroffnet. Aber Cherubini behandelt
ihn keineswegs als Nebensache, sondern mit liebevoller Ausfuhrlichkeit.
Einer seiner Hauptgedanken:
-ffrs-$ — T — f—^ — - • +-P — h *~~-^£-^~ ~-m~-~* , rwz'.'.zL-t-o-J^zMij — "•— UJ — M-J—
wird schon im Mittelsatz der pastoralen, sehr eigenartigen Instrumental-
einleitung des Aktes angedeutet. Diese Einleitung, in der Horn und
') Reichardt, Vertraute Briefe aus Frankreich, 1803—1804, S. 330.
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HOHENEMSER: CHERUBINI'S „WASSERTRAGER a 137
Flote solistisch verwertet sind, verklingt pianissimo in A-dur und ist durch
einen kurzen Dialog vom Chor getrennt, der gleichfalls in A-dur steht,
aber sein eigenes Vorspiel hat. Nachdem er zu Ende ist, singt Angelina,
die Braut, die sich das Ausbleiben ihres Brautigams nicht erklaren kann,
in zarten innigen Tonen: „Antonio ne revient pas". Nur die Holzblaser
begleiten, und das Fagott bewegt sich chromatisch. Noch wirkungsvoller
wird dieser kurze, echt madchenhafte Seufzer bei seiner Wiederkehr: Nach-
dem namlich der Chor wiederholt ist, hort man den Marsch der heran-
nahenden Soldaten. Der Chor der Landleute fallt ein und geht dem Trupp
entgegen. Zuletzt modulieren die Streicher von F-dur iiber fis-moll nach
A-dur, und nun singt Angelina, welche zuriickgeblieben ist, urn das Haus
abzuschlieOen, abermals ihr w Antonio ne revient pas" genau wie vorher.
Dann folgt sie den anderen nach. Das Nachspiel aber, wahrend dessen
man Armand, Constance und Antonio einen Felsen herabsteigen sieht, halt
die sehnsiichtige Stimmung fest. Die Sehnsucht lebt ja auch im Herzen
Antonios, und so ist zwischen ihm und Angelina, obgleich diese nur an
den beiden erwahnten Stellen selbstandig hervortritt und obgleich es zu
keiner Liebesszene kommt, die innere Verbindung und Ubereinstimmung
hergestellt.
Zu den einfacheren Nummern gehort auch das Terzett zwischen Armand,
Constance und Micheli im ersten Akt. Es hat die Form der da capo-Arie
mit dem zweiten Teil in der parallelen Molltonart. In diesem erfahrt, wie
so haufig bei Cherubini, die vorherrschende Begleitungsfigur eine Art
Durchfuhrung. In dem ganzen Stiick ist Micheli zu den Gatten in Gegen-
satz gestellt. Wahrend ihm diese, welche soeben sein Haus betreten haben,
in lebhaften Worten und Tonen ihren Dank fur die Rettung aussprechen,
wirft er zunachst nur ganz trocken dazwischen:
j'ai fait ce que je de - vait fai - re
Dann singt er meist mit dem InstrumentalbaB. Im Mittelsatz beteiligt er
sich in harmloser Selbstgefalligkeit an der Rekapitulation der Ereignisse
und seiner Tat. Dabei beginnt er wieder mit seinem ersten Motiv. Sein
Lachen uber die gelungene List (er hat den Grafen, indem er ihm seinen
eigenen Hut uberwarf und ihn den Karren mit dem FaB schieben lieB, den
Blicken seiner Verfolger entzogen) fallt auf einen Tonleitergang.
Von diesem Terzett, dem darauf folgenden, bereits erwahnten Duett
und dem Finale des ersten Aktes sagt Ambros, es seien darin „lange
Stellen von echt Mozartscher Diktion*. 1 ) Dabei denkt er wohl weniger an
x ) Ambros, „Bunte Blatter", Neue Folge, 1874, S. 19.
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138
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
melodische Anklange, die im Terzett vielleicht nicht ganz fehlen, als viel-
mehr an den ununterbrochenen, lebensvollen Strom der Musik. Das Finale
bringt zunachst die Erkennung zwischen Antonio und seinem Wohltater
Armand. Sie vollzieht sich im Einzelgesang unter figurierter Begleitung.
Dann aber geben alle ihrer Freude und ihrer wechselseitigen Dankbarkeit
gemeinsamen Ausdruck. Aus diesem Tutti hebt sich mit besonders er-
greifender Wirkung der Einsatz Constances heraus:
Allegro
Oboe
Constanze
EteEE
-*— ^ =**
*=T
-&-
usw.
Corni
^e
k>-
Im zweiten Teil des Finale w C'est done vous qui dans ce lit* wird die fur
Antonio, der gerade wahrend der Haussuchung von einem Gange zuriick-
gekehrt war, unbegreifliche Situation naher aufgeklart, und zwar unter Be-
gleitung einer von der Viola imitierten Violinfigur:
Allegretto
die in Dur und Moll auftritt und durch verschiedene Tonarten gefiihrt
wird. Zuletzt iibergibt Micheli Constance den fiir Marcelline ausgestellten
PaB, und so kommt es zum Streit zwischen Tochter und Vater, der sich
in einem Allegro mit synkopierter, reich bewegter Begleitung abwickelt.
Auf dem Hohepunkt tritt eine Generalpause ein, und dann leitet die Solo-
klarinette, der sich spater Fagotte und Streicher zugesellen, in den be-
schwichtigenden Gesang Antonios iiber, von dem wir bereits gehort haben.
Derartige Ubergange, insbesondere fiir Klarinette, die geeignet sind,
durch ihre schwebenden Rhythmen unsere Erwartung zu spannen, uns zu-
gleich aber durch die Besonderheit der Klangfarbe des Instrumentes und
durch den Kontrast zum Vorangegangenen auf die Vorgange vorzubereiten,
die sich soeben im Innern der handelnden Personen vollziehen und
bald zum Ausdruck gelangen werden, hat spater namentlich Weber mit
Vorliebe verwendet. Wir begreifen daher die Emporung, die ihn uberkam,
als er bei einer Miinchener Auffiihrung des „Wassertrager", 1811, die
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HOHENEMSER: CHERUBINPS „WASSERTRAGER« 139
Klarinette durch andere Instrumente verstarkt fand. 1 ) Dem Zuspruch des
Bruders and des Vaters gibt Marcelline endlich nacb. Aber die Begleitung
zu ihren Antworten beweist, dafi sich ihre Erregung nur allmahlich legt.
Erfreut fiber ihre Bereitwilligkeit, zu dem Rettungswerk beizutragen, stimmen
alle nochmals den SchluBgesang des ersten Teils des Finale an. Dieses
oahert sich also, bei Cherubini eine Ausnahme, der Rondoform.
Dem zweiten Akt geht eine Instrumentaleinleitung voraus, die aber
mit den Buhnenvorgangen in engster Verbindung steht. Das voile Orchester,
durch Posaunen verstarkt, setzt mit dem D-dur Dreiklang ein. Nach einem
durch allmShliches Abtreten der Instrumente bewirkten Decrescendo ertonen
feierliche Klange:
Sostenuto
4-a- — — i— n~t9 =- -r^~Jn- ^
m^r^^^^^^u^=
pp~+
Sodann schlagt es auf der Biihne 6 Uhr. Nachdem das bisherige wieder-
holt ist, hort man einen Trommelwirbel. An diesen schliefit sich, indem
das Tempo von w Sostenuto" in „Andantino a ubergeht, eine groCe Steige-
rung mit allm&hlichem Eintritt der Instrumente fiber A als Orgelpunkt.
Offenbar wShrend dieser Takte soil sich der Vorhang heben, und man
erblickt das Stadttor und daneben das Wachhaus. Der Chor der Soldaten
setzt ein: » Point de pitte" usw. und geht bald in ein Allegro „Observons,
combattons, arrStons, c'est rordonnance" fiber. Der ganze Satz, in dessen
Begleitung Posaunen und Pauken mitwirken, bringt mit seinen Imitationen
und Sequenzen mehr finstere Entschlossenheit als soldatische Frische zum
Ausdruck. Diese Stimmung verstarkt sich noch im Mittelteil, in dem
der Leutnant die Ffihrung des Gesanges ubernimmt. Zu seinen Worten
,M6ritons la bienveillance du c61£bre Mazarin*, wahrend denen der Chor
schweigt, wird die vorhin angeffihrte Wendung verarbeitet. Merkwiirdiger-
weise findet sie sich auch in Cherubim's grofiem achtstimmigen Credo.
Die vier ersten Takte bilden dort den Anfang des CruciBxus, nur daO
die Melodie durch allmahlichen Stimmeneintritt entsteht; die vier letzten
Takte folgen etwas spater auf „passus". Dieses Credo wurde bereits
1778 oder 1779 begonnen, aber erst 1806 vollendet. Es laOt sich also
nicht bestimmen, fur welches Werk die Wendung ursprfinglich erfunden
vurde. Was im „Wassertrager* diese auf den ersten Blick befremdliche,
feierlich gebundene Musik bedeutet, ist klar ersichtlich: Die italienischen
Soldaten und Offiziere ffihlen sich als Diener des Kardinals und somit
x ) C. M. von Weber, Ein Lebensbild von M. M. von Weber, 3. Band, Brief aus
Munchen, 1811, S. 36 f.
j ;i :l u-: : )y ^ „-.i)i >^!1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
140 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
der Kirche. Es ist bewunderungswiirdig, wie scharf Cherubini den
Gegensatz zwischen ihnen und den tibrigen handelnden Personen, die
selbst ihre religiosen Gefiihle niemals in jener streng gebundenen Weise
auBern, musikalisch dargestellt hat. Wenn ubrigens der Leutnant und die
Soldaten, wie sich das spater deutlich zeigt, hoffen, den auf Armand aus-
gesetzten Preis zu gewinnen, so braucht das, wie aus geschichtlichen Bei-
spielen hinlanglich bekannt, zu ihrer Uberzeugung, der Kirche zu dienen,
nicht im Widerspruch zu stehen. Der Ubergang zur Wiederholung des Haupt-
satzes wird mit der Steigerung und dem Orgelpunkt gebildet, an der sich
aber diesmal der Gesang beteiligt. Der Hauptsatz selbst ist durch Triolen-
figuren in der Begleitung bereichert.
Das folgende Gesangsstuck, ein Terzett mit Chor, in dem der
Leutnant Constance, da ihm ihr PaB nicht zu stimmen scheint, auf die
Wache bringen lassen will, wahrend Antonio Miene macht, zu ihrer Ver-
teidigung Gewalt anzuwenden, wird durch ein melodramatisch behandeltes
Gesprach eingeleitet. Zuerst ertont die Musik nur in den Pausen desselben,
dann aber, in einem Tremolo, auch wahrend der Worte. Eine mehrmals^
verwendete Figur dient auch als Uberleitung zu dem leidenschaftlich be-
wegten Terzett. In dessen Hauptteil, g-moll, der nach einem steigernden
Mittelsatz, B-dur, verandert wiederkehrt, wird der Leutnant durch Sechs-
zehntelfiguren der Begleitung und durch das Motiv:
den beiden anderen entgegengestellt, die in ihrer Ausdrucksweise so-
ziemlich iibereinstimmen, nur daO Antonio zuweilen noch erregter singt
als Constance. Das Ganze schlieCt auf dem Dominantseptimenakkord von
B-dur. Darauf folgt Dialog, und zu einer Auflosung des Akkordes kommt
es iiberhaupt nicht; denn die nachste Musik (sie ertont, wie bereits er-
wahnt, in den Pausen des Gesprachs zwischen Antonio und Micheli) steht
in Es-dur. Auch sie schlieOt, indem die Arienmelodie einen kleinen An*
hang erhalt, mit einem Dominantseptimenakkord, und zwar mit demjenigen
von c-moll, der wieder keine Auflosung erfahrt. Cherubini verwendet in
diesen beiden Fallen, um den Horer in der Spannung festzuhalten, ein
analoges Mittel wie M6hul im w Ariodant a , wo die Ubergange vom Gesang
zum gesprochenen Dialog scheinbar zum Rezitativ iiberleiten und daher
keinen musikalisch befriedigenden AbschluO ergeben.
Das Finale beginnt mit dem H-dur Dreiklang, geht aber sogleich in
ein marschartiges Stuck in E-dur (iber. Wahrend desselben besprechen
der Leutnant, der schon vorher hinzugekommene Hauptmann und Micheli
dessen vorgeblichen Plan, Armands habhaft zu werden. Dazwischen betet
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HOHENEMSER: CHERUBINFS „WASSERTRAGER a
141
Micheli heimlich fur das gluckliche Gelingen seines Rettungswerkes. Ob-
gleich dazu der Marsch fortgesetzt wird, hebt sich sein Gesang von dem
<Ier Offiziere deutlich ab. Nachdem diese in das Wachhaus gegangen
sind, urn Soldaten auszuwahlen, folgt mit Sechszehntellaufen in den
Violinen ein Zwischenspiel, an dem sich alle Instrumente aufier Flote
und zuletzt auch die Posaunen beteiligen. Micheli singt unter Streicher-
begleitung einige wenige Worte und leitet damit nach C-dur iiber. Hierauf
<>ffnet er das FaC und lafit Armand entschliipfen und durch das Tor ent-
fliehen. Dies alles geschieht wahrend eines neuen Zwischenspiels, das in
tiefer Lage (Cello und zweite Violine beginnen; dazu tritt Fagott und endlich
Viola) annahernd auf den punktierten Rhythmus des Marsches zuriickgreift,
bis im siebenten Takt die erste Violine mit der Figur:
^=jEjE°E^E=.
einsetzt, die sie unter Hinzutritt des Kontrabasses und der Blaser zu
Sechszehntellaufen steigert. Die Spannung und Erregtheit dieser Musik
findet ihre Losung und Beruhigung in dem Durteil der Romanze, der, wie
wir bereits wissen, zum Gesang Michelis ertont. In seiner Freude iiber
^Jie glucklich gelungene List kann er sich des Lachens nicht erwehren.
Dazu hat die Violine die Figur:
Andantino
Jetzt kehren die Offiziere mit Soldaten zuruck. Unter Triolenbegleitung
beginnt der Chor auf der Dominante von E-dur. Am SchluB dieser Ein-
leitung singt Micheli zum erstenmal das Gebet, von dem wir gleichfalls
bereits gehort haben. So oft er es spater noch einstreut, weist es jedes-
mal die gleiche Instrumentierung auf: Flote, Fagott, erste Violine, Viola
und Cello. Der Hauptsatz des Chores ist wieder ein Marsch, dessen
Melodie folgendermaCen beginnt:
Allegro ^
IgfcBzfczM
-&
t=X=
& F-
■i9-
USW.
Schon hieraus ist zu erkennen, daC jetzt die soldatische Frische die Ober-
hand gewonnnen hat. Wahrend alle abziehen, klingt der Marsch in einem
langen Nachspiel aus.
Vi-::! :v, C iOOQIc
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
142 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
Wir haben noch die SchluDszenen der Oper zu betrachten. Da
Antonio bei der Ankunft in Gonesse die Soldaten in der Ferae be-
merkt hat, ISOt er Armand sich in einem hohlen Baum verbergen, bis
die Gefahr voruber sei. Er selbst und Constance gehen mit den Land-
leuten, welche mit den Soldaten zuruckkehren, ins Haus des Pichters, wo
alle bewirtet werden sollen. Nachdem es still geworden ist, kommt Armand
aus seinem Versteck hervor, urn frische Luft zu schopfen. Seine bange
Sorge urn seine Gattin und sein Gebet um ihre Befreiung aus den drohenden
Gefahren spricht sich in einem ergreifend schonen Melodrama aus. Die
melodiefiihrenden Violinen haben Sordinen, die ubrigen nicht. An Blasern
werden nur Floten, Horner und Fagotte verwendet. Obgleich die Musik
wShrend der Worte Armands schweigt, bilden ihre Teile zusammen doch
ein geschlossenes Ganzes, in dessen Stimmung sich Gedampftheit und
Zuversicht die Wage halten. Ganz zuletzt, als sich Armand, da er jemanden
kommen hort, wieder zuruckzieht, folgt noch ein kleiner Anhang, der aber-
mals ohne Auflosung bleibt. Jetzt treten zwei Soldaten auf, die sich
hinter dem Baum lagern, um sich in Ruhe an einer Flasche Wein gutlich
zu tun. Sie machen sich Hoffnung, den Grafen vielleicht auf eigene Faust
ergreifen zu konnen. Nun naht sich vorsichtig Constance und gibt, da
ihr alles ruhig scheint, Armand, dem sie bei der gluhenden Hitze eine
Erfrischung bringen will, das verabredete Zeichen; doch die Antwort bleibt
aus. Ihrer aufsteigenden Angst verleiht sie in einem sehr schonen, von
einer kurzen melodramatischen Stelle eingeleiteten Rezitativ Ausdruck. Plotz-
lich brechen die beiden Soldaten hervor. Ihr Uberfall, die Hilferufe Con-
stances, die Befreiung durch Armand, alles vollzieht sich Schlag auf Schlag
in einem Allegro mit vollem Orchester, das sich uber A als Orgelpunkt
nur auf der Dominante und der Tonika von d-moll bewegt. Mit Eintritt
des verminderten Septimenakkordes auf Gis erscheinen der Hauptmann
mit Soldaten, Antonio und die Landleute. Wdhrend der Fragen des Haupt-
mannes und der Antworten Armands wendet sich die Musik uber C-dur
nach f-moll. Armand zogert, sich zu erkennen zu geben, und durch Ver-
arbeitung der Figur:
Allegro
E
>H-
5 TT^- ♦ "•*
die zuerst in der Viola auftritt, wird eine gewaltige Spannung erzeugt. Sehr
schon ist nach der Nennung des Namens der von der leidenschaftlichen Figur:
usw.
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Original from
5' - UNIVERSITY OF MICHIGAN
HOHENEMSER: CHERUBINrS W WASSERTRAGER« 143
begleitete Gesang Constances, die sich Vorwurfe macht, ihren Gatten
verraten zu haben. In einem Chor mit dem Hauptgedanken:
Allegro ^^^ ^
bringen die Soldaten und Landleute ihr Erstaunen, Armand vor sich zu
sehen, zum Ausdruck. Vor der Wiederholung kehrt der f-moll Gesang
Constances wieder. Wie es in der Dialogoper sehr haufig geschieht, so
erfolgt auch hier die Losung selbst ohne Musik. —
Von der Ouverture zum B WassertrSger a sagt der bereits erwShnte
Bericht des ,Ann6e th6atrale a :
„Son ouverture et le premier entr'act peignent, d'une maniere frappante, les
bruits populaires, les mouvements des troupes et tout ce que notre revolution nous
a rendu si familier."
Jeder, der die Ouverture kennt, wird diese Behauptung unbegreiflich
finden. Sie kann nur durch Vermengung mit der ersten Zwischenaktsmusi)(
entstanden sein, auf die sie wegen des Trommelwirbels und wegen des
Anschwellens auf dem Orgelpunkt wenigstens einigermaBen paQt. Eine
kaum minder seltsame und willkurliche Ausdeutung gab etwa 40 Jahre
spiter der junge Wagner in seiner bekannten, in Paris entstandenen Ab-
handlung „Uber die Ouverture*. Darin heiBt es:
w Die Ouverturen Cherubim's sind poetische Skizzen des Hauptgedankens des
Dramas, nacb seinen allgemeinsten Zugen erfaftt und in gedrSngter Einbeit und
Deutlichkeit musikalisch wiedergegeben; an seiner Ouverture zum /Wassertrlger'
erseben wir jedoch, wie selbst die Entscheidung des drangenden Ganges der Hand-
lung in dieser Form sich ausdrucken konnte, ohne daft dadurch die Einbeit der
kunstleriscben Fassung beeintrachtigt wurde." J )
Den Satz uber Cherubim's Ouverturen im allgemeinen mag man
gelten lassen, nicht aber die Ausnahmestellung derjenigen zum B Wasser-
trager"; denn sie besteht aus einer langsamen Einleitung und einem Allegro,
das im groften und ganzen die Form des ersten Sonatensatzes aufweist,
aber eine nur sehr kurze Durchfiihrung, dagegen eine ausgebildete Reprise
und eine Coda besitzt, die auf das Hauptthema zuruckgreift, so daft sicb
nirgends ein Punkt bestimmen laBt, an dem sich die Entscheidung
des Dramas musikalisch-symbolisch vollzoge. Auch mit anderen Stellen
seiner Abhandlung beweist Wagner, daB er damals das Vermogen der
reinen Instrumentalmusik, auBermusikalische Vorgange zu symbolisieren^
uberschatzte, ein Irrtum, von dem er sich spater mit Entschiedenheit ab-
wandte. Viel verstandlicher als solche Ausdeutungen ist uns die rein
musikalische Begeisterung, die unsere Ouverture in Moritz Hauptmann
hervorrief. Nach Jahren schreibt er dariiber:
l ) R. Wagner, „Gesammelte Schriften a , 1. Bd., S. 197.
i"::i
Original from
UNIVERSIWOF MICHIGAN
144
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
„Was ein Satz wie die ersten Takte der Ouverture zum ,Wassertrager< Fur einen
damaligen jungen Musiker fur einen Reiz baben muBte, davon kann sich ein jetziger,
nacbdem der Scbatz Gemeingut geworden ist, keinen Begriff mehr machen. Icb, in
meinen damaligen Dresdener, ganz italienischen Umgebungen, babe die heifiesten
TrSnen dabei vergossen; Mozart war in den Hintergrund getreten. Erst in der spateren
Zeit konnte die reinere und ansprucbslosere Erhabenheit des letzteren wieder zu
Gefuhl und Bewufltsein dringen, ohne jenes eigentumlich Schone verkennen zu
lassen." *)
DaB es der romantische Zug in Cherubim's Musik war, der hier
eine so tiefe Wirkung ausubte, davon uberzeuge man sich an den nach-
stehenden ersten Takten der Ouverture:
Andante molto sostenuto
Unverkennbar hat Schumann diesen Anfang mit BewuBtsein nach-
gebildet, und zwar gleich zu Beginn seines B Ouverture, Scherzo und Finale -
betitelten Orchesterwerkes. Auch mochte man fast vermuten, daB ihm
das spater einsetzende, klagende Motiv:
Andante molto sostenuto
mit seiner charakteristischen Hervorhebung des ubermaBigen Dreiklangs
bei der Komposition der Erzahlung von dem an der Pest erkrankten Jung-
ling in .Paradies und Peri" vorgeschwebt hat. In dem ganzen Einleitungs-
satz der Ouverture mit seinen plotzlichen Ubergangen vom Forte zum
Piano, mit seiner Chromatik und seinen Vorhalten sind Spannung und
tiefe Klage zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen. Zuletzt bringt
er eine Steigerung, die in das folgende Hauptthema des Allegro hin-
uberfuhrt:
Allegro
^— i— U— L
^ £Jln r ^ 1
■0* — m-
*q
m
*) Hauptmann, „Briefe an Spohr und andere", S. 203.
:r.i.:'u:
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
HOHENEMSER: CHERUBIM'S „WASSERTRAGER«
145
Die gleiche Stimmung wird auch in der anschliefienden Gruppe festgehalten:
usw.
Zweifellos redet hier die Musik in ihrer Sprache von Freude und
Sieg nach vorangegangenem Schmerz und Druck. Aber es ware wider-
sinnig, wenn schon zu Beginn des Hauptteiles der Ouvertiire alles ent-
schieden ware, so daG dieser nur noch den Sieg zu feiern hatte. In der
Tat lenkt denn auch das Seitenthema, das zunachst in G-dur und erst
spSter in H-dur erscheint:
-nil
ti£lji*SZi
»iS
Tj r v-
fl H^
Z & t± i f
-&-
M£
f5h
m
Us:
f
in die, wenn auch gemilderte Anfangsstimmung des langsamen Satzes
zuruck, und in dem, was sich anschlieOt, kommt wieder die schmerzliche
Spannung zum Ausdruck:
ifen
Sife^Tt:
*=*
£
Der SchluC des ersten Teils ist wieder sieghaft und macht von auf-
fallend italienischen Wendungen Gebrauch. Die Durchfuhrung verwertet
das Hauptthema und die folgende Gruppe; letztere wird dann in der Re-
prise ubergangen. Die Coda hat Strettacharakter und bringt zuletzt das
XIII. 3. 10
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
140 DIE MUSIK XIIL 3: 1. NOVEMBERHEPT 1913
Hanpttbema jo betcbleunlgtem Tempo. Vie die ganze Oper, so lit tucfa
die Ouvertfire, and zwtr bel strengpter inusikaliftcber Einheitlicbkeit, elo
hBcbat wJrkungpvolles Vecbselapiel zwitcben Spannung and beglBckender
BefireJuiig, Eio oocb engerer Zaummenhang wird rich wohl nicht er-
weiaen lessen.
»Der Wataertflger* ist diejenlge nnter CbernbinFe Opera, die
in erater Linle den Weltrafcm dea Melstera begrfindete. NamentHcb in
Dentschland find rie rucb an grofien and fclelnen B&hnen Eingang nntf
erfreute sich bla etwa in die Dreifliger Jahre allgemeiner Bellebtbeit
Aach trotzte rie am llngsten der anvenUenten Veigeasenbeit, In die
Chernbini's Opera allmihllcb vervanken, nnd eelbst in der Gegenwart tnncbt
rie noch bie ttnd da auf. Vlelleicht wild rie einmal dazu bentfien seta*
daa Intere&se ffir Cberubini, einen der grSfiten Mnrikdramatiker, veiche
die Geacbichte der Tonknast kennt, nen zn erwecken*
[" ^ y | , Origin ^1 from
^ ,tK ^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN
BRIEFE BEETHOVENS AN CARL BERNARD,
E. T. A. HOFFMANN, S. A. STEINER & Co. UND
ANTON SCHINDLER
VERBESSERTE ABDRUCKE
VON DR. MAX UNGER IN LEIPZIG
Die verschiedenartigen Richtlinien, wonacta Beethovensche Brief-
ausgaben der letzten J ah re bearbeitet worden sind, haben ein
vielfacbes Fur und Wider bei der Kritik veranlaOt. Soil man der
„diplomatischen Genauigkeit* der Wiedergabe des Brieftextes das Wort
reden, und wie weit soil man, wenn man sich doch zu kleinen Anderungen in
der Rechtschreibung des Meisters entschlieflt, in solchen Gldttungen gehen?
Es ist nicht meine Absicht, zu diesen beiden strittigen Fragen ein
letztes Wort zu sprechen. Ich will es jedoch nicht unterlassen, auf Albert
Leitzmanns vortreffliche Studie in der Neuen Rundschau vom April 1908
hinzuweisen, obgleich mir scheint, als ob ihr Verfasser doch etwas zu
weit gehe in der Sduberung des Beethovenschen Textes. Einen Wunsch
mochte ich aber doch nicht unterdrucken: daO man sich wenigstens beim
Erstdruck eines Beethovenbriefes nicht scheue, ihn so buchstabengetreu
wie nur moglich wiederzugeben. Dann wire jeder Leser, der mehr als
fluchtigen Anteil daran nimmt, imstande, sich Stellen, die etwa durch
Hinzufugung von Satzzeichen und dergleichen ihren Sinn andern, zu deuten,
wie es ihn am besten dunkt. Das erste aber, was bei der „diplomatischen
Genauigkeit a in Frage kommt, ist naturlich, daO erst einmal die Worter der
oft so schwer leserlichen Handschrift Beethovens nach Moglichkeit richtig
entziffert werden, und das zweite, daD keine Fluchtigkeiten wie Auslassungen
von WSrtern vorkommen.
Wie leicht gerade so etwas durchgeht, zeigt das Beispiel Dr. Alfred
Eberts, der nach der Urschrift in seinem in der „Musik" (IX, Heft 14) ver-
offentlichten Aufsatze „Sechs Briefe Beethovens an die Grafin Marie von
Erdody und einer an Therese von Malfatti (?)* einen kurzen, schon fruher
veroffentlichten Brief an die Grafin Erdody („Mit vielem Vergnugen habe
ich Ihre Zeilen empfangen . • .") getreu wiedergeben wollte und doch, wie
mir die in der neuesten Auflage von O. Kellers Musikgeschichte ent-
haltene Nachbildung zeigt, drei, wenn auch noch so kleine Worter weg-
gelassen oder unnotigerweise hinzugefugt hat.
In folgenden Zeilen mochte ich ein paar Briefe von neuem wieder-
geben, und zwar, wenn ich mich auch nicht gerade auf eine unbedingte
Buchstabentreue beim Abdruck versteife, in einer Weise, die der Be-
deutung und dem Inhalt wohl wesentlich forderlich sein wird.
10»
• - - . - ("ntuil( s Original from
i :-j ■;!. ,ul. jy ^ ,uu t V l UNIVERSITYOF MICHIGAN
148 DIE MUSIK XIII. 3: 1, NOVEMBERHEFT 1913
Zu Kaliachers Erstdrack eiaea Beethovenbriefes
im sechsten fieethovenheft der „Husik"
Im sechsten Beethovenheft der v Masik* (IX, Heft 1) verBffentlichte
Kaliscber einen unbekannten Beethovenbrlef, der, wie die beigegebene
Nachbildnng zoigte, in der Urschiift sebr scbwer zn entzHBern war. Der
Vergleich jenes Eratdrackea mit der Nachbildnng ergab flir xnicb, dafl
Kaliacber eine gaoze Anzahl WSrter verlesen hatte. Nacbtriglich ver-
Sffcntlichte Frimmel in dem vierten Heft seiner Beethovenfbracbnng eine
Verbesaernng* Da diese aber noch zwel sinnentatellende Fehler entbllt,
sei der ganze Brief noch einmal hierfaergestellt — wie icb hoffe, gfaalich
gereinigt:
34 Vrctrptv iritet tea fflttef, vttUfrn B— r. an bit $r* B— n, in mtintm Rtf^wfu
grftfttirim, Ut« Mttf srf4*»m ftflm faW* ali i*« fcn #. K. »- anartafet, baft n ft sUM
mtofffft feflt; k#t Mr ff rtri |u fpit u. asf rtn* >u traflttytcR* drt, au^ fat t* iatf«A Uttm
A^tkt as tys f rift Bott torn flffrmbm — Stains fdjrtrt teas B. ai^t ttv friaiw ftaata
*it GWaumitaffo, mUffr f4«» ftat nUtt taf aririrfk arit rttwt fottys qhrfr" fu hui fatta MQttl
— Ctytfant, ftaf, But ram art*, wj«i Bftwn tf« mbtrtttrn 0ef**tft«*. ftfrt *a*
tit Urfiwtt ttffil 64ttlftfii4, Ed* — wn Wffcm W^t. — Vvl tan Brief* to St. B— n. w
fribt ftfrrfgra*, nit flu* #t. B. unb &m art* M wflaBfrs |ak*, mUt* iff |u frfcffli, baf
a nliftt «U b« OtfTDforwuttfcf^aft] m* nir waUtt rin»ct#anbta [frin] —
*kf«r gflrl, btefir $f«b«fffcj*ri - aofrtaM** unit
Cotltf ft* Hffrv 01cefl mdnfliVar W* Rutin fits* wnatoffi^ ft wrtt U* [fM aU
Vcrftbm to JJufliab in f$U$U Sffrllf^aft anflaflra, —
Ludwig van BeeUwvan-*
Die beiden WSrter, die aach von Frimmel noch nicht richtig gedentet
worden aind, atehen gegen den SchluB des Brief ea: Ea heiCt start Frimmels
pbeV[onnnndang]* and ttatt Kallschera „ beret [?]■ — v Oberv[onnund-
achaft]' and statt 9 Dienatag Itommen", was bei beiden zu finden 1st —
»elnver8tanden*. Beide WBrter aind allerdinga in der Nachbildung etwas
zn knrz gekommen t da fast tof der ganzen Seite die enten Bucbataben
des I Inken Randes wohl infolge nngenauen Einstellena des photographiscben
Apparates weggeblieben aind.
So, wie der Brief oben entziffert worden 1st, gibt er nan erst einen
richtigen Sinn, wenn der Inbalt auch nicht gerade reatlos erkllit werden
kann. Erst die Detitung der abgek&rzten Namen: W B — r," und der apitere
,B. B 1st BUtchlinger, der Erzieher von Beethovens Neffen Karl; „Fr. B— n."
Karis Matter, Frau Johanna van Beethoven; der H» R* P. so gut wie
richer der Herr Magistratsrat Referent F. X* Pink,
Worum es sich in diesem Briefe handelt, ist nun ziemlich Mar: der
Erzieher BISchlinger hatte zn anrecbter Zeit wider den Willen der Ober-
vormundachaft and Beethovens die verrafene Matter Karl van Beethovens
bei seinem Zdgling vorgelaaaen, obgleich er damm wufite, daB Beethoven
t ^ I , Original from
^ .OOvK UNIVERSITY OF MICHIGAN
UNGER: BRIEFE BEETHOVENS 149
es keinesfalls wunschte. Giannatasio del Rio, in dessen Institut Karl fruher
gewesen war, hatte sich bei solchen Gelegenheiten besser bewahrt. Frimmel
wird recht haben, wenn er den Brief in die Anfangszeit des Unterrichts
bei Blochlinger setzt. (Karl war dessen Institut von Mitte 1819 bis weit
ins Jahr 1823 anvertraut.) Am 14. September 1819 hatte Beethoven z. B.
an Blochlinger geschrieben: „Nur folgende Individuen haben freien Zutritt
zu meinem Neffen: H. v. Bernard, H. v. OHva, H. v. Piuk, Referent."
An wen der Brief gerichtet sei, erhellt nicht ganz zweifellos. Fur Carl
Bernard spricht indes mancher Punkt.
Beethovens Brief an E. T. A. Hoffmann
Bei der Einsicht in die BeethovenschStze der Berliner Koniglichen
Bibliothek war ich nicht wenig iiberrascht, auch die Urschrift des einzigen
Briefes Beethovens an E. T. A. Hoffmann zu finden. Er sei danach mit
einigen Verbesserungen hierhergestellt:
«3ien, am 23. SWdrj 1820.
„18\xtx ©o^lgefeorfn!
3$ rrgteife tit (Bflegenljeit, fcutc$ $t. Neberich mtc$ finem fo gfiffretdjen SKanne, trie ©ie
ftnfc, ju nfytxn. — Hucfc ufrft meine SSenigfeit fcafcen @ie grfarieten, audj unfft fdjtra<$e #t. Starke
jrigte inir in (finem 6tammfcuc$f einige 3«len eon 3^ nfn ubtt mid). @ie neljmen alfo, wle tc$
glauten mufl, einigen Sfnteil an mir; etlauben €ie mit §u fagen, fca# fciefe«, oon einem mit fo
au$ge|eic$neten ©igrnfcfcaftm fcegaHen SHanne 3^tf*gUi($en, mir feljr wetyltut. 3$ wunfc^e 3& nm
aflrt &$bnt unb ©ute tint fcin
©uer ffio^Igetoten
mit $c<$ad)tung ergefrenfta
Beethoven."
Alle mir bekannten Abdrucke dieses Briefes weisen, da sie auf
E. T. A. Hoffmanns Schriften zuriickgingen, statt der Namen Neberich
und w unser schwache Hr. Starke* die Abkurzungen „N." und „N. N."
auf. Das Schreiben wird wohl nur durch zwei Umstande veranlaOt worden
sein, einmal, weil Hoffmann in seinen Phantasiestiicken iiber Beethoven
viel gesprochen hatte, dann, weil gerade „Hr. Neberich" nach Berlin reiste.
Dieser Herr Neberich ist uns in Beethovens Lebensgeschichte kein Un-
bekannter mehr. Er war Weinhandler. Ein Empfehlungschreiben vom
4. Marz 1816 an Franz Brentano in Frankfurt am Main schildert ihn
spafiig folgendermaflen (Kalischer-Frimmel, Beethovens Samtliche Briefe,
III, S. 31): w Ich empfehle Ihnen, mein werter Freund, den ersten Wein-
kunstler Europas, Hr. Neberich; selbst in der asthetischen Anordnung des
Aufeinanderfolgens der verschiedenen Weinprodukte ist derselbe Meister
und verdient alien Beifall. Ich zweifle nicht, dafi Sie beim hohen'Rate
von Frankfurt die hochste Ehre mit ihm einlegen werden, bei jedem^Opfer,
j ;i :l u-: : )y ^ „-.i)i >^!1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
150 DIE MUSIK 3QIL 3= I. NOVEMBERHBFT t«3
dem Bacchus dargebracht, gebttrt lhm der Priesterrang . • *■ Den modern*
den v schwachen Hr, Starke" kennt die Beethovenfoiachung each scbon.
Gerade in den Anfug des Jmhree 1820 RUlt eine Beziehnng Beetboveos
zn diesem ReglmentskapeUmeister Friedricb Stroke, Er war der Heraus-
geber ciner w Wiener Pianofortetchnle*, won Beethoven Rtaf Bagatellen
belstenerte. Auf dieee Vcrfffentlichang ond seinen Heraatgeber beziehen
sicb eioJge Eintrige ini Konvertationebndi, wovon bier nnr die Worte,
die sicb aar seine Wesensart beziehen, mitgeteilt werden soiled Da heiflt
es von der Hand eines Unbekannteo (nacb Thayer IV, S. 202, mSgtfcher-
weise von der Hand Bernards): » * - - Er ist bei aeinem groSen mnsikalischen
nnd schriftstelleritchen Verdienste docb immer lufierat bescheiden, BeiBig
and demfltig , , .* nnd: w Er versteht die Kunst zo kompllieren. Es gibt
jetzt fiberall Schwache, sclbst nnter den Starken** <Ob die letzten belden
Sitae ron Beethoven selbst stnmmen, ist aus Thayer nicbt dentlicb an
erfehren. Das Wortspiel von den Schwacben nnd Starken ist aber ecbt
beetbovensch und 1st ja ancb in dem Brief verwendet.)
Zwel Beethovenbriefe an & A* Steiner ft Co.
Zwei andere Briefs, an S, A. Steiner & Co., die bisher nnr ntch
O. Jahns nicbt recht zaverMssiger Abachrift gedruckt worden sind, konnte
icb ebenfialls nach den Urschriften in der KSnlglichen Bibliothek ver-
bessern. Icb erspare mir bier einc nitaere Angabe der Fehler and er*
wihne nur, dafl sie teilwelse In ziemticb auflllligen Weglassungen nnd
Verlesnngen bestehon, die mancbmal soger den Inbalt verderben. Im
zweiten Brief 1st sogar eine Stelle ganz weggebtieben, die nicbt elnmal
nnwichtig erscbeint; es sind die Worts in der Mftte des Schreibens von
,Ich braucfae sutt diesen . . ,* bis »zu Oberreichen*. Allerdlngs let dlese
Steile von Beethoven turn Tell ausgeatrichen* Konnte icb Im eraten von
belden Briefen etwa ein Dutzend Fehler beaeitigen, bo gab es in dem
zweiten, von der weggelassenen Stelle abgesefaen, nnr etwa ein balbes
Dntzend za verbeesern. Es 1st nicbt ndtig, fiber den Inbalt der Briefs
bier vlele Worte zn verlieren. Icb erwlbne nnr, dafl es sicb in beiden
nm den Stich der A-dur Symphonic bandelt nnd dafl sie tm Dezember 1816
geschrieben seln mQssen, da dlese Sympbonle um diese Zelt bei S* A.
Steiner & Co. in Wien henraekam; endlich erinnere Icb mit Beziebnng
anf den zweiten Brief daran, dafl der Neffie Karl im August-September 1810
an einem Bmcbieiden darniederlag und von Dr* Smetana operiert werden
muflte. Im ilbrigen sei auf die Briefe No. 588 and 569 In der von
Tb. v* Frimmel besorgten zweiten Anflage Beethoveos Simtlicher Briefe
von Kalischer (Berlin, 1010) verwiesen*
Hier stehen die beiden Schreiben in verbesaerter Gestalt:
[" ^ y | , Origin ^1 from
::jA,ot ^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN
UNGER: BRIEFE BEETHOVENS 151
I.
„Die Geschichte mit dicser Symphonie ist mir sehr verdriefllich, da htben wir
nun das Unheil! — Weder die gestochenen Stimmen noch die Partitur sind fehler-
frei; in die schon fertigen Exemplare mussen die Fehler mit Tusche verbessert
werden, wozu Scblemmer zu brauchen. Obrigens ist ein Verzeichnis aller Fehler
obne Ausnahme zu drucken und zu verscbicken. Der roheste Kopist b§tte gerade
die Partitur so geschrieben, wie sie jetzt gestocben; ein d. g. fehlervolles mangel-
baftes Werk ist noch nicht von mir auf diese Weise im Stich erschienen. — Das
sind ctfe Folgen von dem nicht korregieren wollen, und von dem mir es nicht vorher
zur Obersicht gegeben zu haben, oder mich dran zu mahnen. Dieselbigen Exem-
plare, welche ich jetzt hier Ciberscbicke, sind nur mir mit dem darnach verbesserten
baldmdglichst zuzustellen, damit ich Richtigkeit oder Unrichtigkeit einsehe. — So
bestraft sicb der Eigensinn selbst und Unschuldige mussen mit darunter leiden. — Ich
mag nicbts mehr fur mich von dieser geradbrechten verstummelten Symphonie wissen. —
Pfui Teufel ./• ./•!
So ist Euch also wirklich der Grundsatz zuzuschreiben, did Ibr das Publikum
acbtungslos bebandelt und dem Autor gewissenlos seinen Ruhm schmilert ! ! !
volti subitoP)
Da ich krank war und noch bin und das Verlangen des Publikums nacb diesen
Wcrken etc., das sind Entschuldigungen, die Ibr anfuhren kdnnt beim Verkunden des
Verzeichnisses der Fehler. — -
Behut Euch Gott, holt Euch der Teufel.
II.
„Ich bitte vor allem, daQ das Verzeichnis der Fehler gemacht werde, sowohl
der einzelnen Stimmen als der Partitur. Ich werde es alsdenn mit den einzelnen
Stimmen und der Partitur vergleichen; dieses muQ alsdenn eiligst in alle Welt-
gegenden gesendet werden. Es ist traurig, daft es so sein muB, allein es ist nun
nicht anders; auch sind d[er]g[leichen] Fille in der literarischen Welt schon oft
dagewesen. —
Nur weiter keinen Eigen- und Starrsinn, sonst wird das Obel immer Srger. —
Ich braucbe start diesen 5fer 20ger; ich babe eben fur meinen kleinen armen Karl
370 fl. auf eine ehrenvolle Art an seinen Befreier vom Bruche zu uberreichen. —
Die Wechsel von meinem Kapitale von 100000 Xzern brauchte ich nur auf einige
TIge, jedoch nicht aus Mifltrauen ! ! ! Sonnabends bedurfte ich wohl wieder 100 fl.
K[onventions]G[eld?] umzuwechseln. So sind uberall Obel auf Obel, der Herr ver-
lasse mich nicht.
Euer etc.
G[eneralissimu]s."
Ein erg&nzter Brief an Anton Schindler
Wenn man die Beethoven-Briefe an Anton Schindler, die in der
Berliner Koniglichen Bibliothek aufbewahrt werden, durchblattert, bemerkt
man mitunter, daQ eine kurze Stelle von einer andern als Beethovens
Hand durchstrichen ist. Was der Meister selbst unkenntlich gemacht hat,
ist mit grofien kreis- oder spiralformigen Zugen ausgestrichen ; jene Feder
') Bei .Volti subito* soil der Leser des Briefcs das letzte Blatt des Briefes
schnell umwenden.
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
152 DIE MUSIK XI1L 3: L NOVEMBER HEFT 1913
aber, die hier gemeint 1st, wnrde von elner beinahe zlerlicb, jcdenfalls
aber sorgflltiger ztt nennenden Hand gef&hrt, die zudem mchr hlkchen*
artig ibr Vernicbtangswerk begangen bat. Sie stlramt, es set gleicb ver-
raten, wenn man die Scbrift Schindlers dagegenbftlt, in Feinfaeit nnd Tfnte
anfflUIg mit dieser Hand fiberein. Elne von den unkenntlich gemachten
Stellen, die auBerdem nocb die nmfangreicbste von alien ist t babe icb,
obglelcb Kaliscber sie fBr nnlesfaar gebalten hat, obne irgeadein Hilfa-
mlttel aoznwenden, wie lcb meine, fehlerlos entzilfert, Der Brief begun
bisber ungefUir im zweiten Drittel mit den Worten: ,Zu Scblemmer geha
Sie nlcht mchr* . . , Er faelSt nan vollsttndig, ancb sonst etwas ver*
bessert:
fl « wt ovlgnatftf, taf 6ff fittf M *flf a>ttfl* Vrttftng twtfaflfftra, ft, w\t J* f* Ei
oatrni t» K«T]flD^4nt] ffi&n* m«$ fctyrt §rm4t frfcf «*b M fe*o* ten frlbff Mifb}t — Mm
wtrto tt* {touttf itrrfo buff* Sfrntn tefcvfltn vab ty wnU H fopf tra- — 3 11 64t"*»^ S4«
€1* ttt^t mtfo *«i grit morflm frft> fel&fr Jta, — «** qfrbuniftttttttttegftt*} too? 14 wfr
bn|flf4hfta* Eknn eu ntr fotrifra, fe tyfriton ©t* mtf mtt grtabt, *ir 14 Sftu*, ofri* Zttfl,
otnt Vfottte, «|nf Uslirftylft. Vita brerii, an long*. tf « tawf* 0** nf^t ftytittlf w
glut* vol nitig if.
frrffm gffrn tor M* «o4t, intan 1* fribp an tyii f^wtfcrt wtiL fta U| atrt mtt b<t Ohtfthuq
*t*t infvittai ttn, fe »lfl I* frlbf frltp InbfriL*
Vie man sieht, vollte ea wobl Scbindler nicht, dafi die Wort© Beet-
hovens, die einen so scharfen und vielleicbt auch berechtigten Tadel ettt-
balten, der Nachwelt flberliefart wurdeiL Wir dfirfen derogemlfi scblieflen,
daB der Famulus des Meisters such die kleineren Stellen in andera Briefen
nur deshalb unleserlicb gemacht bat, well es ihm nlcht angenehm wir, daB
sie splter noch gelesen wfirden.
Ober den Inhatt dea Briefes, der ins Jahr 1823 geb5rt f brauche icfa
welter nichts hinzuznfQgpn, da der Anrang an sich verstlndlich 1st nnd
Nobl vnd Kaliscber scbon nftber tut den bereits bekanntco Scbinfl eio-
gegangen sind.
[" ^ y I , Origin 3] from
^ ,tK ^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN
AUS FROSCH- UND VOGELPERSPEKTIVE
GEDANKEN EINES SCHAFFENDEN
BENAMSET WILLY VON MOELLENDORFF IN NEUENAHR
III. 1 )
Tausend Gelehrte werden von einem Kiinstler fett, aber ein Kiinstler
nicht von tausend Gelehrten.
„Art is long and time is fleeting* ist heut zu ubersetzen: Eure
Kunstwerke sind uns zu lang, wir Zeitgenossen fliichten.
Strafrichterei und Kunstrichterei! Beides in letzter Linie nur Kraft-
vergeudung. Denn dort wie hier: keine Spur von Besserung der Tater
oder Riickgang der Missetaten, nur ordnungsmaOiges Abstempelungsver-
fahren nach Paragraph soundso. Ihr lieben Richter jeglicher Art! Be-
herzigt doch ein wenig Ostwalds energetischen Imperativ!
Immerhin: die Sunder sind wir.
Jedes Musikstiick muO Form haben; es braucht aber durchaus nicht
eine Form zu haben.
Wenn ein Werk anfangt, einer Bearbeitung zu bedurfen, um furder
noch genieflbar zu sein, so ist dies das beste Zeichen da fur, daO man es
nicht mehr bearbeiten soil. Denn selbst durch die kostbarste Einbalsa-
mierung wird auch die bedeutendste Leiche nicht zum Leben erweckt,
sondern hochstens zur unsterblichen Mumie umgewandelt.
Lasset die Toten ihre Toten begraben!
Lebende — lebt fiir die Lebendigen!
Aus einem Thema lassen sich leichter die Sequenzen als die Kon-
sequenzen Ziehen. Aber viele Komponisten vermeinen schon konsequent
zu schaffen, wenn sie konsequent Sequenzen schaffen.
Arzte sind zugleich Schuler und Lehrmeister der Naturkrafte. So
sind sie schlieBlich aus Medizinern wirkliche Heilungsbringer geworden.
Wollen denn unsere Kunstkritiker nicht auch endlich versuchen, Schuler
der Kunstkrfifte zu werden, anstatt nur immer vergeblich ihre Lehrmeister
zu spielen? So diirften sie hoffen, auch einmal auf ihrem Gebiet heilend
eingreifen zu konnen. Oder erstreben sie dieses Ziel garnicht?
l ) Vgl. „Die Musik", Jahrgang XII, Heft 9 und 21.
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
IM DIB MUSIK XIH. 3: I. NQVEMBERHEFT 1013
Die Melodic 1st die Verblndnngpbrflcke zwlachen K&nstter- nnd
Laieniand.
Wer Bio beachldlgf, writ fSr die Trennnng der beideo Relcbe* Nor
Toreo treiben derloi.
Gewlsse Knnstgplebrte alnd beat im SchweiBe ihres Angeslchts be-
mOht nacfazuwelsen, daB atte groDeit KOnstler sis Menschcn reine Engel
waren. Dabei hat nocta file ein Tbeologe nacbveisen wollen, daB «Ue
Engel anDerdienstlich grofle KOnstler waren* Dieses wire elgentlicb nocb
eher xu verateheo. Aber: die Theologcn aind eben vernflnftige Lettte.
Wenn dem Komponisten aelbst aein Werk zu knrz eiscbeint, dann
i»t es allemal gerade lang genug.
Mit dem honigrifien Lockgppiep , Varum — datum* Hngt das
Dntzend-Talent seine Gimpel, nnd das gedelbt ihm znm treffiicheo
Schmeerbaucb. Mit dem donnernden Schlschtruf »Dennocb* rennt das
Genie Sturm wider die Hobhnauera dieser Welt, and es legt Bresthe
oder — es rennt alcb aelbst dibei den Scbldel ein.
Endllcb nocb ein vlelaagendea Scherzwort von Felix Dxmeseke 1 ): Ffir
nna Komponisten 1st „verlegen a nnr ein Adjekdrura.
*) Icb mftchte an dieser Stella dem wettverferelteteii Intam entnogtfltretea, icfc
«I ein Schiller von Drseeeke. Brit in dee letzten Jabren sdnes Lebens babe ich
den llefaen ilton Harm kennen gelernt, iber wie una iinammenfibrte, war gemein-
aame Sorge un die Zukunft unterer Kttast, Welleicbt such ein wentg gemelesemei
Leid ob uoeeres tcblecbten Gebftrt; mlc Unterrichtsstunden in irgendwelcber Form
batten nnsere wenigcn Zoaammenkihiftet die mir ttbrigens tunrergeBlich blriben
warden* utebt» gemcln*
[" ^ y | , Origin 3] from
" ,::jl ^' tK ^s^ UNIVERSITY OF MICHIGAN
DIE NEUE ORGEL IN DER JAHRHUNDERT
HALLE ZU BRESLAU
VON JOSEF SCHINK IN BRESLAU
Breslau besitzt nictat nur die grSGte Halle sondern auch die grofite Orgel der
Welt. Die im Jabre 1883 erbaute Orgel in Riga stellte mit ihren 124Stimmen
schon eine Leistung dar, die kaum mebr ubertroffen werden konnte. Aber
scbon im Jabre 1885 wurde in Libau eine Orgel mit 131 Stimmen gebaut. Die Dom-
orgel in Berlin kann mit ihren 113 Stimmen als das grofite pneumatische Werk
Deutscblands angesprochen werden. Ein amerikanischer Orgelbauer stellte nach
elektropneumatischem System in Kansas City im Jahr 1904 eine Riesenorgel mit
140 Stimmen her. Die Orgel der Michaeliskirche in Hamburg enthait 163 klingende
Stimmen und ist ebenfalls nach elektropneumatischem System gebaut. Aber noch
ehe diese Orgel vollstindig fertig war, tauchte ein neues Riesenprojekt auf, die Orgel
fur die Jahrhunderthalle in Breslau. Diese Orgel sollte den ungewohnlich weiten
Dimensionen der Halle klanglich angepafit sein, und es erhielt deshalb Prof. Straube
in Leipzig von dem Breslauer Magistrat den Auftrag, eine der Halle entsprechende
Orgeldisposition zu entwerfen. Der Orgelbauer Paul Walcker, Inhaber der Firma
E. Sauer in Frankfurt a. O. wurde mit dem Bau der Orgel beauftragt.
Die Orgel der Jahrhunderthalle besitzt 187 klingende Stimmen und 13 Trans-
missionen. Die Stimmen sind auf 5 Manuale und 1 Pedal verteilt. Die Manuale be-
sitzen je 61 Tasten, das Pedal 32. Die Register sind in einer Hauptorgel und in einer
Gegen- oder Fernorgel untergebracht. Diese Fernorgel ist in einer H5he von 25 Metern
aufgestellt. Die Entfernung beider Werke voneinander betrflgt zirka 80 Meter Luft-
linie. In der Hauptorgel beflnden sich 136 Manualregister und 33 Pedalregister. In
der Gegenorgel liegen 23 Manualregister und 8 Pedalregister. Die Orgel ist sehr
reich an Soloregistern. Die Hauptorgel besitzt 87 Solostimmen im Manual, 10 Prin-
zipale, 17 Streichstimmen, 2 Schweben Streicher, 38 Floten, 21 Zungenstimmen,
1 Glockenspiel, 25 Fullstimmen und 22 gemischte Stimmen. Im Pedal sind vor-
handen als Solo 7 Zungenstimmen. Dazu treten 3 gemischte Pedalstimmen und
23 Fullstimmen. Von alien diesen Registern der Hauptorgel sind 29 Hocbdruck-
stimmen.
In der Gegen- oder Fernorgel beflnden sich im Manual 15 Soloregister, darunter
ein Blaserchor von 7 Stimmen, auCerdem ein Glockenspiel. Die ubrigen 7 Register
dienen als Fullstimmen. Im Pedal beflnden sich eine Solozungenstimme und 7 Full-
stimmen.
Die Register besitzen zusammen 15120 Pfeifen, deren grdfite eine RohrlSnge
von 10,5 Metern und deren kleinste eine Lange von nur 8 Millimetern besitzt. Von
diesen Pfeifen konnen von einem Organisten uber 4000 zugleich zum Tonen gebracht
werden.
An Spielhilfen besitzt die Orgel 29 Koppelungen, 3 freie Gruppenzuge fur das
ganze Werk und je 1 Gruppenzug fur die Einzelklaviaturen, 69 feste Gruppenzuge,
4 Jalousieschweller, 1 Registerschweller als Walze ohne Koppeln und 1 Schweller
als Hebel mit Koppeln fur ganz schnelles An- und Abschwellen. Im Spieltisch be-
flnden sich 337 Tasten, 911 Gruppenzugknopfe, 203 Registerwippen, 156 Druckknopfe
zwischen den Manualen, 25 Pedaltritte, 4 Schwelltritte, 1 Schwellhebel und 1 Walze.
Es stehen also dem Organisten im ganzen 1718 Organe zur Verfugung.
Die Orgeltraktur ist nach einem ganz neuen System, nSmlich dem der direkten
j ;i :l u-: :), ^ „-.i)i >^!1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
156 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
elektrischen und funkenfreien Ubertragung (Deutsches Reicbspatent No. 26079) gebaut.
Diese Traktur war bisher noch nirgends angewandt worden. Sie stellte eincn genialen
Versuch dar, der aber uber alle Erwartung gelang. Als eine Kommission von Sach-
verstandigen die im Bau befindliche Orgel in Frankfurt a. O. besichtigte, liefi der Er-
bauer, um die Dauerhaftigkeit der Traktur zu erweisen, bei eingeschaltetem Funken-
loscher uber einen Spitzkontakt aus Hartsilber 2 Millionen Kontakte ergehen. Am
Schlufi zeigte sich auch nicht die geringste Oxydschicht. Im Gegenteil, die Kontakt-
flSche war hellglanzend und reiner als zu Anfang. Es kommt hinzu, dafi die Ver-
suche in einem staubigen Mascbinenraum stattfanden und dafi der Kontakt zeitweise
durcb Ol beschmutzt wurde. Neu ist ebenfalls, daQ Kontakte und Kontaktkom-
binationen, elektrische Ventile, Koppelrelais, Funkenloscher und Schwellenbeweger
fabrikmSBig hergestellt werden und zwar in Normaltypen, die fur jede alte und neue
Orgel passen. Alle Apparate nehmen wenig Raum in Anspruch und funktionieren
absolut gerSuschlos. Durch den Tuttizug werden z. B. 242 Magnete zugleich in Tatig-
keit gesetzt. Diese Magnete schliefien auf einmal 1146 Kontakte und 193 Ventile,
ohne dafi das geringste Gerausch wabrzunetamen wSre. Alle pneumatiscben Hilfs-
relais fallen fort. Das erhdht die PrSzision und vereinfacht und verbilligt die Traktur.
Die Koppelrelais gebrauchen nur einen Gang von zwei Millimetem, um prSzise bis
61 Kontakte zu offnen und zu schliefien. Bisher war es nicht moglich, die Jalousieen
der Scbwellwerke auf elektrischem oder pneumatiscbem Wege ganz gleichmafiig und
ohne storende Rucke zu offnen oder zu schlieften. Das neue System der Breslauer
Orgel lost auch diese Frage auf rein elektrischem Wege. Die Jalousieen des Fern-
werkes mit 80 Quadratmetern Offnungsflache gehorchen jeder Bewegung des Schwell-
tritts am Klaviaturschrank, trotz der kolossalen Leitungsl&nge von 350 Metern und zwar
mit einer Spannung von 10 Volt und mit einer elektrischen Leistung von nur 12 Watt.
Um in jeder Beziehung zuverlassig zu bauen, hat die FirmaSauer trotz Loschung
sa*mtlicher Funken bei alien Kontakten Platin verwandt. Eine Abnutzung ist daher
ausgeschlossen. Alle Eisenteile der Traktur sind verkupfert und vernickelt. Die
elektrischen Relaisgehause sind aus glasharter Hartgummi-Prefimasse hergestellt, die
durch Temperatur und Feuchtigkeit nicht beeinflufit wird.
Alle Kontakte sind in staubsicheren GehSusen eingebaut. Jeder Magnetstrom-
kreis ist durch eine Patrone gesichert worden, so dafi niemals Kurzschlufi entsteben
kann. Die Feuersgefahr ist durch diese Einrichtung ganzlich ausgescbaltet.
Als das Riesenwerk in den Frankfurter WerkstStten endlich fertiggestellt worden
war und nach Breslau transportiert werden sollte, stellte es sich heraus, dafi elfgrofie
Waggons zur Beforderung notwendig waren. Das Gesamtgewicht betragt 50500 Kilo-
gramm, der Spieltisch allein wiegt 1050 Kilogramm. Die Hauptorgel ist 22 Meter
breit, 15 Meter hoch und 15 Meter tief. Sie bedeckt eine Bodenflache von 260 Quadrat-
metern und hat einen Rauminhalt von 2340 Kubikmetern. Die Gegenorgel bedeckt einen
Flfichenraum von 31 Quadratmetern und hat einen Rauminhalt von 200 Kubikmetern.
Der Wind zur Orgel wird fur die Hauptorgel hervorgebracht durch einen Ventilator,
der in jeder Minute 160 Kubikmeter Wind mit 300 Millimetern Druck Wassersfiule
liefert. Er wird angetrieben durch einen Motor mit 12 Pferdekraften. Wenn die fur
die Orgel notige Windkraft durch Baigetreten hervorgerufen werden sollte, so mufiten
etwa 12 Mann angestellt werden.
Die vorstehenden Ausfuhrungen konnen deshalb Interesse beanspruchen, weil
es durch die in ihnen aufgezeigten Mittel dem Orgelbauer gelungen ist, ein Werk von
idealer Vollkommenheit herzustellen. Ganz aufiergewohnlich schon und charakte-
ristisch sind die Solostimmen. Alle Organisten von Ruf, die bis jetzt das Werk ge-
spielt haben (Professor Karl Straube aus Leipzig eingeschlossen), sind sich darin einig,
• - - . - ("ntuil( s Original from
i :-j ■;!. ,ul. jy ^ ,uu t V l UNIVERSITYOF MICHIGAN
SCHINK: DIE ORGEL IN DER BRESLAUER JAHRHUNDERTHALLE 157
noch niemals eine Orgel mit soviet scbonen Charakterstimmen gespielt zu baben.
Namentlich begeistert die Spieler die Fuile der Zungenstimmen und Floten. Ganz
eigenartige Effekte erzielt man mit dem Glockenspiel des Hauptwerkes, das wie eine
Harfe klingt. In schnellem Tempo gespielt erweckt es die Empflndung, ein Klavier zu
horen. Das Glockenspiel des Fernwerkes hat mehr den Charakter der MilitSrglocken-
spiele. Prachtige Wirkungen lassen sich erzielen durch das Wechselspiel der Haupt-
orgel mit dem Femwerk. Als besonderer Effekt beflndet sich in der Fernorgel ein
BISserchor von 7 Zungenstimmen. Wenn dieser im rechten Moment eingeschaltet
wird, hat man den Eindruck, als ob ein BlSserchor vom Kirchturm herunterspielte.
Eine Menge Vogelstimmen, von den sehnsuchtigen Tonen der Nachtigall bis zum
Massengezwitscher lassen sich durch die Stimmen der Orgel nachahmen. Die Fern-
orgel hat ein eigenes Pedal, das erklingt, sobald die Hauptorgel im funften Manual
gespielt wird. Diese Pedalumschaltung geschiebt so rasch, dali man mit einem Triller
des Hauptpedals einen Triller des Fernpedals hervorrufen kann. Das Zusammenspiel
beider Orgel n klingt fur den Zuhorer durchaus einheitlich. Grandios klingt die Tuba
mirabilis. Als Professor Straube aus Leipzig nach einem instruktiven Vortrage des
Orgelbaumeisters Walcker das Werk in seinen wichtigsten Stimmen und Stimm-
gruppierungen vorffihrte, war alles erstaunt fiber die Schonheit, Fulle, Ausdrucks-
flbigkeit und den Reichtum der Stimmen. In der Tat lobte das Werk in wirksamster
Weise seinen Meister.
f ' . A . ^ ^ 1 . s Original from
5' UNIVERSITY OF MICHIGAN
KONGRESS FOR ASTHETIK UND ALLGEMEINE
KUNSTWISSENSCHAFTEN ZV BERLIN
7.— 9l OKTOBER 1013
BESPROCHEN VON D1L HERMANN WETZEL IN BERLIN
Dieter Koagrefi wir der erete Verencb, die Vertreter der kunetwietenachaA-
lichen Eiazeldiaxiplinen xur Semmlung eubnnifea. Seta Verleuf In den
Rlumen der Univereitlr nod seta reger Beencb bet gezdgt, vie wttlkommen
den Kunetgelebrten eine eolcbe Gelcgenbeit sum perafinlicben Gedenfcea-
anttautch war, und men gewsnn den Elndruck, deft wobl Jeder der Tellnebmer reichere
Anregung in den drel Tegen fend, alt Ihm Vocbea efaaamen Studierene gebeu kftaoen.
Tir Mavlktbeoretikef und Muaiklathetfker mDeaen ]ede Gelegeabttt, AnachluQ en
die Scbwesfnrwitaentcbaften und die iinter geeamtat Denkenbetcbinnendetrndlenkead*
ellgemeiae Aatbetik in gewfanea, enfa wlnnete begrfltten, und so waren denn neb
▼on den Mm ikgeiebnen aamentllcb der tfingemn Generation cine Anxatal der t&cbtigiten
Vertfeter der Einladung xune Kongrett* eel es el* Tortmgende Mitglleder, eel et ale
Hfirer gefolgt Der luftere Erfolg dieter refen Antellnatame Ton alien Selten tat, dabV
man beacbloaten bat, dteee Kongreste an einer stitadlg wiederfcefarenden Einricbtung
mit inteniatlonalem Cbankter a u macbea* In xwel Jabren wlrd man tlcb in Tien,
1917 in Paris an glelcbem Zwecfce Teraammeln.
Beror leb auf die elntelnen Vortrlge ana dem GebEete der MuaJklatbetik eJn-
gehe, mffcbte feb jam allgameln fiber die Bextebnngea swlechen den Muaikviaaen-
acbaften, spexlell der Mntlkfbeorie, ttnd der Aatbetik, wie ale tndnes Eracbtens ado
sollten, nnd wie tie beute Tiellacb nocb nicbt tind, tprecben. Icb will mkb dabel
auf die Mutiktbcorie, alt metn eagcrea Geblet, beacbrlaken, wo xweifelloe nocb ?W
zn lane Bexlebungen inr Mutlkletbeilk bemebea. Die Uraacbe flir dleae gegeneeftlge
Fremdheit sucbe leb am ehetten bel der Mutlfctbeorie, Sie let die Jttngere, usent*
wlckeltere Viaaenacbaft, and ibr ttebt ea deber an t an die Aatbetik mlt Ibren Eifpbattaen
beranxutreten und ibr diete mtigjkbat bandgerecbt binxureicben. Dae bat uniere
Mtuiktheorfe biaber In nur elleubetcbetdenem Matte getan und damit der Aatbetik
die Mdgtlcbkeil vorenfbajten, den Zweig der Mnaiklttbertk to autanbatten, ait et auT
dem Geblete der RaumfcOnate und Literatur gcacbebeo konnte.
Nun tind ja die exakten Kuntttbeorieen alle jftngenn Datums, well tie erst
durcb die {finger* Eatwickelung der pbyeiologitcbea Ptycbologle ennftglicbt wnrden
Aber mir aebeint, datt die Tbeoretiker der blldenden und Spracbkonat nnt Mnefk*
tbeoredkern in der Benutxung der neuen wertvollen natunriaienichaftllcbett Grand-
lagen roraut tind. Sle baben dnrcfaweg engere Fflhlung mit den nacbbarlicben Natur*
wlaaenecbaften, denn ale kommen mettt daber und wandten ibr Vlaaen aur die Kanst
an, ant Liefae xur Kunat, xu der sie — Tom Staodpuokte det acbaflbndea Kflnatlere
ant geurteUt — melat im Verbiltnin dea Liebhabera eteben.
Anders tat ee in der Musfk. Hler atnd die meiatea der tbeeretlach Inmeeaferten
Mlnner Ton Haut praktiecbe Muslker, ecbeffende oder nacbtcbaffande, und sie
ttehea umgekebrt ibrem eigenea Vlttentfebiete, deteen Ertcbeinungen jaeln Peld
der Natunriaaentcbtft tind, Tollenda aber den enacbllefteaden Tiaaenegebletea
alt Uebbaber, oft lelder nur allxn dllettantiaeb gegenflber. Auf den Gebiete
der Muetkgescblcbte let der Zuttaod gegenteltlger Durcbdriagnng von kflnttlerischem
Kfinnen nnd enttprecbender kfinatleritcber UrteEltkraJfc eEnereeitt und andererteltn
biatoriach viaaeatcbaftltcber Scbulung am ebeaten inhiedenateUend.
[" ^ y | , Origin ^1 from
^ ,tK ^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN
WETZEL: KONGRESS FOR ASTHETIK UND KUNSTWISSENSCHAFTEN 159
Ich meine, dafi im ganzen vorigen Jahrhundert und zum Teil auch noch beute
lediglich der wissenschaftlich ungeschulte Kunstler, oft nur der geistlose Musikhand werker
der GewSbrsmann des Astbetikers auf musikalischem Gebiete war, zum Schaden der
Asthetik und unserer Kunsterziehung. Es ist also in erster Linie an unsere Musiker
die Mahnung zu richten, wenn sie sich mit den Tatsacben ihrer Kunst reflektierend
befassen wollen, diese Tatsacben in dem grofieren Zusammenhange zu betracbten, in
dem sie eben als Teilerscbeinungen der Natur stehen. Die Musiker mussen einsehen
lernen, dafi es nicbt mebr angeht, Musiktheoriebucher zu schreiben, die auf dem
Niveau der Kocbbucher stehen, das heiftt eben nichts mehr als naturgemSB meist
willkurliche „Rezepte* enthalten.
Diese Einsicbt ist aber der Mehrzahl unserer Praktiker noch nicbt gekommen.
Jabr aus Jahr ein erscbeinen Lebrbucher der Harmonielehre, Formenlehren, Elementar-
theorieen, Phrasierungsausgaben usw., darunter von beruhmten Namen, die als
intellektuell wissenschaftliche Leistungen naiv und dilettantisch sind, und denen der
Asthetiker wie auch der ernste Theoretiker so gut wie nichts entnehmen kann. Die
Naivitlt und Harmlosigkeit, mit der die Mehrzahl unserer schriftstellernden Musiker an
die begriffliche Darlegung musikalischen Tatsachenmaterials geht, ist fur unseren Stand
beschamend. Wer meine Einzelkritiken auf diesem Gebiete verfolgt hat, wird wissen,
welche Namen ich hier vor allem nennen mGBte. Aus diesem Zustande kindlicher
Selbstzufriedenheit kann die Musikschriftstellerei nur herauskommen, wenn sie An-
schlufi sucbt an die Nacbbarwissenschaften aus Natur und Geisteswelt. Uns Musikern,
die wir die Welt der Tone begrifflich fassen wollen, tun philosophiscbe, psychologische y
naturwissenschaftliche Kenntnisse bitter not. Um eine Harmonielehre mit einigem
geistigen Niveau zu schreiben, genugt es nicbt, irgendwo auf einem Konservatorium
oder einem Seminar im Generalbafi unterricbtet zu haben, genugt es auch nicht ein-
mal , ein guter Komponist zu sein.
Solche Gedanken sind mir auf dem KongreQ fur Asthetik erneut und mit be*
sonderer StSrke gekommen. Ich dachte: welch ein anderer geistiger Wind weht bier
als auf einer Musikerversammlung, und wieviel haben unsere Musiker noch an sich
zu arbeiten, um hier mitkommen zu konnen. Es erfullte mich andererseits auch mit
einer gewissen Genugtuung, eine Anzahl Musikschriftsteller und -forscher persdnlich
und in ihren Vortr3gen kennen zu lernen, die man sofort als vollgultige Vertreter
ibres Wissensgebietes erkannte. Auf dem Kongrefi waren nicbt alle von uns er-
scbienen, die man dort erwarten durfte und gern gesehen hitte. Wir wissen aber
jetzt, dafi eine Vertreterschaft der Musikwissenschaft gerade in der jungeren Generation
lebt, und das ist ein erfreuliches Bewufitsein.
Ich will jetzt kurz von den Vortrigen aus der Musikabteilung berichten:
Am ersten Tage gab Paul Moos einen kurzen Obcrblick uber den gegen-
wirtigen Stand der Musik&sthetik. Er wies sicben Ricbtungen nach, in denen
man heute zum Ziele zu gelangen strebt. Er selbst bekennt sich zu einer idealistischen
Anschauung, die das Kunsterlebnis jenseits aller experimentell fafibaren Tatsacben
sieht, und auch seine Erkenntnis nicht aus der Erfahrung (freilich auch nicht ohne
sie), sondern aus reinen (wenn ich so sagen darf apriorischen) geistigen Kraften zu
gewinnen strebt. — Charles S. Myers gab einen Beitrag zum Studium der An*
Hinge der Musik, indem er von seinen eigenen Beobachtungen bei Bewohnern der
Sudseeinseln berichtete. Als markanteste Tbesen seiner Ausfuhrungen m6chte ich
die beiden folgenden vermerken: Er meint, dafi die Entwickelungsmoglichkeiten des
musikalischen Vorstellungslebens bei den verschiedenen Volkern nicht gleich seien,
und dafi zweitens der Rhytbmus in der primitivsten Melodik nicht iramer als be-
stimmender Formfaktor auftrfite. — An dritter Stelle bdrte man Alfred Heufi uber
J":;t':l^j:
("ntuil( s Original from
v,UU tV l UNIVERSITY OF MICHIGAN
160 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
den geistigen Zusammenhang von Text und Musik im Strophenliede.
Heufl ist ein Vertreter der Kretzschmarschen Hermeneutik, deren Wert meiner
Ansicht nach davon abh&ngt, wie eng man ihre Deutungen mit den rein formal-
erkenntnistheoretischen Ergebnissen einer absoluten Musiktheorie verknupft Seine
Ausfuhrungen bewegteif sich in den Grenzen, wo man ihnen stets gerne folgt, wenn
man auch nicbt immer uberzeugt war. Der Redner zeigte an einer Reibe von
Strophenliedern, wie oft einzelne den Worten des ersten Verses gegenuber sinnlose
form ale Gestaltungen aus den spateren Versen ihre kunstlerische ZweckmSBigkeit
nachweisen. — Einen starken Eindruck hinterlieB bei mir der Vortrag von Arnold
Schering zur Grundlegung der musikalischen Hermeneutik. Er beschrieb
das Musikerlebnis als einen bewegten Organismus, einer aufbluhenden Pflanze gleicb,
mit inneren Triebkraften. Das Sich-Auswirken dieser Krilfte fordert und flndet Wider-
stSnde und SuBert sich in der Aufstellung von Gegensatzen teils rein elementarer Art
(forte-piano, schnell-langsam, hoch-tief, Konsonanz-Dissonanz usw.), teils zusammen-
gesetzter Natur (Aufstellungs- und Antwortsmotiv, Vorder- und Nachglied usw.). Durch all
das werden ungezahlte Spannungs- und Losungsempfindungen wach. Es erwachst ein
System ineinandergreifender Konfliktsempfindungen, als ein Ebenbild unseres eigenen
Stimmungslebens. Die Tone fuhren ein Drama auf, und wir sind die Zuschauer.
Der Hermeneut will nun nicht etwa die Musik in Bilder und Begriffe auflosen, er
will nur, daB moglichst viele Spannungen und Entspannungen erlebt werden. Dazu
zieht er Bilder herbei und weist auf analoge Spannungen, z. B. unseres Willenlebens
hin. Redner verurteilt naturlich die skrupellos naive Anwendung der Affektenlehre
des 18. Jahrhunderts. Er mochte die Hermeneutik mehr aufgefafit wissen als eine
Lehre von der Statik und Dynamik unseres Seelenlebens, wozu eine exakte Musik-
theorie das Tatsachenmaterial zu liefern hat. Die Hermeneutik bleibt naturlich stets
Schilderung eines musikalischen Erlebnisses. Dieses selbst ist etwas unvergleichlich
Eigenes und letzthin uberhaupt nicht begrifflich Faflbares. Die Hermeneutik muQ auch
das Recht des UnbewuBten im MusikgenuB anerkennen. Ihr Schwerpunkt liegt im
Padagogischen; denn der genial Begabte kann ihrer leicht entraten, um aber die
Tausende von Durchschnittstalenten an und in die Kunst heran und in sie hinein-
zufuhren, dazu bedurfen wir der Hermeneutik. Dies war der Inhalt der fesselnden
Rede, zu der einige Diskussionsredner (wie auch ich bier) Zustimmendes als auch
Warnendes zu sagen hatten.
Fritz Ohmann berichtete in seinem Vortrage: Melodie undAkzent uber
seine experimental-psychologischen Untersuchungen zu diesem Thema der Elementar-
rhythmik. Ich hatte den Eindruck, daB die gehaltvollen Ausfuhrungen des Vortragenden
einer schirferen Gruppierung bedurft hatten, um in dieser Kurze geschlossen zu wirken.
Max Penkerts Vortrag uber Witz und Humor in der Musik brachte nur
Alltlgliches und fiel leider etwas aus dem Rahmen der Verhandlungen. Hermann
Wetzel gab an Stelle seiner geplanten Obersicht uber die Ergebnisse der neuesten
Musiktheorie fur die Asthetik lediglich eine Darstellung des Dur-mollproblems
innerhalb des diatonischen Tonkreises in seiner durch Mayrhofer beeinfluBten
Auffassung, die sowohl von der Helmholtz' als auch Hugo Riemanns wesentlich abweicht.
Ich halte das Dur-moll fur ein elementares tonrSumliches Anschauungsprinzip. Unser
musikalisches (speziell unser tonrfiumliches) Anschauungsvermogen basiert auf dem
Kontrast, wie unser Empflndungsleben uberhaupt. Auf dieser Basis bauen wir unser
Tonsystem auf, und bereits im primitivsten Tonkreise, dem pentatonjschen, kommt
der Dur-moll Kontrast an einem Dreiklangpaare c e g zur Erscheinung neben dem
a ce
: I
Konsonanz-Dissonanzgegensatz. Die gemeinsame Grundlage der beiden Gegenwerte
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
tV UNIVERSITY OF MICHIGAN
WETZEL: KONGRESS FUR ASTHETIK UND KUNSTWISSENSCHAFTEN 161
ist die in der Oberrcihe des Ursprungstones c naturlich sich darbietende GroBterz
c— c, deren Gefuhlscharakter durch Hinzutritt des (gleichfalls obertonigen) g nur ver-
tieft wird. Der Hinzutritt des der Oberreihe fremden a bedingt eine Trubung des
Gefuhlscharakters der GroCterz c— e. Fur die konstruktive Gewinnung des a ist ein
tonraumliches Symmetriebedurfnis als lenkende psychische Ursacbe anzunehmen. Die
Dur-mollempfindung bei Dreiklingen ist also der Empflndungseffekt eines im tonrium-
lichen Sinne spiegelbildlich gleichen Wegerlebnisses. Aus der gleicben psychischen
Unterlage heraus erklare ich das Dominant-Subdominanterlebnis im diatoniscben Ton-
kreise. Mein Vortrag enthielt sicb aus zeitlichen Grunden jeder musikalisch praktischen
Folgerungen dieser Theorie (die bedeutsame sind) sowie jeder Ssthetischen Ver-
allgemcinerung. Ich wollte lediglich ein Beispiel geben, wie der Musiktbeoretiker
die musikaliscben Phanomene dem Asthetiker bandgerecbt darzureichen habc.
Ins musikalische Gebiet spielten auch die Demonstrationen des Leipziger
Philologen Eduard Sievers zur Lehre von den klanglichen Konstanten in
Rede und Musik binuber. Sie wollten dazu dienen, die Tatsacben der von Joseph,
Clara und Otmar Rutz aufgestellten Lehre von der spezifischen Klanggebung fest-
stellen zu helfen. Sievers ist uberzeugt, daQ durch Rutz, dessen Theorieen er freilich
fur sebr anfechtbar halt, bisher nicht bekannte Phanomene und GesetzmSBigkeiten
der individuellen Klanggebung aufgedeckt sind. Es handelt sich hier, wie ich die
Sache verstehe, naturlich um rein akustische Phanomene. Wenn z. B. Rutz das
Schaffen der Komponisten nach Klanggebungstypen ordnet, so will er damit nicbt
das geistige Wesen dieser Meister registrferen, sondern meint nur, daQ alle Werke
eines Meisters eine gewisse klangliche Konstante durchzieht, die zugleich in alien
andern motorischen AuBerungen dieses Menschen (Sprache, Gesten usw.) andersartig
zum Ausdruck kommt. Wer nun dieses gewisse, fur das Typische in der Erschei-
nung des Kunstwerks (nach Rutz) wesentliche Etwas nachschaffend wiedergeben will,
muB sich in die gleichen korperlichen Bedingungen, unter denen die Konstante nur
in Erscheinung treten kann, versetzen, d. h. konkret: der Nachschaffende muB die
gleiche Rumpfeinstellung, wie sie z. B. Schubert beim Schaffen seiner Werke ein-
nahm, gleichfalls einnehmen. Nur so kann er das typische akustische Etwas, das
alle Werke Schuberts durchtont, nacherzeugen. Die Lehre von Rutz wird von ver-
schiedenen Seiten stark angezweifelt, und erfuhr auch in einem Vortrage von Alfred
Guttmann energische Ablehnung. Fur mich blieben jedenfalls die Experimente von
Sievers vollig resultatlos, weshalb ich hier nicht weiter auf das heikle Thema ein-
gehen mochte.
Zum SchluB gebuhrt auch von der Seite der Musiker zwei MSnnern ein be-
sonderer Dank: Max Dessoir, dem eigentlichen Urheber des Unternehmens, und
"Werner Wolffheim, dem tatigen Ausgestalter und Leiter der musikaliscben Sektion.
XIII. 3. 11
):;,; 1;K :)vCO()q!c ,,» n ,2^t f ™™
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
TASCHENPARTITUREN VERDI'SCHER WERKE
ANGEZEIGT VON JOSE VIANNA DA MOTTA IN BERLIN
Von Verdi's wichtigsten Werken: „Rigoletto a , „Troubadour a , „Traviata*,
„Maskenball a , „ATda a , „Othello a , „Falstaff a und „Requiem« hat
die Verlagshandlung G. Ricordi & Co. kleine Partituren (je Mk. 32.—)
zu Studienzwecken herausgegeben, die das hochste Interesse der Musikstudierenden
erregcn mussen. Als hohe Schule der Instrumentationskunst gilt mit Recbt das
Studium der Werke Richard Wagners. Man sollte sich jedoch nicht allein auf diese
und die seiner Nachfolger beschrfinken; Verdi ist sehr geeignet, sie nach einer Seite
zu erganzen: der Behandlung der einzelnen Instrumente als Solisten. Hier sind noch
viele Moglichkeiten offen, wie Verdi, namentlich in seinen meisterhaft kunstvollen
letzten vier Werken, zeigt.
Jedes dieser Werke hat eine eigene Physiognomie, so daft man sie alle kennen
muC, wenn man den ganzen Gewinn aus dem umfassenden Geiste Verdi's heraus-
ziehen will. In „A"ida a herrscht der exotische Charakter vor und die Wirkung mit
groflen Massen; im „Othello" kann man die orchestralen Farben fur eine leidenschaft-
liche und gewaltige Handlung studieren, grofie Steigerungen, heroische Situationen,
aber auch die weichen Stimmungen der Liebesszene und der Todesahnung Desdemonas;
im ^Falstaff (vielleicht die an neuen Wirkungen reichste Partitur) das Leichte, Prik-
kelnde, Durchsichtige, Witzige und eine Eleganz (Schlufi des ersten Bildes im zweiten Akt,
Tanz im dritten Akt), die man in so hinreifiender Art nicht leicht bei einem andern
Komponisten findet; im „Requiem a eine mehr polyphonische Behandlung und die Farben
fur das Dustere und die mystische Ekstase. Es ware sehr verdienstvoll, wenn Ricordi uns
auch noch das „Stabat mater** und das w Te Deum" in kleinen Partituren schenkte.
Man wird aus diesem Studium erst ganz erfahren, welch ein Meister des
Klanges Verdi war. Wer da glaubt, dafi er alien Ausdruck allein in die Singstimme
verlegt und das Orchester nur begleiten Iafit, wird erstaunt sehen, wieviel dieses
Orchester zur Lebendigkeit des Ausdrucks beitragt und wie fein es die Deklamation
unterstreicht. Und da die Klavierauszuge nicht sehr geschickt gesetzt sind, indem
man der Spielbarkeit wegen vieles und oft wichtiges wegliefi (vgl. Verdi's eigene
Meinung im vorigen Heft dieser Zeitschrift S. 98), so wird man, auch abgesehen vom
Klanglichen, selbst rein musikalisch erst durch die Partitur die Werke Verdi's
richtig kennen lernen.
Die Ausgabe von Ricordi ist ausgezeichnet in Druck und Ausstattung. Das Format
ist nicht so klein, wie das der kleinen Partituren Wagners, so dafi es nicht notig war,
mit vertikalem und horizontalem Druck abzuwechseln, was beim Lesen so beschwer-
lich wird, noch die Grofie der Notenkopfe ab und zu bis zu Punkten zu verkleinern.
In immer gleicher Anordnung und Notengrofie lesen sich diese kleinen Partituren
ebensogut wie die grofien. Der Text ist nur italienisch, was ebenfalls den Druck
viel klarer gestalten laflt. Die Dreisprachigkeit uberladet den Raum und zwingt zu
Anderungen in der Singstimme, die den Originaltext nicht deutlich sehen lafit. Der
Einband ist fest und von geschmackvoller Einfachheit. Im „OtheIIo a wird das fur
Paris nachkomponierte Ballet nicht mitgeteilt, mit Recht, da dieses durchaus nicht
am Platze war und nur eine bedauernswerte Konzession Verdi's bedeutete. Einige
wenige Druckfehler sind leicht zu berichtigen.
So wird diese schone Ausgabe viel beitragen zu einer genaueren Kenntnis
des merkwurdigen Meisters, dessen schopferische Kraft schier unermefilich scheint,
und der trotz seines langen Lebens und seiner zahlreichen Werke sich nicht „aus-
geschrieben" hat.
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
REVUE DER REVUEEN
Aus deutschen Musikzeitschriften
SIGNALE FUR DIE MUSIKALISCHE WELT (Berlin), 71.Jahrgang, No. 6 bis 29
(5. Februar bis 16. Juli 1913). — No. 6. „Ein drittes Tongeschlecht?" Von August
Spanuth. Besprechung der tbeoretischen Schrift „Das moderne Tonsystem in
seiner erweiterten und vervollkommneten Gestaltung" von Carl Robert Blum.
„Blums neue Lehre vom dritten Tongeschlecht mag eine Menge Widerspruch ent-
fesseln, aber sie verdient ernste Beachtung interessierter Kreise." — „Unsere
Notenschrift und ihre Reformer." Von H. E. SoSnik. (SchluB in No. 7.) „Ist
unsere Notenschrift nun wirklich so miserabel, wie sie die Reformer gern hinstellen
mochten? Doch wohl nicht. Es ist wirklich alles mogliche, dafi unsere Klang-
symbole nicht allein die absolute Tonbohe, sondern zugleich auch noch relative
Funktionen anschaulich ausdrucken konnen. Ist es diesen Tugenden gegenuber
nicht ein ganz klein wenig gleichgultig, daft wir manchmal unsere Aufmerksam-
keit etwas anstrengen mussen?" — No. 7. „ Verdi und sein Volk." Von Friedrich
Spiro. Uber die imposanten Vorbereitungen Italiens zur Feier des- 100. Geburts-
tages Verdi's. Verfasser legt sich am SchluB „nicht ohne Melancholic" die Frage
vor: »Wie ehrt Deutschland seinen Musikdramatiker von 1813? a — No. 8. „Ein
Beethoven-Fund. a Von Spiro. Ober die in Prag von Dr. Chitz aufgefundene
Beethovensche Sonatine fur Mandoline. — No. 9. „Wer ist musikalisch?" Von
Hjalmar G. Sander. — „Mehr musikalische Bildung auf unseren hoheren
Schulen!" Von H.Walter. — No. 10. „FeIix Draeseke f ." Von Arno Rentsch.
„. . . Auch er glich jenen echt deutschen Naturen, die von Wolframs Parzival bis
zum Wagnerschen Parsifal, zum Prinzen von Homburg, zum Hungerpastor Hans
Unwirrsch dichterischer Niederschlag unseres germanischen Wesens sind. Sein
auf das Reine gerichteter Sinn liefi ihn die kunstlerische Gralsburg finden, in
Weimar weihte ihn der Walter des heiligen Grales der Musik, Franz Liszt, und
dieser Weihe, die ihren Ausdruck in Liszts Weimarer Testament von 1860 fand:
,mogen sie das Werk fortsetzen, was wir begonnen haben — die Ehre der Kunst
und der innere Wert der Kunstler verpflichtet sie dazu', dieser hohen Worte hat
Felix Draeseke bis zum letzten Atemzuge sich wurdig erwiesen . . , a — No. 13.
„Musikalische Fiktionen." Unbequemes von Siegmund Pisling. II. „. . . Eine
ruchlose Fiktion macht sich. in unserem Opern- und Konzertleben breit und immer
breiter, je Mrmer die Musikwelt an Personlichkeiten wird. Man schwindelt Nutz-
lichkeiten zu Personlichkeiten hinauf, stempelt Einer zu Hundertern, wenn nicht
gar Nullen zu Einern. Voriiber die Zeiten, wo man sagen durfte, dafi in alien
Berufsarten fur blofi Nutzliche ein Gedeck aufgelegt sei auIXer in der Kunst. Heut-
zutage sind die meisten PlStze an der Tafel von Utilitaten besetzt, denen ein Chor
von Speichelleckern und Nichtsverstebern Beifall grunzt. Man stellt sich seinem
Tischnachbar nicht vor als Hoftaktschlager — grolienwahnsinniger Bursche du! — ,
als Mezzosopranbeamtin, in Verwendung bei Verdi, oder als Heldentenorwurst
Katastrophski; nein, Blick und Haltung Iassen keinen Zweifel daruber, dafi man
sich als Spezialbevollmachtigten Ihrer Majestat der Tonkunst betrachtet. Man ist
jK-h-u-u-u-nstler*. Ist das nicht, um blutige Tranen zu weinen? Arme Musik! . . ."
— No. 14. „Arnold Schonbergs Basso continuo". Von Max Graf. Verfasser
kritisiert die Aussetzung des Basso continuo durch Arnold Schonberg in einem
Band der „Denkmaler der Tonkunst in dsterreich.** „. . . Uber Schonberg als
Komponisten laiit sich streiten. DaB er als Bearbeiter des Basso continuo, noch
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164 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
dazu in einer wissenschaftlichen Publikation, nicht am Platze war, daruber geben
die Stichproben, die einem einzigen der von Arnold Schonberg bearbeiteten Werke
entnommen wurden, AufschluB. Verwunderlich ist, daB der Herausgeber dieses
Bandes der ,6sterreichischen Denkmaler', Herr Wilhelm Fischer, alle die har-
monischen und stilistischen Febler des Schonbergschen Basso continuo nicht
bemerkt, und noch verwunderlicher, daB der Leiter der Publikationen, Prof. Guido
Adler, den historischen und musikalischen Widersinn nicht nachgepruft hat,
weil der Name Arnold Schonberg ihn geblendet hat. Aber der kritische Sinn
der strengen Wissenschaft sollte sich durch einen Modenamen nicht so leicht
aus der Fassung bringen lassen." — No. 15. „Hans Richter. a Von Ferdinand
Scherber. „. . . Er hat nie nach dem Lorbeer des Komponisten gelangt und den
Direktorposten ebenso oft ausgeschlagen, als er ihm angeboten wurde. Wer den
Dirigentenberuf so fiber alles stellt, den stellt auch dieser Beruf fiber alle . . . a —
No. 16. „Neue Methoden im Musikbetrieb." Von August Spanuth. „. . . Die Idee,
musikalische Kultur konne durch ein Massenangebot, durch Oberffitterung mit
Musik gefordert werden, ist in unserer Freibilletara lfingst ad absurdum geffihrt
worden. Anstatt immer wieder neue und groBere Geldopfer von indirekt Beteiligten
zu verlangen, sollte man bei jeder musikalischen Unternehmung zuerst daran
denken, die Darbietungen zu einem wirklichen Bedfirfnis zu machen . . .** — No. 17.
„Eine unbekannte Episode aus Anton Bruckners Leben." Mitgeteilt von Ferdinand
Scherber. „ . . . Im Dezember 1889 hatte Bruckner bei dem damaligen Burg-
theater-Direktor Dr. August Forster vorgesprochen und sich um die durch den
Abgang Julius Sulzers, der 1889 aus dem Theater als Kapellmeister geschieden
war, frei gewordene Stelle eines Dirigenten der Hof-Burgtheaterkapelle beworben.
Forster, der in den musikalischen Personalien Wiens nicht sehr erfahren gewesen
sein mochte, fragte bei Hermann Levi in Munchen an und erbat sich nahere Aus-
kfinfte uber den Petenten, der ihm wohl noch merkwurdiger vorkam als sein
Begehren . . . a Aus der Antwort Levis, der Bruckners Siebente „fur das be-
deutendste symphonische Werk halt, welches seit Dezennien geschrieben worden
ist", interessiert auch noch die folgende Stelle: „ ... So ist es denn gekommen,
daB er, von widrigen auBeren Lebensschicksalen verfolgt, vom Kampf um das Dasein
ermfidet, von einer ihm fremden und feindlichen Welt umgeben, sich schlieBlicb,
am Abend seines Lebens, um die Stellung eines Zwischenakts-Musikmachers be-
werben muB, wahrend der Ehrendoktor und Ehrenbfirger Brahms sich bereits eine
Million erschrieben hat . . ." — No. 22. „Wagner und DSnemark." Von William
Be h rend. „Das Verhfiltnis zwischen Wagner und DSnemark in Kurze zu unter-
suchen, mag nicht ohne Interesse sein. Erstens hat Danemark seit Generationen
einen Hauptteil seiner geistigen Kultur — und zwar besonders in musikalischer
Hinsicht — aus Deutschland geholt; dann hat bekanntlich Richard Wagner viele
und zum Teil ausschlaggebende Ideen fur seinen ,Nibelungenring 4 aus den
nordischen Sagen und Eddas genommen. Es ist authentisch (mir nimlich von
Niels Gade selbst berichtet), daB Wagner, schon als er anfing, sich mit dem Stoff
zu beschSftigen, wahrscheinlich im Jahre 1846 bei der Auffuhrung der Neunten
Symphonie zu dem auch noch jugendlichen danischen Tonkunstler sagte: ,Ich
muB zu Ihren alten nordischen Sagen greifen, die sind viel tiefsinniger als die
unserigen.' " —No. 25. „Peter Heise." Von Fritz Crome. w . . . wie wenige
kennen uberhaupt irgend etwas von dem, was dieser sympathische, viel zu fruh
verstorbene danische Komponist geschrieben hat? Sicher werden aber die wenigen,
die auf seine Werke gestoBen sind, das nur einem giitigen Zufall zu danken haben.
Und doch hat Peter Heise zweifelsohne Werke von wirklichem Wert geschaffen.
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die ihm, wenn die VerhSltnisse anders gelegen hapten, einen allgemein anerkannten
Platz unter den bedeutenden Komponisten des vorigen Jatarhunderts hatten ver-
schaffen mussen . . . a — No. 27. „Eine Auferstehung." Von Friedrich Spiro.
Ober die von Ettore Romagnoli neu bearbeiteten „Bakchantinnen a des Euripides.
„ . . . Diese glanzende Akustik des Tibertales [Stadion an der Via Flamminia bei
Rom] kam auch der Instrumentation zustatten; so zart sie gehalten war, so
genau kam jede Nuance zur Geltung, ja mancbe nur fullende, modern anmutende
Begleitfigur hfitte man wohl noch entbehren konnen. Und so ISRt uns diese Auf-
erstehung des groflen Atheners schlieiJlich noch einen hoffnungsreichen Blick in
die Zukunft tun: vielleicht findet sich auch einmal ein moderner Dramatiker, der —
gewifi ohne die antiken nachzuahmen, aber von ihnen belehrt — das Heil seiner
Musik nicht von einer immer weiter getriebenen Haufung der Instrumente erwartet,
sondern gerade vom Gegenteile. Ansitze zu einer solchen gesunden Reaktion
sind ja bereits selbst da zu bemerken, wo man es am wenigsten erwartete; das
geplagte moderne Ohr schmachtet nach Erlosung: mochten vernunftige Komponisten
die Stromung wahrnehmenl"
ALLGEMEINE MUSIK-ZEITUNG (Berlin), 40. Jahrgang, No. 3 bis 15 (17. Januar
bis 11. April 1913). — No. 3. „Mehr Achtung vor dem geistigen Eigentum." Von
Max Steinitzer. Verfasser wendet sich mit scharfen Worten gegen die Mode-
seuche der „Bearbeitungen a von Werken Bachs und Handels. „. . . Man stelle sich
nur einen Augenblick das Analoge auf anderen Gebieten der Kunst vor. Lachte
man nicht mit Recht vor einigen Jahren in ganz Deutschland fiber einen Univer-
sitatsprofessor, der Goethes ,Faust* mit Szenen eigener Fabrikation bereichert heraus-
gab? Oder was wurde man zur Kopie eines klassischen Gemaldes sagen, deren
Maler den Beschauern erklarte: , Diese Nase habe ich ubermalt, weil mir die
Raffaels nicht gefiel; hier habe ich eine Figur aus einem anderen GemSlde von
ihm hineinkopiert, dort habe ich die Locken blond gemacht, weil ich das wirkungs-
voller finde, als braun.' Mussen wir Musiker jede Handbreit von Kulturbegriffen
in unsrem Fache immer wieder von neuem verlieren, verteidigen und rekla-
mieren?..." — No. 4. „0ber die Orchesterbesetzung Bachscher Werke." Von
Fritz Volbach. „. . . Zu Bachs Zeit genugten seine Mittel dem Zweck voll-
kommen. Unterdessen aber haben diese kunstlerischen Mittel eine grofie Steige-
rung und Vervollkommnung erfahren. Wir wurden wohl kaum mit einer Auf-
fuhrung der damaligen Zeit, einer naturgetreuen Kopie, zufrieden sein. Wir sind
gezwungen, wollen wir eine wenigstens gleichstarke Wirkung des Werkes empflnden,
diese Mittel so zu steigern, da(i sie unserm Empflnden genugen. Wir durfen und
konnen nicht auf unsere vollbesetzten Chore und Orchester verzichten, wir durfen
uns nicht, weil Handel in seinen Oratorien nur kleine Orgeln verwandte, auf wenige
Register beschranken, wir mussen vielmehr alle Vorzuge unserer Mittel auch den
Werken der Alten zugute kommen lassen. Das darf aber nur geschehen, unter
strengster Beobachtung der Stilreinheit der Werke tt — w Schelling als
Musikphilosoph. a Von Paul Riesenfeld. (Fortsetzungen in No. 5 und 6, SchluB
in No. 7.) — „Die ,technischen Studien' Franz Liszts." Von August Stradal.
B . . . Was Czerny geahnt hat, aber leider nicht durchfiihren konnte, hat Liszt, sein
ehemaliger Schuler, in seinen technischen Studien realisiert. Hier liegt das Neue
Testament des Klavierspiels. Darum ware es an der Zeit, dafi die Kon-
servatorien und Musikakademien diese Lisztschen Studien ihrem Lehrplan bei-
fugten und nach diesen unterrichten. . . . tt — No. 5. „Zum Neubau des Konig-
lichen Opernhauses in Berlin. 1 * Von Karl Storck. „. . . Es kommt wirklich auf
ein, zwei Jahre langeres Warten nicht an. Aber hilflos stehen wir nachher vor
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166 DIE MUSIK XIII. 3: I. NOVEMBERHEFT 1913
einer ubereilten Arbeitsleistung da. Wir haben im neuen Berlin gerade genug
Monumentalbauten, deren Entfcrnung wesentlich dazu beitragen wurde, Berlin jener
kaiserlichen Versicherung, daft es noch einmal die schonste Stadt werden wird,
naherzubringen. Es ist an der Zeit, nun auch positive Leistungen fur diese Ent-
wickelung aufzubringen." — No. 7. „Ricbard Wagners ,Heldenoper* ,Siegfrieds Tod 4
in ihrem Verhaltnis zur spateren jGotterdammerung 4 ." Von Martin Ehrenhaus.
Behandelt den Umschwung in Wagners Grundauffassung der Tetralogie. — Nr. 8.
„Wieland. a Ein physiognomisches Fragment von Eugen Segnitz. „. . . Wieland
teilte das Interesse fur Musik mit Herder, nur dafl dieser sich mehr mit ihrer
theoretischen und asthetischen Seite befaftte, und es traf ihn auf diesem Gebiete
das gleiche Ungemach wie Goethe, der sich fernhielt von bedeutenden Meistern
und sich mit kleinen lange Zeit eifrig bemuhte um das Singspiel, ohne jedoch zu
greifbaren Resultaten zu gelangen. Wenngleich er des ofteren wieder auf den Satz
zuruckkam, die Musik sei nur insofern Musik, als sie das Herz ruhre, und forderte,
daft eine Komposition in freiem und unmittelbarem SchafFen entstehe (denn ,die
Grazien hassen ein muhsames, nach der Lampe riechendes Werk 4 ), so kam er
doch unter den Vertretern der deutschen klassischen Literatur der Idee
und dem Wesen der Oper am nachsten und zeigte sich als echter Anhanger
Glucks. . . , a — „Etwas vom Walzer." Von Oscar Guttmann. (Schluft in No. 9.)
„. . . Die Menge befriedigt beim Tanzen keinen Kunstinstinkt, sondern, abgesehen
von dem nicht zu leugnenden erotischen Hintergrund, ist es reine Freude, sich
nach einem rhythmischen Gerausch moglichst toll zu drehen. (Genau wie das
Klavierspiel den vielen nur Freude an selbstgemachtem Larm ist, nicht erwa an
der Musik.) Dazu aber Kunstwerke zu benutzen, ist der grobste Miftbrauch mit
geistiger Kraft genialer Meister. — Die Menge, die ja so viel will, will aber auch
tanzen! sogar Walzer! sie will! Nun, da ein rhythmisches Gerfiusch gebraucht
wird, warum nimmt man nicht gemessene Schlage auf GegenstSnde; oder in die
Hande schlagen, begleitet, wenn schon Tone dabei sein sollen, von irgendwelchem
Geheul, kurz, warum macht man es nicht so, wie wilde Negerstamme? Oder sind
die Walzer fur Tanzende etwas anderes als solches GerSusch? . . .* — No. 10. „Die
Musik als Erzieherin." Von Otto R. Hubner. (Schluft in No. 11.) „. . . wie wir alle
unsere Wissensergebnisse der Menschheit zu Fufien legen, so soil es auch mit unserer
Kunstausubung sein: nicht des Daseins Endzweck ruht in ihr, sondern ihre hohe Auf-
gabe ist, das Leben zu fordern! Mit dieser Erkenntnis sturzt freilich jene kuhne Pyra-
mide ,1'art pour Tart* ein, die der phantasiebeschwingte Menschengeist in unseren
Tagen aufgerichtet hat. Gar vielen heutigen gilt ja die Kunst, und zumal vielen Ton-
kiinstlern ihre Musik, wie ein Heiligtum, das sie, anstelle der entthronten Religion, als
herrschende Gottin anbeten. Aber wohin hat diese Vergotterung gefuhrt? Zur Ver-
kunstelung, Intellektualisierung und Asthetisierung dieser Kunst, welche Wendung
ihrer eigentlichen inneren Art ganz fremd ist ..." — No. 11. „Felix Draeseke f. a
Von Hugo Daffner. „. . . So ist denn mit Draeseke einer der letzten Rufer und
Kampen im Streit um Wagner und Liszt, einer der nicht nur kunstlerisch, sondern
auch personlich markantesten kunstlerischen Charakterkopfe dahingegangen . . . a
— „Zum Tode eines Idealisten (Richard Hansmann f). a Von Karl Storck.
w . . . In Richard Hansmann hat die Janko-KIaviatur, die — mag man auch einzelne
Bedenken geltend machen — weitaus die bedeutsamste und vielversprechendste
Entwickelung des Klavierbrettes und damit des Spielumfangs des Klaviers darstellt,
ihren beredtesten und zahesten Vorkampfer verloren. Daft sich nunmehr diese
bedeutsame Erfindung trotzdem weiterhalten und schlieftlich durchsetzen wird,
wage ich kaum zu hoffen; denn hier sind MSchte zu uberwinden, die mit der Sache
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REVUE DER REVUEEN 167
an sich, die mit der musikalischen Seite, aber auch mit der begreiflichen Tragheit
des Publikums gar nichts zu tun haben. An dieser Macht, am Kapital, ist auch
Richard Hansmann gescheitert . . . a — No. 12. „Hebbel und Wagner." Von Karl
Storck (Fortsetzung in No. 13, Schluft in No. 14). „. . . sie haben beide aus dieser
hochsten Einschatzung ihres Berufes vor allem ihre Verpflichtung, nicht nur gegen
sich selbst, sondern auch gegen die Menschheit gefolgert und haben Rechte nur
insoweit geltend gemacht, als es die Erfullung jener Pflicht gebot. Im Jahre der
schwersten Kampfe geboren, in einer innerlich zwiespaltigen, Sufterlich gedruckten
Zeit herangewacbsen, zum Kampfen gezwungen gegen ein erbSrmlich kleinliches
Leben, sind sie beide gleich grofte Sieger der deutschen Geistigkeit. Und gerade,
daft sie beide so verschieden sein konnen, bezeugt die Weite des deutschen Geistes
und der deutschen Kunst . . ." — „6ffentliche Musiken anno 1787." Von Adolf
Prumers. — „Erinnerungen an Felix Draeseke." Von L. Pohl. — No. 14. „Was
die Geschichte der Posaunen lehrt." Von Ludwig PI aft (Schlufi in No. 15).
Studie uber die ehemalige und gegenwartige Turmmusik. „. . . Nicht nur an der
Art seiner Sprache, Lieder, Tanze, Volksgebrauche und Kleidung erkennt man
den Charakter eines Volkes, auch an seinem von ihm gepflegten oder gar
erfundenen Lieblingsinstrumente; denn dieses ist der Dolmetsch seines durch
Worte nicht ausdruckbaren Empfindens, seines Gefuhls- und Seelenlebens. WSre
das deutsche Volk wohl noch wert seiner Ahnen, wenn es nicht mehr Freude
empfande beim Erklingen eines frischen Trompetenstuckleins, oder eines prangen-
den Posaunensatzes, oder eines Ernst wie Heiterkeit, Mut wie biedere deutsche
Michelhaftigkeit verkorpernden sanglichen Marsches alter Zeiten bzw. rhythmisch
alten Geprages; wenn es dagegen ein vollkommenes Behagen, eine restlose musi-
kalische Befriedigung fande an Klaviergeklimper, an verstimmten und tempofalschen
Phonograph-Reproduktionen, an lusternen Operettenarien und albernen Tingeltangel-
schmarren sowie an naselnden harmoniearmen Ziehharmonikas? . . .** — No. 15.
„Kino und Oper." Eine Epistel von Eugen Dittmer. „. . . Das Volk will Zer-
streuung und Vergnugen; daft aber das mittlere und gebildete Publikum sich solchem
(erhebenden?) Kinotum hingibt, ist hoffentlich nur eine Zeitstromung, welche bald
wieder abflauen wird. Nun wohl, es ist an der Zeit, dieser Strdmung (ins Kino)
energisch entgegenzusteuern, und zwar am besten mit einer Filmsteuer, nur davon
verspreche ich mir einen Ruckgang der Besuchsziffer der Kinos . . ."
NEUE MUSIK-ZEITUNG (Stuttgart), 34. Jahrgang, Heft 8 bis 10 (16. Januar bis
20. Februar 1913). — Heft 8. „Die reine Wirkung der Strauftischen Programm-
Symphonie." Von Heinz Tiessen. „. . . .Ich betrachte es bei Strauft ... als das
Genialste, wie er die Gefahr des oft episch-addierenden Programms durch eine
(vielleicht genial-unwillkurliche) Umpragung in das Dramatisch-Multiplizierende be-
seitigt hat. (Der tatsachlich episch-erzahlende ,Don Quixote' nennt sich ein
Variationenwerk und erhebt also als ein zyklisches nicht den Anspruch, eine
einzige grofite Formeinheit zu werden.) Und ich konnte kein grandioseres Beispiel
dafur anfuhren, wie die hochste Erhabenheit des idealen Gehaltes in ein denkbar
einfachstes, plastisch-klarstes Musikgebilde eingegangen ist (und wie dadurch die
denkbar hochste Art des Kunstwerks hervorgebracht ist), als Richard Strauftens in
dieser Hinsicht noch nicht genugend gewurdigte Tondichtung ,Also sprach Zara-
thustra'. Kein anderes Werk von Strauft erhebt sich zu einer so reinen Hone der
luckenlosen Notwendigkeit wie diese grofizugigste, genialste und — wegen dieser
Hone der Notwendigkeit — auch kunstlerisch vollkommenste seiner Ton-
dichtungen ..." — „Zur Textfrage von Mozarts ,Don Juan 4 ." Eine Entgegnung an
Ernst Heinemann von Rudolf Cahn-Speyer. — „Tonsatzlehre". Von M. Koch.
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168 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
(Fortsetzung.) Der Orgelpunkt. — „Der Verband der konzertierenden Kunstler
Deutschlands und seine aufierordentliche Hauptversammlung in Berlin*. Erwiderung
von Armin Osterrieth. — Heft 9. „Erinnerungen an Anton Bruckner." Von
August Stradal. (Schlufi.) „. . . Es gelang mir auch, durch Gesprache mit
Bruckner in dessen kunstlerisches Glaubensbekenntnis einen Einblick zu tun.
ZunSchst schwSrmte er . . . fur Joh. Seb. Bacb; in ihm ersah er den An fang,
das Sein und Werden aller Kunst. Bruckner kannte sehr genau die Orgelkora po-
sitioner!, die Passionen, die h moll-Messe Bachs. Nicbt so groO war seine Be-
wunderung fur Handel. Obgleich er diesen auch hoch verebrte und insbesondere
von den Konzerten Handels fur Orgel und Orchester mit Begeisterung sprach und
im Konservatorium spielen lieB, vermifite er doch bei Handel, trotz seiner Er-
habenbeit und groQen kontrapunktiscben Kunst, die harmoniscben Kuhnheiten
Bachs, und die meist in gleichem Stil gehaltenen Schlusse der einzelnen Satze
Handels minderten seine Begeisterung. Hiermit teilte er die gleichen Anschauungen,
die Liszt in betreff der Werke Bachs und Handels hatte. DaQ Haydn, Mozart,
Beethoven von Bruckner wie Gotter verehrt wurden, ist bekannt. Wie Liszt, hatte
aber auch Bruckner einen holden Liebling, einen Hausgott, den er wobl nicht auf
die hochste Stufe wie Bach und Beethoven stellte, welchen er aber mit jeder Faser
seines Herzens liebte. Es war Franz Schubert u — „Die Psychologic der
musikalischen Obung." Von Semi Meyer. XII: Das Verstandnis. „. . . Es soil
gewifi nicbt einer gedankenlosen Schwarmerei unter Berufung auf das unbeschreib-
bare Gefuhl das Wort geredet werden, aber es mufi der unberechtigte Anspruch
zuruckgewiesen werden, als bestande das Verstandnis in der AuflSsung der Hand-
werksarbeit. Die mufi so gestaltet sein, daft das einigende Band des Motivaufbaus
die Spannung des Horers nicht abreifien lifit, ohne ihn doch zu ermuden und
ohne wiederum so aufdringlich hervorzutreten, daQ statt eines reizvollen und
ahnungsreichen inneren Zusammenhangs eine von aufien herangebrachte Einheit
herauskommt . . .* — „Fur den Klavierunterricht". Chopin: Etuden op. 25. Von
Heinrich Schwartz. — „Schule und Musik". Von Wilibald Nagel. „. . . Um
was es sich handelt, sei hier nochmals mit allem Nachdrucke betont: es bandelt
sich zunSchst nicht um Heroenkult irgendwelcher Art, vielmehr darum, in der
Schule, soweit sie allgemeine Bildungsanstalt ist, die Kunst in Zusammen-
hang mit der allgemeinen Kulturentwickelung zu setzen, durch Betrachtung von
Parallelerscheinungen das Verstandnis fur die gemeinsame geistige Sphire der
Kulturarbeit einer Zeit zu fordern. Die Hohepunkte ergeben sich dann ganz von
selbst . . . a — „Ernst Naumann a . Ein Gedenkblatt von M. Meier-Wohrden.
w . . . Wenn wir sein Lebenswerk uberblicken, so scheint das eigene Schaffen
hinter dem, was er an grundlichen Bearbeitungen aiterer Meister geliefert hat, zu
verschwinden. Und doch genugen die wenigen Werke, die seine Muse uns beschert
hat, vdllig, ihn als einen Eigengearteten zu erkennen. GewiO verleugnen die Kinder
seiner Kunst nicht den Charakter ihrer Zeit, aber es wire g8nzlich verfehlt,
Naumann einfach als einen Nachahmer oder Nachempfinder Schumanns hinzu-
stellen. Davon wird sich jeder uberzeugen konnen, der eins seiner Werke einmal
grundlich pruft . . . tt — Heft 10. „Vom Volkslied in Niedersachsen". Von Wilhelm
de Witt. Mitteilung von Texten und Singweisen einer Reihe noch heute lebendiger
niedersachsischer Volkslieder. — w Schule und Musik." Erwiderung auf den Artikel
Wilibald Nagels von Prof. Zeller. — „Musikalische Ornamentik". Von Edward
Dannreiter. (Fortsetzung.) — „William Wolf." Ein Gedenkblatt von Leo Heller.
Willy Renz
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BESPRECHUNGEN
BUCHER
13. Studien zur Musikwissenschaft. Bei-
hefte der Denkmaler der Tonkunst
in Osterreich, unter Leitung von Guido
Adler. I. Heft. Verlag: Artaria & Co.,
Wien 1913.
Urn die monumentalen BInde der „6ster-
reichischen Denkm§ler a zu entlasten, hat die
Leitung des Unternebmens beschlossen, einzelne
umfassende Einleitungen der Herausgeber in
Separatdruck herauszugeben, ein Gedanke, der
nur willkommen zu heiBen ist. Das erste, unter
Leitung von G. Adler edierte Heft bringt drei
wertvolle Studien zur Geschichte der alteren Oper.
E. Wellesz legt eine Reihe stilkritischer Studien
zur Geschichte der venezianischen Oper, ins-
besondere Cavallfs, vor; M. Neuhaus unter-
sucht die anziehende Personlichkeit des Wiener
Hofkomponisten A. Draghi und gibt dankens-
werterweiseeinen Gesamtkatalog der Werke dieses
fruchtbaren Komponisten,w3hrend E. Kurth sich
als ebenso ersprieBlicbe wie dringliche Aufgabe
die Jugendopern Glucks als Stoff zu vergleichen-
den Untersuchungen w&hlte. Als „Studien a sind
diese Beitrflge dadurch gekennzeicbnet, dafi sie,
wie schon der Zweck ihrer Entstehung anzeigt,
nicht die ganze Fulle ihrer Themata erschopfen,
sondern eine Anzahl wichtiger Fragen heraus-
greifen und zu beantworten versuchen. Bei
Draghi mufite anderenfalls auf eine noch scharfere
Herausarbeitung seiner musikalischen Person-
lichkeit, seines Einflusses auf die nahere und
fernere Umgebung, vor allem auch auf seine
Stellung in der Geschichte der komischen Oper,
eingegangen, bei Gluck auf das musikalische
Milieu und auf die Werke der zeitgenossischen
Italiener, denen er seinen Jugendstil verdankte,
hingewiesen werden. Beim Thema Cavalli
konnte sich der Verfasser bereits auf wichtige
Vorarbeiten stutzen. — Mit den an den SchluB
des Bandes gestellten Exzerpten aus den
Hofmusikakten des Wiener Hofkammerarchivs
lieferte Dr. A. Koczirz der musikalischen Lokal-
forschung Wiens einen Dienst.
Dr. Arnold Schering
14. Detlef Schultz: Heilkraft des Gc-
sanges. Mazdaznan-Harmonielehre.
Verlag: David Ammann, Leipzig 1912.
Mit redlichem Bemuhen — sine ira et studio —
babe ich das Buch dreimal gelesen und die
Obungen nach Vorschrift ausprobiert, denn der
Verfasser sagtr^Erst in Verbindung mit den
praktischen Obungen kann das ricbtige Ver-
stindnis — das eben nicht in nur theoretischem
Erkennen besteht — gewonnen werden." Wenn
ich nun den Ansichten des Verfassers, was die
Anwendung des zarathustrischen Mazdaznan auf
den ^europaiscben" Kunstgesang betrifft, trotz-
dera nicht zu folgen vermag, so liegt das ge-
wifilicb nicht an meinem guten Willen. Das
Werkchen, das auf den zarathustrischen Lebens-
lehren und ihrer Quintessenz, der Lehre von
der Harmonie, dem Mazdaznan, aufgebaut ist,
ist sicher gliubiger Oberzeugung dieses allein
selig macbenden Systems entsprungen und stellt
an die Pbantasie nuchterner Leser keine kleinen
Aufgaben. Es ist bier nicht meines Amtes uber
Aussprucne zu rechten, wie: w Dle Matur also
o
hat sich stufenformig hoher und hoher ent-
wickelt bis zum Menschen . . . Demzufolge ver-
einigen wir in uns die Erfahrungen aller friiheren
Entwickelungsstufen, durch die wir hindurch
gehen muBten, um den Typus ,Mensch' zu er-
reichen". „Zum Leben erweckt werden die
Gehirnzellen durch die Macht des richtig ge-
bildeten und gelenkten Atems, der in den
Ganglien des Nervensystems elektrische Krifte
erzeugt und diese vom Ruckgrat aus dem Ge-
hirn zusendet". „Der individuelle Gedanke ent-
springt im Herzen, dem Sitz des Geistes, durch
die Kraft des individuellen Atems" — mittels
Erzeugung elektrischen Fluidums — „und pflanzt
sich durch die Ganglien und das Ruckgrat zum
Gehirn fort, wo er zur Entwickelung gelangt."
„Die hintere Herzkammer bildet gewissermafien
das Tabernakel unseres korperlichen Heiligtums".
Dariiber mogen Arzte und Philosophen ihr Urteil
abgeben. Durchaus auBerhalb des Bodens der
Wissenschaft stellt sich der Verfasser mit der
Behauptung: „Mazdaznan lehrt, dafi unendlich
viel mehr Nervenzentren im Korper vorhanden
sind, als die anatomische Forschung feststellen
kann. Die meisten Nervenzentren befinden sich
jedoch (durch fehlerhafte Behandlung des Kindes
beim Geburtsakt) schon seit der Geburt im ge-
lahmten Zustande. [!] Solange nun gewisse
Nervenzentren gelfthmt sind, konnen auch ent-
sprechende Gehirnfunktionen nicht in T&tigkeit
treten. Von der Belebung der gelahmten und
untatigen Nervenzentren (Mazdaznan nimmt im
ganzen 72000 Nervenzentren an) hangt zum
grofiten Teil unsere Entwickelung ab. Beleben
und stimmen wir das Nervensystem, so ver-
breiten wir dadurch Leben und Harmonie im
ganzen Organismus . . . Welches Mittel haben
wir nun, um das Nervensystem zu beleben und
zu stimmen? Den Atem. u Wir wollen nun
sehen, welches Heil der n europSische a Kunst-
gesang vom Mazdaznan zu erwarten hat. Zu-
nSchst erfahren wir uber den Atem, dafi es
dreierlei Arten desselben gibt: „den tierischen
Atem (Bauchatem)"; w den diaphragmatischen
Atem", der einer hoheren Stufe der Erkenntnis
entspringt, aber „einseitig die moraliscbe oder
spirituelle Gruppe unseres Gehirns entwickelt".
Selbstbeherrschung, Bewufitsein und Kon-
zentration in der Mitte unserer Stirn (intel-
lektuelle Gehirngruppe) entwickelt sich erst
„durch die Kraft des individuellen Atems (sogen.
Gehirnatem oder Atem mit den oberen Lungen-
flugeln)". Diesen individuellen Atem erzielt
man sehr einfach laut Angabe: „ . . . den Blick
auf die Nasenwurzel gerichtet (individueller
Atem) a . Aber noch andere Arten des Atems
lehrt uns das Mazdaznan: „Das zweitemal richten
wir den Blick auf unsere Nasenspitze
und denken an unser Herz (Seelenatem). Das
drittemal richten wir den Blick nach oben
(nach der Mitte der Stirn) um hochste Kon-
zentration zu erlangen (Geistesatem)**. Die Ein-
atmung hat so zu geschehen: „Im Unterschied
von dem Gehirnatem der Atemubungen wird
in alien Harmonieubungen der Seufzer- oder
Sangeratem angewendet, d. h. der Atem wird
kurz und rasch, sozusagen in einer Reihe von
schnellen Staccati, eingenommen, wobei sich
das Zwerchfell hebt .Q n * a j-XU^dif^kbeim Kunst-
C UNIVERSITY OF MICHIGAN
170
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
gesange die ungeeignetste Art des Einatmens ist,
darauf brauche ich nicht noch besonders hin-
zuweisen. Bezuglich der Ausatmung huldigt
der Vcrfasser dem Prinzip des Stauens. Uber
die Fun rung des Atems beim Singen erfahren
wir nichts, mit Ausnahme, daB dem Summen
mit geschlossenem Munde (m) das Wort ge-
redet wird, aber nicht zur Ausnutzung der
Resonanz, sondern weil es „einen noch starkeren
Grad der Atemstauung bedeutet" und um durch
das in „die Tonschwingungen zu ihrem Aus-
gangspunkt, dem Herzen, zuruckzulenken".
Von den Vokalen sagt der Verfasser: „Durch
das baufige Absingen der richtigen Vokale in
richtigen reinen Lauten lernen wir auch eine
richtige Aussprache . . ." Bei der darauf folgenden
Beschreibung der einzelnen Vokale bekommen
wir aber keine physiologisch richtige, nach ihrer
Entstehung(vondenBewegungenderZungeistgar
keine Rede), sondern es wird nur die auBere Form
der Lippen beschrieben, und auch diese nicht
durchweg einwandfrei, denn es heiBt z. B. „Beim
i sind die Lippen nicht mehr weit voneinander
entfernt, aber die Mundwinkel werden so weit
als moglich nach den Ohren gezogen. Beim G
spitzen sich die Lippen zu, was beim u noch
starker zum Ausdruck kommt." In Wirklichkeit
mussen aber beim korrekt gebildeten ft die
Lippen weiter vorgeschoben sein. Daruber, wie
der Vokal uberhaupt entsteht, belehrt uns das
Buch wie folgt: „Der individuelle Ton . . . gibt
sich nur im inneren Bereiche unseres Wesens
kund, er ist immaterieller Natur, eine mag-
netische Kraft, ein Stherisches Schwingen,
ein SichbewuBtwerden unserer Seele. Soil sich
der individuelle Ton der AuBenwelt offenbaren,
dann muB er sich mit einem anderen Element
expansiver und elektrischer Natur verbinden,
und es entsteht dann der Sprachlaut (der
klingende Vokal). a Als Reihenfolge der Vokale
wird bestimmt: a, 5, e, i, u, u, 6, o. „Also der
Tonleiter entsprechend eine Lautskala von a bis o.
Der erste Laut des Menschen beim Eintritt in
dieses Leben, bei der Geburt, ist das a. Der letzte
Seufzer, wenn der Tod das Leben abschlieBt,
endet mit einem o. Dieses o bedeutet aber
zugleich einen neuen An fang, es geht durch die
unendlichen Schwingungen im All wieder in ein
a, in ein neues Leben uber (daher heiBt es in
der Bibel: Ich bin das A und das O).* Meiner
Uberzeugung nach irrt hier der Verfasser, denn
das A und O der Bibel bezieht sich nicht auf
die Vokale als solche, es heiBt vielmehr im
griechischen Urtext: Ich bin das Alpha und das
Omega (der erste und der letzte Buchstabe
des griechischen Alphabets) d. h.: Ich bin der
Anfang und das Ende. Von der Richtigkeit
der Behauptung: „das Kind ruft ,u', wenn ihm
etwas gefallt", habe ich mien leider bisher nicht
iiberzeugen konnen. Uber den Ansatz des Tones
werden wir also belehrt: „Der Ansatz des Tones
geschieht am besten durch ein Ke oder che, so,
daB man den Kehlkopf beim Ansatz vibrieren
fuhlt." Alle diese Behauptungen werden ohne
den geringsten Versuch einer Beweisfuhrung
aufgestellt. Sie sind aber noch harmlos gegen
so manche andere, die zwar mit dem Singen
nichts zu tun haben, die ich Interesses halber
doch erwahnen mochte: „Frankreich ist das Land
der Wissenschaften . .^ Wie alles, auch Dinge
unterhalb des Tierreiches, auf einen bestimmten
Ton gestimmt ist, wie die Zitrcne einen anderen
Ton hat als die Pflaume." »„Zu widrigen
Verhaltnissen brauchen wir bloB ein frohliches
Gesicht zu machen, dann kann unser Geist
nicht auf die Dauer traurig sein." Das ist ja
sehr einfach! „Andererseits aber bringen wir
wieder durch den Gesichtsausdruck das Gehirn
in die richtige Vibration . . .** Aber als der
Gipfel aller Kuhnheiten erscheint mir die Be-
hauptung: „Menschen, die gut gepflegte Hande
haben . . . sind gute Menschen. 1 * Dann muBte
so manche Priesterin der Venus vulgivaga
zu den Edelsten der Nation gezahlt werden.
„Traurig ware das! tt
Hjalmar Arlberg
15
i":;i
Vr::! :v, ( iOOO|C
Emerich Kastner; Bibliotheca Beet-
hoveniana. Verlag: Breitkopf & Hartel,
• Leipzig. (Mk. 3.—.)
Der Verfasser nennt sein Werk ausdrucklich
„Versuch einer Beethoven -Bibliographic". Er
verzeichnet alle von 1827 bis 1913 erschienenen
Werke*uber den groBen Tondichter chronologisch
in der Weise, daB sogar die einzelnen Bande
eines Werks wie dessen verschiedene Auflagen
in das Jahr des Erscheinens eingereiht sind.
Empfehlenswerter ware wohl gewesen, ein mebr-
bfindiges Werk vollstandig beim Jahre des Er-
scheinens des ersten Teils zu bibliographieren
und beim Erscheinungsjahr der spSteren Bande
einen kurzen Verweis zu machen. Auch vermisse
ich bei Neuausgaben l ) oder sogenannten Titel-
ausgaben einen Hinweis auf das Jahr des ersten
Erscheinens, ebenso bei Obersetzungen einen
Hinweis auf das Erscheinungsjahr des Originals.
Die bibliographischen Angaben sind oft ungleich-
maBig und ungenau, oft ist die Seitenzahl, der
Preis angegeben, oft fehlt aber auch beides.
Warum der Verlagsort in runde Klammern gesetzt
worden ist, ist mir nicht klar. Verlagsangaben
fehlen auch gelegentlich. Ganz uberflussige
Angaben des Titelblatts, z. B. S. 19 bei Sternfeld:
w Der Reinertrag ist fur die Richard Wagner-
Stiftung bestimmt", sind aufgenommen; nicht
fehlen aber durfte meines Erachtens S. 28, daB
Nagels Sen rift das 6. Heft des ,Musikalischen
Magazins" ist; beim Jahre 1903 fehlt bei Tengers
Schriftder Zusatz: 3. Aufiage, durchgesehen von
Elis v. Hagen. Unerwahnt finde ich z. B. HufiFers
„A. F. Schindler, der Biograph Beethovens"
1909, sowie die 2. Aufiage von Paul Bekkers
„Beethoven", die sich aufierlich von der ersten,
nur hochst unvollstSndig von Kastner biblio-
graphierten Aufiage unterscheidet. Dr. Wolf-
gang A. Thomas-San-Galli ist im Alphabet
unter San-Galli eingereiht, dem nach Schweizer-
sitte seinem Vaternamen Thomas hinzugefugten
Mutternamen. Der bekannte Forscher Hermann
Kretzschmar ist im Register und auch sonst
falsch genannt. Aufsatze und Notizen aus
Zeitungen und Zeitschriften sind mit kleinerem
Druck bei jedem Jahr hinzugefugt, leider nur
die, welche Kastner „auBer den in Originalen vor-
liegenden Werken" selbst in seiner Bibliothek
besaB; in das kurze Namenregister sind diese
Zeitschriftenaufsatze nicht aufgenommen worden.
Ungenugend finde ich, daB wohl die verscbiedenen
l ) So steht z. B. beim Jahre 1905: Grillparzers
Erinnexungen an Beethoven!
UnginaFfrom
UNIVERSITYOF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN (BUCHER)
171
Beethoven- Hefte der „Musik" aufgefuhrt, aber
nicht inhaltlich verzeichnet sind. Manche Zeit-
schriftenaufsatze sind doch unter die Bucher
geraten, z. B. Imbert S. 25. Der Hauptmangel
des Buches ist aber des Fehlen einer syste-
matischen Zusammenstellung oder zum min-
desten eines Schlagwortregisters; ich will doch
z. B. nicht das ganze Buchlein durchsehen, urn
z. B. festzustellen, welche Schriften fiber Beet-
hovens sogenannte „Unsterbliche Geliebte" er-
schienen sind. Dieser „Versuch einer Beet-
hoven-Bibliographie" ist also ziemlich unvoll-
korarnen. Ausstellungen im einzelnen lieQen
sich noch mehr erheben.
Wilhelm Altmann
16. HansKleemann: BeitrSgezurAsthetik
und Geschichte der Loeweschen
Ballade. Verlag: Max Niemeyer, Halle a. S.
(Mk. 2.40.)
Eine fleifiige Doktorarbeit, mit Danksagung
an den unterstutzenden Professor (Hermann
Abert), mit genauen Literaturangaben, die von
Belesenheit zeugen, und mit zahlreichen Noten-
beispielen, die zum groBen Teil nicht genugend
beweiskraftig und daher entbehrlich sind. Im
Detail bietet die Arbeit manches Interessante,
obwohl der Verfasser nur seine eigene Auffassung
zur Geltung zu bringen # sucht, ohne die zahl-
reichen, sehr verschiedenen MSglichkeiten Ss-
thetischer EinschStzung kritisch zu wurdigen.
Dem Endergebnis der Arbeit, soweit es den
Loeweschen Balladenstil betrifft, kann ich nur
sehr bedingt zustimmen. DaB z. B. Loewes
Balladenstil „keine eigentliche Entwickelung er-
kennen 13Bt a , daft B die Begleitstimme oft geradezu
zu einem selbstSndigen Klavierstuck" wird, ver-
mag ich nicht einzusehen. Trotz derartiger allzu
schroffer Folgerungen kann aber die Broschure
kunftigen Loewe-Forschern wegen ihres ehrlichen
Strebens nach einem historisch gut fundierten
Werturteil empfohlen werden.
Dr. Richard H. Stein
MUSIKALIEN
17. Joseph Haas: Ein KrSnzlein Baga-
telle n fur Oboe und Klavier. op. 23.
Wunderhorn-Verlag, Munchen. (Mk. 5.—.)
Es sind gefiillige Stuckchen, die man des-
halb empfeblen konnte, weil die Literatur der
Soloblasinstrumente verhaltnismafiig karg be-
dacht ist. Die Erfindung ist nicht bedeutend,
zu sprunghaft und ohne inspirierte Melodik.
Die harmoniscbe Wurze kann daffir nicht ent-
schadigen. Der Satz jedoch ist mit gediegener
Kenntnis gestaltet und steigert sich oft zu
hubschen Effekten.
18. Gottfried Rudinger: Sechs Sinn-
spruche aus „Des Angelus Silesius
Cherubinischer Wandersmann" fur
eine Singstimme und Klavier. op. 5.
Wunderhorn-Verlag, Munchen. (Mk. 2.50.)
Die Stimmungskraft der gehaltvollen, tiefen
Verse ist von Rudinger mit schonstem Gelingen
in Tone gebannt. Hoch anzuerkennen ist die
gesangliche Fuhrung der Singstimme. Der
Klaviersatz nimmt grofien Anteil an der
Stimmungsmalerei, ohne jedoch ungebuhrlich
in den Vordergrund zu treten. Erfaetriich wirkt
\ die eigenartige reizvolle Melodik. Rudingers
opus 5 ist somit eine hoffnungsvolle und ernste
Talentprobe. Hervorheben mochte ich No. 3
„Der beste Lobgesang** und No. 6 „Der Schnee
in der Sonne".
19. Siegfried Garibaldi Kallenberg: Vier
Sonette nach Dante Gabriel Rossetti
fur eine Singstimme und Klavier.
Wunderhorn-Verlag, Munchen. (Mk. 3. — .)
Das sind Kompositionen von sproder Eigen-
art, die sich nur schwer erschlieften. Hier
wird mit alien Mitteln modemer Harmonik
gearbeitet, um dem tiefen Sinn der Dichtungen
einen ebenso schwerwiegenden musikalischen
Untergrund zu geben. Befreienden melodischen
Schwung findet man hier allerdings nicht; denn
die Musik geht ganz im Ausmalen der
Stimmungen auf. Der Musiker wird an diesen
Sonetten manchen feinen Zug bewundern; fur
das grofie Publikum sind sie aber nicht ge-
eignet. Den Ausfuhrenden bieten sie nicht
geringe Schwierigkeiten. Walter Dahms
20. Arnold Spoel: 25 Solfdges fur mitt-
lere Stimme mit Klavierbegleitung.
Selbstverlag, Haag 1913. (Mk. 2.50.)
Wenn auch im Laufe jeden Jahres erheblich
weniger Vokalisen als Opern und Lieder ge-
schrieben werden, ist doch der Bestand an wirk-
lich guten Gesangsubungen kein so ubermiiftig
grolier, als daB ein Gesanglehrer, der sich und
seinen Schulern ein wenig Abwechslung gonnen
mochte, nicht standig Ausschau hielte nach
brauchbaren neuen Ubungsstucken. Unter den
neueren Erscheinungen verdienen die 25 Sol-
feges von Arnold Spoel besondere Beachtung,
nicht weil sie der unumschrSnkten Konigin im
Reiche der Gesangskunst, Lilli Lehmann, gewid-
met sind, die auch ein sehr freundliches kurzes
Vorwort dazu geschrieben hat, sondern weil sie,
naturlich nicht ausnahmslos durch die Bank,
mit Geschick Altes und Bekanntes weiter aus-
zubilden und der Richtung des modernen Ge-
schmacks Rechnung zu tragen suchen. Den im
Rhythmus leicht Schwankenden sei besonders
Nr. 9 (drei gegen vier und umgekehrt) ans Herz
gelegt, wihrend den in der Tonhohe wenig Rein-
lichen Nr. 15 mit dem Wechsel der harmonischen
und melodischen Molltonleiter eine vielleicht
nicht willkommene, aber um so nutzlichere Auf-
gabe stellr. Die lehrreichen Vorhalte in Nr. 13
hatten sich leicht noch etwas mehr verwenden
lassen; von den Nr. 16 (Getragene Figuren), 19
(Geiaufigkeit), 23 (leichtes Figurenwerk) durften
die Opernscnuler besonderen Nutzen haben,
wahrend das fleiBige Studium von Nr. 18,24,25
und auch der schon erwahnten Nr. 23 den Kon-
zertbeflissenen nicht genug empfohlen werden
kann. Hjalmar Arlberg
21. Claude Debussy: Preludes pour piano,
2me livre. Verlag: Durand & Co., Paris.
(12 Frcs.)
22. Paul Ertel: Quatre impressions de
la Suisse. Suite pour le piano, op. 27.
Verlag: Forberg, Leipzig. (Mk. 5.50)
23. Camille Saint Saens: Valse gaie pour
le piano, op. 139. Verlag: Durand & Co.,
Paris. (3 Frcs.)
Wohin Debussy mit seinen primfiren Ober-
tonen noch gelangenQfijr^j^rf f^pfl das wissen
C UNIVERSITY OF MICHIGAN
172
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
oder aucta nur vermuten? Musik ist dies form-
lose Gewirr disparater batJlicher Tonfolgen ohne
jede architektonische Form, wie es auch in dem
zweiten Praludienheft uns entgegentritt, jeden-
falls schon lange nicht mehr. Die hoch-
poetischen oder auch prosaischen („ Horn mage
a Pickwick** u. a.) Uberschriften Indern daran
nichts: eine davon, „Feuilles mortes a ,hatte einen
passenden Titel fur das ganze Heft abgegeben.
— Nicht viel besser stent es um die Impressionen
aus der Schweiz von Ertel: Hier ist zwar wenig-
stens ein heiftes Bemuhen um die Gestaltung
musikalischer Formen nicht zu verkennen, aber
es mangelt durchaus an der schopferischen Kraft,
an den gestaltungsfahigen und gestaltungswerten
Motiven. — Neben solchen Leistungen des mo-
dernen musikalischen Egotismus wirkt Saint-
Saens' harmloserWalzer wie eine Art Befreiung,
obwohl er in keiner Hinsicht an sich besonderen
Lobes wert ist.
24. Martin Frey: Rund um Bach. Ffinf-
zehnMeistersatzefurKlavierzuzwei
Handen aus Bachscher Zeit, ausge-
wahlt und fiir den Unterricht be-
zeichnet. Steingraber Verlag, Leipzig.
(Mk. 2.40.)
25. Walter Niemann: Deutsche Landler
und Reigen fiir Klavier. op. 26. Verlag:
C. F. Kahnt Nachf., Leipzig. (Mk. 2.20.)
Ob neben den guten Sammlungen alterer
Klaviermusik, die wir Pauer verdanken, noch
eine neue Auswahl notig war, kann man be-
zweifeln. Das Bedurfnis zugegeben, wird man
Freys Sammlung, die allerdings etwas knapp
ist, mit Nutzen im musikalischen Unterricht
verwenden. Daft auch Haydn und Mozart neben
Couperin, Rameau, Scarlatti, Vivaldi, Martini,
Handel und den Bachen darin vertreten sind, ist
schwerlich zu rechtfertigen und die vom Heraus-
geber im Vorwort dafiir beigebrachten Grunde
iiberzeugen wohl niemanden. — Niemann gibt
zehn volkstiimlich gehaltene, kleine Stficke im
Stile der verschiedensten Gegenden des deut-
schen Vaterlandes. Am gelungensten sind Nr. 3
(„Alt-Wien a ) und 7 („Oberbayriscbe Kirta"), an-
sprechend auch die meisten ubrigen Nummern.
Albert Leitzmann
26. A. W\ Leupold: Passacaglia fur Orgel.
Werk 8. Verlag: C. F. Kahnt Nachfolger,
Leipzig 1913. (Mk. 2.—.)
Man hat sich daran gewohnt, mit einem
gewissen Mifitrauen an Passacaglien heran-
zutreten, da in ihnen, soweit sie von jungeren i
Komponisten herruhren, in der Regel die
kontrapunktische „Arbeit** nach beruhmten
Mustern den Mangel an eigner Erfindungs- und
formaler Gestaltungskraft ersetzen und ver-
decken mufi. Um so angenehmer ist man von
der Passacaglia Leupolds enttSuscht, die, durch
ein glucklich erfundenes Thema von vornherein
lebensfahig, vielerlei harmonische und rhyth-
mische Feinheiten entwickelt und bei mittlerer
Schwierigkeit dem Organisten eine sicher dank-
bare Aufgabe bietet. Der Komponist zeigt sich
als gereifter und gediegener Musiker, der mit
genauer Kenntnis und mit Liebe fur die Orgel
zu schreiben weiB. Seine Sprache ist un-
gesucht und im guten Sinne modern. Das
Werk verdient Beachtung.
i":;i
ent iseacntung. j
Vi-::! :v, C iOOQJC
o
27. Karl Hasse: Suite in e-moll fur Orgel
(Improvisation, Larghetto, Capriccto, Cia-
cona). Werk 10. Verlag : F. E. C. Leuckart,
Leipzig 1913. (Mk. 4.—.)
Der begabte Regerschuler liefert in dieser
Suite eine neue sehr beachtenswerte Probe der
Weiterentwickelung seines Kompositionstalentes.
Gibt er auch in den ersten drei Satzen dem
auffassenden Ohre wie dem Verstande reichlich
viel chromatische Probleme zu losen — eine
weisere Beschrfinkung ware hier im Interesse
der Wirkung entschieden anzuraten gewesen, —
so versohnt er mit der schlechthin meisterlichen
Giacona durch strengere Geschlossenheit des
TonalitStskreises und quellende Erfindung, Flufi
und Oberzeugungskraft der Sprache, was um so
mehr besagen will, als das nur viertaktige
Thema mit einem DominanthalbschluB ent-
schieden die Aufgabe erschwerte. Von den
zahllosen in letzter Zeit gedruckten Passacaglien
unterscheidet sich die Hasses in jeder Hinsicht
durch Inhalt und Originalitat. Das Werk ver-
dient studiert und gehort zu werden.
Dr. Ernst Schnorr von Garolsfeld
28. HansFAhrmann: Streichquartett. op. 41.
Verlag: Otto Junne, Leipzig. (Mk. 8.—.)
Gegen Fahrmanns Klaviertrios op. 37 und 43
gehalten, steht dieses Streichquartett des be-
kannten Dresdener Organisten erheblich zuruck;
ich kann darin nicht mehr als eine solide Arbeit
erblicken, in der manche kontrapunktische Fein-
heit im Satz doch nicht daruber hinwegtauschen
kann, dafi dieses Werk lediglich Papiermusik ist.
Vor allem ist der erste Satz gar zu hausbacken-
trocken inderErfindung,dieThemen interessieren
gar nicht und sind auch nicbt recht entwickelungs-
ffthig. Der zweite Satz besteht aus Variationen
fiber ein offenbar ganz absichtlich sehr einfach
gehaltenes Thema, die technisch ganz geschickt
gemacht sind (z. B. mit einem Canon in der
Oktave und Quinte), aber sich durchaus in her-
kdmmlichem Stile bewegen und zu wenig
modernes Empfinden zeigen. Ganz flott ist das
Scherzo, doch fehlt auch hier die personliche
Note, vor allem auch in dem sehr kurz ge-
haltenen sog. Trio. Im Finale herrscht leidliche
Lebendigkeit, fur das zweite Thema kann ich
mich sogar erwarmen; es hat auch etwas wie
eigene Physiognomic Der Komponist hatte aber
besser getan, auf die Drucklegung dieses Werkes,
das seinen Ruhm nicht mehren wird, zu ver-
zichten. Wilhelm Altmann
29. Arnold Ebel: „Die Weihe der Nacht*.
Kantate fur Bariton- (oder Alt-) Solo,
gemischten Chor und grofies Or-
Chester, op. 19. Verlag: C. F. W. Siegei
(Linnemann), Leipzig. (Kl.-A. Mk. 6.—.)
Wenn es die kirchliche Musik als eins ihrer
altverbrieften Rechte in Anspruch nimmt, die
Textworte unendlich oft zu wiederholen und in
den einzelnen Stimmen nach Belieben durch-
einander zu schieben, so laBt man sich das
widerspruchlosgefallen, sobald es sich um irgend-
einen kurzen Bibelspruch in deutscher und
lateinischer Sprache handelt. Wer aber als
Grundlage einer Kantate ein Gedicht Friedrich
Hebbels wahlt wie Ebel, der muft fur diesen
ersten in unserem Sinne modernen Dichter auch
eine knappe Form finden, in der die Worte der
Dichtunj jajtc^i^klich zur Geltung kommen.
UNIVERSITY OF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
173
Bei der vorliegenden Arbeit aber geht das Gedicht,
wenigstens soweit es fur Chor gesetzt ist, fast
vollig in der Musik unter, ein Fehler, den zu
rugen icb um so mehr fur Pflicht erachte, als
die Komposition an sich von auflerordentlicher
Begabung und von nicht gewohnlichem Konnen
zeugt. Der erste Satz wird durch eine in-
strumentale Einleitung eroffnet, die das stille,
geheimnisvolle Weben der Nacht sehr glucklich
malt und besonders harmonisch und tbematisch
interessant ist. Darauf beginnen Tenore und
Bisse mit der ersten Strophe, welche sodann
durch einen vierstimmigen Frauenchorwiederholt
und zu noch intensiverer Wirkung gebracht
wird. Jetzt vereinigen sich Manner- und Frauen-
chor zur reichgegliederten Durehfuhrung der-
selben Strophe, wobei der Reichtum schoner
Klangwirkungen ebenso auffallt wie die aus
Homophonie und Polyphonie glucklich gemischte
Schreibweise. Durch kraftige Steigerung des
Orchesters vorbereitet beginnt nun, vom ge-
mischten Chor vorgetragen, die zweite Strophe,
deren Komposition durch eine scharf rhytb-
misierte Figur der Orchesterbasse sowie Ein-
fuhrung eines Triolenmotivs belebt wird. Der
zweite Satz bringt einen Sologesang „An meine
Seele", in Weise und Ausdruck von eindringlicher
Wirkung, der bei der Stelle „L6se dich" nach
meiner Empflndung seinen Hohepunkt erreicht,
vielleicht aber etwas knapper gehalten sein
kdnnte. Eine zarte, aber ausdrucksvolle Figur
der hohen Violinen gibt der Einleitung zum
dritten Satze das Geprage, der den Chor in
sebr lebhafter Weise verwendet und von ihm
w Blum' und Koloratur" verlangt. Von dem
Allegro „Und aus seinen Finsternissen" erhebt
sich die Tondichtung zu bedeutender Hone.
Kraft, Pathos und edle Grofte vereinigen sich
hier mit feierlicher Hoheit zu einem Ganzen,
das schon am Klavier voile Hochachtung ab-
notigt und in guter Ausfuhrung unter einem j
feinfuhligen Dirigenten nachhaltigen Eindruck '
binterlassen mufl. Allerdings stellt die Kantate
an den Chor keine geringen Anspruche, aber
wagemutigen Musikdirektoren sei sie aufrichtig
empfohlen. Der Scbluflteil wurde nach meinem
Gefuhl durch den Hinzutritt einer Orgel noch
wesentlich gewinnen.
30. Erich J. Wolff: Sechs Gedichte nach
Jens Peter Jacobsen fur eine Sing-
stimme und Pianoforte, op. 26. Ver-
lag: C. F. Kahnt Nachfolger, Leipzig.
(Mk. 5.40.)
Mit begreiflicher Running nimmt man diese
Kompositionen des unlSngst auf einer ameri-
kanischen Rundreise verstorbenen Musikers zur
Hand, der als Begleitkunstler in der vordersten
Reibe stand und sich schon dadurch als vor-
trefflichen Musiker auswies. Auch nach dem
Lorbeer des schafPenden Kunstlers hat er mit
heiftem Bemuhen gerungen, und vielleicht ware, j
wenn der Kampf urns Dasein ihm mehr Ruhe |
und Vertiefung ermoglicht hatte, Erich J. Wolff
zu der Reife der eigenen Personlichkeit durch-
gedrungen. Daft er auf gutem Wege dazu war, i
zeigen die vorliegenden Lieder. Versucht er sich
bei „Landschaft** nicht ohne Gliick in musikalisch- i
eindringlicher, harmonisch und rhythmisch |
interessanter Schilderung, so schlagt er mit i
„Seidenschuh uber Leisten von Gold" einen i
o
Kr:\zo:
leichten, wenn auch zarten Ton an, der gar herz-
lich klingt. Bei „Ewig a ist es fast erstaunlich,
was der Komponist aus dem recht unmusi-
kalischen Gedicht zu machen weiG. „Flieg hin,
mein Kiel" ist etwas oberflachlicher als die_vor-
hergehenden. „Reim a ist nach meiner Uber-
zeugung das talentvollste Stuck der Sammlung,
denn hier wird mit einfachen Mitteln (wfihrend
Wolff sonst schwierig genug schreibt) eine volks-
maflig starke, fast choralartige Wirkung erzielt.
„Meine Braut fuhr* ich heim** atmet frische Kraft
und frohe Zuversicht in Weise und Rhythmus.
Dali Wolffs Melodik nicht immer muheles und
luckenfrei fliefit, daft er die schon arg abge-
brauchten Ingredienzien modernster Lieder-
technik — wie haufigen Wechsel der Taktarten,
Bevorzugung ungewohnlicher Rhythmen ( 9 / 4 , 6 /*),
hauflge Verwendung des Oktavenintervalls in
der Singstimme, ineinanderfliedende Harmonik,
Chromatik und Enharmonik — in seinen Liedern
nicht verschmaht, lSlit leider erkennen, dad er,
der alltSglich Lieder begleiten muCte, noch nicht
zu ganz selbstSndiger Schaffensart sich durch-
gerungen hatte. Aber an Einzelschonheiten
mangelt es keinem dieser Lieder, die auch samt-
lich einen erfreulichen Zug von Konzentration
aufweisen. Die Klavierbegleitung ist geschickt
und klangschon, dabei auch nicht so schwierig,
wie man es vielleicht gerade von ihm erwartet
hitte.
31. Eugen Haile: Lieder fur eine Sing-
stimme mit Klavierbegleitung. Ver-
lag: Friedrich Hofmeister, Leipzig. (Mk.7.20.)
Der sehr fruchtbare Tonsetzer tritt hier wieder
mit sechs Gesangen hervor, die als gute Arbeiten
von mittlerem Werte bezeichnet werden durfen,
weil sie zwar des gottlichen Funkens entbeliren,
aber doch in Erfindung und kunstlerischer
Naivitat uber manche anderen Erzeugnisse des
modernen Liederschaffens emporragen. w Die
Blumen stehen am Bachlein" erfreut durch
gluckliche Steigerung, die sich von der fast
durchlaufend murmelnden Sechszehntelfigur
gut abhebt, und durch einen bei aller Schlicht-
heit fromm-eindringlichen Schlufi. Weniger
bedeutend ist „Es regnet**, weil der Humor
des Petofi'schen Gcdichts dem Tonsetzer gar
nicht liegt. Kindlich einfach und innig ist das
„Weihnachtslied a , groBer in Anlage und Aus-
fuhrung „Herbst a , worin der Komponist Tone
von erfreulicher Kraft und Gefuhlswarme an-
schlSgt. Dagegen bleibt das „Teufelslied" (Text
von K. Volker nach dem bekannten Ander-
sen'schen Mirchen w Die roten Schuhe a ) ohne
die dSmonische Wucht und zwingende Balladen-
stimmung. Mit dem n Fahrenden Musikanten* 4 ist
Haile wieder in seinem rechten Gleis; das ist
ein wirklich hubscher, frischer Sang, der seine
Wirkung nicht verfehlen wird. Daft sich der
Komponist von iiblen harmonischen Ex-
perimenten fernhfilt und stets das Bemuhen
zeigt, gesanglich zu schreiben, sind weitere
Vorzuge dieser Lieder, die als gute Unter-
haltungsmusik ohne grofte Pratensionen auf-
treten und darum vielleicht gerade lebensfahiger
sein werden als die Schopfungen anderer,
modemerer und geistreicherer Tonsetzer. Haile
ist weder ein Tausendkunstler noch ein geist-
spruhender Komponist, aber er hat Musik im
Leibe, und das ist heutzutage schon viel wert.
Original from
1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
174
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
32. Kurt Lange: Drei Gesange. Verlag:
Dreililien, Berlin. (Mk. 3.—.)
Ein unverkennbares Talent spricht sich in
diesen Liedern aus, die zwar in Deklamation
und Harmonikvon Regerund Richard StrauB stark
beeinfluftt zu sein scbeinen, aber doch eine
Eigenart bereits erkennen lassen. Diese weifJ
sich am besten in der Erzeugung zarter, duftiger
Wirkungen zu betatigen; eine leise Melancholie
zittert durch diese Klfinge, die teilweise sogar
romantische Farbung haben. Das erste Stuck
„Am Abend" halte ich fur das weitaus beste,
wenn auch die prosodische Behandlung der
Silben bisweilen nicht einwandfrei ist. Die
Singweise flieGt zart und innig dahin; eine
ruhige Bewegung in der Klavierstimme, in der
ubrigens die sorgsame Stimmfuhrung angenehm
auffSllt, ist dem gunstigen Eindruck nur forder-
lich, und iiber dem Ganzen liegt, was ich fur
das wertvollste halte, eine Gleichmaftigkeit der
Stimmung und eine stille Kraft des Ausdrucks,
der man sich nicht entziehen kann. Bei dem
zweiten Lied „So regnet es sich langsam ein a
liegt der musikalische Reiz in erster Linie in
den eintonigen, kurz abgerissenen, gleichsam
tropfenweise rinnenden Begleitfiguren, die durch
das fast prinzipiell dabei verwendete Intervall
der kleinen Sekund etwas besonders Eindring-
liches erhalten. Das dritte Lied „Uber den
Bergen" ist meiner Empfindung nach mit seiner
Musik nicht aus dem Sinn des Gedichts heraus
geboren, wenigstens halte ich die in der Mitte
eintretende Steigerung in Bewegung und Aus-
druck nicht fur gerechtfertigt. Aber auch dieses
kurze Stuck atmet echte Musik, ja, es verrSt
sogar, daft der Komponist auch leidenscbaftlicher
Regungen fahig ist; man darf darum seinen
weiteren Arbeiten mit Teilnahme und Hoffnung
entgegensehen. F. A. Geifiler
33. Hugo Leichtentritt: Geistliche Frauen-
chore alter Meister. Steingraber Ver-
lag, Leipzig. (4 Hefte je Mk. 1.—.)
Ein hochst erfreuliches Unternehmen des
Berliner Musikgelehrten, der mit dem ganzen
Rustzeug des modernen Musikhistorikers und
fein empfindenden Musikers wertvolle Chore an
die breite Offentlichkeit bringt. Der Verfasser
ist durchaus berechtigt, im Vorwort zu sagen,
daft die Sammlung ihr Dasein einem wirklichen
Bediirfnis verdankt. Es gibt tats3chlich wohl
nur sehr wenige oder gar keine ahnlichen Gaben,
die unseren Frauenchoren zwar sehr anspruchs-
volle, aber dafiir um so lohnendere Aufgaben
stellen. Stephan Mahn, Arnold von Bruck und
Gregor Aichinger spenden die Bluten zum ersten
Straulie; dem herrlichen Palestrina ist das zweite
Heft entnommen (sechs vierstimmige Gesange);
L. Vittoria, P. Agostini, Orlando di Lasso und
Jacobus Gallus steuerten Perlen des a cappella-Ge-
sanges zum dritten Hefte bei, wahrend das vierte
Heinrich Schutz gewidmet ist und zwei Chore
mit Orgelbegleitung resp. Harmonium enthalt.
Die Gesange sind alle drei- bis funfstimmig und
stammen aus der Zeit von 1500—1650, bekannt-
Hch der Zeit der hochsten Blute des a cappella-
Gesanges. Es ware ein unniitzes Unterfangen,
einzelne Chore besonders lobend hervorzuheben.
Hier entscheidet der personliche Geschmack.
Ich kann nur den Leitern und Leiterinnen
leistungsfahiger Frauenchore zurufen: Greift
i":;i
mit beiden Handen zu, ihr werdet es nicht be-
reuen. Martin Frey
34. Maurice Ravel: Valses Nobles et Sen-
timentales pour Orchestre. Verlag:
Durand & Fils, Paris. (Part. Fr. 10.—.)
Wenn ich nicht wuftte, daft der Verlag Durand
ernst zu nehmen ware, wiirde ich dieses Opus
fur einen Karnevalsscherz halten; fur einen
schlechten und haftlichen allerdings. Denn was
der Komponist sich an musikalischen Hafilich-
keiten leistet, das ubersteigt alle Begriffe. Har-
monisch basiert er seine Gedanken, die ubrigens
von einer erschrecklichen Durftigkeit sind, auf
lauter Sekunden oder auf tibermafiige Dreiklange,
und Haufungen von Septimenakkorden in der
Quint-Sextlage, die ganz unmittelbar neben-
einander geklebt sind, arten bei ihm fast zur
Manie aus. Melodie ist naturlich Nebensache;setzt
einmal ein leidlicher melodischer Gedanke ein,
wie beim ersten oder dritten Walzer, so wird
er sofort von den sinnlosen Dissonanzen ver-
schlungen. Auch nach pikanten rhythmischen
Problemen wird man vergebens suchen; denn
die Experimente mit dem 3 /i und 6 /* Takt, die
in No. 6 angestellt werden, sind eben Experimente,
die mit Musik nichts zu tun haben, und fur die
doch wohl ein Walzer der ungeeignete Platz ist.
Die Instrumentation bewegt sich trotz aller
Harfenglissandi und Flageoletts, trotz der drei-
bis sechsfachen Teilung der einzelnen Saiten-
instrumente in ausgetretenen Gleisen und bringt
weder Neues noch Schones. Die Partitur ist
ziemlich schlecht leserlich: bei dem Harfen-
glissando auf Seite 53 — um nur ein Beispiel
herauszugreifen — habe ich lange grubeln
mussen, wie es eigentlich heiften soil. Jeden-
falls ist das Ganze ein trauriges Zeugnis vom
Tiefstand unserer heutigen Musik.
Dr. Max Burkhardt
35. Alfred Wernicke: „Meeresbrandung."
Ballade fur Mannerchor und Orchester. op. 36.
Verlag: Fr. Kistner, Leipzig. (Kl.-A. Mk. 4.—.)
Das vom Komponisten selbst verfafite Gedicht
schiidert ein Schiff im Sturm der Brandung.
Es ist dem Untergang nahe, und abschied-
nehmend gedenken die Insassen ihrer Heimat
und ihrer Lieben. Doch plotzlich lallt der Wind
nach, die Sonne bricht durch und gerettet kdnnen
die Schiffer in den sicheren Hafen fahren. Das
Gedicht ist in einfacher Sprache effektvoll auf-
gebaut. Die Klippen, welche die Darstellung
eines solchen Ereignisses stellen, wenn sie
einigen Anspruch auf literarischen Wert haben
soil, sind allerdings nicht ganz uberwunden; denn
die vielen „Sei gegrufit" am Schlusse erinnern
in der Mannerchorliteratur doch gar zu sehr an
die seichte Liedertafelei. Textlich und musi-
kalisch ist die Schilderung des Sturmes am
besten geraten. Auch fur das Gedenken der
Heimat sind schlichte und herzliche Tone ge-
funden. Der Gesang des Solotenors, der von
seiner „Margarete a Abschied nimmt, gerat aber
leider etwas ins Triviale. Recht lebendiges
Kolorit bringt dann wieder der Umschlag des
Windes und der neue Mut der Matrosen. Brau-
send und effektvoll schlieftt das Werk ab. Es
ist in seinen bewegten Teilen fur den Chor
nicht so ganz einfach, wird aber seiner prag-
nanten, lebensvollen Zeichnung wegen eines
guten Erfolges sicher sein.
Original from
UNIVERSIWOF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
175
36.
Karl Bleyle: ^Prometheus." Fur
Mannerchor und grofies Orchester.
op. 25. Verlag: Fr. Kistner, Leipzig. (Kl.-A.
Mk. 2.50.)
Goethes w Prometheus a ist ein Gedicht, das nur
die subjektiven Gedanken eines einzelnen aus-
spricht,aber man kann die leidenschaftlich sich auf-
lehnenden und revolutionaren Tone, die es ent-
balt, wohl auch als den Ausdruck einer Menge
gelten lassen und so einer Bearbeitung fur
Mannerchor ihre Berechtigung zugestehen.
Bleyle ist durch den Text zu einem phantasie-
vollen, grofizugigen TongemSlde angeregt worden.
Seine Sprache geht trotz der Kuhnheit des
Wortes nie uber mafivoll gesteckte Grenzen
hinaus und sucht klugerweise mehr durch Sacb-
lichkeit als durch Verwegenheit der musikalischen
Diktion zu wirken. Nicht zu hoch wird man es
ihm anrechnen durfen, daB er an mehreren Stellen
dem Text noch ein hohnisches Lachen zugefugt
hat, das der Gbor auf „ha, ha, ha!" anstimmt.
In prachtvoller Kraft erstrahlt die Stelle: „Wer
half mir wider der Titanen Obermut?" Der sich
aufbSumende Trotz ist uberhaupt sehr gut ge-
trofPen. Trotzdem ist die Chorpartie nicht schwer
ausfuhrbar. Auch das Orchester spricht, so-
weit man nach dem Klavierauszug urteilen kann,
eine grofizugige, leidenschaftliche Sprache.
37. Ernst Wendel: „Das Reich des Ge-
sanges." Fur Mannerchor und Or-
chester. op. 13. Verlag: Fr. Kistner, Leipzig.
(Kl.-A. Mk. 4.-.)
Ein fur gut besetzte MSnnerchore sehr zu
empfeblendes Werk liegt hier vor. Die poesie-
vollen Worte Theodor Korners werden durch
die empfindungsvolle und gewShlte musikalische
Sprache noch gehoben. Gerade so ein weihe-
volles Werk, das den Gesang selbst und die
Erhebung durch ihn zum Gegenstand und auch
starke musikalische Werte einzusetzen hat, fehlt
unseren Mannerchfiren ; denn seichte Durch-
schnittsware gibt es ja auch hier genug. Nach
einem weihevollen Orchestervorspiel setzt der
unbegleitete Chor ein, das Orchester tritt nach
und nach hinzu, undoes ergibt sich die erste
schone Steigerung. Uberhaupt ist das Ganze
sehr gut disponiert und die Kunst der Steigerung
steht dem Komponisten in hohem Mafie zu Ge-
bote. Auf ganz ungezwungene Art fuhrt er
den Chor zu verschiedenen bedeutenden und
wirkungsvollen Hohepunkten. Die Chorstimmen
sind von aufierordentlicber Sangbarkeit. An
leidenschaftlicheren Stellen kontrastiert wieder
ein gut klingendes kontrapunktisches Gefuge.
Jedenfalls hat man es hier mit einem Werke
zu tun, das seinen Weg machen wird.
38. Richard WickenhauBer : Zehn kleine
Tonbilder fur Klavier. op. 72. Verlag:
Fr. Kistner, Leipzig, (je Mk. 0.60.)
Hubsche Stucke von guter musikalischer
Qualit5t fur die Mittelstufe im ungeffihren Stile
von Schumanns Jugendalbum. Emil Thilo
39. Gottfried von Lin gen : Sonate fur
Klavier. op. 4. Odeon-Verlag, Miinchen.
(Mk. 5.—.)
Das vorliegende, grofi angelegte Werk zeugt
von starker Begabung. Der bisher unbekannte
Komponist kommt offenbar von Brahms her,
und er schreibt, wie sein Meister, nicht immer
sehr klaviermafiig. Allenthalben merkt man
aber bereits ex ungue leonem. Besonders der
letzte Satz zeigt so viel Urwuchsigkeit, so viel
Kraft und Frische, dafi trotz seiner Lange
(15Seiten) das Interesse nicht einen Augenblick
erlahmt. Der langsame, bei aller Schlichtheit
eindrucksvolle Satz wird von einem anmutig
rhythmisierten Allegretto sehr geschickt und
wirkungsvoll unterbrochen; auch hier bleibt das
Interesse schon infolge der Kontrastwirkung
stets wach. Der erste Satz enthalt gleichfalls
manches Schone, zeigt aber noch allerhand Un-
geschicklichkeiten und satztechnische Mangel.
Das will jedoch nicht viel bedeuten. Im Gegen-
teil: WShrend die meisten jungeren Komponisten
unsererZeit alles sagen konnen, aber nur wenig
zu sagen haben, ist hier eine dem technischen
Konnen weit vorauseilende ursprungliche Be-
gabung zu spuren. Zweifellos wird der Kom-
ponist dieser Sonate noch harte, lastige, auf-
haltende Arbeit auf sich nehmen mussen. Wenn
er sie scheuen sollte, so wire er des vorzug-
lichen Eindrucks nicht wurdig, den seine Sonate
als Talentprobe macht. Also: Noch einmal hin-
ein in die Frone, Auflosungen und Stimmfuhrung
genau kontrollieren, das Gehdr gegen klangliche
Harten schSrfen, streng auf harmonische Logik
achten, nirgends Flicken aufsetzen, sondern klar
aufbauen. Alsdann Gluckauf fur den nSchsten
Flug!
40. Edouard Schfitt: Pages gracieuses.
Quatre Morceaux pour Piano, op. 94.
1. Cantique du soir. 2. A une coquette
(Papillon-Valse). 3. Berceuse d'une poup£e.
4. Polka-Burlesque. Verlag: N. Simrock,
G. m. b. H., Berlin und Leipzig. (Mk. 3.—.)
Der Abendgesang ist melodisch schlicht und
vornehm, harmonisch uberaus reizvoll. Aber
leider fehlt es ihm auch nicht an galanten
Seufzern und sufier Sentimentalitfit. Er halt,
was der Titel des Werkes verspricht: er ist
w grazios a . (Kann ein wurdiger Abendgesang
w grazios a sein?) Die Papillon-Valse wird ver-
mutlich den meisten Anklang flnden; sie ist
w dankbar* geschrieben, ohne besondere Schwierig-
keiten zu bieten, und zSblt rein musikalisch zu
den besten modernen Salonkompositionen. Neben-
bei sei bemerkt, dafi die Vortragsbezeichnungen
von geradezu ruhrender Bescheidenheit sind;
wihrend man sonst liest: „con intimo senti-
mento" oder so, steht hier z. B. „poco espres-
sivo**: ein bifichen mit Ausdruck. Die Ber-
ceuse d'une poup6e erfordert, so einfach sie ist,
eine uberaus subtile Abwagung aller einzelnen
Tone gegeneinander. Man merkt, dafi ein fein-
sinniger Pianist dieses entzuckende kleine Stuck
geschrieben hat. Hier ist wirkliche Grazie und
gar kein Salonparfum. Die burleske Polka fallt
etwas aus dem Rahmen. Sehr nett; hubscher
Artikel fur die Handler; aber auch weiter nichts.
Es ist schade um Schiitt; man merkt immer
wieder, dafi er Besseres schreiben konnte als
„Salonmusik u . Gewifl, es ist auch verdienstlich,
dafi er diese durch sein Beispiel auf einem an-
stiindigen Niveau zu erhalten sucht. Aber er
hat fruher sicherlich hohere Ziele gehabt, und
sein neues Werk zeigt, dafi er auch jetzt noch
hohere Ziele haben konnte.
Dr. Richard H. Stein
:r. i.:!U:
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK
OPER
DRAUNSCHWEIG: Nach dem plotzlicben, un-
" freiwilligen Abschiede des Intendanten E. v.
Frankenberg hat mit Beginn der neuen Spiel-
zeit sein Vorganger, Frhr. v. Wangenheim,
die Leitung des Hoftheaters unter schwierigen
Verhaitnissen wieder ubernommen, denn der
Personalbestand zeigt erhebliche Liicken. Der
Heldentenor ist bis Ende des Jahres beurlaubt,
urn seine gesanglichen Studien in Berlin zu
vollenden. Die eine Soubrette genugt nicht fur
das Fach, dasjenige der Komischen Alten ist
zurzeit nicht besetzt, andere Krafte ersetzen
ihre Vorganger nicht: kein Wunder, dafi die
Hoffnung auf Regelung der musikalischen Ver-
haltnisse ebenso allgemein ist wie die der
politischen. „Gaste kamen, Gaste gingen." Eine
Erweiterung des Spielplanes ist naturlich ebenso
ausgeschlossen, wie die einheitliche, grundliche
Vorbereitung der alteren Werke, weil die Fremden
mitunter erst kurz vor der Vorstellung an-
kommen. Es halfen aus die Heldentenore:
Otfried Hagen, der nach zweijahriger Abwesen-
heit am 1. September seine hiesige Stellung
wieder antrat, Walter Biiltemann, Paul Hoch-
heim, endlich Jacques Decker. Von den
fruheren Mitgliedern kehrten Margarete Elb
und Wilhelm Cronberger zu mehrmaligem
Gastspiel zuruck. Zu Beginn der Spielzeit, am
24. August, feierte Regisseur C. Greis als Papa- jahriger Pause wieder auf den Brettern erschien
geno („Zauberfl6te u ) das Fest seiner 25jShrigen und sich diesmal voraussichtlich linger halten
hiesigen kiinstlerischen Tatigkeit. Von den neuen wird als fruher. Walter Soomer gestaltet die
KrSften zeichnen sich aus Albine Nagel (jugend- Titelpartie gesanglich und darstellerisch gleich
lich dramatische Sangerin), Gertrud Diedel- 1 meisterhaft aus; neben ihm verdient in erster
Laafi (Volontarin) und C. Sengstack (Zweiter | Linie Waldemar Staegemann als Ford ein
lyrischer Tenor). Verdi's lOOjahrigen Geburts- Lob. Grofie Hoffnungen darf man auf den noch
trefflich, wie es dem Rang der Dresdner Oper
entspricht, aber^zu einer Festspislzeit gehoren
noch gewisse AuBerlichkeiten, gehoren jene
Imponderabilien, die sich gerade in Dresden
leicht genug schaffen liefien, wenn sich mit der
Leitung der Hoftheater die stadtische Verwaltung
vereinigen wollle. Diesmal kamen die herbst-
lichen Sondervorstellungen uber den Wert guter
Opernauffuhrungen nicht hinaus, docb steht zu
hoffen, daQ die dabei gewonnenen Erfahrungen
in Zukunft wohl benutzt werden. — Die erste
Neuheit der Spielzeit war „Der Schmuck der
Madonna" von Wolf-Ferrari, ein Werk, das
nach dem Grundsatze der Mischung aller Stil-
arten geschaffen zu sein scheint. Infolgedessen
ubt es eine betrachtliche Wirkung auf das groGe
Publikum aus, zumal wenn an Glanz der deko-
rativen und kostumlichen Ausstattung nichts ge-
spart wird; der Kenner aber vermag an dem
Ganzen nur wenig Gefallen zu finden, sondern
muli sich an schSne Einzelheiten halten, deren ja
die Partitur eine groQe Anzahl birgt. In den Haupt-
partieen zeichneten sich Fritz Vogelstrom (ab-
wechselnd mit Fritz Soot), Eva Plaschke-
v.d.Osten (abwechselnd mit Gerda Barby) und
Friedrich Plaschke aus. Ernst v. Schuch, der
diese Neuheit mit staunenswerter Spannkraft und
lebendigstem Einfuhlen in alle Feinheiten ge-
leitet hatte, war auch der Haupttrager des Er-
folgs bei Verdi's ^Falstaff, der nach zehn-
tags wurde durch „La Traviata" und „Aida a
wurdig gedacht. Ernst Stier
DREMEN: Mit w Tannh3user u , in der gleichen
" Besetzung wie im Vorjahr und unter der
Leitung von Cornelius Kun, wurde die neue
Spielzeit eroffnet. Fruher als sonst in der Saison
hatte man „Die Meistersinger* 4 herausgebracht
mit Leonor Engelhard (Stolzing) als Gast. Als
weitere Gaste sind zu nennen Else Liebert
(Philine in „Mignon") und Mafalda Salvatini
als Carmen. Eine hochst erfreuliche kiinst-
lerische Tat der Direktion (Hofrat Julius Otto)
bildete der Verdi-Zyklus. Die Auffiihrungen,
sieben an Zahl, umfaBten alle bedeutenden Werke
des italienischen Meisters von „Rigoletto tt bis
^Falstaff", der als Festvorstellung am Geburtstage
Verdi's (10. Oktober) in Szene ging. Unsere
einheimischen KrSfte, die alteren und neu-
gewonnenen, auf die ich gelegentlich zuruck-
kommen werde, bestanden in diesem Zyklus
mit Ehren. In „AVda a , w Othello a und „Falstaff a
wurden die Titelrollen von Mafalda Salvatini,
Oskar Bolz und Robert vom Scheidt aus
Frankfurt a. M. gesungen. Prof. Dr. Vopel
pvRESDEN: Die Konigliche Hofoper bot
*~* in diesem Herbst zum ersten Male einen
„Zyklus neueinstudierter Werke", wofiir
man besser und mit vollem Recht den Titel
„Septemberfestspiele" hatte wahlen durfen. Nicht
nur der Besuch, sondern auch die kunstlerische
Stimmung an diesen Abenden wurde dann besser
gewesen sein. Was geboten wurde, war so vor-
J":;t':l^j
sehr jungen Tenoristen Richard Tauber setzen,
der seit dem Antritt seines hiesigen Engagements
durch seine groBe, weiche, lichte, leicht an-
I sprechende und gefuhlswarme Stimme, seine
I musikalische Sicherheit und sein Spieltalent Auf-
I sehen erregt und als Tamino eine vielverheifiende
Leistung geboten hat. Wenn er das leichte
Tremolo, das in der Hone auftritt, sowie das
Lispeln der Zischlaute beseitigen kann, hat der
reichbegabte Sanger Aussicht, die hochsten Ziele
zu erreichen, da sein Organ ungeahnter Entwicke-
lungsmoglichkeiten fahig zu sein scheint.
F. A. GeiBler
CRANKFURT a. M.: Die Oper nimmt unver-
: ^ kennbar einen stetigen Aufstieg. So hat uns
Kapellmeister Egon Pollak eine Reihe von
I Neueinstudierungen geboten, die das Publikum
1 wie Festauffuhrungen aufnahm. In der Erinne-
rung leuchten heute noch die „Meistersinger**.
Ottomar Starke hatte sehr geschickte und
malerisch feinfuhlige Buhnenbilder entworfen;
Regisseur Krahmer hatte besonders dem dra-
matischen Spiel der Massen auf der Buhne
groBe Aufmerksamkeit geschenkt; und Pollak
hatte mit den Solisten gearbeitet. Der Erfolg
war eine musikalische Sauberkeit und eine
solch erstaunliche Plastik in dem Stimmen-
gewoge der Volksszenen, dafi man den unheil-
vollen EinfluQ des alltaglichen Spielplans, die
Revoke des Alltags aus der Welt vertrieben
glaubte. In den Einzelrollen errangen sich die
Herren Scheidt (Sachs) und Hutt (Stolzing)
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KR1TIK (OPER)
177
neben unserem prachtvollen Schramm (David)
den Haupterfolg. Auch einer Auffuhrung des
w Rings" ist zu gedenken. Pollak dirigierte sie
mit scharfer Betonung der dramatischen Akzente.
Oben gab es eine Reihe belangloser Gastspiele.
ErwShnt seien nur Forchhammer, der den
Siegfried der „G6tterdammerung" sang und un-
vergleichlich scbon spielte. Der Heldentenor
F anger aus Konigsberg verspricht fur die Zu-
kunft genug Vorzuge, urn ein Engagement zu
rechtfertigen. Mozart's „Cosi fan tutte" er-
lebte eine musikalisch wie szenisch ganz hervor-
ragende Neueinstudierung unter Pollak. Neben
den Herren Hutt, Schneider und Brink-
mann erwarben sich Frl. van Dresser und
Frau Boennecken den lebhaftesten Dank der
Zuhorer. Es scheint als ob dieses Werk jetzt
mehr Geschmack beim Publikum findet. Mozarts
Technik in der Ensemblekunst ist ja nirgends
so fein zu beobachten, wie gerade hier, wo der
Musiker Mozart durch Schmuck das ersetzen
wollte, was der Dichtung und dem dramatischen
Kern des Buches abgeht. Wenn also die En-
sembles so fein ans Ohr kommen, wie hier in
der jetzigen Verfassung der Sanger, so ist das
Entzucken der Besucher nur zu begreiflich. —
Das neue Werk von Bernhard Sekles, „Der
Zwerg und die Infantin", ist ein Tanzspiel
nach einem MSrchen von Oscar Wilde. Sehr
bubnenwirksam ist die Handlung nicht: es fehlt
auch der dramatischen Bearbeitung von Karl-
heinz Martin die Leuchtkraft der unmittelbar
packenden und verstandlichen Handlung, ohne
die eine Pantomime nun einmal nicht leben
kann. Sekles' Musik ist im Kleinen groB, im
GroBen klein. Sehr feinsinnig gearbeitet und
instrumendert; klingt famos; in der Situations-
malerei von einem aparten spanisch-katholischen
Duft: kurzum, mit einigen Strichen versehen,
gibe es eine fraglos viel begehrte symphonische
Dichtung. Auf dem Theater fehlt der groBe
Augenblick in dieser Partitur, der Moment, der
wirklich packt. Fur das Schaffen von Sekles
ist das Werk also bedeutsamer als fur die Buhne.
In der Erfindung und im musikalischen Aus-
druck ist eine prachtige, oft frappante Pr3gnanz
der Wirkung erzielt. Betrachten wir also das
Werkchen als Vorlaufer oder Studie zu einem
groBeren Werk. Unter Dr. Rottenberg kam
eine musikalisch prachtige Auffuhrung zustande.
— Zu Ehren Verdi's ward der „Don Carlos"
aufgefuhrt. Das Werk ist vor der „ATda" fur
die GroBe Oper in Paris geschrieben; es ist also
Verdi's erster Versuch, mit dem Stile Meyer-
beers sich auseinander zu setzen. Es zeigt sich
sein Genie schon in der Tatsache, wie wenig
er in diesen groBen Formen konventionell ist.
Seine Ursprunglichkeit beweist diese Partitur
vielleicht am meisten. Im einzelnen sind viele
Perlen darin, nicht nur diejenigen, die spater
in der „Aida" ganz ausgereift sind. Bemerkens-
wert ist die Warme, mit der das Publikum das
Werk aufnahm. Es war auch eine Leistung
ersten Ranges. Mit dem stimmlich glSnzenden
Tenor Hutt (Carlos), dem geschmackvollen und
intelligenten Bariton Breitenfeld, Frl. van
Dresser (Elisabeth) und Frl. Clairmont
(Eboli) war eine gute Auffuhrung gewfihrleistet.
Das prachtvolle Temperament Dr. Rotten bergs
brachte eine solch ausgezeichnete Gesamtleistung o
xm. 3. f:i; :i :,,,::■: :> y CoO^fC
hervor, erzielte ein derartig gemeinschaftliches
Streben nach dem AuBerordentlichen, daB diese
Verdi-Feier mit zu den tiefsten Theatereindrucken
gehort, die man hier seit Jahren wahrnehmen
konnte. Trotz des schwachen Konig Philipp —
der Bassist FonB war dieser schauspielerischen
Spezialaufgabe doch nicht recht gewachsen —
erzielte das Werk einen ungeahnt starken Er-
folg. Karl Werner
GRAZ: Von den letzten Ereignissen der Ver-
fiossenen Spielzeit sind noch nachzutragen:
ein ziemlich sorgfaltig vorbereiteter Wagner-
Zyklus, mehrere Gastspielabende der noch
immer hervorragenden Sigrid Arnoldson als
Traviata, Mignon und Manon, und als AbschluB
der Spielzeit ein dreimaliges Auftreten Leo
Slezaks, der mit seinem bezwingend wohl-
lautenden Organ und seiner fur einen Sanger
aufiergewdhnlichen darstellerischen Begabung
als Troubadour, Othello und Eleazar Triumpne
feierte. — Die neue Spielzeit wurde mit „Rienzi"
recht gut eroffnet. Von Wagners Werken folgten
bisher„Der fliegendeHoliander", mitFritz Schorr,
einem stimmgewaltigen Titelhelden, und Rosine
Fortelni als durchgeistigter Senta, „Lohengrin"
in einer ganz verungluckten Auffuhrung mit
unzulSnglicher Besetzung und ^Siegfried* 4 mit
Willy Tosta als brauchbarem Siegfried, Fanny
Pracher als groBzugiger Brunnhilde und Karl
KoB als ausgezeichnetem Mime. Glanzvorstel-
lungen waren Flotows n Martha" mit Paula Stein,
einerauBergewohnlich schonstimmigen Koloratur-
s3ngerin in der Titelrolle, Harry Schiirmann,
einem mehr durch prachtvolle Schulung als
durch groBes Material auffallenden lyriscben
Tenor als Lyonel und Josef von Manovarda
als vorzuglichem Plumkett. Dieselben Krafte
brachten auch Bizet's seit vielen Jahren nicht mehr
gegebener „Carmen tt einen geradezu sturmischen
Erfolg. — Die Geburtstagsfeier Verdi's
endete mit einem Skandal. Man wahlte ungluck-
licherweise ,Don Carlos", der zwardem Musik-
historiker wunderbare Ausblicke (besonders auf
w ATda") bietet, dem groBen Publikum aber wenig
zusagt. Die unmogliche Besetzung der tragenden
Partie des Marquis Posa durch einen jungen
Bariton Wilhelm Niering rief den Unwillen
und die Heiterkeit des Publikums wiederholt
hervor. Auch der Carlos war mit Willy Tosta
nicht eben glanzend besetzt, die Regie schuf
nur unuberbruckbare Langen, und Kapellmeister
Ludwig Seitz,derbishermitGeorg Markowitz,
der die Spielopern recht gut leitet, alle Werke
allein herausgebracht hat, vermochte auch wenig
zu retten. Ebenso verungluckte die Neuein-
studierung von Saint-Saens' seit vielen Jahren
nicht mehr aufgefuhrter Oper „Samson und
Dalila", wobei die Altistin Auguste Lenska
vom Publikum mehr als deutlich abgelehnt wurde,
Willy Tosta aber als guter Samson vielen Bei-
fall fand. Dr. Otto Hod el
HALLE a. S.: In dem ersten Kapellmeister
Hans Hermann Wetzler scheint unsere
Theaterdirektion (Geh. Hofrat Richards) wirk-
lich eine erste Kraft gewonnen zu haben und
damit den rechten Mann, unseren Opernauf-
fuhrungen ein echt kunstlerisches Geprage zu
geben. War bereits seine „Figaro"-Leitung eine
wahre musikalische Tat zu nennen, so bewiesen
doch erst die „Tristan u -. und j3 ,Tannhauser"-Auf-
uriginartTom
UNIVERSITY OF MICHIGAN
178
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
fiihrungen, dafi er wirklich berufen ist, unsere
Oper auf ein noch hoheres Niveau zu bringen.
Leider ist es unserem Heldentenor R. Salenius
nicht moglich, seinen Leistungen einen einheit-
lichen Charakter zu geben; Lobens- und Tadelns-
wertes stehen dicht beieinander, und das minder
Gute uberwiegt. Recht zufrieden konnen wir
dagegen mit unserer dramatischen Sfingerin
Susanne Stolz sein, die schon mit dem ersten
Versuche der Isolde-Partie Anerkennenswertes
bot. Kunstlerisch noch abgerundeter sind die
Darbietungen unserer jugendlichen dramatischen
Sfingerin Frau Bruger- Drews; ebenso ver-
spricht die Brangane des Frl. Gollmer, dafi
unser Ensemble an ihr eine brauchbare Stutze
finden wird. Unsere beiden Baritonisten Erik
van Horst und Otto Rudolph bieten in diesem
Jahre besseres als fruher. Besonders bei unserem
Heldenbariton liefi sich eine Verfeinerung der
Stimmkultur feststellen. Prachtige Gestalten
schuf Fr. Schwarz mit dem Kurwenal und dem
Landgrafen. Er vermag von der ersten bis zur
letzten Note wirklich zu fesseln.
Martin Frey
HAMBURG: Die neue Saison hat Hamburg
die seit Jahren von vielen Seiten wiederholt
laut reklamierte und als unumganglich notwendig
bezeichnete Neue Oper gebracht: die zweite
Oper in unserer Millionenstadt. Vom Leiter
dieses neuen Instituts, H of rat Eduard Erhard,
der fruher als Baritonistdem Verbande des Stadt-
theaters angehorte, waren alle Vorbereitungen
sehr gescbickt und kunstlerisch gediegen getroffen
worden. Ein hubsches, namentlich fur die Spiel-
oper wohlgeeignetes Haus war in dem Ham-
burger Operetten theater, das sich nach einem
Umbau der Buhne und einer Renovierung des
Zuschauerraumes sehr hubsch und schmuck
prasentiert, vorhanden; als ersten Kapellmeister
gewann Herr Erhard Dr. Georg Gohler, als
Oberregisseur den bewahrten Herrn Moris und
in der Auswahl junger Gesangskrafte zeigte der
junge Direktor, der naturlich Stargagen nicht zu
vergeben hat, im ganzen eine gluckliche Hand.
So machte denn auch gleich die Eroffnungs-
vorstellung „Figaros Hochzeit" einen sehr guten
Eindruck, der sich insbesondere auf eine ganz
prachtig ausgefeilte, klangschone und stilvolle
Wiedergabe des Orchesterparts und auf eine
uberaus saubere Inszenierung zu stiitzen hatte.
Und fast alles, was diesem Eroffnungsabend
folgte : Neueinstudierungen von„Zar" und „Waffen-
schmied a , von „Entfuhrung tt und „Dorfbarbier tt
stand auf gleicher kunstlerischer Hone. Soweit
ware also alles in schonster Ordnung, wenn der
neuen Oper nur nicht eine Kleinigkeit fehite:
das Publikum. Es zeigt sich aber leider auch
in diesem Falle wieder, dafi ein tieferes musi-
kalisches Bildungsbedurfnis in Hamburg nicht
vorhanden ist, dafi man zwar ins Stadttheater
geht, um gesehen zu werden und um zu beweisen,
dafi man sich's leisten kann, dafi aber nament-
lich die mittleren Schichten der Bevolkerung
rein kunstlerischen Bestrebungen gegenuber
ziemlich vollig versagen. Zur Entschuldigung
der beschfimenden Tatsache, die naturlich als
peinlich von den besseren, kultivierten Elementen
empfunden wird, weist man auf die angeblich
hohen Preise hin. Aber in Wahrheit sind die
Preise gar nicht so hoch und vor allem fehlt
:r. i.:!U:
gerade jenen Plfitzen die Benutzung, die kaum
grofiere pekunifire Opfer verlangen als der Besuch
eines besseren Kinos oder einer mittleren Vari6t6-
Auffuhrung. Und was am traurigsten stimmt:
die enthusiastische, bildungsfahige Jugend, die
in anderen Stadten das Stehparterre und die
boheren RSnge aufsucht, versagt in unserer
merkantilen Stadt ganzlich. Als spate Novitat
fur Hamburg brachte die Neue Oper, die in ihrem
Spielplan durch die Vormachtstellung des Stadt-
theaters arg behindert ist, anlafilich derVerdi-
Zentenar-Feier Verdi's w Macht des Schick-
sals a in einer prachtigen Inszenierung heraus.
Dr. Gohler dirigierte dies Werk, das textlich
uber jedes erlaubte Mafi hinaus naiv und albern
ist, in dem die Momente unfreiwilliger Komik
sich drfingen, und das man doch um der teil-
weise hinreifienden Musik Verdi's willen lieb-
gewinnen kann, mit feurigem Elan und mit echt
Verdi'scher dramatisch-schlagkrSftiger Pointie-
rung. So kam denn bei der Premiere auch mehr
als ein Respektserfolg zustande, aber trotzdem
wird man der Lebensdauer dieser Verdi'schen
Oper nicht gerade Erfreuliches weissagen mussen.
Als erster Ehrengast fand sich in der Neuen
Oper die beruhmte Wiener Koloratursangerin v
Gertrude Foerstel, ein, die als erzmusikalische,
geschmackvolle Sfingerin mit blendenden Stimm-
mitteln auch auf der Buhne Sensation machte*
nachdem sie bereits im Vorjahr auf dem Konzert-
podium als Interpretin desSopransolos in Mahlers
Achter Symphonie faszinierend gewirkt hatte.
Die Stadttheater - Oper begann die neue
Spielzeit unter glucklicheren Anzeichen. Dr.
Loewenfeld hat aus seinem Ensemble eine
ganze Anzahl von Kraften zweiten und dritten
Ranges, deren Mitwirkung im ersten Jahre seiner
Direktionstatigkeit gar oft den Auffuhrungen ein
arg provinziales GeprSge gab, abgestofien und
an ihre Stelle Kunstler von Rang und Bedeutung
gebracht. Das Ehepaar Maclennan - Easton
von der Berliner Hofoper, der junge Tenorist
Herr Ziegler aus Wien, die Soubrette Fraulein
J an sen, und bis zu einem gewissen Grade auch
der stimmgewaltige, wenn auch kunstlerisch
noch etwas robuste Baritonist Herr Buers aus
Leipzig, sind immerhin als Akquisitionen fur das
Ensemble und fur den Repertoirebetrieb zu be-
grufien. Und von dem grofien Arbeitspensum >
das erledigt werden soil, brachten gleich die
ersten Wochen einige recht bemerkenswerte und
erfreuliche Teile: von Dr. Loewenfeld inszeniert
und von dem neuen Kapellmeister Selmar
Meyrowitz geschmackvoll und feinfuhlig ge-
leitet die „Iphigenie a von Gluck und, ebenfalls
in Loewenfeldscher Inszenierung, eine „Rhein-
gold tt -Auffuhrung von ganz aparter selbstandiger
szenischer Auffassung. Viel weniger gunstig
verlief eine Verdi-Feier, an der noch die Eier-
schalen des Improvisatorischen klebten. Zwar
dirigierte Felix Weingartner, der den Rest
seiner Verpflichtungen dem Hamburger Stadt-
theater gegenuber in diesen Monaten erledigt,
den ^Troubadour**, aber er befand sich Kraften
gegenuber, mit denen beim besten Willen kein
Verdischer Gesangsstil erreichbar war; ebenso-
wenig gliickte es mit einer „Rigoletto u -Auf-
fuhrung, die von dem des Theaters entwohnten
hamburgischen Dirigenten Professor Neglia
etwas zaghaft geleitet wurde und die gleichfalls
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UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRIT1K (OPER)
179
an erheblichen Besetzungsfehlern litt. So
blieb als Verdi's und des Instituts wfirdige
Feier nur eine Reprise unserer schonen und
wertvollen „Ai'da a -Aufffihrung mit Weingartner
am Dirigentenpult und Frau Marcel -Wein-
gartner in der Titelrolle ubrig. Als Novitat
bescherte das Stadttheater uns P u c c i n i's
„Madchen aus dem Westen". Das ist eine
ganz schlimme Angelegenheit, die natfirlich auch
dadurch nicht besser wurde, daft man sie aufier-
lich als „Ereignis a aufzog, wozu die Anwesen-
beit des Komponisten Anlafi gab. Denn dies
Werk ist kunstlerisch als bose Verirrung ganz-
lich indiskutabel, und als Erinnerung bleibt nur
das Bedauerlicbe stehen, dafi man einen Musiker
von dem Konnen und von der Inspiration
Puccini's auf diesen bedenklicben Pfaden eines
dem Kino - Geschmack entgegenkommenden
Wirkens setaen mud. Die Aufffibrung unter
Kapellmeister Gotthards Leitung empfahl sich
vor allem durcb eine pracbtige Verkorperung
der Titelpartie, mit deren Wiedergabe Frau
Easton sich ihre Position geschaffen haben
durfte. Heinrich Chevalley
HANNOVER: Die Oper veranstaltete zu Ehren
Verdi's einen Zyklus seiner bekanntesten
Werke, der„Troubadour", „Traviata", „RigoIetto a ,
„Amelia u , „AIda a und „Othello a umfaBte. Mit
Ausnabme der Violetta, die von Marianne Alfer-
mann (Berlin) mit entschiedenem Erfolge ver-
korpert wurde, und einiger ziemlich belangloser
Aushilfsgastspiele fur unpaBliche Mitglieder
unserer Oper, wurde der Zyklus lediglich von
unserem einbeimischenOpernpersonal bestritten.
Weitere „Taten" sind von der neuen Saison
noch nicbt zu melden, und auch fur die nachste
Zukunft steht nichts in Aussicht
L. Wuthmann
l^ARLSRUHE: Unter des neuen Hofkapell-
"• meisters Fritz Cortolezis Leitung brachte
die Hofoper als erste der angekundigten Mozart-
Neueinstudierungen des Meisters komische Oper
„Cosi fan tutte" in einer den Verhaltnissen ent-
sprechend guten und erfolgreichen Aufffihrung.
Wenn auch nicht alle — hinsichtlich einer
vollendeten Darbietung moglichen — Wunsche
erfullt wurden, und namentlich die Tatsache,
daQ wir derzeit kein eigentlicbes Mozart-En-
semble besitzen, deutlichst zutage trat, so ist
docb das im einzelnen und ganzen Geleistete
aller Anerkennung wert. Das Werk wurde in
der von Hermann Levi besorgten, sich eng ans
Original anlehnenden Bearbeitung gegeben, die
uns fiber der herrlichen, in unvergfinglichen
Reizen strahlenden Musik die Unzulanglichkeit
und Albernbeit des Textbuches fast vergessen
liGt. Bei der Einstudierung war viel gediegene
und grfindliche Arbeit geleistet worden, und bei
der Tuchtigkeit und anfeuernden Tatigkeit des
neuen Opernleiters ist zu hoffen, dafi der ge-
sanglicbe Teil der Mozartopern bald dieselbe
Vollkommenheit aufweisen wird, wie sie z. B.
jetzt schon der Darbietung des Orchesterparts
nachzurfihmen ist. Dieser, vom verkleinerten
Orchesterkorper ausgeffihrt, erfuhr eine sorgsam
durchdachte, lebensprfihende und ungemein
fesselnde Wiedergabe. Von den Damenpartieen
erwahnen wir die der Fiordiligi (Frau Lauer-
Kottlar) und der Despina (Frau Muller-
Reichel), von den Herrenrollen Franz Ron as
kostlichen Alfonso. — Zu Verdi's Gedachtnis
ging in ebenfalls neuer Einstudierung die lyrische
Komodie „Falstaff a in Szene, die bei der treff-
lichen Besetzung der Gesangspartieen (Falstaff:
J. van Gorkom) und der leichtflussigen Behand-
lung des prachtigen instrumentalen Teiles einen
sehr gunstigen Eindruck hinterliefi und lebhaften
Anklang fand. Franz Zureich
l/'dLN: Wahrend fiber Neuheiten aus dem
*** Opernhause noch nicht zu berichten ist,
was angesichts der erst sechswochigen Spielzeit
ohne weiteres verstandlich, ergaben einige Neu-
einstudierungen ruhmlichst bekannter alterer
Werke die Hauptmomente des bisherigen Re-
pertoirs. So begrfiBte man zun3chst Boieldieu's
lSngere Zeit nicht erschienene w Wei(Je Dame"
gern wieder einmal, mit der im Bunde in Ge-
stalt des jugendlichen Carl Schroder ein sehr
sympathischer, angenehm stimmbegabter und
im feineren Stile sangeskundiger George Brown die
Gunst des Publikums erfolgreicb ansprach. Gustav
Brecher, dessen vorjahrige Auffrischungen
von Mozarts B Don Juan" und Webers w Oberon a
sich jetzt erneut als schone musikalische Taten
bewfihrten — als Rezia vollzog die bisherige
Operettensangerin Elisabeth Bart ram mitgutem
Gelingen den ersten Schritt zum Obergang ins
dramatische Opernfach — war Boieldieu ein
ungemein feinfuhliger Interpret. Dann lieB der
von Walter Gaertner sehr eindrucksvoll ge-
leitete, gleichfalls Jahre nicht gehorte Rossini-
sche w Tell a erkennen, daB Julius vom Scheidt
seine Eignung zum Heldenbariton, dessen Ge-
biet der vielbeschfiftigte beliebte Sanger bisher
nur gelegentlich gestreift hat, nicht nachdruck-
licher zu erweisen braucht, als es durch seinen
trefflichen Tell geschehen ist. Ein ebenbfirtiger
Arnold war leider der zwar recht stimmbegabte,
aber musikalisch wenig zuverlassige und die
hohe Lage mit wechselndem Glficke behandelnde
Tenorist Vernon Stiles nicht. Auch mit der
Neueinstudierung von Marschners „ Tern pier
und Judin* hat Walter Gaertner eine sehr
schatzenswerte Arbeit geleistet. Die zugrunde
liegende Bearbeitung Hans Pfitzners erwies
sich mit ihren zweckdienlichen, weil sach-
kundigen Umstellungen, Kfirzungen usw. als
dem VerstSndnisse und demgemafi der Ein-
drucksfahigkeit des bislang textlich zu krausen
und doch musikalisch so uberaus wertvollen
Werks sehr forderlich. Der am ersten Abend
bei Krankheitsfall einspringende Strafiburger
Sanger August v. Manoff konnte als Templer
hoheren Ansprfichen nur rein stimmlich genugen.
Kfinstlerisch machte nachher der hiesige Fried-
rich Braun die Sache besser. Bei der zwei-
maligen Aufffihrung der Vollmoellerschen
Pantomime „Das Mirakel* 4 (Reinhardtsche In-
szenierung) vermochte sachlich aus guten
Grfinden lediglich Engelbert Humperdincks
Musik guten Eindruck zu erzielen. Erfolg gab
es nicht. AnlaBlich der Verdi-Hundertjahr-
feier brachte Gustav Brecher nach Vorauf-
gang des n Troubadour a eine pracbtvolle Wieder-
belebung des Meisterwerks n Falstaff" mit
aufierordentlich schonem Orchester und vor-
zuglichem Ensemble, in dem Julius vom
Scheidt als bravouroser Vertreter der Titel-
rolle hervorragte. Der ausgezeichnete Wagner-
sanger Modest Me^Zjin-sky #rzieite neuerdings
UNIVERSITY OF MICH^&AN
180
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
mit Lohengrin, Tannhauser, Erik und Siegmund,
dann aber auch mit Verdi's Othello gl§nzende
Erfolge. Paul Hiller
LUZERN: Im subventionierten Stadttheater
hat Hofoperns3nger Hans Keller am 2. Ok-
tober seine dritte Direktionssaison begonnen,
wahrend er im Sommer Leiter des ebenfalls
alle Kunstgattungen pflegenden Kurtheaters in
Baden im Aargau ist. In recht hubschen Auf-
ffihrungen von Lortzings w Wildschfitz a und
Aschers AltwienerOperette„Hoheit tanzt Walzer"
haben sich bereits mehrere Mitglieder des neuen
Ensembles fiber den Besitz gesunder Stimmittel
ausgewiesen. A. Sen mid
MAINZ: DerSpielplan derdiesjahrigenTheater-
saison hat sich bis jetzt recht abwechselungs-
reich und vielgestaltet angelassen. Die Direktion
Be h rend versteht es meisterlich, ihr Personal
zu regem Schaffenseifer und erhohter Leistungs-
fahigkeit anzuspornen. Berucksichtigt man, daft
des steten Repertoirewechsels wegen nur wenige
Gesamtproben selbst fur anspruchsvolle Auf-
gaben zu ermoglichen sind, bedenkt man ferner,
daB bei einer Saisonbfihne vielfach mit Neulingen
der Kunst zu rechnen ist, die erst noch ihre
Sporen verdienen mfissen, so wird man dem
Wettkampf um die hochgesteckten Ziele seine
Anerkennung nicht versagen, andererseits sich
aber auch nicht wundern dfirfen, wenn trotz
aller Bemuhungen hin und wieder Darbietungen
mit unterlaufen, die infolge ungeeigneter Be-
setzung merklich aus dem Rahmen des Erlaubten
heraustreten. Zum Gluck besitzt die Mainzer
Buhne in Kapellmeister Gorter eine nicht
hoch genug zu bewertende, kiinstlerisch er-
probte Personlichkeit, deren reichen Erfahrungen
und bewundernswerter Ausdauer es zu danken
ist, daft die Vorstellungen bei aller Verschieden-
heit musikalisch durchweg einen vornehmen
Anstrich aufzuweisen haben. Vielverheiftend
wurde die Saison mit Puccini's „Tosca a er-
offnet, die an dieser Stelle zum erstenmal er-
schien und vermoge der fesselnden Wiedergabe
der Titelrolle durch Margarete Gauntier starken
Eindruck erzielte. Mit kurzen Unterbrechungen
folgten alsdann von grofteren Opern tann-
hauser", ^Hollander", „Hugenotten a , w Fidelio a
und „Meistersinger". — Verdi wird zu seiner
lOOjahrigen Geburtsfeier durch einen besonderen
Zyklus seiner Hauptwerke geehrt werden. —
Mit groftem Interesse begegnete man dem Erst-
auftreten der Sangerin Betty M artel (Jugenlich-
dramatische). Als Elisabeth und vor allem als
Senta rechtfertigte sie vollauf die hochgestellten
Erwartungen, die man an ihre Befahigung knfipft.
Leopold Reichert
1MOSKAU: Die Privatoper im Theater Solo-
*** downikow steht von jeher im Dienste der
nationalen Kunst. Zur Eroffnung der Saison
wurde wieder ein Kunstwerk gewahlt, das
Rimsky-Korssako w zum Autor hat, die
„Mlada u , eine Oper-Feerie mit Ballet, deren
Entstehung in das Jahr 1869 zuruckgeht. Auf
Bestellung des Theaterdirektors Gedeonow, der
das Sujet gewahlt hatte, sollten C. Cui, Borodin,
Rimsky-Korssakow, Moussorgski jeder einen
Akt davon komponieren. Der Plan zerschlug
bald daraufin Folge der Absetzung des Theater-
direktors,unddieentstandenenStficke wurden von
den Mitarbeitem zu ajRderen Werkfn verwendet.
1889 kehrte Rimsky-Korssakow, in dessen Eigen-
art dasMarchenhaft-Nationale des Stoffes lag, zu
der Arbeit zuruck. 1892 wurde die „Mlada" in
Petersburg aufgeffihrt, verschwand jedoch nach
wenigen Vorstellungen. Zimin's Privatoper in Mos-
kau, die sich ruhmen darf, Rimsky-Korssakow's
Werken ihre besondere Aufmerksamkeit zuge-
wendet zu haben, hatte sich zur Aufgabe gestellt,
auch die „Mlada a wfirdig auf die Buhne zu
bringen. Das Unternehmen ist vollkommen
gelungen. Die Orchesterleistung unter Bagri-
nowski ist sehr zu ruhmen, Massenszenen mit
Tanz und Gesang sind fein ausgearbeitet. Die
Damen Sakrewskaia, Petrowa-Swan zewa,
die Sanger Ossipow, Lebedew u. a. haben
ihre Rollen glanzvoll durchgefuhrt. — Als zweite
Premiere erntete Puccini's „Madchen aus dem
goldenen Westen" groBen Erfolg. Die begabte
Frau Drusiakina war eine reizende Minnie;
der intelligente Baritonist Botscharow bot
einen typischen Jack Rans; Damaew alsjonston
entzucicte mit seinem klangvollen Tenor. Der
Orchesterleiter Plotnikow hatte den Stil des
italienischen Verismus trefflich erfaBt. Die
Realistik in der Inszenierung gelingt dem Re-
gisseur Peter 1 e n i n ausgezeichnet. — Als dritte
Novitat prangte Mozarts „Don Juan tt in neuer
Besetzung und Inszenierung. Dubinski gab
den Don Juan mit spanischer Grandezza;
Speranski war ein gelungener Leporello; Frl.
Koschitz, eine junge Sangerin, bot eine hochst
ansprechende Donna Anna; Frau Michailowa
war eine etwas gezierte Elvira, wahrend Frau
Popowa sich als Zerline sehr nett ausnahm.
Die Kaiserliche Oper hat traditionell die
Spielzeit mit Glinka's „Leben fur den Zaren*
erdffnet, sodann folgten Opern der letzten Saison.
— Im Volkstheater sind russische Opern und
die „Traviata a sehr erfolgreich fiber die Buhne
gegangen. E. von Tidebdbl
IMUNCHEN: UnsereHofopernimmt unter dem
*'* neuen Generalmusikdirektor Bruno Walter
einen erfreulichen Aufschwung. Dieser Mann
hat nicht nur eine straffere Arbeitsweise ein-
geffihrt, sondern uns zugleich eine Kultur des
Musizierens gebracht, die unserem alten Institut
allmahlich fremd geworden war. Wahrend der
Mozart- und Wagner- Festspiele dieses
Sommers konnten wir namentlich an dem Vortrag
des Orchesters die Wirkungen dieser Kultur be-
obachten. Wir durften aufier einer idealen Klang-
schonheit und Klarheit eine dynamische und ago-
gischeFeinfuhligkeitbewundern,die weit fiber das
hinausgeht, was man heutzutage in einem Theater
zu erhoffen wagt. Walter musiziert gleichsara
mit der Lupe in der Hand, besitzt aber dabei
ein starkes Temperament, das nicht nur jede
Note mit lebendiger Empfindung erfullt, sondern
auch elastisch genug ist, jeder Forderung des
Dramas zu gehorchen. Unser einheimisches
Buhnenensemble liefl sich fast durchweg von
seinem neuen Ffihrer zu einer staunenswerten
Oberbietung der gewohnten Leistungen hinreifien.
Zwei Gaste haben trotz ihres hohen geistigen
und musikalischen Niveaus die Einheitlichkeit
unserer Festspiele gestort: Olive Fremstad
und Edith Walker. Beide sind Kunstlerinnen
ersten Ranges, soweit Kunst von Konnen kommt.
Aber beide sind durch eine seelische Disposition,
die nigjifj^fpj^l)ff^]^jite „moderne Empfinden"
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
181
nennen mag, verhindert, in Spiel und Vortrag
eine wirkliche Wagnersche Gestalt auf die Biihne
zu stellen. Neben Zdenka Mottl-FaGbender sind
sie gespreizte Salondamen. — Unser neuer
zweiter Kapellmeister Otto Hefi, der uns Franz
Fischer ersetzen soil, hat sich bei den Wagner-
Festspielen als gediegener Praktiker von Umsicht
und Beweglichkeit bewahrt. Er erinnert in seiner
Art etwa an den Leipziger Dirigenten Lohse. —
Unmittelbar nach den Festspielen sang Caruso
im Hoftheater den „Canio", den „Don Jos6" und
den w Rudolf a . Wie dieser einzige Kunstler alle
feinsten und fast unwagbaren Farbungen und
Schwebungen scbauspielerischer Stimmtechnik
mit einem vollkommenen, musikalischen Vortrag
verbindet, sodafi kein einziger Ton aufhort Kunst-
gesang zu sein und nirgends die musikalische
Linie verschoben wird, daruber kann man heute
niemandem mehr etwas Neues berichten. Eben-
sowenig daruber, daft einen ein Caruso-Gastspiel
immeraufWochenunf5higmacht,andereBuhnen-
sanger zu horen und zu sehen.
Alexander Berrsche
1^ URNBERG : Die neue Spielzeit brachte wieder
A ^ eine Umgestaltung an Haupt und zahlreichen
Gliedern unserer Oper, diesmal aber in so gluck-
licher Auswahl und Zusammenstellung, daft Pu-
blikum und Kritik den bisherigen Auffuhrungen
in seltener Einmutigkeit uneingescbrSnktes Lob
zollen und mit Recht behaupten, daft noch nie
seit Bestehen des hiesigen Theaters so abgerun-
dete und kunstlerisch hochstehende Leistungen
seitens des stSndig engagierten Personals zu ver-
zeichnen waren wie augenblicklich. Als erster
Kapellmeister fungiert Robert Heger, der es
gleich von Anfang an verstanden hat, eine straffe,
energische Orchesterdisziplin durchzufuhren und
in rhythmischer, dynamischer und agogischer
Beziehung seine musikalischen Absichten ziel-
bewuBt und erfolgreich zur Geltung zu bringen.
Unter seiner Oberleitung zeigen sich auch im
Chor, an und von dem bisher gar manches ge-
sundigt worden ist, erfreuliche Ansatze zur
Besserung. Der neue Heldentenor, Alois Pen-
narini, feiert sowohl in den grofien Wagner-
rollen als auch in den iiblichen Repertoireopern
(„Evangelimann**, „Cavalleria a , „AYda" usw.) stete
Triumphe, ebenso die in durchgeistigtem Spiel und
edlem Gesang ihm gleichwertige Primadonna,
Mimi Poensgen. Von fruheren Kraften be-
wShren sich in den entsprechenden Rollen u. a.
die Herren Hansen (lyrischer Tenor), Dramsch
(Bariton) und Landauer (BaB), von neuen die
Damen Heyl uud Teonsa. — Aufier dem „Ring a ,
der unter der Regie der Frau ReuB-Belce die
Saison so erfolgreich eroffnete, daB sich sofort
ein zweiter Zyklus anschloB, bot das Repertoire
bisher nichts besonders Erwahnenswertes.
Dr. Steinhardt
OIGA: Der erste Monat der neuen Saison
*^ brachte zehn, allerdings im Repertoire
stehende Werke, denen sich jungst „Rienzi a
anschloB, als erstes in der geplanten zyklischen
Folge von Wagners musikalischen Dramen. Im
Sangerensemble hat ein Wechsel des Helden-
tenors und des seriosen Bassisten statt-
gefunden. Erstgenanntes Fach wird gegen-
wartig mit anerkennenswerter Tuchtigkeit vom
Kammersanger Stratz vertreten, das letztere
bekleidet neuerdings Herr Fabian, eine
gleichfalls sympathische Kraft, dessen Stimme
es leider aber an der notigen tonlichen Wucht
und voluminosen Ergiebigkeit zu mangeln scheint.
Sonst ist alles beim alten im Personalbestande
geblieben, und das schone Geschlecht behielt
durchweg seine Positionen, die es schon seit
Jahr und Tag mit gutem Erfolg verteidigt hat.
Carl W a a c k
St. PETERSBURG: Die zweite Saison des
Theaters fur Musikdramen im Kon-
servatorium wurde mit Moussorgski's w Boris
Godunow" eroffnet. Das Orchester uberraschte
uns auf das angenehmste. Der musikalische
Leiter, Biichter, der sich schon in der ersten
Saison in den neu inszenierten „Eugen Onegin"-
Auffuhrungen als hochbegabter Dirigent doku-
mentierte, machte auch diesmal den Eindruck
eines feinsinnigen Musikers. Die Hauptrollen
waren gut besetzt: Mosschuchin (Boris Go-
dunow), Issatschenko (Schniski), die Leistungen
der Chore hervorragend und die Ausstattung
beruckend. — Im Kaiserlichen Marien-
th eater horten wir endlich das langst ver-
sprochene „Rosenwunder", eine musikalische
Legende von Peter Schenk, und sind der
Direktion der Hofoper aufrichtigen Dank schuldig,
uns ein Werk dieses strebsamen Komponisten
gebracht zu haben. — Felia Litvinne gastiert
gegenwSrtig in der Hofoper und bietet wahre
Prachtleistungen in den Wagner- Werken. — Im
Volkstheater Nikolaus II. wiederum er-
freuen Lydia Lipkowskaya und der Bariton
G. Baklanow in ihren Glanzrollen das groBe
Auditorium. Bernhard Wendel
KONZERT
BERLIN: Das 1. N ikisc h-Ko n zert der
Winterspielzeit 1913/14 brachte als Haupt-
nummer des Programms die Sinfonia tragica
(op. 40) von Felix Draeseke (f 26. Februar),
Fur die der Dirigent, obwohl er mit der vollen
Kraft seiner Personlichkeit dafur warb, doch
seine Horer nicht zu erwSrmen vermochte. Jeder
ernste Musiker wird der kiinstlerischen Arbeit,
dem Aufbau jedes einzelnen der Satze, der Ent-
wickelung der Themen gewiB alle Anerkennung
zollen, aber bei dieser Auffuhrung ebenso wie
bei einer fruheren, die ich noch unter Billows
Leitung erlebte, wollte sich die Verbindung
zwischen dem Werke und dem Horer durchaus
nicht einfinden, es kam wieder nicht zu dem
zundenden Funken. Dieser Musik fehlt es an
jener bliihenden Schonheit der Erfindung, die
uns in ihren Bann lockt; des Tonsetzers Intelli-
genz, sein Wille zur Arbeit ist groBer als seine
Phantasie. Selbst der verklarende Ausgang, in
den der SchluBsatz ausklingt, kann fur das Vor-
angegangene nicht entschadigen. AuBer Drae-
seke kam Richard StrauB mitseinem w Till Eulen-
spiegel" und einigen Liedern zu Worte, die Elena
Gerhardt ebenso wie einige altitalienische
Lieder durch ihr warmes Organ, durch ihren
fein abgetonten, ausdrucksvollen Vortrag zu herr-
licher Wirkung brachte. Glucks Furientanz und
Reigen seliger Geister aus dem „Orpheus a war
ein besonderer Leckerbissen fur das Publikum.
Was oder wer von unseren modernen Tonsetzern
vermag wohl nach anderthalbhundert Jahren die
Horer in so restloses Entzucken zu versetzen,
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
182
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
wie uns heute der alte Ritter Gluck mit seinen
Balletsatzen ? E. E. Taubert
Dr. Rudolf Siegel, der sich hier schon
ofters als hervorragender Dirigent bewahrt hat,
fuhrte mit dem Philharmonischen Orchester
Bruckners Achte Symphonie in fiberaus klarer,
fein abschattierter und warm empfundener Weise
auf, begeisterte fur die von Mottl instrumen-
tierte echte Lustspielouvertfire zum „Barbier
von Bagdad" von P. Cornelius und stellte eine
noch ungedruckte „Musik fur Geige und Or-
chester** von Rudi Stephan zur Diskussion.
Dieses Werk, das von eigenartiger, jedoch noch
nicht abgeklarter Begabung zeugt, ist eine ohne
ein beigegebenes Programm schwer zu deutende
symphonische Dichtung mit einer obligaten
Violine, die ungemein schwer und undankbar
gehalten ist. Bewunderungswfirdig wurde sie
von Alexander Schmuller gespielt. Es fehlt
dem in Dissonanzen geradezu schwelgenden,
apart instrumentierten Werke an wirklicher Me-
lodik; die Verstandesarbeit darin fiberwiegt zu
sehr. — Einen ausgezeichneten Geigenkfinstler
lernten wir in Zlatko Balokovic kennen. Er
spielte mit Begleitung des Philharmonischen
Orchesters, dessen Dirigent Camillo Hilde-
brand seiner dabei besonders schwierigen Auf-
gabe vollkommen gewachsen war, zwei neue Kon-
zerte. Dem in a von J. Kryzanovsky, das
schon gedrucktvorliegt, vermochte ich nicht viel
Geschmack abzugewinnen, dagegen halte ich das
noch unveroffentlichte, sehr national-slawisch
gehaltene von J. V. N o v a k (nicht zu verwechseln
mit dem bekannten Viteslav Novak) infolge
seines Inhalts, Farbenreichtums und der ge-
schickten Behandlung der Solostimme fur das
beste Violinkonzert, das mir in den letzten zehn
Jahren bekannt geworden ist. — Die kleine
Geigerin Alma Moodie imponierte mir durch
ihre technische Frfihreife, doch sollte sie vom
Konzertieren zurfickgehalten werden, bis auch
ihr seelisches Empfinden gereift ist. — Der vor-
reffliche Violoncellist des Russischen Trios
Josef Prefi brachte sich durch ein Konzert mit
Begleitung der Philharmoniker als Solist in
beste Erinnerung; er erschopfte die Konzerte
von d'Albert, DvoHk und das Erste von Saint-
Saens (das bis zum Uberdrufi gespielt wird) in
jeder Hinsicht. — Ein wahrer Hochgenuli war
der Vortrag der drei Sonaten von Brahms fur
Klavier und Violine durch Artur Schnabel
und Carl Flesch. — Den Vergleich mit unseren
bekannten ersten Streichquartetten halt das
Stuttgarter Quartett der Herren Carl
Wendling, Hans Michaelis, Philipp Neeter
und Alfred Saal vollig aus; es trat aufs warmste
fur Kloses Es-dur (vgl. „Die Musik", Bd. 42,
S. 368) und fur Regers wertvolles op. 109 ein.
Wilhelm Altmann
Mit den Philharmonikern konzertierte Richard
Metzdorff. Er brachte ausschlielilich eigene
Kompositionen zu Gehor, darunter zwei Urauf-
fuhrungen: „Das Meer", Symphonie in zwei
Teilen fur grolies Orchester op. 79, und „Hela a ,
sechs GesSnge fur eine Singstimme mit Or-
chester. Wie Metzdorffs den SchluG bildende,
vor zwei Jahren hier besprochene Symphonie-
Ode „Frfihling a fur grofies Orchester und acht-
stimmigen gemischten Chor bekunden auch die
beiden neuen Werke ernstes Streben und den
o
Willen zum Hochsten, aber der Mangel an
Eigenem tritt so fiihlbar in die Erscheinung, daQ
man fiber den peinlichen Zwiespalt zwischen
dem Aufgebot an Mitteln und dem Inhalt des
Gebotenen nicht hinwegkommt. Bei dieser blut-
leeren, rein aufierlichen Art Liszt-Wagnerschen
Epigonentums, das uberaus bescheidenen Ge-
danken durch grofiartige Geste einen Scbein
von Bedeutung zu verleihen sucht, kann man
heute schlechterdings nicht mehr mitempfinden.
Wer einen solchen Apparat in Bewegung setzt,
mufi uns mehr zu sagen haben, als es Metz-
dorff vermag. Mit der bloOen Herrschaft fiber
die technischen Mittel ist es eben leider noch
nicht getan. AuBer dem verstarkten Philhar-
monischen Orchester wirkten Hertha Dehm-
low, Richard Fischer, Fritz Lindemann
(Dirigent) und der „Gemischte Chor Wil-
mersdorf" mit. — Der von Henri Marteau
mit seinen Quartettgenossen veranstaltete erste
Komponistenabend war Franz Mikorey ge-
widmet. Zum Vortrag kamen das Klaviertrio
H-dur und das e-moll Klavierquintett (beide mit
dem Komponisten am Blfithner) sowie eine
Kleine Suite ffir Violine allein (Marteau). Hinter-
lieG letztere infolge ihrer bei aller „tiefsinnigen*
Gespreiztheit und Wichtigtuerei offen zutage
liegenden Erfindungsarmut einen geradezu ver-
stimmenden Eindruck, so gehoren die beiden
anderen Werke zu den ansprechendsten Erzeug-
nissen der modernen Kammermusikliteratur.
Frisch und natfirlich empfunden, abwechselungs-
reich in rhythmischer Hinsicht, harmonisch
fesselnd, von gewahltem Melos — soprasentierten
sich die beiden Kompositionen, die in vorzfig-
licher Ausffihrung dem Tonsetzer reichen Bei-
fall eintrugen. Willy Renz
Anna Bobrik hat durch fleiDiges Studium
es zu einer achtbaren Technik gebracht. Sie
dfirfte wohl eine gute Klavierlehrerin abgeben;
eine Konzertpianistin, die sich einen Namen
machen konnte, wird sie wohl nie werden. —
George Fergusson gibt hier seit einer Reihe
von Jahren regelmaCig Liederabende. In seinem
letzten Konzert schien er besser bei Stimme zu
sein als frfiher, denn das Flackern machte sich
nicht so unangenehm bemerkbar; sein Vortrag
war wie immer ausgezeichnet. Als Begleiter
wtrkte Robert Kahn am Flugel. Sechs Lieder
von ihm kamen zum erstenmal zu Gehor. Sie
sind, wie alle Kompositionen dieses Tonsetzers,
vornehm gehalten und verraten ihre Abhangig-
keit von den letzten Klassikern der LiedkunsL
— Elfriede Lotte Huff besitzt zu wenig Stimm-
material, um als SSngerin etwas bedeuten zu
konnen; ihr Vortrag war zum Teil nicht fibel.
— Ein ganz achtbares Vortragstalent ist auch
Elsa Meta Ling. Ihre Stimmbildung mufi vorerst
noch grfindlich gebessert werden. — Walter
Thiele ist ein Pianist mit kraftigem — meistens
zu krfiftigem — Anschlag. Der Pedalgebrauch
und seine musikalische Auffassung der von ihm
gespielten Stficke lassen noch recht viel zu
wfinschen fibrig. — Georg Funk soil ein guter
Domsanger sein, wie ich zufallig horte; fur
einen Solosanger reicht weder seine Stimme
noch sein Vortrag aus. — Einen Liederabend
veranstaltete der Oratorien-Verein zu Neu-
k611n. Dank der Umsicht seines Dirigenten
Johannes Stehmann und des guten Stimm-
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KRITIK (KONZERT)
183
materials kamen s3mtliche Chore vortrefflich
heraus. Als Solist wirkte Valentin Ludwig mit,
der leider von einem Herrn am Flugel sehr un-
sauber begleitet wurde. — Im ausverkauften
Beethoven-Saal gab Julia Culp ihren ersten
Liederabend in dieser Saison. Die ausgezeich-
neten Leistungen der Sflngerin sind allgemein
bekannt; es geniigt demnach, festzustellen, daft
die Kunstlerin von ihren Vorzugen nichts ein-
gebuflt hat. Besonderes Interesse erweckten
mehrere Lieder aus dem NacblaB des jungst
so fruh verstorbenen Erich J. Wolff. Wie bei
alien friiheren Liedern dieses Komponisten,
vermiBt man auch hier die Gestaltungskraft, um
aus einem Liede ein einheitliches Ganzes zu
machen. Die beiden letzten Lieder haben
wenigstens den Vorzug vor den anderen, etwas
melodisch zu sein und daher eher anzusprechen.
Max Vogel
Marguerite Caponsacchi ist eine Cellistin,
die sich schnell ihren Weg bereiten wird. Ihr
Ton ist echt und grofi, ihre Technik, besonders
im Passagenspiel, mebr wagemutig als ausge-
glichen und ihre Auffassung frisch und meist
annehmbar, wenn man von weichlichen Ver-
zogerungen in einzelnen kleinen Phrasen absieht,
die besonders bei Bach unangenehm auffallen.
— Ernst Kraus verfehlt trotz seiner zur Genuge
beruhmten Gesangskunst auf dem Konzert-
podium zum mindesten in intimen Stucken, wie
er sie fur seinen diesjShrigen einzigen Lieder-
abend wShlte, jede tiefere Wirkung. GewiB:
er war nicht sonderlich disponiert, aber das ver-
mochte nicht den ersten unmittelbaren Eindruck,
der von Seele zu Seele sprach, zu bannen, daft
man von Kraus als einem Liedkunstler so gut
wie nichts zu erwarten habe. Arno Nadel
Der an sich schonen Stimme von Maria K re b s
gebricht es an Kultur. Der Ton ist trocken und
bart und la"Bt keine Abwechselung zu. Ober den
Vortrag ist auch nichts Gunstiges zu berichten.
Das Beste bot die Klavierbegleitung von Wilhelm
Scholz. — Ahnlich steht es stimmlich mit Helga
Petri, wenn sie auch eine bedeutend stSrkere
musikalische Intelligenz und groBeres Vortrags-
talent besitzt. Die Stimme klingt oft hauchig
und scbarf, und die Hohe pariert nicht muhe-
los. — Auch bei der Sopranistin Stephanie
Schuster konnte man wegen auffallender stimm-
licher Mangel nicht zum vollen GenuB des
prachtigen Materiales und des naturlichen Vor-
tragstalentes kommen. Die Stimme ist leider
unausgeglichen, und der Ton rutscht bei stSrkerer
Tongebung in den Hals. Eduard Behm be-
gleitete, wie immer, hochkunstlerisch. — Ein
Sanger, der in seiner Stimmkultur bedeutend
honer steht, ist der Tenorist Paul Reimers.
Die zwar nicht groBe, aber liebliche Stimme
klang diesmal frischer als je und gehorchte in
alien Lagen mustergultig. Ein fein pointierter
Vortrag vervollstandigt dieses sympathische
Kunstlertum. Fein lyrische Stucke von ihm zu
horen, die nicht einen zu groBen Kraftaufwand
erfordern, ist ein GenuB. Das Programm war
fast ganz fremdlandischen Komponisten ge-
widmet. — Die Stimme der Sopranistin Margarete
Loewe birgt im forte grofie Reize, im piano
aber tragt der Ton nicht. Die Mahlerschen
Lieder sang sie mit sicherem Erfassen ganz im
Sinne und Stile des Komponisten. ^ Der Bari- 1
o
tonist Dr. Felix Meyerowitz schien unter einer
starken Indisposition zu leiden. Sonst mufite
man sagen, daB die an sich schone Stimme noch
sehr unkultiviert ist. Er sang mehrere Novitaten
von Kahn, Scheinpflug und Kaun. Der Pianist
Walter Meyer-Radon steuerte in korrekter Art
mehrere Klaviersoli bei, von denen besonders
die Passacaglia von Ernst v. Dohn&nyi Interesse
erregte. — Der Pianist Alfred Sen roe der be-
rechtigt zu schonen Hoffnungen. Wenn auch bis
jetztsein Darstellungsvermogen und seine Technik
noch nicht voll ausgereift sind, so wird ihn doch
sein ernstes Streben, sich in die Poesieen der ver-
schiedenen Meister zu versenken, auf dem rich-
tigen Wege weiterfuhren. — Bei Felix Lederer-
Prina stellt sich durch die Sicherheit seiner
Kunst immer bald ein bestimmter Kontakt mit
dem Publikum ein. Sein wohldurchdachter, auf
hoher musikalischer Intelligenz basierender Vor-
trag ist der Hauptgrund dafur. Bei der an sich
schonen Stimme wurden sich kleine technische
Mangel wie ein manchmal etwas gaumiger Ton-
ansatz wohl leicht beseitigen lassen. Er brachte
auch einige gut gelungene Gesange eigener Kom-
position zum Vortrag. — Im Konzert von Frieda
Hem pel konnte man wieder alle Vorzuge der
beruhmten Sfingerin bewundern. Sie besitzt
sicher die bedeutendste und schonste Koloratur-
stimme der Gegenwart, und rein technisch war
die Arie aus „Ernani" mit der virtuosen Kadenz
ein unvergeBliches Meisterstuck. Aber auch die
schwierige Mozart-Arie „I1 t€ pastore" lieB in
bezug auf Stil und Ausdruck keinen Wunsch
unbefriedigt. Das Philharmonische Orchester
begleitete unter Camillo Hildebrand sehr
dezent, und die selten gespielte Ouverture „Im
Fruhling" von Goldmark sei ihm besonders an-
erkennend angerechnet. — Die jugendliche
Geigerin Irene von Dubiska steht fur ihr Alter
auf betrachtlicher Stufe des Konnens. Der Ton
ist naturgem2B noch etwas seelenlos. Bei
richtiger Entwickelung wird sie aber eine Zu-
kunft haben. Der mitwirkende Pianist Enzo
Calace ist ein sehr tuchtiger Musiker. — Einen
Tenoristen mit prachtigem Material lernte man
in Pancho Koch en kennen. Die lyrische Stimme
ist besonders in der Hohe noch nicht ganz frei,
der Ton flackert noch manchmal, aber ihr
metallischer Klang ist eine Seltenheit. — Ich
horte je einen Chopin-Abend von zwei bekannten
Interpreter die gewiB ihrem groBen Konnen
und ihrer Personlichkeit nach die Berechtigung
haben, dem groBen Polen ein ganzes Programm
zu widmen: Raoul von Koczalski und Frieda
K wast- Hod a pp. Der Pianist tut so, als hatte
er nicht mehr notig, seinen Landsmann so dar-
zustellen, wie dieser geschrieben hat. Was er
sich in seiner Nonchalance an rhythmischen
Sunden, falschen Noten und selbst Textweglas-
sungen leistet, sollte man nicht fur moglich
halten. AuBerdem kommt er meistens nicht
uber einen gewissen Salonton hinaus. Ganz
anders die Pianistin. Hier schafft eine feine
poetische Seele nach, ohne dem Willen des
Komponisten in irgendeiner Weise Gewalt an-
zutun. Ihre Farbenskala ist schier unerschopf-
lich, und der kunstlerische Ernst, mit dem sie
in alle Hohen und Tiefen dieser Poesie hinein-
leuchtet, bringt Wiedergaben zustande, die zu
einem freudigen ^SPi^lffrffail^ 11111 Thil °
UNIVERSIWOF MICHIGAN
184
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
Gediegenes Konnen und gute stimmliche Be- !
anlagung zeigte der Liederabend des S&ngerpaars
Emmy und Thorn Denijs. Hen* Denijs besitzt j
das wertvollere Material. Sein dunkler, mSnn-
lich schoner Bariton, nach Hdhe wie Tiefe gleich
ausgiebig, ist konzertmaliig geschult und be-
friedigte besonders in den ernsten und gebalt-
vollen Michelangelo- Liedern von Hugo Wolf.
Sehr schon, namentlich nach der Seite des
weichen piano hin, gelang ihm auch Schumanns
„Wer machte dich so krank" und „Alte Laute".
Mit H. Patackys Liedern erzielte er viel Beifall,
besonders mit der jklanglich reizvollen „Lotos-
blume", ohne jedoch freilich die innere Hohlheit
dieser Musik verdecken zu konnen. Emmy
Denijs' Stimme ist klein, aber angenehm, und
solange sie in den ihr demgemaft gezogenen
Grenzen blieb, vermochte sie recht erfreulich
zu wirken. Zu Strauft' w Cacilie a gehort freilich
ein grofteres Tonvolumen. — Sehr bescheiden
war wiederum das kunstlerische Ergebnis des
6. Einfuhrungskonzerts des Dusseldorfer Ver-
bandes. Einen stimmloseren Sanger wie den
Tenoristen Erwin Frey habe ich uberhaupt noch
nicht gehort. DaO seine Vortr§ge besten Willen
und auch ein gewisses Geschick verrieten, kommt
gegeniiber einem so offenkundigen Manko an
Material nicht in Betracht. Schade war es um
den Baritonisten Engelbert Haas, um so mehr,
weil es sich hier um ein bildungsfahiges und
bildenswertes Material handelt. Sein Organ
sitzt eigentlich nur in den Lagen richtig, die
uber das Gebiet des Baritonalen hinaus ins Tenor-
fach hinuberreichen. In tiefer und hoherer
Mittellage klingt die Stimme geprefit und dunn,
was durch die unleidliche Manier des Sangers,
im Ausdruck auf Kosten der Tonschonheit zu
ubertreiben, noch wesentlich hervorgehoben
wurde. Am meisten schade aber war es um
die Altistin Lydia Schmidtborn. Hatte sie
noch ein oder zweijahre in guter Schule weiter
studiert und sich die konzertmaliige Ton-
gebung, verbunden mit der unerlafilichen Elasti-
zitat des Atems angeeignet, und ware dann nach
Berlin gekommen, sie hatte einen kolossalen
Erfolg haben konnen. So hat sie nur ihr wert-
volles Material produziert, das eine so satte,
schwarze Tiefe aufweist, wie man sie in den
seltensten Fallen zu horen bekommt. — Minna
Weidele sang mit sympathischer Stimme und
befriedigendem gesanglichen Konnen einige recht
ansprechende und von Talent zeugende Lieder
von F. Crome. Ware es ihr moglicb, etwas
mehr Temperament und kunstlerische Eigenart
in ihre Vortrage zu bringen, so wurde sie
zweifelsohne starkere Eindrucke erzielen, wahrend
sie so uber das Niveau wohlanstandiger Durch-
schnittsmaGigkeit selten hinauskam. — Clodia
von Toussaint's Stimme ist klein und zierlich,
aber geschmeidig und nicht ubel geschult. Im
Vortrag erzielte sie namentlich in dem Genre
liebenswiirdiger Kleinigkeiten aparte Erfolge, so
mit Schumanns „Rdselein a und „Schnee-
glockchen", ganz besonders aber mit den fran-
zosischen Gesangen aus dem 18. Jahrhundert.
Auch Debussy's „Glocken" gelangen ihr nicht
iibel, wihrend sie sich z. B. in die hysterisch-
ekstatische Stimmung von Wolfs „Und willst du
deinen Liebsten sterben sehen* nicht recht hinein-
zufinden vermochte. Ottoji a ke begleitete wunder-
i":;i
rmocnte. uttp^ a k e oegiejtete wi
Vr::! :v, Cookie
voll und half der Kunstlerin uber manche Klippe
hinweg. — Ein sehr schones, beachtenswertes
dramatisches Material zeigte Marie Peregrinus.
Offenbare Intelligenz verbindet sich hier mit
ernstem Streben und tuchtigem Konnen. Gelang
es der Kunstlerin auch nicht, uberall uberzeugend
zu wirken, so zeigten sich doch selbst da, wo sie
irrte, Spuren von Eigenartigkeit und kunstle-
rischer Personlichkeit. Hatte die Dame in der
Wahl ihres Programms mehr auf die Eigenart
ihres Materials Rucksicht genommen, so hatte
sie sicher bedeutendere Eindrucke hinterlassen.
— Edmond Servator bestatigte in seinem
Liederabend genau die Eindrucke, die ich im
vorigen Jahre von ihm gewonnen hatte. Sein
Bestes gab er auch diesmal in der italienisch
gesungenen Canzonetta von Handel, wihrend er
beim Vortrag deutscher Lieder und Balladen
sowohl die genugende Herrschaft uber die
Sprachtechnik wie Geschmack und sachgemaGe
musikalische Auffassung vermissen lied. In
gesangstechnischer Hinsicht kamen diesmal eine
Menge flacher, ganzlich ungedeckter hoher Tone
dazu, so daB man sich verwundert fragte, wie
kann ein Sanger, der sonst Schule und Erziehung
verrat, so auffallend Unschones produzieren?
— Elisabeth Ohlhoff ist mit Eifer und
Energie bestrebt, alle Schlacken fruherer Un-
fertigkeit von sich abzustreifen. In vieler Hin-
sicht ist ihr das schon gelungen, auch der
Vortrag schien mir diesmal innerlicher als
sonst und nicht nur auf Wirkung zugespitzt.
Ihr Organ klang frisch und voll, und da sie bei
der Zusammenstellung ihres Programms nicht
durch Riicksichten eingeengt war, konnte sie
durch geschicktes Vermeiden, wenn auch
nicht hoher Tone, so doch hoher Lage uber-
all nur klanglich Vollwertiges bieten. Sehr gut ge-
lang ihr E. E. Tauberts tief empfundene „Ode* und
— last, not least — die von der Viardot zurecht-
gemachte Chopin'sche Mazurka, in der sie
brillante Koloraturtechnik zeigte. — Die glocken-
klare, frische Stimme von Eva Bruhn (hoher
Sopran) erfreute durch Wohlklang und verstan-
dige Behandlung. Bis auf die Aussprache, die
nach Seite der Deutlichkeit hin noch der Ver-
feinerung bedarf, genugt ihre Art zu singen_ und
vorzutragen kunstlerischen Anspruchen. Uber-
zeugend vermochte sie besonders da zu wirken,
wo sie ihrem, dem Tonvolumen nach nicht
groBen Organ nichts zumutete, was ihm von der
Natur versagt ist. Tandelnde Schelmerei, wie
in Wolfs „Die Sprode* oder die innige Schwar-
merei des w Kennst du das Land 1 *, liegen ihr
prachtig und hier war sie am rechten Platz und
der ihr gespendete Beifall wohl verdient. Robert
K a h n begleitete sie mit vollendeter Meisterschaft.
Emil Lie'pe
Whitney Mockridge gab, von Louise
Mock ridge begleitet, einen Liederabend; deut-
sche, englische und franzosische Lieder kamen
zum Vortrag. Die deutschen Lieder litten teils
unter ungenauer Vokalisation. Auch der musi-
kalische Gehalt wurde nicht immer erschopft.
Der lyriscbe Tenor Mockridge's hat noch vieles
von seinem sinnlichen Reize behalten, nament-
lich im mezza voce ist die Stimme von be-
strickendem, seltenem Wohllaute. Groflere
Akzente verletten den Sanger Jeider zum For-
cieren, ,-und daniL- merkt man zum groBten Be-
Ong mar from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
185
dauern, daB die Zeit fur diese von Natur aus
herrliche Stirame nicht spurlos verging. Tempi
passati. — Der Hamburger Organist Alfred
Sittard steht im Zenith seines kfinstlerischen
Vermogens. Er begann mit Joh. S. Bachs
Praludium und Fuge in Es. War letztere ein-
wandfrei in jeder Beziebung, so miBfiel mir beim
Priludium neben dem unruhigen Tempo die
geringe Steigerung der kunstlerischen Mittel.
w O Mensch, bewein' dein Sunde groB" war ein
Kabinettstuck feiner Registrierkunst, und die
folgende Passacaglia wurde spiel- und registrier-
technisch glinzend ausgefuhrt. Der zweite Teil
des Abends gehorte Max Reger. Zuerst brachte
Sittard in zwangloser Folge funf Werke aus
op. 80, op. 59 und op. 69, von denen das „Scherzo",
das „Kyrie eleison 1 * und die „Toccata a mir am
meisten zusagten. Klar und durchsichtig jede
po'yphone Stimmffihrung, logisch die Phrasierung
und die Registration hervorragend. — Maria
Heumanns Stimmaterial an und fur sich ist
recht sympathiscb. Die Vokalisation ist jedoch
kunstlich w gedeckt". Wozu dieses dunkle Timbre?
Der Effekt ist ein ganz unnatfirlicher. Auch sonst
ist manches noch nicht „all right 4 *. Die Kon-
zertantin muBte in puncto Vortrags t e c h n i k noch
manches profitieren. Am Klavier waltete seines
Amtes Eduard Behm. — Der „Verband der
konzertierendenKunstlerDeutschlands"
lud zu seinem 7. „Einffihrungskonzert a ein. Dies-
ma] machten uns ihre Aufwartung Josefa Kruis
(Sopran), Gertrud Bran des (Alt, alias Mezzo-
sopran, teilweise mit Alt-Tiefe) und Georg Ffill-
grabe (Tenor). Die Begleitung besorgte Wilhelm
Scholz ziemlich trocken. Es war fiberhaupt
keine Inspiration zu merken. Man musizierte
wacker darauf los. Die Sopranistin und der
Tenor haben doch wenigstens Qualitat in ihrer
Stimme. Ist die musikalische Reife noch ein
erstrebenswertes Ziel fur die beiden, so muteten
die „Alt a -Gesange doch ein wenig sehr dilettan-
tiscb an. Ich rate diesen „Diplom**-S2ngern, in
Zukunft ernsthaft ihren musikalischen Horizont
zu erweitern und dann vorerst unter weniger
anspruchsvoller Flagge zu segeln. — Arthur
Egidi hatte sich zu seinem 2. Konzert George
A. Walter als Partner erwahlt. Liszt sprach
diesmal das erste Wort. Die „Variationen fiber
den Basso continuo des ersten Satzes von Bach's
Kantate: Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen tf spielte
Egidi sozusagen „mit alien Schikanen**. Die
Registration war sehr gewfihlt, die Phrasierung
auBerst sorgflltig und die dynamische Aus-
gestaltung lieB wenig zu wunschen ubrig. Vor
allem storten mich auch diesmal wieder die ab-
gerissenen l jg- und Yio-Noten zum SchluB vieler
Phrasen. Wird ein Akkord besonders auffdllig
„staccato" genommen, so mag das angehen, denn
es liegt dann die Absicht einer besonders
drastischen Wirkung vor. Unbeabsichtigt
drastisch klingt's aber bei der Kantilene, die
dadurch ihren noblen Charakter verliert. Anders
ware es, wenn die akustischen Verhiiltnisse der
Paul-Gertaardt-Kirche unzulanglich waren. Dies
ist aber, wenigstens im gefullten Raume, nicht
der Fall, wie ich mich von verschiedenen Platzen
(oben und unten) uberzeugte. Vier Gesange
von Liszt: n Gebet**, „Sei still**, „Der du von dem
Himmel bist**und „Uber alien Wipfeln ist Ruh ,u
wurden von G. A. Walter unvergleichliph schdn
und stimmungsvoll gesungen. Ich habe den
Tenor Walters nie so vollendet, so empfindungs-
warm gehort. Es war ein seltener GenuB, zumal
Egidis Begleitung sich sehr stilvoll und wohl-
durchdacht in der Registerkombination dem
Melos anpaBte. Der „Psalm 94** fur Orgel von
Julius Reubke ist eine vollstandig unreife Arbeit,
fiber die sich jedes weitere Wort erfibrigt. Der
weitere Teil des Programms war funf Ge-
sSngen von Hugo Wolf und einem Vorspiel und
Fuge „Jesus, meine Zuversicht** von Hugo Kaun
gewidmet, einer schwungvollen Arbeit, die ver-
diente, des ofteren in Orgelkonzerten das Pro-
gramm zu zieren. — Paul Schmidt fuhrte im
Beethoven-Saal das Schiedmayersche „Domi-
nator**-Harmonium vor. Er eroffnete den Reigen
mit einer Transskription der Phantasie g-moll
von Bach. Sehr zu ungunsten des Harmoniums;
denn wer nur einmal dies Werk auf der Orgel
horte, wird die Bearbeitung unmoglich finden.
Meiner Meinung nach mfifite man ausschlieBlich
Ori gin a 1-Kompositionenffir Harmonium spielen.
Dann wirkt das Harmonium auch als kfinstlerisch-
origineller Klangfaktor, anderenfalls ist es ein
karikierter Abklatsch. Eine rein orchestrate
Wirkung ist aus vielen technischen Grfinden
eine pure Unmoglichkeit. Man hort z. B. eine
„Klarinette u , eine „Oboe**, ein ^Flauto** usw. in
einer Lage, die dem Originalinstrumente un-
moglich ist. Die Begleitungen verschiedener
Lieder, die Mary Mora von Goetz mit an sich
schoner, aber falsch gebildeter Stimme (zuviel
Kopfresonanz) vortrug, klangen in ihrer ge-
I schickten Registration mitunter recht interessant,
teilweise vollendet schon. Auch ein Adagio
und Scherzo aus der D-dur Sonate von
i J. Mouquet brachte Paul Schmidt sehr wirkungs-
I voll zur Geltung. Aber wohlweislich nahm er
I das Minore des Scherzo in gedehntem ZeitmaB.
Ijedenfalls wfinsche ich dem Harmonium eine
; gedeihliche Weiterentwickelung, die aber nur
| mit Hilfe der Komponisten und — last not least
— der Herren Verleger zu ermoglichen ist,
die beiderseits ffir einen guten Fonds Original-
literatur zu sorgen hatten. Eddy Brown, ein
begabter Geiger, und Hugo von Dalen wirkten
auBerdem mit. — Einen Liederabend gab Max
Wever unter Mitwirkung von Franzi Wever
(Rezitation) und Emma Friedrichs (Sopran).
Das Menfi war sehr reichlich und — unver-
daulich. Ich hoffe, daB samtliche Beteiligte
w indisponiert a waren, samt ihrem Begleiter Andrd
Tore hiana. — Anatol von Roessel hatte sich
mit dem Geraer Hofkonzertmeister Josef B 1 u m 1 e
ailiiert, um Kammermusik zu spielen. Gabriel
FaurS's Sonate op. 13, in A, ist ein Werk, das nur
kompositionstechnisch interessieren kann. Zum
SchluB spielten die beiden mit grofler Warme,
weil innerstes VerstHndnis sie vereinte, Brahms*
Sonate in d, op. 108. Zwischendurch bot der
Pianist Tschaikowskyund Chopin mitbravouroser
Technik und unglaublichem Elan. Seine Cantilene
ist aber durchweg zu hart, zu farblos. Anders da-
gegen der Geiger, der Bachs Chaconne in einer
Weise exekutierte, daB man seine Freude hatte.
— Das Programm der jungen Pianistin Martha
Berthold nahm im voraus fur sie ein. Und
die Art und Weise der Ausffihrung dieser teils
sehr schwierigen Werke bewies, daB man in
ihr ein klavieristiscfees Talent von nicht ge-
C UNIVERSITY OF MICHIGAN
186
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
wohnlicher Begabung zu ersehen bat. Brahms
(op. 5, op. 76/1, op. 10/3, op. 79/1) wurde mit
sicherer Technik und gutem musikalischen
Verstandnis interpretiert. Allerdings ist die
junge Dame noch zu sehr „Draufgangerin a . Aber
das wird sich geben, sobald sie fublt, daB
sie techniseh einwandfrei und infolgedessen be-
f3higt ist, ein Kunstwerk vollig objektiv zu er-
fassen. Solche „ReiBer a aber wie Dohnanyis
Rhapsodie op. 11 No. 4 sollte sie lieber nicht
spielen, die verderben den Geschmack. Eine
sehr witzige Komposition von Rudolf Novateck
<Pr3Iudium und Fuge) und Liszt's Des-dur Etude
und „Rigoletto a -Paraphrase interpretiertedie Kon-
zertantin dann in einer Weise, daB man ihr
ohne weiteres die gunstigste Prognose ausstellen
kann. Mochte sie sich aber buten, wie so viele
andere im Technischen zu verflachen. Das wire
wirklich bedauerlich bei ihrer Intelligenz. —
Ein fiuBerst interessantes Konzert veranstaltete
Robert Reitz mit drei feinfuhlig selbst bearbei-
teten Konzerten in A von Giuseppe Tartini,
in D von Georg Pi sen del und in G von Karl
Stamitz, die samtlich zum ersten Male zu
Gehor gebracht wurden. Den Klavierpart be-
sorgte Walter Petzet geschmackvoll und ge-
wandt. Am wertvollsten erschien mir der Stamitz
mit seiner edlen Melodik und prSchtigen thema-
tischen Arbeit. Reitz spielte mit ganzer Hin-
gebung und es war ein erlesener GenuB, ihn
die Feinheiten dieser antik-modernen Kunst in
vollendeter Spielmanier vortragen zu horen.
G. Pisendels Konzert wurde von zwei Klavieren
begleitet. Alfred Ernst spielte dabei die
„Sekondo*-Partie. Carl Robert Blum
Egon Petri zeigte an seinem Klavierabend
reifes Konnen. Musikalisches wie technisches
Vermogen halten sich die Wagschale. Das Aus-
drucksvermogen mGBte noch mehr Vertiefung
erlangen, was mit den Jahren erreicht werden
mag. Am besten gelungen war die Sonate d-moll
von Weber. — Ein Beethoven-Abend von Wil-
helm Backhaus. Ein grandioses Unternehmen.
Das Privileg der GroBen. Urn diesen GroBen
gleichzukommen, fehlt einstweilen noch das
geistige Konnen, Gestaltungsvermogen. Die
Technik ist wohl zu groBen Taten bereit, doch
fehlt ihr die Fixation. Nur Loslassen, nur Ent-
spannen muB bei Beethoven verderblich wirken,
was am klarsten bei op. Ill zutage trat. Wo
blieb der monumentale Aufbau der Arietta, wie
wir ihn bei Ansorge, d'Albert, Lamond zu horen
gewohnt sind? Ich hatte das Gefuhl eines
exakten Mechanismus, der hin und wieder von
eines Menschen Hirn zum Nachdenken ange-
halten wurde. — Stefan Thomdn loste in mir
das Gefuhl eines guten Klavierspielers aus. —
Und nun: Lisa Spoliansky. Ein bedeutendes
Talent, vielleicht ein kommender Stern. Dank
fur ihr schones Spiel, das mich reichlich fur
manche andere Klavierabende entschfidigte. —
Else und CacilieSatz trugen Werke fur zwei
Klaviere vor. Am besten gelang Cortege und
Ballet von Debussy sowie Scherzo von Saint-
Saens. Bei Mozart mochte ich den beiden Damen
anraten, sich etwas mehr mit dem Stile dieses
Meisters vertraut zu machen. DaB man (letzter
Teil des Allegro molto) mit reiner Virtuositat zu
Werke geht, flnde ich sehr unkunstlerisch.
Hanns Reiss
n-vVrjL! nv'C lOOQl'C
o
Fritz Kreisler pflegt wie sein Kollege Bur-
mester vieles und darum manchem etwas zu
bringen. In seinem einzigen diesjatarigen Kon-
zert bot er eine Sonate von Bach, ein Konzert
von Wieniawski und allerhand entzuckende
Nichtigkeiten. Gewisse Techniken beherrschen
nur ganz wenige so vollendet wie er. DaB
Kreisler auBerdem ein groBer Kunstler ist, sei
ihm von neuem attestiert, trot zd em er sich dies-
mal dem Geschmack des Publikums allzusehr
anpaflte und weniger durch Innerlichkeit als
durch Eleganz und SuBigkeit des Vortrags zu
wirken strebte. — Gleich ihm wurde auch Wanda
Landowska mit Blumen, Kranzen und endlosem
Klatschen „bedankt". Ihr Cembalo-Spiel ist un-
vergleichlich. Wenn sie Stucke von Daquin,
Couperin, Purcell u. a. vortragt, trSuint man von
vergangenen Zeiten und empfindetdie akustischen
Unvollkommenheiten dieses alten Instrumentes
nicht als storend, sondern als besonderen Reiz.
Freilich: Bach wirkt auf dem Cembalo nicht;
wenigstens fur unsere Ohren nicht mehr. Und
ein Bechstein-Flugel erfordert eine ganz anders-
geartete Technik, als sie der Konzertgeberin
eigen ist. — Leonid Kreutzer, der Tasten-
gewaltige, gab zum Erstaunen seiner Freunde
einen Chopin-Abend; und das Erstaunen wurde
noch groBer, als man merkte, daB ihm techniseh
gar vieles miBriet, wahrend er rein musikalisch
so ziemlich alles uberbot, was er bisher geleistet
hat. DaB er auf dem rechten Wege ist, kann
ernstlich nicht bezweifelt werden; einsichtige
Beurteiler haben ubrigens schon immer seine
rein musikalischen Fahigkeiten viel hoher ein-
geschatzt als seine pianistische Kraftmeierei. —
Auch der 1. Kammermusik-Abend des Mar-
teau-Quartetts uberraschte in mancher Hin-
sicht. DaB die Herren Amar, Kramm und
Georgesco dem Primgeiger nicht ebenburtig
sein wurden, war vorauszusehen; niemand hatte
es aber fur moglich gehalten, daB auch Marteau
die Horer zuweilen durch unsauberes Spiel aus
alien Illusionen reifien konne. Immerhin: man
merkte, daB ein starker kunstlerischer Wille alle
vier Quartettgenossen leitete; moge er das
n^chste Mai alle Hindernisse uberwinden. Auf
der Ruckseite des Program ms las man ubrigens
in riesengroBer Schrift: w Den gleichen Kunst-
genuB im eigenen Heim, naturgetreu dem per-
sonlichen Vortrage Henri Marteaus, vermittelt
das Grammophon. a Wirklich? Dann sollte man's
wenigstens dem Konzertpublikum nicht mitteilen.
Oberhaupt, Inserate auf Konzertprogrammen —
fort damit! Der Konzertzettel soil, wie bisher,
rein bleiben. — Ober einen Sonatenabend von
Gabriele Wi6trowetz und Robert Kahn ist
wenig zu berichten. Dem Spiel der Geigerin
fehlte es an WSrme und rhythmischer Pragnanz,
doch wurde im groBen und ganzen vornehm und
korrekt musiziert. Man konnte ein Lob spenden,
wenn nicht derartige Konzertveranstaltungen so
g^nzlich uberflussig waren. Ein offentliches
Konzert sollte stets ein Ereignis sein, zum min-
desten fur den Konzertgeber. („Du muBt es
dreimal sagen**; nein, hundertmal.) — Der Geiger
Efrem Zimbalist hatte nach seinen Erfolgen
in Amerika die Anziehungskraft seines Namens
uberschatzt und fur sein Konzert die Philhar-
monic gewahlt. Der Anblick zahlreicher leerer
Stuhlreihen beeinfluBte sichtlich seine Musizier-
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRIT1K (KONZERT)
187
freudigkeit. All das, was ihm diesmal mifiriet,
bereitet ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten,
wenn er bei Stimmung ist. (Einmal hatte er auf
der E-Saite die Oktave zu greifen, brachte aber
ein dis heraus und rutschte dann gemachlich in
den richtigen Ton hinein. Nicbts als „Wurschtig-
keit a ; aber gerade deshalb zu rugen.) Bei den
Konzerten von Vivaldi (a-moll) und Beethoven
gerieten nur die langsamen Satze einwandfrei;
iber dafur hatte man hier einen erlesenen Genufi,
den man sobald nicht vergessen wird.
Richard H. Stein
Henryk Melcer ist ein starkes Klaviertalent.
Aber freilich: sein Konnen gibt sich einstweilen
noch zu ungebardig und wurde noch in ruhigere,
abgeklfirtere Bahnen zu leiten sein. Vor alien
Dingen mufi der Anschlag kultivierter werden,
der im Forte noch setar larmend und hart ist.
Auch der reichliche Pedalgebrauch mufi be-
schnitten werden. Die Sonate von Karol
Szymanowski, mit der er sein Konzert eroffnete,
ist ein so ungeheuerlicher form- und inhalts-
loser Tonbrei, wie ich seit langem nichts gehort
babe. Obrigens hatte die Konzertagentur dem
jungen Kunstler einen kleineren Saal empfehlen
Oder dafur sorgen sollen, dali der Bluthnersaal
wenigstens einigermafien besetzt war. — Thea
von Marmont sang mit hubschem Vortrag
und mit wirklichem Empflnden. Aber die Stimme
ist technisch noch nicht auf der Hone. Es gibt
da noch eine Menge zu arbeiten, um die Uber-
gange auszugleichen. — Clare Huth hat ihre
schone und sympathische Stimme besser in der
Gewalt. Nur muB sie sich huten, die Vokale
a und e zu off en zu singen, sie klingen sonst
storend flach. Die Kopfstimme ist gut aus-
gebildet, und der Vortrag ist geschmackvoll und
musikalisch. Max Burkhardt
OREMEN: Das erste Konzert von Bedeutung
" gab der Bremer Lehrergesangverein
unter Ernst Wen del vor seiner Konzertreise
nach dem Elsafi und der Schweiz. Die Sanger
boten auQer einem Straufi herrlicher Volkslieder
u. a. zwei gewaltige Chore von Hegar, „1813 a
und „Totenvolk a , ferner den schonen „Feldein-
samkeit" von Wendel. Als Solist erschien Adolf
Metz, der erste Konzertmeister unseres Phil-
barmonischen Orchesters. — Im Konzert des
rustig weiterschreitenden Victors chen Chors
interessierte am meisten die Neuheit „Das
Tranenkruglein" op. 57 von Georg S ch u m a n n.
DieSolisten warenKSte H6rder(Sopran),Therese
Funk (Alt), Helmuth Neugebauer (Tenor),
Martha Arndt (Klavier), Ernst Bremner (Har-
monium) und O. Schroder (Harfe). Die edle,
zarte und niemals triviale Musik findet ergreifende
Tone fur Trauer und Betrubnis; sie erhebt sich
zu grofier Innigkeit, da wo der innerliche Auf-
stieg vom Dunkel zum Licht in der Seele der
Mutter sich vollzieht. Den Schlufi des eindrucks-
vollen Konzerts machte Hans Hubers Lieder-
zyklus „Lenz und Liebe". — Einen schonen,
leider nicht sehr besuchten Liederabend ver-
anstaltete Leonore Wa liner; sie sang, von
Julius Schlotke begleitet, Lieder — meist
ernsten Inhalts — von Schumann, Bergh, Delius,
Klengel, Wetz und Arnold Mendelssohn.
Prof. Dr. Vopel
r\RESDEN: Das 1. Hoftheater-Konzert der
*-* Serie A bot den Horern Mozart und Beet-
o
J":;t':l^j
hoven in kostlichen ruhigen Stunden edlen Ge-
niefiens; auch der erste Kammermusik-Abend
des Petri-Quartetts, in das der Leipziger
Gewandhausbratschist Un ken stein an Spitzners
Stelle neu eingetreten ist, war lediglich den drei
klassischen Meistern gewidmet. Der Klavier-
abend von Egon Petri erbrachte den Beweis
dafur, dali dieser Kunstler nach einer Zeit des
Virtuosentums reiner, reicher und reiferin seiner
Kunst geworden ist und an Plastik des Vortrags
nicht minder gewonnen hat wie an Klangschon-
heit des Tones. Dafi er ein selten gespieltes
Werk, die Sonate d-moll von C. M. v. Weber,
wieder ans Licht zog, war besonders dankens-
wert. In seiner Eigenschaft als Chopin-Spieler
hat Raoul v. Koczalski gegenwartig nur wenige
ebenburtige Nebenbuhler. Die Frage bleibt aber
aufzuwerfen, ob nicht die ausschliefiliche Pflege
dieses einzigen Tondichters, der sich Koczalski
seit einigen Jahren widmet, auf die Dauer zur
Einseitigkeit und Manier fuhren mufi. Artur
Scbnabel und Carl Flesch brachten an ihrem
Sonatenabend, in dessen Verlauf sie wieder durch
geradezu ideales Zusammenspiel entzuckten, eine
Neuheit zur erfolgreichen Urauffuhrung: eine
Violinsonate d-moll von Theodor Blumer jun.
Die viersStzige Tonschopfung besticht durch
hubsche Einffille, eine modern-wirksame, aber
nicht extravagante Schreibweise und geschickte
Ausnutzung beider Instrumente. Allerdings stellt
Blumer seine Themen jetzt noch meist neben-
einander, anstatt sie in guten Durchfuhrungen
zu verarbeiten, aber er hat etwas zu sagen und
tut dies in einer so angenehmen Weise, dafi man
den starken Publikumserfolg der Sonate begreif-
lich flnden kann. Otto Mockel (Klavier) und
Fritz Rothschild fiihrten hier den englischen
impressionistischen Tonsetzer Cyril Scott ein
und erzwangen durch charaktervolle, feinfuhlige
Wiedergabe einer Violinsonate und einer Reihe
von Klavierstucken alle Hochachtung vor seinem
Suchen nach neuen Bahnen, mochte auch vieles
bizarr, hart und gemacht klingen. Ein Lieder-
abend von Susanne Mittasch, die u. a. einige
sehr klangreiche, aparte Lieder von Rudolf
Hfinsel sang und eine Verstarkung ihrer Stimme
und ihrer Vortragskunst erkennen liefi, verdient
noch Erwahnung. Im ubrigen scheint, trotz
aller Bestrebungen zu ihrer Eindammung, die
Musikflut in diesem Winter noch hoher anzu-
schwellen als je zuvor. F. A. Geifiler
CRANKFURT a. M.: Die Reihe der Ton-
* kunstlerkonzerte unter Max Kaempfert
begann dieses Mai mit Cherubinis „Anakreon u -
Ouverture, die man erfreulicherweise wieder
einmal horen konnte. Max Reger und Paula
Stebel spielten Mozarts Doppelkonzert fur zwei
Kiaviere (K. V. No. 365) etwas ungleich. Bachs
5. Brandenburgisches Konzert und Beethovens
Funfte waren die anderen Stucke des erfreulich
gut besuchten Konzerts, dessen kunstlerische
Leistungen ein gutes Niveau zeigten. — Das
Hock-Quartett setzte sich mit gutem Gelingen
fur ein Streichquartett in e-moll von Emil
Bohnke ein, das besonders im ersten Satz
eine bedeutsame Talentprobe darstellt und die
Offentlichkeit auf diesen jungen Komponisten
aufmerksam machen mufi. Lieder und Quartette
von Joseph Marx bildeten die weiteren wertvollen
Gaben dieses interessanten Abends. — Von den
T x Original from
11 UNIVERSITY OF MICHIGAN
188
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
kleinen Solisten verdienen besonders der hoch-
begabte Pianist Paul Schramm Erwahnung. — Die
Konzerte des „Verbandes dcr konzertieren-
den Kunstler Deutscblands e. V." wiesen
einen argen musikaliscben Tiefstand auf.
Karl Werner
GRAZ: Die neue Konzertsaison brachte bisher
zwei Festkonzerte, die durch das 50jahrige
Jubilaum des Steirischen Sangerbundes be-
dingt waren. Es handelt sicb um durchaus ge-
lungene Auffuhrungen von Chorwerken, an denen
samtliche dem Bund angehorigen Vereine mit
ihren Dirigenten beteiligt waren. — Die Feier
des 50j3hrigen Bestandes der Grazer Handels-
akademie wurde durch ein volikommen serioses
Symphoniekonzert begangen. Das Grazer
Opernorchester brachte hierbei unter Opern-
kapellmeister Ludwig Seitz die Zweite von Beet-
hoven, „Les Preludes" von Liszt und das „Meister-
singer tt -Vorspiel von Wagner zu gerundeter
Wiedergabe. Da Seitz der kiinftige Dirigent der
Grazer Symphoniekonzerte ist, hatte dieser Abend
als erfolgreiches Debut eine besondere Bedeutung
fur unser Musikleben. — Aus der verflossenen
Saison sind nachtragsweise noch der Erwahnung
wert: ein Konzert des Grazer Mannergesang-
ve reins mit Neuheiten von StrauB, Heuberger
und Othegraven, wobei auch elne junge Operetten-
sangerin, Olga Koch oil, zum erstenmal als
Solistin das Konzertpodium betrat und durch
groBe Stimmschonheit, feine Kultur und uber-
raschende kunstlerische Ausdrucksfahigkeit an-
genehm auffiel, ferner eine Richard Wagner-
Fes tfeier des Grazer Wagner-Vereins, wobei
der fur Bayreuths Sache verdienstvolle Friedrich
H ofmann die Festrede hielt und die funf Lieder
des Meisters durch Lotte Bunzel zum Vortrag
gebracht wurden, ein Liederabend der Grazerin
Thea Herberger und das 3. Festkonzert des
Akademischen Gesangvereins „Gothia u , an-
laBlich des 50. Stiftungsfestes, wobei samtliche
Chorwerke, mit deren Urauffuhrung der Verein
im Laufe der funfzig Jahre seines Bestehens
besonderen Erfolg gehabt hatte, zur Auffuhrung
kamen. Jedenfalls eine sinnige, historisch inter-
essante Ehrung, die der Verein mit seinem tuch-
tigen Leiter Dr. Julius von Weis-Ostborn sich
selbst darbrachte. Dr. Otto Hod el
LJALLE a. S.: Das 1. Symphoniekonzert
** unter Hans Hermann Wetzlers Leitung
bedeutete einen Erfolg auf alien Linien; es war
bewundernswert, wie er in der kurzen Zeit seines
Hierseins das Theaterorchester seinen leisesten
Winken gefiigig gemacht hat. Das Wagnis mit
Brahms' e-moll Symphonie und Beethovens
3. Leonoren - Ouverture gelang volikommen.
Sehr zu loben ist auch die Aufstellung
stilvoller Programme. Solist war Carl
Flesch mit Beethovens Violinkonzert, das
er zwar tonschon, aber nach meinem Gefuhle
nicht groB genug spielte. — An Solisten lieBen
sich bis jetzt horen: Raoul von Koczalski,
dessen Starke wie immer in Chopin runt,
W. Bardas, dem viel Gutes nachgeruhmt wurde;
M. Porges fand den Mut, ein Cellokonzert von
Fritz Kauffmann und eine Solosuite von Bach
vorzutragen und verdient schon darum ein Extra-
lob. Paul Schramm zeigte sich als gewandter
Pianist und trotz seiner Jugend schon warm
empfindender Musiker. Martin Frey
:r:\zo
HAMBURG: Die ersten Konzerte der neuen
Saison bewiesen, daO der Dirigiersport, den
manche vielleicht fur eine recht heilsame gym-
nastische Leibesiibung halten, immer weitere
Kreise zieht und unter den leidlich bemittelten
Musikern nachstens wohl an Stelle des Polo
oder Tennis treten wird. Unter diesem Ge-
sichtspunkt zu wurdigen war z. B. ein Orchester-
konzert, bei dem ein Herr Gales — aus Amerika,
wie das Programm summarisch mitteilte —
das Orchester des Vereins der Musik-
freunde in gemaBigter Gangart ritt. Hoffen
wir, daB Herr Gales den hygienischen Zweck,
der mit dieser Ubung verbunden gewesen sein
mag, erreicht hat. Einige Tage spater erschien
an der Spitze desselben Orchesters dann ein
wirklicher Dirigent, Hans Pelz, Stadtischer
Kapellmeister aus Hagen, der sowohl als fiber-
legener, gewandter und erfahrener Leiter be-
kannter Werke der Instrumentalliteratur, wie
als gewissenhafter und temperamentvoller Aus-
leger komplizierter moderner Orchesterwerke in
alien Ehren auch vor einem anspruchsvollsten
Auditorium bestand. Die Novitat, deren Herr
Pelz sich angenommen hatte: eine Orchester-
phantasie von Martin Fried land, erwies sich
dabei als durchaus wiirdig der Berucksicbtigung
und der propagatorischen Initiative des Dirigenten.
Sehr gliicklich debiitierte mit einem Brahms-
Abend Herr Ammermann als Dirigent von
Kraft und suggestivem EinfluB auf das Orchester.
Heinrich Che valley
UANNOVER: Die Konzertsaison hat mit An-
*^ fang Oktober prSzise wie immer eingesetzt,
ohne allerdings bislang mehr wie einige ver-
heiBungsvolle praludierende Akkorde geboten
zu haben. Zwei Beethoven-Abende des jungen
Pianisten Walter^ Gieseki ng frappierten durch
die technische Uberlegenheit und die geistige
Beherrschung, mit derderkaum Achtzehnjahrige
die Sonaten : „Path6tique a , B Mondschein a , w Wald-
stein a , jjAppassionata", c-moll op. Ill, B-dur
op. 106 und das Es-dur Konzert vortrug. Ein
Duo-Abend von Sascha Culbertson (Violine)
und Otto Nikel (Klavier) hinterlieB prachtige
Eindrucke. L. Wuthmann
J/"ARLSRUHE: Die Symphoniekonzerte der
*^ Hofkapelle unter Fritz Cortolezis*
Leitung verheiBen manches interessante Pro-
gramm. Im 1. Konzert kam neben Mozarts
Es-dur Symphonie, die eine technisch einwand-
freie Ausfuhrung erfuhr, Bruckners riesige B-dur
Symphonie in sehr durcbdachter, plastischklarer
und klangschoner Wiedergabe zu Gehor. — Die
von der Konzertdirektion K. Neufeldt ver-
anstalteten Kunstlerkonzerte brachten zunachst
das Klingler-Quartett, das mit wundervoller
klanglicher Ausgeglichenheit und restloser Er-
schopfung des Inhalts Quartette von Haydn und
Beethoven und im Verein mit Heinrich Orden-
stein, als ganz trefflichem Interpreten der
Klavierstimme, Brahms' inhaltsschweres f-moll
Quartett spielte. — Ein beachtenswertes Konzert
veranstaltete der Baritonist WeBbecher, der
mit Hugo Rahner als feinfuhligem Begleiter
eine Anzahl fur hier vollig neuer und eigen-
artiger, stark an Hugo Wolf erinnernder Lieder
von Joseph Marx zur gelungenen Wiedergabe
brachte. Franz Zureich
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
189
LONDON: Im Vordergrunde des musikalischen
Interesses in Albion stand das Musikfest
zu Leeds, das alle drei Jahre stattfindet. Es
brachte als wichtigste NovitSt Edward Elgars (
symphonische Studie „FaI staff". Ein neues
Werk von Elgar gehort stets zu den Ereignissen
des englischen Konzertlebens, und zwar mit
gutem Recht. Denn wenn das hiesige Urteil
den Tonsetzer den wahrhaft GroBen zuzahlt, so
ist das keineswegs als Obertreibung zu be-
trachten, die auf britischen Lokalpatriotismus
zuriickzufuhren ware. Als kein geringerer denn
Hans Richter vor einem Jahrzehnt an der Co-
vent Garden Oper das Elgar-Fest veranstaltete,
erkannte man in seinem ungemein kuhnen
Ideenflug, der meisterhaften, originell und blen-
denden Handhabung von Chor und Orchester
sofort einen „neuen Mann tf . Bei Elgar mag der
auliere Glanz die Idee stellenweise in den
Schatten stellen, nichtsdestoweniger erblicken
wir in ihm einen der charakteristischesten Ver-
treter der Moderne, der aber bei aller Freiheit
doch mehr oder weniger die klassischen Formen
wabrt, wovon seine Variationen, die beiden
Symphonieen, das Violinkonzert usw. beredtes
Zeugnis ablegen. Elgar ist keineswegs Mode-
komponist, sondern geht unbeirrbar seine eigenen
Wege. Da er, abgesehen von dem Chorwerk
„We are the music-makers", seit der zweiten
Symphonie vor zwei Jahren mit keiner neuen
Schopfung hervorgetreten, war man auf „Falstaff"
um so mehr gespannt. Ein endgultiges Urteil
uber das komplizierte Werk mussen wir uns bis
nach der Londoner Auffuhrung vorbehalten. Der
erste Eindruck war jedenfalls ein sehr bedeuten-
der. Elgar mag durch das Beispiel „Till Eulen-
spiegel" und „Don Quixote" angeregt worden
sein. Nun hat er einen britischen Nationaltypus
symphonisch auf die Beine gestellt. Doch setzte
er nicht den Shakespeare'schen ausgelassen-
leichtsinnigen Falstaff in Musik um, sondern den
weit tiefsinnigeren, tragischeren der Historic
Die „Studie a — ausgesprochene Programm-
musik — bedient sich, ebenso wie Straufi in
„Don Quixote" und „Till Eulenspiegel" zum Teil
der Rondoform, zum Teil der Variationen; die
Rondo form soil das Beharren der Individualist,
die Variation ihre Veranderung durch die auf
sie von auBen wirkenden Dinge illustrieren.
Falstaff wird in verschiedenen Phasen bis zu
seinem Ende gezeigt. Die Studie zerfallt in vier
obne Unterbrechung gespielte Teile, die durch
alien gemeinsame Leitmotive zusammenhiingen.
Der erste Teil „Falstaff und Prinz Heinrich"
illustriert den Ritter als „fetf, kuhn, aufrichtig,
lustig, genuBsuchtig" in einer Reihe von Haupt-
tbemen mit uberwaltigendem Humor und cha-
rakterisiert nicht minder iiebevoll und ausdrucks-
kraftig den lustigen Prinzen. Der zweite Teil:
„Zechgelage, Nachtschwarmerei und Traum" ge-
hort mit seinen prachtvollen Kontrasten gewifi
zu den interessantesten Schopfungen des Kom-
ponisten. Falstaff traumt von seiner Jugend, als
er noch Page war, und hier entfaltet Elgar den
ganzen Klangzauber seines Orchesters und alle
Innigkeit seiner Tonsprache, schreckt aber
andererseits nicht vor den letzten Konsequenzen
des Realismus zuruck, indem er z. B. Falstaffs
Schnarchen illustriert. In wirksamem Gegensatz
zu derzarten Lyrik des zweiten steht dejr robuste,
o
Kr:\zo:
stark bewegte dritte Teil: „FaIstaffs Marsch,
seine Ruckkehr durch Gloucestershire, der neue
Konig und der eilige Ritt nach London." Hier
wird schon mit vieler Kunst die Wendung von
Falstaffs Schicksal vorbereitet. Der vierte und
letzte Teil schildert anfangs mit Pomp und Ge-
prfige die Kronung des neuen Konigs in der
Westminster-Abtei und sodann, wie Falstaff in
Ungnade fallt. Der rauschende Festesjubel ver-
wandelt sich allmahlich in ein tief ergreifendes
Pathos, bis zuletzt der unselige Ritter auf dem
Sterbebett liegt und einsam aus dem Leben
scheidet. Hier denkt man unwillkurlich, be-
sonders bei einem Cellosolo, an „Don Quixote",
die Musik ist jedoch speziflsch Elgarisch. So
sehr sich der Komponist darin der StraufJ-Schule
genahert haben mag, so wenig hat er von seiner
Originalitat eingebulit. Sein Humor und Pathos
sind seit den letzten Werken enorm gewachsen,
seine Orchestertechnik noch weit verblQffender.
Die Meisterschaft seiner Instrumentation scheint
nur durch den seltsamen Umstand erkiarlicb,
dafi Elgar einst eine kleine Kapelle in einem —
Irrenhaus dirigierte, wobei er fur die seltsamsten
Kombinationen von Instrumenten schreiben
mufite. ^Falstaff" wurde mit lebhaftem Enthusias-
mus aufgenommen und wird zweifelsohne bald
seinen Weg nach dem Kontinent finden. — Das
gleiche Fest brachte, abgesehen von klassischen
und Wagner- Werken und einer Auffuhrung von
Elgar's „Traum des Gerontius", noch Granville
Bantock's klangschone symphonische Dichtung
„Dante und Beatrice", den interessanten w Mystic
Trumpeter" („Mystischen Trompeter - ) des Jren
Hamilton Harty fur Baritonsolo, Chor und Or-
chester (nach den Worten Walt Whitman's) und
die stimmungsvolle Rhapsodie „A Shropshire
Lad" („Der Junge aus Shropshire") von George
Butterworth, fur welch letztere sich Nikisch,
der das Musikfest zum Teil dirigierte, mit ge-
wohntem Feuer einsetzte. Auch Parry's „Ode
to Music" („Ode an die Musik") und Basil
Harwood's fein empfundenes Chorwerk „On a
May Morning" („An einem Maienmorgen") seien
hervorgehoben. — Die „Promenade"-Kon-
zerte in der Queen's Hall, deren 19. Saison
am 16. August festlich begann, sind bereits —
wir konstatieren es hier mit Genugtuung — zu
einer Art nationaler Institution geworden. Hohes
Lob gebuhrt ihrem auflerst riihrigen, vielseitigen
Dirigenten Henry Wood, der zu einer Zeit, als
London musikalisch noch in den Windeln lag,
es nicht nur fur die Klassiker empfanglich
machte, sondern nach und nach auch Brahms,
Tschaikowsky, Straufi und Elgar einfuhrte. Nun-
mehr lafit Wood in seinen Konzerten auch
Mahler, Reger, Schonberg, Debussy, Delius,
Scriabin und viele andere der Modernsten zu
Worte kommen. Bei diesen „popularen" Kon-
zerten, die mit Ausnahme von Sonntag allabend-
lich bis zum 25. Oktober stattfinden, bringt Wood
eine grofie Anzahl interessanter Novitaten. Der
Pianist Percy Grainger brachte seine beiden
stark zundenden Orchestertanze „Mock Morris"
und „Shepherds Hey" erfolgreich zu Gehor. Die
liebenswiirdigen n Vier Lieder Shakespeare's" mit
Orchester von Eric Coates fanden beifallige
Aufnahme. Eine „Orchesterphantasie uber zwei
populare Lieder aus Anjou" machte mit Guil-
aume Lekeu, dem-v friihzeitig verstorbenen
Original fTom
1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
190
DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913
Schuler C£sar Franck's und Vincent dandy's be-
kannt. Die begabte Komponistin Ethel Smyth
dirigierte ihre von Kraft uberschaumende Ouver-
ture zur Oper „The Wreckers" („Strandrecht"),
die man bereits in Deutschland kennt. Nicht
minder packend wirkte El gar's brillante „Coc-
kaigne"-Ouvertiire. Das Publikum begeisterte
sich nicht allein fur StraufT »Tod und Ver-
klarung", „Don Juan" und „Heldenleben a ,
sotndern auch fur „Don Quixote" und die „Sin-
fonia domestica". Cyril Scott vertrat den rein
impressionistischen Stil in den „Gedichten fur
Orchester" „The Twilight of the Year" („Im
Zwielicht des Jahres") und „Paradise Birds"
(„Paradiesvogel"). Herman Koenig spielte er-
folgreich Viextemps' Erstes Violinkonzert. Ferner
hob Wood Glazounow's neues Klavierkonzert
in f-moll (op. 92), das Godowsky gewidmet ist,
bei den w Promenades" aus der Taufe. Es ist in
seinen beiden Sfitzen — Allegro moderato und
Thema mit Variationen — von starker Erfin-
dungskraft, die Variationen erinnern an Brahms.
Der Solopart bietet dem Pianisten schone Ge-
legenheit zur vollen Entfaltung seiner Kunst.
Auch die effektvollen Orchestervariationen Jules
Harrison's „Down among the dead men" („Tief
unten bei den Toten") fanden beifallige Auf-
nahme. Thomas Dun hill's Orchesterstuck „The
King's threshold" („An der Schwelle des Konigs")
nach des Iren W. B. Yeats gleichnamigem Ein-
akter ist eine solide Arbeit. Sehr fein und zart
ist die Instrumentierung von Reynaldo Hahns
Suite fur Blasinstrumente, zwei Harfen und
Klavier (an letzterem Henry Wood) „Le bal de
Beatrice d'Este", eine Reihe von Tanzen im alten
Stil. Nicht weniger Beifall hatte Dohn£nyis
Cello-Konzertstuck in D. Eine interessante
Novitat warenDebu ssy's w Images",zweiteSerie.
Der Titel „Iberia" weist auf Spanien. Die Stucke
sind zum Teil Sufterst realistisch in der Ton-
malerei des Stralienlebens und des Getummels
an einem Festtag, so realistisch, wie man es bis-
her von Debussy gar nicht erwartet hitte. Im
mittleren Satz „Dufte der Nacht" kehrt der
Komponist wieder zum Impressionismus zuruck
und gibt uns ein zart und eigenartig empfundenes
Stuck seiner Muse. Rimsky - Korssakow's
Klavierkonzert in g-moll (von Eleanor Spencer
geschmackvoll vorgetragen) zeigt den Tondichter
nicht gerade von seiner stiirksten Seite. Arnold
Bax, stark impressionistisch in seiner Ausdrucks-
weise, brachte zwei reflektierende Orchester-
skizzen von schonem Stimmungsgehalt. Die
„Meeres-Suite" Frank Bridges beruhrte eher
niichtern als poetisch. Busoni's Violinkonzert,
das Wood zum erstenmal in London auffuhrte,
ist ein friihes Werk und zeigt den Komponisten
weniger in seiner Eigenart. Der erste Satz
machte den reifsten Eindruck. Interessant und
bezeichnend fur den spateren Busoni ist eine
Art „ernst-komischerMarsch" am Ende, „pomposo
umoristico" zu spiclen. Der dankbare Solopart
wurde von Arthur Catterall vortrefflich erledigt.
Maurice Ravels „Valses nobles et sentimentales"
sind voll von franzdsischem Esprit und zierlicher
Grazie, nur verliert sich seine Harmonik oft ins
Gesuchte und Geklugelte. Hervorgehoben sei
Ellen Neys virtuoses Spiel in Brahms' Klavier-
konzert in B. Zuletzt erwahnen wir noch die
englische Erstauffuhrung von Bacjas Aria „H6rt
o
:r:\zo
doch, der sanften Floten Chor* aus der Ge-
burtstags-Kantate zu Ehren Augusts III.
L. Leonhard
LUZERN: Die Grundlage der musikalischen
Sommersaison 1913 bildeten die 750 Unter-
haltungs- und Promenadenkonzerte des Kur-
saal-Orchesters unter Leitung des Maestro
Angelo Fumagalli von der Mailinder Scala;
ferner die 250 Konzerte des Stiftsorganisten
F.J. Breitenbach und J. Breitenbach,Sohn,
auf dem beruhmten Orgelwerk der Hofkirche,
Einzelnereignisse waren die Concerts Mo-
d ernes im Kursaal unter solistischer Mitwirkung
von Moriz Rosenthal, Fritz Kreisler, Adelaide
v. Szkilondz (Gesang), Birgit En gel 1 (Gesang)
und mit Orchesterwerken von Wagner, Cheru*
bini, Francis Thom6 und Dirk Schafer; dann
zwei Auffuhrungen des Verdi'schen Requiems
durch den Stadtischen Konzertverein
(Damenchor) und die Liedertafel mit den
Solisten Tilly Cahnbley (Sopran), Ilona Durigo
(Alt), Alfred Flury (Tenor), Paul Boepple (Bafi)
in der akustisch ausgezeichneten Jesuitenkirche;
und endlich das Wagner-Zentenar-Festkonzert
in der nur wenige Schritte vom Wagner-Wohnsitz
Tribschen entfernten Luftschiffhalle unter Auf-
fuhrung der Vorspiele zu „Tannhauser", ^Tristan"
und ^Parsifal", w Tannhauser"-Erzahlung und
„G6tterdammerung*-Vorspiel mit den Solisten
Lucy Weidt (Sopran) und Hubert Leuer (Tenor>
und einem aus den Luzerner Orchestern und
Zuzug aus Zurich, Basel und Freiburg i. B.
formierten 140kopfigen Orchesterapparat. Die
Requiem-Auffuhrungen und das Wagner-Konzert
wurden vom Stadtischen Musikdirektor Robert
Denzler geleitet. A. Schmid
MAINZ: Das Eroffnungskonzert der Stadt-
ischen Kapelle verlief auBerordentlich
anregend und dokumentierte unter Kapellmeister
Gorters zielbewufiter Leitung ein rastloses
VorwUrtsschreiten auf kiinstlerischer Hohe.
Moriz Rosenthal wirkte geradezu verbluffend
durch die fabelhaft vollendete Technik seiner
Hande, wie durch sein nuancenreiches Spiel,
das mit Chopin's e-moll Konzert und ver-
schiedenen Solovortragen das Publikum in helies
Entzucken versetzte. Von Orchesterwerken
wurden Beethovens Vierte und als Novitat
E. W. Korn golds Schauspiel-Ouverture ge-
boten. Die erstaunliche Fruhreife dieses Knaben
beruhrte geradezu beangstigend, wenn man an
Hand der Partitur dieses keck erfundene und
geradezu raffiniert modern instrumentierte Or-
chesterwerk verfolgt. Die Neuzeit hat an Wunder-
kindern eine erkleckliche Anzahl hervorgebracht;
an Selbsiandigkeit und universellem Konnen,
an kraftvoller Priignanz und Ausdrucksfahigkeit
seiner Gedanken durfte der kleine Korngold
bis jetzt unerreicht dastehen.
Leopold Reichert
MOSKAU: Das St. Petersburger Streich-
quartett eroffnete die Saison mit einem
Zyklus von Kammermusikwerken Sergei Tane-
jew's, bei dem der Tonsetzer als Pianist mit-
wirkte. Es war ein Unternehmen S. Kusse-
witzki's; ihm haben wir es zu verdanken, da&
wir den Hochgenufi hatten, die Werke des
Meisters im Zusammenhang an drei Abenden
zu hdren. — Sodann folgte ein Trio-Abend der
Gesc bWll^ b rfi scb0,z ' von denen Lea>
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
191
die altere, eine Vollblut-Geigerin, bei dieser Ge-
legenheit ihr zehnjahriges Wirken als ausubende
Kunstlerin feierte. E. von Tidebdhl
MUNCHEN: Eine Verblndung zwiscben der
sommerlichen Konzertsaison und der be-
ginnenden Winterkampagne stellten die Volks-
Symphoniekonzerte des Konzertvereins
her, die noch wahrend des Zyklus der Fest-
konzerte wieder aufgenommen und danach ohne
Unterbrechung weitergefuhrt wurden. Erwabnens-
wert sind die Auffuhrungen des herrlichen Es-
dur Konzerts fur zwei Klaviere von Mozart
(Kocbel No. 365) mit Rose und Ottilie Sutro
als Solisten und der Blaserserenade von Richard
StrauQ, fur die man Paul Prill dankbar zu sein
batte. Als eine neue Erscheinung traten die
„Einfuhrungskonzerte a des „Verbandes der
konzertierenden Ktinstler Deutsch-
lands a auf den Plan. Es fanden deren hier
bis jetzt drei statt mit dem Ergebnis, daft man
den Gedanken dieser Veranstaltung, die den
Novizen des Konzertsaals den Schritt in die
Offentlichkeit erleichtern soil, vorderhand kaum
als sehr glucklich wird bezeichnen konnen. Von
den jungen Kunstlern, die man in den Ein-
fuhrungskonzerten borte, sind die Sopranistin
Erna Piltz (die u. a. Kinderlieder von Gustav
Levin sang), der Tenorist Hans Auer und etwa
noch die Altistin Lydia Schmidtborn hervor-
zuheben, die Sopranistin Hanny Heyer, der
Tenorist Ludwig Deutscb, der Baritonist Peter
Lambertz, der Kontrabassist Louis Winsel
und die Rezitatorin Elisabeth H o f m e i e r- H o f f e s
zu nennen. Die Neue Kammermusik-Ver-
einigung (August Sch mid-Lindner mit dem
Streichquartett Wilhelm Sieben und Blasern
des Hoforchesters) folgten auch in ihrem ersten
diesjihrigen Konzerte der schonen Ubung, in
gleicher Weise durch das Programm wie durch
seine Ausfuhrung zu fesseln. Das allzustark
von Brahms beeinfluftte, aber durchweg den
ernsten, geschulten Musiker verratende Trio fur
Klavier, Klarinette und Horn op. 3 des Land-
grafen Alexander Friedrich von Hessen inter-
essierte, das geniale Trio in fis-moll op. 1 No. 1 (!)
von C£sar Franck begeisterte. Genuftreich waren
auch der Liederabend der vornehmen Altistin
Ilona K. Durigo (mit Gesangen von Bach,
Beethoven, Schubert, Brahms, Grieg und Kjerulf)
und der Lieder- und Duettenabend, den die Altis-
tin Anna Erler-Schnaudt und der Baritonist
Max Krauft zusammen gaben. Alexander
Petschnikoff, der seit dem Beginn dieses
Studienjahres an unserer Akademie der Ton-
kunst wirkt, spielte mit seiner Gattin Lili, von
Willy Bardas begleitet, die reichlich triviale
Zweite Serenade fur zwei Violinen und Klavier
von Christian Sinding und bewfihrte sich im
ubrigen als virtuoser und eleganter Geiger. Der
Abend des LautensSngers Rolf Rueff wurde
durch die Mitwirkung des Munchner Gitarre-
quartetts bereichert, das aufter einem alteren
Werke von Gragniani auch eine Quartettkom-
position seines Mitgliedes H.Albert vorfuhrte.
Hohe Anerkennung fand der Brahms-Abend
Severin Eisenbergers, wahrend die piani-
stischen Leistungen von Louis Cornell kaum
zu interessieren vermochten. Tuchtiges bot der
Geiger Josef Blumle mit dem Pianisten Anatol
von Roessel. Kitty Cheatham aus New York
wuftte ihr Publikum mit alten Negergesangen
und Kinderreimen (in englischer Sprache) gut
zu unterhalten. Rudolf Louis
D1GA: Der ^Deutsche Theater- und Konzert-
**> verein", unter dessen Agide sich neuerdings
das Rigaer Symphonieorchester (70 In-
strumentalisten) befindet, gab neben etlichen
Nachmittags- und Abendkonzerten auch jungst
sein erstes Abonnementskonzert. Unter
Georg SchnSevoigts Leitung brachte der
Abend die Zweite von Brahms, ein in feierlich-
ernster Stimmung gehaltenes V7erk w Redemp-
tion a von C6sar Franck und die wenig originelle,
aber gewandt instrumentierte, in Tanzrhythmen
sich wiegende „Lustige Ouverture a von Felix
Weingartner. An der Ausfuhrung nahmen Or-
chester und Dirigent durchweg ruhmlichen An-
teil. Der Solist der Veranstaltung, Wilhelm
Kartasz, erwies sich als ein technisch trefflich
geschulter Tenorist mit jugendfrischen Stimm-
mitteln. Fur den Vortrag des deutschen Liedes
fehlt ihm einstweilen noch das rechte Stilgefuhl,.
sowie eine einwandfreie Diktion. An Lieder-
abenden intimerer Natur seien diejenigen der
Herren Peter von der Osten-Sacken und
William Pitt Chatham vermerkt.
Carl Waack
7ORICH: Die Tonhalle-Pavillonkonzerte
" des Sommers und die kunstlerisch meist
durchaus wertvollen Orgelkonzerte Paul Hinder-
manns haben ihren Abschluft gefunden. Mit
dem Oktober begann die eigentliche Musiksaison.
Den Reigen der Winterkonzerte eroffnete der
Italiener Bastionelli mit einem eigenen Kom-
positionsabend. In der vorausgehenden Reklame
Iiefl er in hochtrabender Weise verkunden, die
moderne italienische und deutsche Musik sei
nichtswertig; er bringe erst das Richtige. Auf
diese Empfehlung hin war der Abend keine
Enttauschung mehr: Armut der Erfindung,
Spielerei mit Bach-Stil, Konfusion in der Ent-
wickelung. Der an diesem Abend mitwirkende
Pianist Hans Jelmoli spielte in einem be-
sonderen Konzerte stilvoll leichtere Stucke aus
der alteren und modernen Literatur in meist
eigener, ziemlich anspruchsloser Bearbeitung.
Die Sopranistin Amstad sekundierte gut mit
einigen Liedern; ihre Aussprache laflt jedoch
noch recht viel zu wunschen ubrig. Einen vollen
Genufi boten den leider nur spSrlich Anwesenden
die drei Bruder Kellert mit dem Vortrag
ausschlieBlich Saint-Saens'scher Kompositionen.
Herrlich spielte im 1. Abonnementskonzert
Casals das Haydnsche Cellokonzert in D-dur
und zwei Bachsche Suiten. Das ziemlich wert-
lose Konzert im alten Stil (in F-dur) von Reger
erfuhr eine recht kuhle Aufnahme, obwohl das
Orchester unter Andreae das bestmogliche
leistete. Dem Pianisten Joseph Ebner fehlen
die meisten Eigenschaften, um an einem offent-
lichen Konzerte in der Tonhalle auftreten zu
durfen. Die blofie Nervositat kann kaum fur
ein fortwahrendes Danebenhauen entschuldigen.
Dr. Berthold Fenigstein
\r:u:o
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
Den zahlreichen Verdi-Erinnerungsbl&ttern der beiden vorigen Hefte schicken
wir noch ein schones groiles Bildnis nach: eine dem Zeichner Jocosi zu-
geschriebene Lithographie, die den Meister in der Vollkraft seiner Jahre
uberzeugend und energievoll wiedergibt.
Die beiden Abbildungen der Riesenorgel in der Breslauer Jahrh undert-
halle veranschaulichen die in dem Artikel von Josef Schink erdrterten GroBenver-
haitnisse dieses majestatischen Instruments.
Friedrich W. Seyer hat zur „Zauberflote a zwolf Phantasieen gezeicbnet,
die im Original auf einen Kreis von Liebhabern ihre Wirkung schon erprobt haben.
Aus diesem Zyklus reproduzieren wir in Verkleinerung vier Blatter, um das Talent
des jungen Kunstlers einem weiteren Kreis vorzustellen. Die Besonderheit seiner
Arbeiten liegt darin, daft der Verfasser nicht vom Buhnenbild ausgegangen ist, sich
also nicht vom szenischen Motiv leiten lieB, sondern daft er seine Darstellungen aus dem
Geist der Dichtung gewonnen, sie ohne Nebenzwecke und als reine und freie phan-
tastische Gebilde gestaltet hat. In den drei ersten Biattern ist das Agyptisch-Orientalische
pathetisch-virtuos behandelt, die Gestalten sind voll Damonie, die Liniensprache voll
Schwung und melodischer Kraft, und die Stilisierung zeigt eigene Auffassung, wenn hier
auch gewisse AnklEnge an Klimts bizarre Linienfuhrung nicht zu verkennen sind.
Auch der Symbolismus kommt zu seinem Recht, und man mufi die Eindringlichkeit der
Zeichnungen um so hoher bewerten, als der Kunstler auf die suggestive Mitwirkung der
Farbe Verzicht leistet. Das Tempelmotiv ist mehr als wirksamer Prospekt, es wird zum
mitlebenden Faktor. — Anders das letzte Bild: hier erscheinen Tamino und Pamina, in
prachtvoll fliefiende Gewander gekleidet und von der Schlange umrahmt, vor einem
Naturhintergrund; man vermeint, vor einem mittelalterlichen Gobelin zu stehen, in
dem sich primitiv Empfundenes mit dekorativen Elementen zu einem die Perspektive
negierenden Gesamtbild verschmelzen. Hoffentlich flndet der Autor fur seinen Zyklus
einen Verleger, der die Serie in der GroBe der Originale veroffentlicht.
Nachdruck nur mit ausdrQcklicher Erlaubnis des Verlages gestattet
Alle Rechte, Jnsbcsondere das der Obersetzung, vorbehalten
Fur die Zurbcksendung unverlangter oder nicht an gem el deter Manuskripte, falls ihnen nicht geniigend Porto
belliegt, ubernimmt die Redaktion keine Garantie. Sehwer leserliche Manuskripte werden ungepriift rurQckgestnd'.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin W 57, BiilowstraDe 107 1
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v,UU tV l UNIVERSITY OF MICHIGAN
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GIUSEPPE VERDI
Lithographic von Jocosi (?)
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
DIE ORGEL DER JAHRHUNDERTHALLE IN BRESLAU
DER SPiELTtSCH DER ORGEL DER JAHRHUNDERTHALLE IN BRESLAU
by
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XIII
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
AUS: ZWOLF PH ANTASiEN
2U MOZARTS ZAUBERFLOTE
VON FRIEDRtCH W. SEYER
Nr. 2, Dti sol 1st dcr Tochtcr Better sein
XIII
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
AUS: ZWdLF PHANTAS1EN
ZU MOZARTS ZAUBERFLOTE
VON FRIEDRICH W. SEYER
Nr. IK Ihr Gdtter, welch 1 eh Augenblick,
Gewlbret ist una His Gluck
**■ - r*
XIll
by
Google
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
DIE MUSIK
HALBMONATSSCHRIFT MIT
BILDERN UND NOTEN
HERAUSGEGEBEN VON
KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
WE
HEFT 4 • ZWE1TES NOVEMBER-HEFT
13. JAHRGANG 1913/1914
VERLEGT BE1
SCHUSTERS LOEFFLER- BERLIN W
-•■: :j, CoO^k
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Dean wer durchdrungen iat vom innig Wnhren,
Dem mull die Form sich unbewufit vereincn,
Und was dem Stumper mag genhrlicb scheioen,
Das maO den Mcistcr gSttlich offenbaren.
Platen
INHALT DES 2. NOVEMBER-HEFTES
WALTER NIEMANN: Jean Sibelius und die flnnlscbe Muelk
JULIUS KAPP: PaganlnL In Paria and London
MARTIN FREY: Die Hauptkadenz imWaudet dcr Zeiten. Eln
Beitrag aur Harmonlelebre
ERICH PREUND: »Borla Godttnow," Masikaliscbes Volks-
drama In Tier Aufifigen von Modest Petrowitsch Mussorgsky
Deutsche Uraufruhnwg mm Stadtt heater In Breilau
ROBERT KONTA: Aufruf zur Grfindung einer Organisation
von Komponleten e raster dramatischer Werke
REVUE DER REVUEEN: Aus deutschen Mualkzeitichriften
BESPRECHUNCEN (Bucber and Musikallen) Referenren:
Wilhclm Altmann, WHibnld Nigel, Georg Capellen, Hermann
Wetzel, Emil Thilo, Richard H. Sleln, Ernst Neufeldt, Max
Doblnakl
KRITIK (Oper und Konzert): Berlin, Breslatx, Dresden, DQsseN
dorr, Elberfeld, Frankfort a. M^ Hamburg, Kfiln, Kftnigsberg L P.,
Magdeburg, Mannheim, Munchen, Paris* Prig, S trail burg 1. EL,
WIen, Wiesbaden
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
KUNSTBEILAGEN: Paganlnl's Geburtibana In Genua, Paganlni'a
Sterbehaus fn Nitza; Ptgaolnl, Zelchnung von Jean Ingres:
Lithographic von J* Krfehuber; Karikatur unbekaiioter Hand
auf Pageninl's Londoner Auftreieo; Paganini'B recbte Hand;
Autograpb der Violinstimme sua 9 Le streghe*
NACHEtlCHTEN: Neue Opern t Operarepertolre, Konzerte,
Tageachronik, Totenacban, Verschiedenet, Aqi dem Verlag
ANZE1GEN
DIE MUSIK ertchelnt monetlkh nrelmtl.
Abonaementsprela fttr das Qaartal 4 Me,
Abonnementtpreii fllr den Jthrgang 15 Ml.
Praia des einzelnen Heftes 1 MJt Vlertel-
IsbfsdsbanddecJuD a I Mk- Samnel-
ktften fllr die KuattbeMageo dee gutxen
Jehrgangs 2,50 ML Aboanements dnjxk
]ede Bach- and Muaikallenbendluag, fDr
kletns PUUao ohne Buchhlndler Being
darch die Pott
Generalvertretnnf fllr Frenkrelch,
Belglenund Eag land: Albert Gutmajiii,
Pari*, 106 Boalevard Saint-Germain
AUeinige biichhandlerlache Vertretnog Mr
England and Kolonleen:
Breltkopf ft Hlrtel, London,
54 Grut Marlborough Street
l&r A m erl ka: Breitiopf ft Hart»l,NewYoffe
Br Frankrelch: CoataUit ft Go*, Paris
- : :j, CoO^Ic
Oriqinsl from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
JEAN SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK
VON DR. WALTER NIEMANN IN LEIPZIG
Von Jean Sibelius reden, heiCt, sich mit dem innersten Wesen
finnischer Musik auseinandersetzen. Als der Begriinder einer
finnischen Kunstmusik, der Spohr-Schiiler Friedrich Pacius, Finn-
lands Nationallied „Suomis Sang" auf Quantens Worte schuf, war der
finnische Ton in der Musik, der seiner Spohrisch-verschleierten, resignierten
und weichen Melancholie so schon entsprach, gefunden. Nicht sein auBerlich
bleibendes Zuriickgreifen auf die unregelmaBigen Rhythmen und Motive
finnischer Volkslieder, sondern dieser, dem sinnigen Norddeutschen aus dem
Boden der Naturseinerzweiten Heimaterwachsene charakteristischeTonistes,
der Pacius den unverganglichen Namen eines Vaters finnischer Musik verleiht.
Wie in der alteren Malerei Finnlands, waren es auch in der Musik
vorderhand kunstbegeisterte Liebhaber, die den Faden finnischen Schaffens
weiterspannen und ihr Land namentlich mit einfachen und hiibschen Liedern
beschenkten, deren Dichtungen fast ausschliefilich auf die beiden grofien,
schwedisch sprechenden Dichter jener Zeit in Finnland, Runeberg und
Topelius, zuriickfuhren. Es kam die Romantik, die in Deutschland das
gelobte Land verehrte. Fur die Malerei Diisseldorf, fur die Musik Leipzig.
Der Hamburger Pacius und der Danziger Richard Faltin legten den Grund
zu Finnlands Musikorganisation; sie waren es, die die Meister der Altklassik
und Wiener Klassik im hohen Norden wurzeln HeDen. Danemark erwuchsen
die Hartmann und Gade, Norwegen die Kjerulf, Svendsen und Grieg,
Schweden die Soderman und Norman, Finnland Robert Kajanus. Schiiler
Svendsens, Verehrer Griegs, Liszts und Wagners, ward Kajanus Finnlands
erster nationaler Instrumentalkomponist grofier Form. National mehr im
Sinn ihres, der erhabenen Welt der „Kalevala a , Finnlands uraltem National-
epos, entnommenen stoffiichen, als ihres rein musikalischen Inhalts, der
die Abhangigkeit von seinen groflen deutschen und norwegischen Mustern
nicht recht uberwinden konnte.
Das ist der musikalische Boden, auf dem Jean Sibelius' Kunst er-
wuchs. Es spricht fur ihre urfinnische Art, daC man, will man zu ihren
Wurzeln gelangen, noch tief, tief unter den musikalischen Boden hinab-
graben muD. Natur und Volk heiBen ihre eigentlichen und bestimmenden
Lebens- und Schaffensmachte. Dazu treten als Stoff- und Gedankenwelt
die Sage, der Mythos, die Geschichte der Heimat.
Der Grundton von Finnlands Natur und Volk ist der allgemein nordische
der Innerlichkeit, des Ernstes, der Schwermut. Der Finnlander lebt in
stillem Kampf mit einer uber ungeheure Strecken Wald, Heide und Moor,
Seen, Katarakte und Granitklippen sich breitenden, kargen Natur. Ein sehr
kurzer Sommer, ein endloser lichtarmer Winter erschweren ihm diesen
13*
j ;i :l u-: : )y ^ ilH >^!1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
' *1
196 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEPT 1913
Kampr. Finnlands Natur besitzt nlcht die grandlosen Theatereffekte norwe-
giscber Berg- ™d Fjordkulissen, sondern eber die triumende AtelaachoHe
des waldbedeckten und dfinn bevSlkerten Nordschweden; elnzlg das Labyrinth
seiner ScbSrenkuste erinnert an die westUche Skandinaviens vom schwedischen
Bohustln zum norweglscben Nordkap.
Arm an SchXtzen, wie diese schwenn&tfgo und wnnderbar urwuchsige
Natur, ist Finnlands Volk. Der Kampf rait Jabreszeit und Natur etaerseits,
mit dem russischen Riesen, der ihm wine konstitutionellen Rechte In
eiserner Umklammerung entwindet, andererseita, bat den FinnlXnder zu
elnem stillen Helden erzogen. Die beiden Pole seiner Natur Bind Trote
bis zum verbissenen Eigensiun, zur zlhen Hartnickigkeit und eine tiefe
Schwermut, die aich bis zur fessellos vorw&rtsstunnenden Sebnsucht nacfa
Sonne, nach Freiheit steigern kann. Ganz feblt ihm die elementare
Frthlichkeit des Russen* Hier zeigt sich am deutlicbsten, dafi die Bnnisch-
ugriscb-mongoiiscbe Rasse des Flnnen unter dem langen Einflufl der
schwedischen Kultur lflngst zu einer skandinavischen geworden 1st
Finnland ist ein armes, aber eln wie alle nordlschen Reicbe erstann*
lich hochkultiviertes Land ; sein Volk ist ein Waldbauern- und Fiscbenrolk,
das, so arm und dQnn es gesflet 1st, dank seiner Kultur und der gdstigen
Bedeutung seiner KBstenstadte — voran Helsingfors, Abo, Hang5 und
Wiborg " mit vollem Recht auf seinen, an unmittelbarer kflnstleriscber
EmpOnglichkelt und Begabung ihm viclfach Qberlegenen, dock kulturcll
unendlich viel defer stehenden rus&ischen Nachbarn hinabseben darf.
Diesen innersten Lebens- und SchaffensmKchten alter Snnischen Kfinste
tritt die Stoff- und Gedankenwelt seiner uralten Sagen und Mythen zur
Seite. Es 1st daa erbabene Nationalepos der Kalevala, einer Schwester der
gro&en germanischen und nordgermanischen Heldenepen aus grauer Vorzeit,
die Dichtung und Kunst Finnlands im national en Sinn aufe wunderbarate
befrucbtete, seit in den zwanziger Jahren des 1 9, Jahrhunderts Elias L&nnrot
In unermfidlichem Eifer diese ehrwurdigen Runengeslnge durch den Hand
des Volkea sammelte. Die Dichtung griff diese gewaltigen Stoffe zuerst
auf und fugte ihnen solche aus der reichen Geschichte des Landes hinzu.
Die Malerei, die in der alter en, vornehmHch an Dusseldorfo Genrekunst und
Naturbeschreibung geschulten Romantik mit Vorliebe die heiroische Land-
schaft, das heimlsche Volksleben liebevoll verhcrrlichte, unternabm mit ibren
modcrnen t am fraDzdsiscben Impressionisms gescbulten Meistern wie Axel
Gallfcn und Eero JSrnefelt das Wagnis, din iibermenscblicben Gestalten der
finnischen Edda, desnordfocbenWalhal] in den engen Rabmenelneserdg^borenen
Bildes zu bannen. Am letzten kam die Tonkunst* Kajanus machte die ersten
entscbeidenden Versuche, Sibelius griff roll in diese versunkene Welt binein.
Das ist der landscbaftliche, volkstfimliche und dichterisch-gedanklicbe
Boden, dem Sibelius' Kunst entsprofi. Sie 1st zuerst Ton gewordene
t ^ I , Original from
^ .OOvK UNIVERSITY OF MICHIGAN
NIEMANN: SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 197
finnische Natur. Ein Stuck wie „ Abends am Waldsee" aus der w Pelleas
und Melisande a -Suite op. 46 (Sibeliana No. 1) lafit nicht an Maeterlinck,
sondern an Munsterhjelms, im schwarzen Tannenbruch vergrabenen Wald-
see denken, in dem der Mond aus phantastisch zerrissenen Wolken sich
spiegelt. Es ist auch in den (ibrigen Bildern des Abends (z. B. Zehn
Klavierstiicke op. 58, No. 5) von Sibelius die Stimraung siifier Traurigkeit,
resignierten Unendlichkeitsgefiihls, die mit Sibelius als finnischer Naturton
in die nordische Musik einzieht. Seine Bearbeitung der finnischen Volks-
weise „Der Abend kommt", die Barcarolen und Nocturnos aus den Klavier-
stucken op. 24, das Nocturno aus der Belsazar-Suite op. 51 (Sibeliana No. 2),
sie sind voll von dieser Stimmung traumender Melancholie und Sehnsucht,
die der geheimnisvollen Mystik nordischen Geistes nicht raehr fernbleibt.
Es kommen dazu die Pastorales. Da blasen im einsamen Waldbruch
zwei Hirten auf der Lur Frage und Antwort einander zu, necken und foppen
sich musikalisch. Die Motive verschlingen sich, das Echo der Feme lafit
die SchluBfalle sanft zuriickhallen; unermiidlich und gleichformig auf vier
Tonen murmelt dazu in des Basses Tiefe der Bach. Wir kennen solches
Hochlandbild aus den lyrischen Stiicken Griegs. Bei Sibelius ist soldi'
Pastorale (Sibeliana No. 9) ein Hochwaldbild geworden, das das Pathos des
norwegischen Meisters zur Idylle besanftigt oder, wie im „Hirt a (op. 58,
No. 4), zur stillen, feinen Humoreske beschwingt. Echt aber wie diese oft
elementaren Naturlaute ist ihre absichtlich primitive Fassung, die den
liegenden BaB oder, wie die naive und frohliche Naturmusik des ersten
und letzten Satzes seiner Klaviersonate op. 12, den Murky-BaO bevorzugt.
Charakteristisch auch, wie der Nordlander Sibelius den finnischen
Fruhling und Sommer besingt. Eine seiner schonsten kleinen Orchester-
poesien von warmer und durchaus volkstumlicher Melodie, das „Fruhlings-
lied", tragt den bezeichnenden und an Griegs „Letzten Fruhling" erinnernden
Untertitel: „Die Traurigkeit des Friihlings". Es ist die Trauer iiber seine
kurze Dauer, und rasch und intensiv, wie er eintritt, steigert sich sein
tiefinnerlicherjubel zum glockendurchtonten Triumphgesang von elementarer
Kraft. Und auch das Sommerlied aus op. 58 schlagt einen ahnlich ver-
schiedenen Ton an, wie die idyllischen Friihlingslieder der deutschen
Mendelssohn-Schule. In seiner gedrangten Kiirze, die auf seine kurze
Dauer anspielen mag, ist es in seiner reifen Schwere ganz auf religiose Feier-
lichkeit gestimmt, die sich gegen den Schlufi zur hymnischen Ekstase erhebt.
Zum anderen ist Sibelius' Kunst der musikalische Ausdruck der
finnischen Volksseele. Nicht als das Wichtigste seiner Volkstiimlichkeit
erscheint uns, dafi er dem alten, im Geistlichen vielfach auf Ostschweden
zuruckgehenden finnischen Volkslied haufig Melodik, Metrum und Rhythmik
fiir seine Kunst entnahm. Oft ja treffen wir in ihr auf unregelmafiige
oder miteinander wechselnde Metren — B /4» 1 L> 2 /a und 8 /a — des finnischen
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
198 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
Volksliedes, des finnischen Volkstanzes, auf seine bald lastend schwer-
miitige, bald zackige und gem in den leicht dahinhiipfenden 2 / 4 -Takt ge-
kleidete Melodiefiihrung. Die Volkstiimlichkeit bei Sibelius geht viel tiefer.
Nichts ist fur ihre Echtheit bezeichnender, als dafi man in so manchem
Werk des finnischen Meisters nach heimlich unterlegten finnischen Volks-
weisen gefahndet hat, wahrend doch seine samtlichen Themen sein aus-
schlieBliches geistiges Eigentum darstellen. So tief und fest wurzelt Sibelius
im musikalischen Fiihlen und Denken seines Volkes! Um so bewunderns-
werter, als Sibelius die ererbte schwedische Kultur aller bedeutenden Geister
Finnlands keineswegs ganz verleugnen kann.
Diese Volkstiimlichkeit, dieser innere nationale Ton, der bis auf die
instinktive Anwendung der alten Kirchentonarten sich erstreckt, muB sich
bei Sibelius im Charakter auch seiner Musik auBern. Noch heute sind
die Stimmen derer nicht verstummt, die sie zerrissen, sprunghaft in den
Stimmungen wechselnd, locker in der Form, wild, naturalistisch und un-
logisch nennen. Dem liegt, wie wir spater sehen werden, zweifellos etwas
Richtiges zugrunde. Nur, daB gerade diese bemangelten Eigenschaften
vom finnischen Volkscharakter unzertrennlich sind, der in Sibelius' Musik
seine rechte Auferstehung feiert. Seine Heimat hat das rasch und mit
enthusiastischer Dankbarkeit erkannt. Das Ausland hat — begreiflicher-
weise — iiber dem Befremdenden des musikalischen Charakters seiner
Musik in Unkenntnis des finnischen Volkscharakters vielfach das Allgemein-
Gultige nicht richtig erkannt oder es bei dem Hinweis auf die interessante
rhythmische Verwandtschaft seiner Musik mit der magyarischen oder sla-
wischen Musik aus rassepsychologischen Griinden bewenden lassen. Denn
sie kann sich nicht anders auBern wie dieser finnische Volkscharakter
selbst, mit dem wir eben erst Freundschaft schlossen. Sibelius' emphatische,
sich oft hartnackig auf vielfache Wiederholung eines Tons, einer Phrase,
eines Motivs verbeifiende Melodik ist sein Eigensinn und Trotz, ihre innere
Intensitat und ihre Neigung zum Griiblerischen, Versonnenen und Selbst-
qualerischen — das Streichquartett „ Voces intimae"! — seine tiefe Me-
lancholic, ihr heiBes Vorwartsdrangen, ihre gewaltigen Steigerungen seine
Sehnsucht nach Licht, Sonne und Freiheit. Ernst wie die Zeit ist diese
Musik. Es fehlt ihr die Universalitat der Griegschen Muse. Doch auch
darin, in dem gedampften Ton ihrer Frohlichkeit, ihrer Menuetten und
Gavotten, ihres „Air vari6 a aus op. 58, die Sibelius' und aller groBen
modernen Kiinstler Finnlands heimliche Liebe zu Paris und Frankreich
zeigen, ist sie grundecht. Die breite und empfindungsgesattigte Art der
Melodiebildung bei Sibelius hat vielfach unverkennbare Verwandtschaft mit
der Tschaikowsky's, und der Symphoniker Sibelius hat zweifellos manche
Anregung aus des russischen Meisters Symphonieen, voran der e-moll und
der Path€tique, gezogen. Allein Sibelius ist zuriickhaltender im Ausdruck,
■♦--.- ("ntuil( s Original from
y ;i. ,ul. jy ^ ,uu t V l UNIVERSITYOF MICHIGAN
NIEMANN: SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 199
wenigerdekorativ, wenigergeschminkt und sentimental, weniger differenziert,
wie der trotz allem herrliche und durch seinen russischen Fatalismus
packende russische Meister. Der sinnliche Russe liefert unsere Nerven
und Sinne ihm bedingungslos aus; der kiihlere und beherrschtere Finnlander
wendet sich mehr an unser Herz. Satze, wie die halb-barbaresken Finales
Tschaikowsky's, wird man bei Sibelius vergebens suchen. Dafur besitzt
seine Melodik eine Intensitat der Empfindung, sein Ausdruck eine Warme
und Echtheit, daD nur die Sonne kraftiger Lebensbejahung fehlt, um diese
auf der Schattenseite des Lebens erwachsene, graue und ernste Kunst in
weite Kreise zu tragen. Denn Camoens' Worte aus den Lusiaden:
„Geboren werden wir zu solcher traur'gen
Bestimmung: Leiden nur soil Dauer haben,
Doch Gutes wandelt schleunig die Natur",
sie sind aus der Seele jedes echten Nordlanders gesproctaen.
Wenn Sibelius die uralten Mythen seines Volkes aufgreift und seinen
Instrumentalwerken in der Mehrzahl' als heimliches oder verschwiegenes
Program m unterlegt, so ist das die eine nationale Seite seines SchafFens.
Die andere uns wichtigere bleibt, dafi ihre musikalische Gestaltung der
innersten Volksseele entspriefie. Das ist immer der Fall. Es liegt in der
Natur des Finnen, daD dabei das Sinnen und Traumen die Tat iiberwiegt.
Sibelius hat dieser Melancholie des Sinnens und Traumens ganz eigenen
und neuen Ausdruck in der nordischen Musik gegeben. Das sind solche
Stellen, wo die festen Gestalten in dammernde Schemen und Umrisse zu
zerflieCen scheinen. Die Bewegung lost sich auf und ruht in einem
langen liegenden BaD auf dem Sextakkord. Die Wirkung solcher Sext-
verbindungen ist zaubrisch; man erliegt der suggestiven Wirkung endloser
Weiten von Zeit und Raum. Gade schlug in seinen ersten Werken diesen
Ton des uns von Jonas Lie vertrauten nordischen Hellsehers an, als Ossians
dustere Welt ihn inspirierte; Sibelius setzte ihn darin fort.
Kein Werk von ihm zeigt das so fein wie seine symphonische Dichtung
„Eine Sage". Die Sage selbst wird hier zu Musik; der finnische Ossian
steht vor uns. Nur ein Seitensatz in c-moll ISfit die in Nebel und Schleier
verhullten Gestalten zu Helden der Vorzeit sich verdichten; alles iibrige
ist unkorperlich, unwirklich, ist der Spuk der dunklen Gewalten, die in
der Seele jedes Nordlanders schlummern und sich bekampfen. Ein ge-
waltiges Nacht- und Phantasiestiick, das Natur und Volk der Vorzeit mit
alien und mit den kuhnsten Mitteln des Impressionismus vor uns erstehen
UCt. Ibsen's a Nordische Heerfahrt" hat damit recht eigentlich ihre musi-
kalische Einfiihrung, ihr Vorspiel erhalten.
Damit sind wir bei der unerschopflich belebenden Quelle der nationalen
Stoff- und Gedankenwelt unseres Meisters, der „Kalevala a , angelangt. Zwei
der ersten und allerbekanntesten seiner Werke waren schon aus diesem
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
200 DIE MUSIK XIII 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
uralten Nationalepos genommen: die Orchesterlegenden „Der Schwan von
Tuonela a und „Lemminkainen zieht heimwarts". Namentlich das zarte,
impressionistische Stimmungsbild des auf den schwarzen Fluten des Stromes
von Tuonela, dem finnischen Hades, klagend singenden und flugelrauschenden
Schwanes mit dem Solo des Englisch-Horn hat Sibelius' Namen mit
einem Schlage als einen unserer feinsten Orchesterkoloristen bekannt ge-
macht. Nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil die auf die einfachste und
knappste Formel zuriickgefiihrte Form des „Schwanes« in ihrer elementaren
Einfachheit zum ersten Male und mit groBem Gliick reiner musikalischer
Stimmungsmalerei im modernen Sinn dienstbar gemacbt erscheint. Das
in den verschiedenfachsten Formen erweiterte und variierte Schwan-Thema
des Englisch-Horn-Solo mit seinem unbestimmten Schillern zwischen Moll
und Dur stutzt das ganze, in den zartesten und lichtesten Farben des ge-
dampften Streichorchesters prangende Stiick. Ein sehnend aufsteigendes
Gegenmotiv in Cello und Bratsche unterbricht es des ofteren in sprechender
Klage und rundet das Bild zu Anfang und SchluC ab. Harfenrauschen leitet
Kern und Gipfel, das tief-ausdrucksvolle Tutti in a-moll ein, das wie der
Ausdruck des unerbittlichen Schicksals klingt. Das Ende bezieht sich auf
den Anfang, nur daB das Streicher-Tremolo mit dem Riicken des Bogens (col
legno) den gespenstischen und phantastischen Ton des Ganzen noch verstarkt.
Demselben Sagenkreise erwuchs die unmittelbare Fortsetzung:
„Lemminkainen zieht heimwarts". Lemmink&inen, der finnische Siegfried
oder Achill, wandelt, nachdem treue Mutterliebe seine zerstuckelten und
im schwarzen Todesstrom verstreuten Glieder wieder zusammengefiigt hat,
seine Sorgen und Kiimmernisse in Streitrosse und zieht in die Heimat,
wo die Kindheit ihn mit tausend Stimmen umklingt. Zeitlich unmittelbar
vor dieser Tondichtung steht die Gewinnung der schonen, aber ebenso
sproden Kylliki in Saari durch Lemmink&inen, die Sibelius zum — leider
verschwiegenen — Programm seiner drei Lyrischen Stiicke fur Klavier
„Kylliki a op. 41 gewahlt hat. Der Held entfuhrt die Widerspenstige, be-
zwingt sie in Liebe, und beide schlieBen ein doppeltes und doppelt ge«
brochenesGelubde: sie, den Vergniigungen ihrer Gespielinnen zu entsagen,er,
den Krieg zu meiden. Das vom Zauberkamm herabtraufelnde Blut belebrt
die in Reue sich Verzehrende, daB ihr Held in den schwarzen Todesstrom
geworfen wurde, und seine Mutter eilt in das schwarze Reich Tuonela. Der
Lemminkainen ist gleich dem Schwan mehr stimmungsreiche als bedeutende
Musik, deren starkerer Naturalismus und lebhafteres Feuer uns, wie auch in
seiner symphonischen Phantasie „Pohjolas Tochter", das nur dem Finnlander
restlos zugangliche Verstandnis ihres Programms nicht ganz ersetzen kann.
Eine andere Gruppe von Werken verherrlicht sein finnisches Vater-
land. Die Tondichtung fur Orchester „Finlandia a gibt ein Bild aus der
Vorzeit Finnlands nur in ihrer aus schmerzlichstem Pathos und religioser
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
d J UNIVERSITY OF MICHIGAN
NIEMANN: SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 201
Feierlichkeit erfiillten langsamen Einleitung im Ton alter Heldenballaden.
Schon die aufstachelnden Rhythmen des Hauptteiles (Allegro assai) malen
den Kampf. Und das mit Beethovenschem Ethos getrankte Gesangsthema,
das den dritten, von immer heiCerer und wundervollerer Warme durch-
gliihten Abschnitt des prachtigen Werkes beherrscht, kiindet, um was der
Kampf ging: urns Morgenrot der Freiheit. Konnte die Musik zu alien
reden, was sie in Gedanken in sich birgt: diese „Finlandia" und den
„Gesang der Athener" dazu wurde Rufiland auf den Index setzen! Zu
Sibelius tritt, mit ihm fuhlt das ganze Volk. Das ist das GroCe an dieser
Musik in unserer uberm^Cig individualistischen und subjektivistischen Zeit:
sie bewegt ein Volkerschicksal I Spezialistischer steckt sich die „Karelia B -
Musik fur Orchester das Ziel. Die Bewohner der siidostlichsten finnischen
Provinz Karelien sind das, als was die Bergenser in Norwegen, die Kopen-
hagener in Danemark gelten: die Lebensfroheren und Lebhafteren, die
sinnlicheren und dichterischen Naturen, die in starkem Gegensatz zum
ernsten und tief veranlagten Tavaste-Finnen stehen. Die frische Frohlich-
keit steckt auch in der ganzen Musik, die eine Ouvertiire und eine aus
den drei Satzen Intermezzo-Ballade-Marsch bestehende Suite umfaBt.
Die karelische Note zeigt sich namentlich in der kecken und frohlichen
Rhythmik, in der scharfen Gegensatzlichkeit zwischen Scherz und Ernst;
die volkstumliche in der Aufnahme der fein-archaisierend harmonisierten
Volksweise „Tanz im Rosenhag", die das Horn in der Ballade intoniert,
in den rustikalen Quintenbassen, die die hinreiDend schwungvolle Ouver-
ture durchklingen. Damit ist der Charakter dieser Musik gezeichnet: echte
volkstumliche Suitenkunst furs Volk, zur Unterhaltung. Und Suitenkunst sind
auch die als op. 25 und 66 in zwei Teilen erschienenen „Sc6nes historiques"
fur grofies Orchester, die in insgesamt sechs Satzen farbenprachtige und
kraftige Bilder aus Finnlands Vor-, Minne- und Ritterzeit entrollen.
Eine dritte Gruppe, die Schauspielmusik, birgt in der Musik zu
Adolf Pauls Schauspiel „K6nig Kristian II* und dem Dramolet des ,Valse
triste" zu Arvid Jarnefelts Drama „Kuolema a (Der Tod) zwei der aller-
schonsten Werke von Sibelius, der der naiv und gesund empfindende Finne
bleibt, auch wenn er zu Maeterlinck's visionarem „Pelleas und Melisande*
oder zu Hj. Procop6s Drama w Belsazars Gastmahl* mit seinem orientalisch-
exotischen Lokalkolorit die verbindende Musik in Form einer kleinen
Orchestersuite schreibt. Von ihnen hat der n Valse triste" Sibelius' Namen
recht eigentlich popular gemacht und in noch hoherem MaC wie der w Schwan
von Tuonela* nicht ohne FehlschluB mit dem Pradikat eines grofien Klein-
kunstlers der Musik belehnt. Das Programm zeigt Strindberg'sches Grausen.
Die fieberkranke Mutter erhebt sich vom Bett und winkt im langsamen
Traumtanz Gestalten und Paare herbei. Zweimal setzt der tolle Reigen
ein, zweimal steigert er sich schlieClich zur wilden Stretta, da — jfihe
n - - . - Piv^lr Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
202 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
Pause, die Erscheinungen fliehen, in der Tiire steht der Tod. Das Stuck
ist in seiner, aus tiefem Schmerz, aus damonischer Wildheit und Phantastik
geborenen Grundstimmung eine der genialsten Programmusiken in jener
intensiv beseelten Form des tiefmelancholischen Valse lente, den zuerst
Chopin zum klassischen Zweig ernster Walzer-Dichtung erhob. Wie ge-
wahlt und kuhn die Harmonik, namentlich in der gespenstischen Aus-
weichung nach fis-moll vor der Reprise, wie sicher und innerlich gesteigert
die geschlossene Form! Wie Dvoraks Slaviscbe Tanze, ist dieser w Valse
triste* als dramatisiertes Ballet auf mancher unserer Buhnen heimisch ge-
worden und hat damit die Frage nach einer Reorganisation des stereotypen
Schulballets und einer Einbiirgerung jener Opernballets auf dem Kontinent
erneut angeschnitten, die in Danemark eine so einzige Ausbildung und
Bliite erfahren. Zwei weitere Kleinigkeiten fur Orchester, die Canzonetta
in gis-moll op. 62 fur Streichorchester, eine schlicht klagende, sehnsuchts-
volle und volkstumliche Melodie, und der Romantische Walzer fiir kleines
Orchester — der nur wieder belegt, dafi wie Tschaikowsky's, so auch
Sibelius' Starke nicht in der Form des deutschen gemiitlichen Walzers
liegt — runden die „Kuolema a -Musik etwas matt ab. Auch fur das Tanz-
Intermezzo ist Sibelius, der ihrer zwei geschrieben hat — „Pan und Echo*
und eins aus op. 45 in b-moll — eine zu ernste und schwere Natur.
Dagegen ist der feine melancholische Walzer der Svanehvit-(SchwanenweiD-)
Suite zu Strindberg's gleichnamigem Marchendrama wieder eine, freilich viel
weicher und trMumerischer geartete zarte Schwester des „Valse triste". Auch
die Romanze in C-dur fiir Streichorchester op. 42 gehort in seinen
Stimmungskreis. An ein Liebeslied denke man hier nicht. Ihr Inhalt ist
aus Pathos und Schwermut gemischt. In der in Gegenbewegung und im
Moll des balladesken Hauptthemas dahinschleichenden Ubergangsgruppe
wird's eitel Griibeln, und das Seitenthema in E-dur klingt wie ein wehes
Lacheln unter Tranen, wie bitteres Erinnern. Herbe und personlich wie
der Eingang ist das Ende. Die kleine Tondichtung „Die Dryade" und der
Trauermarsch fiir Orchester „In memoriam" schlieBen die Reihe der Werke
kleinerer Form, die die besondere lyrische Begabung aller Nordlander
prSchtig zeigen und namentlich darin eine Mission erfiillen konnen, daO sie
Niveau und Programm unserer guten Unterhaltungskonzerte veredeln helfen.
Die tragische Note der besten Werke von Sibelius schlagt der, den
eleganten Saint-Saens freilich weit hinter sich lassende w Totentanz* der die
„K6nig Kristian a -Musik abschlieDenden Ballade am starksten an. Diese
Schauspielmusik gehort zu seinen allerschonsten Sachen. Pauls Drama
schlieBt sich in den Kreis der Verherrlichungen der ungliicklichen Liebe
zwischen dem Konig Christian II. von DSnemark, Norwegen, Schweden
und der schonen und feinen hollandischen Biirgermaid Dyveke, die DSne-
marks volkstiimlichsten romantischen Lyriker Peter Heise zu seinem
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NIEMANN: SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 203
klassischen Liederzyklus „Dyvekes Sange a inspirierte. Das in seiner
schlichten Warme und sanften Melancholie so herrliche Noctumo erzahlt
uns von dem Liebesgliick der beiden; die Elegie fur Streichorchester, das
eigentliche Vorspiel zum Drama, bereitet auf das tragische Ende —
Dyvekes Vergiftung durch einen Nebenbuhler und des Konigs in sinnlose
Raserei ausbrechenden Schmerz — vor. Eine der zarten Musette folgende
altvaterische Serenade ist als Einleitung zum Hoffest des dritten Aktes
gedacht, die Ballade gibt den grausig-realistischen Totentanz zum „Stoek-
holmer Blutbad" hinzu.
Das ist das Stoffliche und Gedankliche, das man kennen muB, um
das rein Musikalische an Sibelius in diesen Werken um so besser wurdigen
zu konnen. Seine vier Symphonieen (No. 1 e-moll, No. 2 D-dur, No. 3
C-dur, No. 4 a-moll), sein Violinkonzert in d-moll, sein bisher einziges
Streichquartett mit dem bezeichnenden Titel „ Voces intimae* bedurfen der
vorherigen stoflflichen Erlauterung so wenig, wie seine Chorwerkeund Lieder.
Um dem Symphoniker Sibelius gerecht zu werden — auch der Autor
des Violinkonzerts gehort dazu — , muB man bedenken, wie schlecht im
Grunde die kurzatmigen nordisch-nationalen Themen einer symphonischen
Behandlung in unserm Sinn entgegenkommen. Bei Sibelius kommt ein
zweites hinzu: sein durchaus impressionistisch geartetes Talent liegt auf
dem Felde derProgrammusik, derStimmungs- und Tonmalerei, des modernen
Orchester-Kolorismus. Wohl ist sein Violinkonzert fur den Solisten un-
gewohnlich schwierig und formell ungewohnlich interessant, von tiefster
Empfindung im Adagio durchstromt und von keeker nationalgefarbter Rhyth-
mik und Melodie im Finale belebt. Wohl sind seine viersMtzigen Sym-
phonieen bedeutend als Dokumente nationaler Symphonik und eines alle
Konzessionen an das Publikum verschmahenden Charakters. Allein ihnen
alien als Ganzes fehlen die Grundbedingungen des echten symphonischen
Schaffens : Monumentalitat, Geschlossenheit und Festigkeit der Form, Ge-
staltungskraft und organische, logische Entwickelung im ganzen und einzelnen.
Man mufi sich an die fast mosaikartig nebeneinandergestellten Einfalle von
oft hoher melodischer und harmonischer Schonheit halten, ohne aber dabei
auf strenge Logik ihrer Verkniipfung Gewicht zu legen. Man muB sich
an die intensive und edle Warme der Empfindung, an das Feuer des
Temperaments und den kiihnen Wurf des Ganzen halten, will man fiber
den Schwachen den Symphoniker Sibelius nicht vollig verurteilen. Fur die
finnische Symphonik im besonderen kommt noch erschwerend hinzu, daB
die bald schwermiitig sinnenden, bald heiB und trotzig dahinsturmenden
finnischen Volksweisen und aus ihnen abgeleiteten volkstiimlichen Themen
wohl naive Frische und herbe Urspriinglichkeit im Melodischen zeigen,
dagegen an lebhafter und vielgestaltiger Rhythmik empfindlichen Mangel
leiden. Sibelius aber als echter Nordlander und iiberzeugter Verfechter
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204 DIE MUSIK XIII. 4: 2 NOVEMBERHEFT 1913
des nationalistischen Prinzips in der Musik nimmt ihnen gegeniiber viel
weniger einen symphonisch-polyphonen, als primitiv-homophonen und
harmonisch-exotischen Standpunkt ein, der die Gleichartigkeit der Stim-
mungen dieser Volksmusik nur zu oft bei grofler Form in Monotonie und
Einseitigkeit verwandelt. So ist er, dem Griegs, von scharfem Kunstver-
stand uberwachtes, uberaus langsames Schafifen fehlt, nicht immer imstande,
diese in der Eigenart der finnischen Volksmusik selbst liegenden Gefahren
fiir eine nationale Symphonik zu meiden und dafur die streng logische und
organische Entwickelung seiner Gedanken an ihre Stelle zu setzen.
So harren in seinen Symphonieen bald rhapsodische und episoden-
hafte, bald rezitativische, bald balladische und epische Gedanken in ihrer,
fiir eine Symphonie allzu lockeren Verbindung der harmonischen Durch-
arbeitung und Einordnung ins Ganze. Uberall ein Aneinander und Neben-
einander nach offenkundigem, aber verschwiegenem Programm, ein stetes
Abbrechen und Durchbrechen durch Fugatos und Einschiebsel, fast uberall
ein Ringen urn die Nachbildung von Tschaikowsky's „Path6tique*in finnischer
Tonsprache, ein mehr oder weniger naturalistisches grau in grau Malen
unter lastendem Druck, das keine defbe Volksfreude in den Scherzis, keine
Flucht zur Natur in den meist herrlichen langsamen Satzen, kein blenden-
des Orchesterkleid voll eigenster und uberraschendster Instrumentations-
wirkungen, keine noch so sorgsam vorbereitete und intensiv beseelte Auf-
fiihrung aufhellen kann. Urn so prfichtiger sind ihre Einzelheiten, ist die
Kraft und Frische, das echte Pathos, die schlagfertige Charakteristik, die kraft-
volle und originelle Rhythmik der Themen und Motive. Und immer sind
es die Pole schmerzlich-lastender Schwermut und trotzig-sturmischer, bis
zur Raserei gesteigerter verzehrender Sehnsucht nach Sonne und Freiheit,
zwischen denen sich die symphonische Kunst von Sibelius bewegt. Der
Mangel an Licht und Sonne schadigt auch die Filigranarbeit des funf-
satzigen, sehr bedeutenden Streichquartetts, das ganz und gar intimste
Viersprache zwischen den Instrumenten ist. Sibelius riihrt hier in den
ersten drei Satzen an das Kapitel von Swedenborgs Geisterseher: das ist
mystische Musik von jener erdentriickten Ubersinnlichkeit und Verfeine-
rung der geistigen Impulse, wie sie Beethovens letzte Quartette zeigen,
zum gespenstischen heimlichen Humor im zweiten, zum pathetischen im
vierten Satz abgewandelt.
Sibelius' Klaviermusik ist fraglos der schwachste Teil seiner Kunst.
Mit wenigen Ausnahmen seiner friiheren Kompositionen — ich denke da
z. B. an die in ihrer Sindingschen Klangpracht auch als Konzertnummer denk-
bare, prachtige Des-dur Romanze aus op. 24 — entbehrt sie des klingenden
und echten Klaviersatzes. Der im wesentlichen bereits Erw&hnung getanen
Originalsachen an Zyklen mit Charakterstucken (op. 5, 24, 41, 58), Sonatinen
(op. 67) und Rondinos (op. 68) und einer Sonate (op. 12) sind wenige. In
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NIEMANN: SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 205
seiner Klaviermusik hat sich Sibelius iiber Schumann und Tschaikowsky
rasch zu sich selbst gefunden.
Ein Blick auf seine Chorwerke und Lieder fiihrt uns zunachst auf
die wichtige Frage: Wie steht Sibelius zu den Dichtern seiner Heimat? An
weitaus iiberragender Stelle seiner Lyrik und zugleich als Fuhrer der
kulturell und dichterisch weit iiberlegenen schwedisch-finnischen Lyriker
steht der groBe altere idealistische Volksdichter Runeberg. Gegen ihn tritt
sein Gesinnungsgenosse Topelius weit zuriick. Mit einzelnen Proben sind
der schwedische Idealist Rydberg, Tavastjerna, der jung verstorbene
genialische Wecksell und der schwedische Dramatiker Adolf Paul, von den
schwedischen Modernen die feinen Stimmungslyriker Froding, Levertin und
Hedberg vertreten. Von finnisch schreibenden Dichtern hat ihn der altere
Oksanen (Ahlquist) zu der diisteren, tonmalerisch hochrealistischen,doch musi-
kalisch nicht eben bedeutenden Ballade „Des Fahrmanns Braute" begeistert.
Sie ist ein Hohelied auf Finnlands Kataraktenschrecken und eine finnische
Melusinensage dazu: die eifersiichtige Stromnixe und Tochter Wellamos
zerschmettert den Kahn mit dem Liebespaar Anna und Vilho an einem Riff.
Auch sprachlich rein finnisch ist die Welt von Sibelius' Mannerchoren
nach Dichtungen des Volksdichters Kivi mit den beiden grofien Orchester-
balladen .Der Ursprung des Feuers" (nach der Kalevala), „Die gefangene
Konigin" und einigen akademischen Gelegenheitskantaten. Selten nur wendet
er sich mit Shakespeare, mit den deutschen Modernen Dehmel und Fitger,
mit dem vlamischtfn Symbolisten Maeterlinck andren Stoffen, und einmal,
in Victor Rydbergs „Gesang der Athener", der klassischen Schonheitswelt
zu. Sibelius ward er zum Schicksals- und Zukunftssang seines Volks:
„Herrlich zu sterben, wenn mutig im Vordertreffen du fielest" — im Alter-
tum wie im heutigen Finnland. Die ganz einfache strophische Komposition,
vom Orchesterritornell eingeleitet und unterbrochen, ziindet gewaltig durch
den ruhig-verhaltenen, aber intensiven Siegeston, der sie in der Stimmung
wie in dem unaufhaltsamen Marschrhythmus der vorbeiziehenden Jiinglinge
visionar durchklingt.
Die musikalische Welt der Lyrik von Sibelius, ihre technische Ein-
kleidung liegen dem modernen deutschen Lied mit seinem symphonisch
durchgearbeiteten Klavierpart fernab. Das Tor, das in sie hineinfiihrt, sind
seine Transskriptionen einiger finnischer Volksweisen fiir Klavier, die zu
seinen schonsten und charakteristischsten Sachen gehoren. Bedeutend in
der Charakteristik sind namentlich wieder die ernsten: der duster iiber
ostinater BaDfigur in qualenden Dissonanzen dahinbrutende „Bruderm6rder",
das sanft verschleierte „Der Abend kommt, die Dammerung naht M mit
seinem, alles unbestimnrte Zwielicht einer lichten nordischen Nacht und
Quellenmurmeln verbreitenden ostinaten Triller in der Mittelstimme. Man
sieht schon in diesen Ubertragungen, was Sibelius' Lied gibt: Impression,
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206 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
die im Klavier nur das Wesentliche scharf und mit den einfachsten, dem
Orchester entnommenen Mitteln beleuchtet, mit Harfenrauschen, Tremolo,
einfacher Akkordik. Die dichterische Welt seiner Lyrik ist die Finnlands:
Volksleben, Natur, Heimat, Lenz und Liebe, mit Vorliebe aber Not und
Ernst des Menschenherzens bis zur herben Tragik des B Komm' herbei,
Tod! a (Shakespeare) oder der „Schwarzen Rosen** (Josephson). Der keines-
wegs immer leichte Weg zu Sibelius fiihrt durch seine Lieder, von denen
einige wie „Schilfrohr sausle", der volkstiimliche „Jagerknabe tt Runebergs,
Rydbergs „Herbstabend* u. a. groCe Verbreitung gewonnen haben.
Sibelius ist heute die bedeutsamste schopferische Personlichkeit der
nordischen Tonkunst, und wie einst sein freilich ganzlich andersgearteter und
universellerer Vorganger Edvard Grieg hat er in Finnland bereits eine Art
Schule gebildet, deren Vertretern — ich erinnere an den, am starksten
dem franzosischen Neu-Impressionismus (Debussy) zugetanen Selim Palm-
gren, an Erkki Melartin, Oskar Merikanto und Armas Jarnefelt — es
unter den Jungeren nicht immer zum Vorteil gereicht, dafi in der modernen
finnischen Musik, wenigstens fiir uns, eine auffallende stilistische Gleich-
artigkeit herrscht, daQ Eigenheiten von Sibelius' Stil, z. B. die haufigen Sext-
verbindungen, bis zur Manier von manchem unter ihnen nachgebildet werden.
Dies und die fast vergotternde Liebe seines Volkes zeigt, was Si-
belius der finnischen Tonkunst bedeutet: Den Erwecker ihres national-
finnischen Tons, ihren Fiihrer und Meister in unserer Zeit. Was kann er und
damit die finnische Musik seit Wagner nun uns bedeuten? Heimat, Kunst
und Begrenzung durch Rassenfremdheit, die die lebendige Mitempfindung
durch den Affekt herabsetzt, stehen einer wirklichen Assimilierung und
allgemeinen Verbreitung finnischer Musik bei uns noch weit hinderlicher
im Wege, als es bei der iibrigen, rein germanisch-skandinavischen Musik
der Fall ist. Das allgemein Menschliche und Kiinstlerische ist aber gerade
bei Sibelius so groB, dafi wir uber das Begrenzende und Befremdende
seiner Kunst hinuber zugleich auch einen guten Teil finnischer Musik
wurdigen und nachfiihlen konnen.
Gegeniiber der vielfach iiberkultivierten und dann der Natur gefahr-
lich entfremdeten Grundnote jiingstdeutscher Kunst verteidigt mit der nord-
germanischen auch die finnische das Panier der Naivitat, Natiirlichkeit,
Einfachheit und des inneren Zusammenhanges mit dem Volk. Werke wie
Sibelius' „Finlandia a oder B Gesang der Athener* konnte heute — man
mufi das mit Trauer sagen — kein moderner deutscher Komponist mehr
schreiben, da die Scheide zwischen Volks- und Kunstmusik bei uns
schneidend scharf zwischen Uberkultur und Unkultur trennt. So haben
wir, wollen wir auch in der Musik die Gesundung, die einfache Pflicht,
uns auseinanderzusetzen mit des Nordens grofitem zeitgenossischen Kom-
ponisten, mit Jean SibeliusI
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PAGANINI IN PARIS UND LONDON 1 )
VON DR. JULIUS KAPP IN BERLIN
A Is Paganini in Paris erschien, stand dort in alien Gebieten des
L\^ kulturellen und sozialen Lebens das Barometer auf Sturm. Der
*> JL Kampf der Romantik gegen die Gesetze und Fesseln der klassi-
schen Richtung tobte in alien Zweigen der Kunst. Die Julirevolution
hatte uberall die jungen Brausekopfe aufgereizt und ihrem kiihnen, in
gottlicher Frechheit uber alle herkommlichen Schranken dahinsturmenden
Wollen den Weg freigemacht. Alle Bande waren gesprengt, der ent-
fesselten Phantasie gehdrte das Feld. Auf eine Kunstepoche, die in aka-
demisch-klassischen Doktrinen zu erstarren drohte, folgte jetzt als Reaktion
eine Zeit wildesten Uberschwalls, radikalster Neuerungssucht. Je toller,
verbluffender, desto besserl Ehe sich aus diesem genieschwangeren Tasten
und Suchen eine neue, in sichere Bahnen geleitete moderne Kunst heraus-
schalen konnte, feierte sie eine ausgelassene Walpurgisnacht, vor der sich
die Anhanger der alten Schule scheu bekreuzigten, der aber das groBe
Publikum, dem dieser kraftvolle Friihjahrssturm ein wohliges Gruseln,
eine nervenkitzelnde Spannung schuf, willig, wenn auch meist obne tieferes
VerstSndnis, Gefolgschaft leistete.
Es laflt sich daher leicht nachfuhlen, welche Sensation in dem in
solcher Garung befindlichen Paris die Ankundigung einer Erscheinung wie
der Paganini's hervorrufen mufite, von deren unerhorten, noch nie da-
gewesenen Neuerungen man auch hier wahre Wunderdinge vernommen,
die man langst mit fieberhafter Spannung herbeigewiinscht hatte. Endlich,
nachdem die Zeitungen schon so hftufig das falsche Gerucht seiner Ankunft
verbreitet hatten, traf er Ende Februar 1831 in der Seine-Stadt ein. Trotz
dreifach erhohter Eintrittspreise vermochte der grofie Saal des Opernhauses
die Zahl der Besucher an seinem ersten Konzertabend nicht zu fassen.
„Es war eine gottliche, es war eine diabolische Begeisterung," berichtet Ludwig
Boerne von diesem denkwurdigen Ereignis, „ich habe so etwas in meinem Leben
nicht gesehen noch gehSrt. Dieses Volk ist verruckt, und man wird es unter ihm.
Sie borchten auf, daft ihnen der Atem verging, und das notwendige Klopfen des Herzens
storte sie und machte sie bose. Als er auf die Butane trat, noch ehe er spielte, wurde
er zum Willkommen mit donnerndem Jubel empfangen. Und da mufite man diesen
Todfeind aller Tanzkunst sehen, in der Verlegenheit seines Korpers! Er schwankte
umher wie ein Betrunkener. Er gab seinen eigenen Beinen FuBtritte und stieQ sie
vor sich hin. Die Arme schleuderte er bald himmelwSrts, bald zur Erde hinab; dann
streckte er sie nach den Kulissen zu und flehte Himmel, Erde und Menschen um
Hilfe an in seiner grofien Not. Dann blieb er wieder stehen mit ausgebreiteten Armen
] ) Wir entnehmen dieses Kapitel mit Genehmigung des Verlages Schuster
& Loeffler der soeben erschienenen Paganini-Biographie von Julius Kapp. Red.
):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?.
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208 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
und kreuzigte sich selbst. Er war der prachtigste Tolpel, den die Natur erfinden
kann, er war zum Malen. Himmlisch hat er gespielt. In Frankfurt hatte er mir bei
weitem nicht so gut gefallen; das machte die Umgebung."
Unter der durch das Spiel des sagenumwobenen Italieners elektri-
sierten tobenden Menge saB in einer Ecke des Saales still in sich gekehrt
ein schmachtiger, zwanzigjahriger Jiingling. Nur die feurig unter einer
wiisten Haarmahne hervorfunkelnden Augen liefien die gewaltige Erregung
erkennen, die sein Inneres durchwiihlte und ihn am liebsten hatte auf-
schreien lassen wie ein verwundetes Wild. Weltentriickt starrte er auf
jenen seltsamen Mann da vor sich auf der Biihne, dessen Erscheinen ihm
blitzartig den eigenen Zukunftsweg, nach dem er seit lange tastend in der
Irre ging, erhellt hatte. Franz Liszt war es, in dem diese schicksals-
schwere Stunde den Virtuosen der Zukunft, der einst sogar noch Paganini's
Triumphe in den Schatten stellen sollte, gebar. Des Geigers fabelhaftes
Konnen lieC ihn ahnen, welche Leistungsmoglichkeiten auch seinem In-
strument noch innewohnen miiBten, und er, der sich schon die ganze
klavierspielende Welt untertan gemacht, schwur sich einen heiligen Eid,
nicht eher zu rasten, als bis er in seinem Kunstgebiet mindestens dem von
Paganini Erreichten Ebenburtiges geleistet. Mit Feuereifer ging er ans
Werk. Fiir jedermann unsichtbar saB er, der schon als Knabe keine tech-
nischen Schwierigkeiten mehr gekannt, ganze Tage vor seinem Instrument
und ubte. „Entweder ich werde narrisch oder der Kiinstler, den die Welt
jetzt braucht," stand mit ehernen Lettern vor seinem geistigen Auge.
Paganini's kurz zuvor veroffentlichte „24 Capricci* waren die Zauberfibel,
an deren Geheimnissen er zum Zauberer reifen sollte. Bei dem Versuch,
diese technischen Wunder auf dem Klavier nachzuahmen, erschlossen sich
Liszt allmahlich immer neue Wege, aus denen er sich schlieBlich eine
ganz eigene Technik des Klavierspiels gewann. So war der groBte Meister
der Geige, ohne es zu ahnen, zum Anreger und Lehrmeister des gewaltig-
sten Klaviertitanen geworden.
Paganini gab in Paris hintereinander elf Konzerte, die ihm zusammen
iiber 160000 Franken einbrachten. Wie einst in Wien und Berlin, so
verbreitete sich jetzt auch iiber Paris diese neueste Krankheit, die akut
und sehr heftig auftretende, unheimlich ansteckende „Paganinitis a , eine
Epidemie, deren Verlauf gliicklicherweise in den meisten Fallen ungeffihr-
lich blieb und mit Entfernung des Bazillentragers sofort erlosch. Weniger
angenehm waren ihrem Erreger die Begleiterscheinungen, die sich, wie
bisher iiberall, so auch in Paris einstellten, und zwar hier in einem so
heftigen Grade, dafi Paganini es fiir gut befand, dagegen Front zu machen.
Er tat dies in einem offenen Brief an den Herausgeber der Revue musicale,
Professor F6tis:
„Das franzosische Publikum hat mich mit soviel Beweisen seiner Bewunderung
und mit solchen Beifallsturmen uberschuttet, daB ich wohl oder iibel glauben muB,
{ \u\olV" Original from
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KAPP: PAGANINI IN PARIS UND LONDON 209
dafi ich in meinen Konzerten nicht allzuviel hinter dem glanzvollen Ruf, der, wie man
sagt, mir nacb Paris vorausgeeilt war, zurfickgeblieben bin. Hegte ich daran noch
Zweifel, so wurden sie zerstreut durch die Emsigkeit, mit der die Kfinstler meine
Gestalt wiederzugeben sich bemfihen, durch die Unzahl von guten und schlechten
Paganini-Portrats, die Paris fiberschwemmen. Doch diese Geschaftsspekulation be-
gnfigte sicb nicbt bei Portrats. Als ich gestern den Boulevard des Italiens entlang
ging, sah ich in eincm Schaufenster eine Lithographie: ,Paganini im GefSngnis*.
Gut, sagte ich mir, das sind halt die Dunkelmanner, die eine Veriaumdung, von der
ich seit funfzehn Jahren verfolgt werde, geschickt zu ihrem Vorteil auszunfitzen suchen
Doch ich ging lachelnd heran, um mir die Einzelheiten, mit denen die Phantasie des
Zeichners diese Mystifikation ausgestattet, zu betrachten. Da sah ich mich plotzlich
von einer grofien Menschenmenge umringt, die meine Gestalt mit der jenes Jfinglings,
der auf der Lithographie wiedergegeben war, verglich und konstatierte, dafi ich mich
seit der Zeit meiner Gefangenschaft stark ver&ndert habe. Da merkte ich erst, daft
diese Tolpel die Sache fur ernst nahmen, und daO die Spekulation mit dem Bild
keine schlechte war. Die Herren Zeichner stellen mich als Gefangenen dar, doch
was mich ins Geftngnis gebracht hat, wissen sie wohl ebensowenig, wie ich selbst
und die Erfinder dieser Anekdote. Hierffir gibt es mehrere Fassungen, die alle als
Vorlage fur ein Bild dienen konnten! Z. B. erzahlt man sich, dafi ich einen Neben-
buhler bei meiner Geliebten ertappt und ihn tapfer von hinten, als er sich nicht zur
Wehr setzen konnte, niedergestochen habe. Andere wieder behaupten, daft ich meine
wutende Eifersucht an der Geliebten selbst gekuhlt hatte, doch fiber die Art und
Weise, wie ich ihrem Leben ein Ende gemacht, ist man sich nicht ganz einig. Die
einen lassen mich zum Dolch greifen, die anderen sie langsam mit Gift zu Tode
martern. Kurz, jeder lafit da seine eigene Phantasie spielen; die Lithographen kSnnten
es ja ebenso machen! Ich selbst erlebte vor ungefShr 15 Jahren in Padua folgendes:
Am Tage nach einem erfolgreichen Konzert setzte ich mich, ohne dafi man mein Ein-
treten bemerkt hatte, an die table d'hote. Einer der Gaste schwSrmte in schmeichel-
baften Worten vom Eindruck des vergangenen Abends. Sein Nachbar stimmte ihm
begeistert bei, fugte aber hinzu: ,An der Geschicklichkeit Paganinis ist schliefilich
nichts Verwunderliches, er verdankt sie seinem achtjahrigen Aufenthalt im Kerker,
wahrend dessen er eben nichts anderes hatte als seine Geige. Er war zu dieser
langen Bufie verurteilt worden, weil er feige einen meiner Freunde, der sein Neben-
bubler war, niedergestochen hatte/ Alles bezeugte seinen Abscheu fiber das Ver-
brechen. Da wandte ich mich an denjenigen, der meine Lebensgeschichte so genau
zu kennen schien, mit der Bitte, mir zu sagen, wo und wann dieses Abenteuer sich
abgespielt habe. Aller Augen waren auf mich gerichtet, und das Erstaunen war un-
beschreiblicb, als man in mir die Hauptperson dieser tragischen Geschichte erkannte.
Der Erzahler geriet in arge Verlegenheit. Jetzt war es schon nicht mehr sein Freund,
der urns Leben gekommen war; er hatte sagen horen . . . man hatte ihm bestatigt
. . . er hatte geglaubt . . . aber es ware moglich, dafi ein Irrtum vorliege usw. —
So spielt man mit dem guten Namen eines Kfinstlers, weil die Alltagsmenschen in
ihrer Faulheit es nicht fassen konnen, dafi er als freier Mann ebenso fleifiig geubt
haben konne, wie hinter Schlofi und Riegel. In Wien stellte ein noch lacherlicheres
Gerucht die Leichtgiaubigkeit der Enthusiasten auf die Probe. Ich hatte dort meine
Variationen Le Streghe (Die Hexen) mit grofiem Effekt gespielt. Ein Herr mit blassem
Teint, melancholischem, steltsamem Wesen versicherte, an meinem Spiel durchaus
nichts Erstaunliches gefunden zu haben: denn er habe deutlich wahrend der Hexen-
variationen den Teufel neben mir stehen und mir die Hand und den Bogen ffihren
sehen. Seine verblfiffende Ahnlichkeit mit meinen eigenen Gesichtszugen verrate
XIII. 4. 14
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I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
210 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
deutlich meine Herkunft; er war rot gekleidet, hatte Horner auf der Stirn und einen
Schwanz zwischen den Beinen. Es ist klar, daO nach einer so genauen Beschreibung
die Wahrheit des Gehorten aufler Zweifel stand, und dafi nunmehr viele Leute uber-
zeugt waren, hinter das Geheimnis meiner yBravourleistungen* gekommen zu sein.
Lange Zeit beunruhigten mien derartige Geruchte, und ich bemubte micb, sie als
Unsinn zu entlarven. Ich wies darauf hin, daft ich seit meinem vierzebnten Jahr
ununterbrochen offentlich in Konzerten mich zeige, dafi ich sechzehn Jahre lang als
Kapellmeister am Hofe zu Lucca angestellt war, und daQ im Falle der Richtigkeit
meine achtjahrige Gefangenschaft wegen Totung meiner Geliebten Oder meines Neben-
buhlers sofort hatte bekannt werden mussen, oder ich bereits mit sieben Jahren eine
Geliebte gehabt haben mufite. Ich rief in Wien das Zeugnis des italienischen Bot-
schafters an, der erklSrte, mich seit ungefahr zwanzig Jahren als Ehrenmann zu
kennen, und brachte dadurch das Gerucbt vorubergehend zum Schweigen. Doch es
bleibt bei solchen Dingen immer etwas haften, und ich war daher nicht erstaunt, ihm
hier wieder zu begegnen. Was ist da nun zu tun? Ich sehe keinen anderen Weg,
als es geduldig uber mich ergehen zu lassen, daQ die Bdswilligkeit der Menschen sich
auf meine Kosten gutlich tut. Ich halte es jedoch fur meine Pflicht, zum Schlufi noch
auf ein Ereignis hinzuweisen, das den uber mich umlaufenden beleidigenden Geruchten
Nahrung geboten hat. Ein Violinist, namens Duranowski, lieB sich 1798 in Mailand
von zwei ublen Kumpanen verleiten, eines Nachts auf einen reichen Priester einen
Mordanschlag auszufuhren. Zum Gluck sank einem der Schuldigen kurz vor der Tat
der Mut und er denunzierte seine Helfershelfer. Die Polizei lauerte Duranowski und
seinem Komplizen am Tatorte auf und verhaftete sie. Sie wurden zu 20 Jahren
schweren Kerkers verurteilt, aber der General Menou gab, nachdem er Gouverneur
von Mailand geworden, nach zwei Jahren dem Kunstler die Freiheit zuruck. Auf
dieser Grundlage, es ist kaum zu glauben, hat man die Geschichte uber mich erfunden.
Es handelte sich um einen Geiger, dessen Namen auf i endete, also war es Paganini.
Da man sich uber jede Wahrscheinlichkeitsmoglichkeit glatt hinwegsetzt, so bleibt mir
nichts anderes ubrig, als nachzugeben. Es bleibt mir nur die eine Hoffnung, daQ
nach meinem Tode die Verleumdung ihr Opfer freilassen wird und daQ die, die sich
so grausam wegen meiner Triumphe an mir gericht, wenigstens meine Asche in Frieden
lassen werden."
Dieser Appell an die Offentlichkeit, der, soweit er sich auf Tatsachen
zu stutzen sucht, durchaus unrichtige Angaben enthalt, verhallte ungehort,
und auch Paganini's letzte Hoffnung, daQ nach seinem Tode all diese Ge-
ruchte verstummen wurden, sollte nicht in Erfiillung gehen. Zu all dem
Gerede, das den Kunstler reichlich argerte, gesellte sich unerwartet noch
ein Vorfall, der in Paris boses Blut machte und die durch Paganini's Ver-
teidigungsbrief etwas herausgeforderte dffentliche Meinung gegen ihn heftig
anschwellen lieC. Man hatte ihn aufgefordert, bei einem im Opernhaus
veranstalteten Wohltatigkeitsballfest mitzuwirken, und er hatte dies als
seiner unwiirdig abgelehnt. Er wurde daher in den Zeitungen heftig an-
gegriffen und des Geizes und kaltherzigen Egoismus beschuldigt. Paganini
suchte zwar sofort durch eine dffentliche Erklarung den Entrustungssturra
zu bannen:
„Einige Zeitungen verkunden," lautet seine Zuschrift an die Revue musicalc,
w daQ ich mich geweigert habe, bei einem von der Nationalgarde fur den 11. April im
n . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
KAPP: PAGANINI IN PARIS UND LONDON 211
Opernhaus vorbereiteten Ballfest zu Gunsten der Armen zu spielen. Ohne mich hier
in Erorterungen einzulassen, inwieweit es fur einen Kunstler angftngig oder uberhaupt
moglich ware, sich mit oder ohne Orchester an einer derartigen Veranstaltung zu
beteiligen, beschranke ich mich auf folgende Darlegungen, als einzige Antwort auf
die gegen mich gerichteten Beschuldigungen. Der Saal des Opernhauses stand mir
fur kommenden Sonntag zur Verfugung fur eines meiner Konzerte, und ich habe
keinen Augenblick gezSgert, ihn fur die Vorbereitungen des Balls der Nationalgarde
am folgenden Tag freizugeben; dieser Verzicht bedeutet fur mich ein Opfer oder
wenigstens den Aufschub einer Einnahme von 15 bis 20000 Frcs. Ich fuge noch hinzu,
da (J ich es in Wien, Berlin und alien Stadten, in denen ich langer verweilte, fur meine
Pflicht hielt, fur die Armen zu spielen, und dafi ich sicher gerade in Paris, wo man
mich mit solchem Wohlwollen tiberhaufte, hiervon keine Ausnahme machen werde.
Ich bitte Sie daher, moglichst bald bekannt zu geben, dafi der Ertrag einer meiner
nacbsten Soir6en in der Oper in vollem Umfang fur die Armen der Stadt bereit-
gestellt wird. a
Dieses so angekiindigte Wohltatigkeitskonzert fand auch wenige Tage
spfiter statt, d. h. Paganini stellte die Einnahme seines nachsten Konzertes,
die iibrigens die schlechteste von alien seinen Pariser Konzerten war, am
Tag danach wohltatigen Stiftungen zur Verfugung. Der Aufenthalt in Paris
war ihm durch all diese Streitigkeiten ziemlich verleidet, er brach ihn
daher, fruher als ursprunglich geplant, ab, um noch den SchluC der
Saison in London fur sich ausnutzen zu konnen. Vor der Abreise richtete
er an den Dirigenten seiner Pariser Konzerte, Kapellmeister Habeneck, ein
schmeichelhaftes Dankschreiben.
„Ich will Paris nicht verlassen," heiflt es darin, „ohne Ihnen meinen Dank
auszusprechen fur die Muhe, die Sie auf die Leitung meiner Konzerte verwandten
und Ihr groQes Talent, das mit zu meinen Erfolgen beitrug. Man hatte mir das
Orchester der Pariser Oper sehr geruhmt, aber Sie und ihre trefflichen Leute haben
meine Erwartungen weit ubertroffen. Erst in Paris fand ich das erste Orchester
Europas, das mir meine Musik so zu Cehor brachte, wie ich sie mir gedacht, und
das mich vollendet begleiten konnte."
Der Aufenthalt in London begann mit einem herben MiDklang. Der
Direktor der Italienischen Oper, ein gewisser Laporte, figurierte als
Paganini's Manager; er hatte aber im Vertrauen auf die Neugier und
Reklamesucht seiner Landsleute den Bogen zu straff gespannt und fur
das erste Konzert des italienischen Weltwunders auf englischem Boden
so unerhorte Preise angekiindigt (sie schwankten zwischen 262 Frcs. fur
eine Loge und 12,50 Frcs. fur den billigsten Einzelplatz!), daC sich in der
Presse ein Entriistungssturm erhob und das Publikum die Gefolgschaft
verweigerte. Paganini sagte daher ,gesundheitshalber tt einen Tag vor dem
festgesetzten Termin das Konzert ab und kiindigte fiir wenige Tage spater
ein neues Konzert zu normalen Preisen an. In einem Rundschreiben an
die Presse suchte er den iiblen Eindruck seines verungliickten Debuts
zu verwischen und als Mifiverstandnis hinzustellen:
„Die knappe Zeit, die mir vor dem angekundigten Konzert im Kings Theatre
zur Verfugung stand, erlaubte mir nicht, mich um die Organisation selbst zu kummern.
14*
n . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
L
212 DIE MUSIK XIIL 4: Z NOV EMBER HEFT 1912
In alien Slid ten, la denen Ich bfsher koazertierte, warden die Eintrftteprelse w
doppelL Vie mm mif nun sigte, sind die Frefee der PUtze bier in itch weit hdfaer
ilk inderwirts, and dirin litgt der Grand, diB roeia Maasger, der wte tout bei mir
fiblich verftibr, dte Preise in hit licherliche Htiben talniuftcbraubte. Ich unterwerfe
mlch nit&rlteb den Gewobnbeiten, die In der englfecbea Metropole ftblich slhd, and
boffc mir die Acbtang des Pablikums, dessen Protection mir der htichsfe Gewinn
lit, in erringen**
Weniger nachgiebig zelgte sich der KOostler dem englischen Hof
gegenuber* Er forderte far wine Mitwirkung in einem Hofkonzert 100 Pftind,
and als men ihm die HUfte bot» antwortete er, Seine M*jc*t*t k5nne ibn
noch vie] billiger hdren, weon si© seine Konzerte Im Theater besuche,
aber feilschen Uefle er nictat mit sich. Die englische Press© blieb nacfa
wle vor ibm wenlg gfinstig gesinnt und brandmarkte bei jeder Gelegenheit
das Ausplunderungssystem, das dieser geizige Auallnder in England betreibe.
Das Publikum liefi sich aber dadurch nicht beirren and drlngte sich in
hellen Scharen zu seinen Konzerten. An ffinhehn Abenden liefi sich
Paganini in London bSren und erzielte dabei eine Einnahme von rnnd
260000 Francs I Hierzu kamen noch zuvor unerhBrte Betrlge, die ihm
in hocharlstokratischcn Kreisen ffir Soireen geboten warden and ffir Privet*
stunden, dte er vornehmen Ladies erteilte, die daranf brannten, dlesen
HSllensobn einmal sub nlcbster Nflhe zu sehen und sich rubmen za
kdnnen, seinen Unterticht genossen zu haben: ein Scherz, den aich der
Kfinstler mit 1000 Mark fQr die Stunde bezahlen HeBI
Als die Konzerteinnahmcn in London nacbzuUssen begannen, folgte
aaf dns letzte, allerletzte, unwiderruflich letzte, das wirklich letzte Konzeit,
and Paganini trat eine Reise durch die Provinz an, anr der er alle grdfieren
und mittleren Sttdte der drei Kdnigreiche helmsuchte. Ffir die Tournec
hatte er sich einem spekulativen englischen Impresario gverkauft", wie
die Zeitnngen verlchtlich berichteten, d. ta, er erhielt eine bestimmte hate
Monatseinnahine, wogegen er verpflichtet war, iiberall anfzutreten, wo aein
Impresario, der allein das Risiko and den Gewinn an alien Veranataltungpn
tnift Konzerte arrangierte. Paganini wurde damit der Begrunder eines
Systems, das spftter von vielen Kunstlern, die der gescbSftlichen und
orgnnisatorischen Schwierigkeiten ibres Berub ledig sein wollten, nach-
geahmt wurde. Damals war es noch etwas Unerhfirtes, and dlese m Er~
niedrigang zum wiUenlosen Werkzeug eines Geschftftsmannes* wurde
dem KQnstler als schmachvoll angereebnet, Auch aur dlese Fahrt durch
das englische Land folgte ibm der Groll der Presae Bach. So versah eine
Zeitung in Bristol die Anzeige seiner Konzerte mit folgender Rand-
bemerkung: .Mitbfirger, mit dem Geffihl tiefeten Abscheus kfindlge ich
die bevorstebenden Konzerte Paganioi's in uaserer Stadt an. Was sollen
diese in den gegenwirtigen Zeiten des Uoglucks und der Not? Obendl
werden Sammlungen fBr die Annen veranstaltet, wozu kommt aber dieter
(' \ v \ tf - Original from
::j| ^^ H 7s K UNIVERSITY OF MICHIGAN
KAPP: PAGANINI IN PARIS UND LONDON 213
frerade Geiger? Er will das den Elenden bestimmte Geld entfiihren.
LaDt Euch durch die ,musikalischen Ungeheuerlichkeiten 4 dieses Fremden
nicht behexen, der nur die Naivitat John Bulls ausbeuten will." Doch
das Publikum folgte iiberall willig seinem Ruf, und reich beladen mit dem
Golde Albions kehrte Paganini nach nennmonatlichem Verweilen auf eng-
lischem Boden und Absolvierung von insgesamt 132 Konzerten nach
Paris zuruck.
Hier hatte indes ein anderer, noch unheimlicherer Spielmann zum
Tanz aufgespielt, dessen Weisen die Massen noch unwiderstehlicher nieder-
zwang, als der Zauberbogen des Genuesen: der Tod wfitete mit Hilfe eines
furchtbaren Genossen, der Cholera, in den Mauern der Stadt und raffte
ein bliihendes Menschenleben nach dem anderen dahin. Paganini schreckte
selbst vor dem Wettstreit mit diesem furchtbaren Nebenbuhler nicht zuruck.
Neunmal lud er die Pariser wahrend dieser entsetzlichen Wochen der
Trauer und Todesangst zu Konzerten in die GroCe Oper, und wenn die
Einnahmen auch nur ein Viertel der Hohe des Vorjahres erreichten, so
konnte er doch mit seinem Publikum zufrieden sein. Das zweite dieser
Konzerte hatte den grofiten Zulauf: es fand zugunsten der Cholera-
kranken statt.
Ungefahrdet von der todbringenden Seuche verlieC Paganini nach
drei Monaten wieder die Seinestadt, um, wie im Vorjahr, wahrend der Sommer-
monate in England frischen Lorbeer zu erringen. Wenn er auch diesmal
wieder rait Begeisterung aufgenommen wurde, so drangte sich die Menge
doch nicht annahernd so gierig zu seinen Konzerten wie fruher, und der
Ertrag der diesmaligen zwolf Londoner Soir6en war nur ein Viertel des
vorjahrigen. Nach einer kiirzeren Tour durch Siidengland kehrte der
Kiinstler im Herbst wieder nach Paris zuruck, wo er, abgesehen von einem
Abstecher nach Rouen und Le Havre, den Winter verbrachte, ohne wesent-
lich hervorzutreten. Erst im Friihjahr 1833 begann er wieder einen
Zyklus von Konzerten in der GroCen Oper. Sehr verubelt wurde ihm
seine Weigerung, an einer zugunsten der englischen Schauspielerin Hen-
riette Smithson veranstalteten Matinee mitzuwirken. Diese wenige Jahre
zuvor in Paris iiberschwenglich gefeierte Kunstlerin, jetzt Braut Hector
Berlioz', hatte mit ihrem englischen Theater falliert und war in Not ge-
raten. Alle bekannteren Pariser Kiinstler, so Chopin, Liszt, Hiller, kamen
bereitwillig der bedrangten Kollegin zu Hilfe und beteiligten sich an einem
von Berlioz veranstalteten Benefizkonzert. Nur Paganini schlofi sich aus.
Er wurde deshalb heftig angegriffen.
„Paganini hat eine Contribution von sieben- oder achtmalhunderttausend Francs
in England einzutreiben geruht," schreibt bissig TEurope litt€raire, „der Zauber seines
Bogens ist mSchtiger als das Szepter vieler Herrscher . . . MiQ Smithson bittet von
inrem Schmerzenslager aus Herrn Paganini, ein kleines Stuckchen um ihretwillen zu
r\, ( voir Original from
. - m:j :.. y ^ 1 1 k >^ I v UNIVERSITY OF MICHIGAN
214 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
spielen . . . Herr Paganini lehnt ab! Primo mihi (Erst komme ich), diese Devise
des Egoismus kann zuweilen gerechtfertigt sein, doch in diesem Fall gewiB nicbt. Es
scheint aber, daQ Herr Paganini den unabSnderlichen EntschluS gefafit hat, gar nie zu
dem Nacbsatz eras tibi (Dann kommst du) weiter zu schreiten. a
Im Mai begab sich Paganini zum drittenmal nach England und kehrte
nach einer leidlich erfolgreichen, aber anstrengenden Konzertsaison im
Herbst wieder nach Paris zuriick, um den in diesem Jahre wieder heftiger
auftretenden korperlichen Leiden durch Ruhe und sorgsame Pflege wirk-
samer entgegenarbeiten zu konnen. Nachdem sich sein Befinden langsam
gebessert hatte, trat er Ende Februar 1834, ohne den Winter iiber in Paris
im Konzertsaal aufgetreten zu sein, eine Rundreise durch Belgien an. Doch
diese endete mit einem eklatanten MiBerfolg. Nachdem er schon infolge der
Hetze der katholischen Presse, die das Volk vor den Hexenkiinsten dieses
„Verdammten a warnte und sich im Anschlufi an die Pariser Ereignisse
fiber seinen Geiz in hafilichster Weise erging, in den meisten Stadtcn vor
leerem Saal gespielt hatte, wurde er in Briissel bei seinem Erscheinen
im Th6atre de la Monnaie ausgelacht, mit Kosenamen wie „Schwarzes
Skelett" u. a. begriiOt, und auch sein Spiel vermochte die boshafte Heiter-
keit der Horer nicht zu beschwichtigen. Paganini zog es daher vor, so
schnell wie moglich dieses ungastliche Land zu verlassen, und begab sich
von neuem nach England. Doch auch hier blieb der Erfolg diesmal in
bescheidenen Grenzen. Eine solche, immerhin einseitige Ausnahme-
erscheinung wie er, muBte eben bei allzu haufiger Wiederkehr ein gut Teil
ihres geheimnisvollen Reizes einbiiBen. Der mystische Schleier schwand
allmfihlich, was an dieser seltsamen Erscheinung die ersten Male frappiert
und eben durch das Fremdartige hingerissen hatte, verlor auf durch
Wiederholung abgestumpfte Sinne immer mehr an Einwirkung, der Rausch
verflog und es blieb — nicht am wenigsten dank der hamisch zersetzenden
Zeitungsangriffe — eine Art Katzenjammer zuriick. Man schamte sich
gewissermaBen seiner ersten ubertriebenen Huldigungen und lieB den
Kiinstler das jetzt entgelten.
Zu allem UberfluB endete diesmal die englische Reise noch mit einem
groBen offentlichen Skandal. Kaum war Paganini auf der Riickreise in
Boulogne-sur-mer eingetroffen, als die franzosischen Zeitungen spaltenlange
Berichte fiber eine geheimnisvolle Entffihrung einer Sechzehnjahrigen durch
ihn aus London brachten. Sein Londoner Impresario, ein Mr. Watson, be-
schuldigte ihn, seine Tochter, der er die Ehe versprochen und die er mit
kostbaren Geschenken verblendet habe, zur Flucht aus England bet5rt zu
haben. Er war den Flfichtigen nachgeeilt und hatte durch die Behorden
in Boulogne die Auslieferung seiner Tochter erzwungen.
„Was Paganini betrifft," fugten die Zeitungen boshaft hinzu, „so soil er durch
diese EnttSuscbung nicbt sonderlich erschuttert worden sein: die SchSpfungen seines
Genies, diese himmlischen Geliebten, die er mit einem einzigen Strich seines Zauber-
rv . , f Y\£\oLr- Original from
I i:u j,u:j :r, v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
KAPP: PAGANINI IN PARIS UND LONDON 215
bogens urn sich crwecken kann, durften ihn leicht trosten uber den Verlust einer
gewohnlichen Sterblichen . . . a
Paganini verteidigte sich in einem langen w Offenen Brief, stellte
den Mr. Watson als ein ganzlich verkommenes Subjekt dar, der schon
mehrfach im Gefangnis gesessen, seine Frau ins Elend gestofien habe, mit
einer Maitresse schlimmster Sorte lebe und seine Kinder bis aufs Blut
peinige und ausniitze. Die Tochter habe er zur Konzertspielerin ausbilden
wollen, da sie sehr talentiert sei, der Vater habe dies aber aus Eigennutz
abgelehnt.
B Um sich den MiBhandlungen zu entzieben," fahrt Paganini fort, „floh sie aus
dem Hause ihres Vaters und kam, eingedenk meines Anerbietens, aus eigenem
Antrieb zu mir und bat um meinen Schutz und Hilfe. Ich habe also Mift Watson
keineswegs entfubrt, wie der Betruger von Vater mich zu beschuldigen wagte. Wenn
ich diese verwerfliche Absicht gehegt hfitte, so ware nichts leichter als das gewesen,
denn wihrend Watson im Gefangnis saB, aus dem ihn meine Freigebigkeit ausloste,
war seine Tochter frei und allein, da seine Geliebte jede Nacht das Haus verlieB, um
den Gefangenen zu erfreuen. Doch, ich gestehe es kuhn, Mifi Watson war uber-
zeugt, daQ sie in mir den Beschutzer finden wurde, den sie brauchte, und den Bei-
stand, den ihr ihr Erzeuger versagte . . . Ich folgte also einer selbstlosen und
edelwollenden Regung, die an Stelle des Tadels und einer niedertrdchtigen Beschul-
digung das Lob eines jeden anstHndigen Menschen, der fahig ist, eine gute Tat zu
wurdigen, verdiente. Fur diejenigen, die in meiner Handlung eine Ausschweifung und
schSndliche Regungen erkennen wollen, habe ich nur mitleidige Veracbtung iibrig."
Auf diesen stolzen Rechtfertigungsversuch des Kiinstlers erwiderte
die Presse, zwar verbliimt aber doch deutlich genug, dafi sie den Beteue-
rungen des beruhmten Paganini, „dessen Lob als Kiinstler sie so oft ge-
sungen, dessen Charaktereigenschaften aber ihn als Menschen schon so
haufig kompromittiert hatten", keinen Glauben schenke. Auch eine noch-
malige Entgegnung auf diese beleidigende Beschuldigung vermochte die
offentliche Meinung nicht zugunsten des Kiinstlers umzustimmen.
Kaum war Paganini nach diesem peinlichen Vorfall in Paris einge-
troffen, so eroffnete der allmachtige Kritiker des ^Journal des D6bats*,
Jules Janin, gestutzt auf die Paganini ungunstige Stimmung des Publi-
kums, einen heftigen Federkrieg gegen ihn.
w Wie empfing man zuerst dieses groteske Etwas, diesen lebenden Leichnam
Paganini bei uns! Man hStte die Mauern von Paris gesturmt, wenn die Tore nicht
weit genug gewesen wfiren! . . . Um ihn zu horen, uberwand man sogar die Furcht
vor der Cholera. Und heute? Jetzt ist er fur uns tot! Als Kiinstler ist er tot! Der
Geizhals hat den Kunstler in ihm getStet. An jenem Tag, an dem Paganini, gold-
beladen aus London zuruckgekehrt, sich weigerte, in dem Beneflz fur einige arme
engliscbe Schauspieler [Harriett Smithson], deren letzte Hilfsquellen erschopft waren,
zu spielen, verlor er bei uns jeden Kredit. Er kann reisen in Frankreich wohin er
will, seine Geige wird uberall in ihrem Kasten bleiben mussen, zu unnutzem
Scbweigen verdammt!"
Indem er ihm die traurigen Erfahrungen in Belgien und London vor
Augen stellt, weist er ihm in letzter Stunde noch einen Weg zurRettung:
rv . , f Y\£\oLr- Original from
I i:u j,u:j :r, v 1 1 n ) , I i ^ UNIVERSITY OF MICHIGAN
216 DIE MUSIK X1IL 4: Z. NOVEMBER HEFT 1913
Paganiai gebe ein gro&es Konzert zngunaten der tiberachwemmten von
Saint-Etienne nod tiles soil vergessen sein. Die Presse wlrd ihm das
Publiknm wieder zuHibren. Da Paganlni dicker Anfforderung nicht nacb-
kam, so ernenerte J aula seine Angriffe in Terschftrfter Form in einem
secbsspaltigen FeuiUeton: » Paganlni and die Oberschwemmten von Saint-
Ettenae,* Paganlni erkannte, daS die Situation ffir ihn verloren war*
Weitere Konzertreisen verspracben Kir die nKcbste Zeit doch nur geringen
Ertrag, und da ihm der Aufentbalt in Frankreich wle England durcb die
Vorttile der letzten Zeit begref Hicherweiae arg verleldet war, nberdlea seine
Gesundheit nach den Anstrengungen nod Aufrogungen der unnmerbrochenen
Virtuosenhhrten dringend einer Mngeren Erhotungszeit bednrfte, so zog er
es vor, alien Wciterungen aus dem Wege zu gchen. In eioem kurzen
Brief an die .Dfibata* erklirte er, er sei krank and kSnne, nachdem er
schon Beit drai Monaten in Frankreich nicht mehr konzertiert babe, aucta
jetzt nicht spielen; er begebe sich nach dem Suden, Mifimutlg und ver-
folgt von dem Hohn der Gegner verlieB er Paris, in das er vor drel
Jahren ala Triumphator eingezogen, and kebrte nach einer Abweeenbeit
von fiber aecha Jahren, wihrend deren er die Huldignngen von hatb
Europft cmpfangen und unerhdrte Reichtfimer gewonnen hatte, in sein
Heimatland zurBck.
/ ^ I , Original from
" " ::j ' ^°°N K UNIVERSITY OF MICHIGAN
DIE HAUPTKADENZ IM WANDEL DER ZEITEN
EIN BEITRAG ZUR HARMONIELEHRE
VON MARTIN FREY IN HALLE A. S.
A uch die Kadenzen haben ihre Schicksale. Eine sehr bewegte Ver-
/ \ gangenheit hat z. B. die wichtigste aller Kadenzen, die Hauptkadenz
A> L SDT, hinter sich. Noch vor wenigen Jahrzehnten erschien sie
in alien Lehrbiichern in einer triigerischen Gestalt, und zwar als
2
T S T D T. Sie wiirde vielleicht auch heute noch ihr Scheinleben weiter-
fuhren, hatte nicht Prof. Dr. Hugo Riemann, der geniale Pfadfinder in dem
Reiche der Harmonieen, einen Akkord daraus als Betruger entlarvt. Es
handelt sich urn den sogenannten „dominierenden Quartsext-Akkord", der
sich friiher in den Theoriebiichern eines groBen Ansehens und gewisser
Vorrechte erfreute, die ihm nun mit einem Male genommen sind. War es
dem Quartsext-Akkorde sonst nur erlaubt, auf leichten Taktzeiten, und auch
hier nur auf leisen Sohlen, d. h. mit Sekundschritten, im Basse aufzutreten
und ebenso unauffallig zu verschwinden, so durfte er dort ausnahmsweise
in der Hauptkadenz mit einem Sprunge auf der Bildflache erscheinen.
Aber es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
Eines Tages, da kam der Doktor Eisenbart — pardon Dr. Riemann — und
kurierte den Quartsext-Akkord nach seiner Art von seinem tonikalen Wahne.
Er durchleuchtete ihn mit den X-Strahlen seines Forschergeistes und machte
eine ebenso interessante als uberraschende Entdeckung. Und was stellte
sich heraus, als dem musikalischen Schwindler die gut gewahlte Maske
vom Gesicht gerissen wurde? Vor uns steht nun eine durch zwei Vor-
halte unkenntlich gemachte Dominante. Der Quarten- und Sextenvorhalt
hatten die Harmonie als zweite Umkehrung der Tonika erscheinen lassen.
Also die reinste Vorspiegelung falscher Tatsachen! Fragen wir uns nun,
was wir durch diese Erkenntnis gewonnen haben, so konnen wir antworten,
daC die Einheitlichkeit der Hauptkadenz T S D T dadurch gestarkt worden
ist, indem eine Durchbrechung der Regel durch eine sich zwischen Sub-
dominante und Dominante einschiebende Tonika wegf&llt.
Leuchtet die Riemannsche Erkenntnis jedem harmonisch Denkenden
ohne weiteres ein — ein Beweis dafur ist die Ubernahme dieses Satzes
in die Lehrbiicher verschiedenster Richtung — , so hat es doch seine
Schwierigkeit, den jungen Schiiler von der Richtigkeit dieser Behauptung
zu uberzeugen. Der Anfanger in der Theorie halt sich eben an das, was
vor Augen ist, und ist nicht ohne weiteres geneigt, die neue Auslegung
des dominierenden Quartsext-Akkordes der ersten Stufe als verkappter
Dominante willig hinzunebmen. Die Erklarungen der mir zur Hand stehenden
n ,, ( Y\£\oLr Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
218 DIB MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
Lehrbikher sind nun lelder nicht so fiberzeugender Natur, daft man tinea
Anflnger in derTheorie sofort fflr die neue Aufrassung gpwinnen kSnnte.
Einen schlagenden Bewels durfte man aber als Lehrer zur Hand baben,
venn man die Kadenz S D T im Wandel der Zeiten an lebendigen Bel-
spielen vorfiihrt, an denen heate kein Mangel mehr 1st. Ich darf wohl
annebmen, dafi jeder seiner Aufgabe vollbewufite Lebrer seinen Noten-
bestand nicht nor bis zu dem leuchtenden Dreigestirn am Wiener Musik-
bimmel, Haydn, Mozart vnd Beethoven, vollstlndig beisammen hat, sondern
aufier Bach, Hindel, Domenico Scarlatti noch einige Koatproben von Samuel
Scheldt, Job. Hermun Scheie, Frobetger, Farina, Faach und anderen
iiteren Meistera beaitzt.
Dann 1st es aber ein Ielchtes, dem Scbfiler ana der Literatur nach-
zuveiaen, dafi im 15. und 16. Jahrbnndert der .dominlertnde Quartsext-
Akkord* eigentllcb gar nicbt vorkommt, dagegen die Dominant ein der Haupt-
kadenz S D T mit zwel Harmoniet6nen, und zwar mlt der Prim nnd Quint
vertreten 1st und an Stelle der Terz der Quartenvorhalt auftritt. In den
Werken ana Jeaer Epocbe kommt die Kadenz In dieser Geitalt ao oft vor,
dafi ale Mr jene Zeit direkt typisch genannt werden mult. So bringt z. B.
Heinricb laaak (ca. 1440 — 1514) — slefae Hugo Rlemanns *Musik-
geschichte In Beisplelen*, Verlag: Seemann — in seiner .Sinfania La Morra*
in 48 Takten siebenmal die Dominanthannonle in der Kadenz mit dem
Quartenvorhalt (D|^) und nicht ein elnzigea Mai den Akkord Dj (den
Quartsext- Akkord nacb der alten Auffaasung)* Heinricb Fink scbreibt in
seinem 1536 gedmckten vierstimmigen deutschen Liede ,Auf gut Gelfick
wag 1 ich's dahin" in 20 Takten f fin final Dtl nnd Ludwig Senfl (1492
bis 1555) wendet den Akkord in der gezeigten Form in seinem Liede
v Es jagt ein jager geachwinde doit oben vor dem Holz* in 44 Takten
sechsmal an. In keinem der drei Werke 1st der Doppelvorbalt der
Quarto nnd Sexte zu Bnden. Bei J, J. Froberger (1600 — 1667), einem der
grOAten Klavienneister vor Seb, Bach, taucht er nur sebr vereinzelt anf.
Ancb bei seinem Zeitgenossen Job. Hermann Scbein, einem Vorginger Bachs
an der Tbomas-Schule, tritt der bewuBte Akkord in den mir vorliegenden
Werken, die Hugo Riemann In .Reigen nnd Tinze ana Kaiser Matthias'
Zeit* bei Kistner hat erschelnen lasaen, nnr in der schon erwfthnten Ge-
stalt auf.
In den Werken Hindel s und Bachs bat dagegen der doppelte Vor-
halt bereits ein Heimatrecbt gefunden, Seit dieser Zeit hat er sicb be-
hauptet und zeigt seinen Chnrakterkopf so htufig, dafi fBr den Iiteren
Bruder nur selten Raum ubrigbleibt Man kann wobl sagen, dafi er mit
seinem kernigen, kraftvollen Wesen einen starken volkst&mlichen Zug bat,
der ihm uberall Tor und Tar offaete.
Seit Chopin, dem genlalen NeutBner auf harmoniscbem Gebiete, Bndet
t ^ I , Original from
J - ^' tK> \ K UNIVERSITY OF MICHIGAN
FREY: DIE HAUPTKADENZ IM WANDEL DER ZEITEN 219
man ofter auch Dominante mit Prim und Terz und dem Sextenvorhalt, ein
Akkord, der einen aparteren, vornehmeren Charakter hat. Man denke sich
in seinem Scherzo op. 31 im A-dur Satze in der Schlufikadenz die Quarte
„a a statt der Terz ,gis" (in der rechten Hand), und man wird erstaunt sein,
welche Wirkung die D 2 auf unser Ohr ausubt. Im c-moll Pr61ude op. 28
No. 20 erscheint die Kadenz T S D T in den beiden ersten Takten mit D g
gleich zweimal und verleiht dem Prelude dadurch einen eigenartigen Reiz.
Auch Max Reger erzielt mit dem Akkorde am Schlusse des Themas in der
e-moll Sonatine op. 89 und im Andante der zweiten Sonatine einen schonen
Effekt. Genau genommen ist der Dominant-Akkord mit Sextenvorhalt doch
schon ziemlich alt. Joh. Seb. Bach, der alle harmonischen Moglichkeiten
eigentlich schon erschopft hat, verwendet ihn bereits in seinem Choral-
buch (Breitkopf & Hartel) in No. 3 „Ach Gott vom Himmel sieh darein* im
vierten Takte, nur dafi hier die Terz erst noch einmal zur Quarte geht
und dann zuruckkehrt. Dasselbe ist im 110. Chorale der Fall. Trotzdem
kann aber der Akkord D § - in der Kadenz doch als eine neuzeitliche
harmonische Errungenschaft oder Erfindung bezeichnet werden, auch wenn
ihn Beethoven in der A-dur Bagatelle op. 119 im zweiten Takte gelegent-
lich einmal verwendet. Er hat entschieden im 19. und 20. Jahrhundert an
Selbstbewufitsein im Auftreten gewonnen und seine Daseinsberechtigung
erwiesen, wMhrend sein fruheres Erscheinen vielleicht mehr der Zufall in
der Stimrafuhrung bewirkte.
Durch ahnliche Beispiele wird es dem Lehrer ein leichtes sein,
dem Schiller die GewiOheit zu geben, dafi die scheinbare Umkehrung der
Tonika in der Schlufikadenz in Wirklichkeit die Dominantharmonie mit
zwei Vorhalten ist und sie darum auch als solche bezeichnet werden muO.
Quod erat demonstrandum!
n . , ( Y\£\oLr Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
„BORIS GODUNOW"
MUSIKALISCHES VOLKSDRAMA IN VIER AUFZOGEN
VON MODEST PETROW1TSCH MUSSORGSKY
DEUTSCHE URAUFFOHRUNG AM 29. OKTOBER
IM STADTTHEATER IN BRESLAU
BESPROCHEN VON DR. ERICH FREUND IN BRESLAU
Ein seltsamer, ein echt russischer Lebenslauf, der des Modest Petrowitsch
Mussorgsky, der jetzt erst, 30 Jatare nach seinem Tode, die Heimat verlSBt
und den Westen erobert. 1839 geboren, zuerst Gardeofflzier, legt er im
Mannesalter den Degen hin und greift zur Leier. Er gerlt in den Kreis
der Cui, Dargomyski und Rimsky-Korssakow und schreibt als Autodidakt drei
Opem, von denen nur eine (eben unser „Boris") bei seinen Lebzeiten aufgefuhrt
wird. 1881 stirbt er an den Folgen alkoholischer UnmaBigkeit. „Boris Godunow*
betritt 1874 in Petersburg die Bubne. Seine eigenwillig genialische, technisch un-
geschliffene Art reizt zu beftigen KSmpfen und erschwert ibm das Dasein, bis
Rimsky-Korssakow, der Allerweltsbearbeiter, das beste Stuck aus der Verlassenschaft
des seit 15 Jahren verstorbenen Freundes vornimmt und ihm ein neues orchestrates
Prunkkleid an mi tit. Nun jubeln die Russen und nach weiteren 17 Jahren auch die
Franzosen, als sie im Fruhjahre 1913 den „Boris Godunow* mit Schaljapin in der
Titelrolle im Theater der ElysSischen Felder kennen lernen. Jetzt also ist Deutsch-
land an der Reihe, urn zu dieser merkwurdigen kunstlerischen Erscheinung Stellung
zu nehmen. Hoffentlich wird sie bei aller Herzlichkeit besonnener sein als die
einiger deutscher Kritiker, die sich alsbald nach der Pariser Auferstehung des
„Boris Godunow** seinen Komponisten erkoren, um mit ihm — Richard Wagner tot-
zuschlagen. Fur diese Leute gibt es keinen richtigen „neuen Mann* 1 , der nicht
berufen wire, einen von den „GroBen a zu entthronen. Die Binsenwahrheit, daB die
Buhne — zumal die deutsche — Raum fur alle bietet, die etwas zu sagen haben,
gilt ihnen nichts.
Die unfreiwillige Komik der Proklamation, daB Mussorgsky der von diesen
ungeduldigen Umwertern kunstlerischer Werte so heiB ersehnte Wagner-Oberwinder
sei, enthullt sich auf der Stelle, sobald man das Libretto des „Boris Godunow" be-
trachtet. Es ist wirklich ein Libretto, sogar eines von der Art, wie sie Scribe, nur
mit groBerer Routine gewaffnet, als Mussorgsky, seinem Freunde Meyerbeer darbot.
Wer nicht die Geschichte des gierigen Tartaren Boris Godunow ohnebin kennt, der
durch die Ermordung des Zarewitsch Demetrius die Krone Iwans des Grausamen
an sich riB, wird den 9 Bildern, in die das von Mussorgsky nach Puschkin's Demetrius-
Drama und Karamsin's Historie zurechtgemachte Buch zerfftllt (wirklich zerflllt),
verstSndnislos gegenuberstehen. Drei dieser Bilder zeigen Situationen aus dem von
der Reue zerrutteten Zarendasein des Godunow, drei andere ebenso viele Etappen
aus dem Aufstieg des falschen Demetrius, der aber plotzlich spurlos entschwindet,
nachdem er hoch zu Rosse eine Schar aufruhrerischer Bauern zu „Kampf und
Sieg" begeistert hat. Der Rest ist langweilige Staatsaktion, derber Trinkerspafi und
niedliches Kinderspiel. Eine innere Verknupfung oder SuBerliche Erklarung der
bunten Geschehnisse wird nicht einmal versucht. Szene um Szene steht einsam
fur sich da. Wer den verbindenden Faden sucht, mag ihn sich bei Puschkin oder
bei Karamsin holen. So sieht der Mann als Dramatiker aus, der uns den Schopfer
des „Tristan" und der „Meistersinger a vergessen machen soil.
Die musikalische Physiognomie Mussorgsky's zeigt allerdings die Zuge eines
Fursten aus Genieland. Nur freilich bleibt fur uns, die wir den originalen „ Boris
rv . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
FREUND: BORIS GODUNOW 221
Godunow" von 1874 nicht kennen, die Frage offen: Welchen Anteil hat Mussorgsky
an der glanzvollen, an originellen Einfallen uberreicben Orchestrierung der Partitur
und welchen Rimsky-Korssakow? Hochstwahrscheinlich ist dieser der eigentliche
Schdpfer des instrumentalen Teils, denn erst durch Rimsky-Korssakow's helfenden
Eingriff ward „ Boris Godunow" lebenskr&ftig und siegreich.
Fur Mussorgsky bleibt immer noch Ruhmes genug ubrig. Denn er ist zweifellos
ein musikalischer Charakteristiker allerersten Ranges. Er malt die dumpf-fromme
Seele des russischen Volkes in starren, hieratischen, formlich nach Weihrauch duftenden
Cboren; er flndet zarte, schwebende MSdchengesfinge und rhythmisch bizarre, zappelige
Kinderliedchen; er laOt den Fuseldusel trunkener Bettelmonche sich in kriegerischen
Balladen von tartarischer Wildheit austoben. Dann wieder zeichnet er, der bei der
dramatischen Gestaltung des Titelhelden vollig versagte, den vom Verfolgungswahn
geschuttelten Usurpator mit einer furchtbaren musikalischen Kraft, die zu erschutternden
seelischen Offenbarungen hinauffuhrt. In alien diesen Wendungen seines reichen,
schopferischen Geistes bleibt Mussorgsky Russe. Ms Sanger der Liebe aber wird er
international. Ihr gehSrt der dritte Akt (er allein), und in dem schwSrmeriscben Duo
zwischen Demetrius und der schonen Polin seiner Wahl (eine nicht sehr vergnugliche
Mazurka hatte man der Dame hier gestrichen) schligt Mussorgsky eine breite Brucke
zur Oper des Abendlandes. Aber auch hier ist er Pfadflnder, nicht Nacbabmer. Denn
er hat diese schmeichlerischen, sufien, zdrtlich sich verschlingenden Melodieen 40 J ah re
vor der Blute — Puccini's geformt.
Die stilgerechte Wiedergabe dieses Opernwerkes ist wahrlich keine Alltags-
angelegenheit. Schon die gewaltige Aufgabe, die dem Chore zufallt, weist nach dem
engen Kreise der groOen OpernhSuser. Und anderthalb Dutzend Solisten mit schonen
Stimmen und untadeliger Treffsicherheit fur verzwickte Intervalle hat auch nicht jede
Butane in Bereitschaft. Um so schwerer wiegt die restlose musikalische Vollkommen-
heit, in der das Breslauer Stadttheater Mussorgsky's Scbdpfung darbot. Julius Pruwer,
dessen Kraft sich die Stadt jungst erst auf zehn Jahre gesichert hat, ist ein Kunstler,
der niemals balbe Arbeit leistet. Unter seiner Fuhrung gibt es kein Schwanken.
Chore und EinzelsSnger beugen sich seiner SuGerlich ruhigen, innerlich von schonem
Temperamente bewegten Meisterschaft. Ihm ebenburtig zeigte sich der Intendant
Woldemar Runge als Beherrscher der Szene. Ein wundervoller Rahmen, der Herr-
licbkeit des Kremls zu Moskau getreulich nachgebildet, umspannte die Vorg&nge, und
die Gewftnder der Bojaren strotzten von schwerer Kostbarkeit. Gruder-Guntram,
der Boris, ist an Gestalt und Stimme kein Riese, wie Schaljapin, aber ein kluger Dar-
steller und ein vornebmer Sanger, der den naturalistischen Deklamationsstil Mus-
sorgsky's ausdrucksvoll belebt. Der junge, bluhende Tenor Glaesers erhob den
falschen Demetrius zum echten Liebeshelden. Unter den zahlreichen Episodisten
hatte Wilhelmi als Bettelmonch Warlaam die schwerste, aber auch dankbarste
Position. Er schuf, grotesk singend und tanzend, ein Meisterstuck drastisch-volks-
tumlicher Buffokunst.
Die Horer gaben sich der herben Eigenart des Mussorgsky'schen Werkes 1 ) nicht
ohne weiteres gefangen. Die ersten drei Bilder gingen nahezu eindruckslos voruber.
Aber die Humore der Schenkenszene brachen das Eis, und nun steigerte sich der
Erfolg bis zu sturmischen Schlufiovationen fur die Leiter und Ausfuhrenden des denk-
wurdigen Abends.
') Naheres uber Mussorgsky und die neurussische Schule findet der Leser in der
ausfuhrlichen Studie von Oskar Riesemann „Die Oper in RuBland" („Die Musik",
VI. 13 [RuBland-Heft], 14 und 15). Red.
£ 1
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
AUFRUF ZUR GRONDUNG EINER ORGANI-
SATION VON KOMPONISTEN ERNSTER DRA
MATISCHER WERKE
VON DR. ROBERT KONTA IN WIEN
Das Elend vermogensloser Komponisten ernster dramatischer Werke ist seit
jeher groB und wer da meint, daO in den letzten J ah re n ein Wandel zum
Besseren stattgefunden hat, der gibt sicb einer argen Tauschung bin. Aller-
dings erscheinen nicht selten die Namen neuer Komponisten in den Spiel-
plftnen der Opernbuhnen und das erweckt den Anschein, als ob die berufenen Fak-
toren ihr Augenmerk auf die Schaffenskraft Unbekannter ricbten wurden. Aber der
SchluB daraus, daft es sich tats§chlich so verhalt, ist ein TrugscbluB: die Namen der
wenigen Neuen erzShlen nichts von der erschreckend groBen Zahl der Verschwiegenen,
von denen, die sich jahrelang vergeblich darum bemuhen, bei irgendeiner Opern-
buhne ihre Arbeit unterzubringen, die unerbdrte Leiden und Erniedrigungen mit-
machen, urn endlich erschopft im Kampfe um das Recht, vor der Offentlichkeit gebort
zu werden, zu unterliegen. Das ist mit eine von den beschamenden und nieder-
schmetternden Wahrheiten, die jeder kennt und mit einem Achselzucken abtun zu
durfen glaubt, da es nach und nach beinahe so aussieht, als ob hier jede Hilfe ver-
geblich sein muBte. Und das in aller Mund so beliebte „was Echtes ist, muB sich
durchringen" ist ein Marchen und nicht einmal ein scbdnes, nein ein hIBliches, ein
AUrchen, dessen Grundgedanken GemeinplStze und falsch gedeutete Biographieen sind.
Gemeinplitze — weil das sogenannte „Sich-durchringen-Mussen a von der Menge als
ein Durchringen durch SuBere Widerwartigkeiten gedeutet wird, anstatt zu uberlegen,
daB das Durchringen dem Kampfe mit sich selbst und dem Erobern hoher Ideale
gleicht; falsche Ausdeutung popularer Biographieen — weil beinabe alle Jbekannten
Komponisten sich erbarmlich abquSlen muBten, bevor sie etwas erreichten, und weil
sie es ja doch erreichten. Fehlt nur, daB „Komponist ernster dramatischer Werke"
und „wirtschaftlicbes Elend a noch sprichwortlich miteinander verbunden werde. So
ein Sprichwort konnte dann von Vater auf Kinder und Kindeskinder vererbt werden
und damit wurde schon im Volke die Tradition fest wurzeln, daB Komponist und
Elend von einander untrennbare Begriffe sind.
So drSngt sich denn von selbst die Frage auf, ob dieses wirtschaftliche Elend
eine unbedingte Notwendigkeit ist und ob es gar keine Mittel gibt, diesen Feind aller
ernsten Arbeit zu bekampfen und ihn unschadlich zu machen?
Das Elend des Komponisten ernster dramatischer Werke beginnt in dem Augen-
blick, in dem er mit seiner kunstlerischen Schopfung zu Ende ist. Da tritt eine
markwurdige Metamorphose ein: der Kunstler — ich spreche von Komponisten, denen
noch kein Theater-Kassenerfolg beschieden war — verwandelt sich in einen Reisenden,
der seine Ware von Haus zu Haus (Theater und Verleger) trfigt, der glucklich sein
muB, wenn er seine Ware uberhaupt vor prufenden Augen ausbreitan darf und der
wohl mit Rucksicht darauf, dafi der Kaufherr es sich doch immerhin vor Augen halt,
daB er es mit einer qualiflzierten Ware zu tun hat, unter allerlei artigen Hoflichkeits-
bezeugungen und Vertrostungen auf bessere Zeiten abgewiesen wird. Da setzt das
Elend ein. Denn das Reisen von Stadt zu Stadt kostet Geld. Und dieses Geld muB
beschafft werden, da noch nie ein Theaterdirektor oderein Verleger einen Komponisten,
der noch keinen Kassenerfolg hatte, aufsuchten, vielmehr der Komponist den Direktor
oder den Verleger besuchen muB. Sagt aber ein Direktor zu, dann nimmt das wirt-
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i i:u j,.ul! :»y v iin ) , li UNIVERSITY OF MICHIGAN
KONTA: AUFRUF AN OPERNKOMPONISTEN 223
schaftliche Elend erst recht seine Fortsetzung. Der Theaterdirektor verlangt meist
das gesamte Material (Partitur, Klavierauszuge, Chor- und Orchesterstimmen) vertrags-
mSBig unentgeltlich zugestellt; er rechnet sich die blofle Annahme einer Oper so
hoch an, daQ er nicht auch noch die Herstellung des Materials bezahlen kann. Will
demnach der gluckliche Komponist — und die Annahme einer Oper bedeutet einen
Glucksfall — sein Werk auch wirklich horen, dann muQ er vor allem anderen an die
1500 Mk. beschafifen; denn soviel macht die Rechnung des Kopisten aus, der, selbst
ein armer Mann, ja mit vollem Recht nur gegen Barzahlung seine Schreibarbeit liefert.
Diese Sum me laBt sich dann wesentlich verringem, wenn der Komponist eine so
leserliche Originalpartitur schreibt, daQ der verantwortliche Dirigent danach studieren
und dirigieren kann. Dann wandert aber dieses einzige Exemplar aus dem Hause
des Komponisten fort und ist — da mogen die Empfanger die gewissenhaftesten Be-
schutzer der Partitur sein — erbarmungslos den Gefahren der Vernichtung, sei es durch
Brand oder sonst eine force majeur, preisgegeben. Der Einwand, der Komponist
konote sich selbst eine Abschrift der Originalpartitur besorgen, wird mit der Er-
wigung hinfillig, daQ die Arbeit des Abschreibens — an sich eine mechanische Folter-
arbeit — dem Kunstler eine Unmenge Zeit sowohl zum Verdienen wie zum Schaffen
neuer Werke entzieht. Und nur der, der selbst einen Wert geschaffen hat, kann es
ermessen, welche Angst und Sorge den uberkommen, der sein geistiges Eigentum,
das (im Falle des Komponisten eine Niederschrift) nur als ein „Einziges" vorhanden
ist, fortgeben mufl.
Hat aber einer das Gluck, daQ gar zwei Theater die Oper annehmen — etwa
zur deutschen und osterreichischen Urauffuhrung — , dann verdoppelt sich das wirt-
schaftliche Elend: der Tonsetzer mufl das ganze Material zweimal auf eigene Kosten
herstellen lassen, d. h. er mufl fur 3000 Mk. aufkommen. Er wird sich wohl bemuhen,
daft das eine Theater die Urauffuhrung an den Anfang, das andere Theater in die Mitte
der Saison verlegt, um mit einem Orchestermaterial auszukommen, aber ein Theater-
betrieb istallerlei unvorhergesehenen ZwischenfSllen unterworfen und die Verschiebung
eines festgelegten Termines fallt durchaus in den Rahmen des Moglichen. Verschiebt
aber das erste Theater den Termin der Auffuhrung auch nur um eine Woche, dann
wird das andere Theater die Zeit zum Studieren zu knapp flnden, es verlangt das
Material, und der verzweifelte Komponist, der um alles in der Welt nicht um das
Gluck der Auffuhrung kommen will, mufl in aller Hast das Material beschafifen, wofur
er mit Rucksicht auf die „dringende Arbeit" womoglich das Doppelte bezahlen mufl.
Kann er das Geld nicht beschaffen und mufl er das Theater um eine Verschiebung
des Auffuhrungstermines bitten, dann wird er die Erfahrung machen mussen, dafl das
Theater, an das seine Bitte gerichtet war, fur ihn verloren geht. Nicht aus boser Ab-
sicht des Direktors. Wer jemals Einblick in einen Theaterbetrieb gewonnen hat, der
weifl, dafl jede Stunde mit Arbeit ausgefullt wird und dafl sich da die Begriffe „ver-
schieben" und „aufheben a decken.
Diesen krassen UbelstSnden mufl begegnet werden. Der Weg, der zu einem
glucklichen Ende fuhren kann, wird auch hier auf dem Gebiete der Organisation
zu suchen sein. Ich will mit diesem Artikel nicht mebr und nicht weniger erreicben,
als daQ sich die Komponisten ernster dram atischer Werke organisieren.
Nicht etwa, um billigere Wohnungen oder Lebensmittel beziehen zu konnen, sondern
um die wirtschaftliche Not, die nach Beendigung eines Buhnenwerkes eintreten mufl,
zu beheben. Freilich, zweierlei ist dazu erforderlich : die erfolgreichen Komponisten,
d. h. die Komponisten, welche mit ihren Opern Geld verdienen, und die materiell gut
situierten Komponisten ernster dramatischer Werke muflten sich der Organisation
anschlieflen. Den erst Genannten wird der Entschlufl dazu nicht schwer fallen, wenn
n . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
224 DIE MUSJK XUL 4: 2. NOVfiMBERHEFT 1913
sle Jmataade s(ad> »uf all das Elend lurBckzubllcken, dae ale bii m ibiem enten Er-
folge mitmacben muflten, and weira sle ftberbaupt g&wlllt stad, ibren Kameraden mlt
etaem Male zu belffea, die jetzt die gldchen QaeJen erleiden mfissen. Den anderen
— ea sind ibrer nicbt vlele — mggea dleae Zeilen die Augen fiffben und m6gen ale
zum Elatrltte in die Organisation veranluseiu
Die Organisation aoll ror allem andern eina ezrdchen : aile Komponisten ernstcr
dramatiscber Werke mftgea ibre nocb nEcht aagenommeaen Werke (weder von eiaem
Tbetter nocb von eiaem Vorleger) einig* Wocben ling nlfgendwo anbieten; to lange
Zeit, bit die Organiaetioa tebt uad febeasflbig 1st Mlt diesem Erffrige 1st acbtra sebr
viel trreicbt. Uad aocb eiamal: Esbandelt alcb bier nkbt am die Aufbesseruag der
wirtachaftlicben Uge der Komponisten ernster dramatiscber Werke ftberbsupt — deun
wlr *Ue wlsseo, daft man vom Kottponierea ernster Opera Aire erete alcbt lebe*
bann, dafi daber jeder Komponlst aelbir daf&r sorgea mutt, vie er selnen Lebens«
umerbeJt flndea Icann, Neial Die m gruadeade Organisation der Kompo-
nisten eraater dramatlaeber Werke aoll das wirtscbaftlicbe Elend, daa
nacb Beendigaog elnes B&bncnwerkes den Schaffeaden ntederdrfLcfct>
aus der Veil ichaffen. Das Heuaieren mit der aeuen Arbeit soil rer*
miedeo werden und der Zvsng zur Verscbuldung durcb die »uf Koeten
dea Kfinstlers geforderte Herstellung dea Materials soil auf bttren*
lcb bltte eine Relbe von Voracbligen *u roacaea* wie diesea beiden Htapt-
ubein abgebolfen warden kfante, icb kdante such noch weltere Aufesbea der Otgani-
sation anfQbreo, deren Usungea in etwas fernerer Zuktinft iu sucbea wiren — aber
icb will vorllufig nur dea Anatoli mr Grimdang der Organisation von Komponisten
ernstcr dramttischer Werke gegeben babea and erwarte nua die Vorscblige und den
Rat melner Leidcasgeaoasea. Zaacbrfften siad aa melne Adresse: Wien, IV r 'l, MQbl-
gisse 5, erbeten.
r
( ( \< > il '* Oriqinsl from
V,U c^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN
REVUE DER REVUEEN
Aus deutschen Musikzeitschriften
NEUE MUSIK-ZEITUNG (Stuttgart), 34. Jahrgang, Heft 11 und 12 (6. Marz und
20. Marz 1913). — Heft 11. „Ein Gang zu den Quellen der Spracbe. a Von M. Koch.
— „Uber metrische Interpretationskunst. a Auch eine musikalische Zeit- und
Streitfrage. Von Martin Frey. Verfasser erlautert am Beispiel von Beethovens
Phantasie op. 77 die Wicbtigkeit der richtigen Stellung des Taktstrichs. — Heft 12.
„Die Psychologie der musikalischen Ubung". Von Semi Meyer. XIII: „Ubung
und Gewohnung." w . . . In alien Verzweigungen des Geisteslebens hat die Ge-
wohnheit eine gewaltige Macht uber die Menschheit. Auch in einer Zeit, die den
Gedanken des Fortschritts zu ihrem Leitstern gemacht hat, den fruhere Zeiten gar
nicht gekannt haben, hat alles Neue den unvermeidlichen Kampf mit der Ge-
wohnbeit zu bestehen. Unterstutzt wird die zuruckhaltende Kraft durch unsere
Erziehung, die alles Gewesene unbedingt dem Lebenden vorzieht. Auf der Schule
haben wir's nicht anders gelernt, als dafi nur tote Menschen oder gar tote Volker
einer Anerkennung wert sind. Die Ubung, die uns ins Land der Kunst so langsam
einfuhrt, mufi jeden minder beweglichen Geist in die Fesseln der Tradition nur
noch fester einschliefien ..." — „Publikum, werde hart!" „Entdeckungen und Er-
findungen" im Geigenbau und in der Presse. Ein Mahnwort von Eugen Honold.
Wendet sich gegen die marktschreieriscb ausposaunten Entdeckungen des „tta-
lienischen Geheimnisses", bei denen es heifie: „Viel Geschrei und wenig Wolle.
All die Aufbauschungen und Sensationen sinken rasch genug in ihr eigenes Nichts
zusammen. Aber sie richten in der verhaltnism&ftig kurzen Maienblute ihres
sundigen Daseins doch Schaden genug an, und das Publikum ist der leidtragende
Teil. Deshalb kann man nur immer wieder aufs neue predigen: Fallt nicht auf
sogenannte epochemachende Erfindungen usw. herein! Prufet alles und das Beste
behaltet! sagt die Bibel. Und ich mochte dazusetzen: Kaufet beim reellen Geigen-
macher, beim gelernten Fachmann! Bei dem werdet ihr auch nie eine Annonce finden
wie die: ,Jede Geige ein Meisterwerk* (bei 150 Mk. Maximalpreis!) . . . a — „Hebbels
Verbfiltnis zur Musik und zu Musikern." Von Walther Bloch-Wunschmann. —
„ Alexander S. Dargomyszsky." Von Marie Beflmertny. „ . . . Es herrscht jetzt
kaum noch ein Zweifel, daB er mit seiner ,Russalka ( die erste dramatische Oper
im eigenen Stile geschaffen hat. Er wollte auf diesem Wege selbstfindiger und
inhaltsreicher Operndichtung noch einer weiteren Vervollkommnung zustreben,
wie die Partitur des ,Steinernen Gastes* erkennen 15Bt. Er wird daher mit Wagner
verglichen, hinsichtlich seines bahnbrechenden Einflusses auf die russische Oper,
die er der falschen Sentimentalitat entkleiden und zu einem gehaltvollen dramatisch-
musikalischen Werke ausgestalten wollte . . .* — w Alte italienische Sinnbilder der
Musik. a Von Paul Riesenfeld. Uber Darstellungen in der italienischen Malerei
der Renaissance, die stofflich zur Musik in naher Beziehung stehen oder musikalische
Ausdrucksmittel reich verwenden.
NEUE ZEITSCHRIFT FUR MUSIK (Leipzig), 80. Jahrgang, No. 5-19 (30.Januar
bis 8. Mai 1913). — No. 5. „Die dekorativen und maschinellen Erfordernisse der
Nibelheimszene." Eine JubilSumsgabe von Moritz Wirth. (Schlufi in No. 6.) —
No. 7. „Liszt als Orgelkomponist." Von Theodor Bolte. „Fur die Entwickelung
der Orgelkunst sind Liszts einschlagige Werke hochbedeutend und sollten zum
eisernen Bestand aller konzertierenden Organisten gehoren. Bachs polyphone
Stimmfuhrung erweiterte Liszt in seiner homophonen Harmonie und Akkord-
XIII. 4. 15
n . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n * , r UNIVERSITY OF MICHIGAN
226 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
figuration, z. B. in der BACH-Fuge. Liszts Originalkompositionen fur die Orgel
sind nicht ,aufterlicher Natur', wie ein Orgelmeister behauptet, und konnen es
vermoge ihres strengen und figurierten Satzes mit Mendelssohn und Rheinberger
ganz gut aufnehmen. Sie stehen auch an Tiefgang Bach nicht nach, ohne dessen
technische Schwierigkeiten zu teilen . . . a — No. 8. „Die ersten Jugendwerke
Liszts. a Eine Studie von August Stradal. „. . . Obgleich Liszt schon 26 J ah re
tot ist, sind wir fiber gewisse Jugendwerke des Meisters vollstandig im unklaren,
wobei ich die schwere Beffirchtung aussprechen mufi, daft vielleicht fiberhaupt
keine vollstSndige Klarung in dieser Angelegenheit eintreten wird. Meines Wissens
sind die Jugendarbeiten Liszts nur in der groften Liszt-Biographie Lina Ramanns
eingehend besprochen worden, wahrend alle ihr nachfolgenden Liszt-Biographieen
diese Jugendkompositonen gar nicht berfihren oder doch nur streifend erwabnen . . ."
Verfasser berichtet fiber die verlorenen, bzw. verloren geglaubten Lisztschen Jugend-
arbeiten, Erstausgaben usw. — No. 10. „Felix Draeseke f. a Von Friedrich Brandes.
„... Draesekes geistige Physiognomie erinnert wie kaum noch die eines anderen
Musikers an Beethoven, mit dem er auch aufterlich das traurigste Schicksal des
Musikers hat teilen mussen: daft er seit langen Jahren schwerhdrig war, mag
viele Eigenheiten seiner Musik mit erklSren, besonders ihre reine Geistigkeit und
ihren Verzicht auf sinnliche Wirkungen, sicherlich auch ihre tiefe Innerlichkeit, ihre
Abgewandtheit vom Effekt und von der Mode des Tages." — „Lieder und Balladen
aus Island." Von Fritz Erckmann. „. . . Der Islander besitzt Gemfit und dichterische
Veranlagung, was der Reisende nur selten beobachten kann. Wer ahnt, daft jener
wild aussehende Bauernbursche, dessen struppig fiber die Stirne fallendes Haar
noch nie von einer gfitigen Fee mit goldenem Kamme gekammt wurde, sich seine
eigenen Verse macht, in denen er sein Liebchen oder in Ermangelung eines solchen
sein Pferd besingt! Nicht genug damit. Der Islander ist auch musikalisch. In
vielen Bauernhausern beflndet sich jetzt ein Harmonium, sehr haufig eine Zieh-
harmonika und manchmal eine Gitarre. Wenn auch die meisten Lieder, die man
hort, danischen, schwedischen und deutschen Ursprungs sind, so besitzt der Islander
auch einheimische Weisen. Zu den alten Rimmur macht jeder seine Melodie fur
neue sich wiederholende Strophen von drei bis vier Zeilen . . . a — No. 14. „Adolf
Hagen." Zu seinem Abschied als Koniglich SSchsischer Hofkapellmeister. Von
Georg Kaiser. „. . , Daft ihm in der stattlichen Reihe von 30 Dienstjahren
mancherlei Enttauschungen nicht gespart wurden, lag sowohl an den besonderen
Verhaltnissen, unter denen er zu wirken hatte, wie vielleicht auch ein wenig an
seiner eigenen Personlichkeit, deren hervortretende Zfige Aufrichtigkeit und eine
fast zu grofte Bescheidenheit sind ..." — „Hans Richter. a Zu seinem 70. Geburts-
tage. Von -n- — No. 15. ^Isadora Duncan und ihre Schule." Von Sch. „. . . Als
Isadora Duncan zuerst auftrat, glaubte man vielfach an den Beginn einer neuen
Kunst, mindestens einer neuen Tanzkunst. Daft es damit nicht allzuviel auf sich
hatte, das schien denen wohl schon damals gewift, fur welche Kunst ein tieferes
personliches Erlebnis ist, als sich korperlich je vermitteln la fit . . . Daffir aber bat
sie uns mit einem verheiQungsvollen Anfang bekannt gemacht. wo sich (vorab
wohl durch die Energie ihrer Schwester Elizabeth) aus ihrem Wollen hervor-
gegangene Gedanken allmahlich organisch mit den sozial und kulturell erwunschten
neuen Formen der PSdagogik verbinden; und dieser Gewinn ist, wie inn die
Duncan-Schule anstrebt, heute schon betrachtlicher als einer, der je auf kfinst-
lerischem Gebiet zu erzielen gewesen wSre.** — No. 16. „Das Volk im Drama."
Eine Anregung. Von Alfred Heu ft. „. . . Wenn man sieht, in welch mannigfacher
Weise Wagner das Volk in seinen Werken verwendet, ist man sehr verwundert,
n . , ( \>ooLf Original from
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REVUE DER REVUKEN 227
daB er gerade hierin so wcnig Nachfolge gefunden hat. Man wuBte nicht viele
neuere Opern zu nennen, in denen eine bedeutende Volksdramatik getrieben und
die Chordramatik weiter ausgebildet worden wire. Noch am ebesten ist dies wohl
bei M. Schillings* , Moloch* der Fall, der gerade in seinen Choren am bedeutendsten
ist. Das laBt dcnn auch die Behauptung aufstellen, daB der dramatische Chor in
musikdramatischen Werken uberhaupt noch lange nicht wirklich ausgenutzt worden
ist, und daB die Zukunft hier noch sehr viele Wege offen laBt . . . a - No. 18.
.Goethe und J. F. Reichardt.* Von Edgar Istel. „. . . Reichardt, dessen einst
gefeierter Name heute stark verblaBt ist, war (vielleicht Ph. Chr. Kayser aus-
genommen) der erste Musiker von Bedeutung, der zu Goethe in ein naheres
Verhaltnis trat. Seit der im Jahre 1774 erfolgten Bekanntschaft mit Goetheschen
Werken fand er nacb seinen eigenen Worten ,des Genusses kein Ende mehr ( ,
und Zeit seines Lebens sind Goetbe-Dicbtungen seine Lieblingslekture geblieben.
Immer wieder kehrte er zu ihnen zuruck, ihnen vorzuglich wandte er sich als
Komponist zu, und in seinen Goethe-Liedern, die er zuletzt gesammelt erscheinen
lieB, und die mehr als ein Zehntel seines etwa 1000 Lieder umfassenden fruchtbaren
lyriscben Schaffens ausmachen, hat er sein Bestes gegeben . . , a — No. 19. „Zu
Giovanni Sgambati's 70. Geburtstag." Von Max Unger. „. . . Sgambati's musikalische
Wesensart ist eine Art italienischer musikalischer Romantik, der Tondichter also
ein sonniger, moderner, italienischer Schumann zu nennen. Das Allerpersonlichste
laBt sich ja schon schwer bei den schaffenden Kunstlern anderer Gebiete erklaren,
bei den Musikern aber erst recht wegen der Gegenstandslosigkeit ibrer Kunst
niemals unbedingt restlos. Aber die hauptsdchlichsten Punkte, wonach Sgambati
zu beurteilen ist, konnen vielleicht ausfindig gemacht werden: Ich mochte sie
sehen in der Lebens- und Farbenfreudigkeit, die seine Schopfungen vom grofien
Orchester- bis zum kleinsten Klavierstuck haben, ferner in der eigenen, vornehmen
Melodieenbildung und Harmonik (man kommt eben schwer um Beiworter wie
,eigen ( und ,personlich' herum), in der Klarheit der Form, in den stets sicher
getroffenen Stimmungen und endlich in der seine meisten Werke uberstromenden
Wurde, seiner Grandezza des Romers . . ."
SIGNALE FUR DIE MUSIKALISCHE WELT (Berlin), 71. Jahrgang, No.30 bis 39
(23. Juli bis 24. September 1913). — No. 30. „0ber den Fingersatz auf der Violine."
Von Josef Bloch. (SchluB in No. 31.) „. . . Es ist nicht der Zweck dieser Zeilen,
eine Abhandlung fiber den Fingersatz zu bringen, mehr oder weniger bekannte
Regeln zu wiederholen oder auch neue aufzustellen. Es sollen bloB, um einen
Begriff von dem Anfang der Materie zu geben, alle Fingersatz-Moglichkeiten einer
einfachen Tonleiter in mathematische Beleuchtung geruckt werden. Vielleicht
l&Bt sich daraus ein praktischer Nutzen fur die Fingersatzlehre gewinnen." — No. 31.
„KurkapelIen." Von Moritz Scheyer. „. . . Die Popularisierung schwieriger Werke
mit ungenugenden Mitteln und am unrechten Orte ist nicht nur eine gewagte
Sache, sondern auch eine Irrefubrung und schwere SchSdigung des Geschmacks
und des Gehdrs, und eines jener beruchtigten Potpourris usw. ist in diesem Falle
noch angebrachter und entschuldbarer als ein Beethovensches Andante oder ein
Mozart-Menuett im Freien . . . a — No. 32. w Musik unter freiem Himmel.** Von
August Spanuth. „. . . Man mag die Symptome noch so sehr willkommen heiBen,
die von der Sehnsucht der Kulturmenschheit sprechen, den Weg zur Natur zuruck-
zufinden, man mag sogar darin den Ausdruck dieser Sehnsucht entdecken, daB
unsere Balletmadchen neuerdings die Trikots verschmihen, aber man soil nicht
mit der muhselig gepflegten und erworbenen Kunst leichtsinnig experimentieren
gehen, man soil der Musik nicht die Resonanz eskamotieren, kurz, man soil einen
15*
n . , f Y^\oLr- Original from
i i:u j,.ul! :»y v iin ) , li UNIVERSITY OF MICHIGAN
228 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
Fisch nicht aufs trockene Land setzen. Finden unsere Sanger nicht etwa schon
mehr als genug Anreizung zum Schreien in den Widerstanden, die das moderne
Riesenorchester ihrer Stimme entgegensetzt? Die ,Oper im Freien* bedeutet eine
Aussetzung der Kunst in der Wuste." — No. 33. „Ein Notschrei zur Versicherungs-
pflicht der Musiklehrer. a Von X. „. . . Das Gesetz, das fur alle wirklichen An-
gestellten eine Wohltat sein mag, wird fur alle Privatlehrer ein Schrecken und
durch die unvermeidbare alleinige Ubernahme der BeitrSge geradezu eine Existenz-
frage fur alle diejenigen, deren Einkommen gerade zum Lebensunterhalt ausreicht.
Und das durfte leider fur die grofie Mehrzahl zutreffen ..." — No. 34. „Der Verein
der Unvereinbaren. a Von August Spanuth. Mit diesem Ausdruck bezeichnet
Verfasser den „ Verband deutscher Musikkritiker". „...Je grofier und starker, je
einflufireicher der Verband wird, desto unmittelbarer wird fur ihn, respektive fur
seinen Vorstand die Gefahr, die gewonnene Macht zu mifibrauchen; denn es ist
eine angemafite Macht. Ebensovenig wie man ein Examen erflnden kann, durch
das jemand seine Beflhigung zum Musikkritiker nachzuweisen vermochte, ebenso-
wenig la (it sich der ,standard ( der Musikkritik durch eine Kontrolle heben, die sich
der Staat Oder irgendein privater Verband anmafit. Das Gebet der Griechen zu
einem unbekannten Gott mufite unerhort bleiben, und ein Verein der Unvereinbaren
wird letzten Endes nicht ein en, sondern Zwietracht sSen." — No. 36. „Moderne
Violinpadagogik." Von Josef Bloch. Verfasser stellt u. a. die Fragen: Welcher
Zusammenhang besteht zwischen Padagogik und Mathematik? Wozu brauchen
wir die Anatomie beim Violinunterricht? „Die Mathematik verhilft uns zur genauen
Berechnung der VerhSItniszahlen in der Theorie der Intonation. Ferner konnen
wir z. B. alle Fingersatz-Moglichkeiten einer aus 16 Tonen bestehenden auf- und
absteigenden F-dur Tonleiter berechnen. Als Resultat erhalten wir: Spielbare
Fingersatze auf der E-Saite allein: 768488. Spielbare Fingersatze auf der A-Saite
allein: 62170943." Die Kenntnis der Anatomie ist „auch deshalb erwunscht, weil
dadurch der Unterricht in die richtigen Wege geleitet wird. In Anbetracht dessen,
daft wir es mit Zoglingen von verschiedener Korperbeschaffenheit zu tun haben,
wird der Unterricht nur dann erspriefilich sein, wenn er sich dem Organismus
und der Individuals des Lernenden anpafit. Daraus folgt, dafi man den gewohnten
schablonenhaften, immer tiber einen Leisten geschlagenen Unterricht meiden
soil und nach Moglichkeit der Entfaltung der korperlichen und geistigen Indivi-
dualist mehr Raum geben soil ..." — No. 38. „Neue metrische Auslegung in
Beethovens Siebenter." Von Alexander Siloti. Verfasser fragt: „Mufite nicht
das Scherzo aus Beethovens Siebenter Symphonie im 6 /<-Takt statt im 8 /*-Takt
stehen?" .,... Hat man... das ganze Scherzo im 6 /i-Takt durcbgespielt, so mufi
man sich sagen, dad es unbedingt nur im G /i-Takt moglich ist! Das Scherzo ge-
winnt durch den °/4-Takt an PrSzision und ,Leichtigkeit*, wird mehr scherzoartig
als im 8 /4-Takt. Ich richte an meine Kollegen daher die grofie Bitte, sich diese
Muhe zu machen und das ganze Scherzo einmal im °/i-Takt durchzuspielen; dann
erst mogen sie mir sagen, ob ich mich irre oder nicht ..." — No. 39. , A. E. M. Gr^try."
Von Walter Petzet. — „Die Konzertierenden und ihre Agenten." Von August
Spanuth. „. . . Da . * . auch der Kunstler die Materie notig hat, sollte er nicht
einen Augenblick zogern, Bezahlung fur seine Leistungen zu verlangen, und zwar
moglichst hohe. Er kann aber nur Geld erwarten, wenn die Verwertung seiner
Kunst nach modernen geschaftlichen Grundsatzen betrieben wird . . . Naturlich kann
und mufi der Kunstler verlangen, datX die geschaftliche Handhabung eine reinliche
bleibe, und das wird er am ehesten durchsetzen konnen, wenn er selbst genau so
reinlich verfShrt, wie er wiinscht, dafi der Agent verfahre, und sich dabei aller
Heuchelei enthalt." Willy Renz
n . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN
BUCHER
41. Johannes Joachim und Andreas Moser:
Briefe von und an Joseph Joachim.
Bd.3. Verlag: Julius Bard, Berlin. (Mk. 10.— )
Auch der dritte, abschliefiende Band dieses
Briefwechsels entbalt des Hocbinteressanten
viel und bringt manches in der Moserschen
Biographie Joachims nur kurz Erwahnte zur
niberen Kenntnis. Auf rund 520 Seiten erstreckt
er sich fiber 38 Jahre, von der Obersiedelung
Joachims nach Berlin (1869) bis zu seinem Tode
(1907). Besonders viel erfahren wir fiber die
Begrundung der Koniglichen Hochschule ffir
Musik in Berlin, insbesondere fiber die Schwierig-
keiten, geeignete Lehrkrafte zu flnden. Inter-
essant ist es, dafi Joachim ursprfinglieh (vgl.
S. 18) keine Violinspielerinnen aufnehmen wollte,
aber falls sich genfigend Klavierspielerinnen
finden wfirden, fur diese eine besondere Klasse
zu organisieren geneigt war. Einige Urteile
Joachims fiber Komponisten seien hier wieder
crwShnt. Gelegentlich der Aufffihrung von
Bargiels 13. Psalm schreibt er 1890 (S. 373),
dafi ihm der erste Chor besonders gut gefallen
habe, ffigt aber hinzu: M wenn's ja auch leider
nie ohne gewisse Starrheiten im Verlauf des
Werkes bei ihm abgeht". Sehr hfibscb schreibt
er 1887 an Richard Barth fiber Brahms (S. 305):
„Hast Du Dich recht an der Violin-Sonate in
A und dem Trio op. 101 erquickt? Ich kenne
kein Kammermusikstfick aus dem letzten halben
Jahrhundert, das mir in gleichem MaBe nach
jeder Richtung staunenswert erscheint: tiefe
organische Mannigfaltigkeit bei aller Gedrangt-
heit der Form, bei allem Festhalten der pr3g-
nanten Stimmung, reizvolle Erfindung, wahrlich
ein Meisterwerk bis in die kleinste Faser! Wir
durfen uns glucklich schStzen, dafi das zweite
Hundert so beginnt." Sehr entbusiastisch fiufiert
er sich 1890 fiber die Rhapsodie ffir Mannerchor
und Altstimme (S. 372): „Bin ich einmal fiber
etwas, das Brahms gesagt oder getan hat, bis
zur Verstimmung verwundet, so brauche ich
nur an das C-dur zu denken, um mir fiber
seinen hohen Wert als Mensch wieder klar zu
sein. a Bereits 1877 stellt er fest (S. 174), dafi
sich die Brabmsschen Werke in England fiber-
raschend schnell verbreiten. Er ffigt hinzu: „Mit
Schumann ging es weit langsamer voran. Auch
das B-dur Quartett, von den Berlinern so schnode
behandelt, schlug ein. a Ein Jahr spater schreibt
er an Spitta (S. 196): „Oberraschen wurde dich
die Oberhandnahme Brahmsscher Werke, in-
strumentaler und vokaler, in den englischen
Programmen. Kaum Mendelssohn ist so viel
gemacht worden, als er in der Mode war. Die
Tiefe bei seiner Originalitfit scheint einen ge-
heimen Zauber auszufiben, auch bei denen,
welche sich sonst vor Neuem wehren." Sehr
geschatzt mufi Joachim die Messensatze von
Max Bruch haben, da er sich bei Siegfried Ochs
1891 (S. 409) ffir sein mannhaftes, schones Ein-
treten fur dieses Werk bedankt. Wahrend er
von Dvorak's Serenade ffir Blasinstrumente
sowie Violoncell und Kontrabafi 1879 sagt (S. 211):
„Da ist viel Echtes, von Gottes Gnaden drin a ,
schreibt er von der zweiten Serie der Slawi-
schen Tanze Dvorak's: „Nachdemf die erste J
O
Freude an der Frische der Empfindung vorbei,
finde ich, dafi die Tanze eine oftere Wiederkehr
zu ihnen nicht vertragen. Es ist doch manches
recht trivial, ja die sfifilichen Terzen werden
mir oft unleidlich." Hochst gunstig urteilt
Joachim fiber die B-dur Symphonie des leider
gar zu sehr in Vergessenheit geratenen Hein-
rich von Herzogenberg(S.351),dagegenkonnte
er sich mit dessen ungedruckt gebliebenem
Violinkonzert (S. 355) nicht recht befreunden.
Wenig Gefallen fand er auch an Bernhard
Hopffers Oper „Frithjof a , die seiner Meinung
nach recht roh im Berliner Opernhaus 1871
aufgeffihrt wurde (S. 71). Ein gewisses Inter-
esse zeigte Joachim 1877 ffirjean Louis NicodS,
besonders ffir dessen Schumanniana genannte
Klavierstficke (S. 184): „Talentvoll sind sie ent-
schieden, aber allerdings mehr noch der Manier
als dem tiefen Gemfit Schumanns nach emp-
funden. Immerhin erstaunte mich die Art
Produktivitat an einem jungen Musiker aus
Kullaks Ecke. a Ober Richard Wagner lesen
wir zunachst S. 47: „Das ,Rheingold* [das Joachim
1870 in Mfinchen horte] hat mich keine neue
Seite Wagners kennen lehren; es ist eigentlich
fast langweilig mit seiner ewig schauerlichen
Dekorationsmusik. Selbst Brahms mufite mit
einstimmen, obwohl er gerne bewundernd von
Wagner sich vernehmen lafit. a Als Joachim
1888 in Amsterdam nur in dem ersten Teil eines
Wagner-Konzerts ausgehalten hatte, schreibt er
(S. 321): „Nie hat mich die Langeweile nerven-
qualender gepackt als beim ,Parsifal*. Wann
wird diese Krankheit, die fiberall grassiert,
weichen? Man mochte verzweifeln, dafi sie so
viele gute Organismen zum Teil gepackt hat."
Merkwfirdig berfihrt auch Joachims Urteil fiber
die „Meistersinger a , die er 1888 in Bayreuth
gehort hatte (S. 332): „Die breite Redseligkeit
in Ernst und Scherz, die Verschwommenheit
der Melodiebildung und Harmoniefolgen ver-
derben mir das Totalbild, obwohl ich manches
hinreifiend Geniale bewundern mufi und mich
so gem dem energischen Geist hingabe, der im
Ganzen waltet. Unmoglich. u
Unter den Klavierspielern schatzte
Joachim ganz besonders Julius Rontgen, den
er fur eine der echtesten Kfinstlernaturen hielt
(S. 321) und in den letzten Jahren seines Lebens
Francis Tovey (S. 499 und 512), den er sogar
Borwick vorzog. Nicht gerade zahlreich sind
die Urteile fiber Violinisten; sehr warm tritt
er 1882 ffir den damals 23jahrigen Johann
Kruse ein (S.237: „Sein Vortrag ist von warmster
Begeisterung getragen — ich habe seiten so
schon Quartett spielen horen"). Sehr abfailig,
mit einem bosen Seitenhieb auf Ferdinand
David urteilt er fiber dessen Schfiler August
Wilhelmj im Jahre 1872 (S. 95); dessen Spiel
bezeichnet Ernst Rudorff fibrigens in einem
Briefe an Joachim S. 244 als „hundsgemein a .
Rudorffs zahlreiche Briefe sind fibrigens
unter den an Joachim gerichteten mit die inter-
essantesten, die sich in diesem Bande finden;
mag man fiber seine Urteile denken, wie man
will, sie verraten stets eine wirkliche Person-
lichkeit, nicht blofi etwa in seinem strammen
Antisemitismus (S. 221}. Rudorff trat fibrigens
iehj energisch, wenC^Wbia+cfripMich, gegen
11 UNIVERSITY OF MICHIGAN
230
DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
die Aufnahme von Damen in das Hochschul-
orchester ein (S. 230 f:) „Man sollte wenigstens
Sorge tragen, daB nicht auch in Zukunft unsere
Orchester gar aus Minnern und Weibern zu-
sammengesetzt werden"! Man lese auch, was
Rudorff S. 476 uber die w Tannhauser a -Ouverture
schreibt, wie er Schmerz und Scham empflnde,
dafl Joachim diese Musik mit seinen Schulern
studiere und vorfuhren wolle. Vgl. auch S 503.
Recht beachtenswert sind auch die Briefe von
Max Bruch, aus denen wir unter anderm er-
fahren, daB dessen Konzertstuck „In Memoriam"
(fur mien ein ebenso dankbares wie groBartiges
Violinstuck) den groBen Toten des Jahres 1888 ge-
weiht ist, fernervon Hans v. Bronsart, Heinrich
von Herzogenberg, Hermann Levi (dessen
Wagner-Glaubensbekenntnis S. 211!) und vor
allem von Philipp Spitta. Man lese dessen
prachtvolle Beurteilung des Zweiten Klavier-
quartetts von Herzogenberg S.413 und merke
sich, daft er 1888 schreibt (S. 334): w DaB diese
Bayreuther Buhne bestehen bleibt, freut
mich, denn es wird doch eine Menge von
Menschen wieder daran gewohnt, einem Kunst-
werk mit Ernst und Sammlung gegenuberzu-
treten. Die Theaterzustande in den groBen
Stadten, Berlin voran, sind doch geradezu nichts-
wurdig und emporend, und an ihnen wird auch
nicht viel geindert, wenn auch vielleicht einmal
ein besserer Intendant und gewiegtere Kapell-
meister am Platz sind." S. 89 wird von einem
Sextett von Svendsen gesprochen. Gemeint ist
aber sicherlich dessen Oktett; ein Sextett von
diesem Komponisten ist jedenfalls nicht im
Druck erschienen. Wilhelm Altmann
42. Georges Servieres: EmmanuelChabrier
(1841—1894). Verlag: F. Alcan, Paris 1912.
(2.50 Fr.)
Die Arbeit Servieres' ist dem Andenken des
mit Chabrier befreundeten, ausgezeichneten
Schriftstellers Ch. Malherbe gewidmet. Cha-
brier's Werke sind, von Klavierstucken abgesehen,
in Deutschland nicht sehr bekannt geworden.
In Dresden gab man seine hubsche komische
Oper: „Der Konig wider Willen* („Le roi malgre*
lui a ), aber sie konnte ebenso wenig wie die
groBen Opern ^Gwendoline" und „BriseTs tt
Wurzel fassen. Chabrier war ein vielseitig ge-
bildeter Mensch, ein froblicber Gesellschafter
und guter Musiker, wohl wert, daB ihm ein
grofleres literarisches Denkmal gesetzt wurde.
Servieres grundet die AusgSnge seiner Arbeit
in der Hauptsache auf J. D6saymard's Schrift
uber Chabrier (Revue d'Auvergne, Clermont-
Ferrand 1908), weiB aber manches Neue ins-
besondere uber fruhe Kompositionen beizu-
bringen. Als Lehrer Chabrier^s nennt er auBer
den bekannten E. Wolff und A. Hignard noch
Th. Semet, Professor vom Konservatorium. Aber
keiner dieser Manner gewann eine entscheidende
Bedeutung fur Chabrier, der sich fast aus-
schlieBlich selbst berangebildet hat. Der bei
Riemann als erste Arbeit genannten Operette
w L^toile a (1877) gingen voraus: „Vaucochard et
fils I"« (ca. 1864) und „Fisch-ton-kan a , offenbar
ein chinesisches Stuck, Jean Hunyadi" (ca. 1867),
von welcher Oper einiges in die Musik zu
^Gwendoline" ubernommen worden sein durfte.
Das meiste dieser Kompositionen soil derart ge-
wesen sein, daB es keiae "Ahnung yinder zu-
C 1
kunftigen Bedeutung des Komponisten hitte auf-
kommen lassen konnen. Servieres geht nun
weiter auf die Lebens- und Schaffensgeschichte
seines Helden ein, analysiert die Kompositionen
groBenteils und formuliert sein Gesamturteil
uber Chabrier in einem besonderen Kapitel, von
dem Satze M. R. Hahns ausgehend, dafi Chabrier
„die Ruhe ein Unbekanntes ist* 4 : er brauchte
GerSusch, Bewegung, konnte eine melodische
Periode nicht normal exponieren, besafi die
geistigen Werkzeuge fur thematiscbe Arbeit
nicht. So stellen sich ihm allerlei Wiederbolungen
und Transpositionen ein; da er deren Hiufung
furchtet, verflllt er auf allerhand rhythmische
und harmonische Wurzmittel. Dies ungeflhr
ist der Ausgangspunkt der Beurteilung Cbabrier's,
die nun noch im einzelnen durchgefuhrt wird.
Das auf recht m&Bigem Papiere gedruckte Bucb
enthfilt allerlei cbarakteristische Belege fur
Servieres' Behauptungen. Den ScbluB machen
ein Katalog der Werke, die Bibliographie und
Ikonographie. Die gut geschriehene Arbeit sei
hiermit empfohlen. Wilibald Nagel
43. Beitr&ge zur Aktiftik und Musikwissen-
Rcbaft. Herausgegeben von Carl Stump f.
7. Heft. Verlag: J. A. Barth, Leipzig 1913.
(Mk. 5.—.)
Erich v. Hornbostel weist nach, daB Ton-
leitern bzw. Intervalle als Kriterium fur Kultur-
zusammenhange nur mit groBer Vorsicbt und
niemals fur sich allein verwendet werden konnen,
daB vielmehr in erster Linie die absoluten Ton-
hohen hierfur in Betracht kommen. Alfred
Guttmann fubrt die Minderwertigkeit vieler
Untersuchungen uber den Gesang auf die
mangelnde Fuhlung zwischen den Kunstlern
(Sangern und Lehrern) und den Wissenschaftlern
(Halsarzten und Physiologen) zuruck. Kenn-
zeichnend fur die hieraus sich ergebende Ein-
seitigkeit sei die Behandlung der w Stimmfuhrung*
und der „Register*-Frage. Wihrend Felix Koneger
in den Mitbewegungen beim Singen eine Er-
klfirung aller gesanglichen Phanomene sieht und
somit O. Rutz („Neue Entdeckungen von der
menschlichen Stimme") zu verteidigen sucht,
halt Guttmann am Zusammenwirken von Stimm-
lippen und Ansatzrohrals wesentlicherBedingung
des Klangcharakters der Stimme fest. Auch auf
dem so heftig befehdeten Registergebiet muQ
man dem Verfasser beistimmen, wenn er be-
hauptet, daB es stimmphysiologisch kein Ein-
register gibt, aber gesangspadagogisch sich mittels
Ausgleiches der verschiedenen Register dennoch
die Wahrnehmung eines Einregistcrs erreichen
laBt. Den groBten Raum des Heftes nimmt der
interessante Aufsatz von Katharina v. Maltzew
uber das Erkennen sukzessiv gegebener musika-
lischer Intervalle in den auBeren Tonregionen
ein. Die Experimente mit Versuchspersonen
fuhrten zu folgenden Resultaten: Die Fehlerzahl
nimmt nach den Grenzen der Tonreihe bin zu.
Die Zahl der Verwechselungen ist kleiner bei
musikaliscb-geiaufigenlntervallen(inkl.Sekunden)
als bei ungelSufigen (Tritonus und groBerSeptime).
Die Fehlerzahl wSchst mit der Erweiterung des
Intervalles. In den tiefen Lagen wird die Auf-
fassung durch die mitwirkenden Obertone be-
einflufit. Die Beurteilung von Sukzessivinter-
vallen kann weder als eine Erkennung von
Verschmeypjiq^&Jf^nprvpch auch von Distanz-
UNIVERSITY OF MICHIGAN
BESPRECHUN iEN (MUSIKALIEN)
231
graden aufgefafit werdcn. Jeder derartigen Inter-
vallbeurteilung liegt ein charakteristischer Be-
wufitseinsinbalt zugrunde, der unmittelbar wieder-
erkannt und beurteilt wird. Bei der Erklarung
der Versuchsresultate interessiert besonders die
Hypotbese vom normalen Falschhoren in der
zweiten Hfilfte der viergestrichenen und in der
funfgestrichenen Oktave, sowie in der ersten
Halfte der Kontra-Oktave. SchlieBHch unter-
zieben Walter Frankfurther und Rud. Thiele
die Bezoldsche Spracbsext einer experimentellen
Nachprufung. Georg Capellen
44. F. A. Steinhausen : Diephysiologischen
Fehler und die Umgestaltung der
Klaviertechnik. Zweite Auflage, bearbeitet
von Ludwig Riemann. Verlag: Breitkopf
& Hartel, Leipzig 1913. (Mk. 6.—.)
Das Buch ist beute acht Jatare alt und ist
nocb immer das beste seiner Art, d. h. unter
den Buchern, die versuchen, das Klavierspiel
als bewegungsphysiologischen Vorgang zu fassen,
ohne sicb in Detailfragen der Spielpraxis ein-
lassen zu wollen. Sein Wert liegt in der Soliditat
dernaturwissenscbaftlichenUnterlagen,aufdenen
derVerfasser, ein Arzt, aufbaute, seii<e Schwfichen
in der mangelnden pianistischen Erfahrung.
Leute, die fiber die letztere verfugen, baben wir
zu Hunderten, und docb bat keiner von diesen,
so nahe es ihnen doch liegen sollte, etwas an-
nShernd so Wertvolles fiber ihr Handwerk zu
sagen gewufit, als dieser „Nichtfachmann**, der
leider inzwischen starb. Auch alle unsere Musik-
schriftsteller, die sich dem Problem der Klavier-
technik neuerdings gewidmet haben, sind, was
klare, wissenschaftliche Durchdringung der Prin-
zipien dieses Naturvorgangs anlangt, weit binter
Steinhausen zuruckgeblieben. Sie baben alle
von ihm zu lernen versucht und auch alle mehr
oder, minder gelernt, dann aber hat ihnen wieder
die Oberffille der Einzeltatsachen, wie sie gerade
dem Praktiker verwirrend entgegentreten, den
Oberblick genommen, sie sind teils in alte Vor-
urteile zurfickgefallen, teils haben sie aus Mangel
an naturwissenscbaftlichem Wissen und aus Un-
fihigkeit, naturwissenschaftlich nuchtern zu
denken, die klaren Grundlehren verwischt. End-
licb sind sie als echte Musiker wie die Kampf-
bahne ubereinander hergefallen und haben viel
scbones Papier und noch kostbarere Zeit damit
vergeudet, sich einander Torheiten und noch
Schlimmeres nachzusagen. So ist das Bild, das
beute die Lehre vom Klavierspiel bietet, nicht
gerade erfreulich, trotz des Strebens nach Klar-
heit, das alter Enden zu erkennen ist. Und darum
ist ein Neuerscheinen des Steinhausenscben
Buches recht willkommen zu heiften, denn bei
ihm werden die Musiker immer wieder anfangen
mussen. Ich mochte bier noch einmal betonen,
daQ mir die Formulierungen Steinbausens oft
bedenklicberscheinen, in ihrer Unbekfimmertbeit
um die Tatsachen der Spielpraxis. Vieles ist
nur mit Einscbr&nkungen und Erganzungen zu
billigen, und ich meine, bier hatte der Heraus-
geber mehr vermitteln sollen. Dagegen kann
ich seinem Be it rage in Kapitel IX: „Das Stein-
hausensche Prinzip in der Praxis* nicht sehr
zustimmen. Sachlich kann es bei der not-
wendigen Kurze nicht viel bieten, denn dieser
Wirrwar widerstreitender Meinungen ware nicht
einmal in einem dicken Buche zu lpsen. Der
f)::j :i/nn :v/ 1 iDUQ
O
stellenweisewiederpolemischeTondes Verfassers
aber ist, wie ich schon bemerkte, derSacheeher
hinderlich als fordemd. Hermann Wetzel
45. Eri&uterunRen zu Franz Liszts Sym-
phonieen und symphoni^chcn Dich-
tun^en. Herausgegeben von Alfred HeuC.
Verlag: Breitkopf & Hartel, Leipzig 1913.
(Mk. 2.-.)
Als Gabe zu Liszts 100. Geburtstag hat der
Verlag die bekannten ErlSuterungen, die bisher
nur den einzelnen Werken vorgedruckt waren,
zu einem BSndchen vereinigt. Es wird ge-
wifl manchem, der sich fiber Liszts Schaffen
als Instrumentalkomponist orientieren will, will-
kommen sein, besonders da Namen wie Hermann
Kretzschmar, Georg Mfinzer und Alfred Heufi
fur die Gfite und Sachlichkeit der Erlfiuterungen
bfirgen. Emil Thilo
MUSIKALIEN
46. Hans Hermann: Sieben Duette fur zwei
Sings timmen und Klavier. op. 53a.
(No. 1: Sicheres Glfick, No. 2: Sommer-
morgen, No. 3: Irmelin'Rose, No. 4: MSrchen,
No. 5: Landschaft, No. 6: Du und ich, No. 7:
Harmonic) Verlag: N. Simrock, G. m. b. H.,
Berlin und Leipzig. (Mk. 1.50) — Lieder.
(No. 1: VergiBmeinnicht, No. 2: Ich nab' mir
mein Kindel, No. 3: Sechse, sieben Oder
acht!, No. 4: Sie liebten sich beide, No. 5:
Abendgebet.) Verlag: Wilhelm Hansen,
Ghristiania, Kopenhagen und Leipzig, (je
Mk. 1.20—1.50.)
Die Duette werden vermutlich einen grofien
Publikumserfolg haben. Sie sind klangvoll ge-
setzt, bieten (mit Ausnahme von No. 4) ffir Sanger
und Spieler keinerlei Schwierigkeiten und bewegen
sich in gewohnten Babnen. Kompositorische
Gewandtheit und sicberer Instinkt ffir a*uflere
WirkungsfShigkeit zeigen sich allenthalben. Die
Texte zu No. 2, 3 und 4 rechtfertigen die Hin-
zuziehung einer zweiten Singstimme nicht. Aber
das macht nichts. Terzen und Sexten klingen
ja immer gut. Die einstimmigen Lieder zeigen
im allgemeinen denselben Gharakter. Doch das
Schlummerliedchen (^Ich nab' mir mein Kindel"),
das in der tieferen Ausgabe noch reizvoller als
in der Originalausgabe wirkt, kann auch vom
kunstlerischen Standpunktaus empfohlen werden.
Es trifft sehr glficklich den Volksliedton und ist bei
aller Innigkeit frei ron vulgfirer Sentimentalitat.
Aucb das ^VergiBmeinnicht** - Liedchen zeigt
kunstlerische Qualitfiten. Freilich: die Routine
fiberwiegt uberall die schopferische Erfindung.
47. Emile Jaques-Dalcroze: Zehn Lieder.
Heft I: GruB, Schmied Schmerz, Regenlied,
Entzfickung, Hatgesagt — bleibt nicht dabei;
Heft II: Das Lied von feme, Gewitter, Spinn
Mfigdlein spinn, Wenn's dammert, Spinnlied
Verlag: N. Simrock, G. m. b. H., Berlin und
Leipzig. (Heft I und II je Mk. 2.50.)
In diesem neuen Werke lafit der als Komponist
bisher zu gering, als Padagoge zu hoch geschatzte
Autor das vermissen, was mich personlich bei
seinen fruberen Kompositionen oft entzfickt hat:
die melodische, harmonische und rhythmische
Pikanterie. (Auch beiGroBeren, bei Wagner z. B.,
lassen die entzucktenSinne zuweilen ein kritiscbes
IJrteil einfach nicht a Qff^JRjf I^TWr^fVo R4 e s e Lieder
R " UNIVERSITY OF MICHIGAN
232
DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
elektrisiercn nicht, sie sind ganz und gar nicht
mit den Sinnen geschrieben, sondern ein klarer
Kunstverstand und ein vornehmer Geschmack
haben sie geschaffen. Keineswegs nach dem
Grundsatze „L'art pour Part"; auch fehlt es ihnen
nicht an GefuhlswSrme. Aber im grofien und
ganzen wendet sich das Werk doch mebr an die
Kenner als ans Publikum. So setzt der Komponist
z. B. im „Lied von ferne a der Gesangsmelodie
zumeist nur eine einfache Liedmelodie auf dem
Klavier entgegen; man bort nicht mehr als zwei
Tone zu gleicher Zeit, aber man hdrt (wenn man
Musiker ist) zwischen den beiden Tonen all das,
was sich nicht separat aufzeichnen, sondern nur
durch die melodisch-rhythmische Bewegung der
beiden Stimmen andeuten ISfit. Wie die Klavier-
stimme (die eigentlich von Violine und Cello
ausgefiihrt werden mufite) bald kanonisch zu der
Gesangsstimme gefuhrt ist, wie sie bald uber,
bald unter ihr schwebt oder sich mit ihr kreuzt,
wie sie von der zweiten Oktave kaum merklich
verstarkt wird, das alles ist mit grotler Meister-
schaft und uniibertrefflicher Feinheit gemacht.
Aber, wie gesagt, nichts furs Publikum. Dieses
Lied hacte in einer einmaligen, kleinen Auflage
(von hochstens 200 Exemplaren) auf Butten ge-
druckt und kostbar gebunden werden mussen.
Die anderen Lieder kommen dem Geschmack
und Verstandnis der Menge weit mehr entgegen.
Doch ist auch ihnen ein zur Askese neigendes
Kunstempfinden eigen. Mancherlei Kleinigkeiten
storen, so z. B. im ersten Liede die Betonung
wieder (mit besonderem Akzent), im vierten ein
paar allzu konventionelle Figuren, im funften der
geradezu beleidigend unsinnige vorletzte Takt, im
neunten eine fatale Wagner-Reminiszenz. Aber
der aufierordentlich gunstige Gesamteindruck
wird dadurch nicht wesentlicb beeintrachtigt.
48. Rudolf Karel: Slawisches Scherzo-
Capriccio fur Orchester. op. 6. Ver-
lag: N. Simrock, p. m. b. H., Berlin und
Leipzig. (Part. Mk. 6.—.)
Was Vater Straufi von den symphonischen
Dichtungen seines Sohnes Richard sagte, trifft
auf dieses Scherzo zu: „Man bekommt dabei ein
Gefiihl, als ob man die Hosen voll Maikafer hat.**
Das Gekribbel wird hier von rhythmischen
Zuckungen begleitet und stellenweise unter-
brochen. Wenn diese auch nicht gerade den
Geist anregen, so wirken sie doch stark auf die
Gehorsnerven. Ohne ein paar BrutalitSten der
Posaunen gehts dabei nicht ab. Immerhin ist
dieses temperamentvolle Werkchen ein ganz
prachtiger Ohrenschmaus, der dem Publikum
sicherlich behagen wird. Also: Auffuhren!
49. Ernst von Dohnanyi: Drei Stiicke fur
Klavier. op. 23. No. 1 : Aria, No. 2: Valse
Impromptu, No. 3: Capriccio. Verlag: N. Sim-
rock, G. m. b. H., Berlin und Leipzig, (je
Mk. 2—.)
La recherche de la paternite* est interdite.
In Frankreich gilt diese Gesetzesbestimmung
sogar fur die leibliche Abstammung, in Deutsch-
land nicht einmal fur die geistige. Wer der
Vater ist, wird bei uns in streitigen Fallen zu-
meist „vors Jerichte ausjemacht". Da bei den
„drei Stucken" der Fall sehr einfach liegt, und der
kritische Richter eigentlich ohne zureichenden
Grund „in Betrieb gesetzt" wird, so sei nur be-
merkt, dafi die Drilli^ge die Zuge des Kom-
C 1
ponisten der „Feuersnot a tragen, und daO ibre
Amme offenbar Johannes Brahms war. In for-
maler Hinsicbt sind sie etwas uberernabrt; und
ihre sinnliche Entwickelung hat die geistige be-
trilchtlich uberholt. Immerhin werden die
Klavieristen voraussichtlich „wild a nach ihnen
werden, und zwar mit vollem Recbte. Denn
hier kann man „loslegen" (und wie!), hier kann
man „sich austoben". Der Kritiker steht etwas
betreten abseits, er wagt nicht recht die Frage
nach geistigen Werten. Und schlieClich: Die
drei Stucke sind glanzend gemacht, von brillanter
Wirkung, eine wahre Wonne fur zwei recbt-
schaffene KlavierhSnde, dabei solide in ihrer
Struktur; was will man mehr?
Dr. Richard H. Stein
50. DenkmAler der Tonkunst in Bayern.
ll.Jahrgang, Band 2. AusgewSblte Werke
von Agostino Steffani. 2. Teil. Heraus-
gegeben von Hugo Riemann. Verlag:
Breitkopf& HSrtel, Leipzig 1911. (Mk. 20.-.)
Wer den Namen Steffani's hort, denkt wohl
zunSchst an zweierlei: an die bedeutsame Rolle,
die er in des jungen Handel Lebensgang gespielt
hat, dadurch, dafi er ihm die fur alles Spatere
entscheidende Richtung nach Hannover und da-
mit nach England gab, und an die beruhmten
Kammerduette. Die Kammerduette sind im
Munde jedes konservatorischen Musikgeschichts-
lehrers. Gekannt sind sie wohl nur von wenigen.
Denn sonst mufiten sie in ihrer Kraft und
Herrlichkeit ISngst Gemeingut der musikalischen
Gebildeten sein. VorlSufig schlummem sie nocb
in ihrem schonen kostspieligen DenkmSler-Band
ihrer Auferstehung entgegen, harrend, dafi eine
wohlfeile, allgemein benutzbare Ausgabe (d. b.,
wie die Dinge nun einmal liegen, eine Ausgabe
ohne alte Schlussel und mit italieniscbem und
gutem deutschen Text) sie dem Gebrauch aller
erschliefie. Wie es scheint, werden sie bis dabin
noch eine gute Weile schlafen mussen. Was der
vorliegende Denkm31er-Band bringt, reicht seiner
Bedeutung nach an Steffani's Meisterwerke nicht
heran. Es ist eine Oper „Alarico il Balta*,
die 1687 fur Munchen geschrieben wurde. Es
ist die funfte seiner 18 uns bekannten Opera.
Sie fallt noch in die erste Hfilfte seines Schaffens,
in seine Munchner Zeit, die mit seiner Berufung
nach Hannover ein Jahr sp§ter ihren AbscbluB
fand. Erst vor kurzem sind zwei handschriftliche
Partituren des Werkes, die eine in Schwerin, die
andere in Munchen entdeckt worden. Beiden
fehlt der Komponistennamen, und erst durch ein
Textbuch der Munchner Bibliothek hat die Autor-
schaft SterTani's ein wand frei festgestellt werden
konnen. Der w Alanco M ist eine spezifisch lyrische
Oper ohne grofie Ausstattung, ohne Schlachten-
bilder, Aufzuge und Mascbinerie. Liebe, Eifer-
sucht, Rache und Versohnung sind, wie sonst
auch in derOper derZeit ublich,dielngredienzien,
aus denen der Librettist Orlandi das Textbuch
zusammensebraut hat. Sich in dem krausen
Durcheinander seiner „Handlung a selbst an der
Hand von Riemanns kurzer Inbaltsangabe zurecbt-
finden zu wollen, wSre vergebene Liebesmuh.
Man gibt den Versuch bald auf. Es ist aucb im
Grunde ganz gleicbgultig, ob nun der Feldherr
Stilicho, Alarich der Gotenkonig, Sopran
singend, die Thrazierkonigin Semiamira, Sabinii,
die spliwarzaugige Romerin, die blonde Placidii
UNIVERSITY OF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
233
odcr wer sonst diese Heldenoper agieren, ob sie
im funften christlichen Jahrhundert oder sonst-
wann spielt. Es sind ja doch immer dieselben
physiognomielosen Marionetten, die uns das
Theater der Barockzeit vorfuhrt. Und auch in
der Struktur der Oper durfen wir nichts anderes
als das Bekannte erwarten: Rezitative und Arien,
Arien und Rezitative in endloser Folge. Keine
Kleinigkeit sich da durchzufinden. Nach dem
ersten Dutzend Arien (63 sind's im ganzen) ist
das asthetische Unterscheidungsvermogen, der
geistige Geschmackssinn vollkommen irritiert.
Es ist kaum mehr moglich, die allenfalls vor-
bandenen Unterschiede noch zu fassen. Und
man muB es schliefilich dem Herausgeberglauben,
wenn er sagt, daft die Hauptpersonen charak-
teristiscb gegeneinander abgehoben seien. Schade,
daO in der Einleitung, wie das sonst wohl ge-
scbehen ist, nicht die besten Stucke heraus-
gehoben sind. Man hStte von ihnen aus weiter
in diesen Arienurwald vordringen konnen. So
stebt man ziemlich waffenlos dieser Fulle des
anscbeinend Gleichartigen gegenuber. Man spurt,
das ist guter Stil der Zeit, aber wirklich gepackt,
zur Reaktion gezwungen, wird man nirgends.
Die Rezitative gar ermuden unsaglich durch die
stereotypen gleichen Wendungen. Folgende mit
dem cbarakteristischen liegenden Bali ist die
haufigste:
Gesang
(Sopran)
Continuo <
^
—
— . — _
si con-dur- ro
mio
Be - ne usw.
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Sie wirkt das erste Mai angenehm in ihrer ruhigen
rdyllischen Stimmung. Auf die Dauer und in
alien nur mdglichen Situationen angewendet,
wird sie schwer ertraglicn. Riemann gibt in der
Einleitung eine bewunderungswiirdige philolo-
gische Arbeit, einenQuellennachweis der 18 nach-
weisbaren Buhnenwerke Steffani's, der fur alle
spitere Forschung auf diesem Gebiet grund-
legend, fur alle Shnlichen wissenschaftlichen
Unternehmungen vorbildlich sein wird. Weniger
befreunden kann ich mich mit seiner Anderung
derTakteinteilung, deren Notwendigkeit ich nicht
einsehe. Eine Erleichterung fur den Spieler,
wie die Einleitung meint, ist sie ganz und gar
nicht. Riemanns Continuo-Aussetzung ist uber-
aus kunstvoll, vielleicht zu kunstvoll. Unmog-
lich war mir von jeher seine Geheimlehre der
Phrasierung. Ich habe mich seinerzeit ehrlich
bemuht, in diese schwarze Magie der Bogen und
Strichel und Kreise einzudringen. Ohne Erfolg.
Ich bin zu dumm dazu. Nicht einmal begriffen
hab ich, was ein Bindebogen soil, der vor den
ersten Takt greift, wenn gar kein Auftakt da ist.
Und nun hab ich das Ungluck, daO die meisten
phrasierten Riemannausgaben fur mich unbrauch-
bar sind. Nicht gerade diese, hier ist's nicht so
schlimm. Aber z. B. die der Klavierwerke
Friedemann Bachs. Ist der Mann nicht schon
allein knifflig genug? Und nun? Ich mull
buchstabieren und komme nicht zum Ziel. Ich
hore, daft sogar die „Musikgeschichte in Bei-
spielen" Riemannisch phrasiert sein soil. Schade.
Ich hatte mich so sehr darauf gefreut.
Dr. Ernst Neufeldt
51. Sammlung musikalischer Einblatt-
drucke: No. 1: Der I. Psalm, No.2: Der
XXIII. Psalm, No. 3: Der CXXI. Psalm.
In Reimen von Matthias Jorissen (1798)
mit alten, von Claude Goudimel harmo-
nisierten (1565) Hugenottenweisen. Vier-
stimmig. Musikalisch - bibliophiler Verlag
Josef von Szalatnay, Kattowitz und Leipzig.
(Wohlfeile Ausgabe je Mk. 1.80, Liebhaber-
ausgabe je Mk.2.50.) AuBerhalb des Rahmens
der „Sammlung a als „Drei Psalmen", B Three
Psalms* 4 , n Trois Psaumes", B Drie Psalmen",
w Tfi Zalmy a , „Harom Zsoltdr", in Reimen
von Matthias Jorissen (1798), einem un-
bekannten Dichter (1629), Clement Marot
und Thdodore de Beze (1552), Johannes
Eusebius Voet (1773), JiH Strejce (1587),
sowie von Szenci Moln&r Albert (1607).
(Wohlfeile Ausgabe je Mk. 4.80, Liebhaber-
ausgabe je Mk. 6.60 in gemeinsamem Urn-
schlage.) Ebenda.
Ein neuer Verlag tritt hier mit der Idee auf,
das weite Gebiet der Musik der Bibliophilie zu
erschlieOen. Man kann nur Freude daran haben,
wie gut die vorliegenden ersten Publikationen
ausgefallen sind. Auf dem chamoisfarbenen
Butten der wohlfeilen Ausgabe ergibt die eigen-
artige, auf die FarbendreiklSnge von Schwarz-
Rot-Blau,resp.Schwarz-Grun-ViolettundSchwarz-
Gelb-Rot abgestimmte typographische Anordnung
ein wirklich schones Satzbild, das sich freilich
noch bedeutend besser von dem prachtigen
hollandischen Butten der in nur 50 Exemplaren
hergestellten Liebhaberausgabe abhebt. Die nach
einer alten Vorlage eigens fur diesen Zweck
entworfene Notentype erhoht den Reiz der in
der Offlzin von W. Drugulin in Leipzig sehr
sorgfiltig hergestellten Drucke, fur deren Ver-
breitung es nur von Vorteil sein durfte, daft den
alten von Claude Coudimel harmonisierten
Hugenottenweisen interkonfessionell gehaltene
Texte unterlegt sind. Nach diesem schonen
Auftakt wird man die Fortsetzung der Sammlung
mit Freuden erwarten. Max Dubinski
H:::! :>/.-: :v,- C iUOQI'C
Uriqinal from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK
OPER
BERLIN: Man schwebte nun wieder zwischen
Wagner und Verdi. „Tristan u , das po-
tenzierte Ichdeseinen hier; „Don Carlos 4 *, ein
Gelegenheitswerk voll interessantester Ausblicke
dort. Mit heiligen, unheiligen Schauern treten
wir in die Atmosphare des Hordramas; mit
Zweifeln nShern wir uns der Durchgangsoper.
Die heiligen Schauer aber, die man in den
Berliner „Tristan*-Auffuhrungen wohl oft spuren
konnte, verfluchtigen sich diesmal nach wenigen
Taktcn. Wir fuhlen nicht mehr die Kunst, son-
dern die Kunstlichkeit der Vorhalte. Das Unter-
bewufttsein, das sich der Poesie verschwistert,
wird vom dauernden Bewufitsein abgelost. Ich
suche den Grund und finde ibn — im Orchester.
Nicbt eigentlich in ihm, sondern in dem, der
es regiert, in Leo Blech. Eifrig ist er, hochst
eifrig. Und ich w&re der letzte, ihm die Palme
zu weigern, wenn es galte, einen allgegenw2rtigen,
tuchtigen Dirigenten zu nennen. Aber zwischen
„Tristan a und Blech laufen keine Faden. Man
braucht nicht Richard Strauft gegen ihn aus-
zuspielen, dessen Erotik in der Darstellung des
B Tristan* schopferisch wird. Aber selbst jener
als nuchtern verschrieene Karl Muck wullte
mit seiner uberlegenen Personlichkeit die Urn-
risse des Werkes so hinzustellen, daO wir trotz
alien L&ngen TristanglSubige blieben. Alle Vor-
wurfe, die wir sonst gegen die Hofoper richteten,
muOten dem ^Tristan" gegenuber verstummen
oder gedSmpft werden; eben darum, weil hier
kein Oberkommando, keine In^zenierung ent-
scheidend eingreifen konnte. Hier aber fehlen
die groften Umrisse und die feinen Schwebungen.
Wir sehen eine hochst exakte Menschlichkeit
am Werke. Und es ist nicbt meine Schuld,
wenn ich nun kritisch von Szene zu Szene
weiterging und allerlei Zweifel an mir nagen
fuhlte. Nur eine wuftte sie zu bannen: Martha
Leffler-Burckard. Eine Isolde, wie ich
sie nie sonst erlebt babe; sinnlich und doch
uberlebensgroO. Wahrhaft erscbutternd schon
im ersten Akt; voll Hingabe im zweiten. Hin-
gabe an wen? Und hier fallen Schatten in die
Erinnerung. Kraus-Tristan ist mitleiderregend;
eine Ruine, die man zum Aufbau des Werkes
nicht mehr benutzen durfte. Wie ich den
Bayreuther glSnzenden Siegfried einst feierte,
so muft ich den immer nur halben, nun aber
unmoglichen Tristan bedauern. Er schwebt in
best&ndiger Angst um das Elementarste, urn
seine Stimme. Deutet hustelnd eine (leider
chronische) UnpfiBlichkeit an. Sein Notbehelf,
das Flachsingen, Iegt die letzten Stimmreste
blofl und betont das Unpersdnliche der Gestalt
noch mehr im Gesange. Das Schdnste im
zweiten Akt wird zu einem Exerzitium. Mit
Pumpen und mit Rohren wird der SchluB er-
reicht. Denn glucklicherweise redet Marke lange,
redet durch den Mund Knupfers ein wenig
farblos, so daft Tristan und wir mit um so
grofterem Recht erleichtert aufatmen konnten.
Aber Isolde kehrt zuruck und entiaftt uns mit
den starksten, ja unvergefilichen Eindrucken.
(Warum schenkte man sie uns nicht fruher, als
noch die Bruchstelle der Mittellage als kleiner
Schonheitsfehler gelten durfte?) Ihr stand als
C 1
Brangane Frau Arndt-Ober zur Seite, die, an
sich achtbar, noch ein wenig im Diesseitigen
haftet. Alles ubrige, der Kurvenal, das Zelt
auf dem Schiff, der Mondschein des zweiten
Aktes, der sonderbarerweise sitzende Tristan
des dritten waren, das begreift man, ohne Be-
lang, wo solche Werte auf dem Spiel standen.
Es ist peinlich, also zerlegen zu mussen. Als
wir Verdi's „Don Carlos 44 zu horen bekamen,
stand Edmund von Straufi am Pult. Wir waren
ganz selbstverstandlich auf nichts Iralienisches
gefaBt und begnugten uns mit der wackeren Ge-
sinnung, die aus seiner routinierten Stabfuhrung
sprach. Verdi mit dem Taktstock gerade im „Don
Carlos 44 festlichen Sinnes nachzugehen, ware
nicht unlohnend gewesen. Ich habe den Geist
dieses entwickelungstrachtigen Embryos jungst
hier beschworen. Die Auffuhrung, die auf dem
Fufie folgte, hatte dem Werk noch mehr Sym-
pathieen werben konnen, wSre es rein vor uns
getreten. Es gibt keinen Stil fur den „Hon
Carlos 44 ; denn er selbst ist scbwankenden Stils.
Aber brauchen wir zu zweifeln, daft diese Oper
mit dem doppelten Gesicht doch mehr vom Geist
der Vergangenheit als von dem der Zukunft ihre
darstellerische Beleuchtung erwartet? Wir hatten
nun zwei Gegenpole: Knupfer, den Philipp,
und Jadlowker, Don Carlos. Dieser bringt
noch die angenehme Ruckstandigkeit mit, die
den Besitzer einer so prachtvollen Stimme zum
echtesten Mittler gerade solcher Werke macht;
jener durchtrankte den Konig mit musikdrama-
tischem Sinn. Hat er ihn so bis in alle Fasern
erlebt und vor uns gestellt? Ich glaube nicht.
Verdi hat wie stets auch hier der unglucklichen
Natur Mitleid, Liebe und Cbarakterisierungs-
kunst geschenkt, hat Philipp sinnvoll uber die
Umgebung gehoben. Aber er verlangt von ihm
noch ein Mehr an Klang, der vom Herzen kommt
und zum Herzen geht, etwas Damonisches, das
in diesem Philipp nicht lebte. Der grofie Mo-
nolog im dritten Akt schurft tiefer. Nebenbei:
warum bleibt der Konig nicht sitzen? Denken
wir ihn uns doch zusammengesunken, gebrochen
inmitten der kahlen Pracht des Palastes, als
Herrscher leidend und als fuhlender Mensch,
von der Emporung bedroht und zur Entsagung
gezwungen. Dieses Selbstgesprach ist eine
Kostbarkeit. Sie strahlte nicht ganz in ihrem
eigenen Glanz. Aber um so besser gelang das
Rezitativische. Die Elisabeth der Hafgren-
Waag ist eine wunderschSn klingende Un-
personlichkeit. Die Eboli sang ihre Kanzone
und hatte Blut und Leben: Frau Arndt-
Ober. Der Posa des Herrn Bronsgeest, der
Groftinquisitor des Herrn Schwegler, alles
ehrenwert. Wir sahen auch das Bombenfinale
des zweiten Aktes mit dem kinohaften Zu-
behor der Ketzerverbrennung. Wird es mog-
lich sein, dieses Werk noch einmal von der
Germanisierung so zu retten, wie wir's frag-
mentarisch durch die Monegassen erlebten?
Ich furchte, nicht. — Nach Verdi kam Saint-
Saens. Ja, er selbst in „Samson und Dalila".
Strichlos hatte er sie gewunscht, und man ge-
wfihrte es ihm. Selbst die gekurzte Oper findet
uns bei allem musikalischen Reichtum zuweilen
ungesammelt. Uberflufi an Choren; Stillstand;
ein Mangel, an Tiefe, in dem gescheiten, allzu-
Onqinal from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (OPER)
235
gcscheiten Mcnschen ermudet. Kommt noch
binzu, daB der Komponist am Pult allzu geruhsam
fiber die peinlichen Differenzen zwischen Buhne
und Orchester hinwegborte. Ich konnte es nicht.
Berger war der Samson. Ein wie kunstlicher,
eingezwSngter Tenor ist diese prachtige, me-
talliscbe Baritonstimme von einst geworden!
DaB er ein Held und musikalisch angemessen
bleibt, sei ihm bestatigt. Wieder die Arndt-
Ober als Dalila. Und pr§chtig bei Stimme. Sie geht,
und wir haben neuen Verlust obne Ersatz zu
beklagen.
Das Deutsche Opernhaus sterilisierte den
„Trovatore a . Verdi zu Ebren und sich zum
Nutzen. Gab ihm uberdies ein schmissiges Ballet,
um das sich der Rest gruppierte. Wir abnen
schon, daB es sehr brav zuging. Alexander
Kirchner, Luise Marck, Emmy Zimmer-
man n; der eine hatte dies, die andere das,
keiner alles, was hier nottut. Morike und
Verdi! Lauter Ungleicbungen. Lagenpusch
aber ist, wie immer, sehr ruhrig. Eine Auf-
fuhrung, die ich mir in Parenthese denke.
— Auch die Neueinrichtung von Lortzings
B Undi;ie* kann ich nicht als Tat einschatzen.
Erstens: gerade wer den Meister der Vorstadt-
oper an seinem Platz liebt, wird diesen Ausflug
ins Romantische nicht mit vollem Herzen mit-
machen. Zweitens ist es eben darum vom Obel,
daB man Scbwachen gewissenbaft und pietatvoll
betont. Je rascher, desto besser. Zwar ist es
ehrenvoll, wenn derTheaterdirektor (Hartmann)
mit dem Musikhistoriker (Kruse) geht; doch
bringt es nur dann Gewinn, wenn beide den
Zwang der Buhnenwirklichkeit anerkennen.
Kebrt also, bitte, zu den Strichen (im 1. und
2. Akt) zuruck. (Ich scbmeichle mir nicht, auf
jemanden Eindruck zu machen, der wie der
Direktor soviel Tinte und Geist auf die Ange-
legenheit verwandt hat.) An der Spitze dieser
im groBen und ganzen — beides wortlich ge-
nommen — bedSchtig-sorgfaltigen Auffuhrung
stand Hans Leschke; leidlich geschickt. Hertha
Stolzenberg als Bertalda wie immer ein-
drucksvoll und, wenn man von kleinen SchSrfen
der Hone abhort, angenehm. Elisabeth Boehm
van Endert eine poetische, doch stimmlich
scbwankende Undine. Paul Hansen eine Hoff-
nung; Julius Lieban genieBt die Rechte des
Veterans; Werner Engel ein trink- und stimm-
fester Kuhleborn; Peter Lordmann von unver-
wustlicher Brauchbarkeit. InbSherenTonen ware
von der Hartmannschen Inszenierung zu reden.
Kuppelhorizont plus Beleuchtung schaffen uns un-
gewohnliche landscbaftliche Reize; und derselige
Lortzing hat sich gewiB so viel echten Marchen-
zauber nie traumen lassen. Adolf Wei B man n
DRESLAU: Im Stadttheater begann die neue
*-* Ara der stadtiscben Eigenleitung mit einer
vom Intendanten W. Runge geleiteten Inszenie-
rung des „Rienzi a , die ihr Bestes in der sicheren
Beberrscbung der Massenaufzuge gab. Das
musikalische Ensemble mit Trostorff in der
Titelrolle bedeutete einen neuen Sieg des aus-
gezeichneten Pruwer, der auf zehn Jahre als
„Stidtischer Kapellmeister" an Breslau gebunden
wurde. Zwei neue Dirigenten, die Herren Weill
und Giuseppe Rio, stellten sich bald darauf vor,
dieser mit der „Afrikanerin*, jener mit „Figaros
Hocbzeit*. Seine Vielseitigkeit bewafirfe Pruwer.
durch eine aufs feinste durchgearbeitete, im
liebenswurdigsten Lustspielstil gehaltene Auf-
fuhrung des „Fra Diavolo", in der Hochheim
mit Verve den Titelhelden agierte. Von neu-
geworbenen Kr3ften fuhrten sich die Dramatische
Floch (Selika und Senta),die jugendlicheSSngerin
Reinhardt (Agathe und Friedjensbote), die
Soubrette Bauer (Zerline und Annchen), der
Tenor Schmieter (Pedro), der Bariton Gruder-
Guntram (Sebastiano, Nelusco), der Bassist
von Zopoth (Kardinal, Landgraf) ein. Eine
Erkrankung Trostorffs bewirkte, daB sich Heir
Hochheim als Rienzi zum ersten Male im
w schweren a Heldenfache nicht ohne Gluck ver-
suchte. Als Tannh^user, fur den wieder einmal
die Pariser Bearbeitung ausgegraben wurde,
gastierte Herr Kirch ho ff von der Berliner Hof-
oper. Auch sonst brachte die junge Spielzeit
bereits einige Aushilfs- und Anstellungs-Gast-
spiele. Zu Verdi's hundertstem Geburtstag
wurde der „Maskenball a gegeben mit dem er-
freulich aufstrebenden Tenoristen GUser als
Richard und dem ausgezeichneten Hecker als
Renato. Dr. Erich F re und
r\0SSELDORF: Die neue Spielzeit wurde mit
*^ einer ruhmenswerten Vorstellung des ff Fi-
delio" unter F r 6 h 1 i c h s Leitung eroffnet. An-
laBlich der Verdi-Feier soil ein Zyklus von
Opern des Meisters aufgefuhrt werden. Als
Vorboten kamen bisher „Rigoletto a mit Melitta
H e i m aus Frankfurt a. M. als ganz hervorragen-
der Gilda, August KieB, einem neueingetretenen
stimmlich und darstellerisch vielversprechenden
Bariton als Rigoletto unter des talentvollen
Kapellmeisters Werner Wolff Leitung, ferner
am hundertsten Geburtstage Verdi's der „Fal-
staff a unter Alfred Frohlich, mit Gustav Wa-
schow, Richard Hedler, Agnes Wedekind-
Klebe, Auguste M tiller (Elberfeld) in den
Hauptpartieen des FalstafP, Ford, der Alice Ford
und Mrs. Quickly geradezu glSnzend heraus.
Der neue Kapellmeister Wolff fand ferner Ge-
legenheit, seine Begabung zu zeigen bei AnlaB
einer w Tannh3user a -Vorstellung mit dem stimm-
lich guten, aber noch der kunstlerischen Kultur
seiner Vortragsweise benotigenden Tenor Egon
R e i c h e n b ach in der Titelrolle, und bei einer
Neueinstudierung der „Entfuhrung a von Mozart,
die, mit Hofopernsfinger Anton Hummelsheim
(Hannover) als Belmonte, einen besonders gun-
stigen Eindruck hinterlieB, wahrend die Auf-
fassung der „Walkure a doch noch zu wenig
Stilgefuhl und Sicherheit verriet. Die Jahr-
hundertfeier der Befreiungskriege gab der
Theaterleitung Veranlassung, Alfred Kaisers im
letzten Jahre hier zur Urauffuhrung gelangte
Oper w Theodor Korner" wieder auf den Spiel-
plan zu setzen. Frohlicbs temperamentvoller
Leitung verdankte das anspruchslose Werk auch
diesmal einen schonen Erfolg.
A. Eccarius-Sieber
CLBERFELD: Unser Stadttheater ist jetzt in
" stadtische Verwaltung iibergegangen, die
kunstlerische Oberleitung liegt in den HSnden
Arthur von Gerlachs als stadtischen Inten-
danten. Der Beginn der neuen Spielzeit mit
„Figaros Hochzeit** und „Lohengrin*\ stilgerecht
von v. Gerlach und dem Oberspielleiter Robert
Bottcber inszeniert_und vom ersten Kapell-
Tme.ister Ernst K noctUgbpriioaJ sTifcKhim Zeichen
UNIVERSITY OF MICHIGAN
236
DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
der Feier des 25j&hrigen Bestehens des jetzigen
Hauses. Puccini's „Madchen aus dem golde-
nen Westen", das unter v. Gerlach und Knoch
gut herauskam, hat in ausgezeichneter Besetzung
der drei Hauptpartieen durch Agnes Poschner
(Minnie), Erich Hunold (Sheriff) und Karl
B a u m (Johnson) eine uberaus freundliche Auf-
nahme gefunden und es bereits bis zu acht Auf-
fuhrungen gebracht. Auch Alfred Kaisers Frei-
heitsoper B Tbeodor Korner**, die zur Feier des
Gedenktages der Volkerschlacht bei Leipzig ge-
geben wurde, hatte als der JubilSumsstimmung
dieses Jahres entsprechend Erfolg. Unter ver-
standnisvoller Leitung von Hans Knapperts-
busch erwiesen sich die beiden tragenden
Frauenrollen der Antonie Adamberger und Chri-
stine Hofer bei Kate J aenicke, die auch eine
treffliche Rose Friquet war und als Cherubin
erfreute, und Greta J a n s s o n gut aufgehoben,
wahrend der neue erste lyrische Tenor Armand
Pardy sich als Titelheld nicht unvorteilhaft ein-
fuhrte. Verdis hundertstem Geburtstage trug,
wenn auch etwas post festum, die w Rigoletto tf -
Auffubrung Rechnung. „Das Glockchen des
Eremiten**, w Martha** und „Undine** lieften in
wohlvorbereiteten, abgerundeten Auffuhrungen
erkennen, daC der Spieloper in dieser Spielzeit
eine sorgfaltigere Pflege zuteil werden soil und
in Hans Knappertsbusch fur die Spieloper
ein temperamentvoller Dirigent gewonnen worden
rst. Unter den neuen KrSften traten noch in
Max Landeck (Sylvain) und Gottfried H age-
do rn (Prediger) klangvolle Stimmen und in
Joachim F a b e r (Basilio, Thibaut) ein hervor-
ragendes Spieltalent in die Erscheinung. Mit
der „Dame in Rot** von Robert Winterberg hat
auch in derOperette unser diesjahriges Personal,
vor allem die Soubrette Margarete v. Niedeck
(Kitty), einen guten Anfang gemacht.
F. Schemensky
CRANKFURT a. M.: An Verdi's „Falstaff a
* erprobte die Oper ihre Ensembletuchtigkeit.
Unter Egon Pollaks Leitung erklang das
wundervolle Werk in einer selbstverstandlichen
Naturlichkeit und leichten Grazie, daft kein Wort
der Anerkennung fur eine solch auftergewohn-
liche Dirigentenleistung zu hoch gegriffen ist.
Pollak verstand es vorziiglich, die tausend geist-
spriihenden Einzelheiten im Ausdruck zu
scharfen und in den dramatischen Flufi einzu-
fugen; und immer schwebte fiber dem Ganzen
der leichte und graziose Atem der Komodie.
Robert vom Scheidt stellte einen dramatisch
sehr wirksamen und gesanglich hervorragenden
Falstaff auf die Buhne. Im Ensemble uberboten
sich an Lebhaftigkeit der Darstellung und ganz
erstaunlicher musikalischer Sicherheit die Damen
Boennecken, F o r t n e r-H a 1 b aerth und
Cornelius, sowie die Herren Brinkmann,
Schramm, Weindel und Stock. Fur
das unpaftlich gemeldete Frl. Uhr sprang Frau
Rudy aus Karlsruhe ein. Der Kunstlerin ist
nachzuruhmen, daft sie in diesem Ensemble
nichts verdarb. Regisseur Krahmer sorgte fur
eine sehr gute Regie und kam auf den guten
Einfall, die Schluftfuge vor beleuchtetem Hause
singen zu lassen. Es war eine wurdige Verdi-
Feier. Karl Werner
UAMBURG: Unsere beiden Opernhauser be-
1 l teiligten sich lebhaft und zielbewuftt an den
C 1
Feiern, die allenthalben zur festlichen Begehung
des Volkerschlachttages veranstaltet wurden. Die
Neue Oper gab, vermutlich einer Anregung
ihres Dirigenten Dr. Gohler folgend, die in
Deutschland fast noch unbekannte „Ger mania*
Alberto FranchettPs und nahm sich damit eines
Werkes an, das sehr wohl die Neigung deutscher
Leiter leistungsfShiger Buhnen beanspruchen
darf. Es ist nicbt gerade geniale Musik von
starker SelbstSndigkeit, die sich in dieser Partitur
vorfindet, aberdie Tonsprache Franchetti's ist so
gewahlt, sein tecbnisches Konnen in strenger
deutscher Schule so weit gereift und seine Er-
findung so flussig, daft seine Oper als solide
Arbeit eines gediegenen Musikers durchaus
ehrenvoll bestehen kann. Mit sehr viel Ge-
schmack und sehr stimmungsvoll hat Franchetti
in seine Partitur deutsche Weisen hineingewoben,
wobei namentlich die Benutzung von Lutzows
wilder Jagd gute Dienste leistet. Das Textbuch,
ein klein wenig Gartenlaube-Sentimentalitat
streifend, ist im ganzen nicht besser und nicht
schlechter als die Dutzendware, mit der Libret-
tisten die armen Komponisten auf das Glatteis
zu locken lieben. Die Auffuhrung unter Leitung
der Herren Gohler und Moris (Regie) war aus-
gezeichnet und stellte abermals der Leistungs-
fahigkeit unserer jungen zweiten Oper ein glan-
zendes Zeugnis aus. Die Premiere brachte das
erste Hamburger Auftreten des BerlinerTenoristen
Hermann Jadlowker, der in einer bei der Ur-
auffuhrung in Mailand von Caruso kreierten
Bombenrolle einen sensationellen Erfolg hatte
und der jetzt am Hamburger Kunstmarkt dem-
zufolge einen hohen Kurswert besitzt.
Im Stadttheater feierte man den Gedenk-
tag mit einer Neueinstudierung des ^Siegfried**,
den Dr. Loewenfeld ganz wundervoll poetisch
inszeniert hatte. Weingartner dirigierte und
probierte bei dieser Gelegenheit die Striche aus,
die nach seiner Ansicht notig sind, um das In-
teresse an dem Werke bis zu Ende wachzuhalten.
Eine Notwendigkeit zu solchen Strichen, die
vielleicht unter Umstanden diskutabel wSren,
liegt fiir uns nicht vor: wir haben die geeigneten
Krafte, die die riesigcn Anforderungen mit
Leichtigkeit bewSltigen, und wenn es diese Krafte
aushalten, ohne an Spannkraft einzubuften, dann
kann es auch der Horer wohl ertragen. Aber
ganz abgesehen von der prinzipiellen Seite dieses
Falles scheinen Weingartners Striche, die an
zahllosen Stellen bald kurzere, bald 12ngere Aus-
lassungen vornehmen, mir nicht glucklich. Der
erste Akt namentlich zerfSllt in seinen musi-
kalischen und dramatischen Organismus unter
der Unzahl der operativen Eingriffe, die Wein-
gartner an ihm vorgenommen hat.
Heinrich Chevalley
1ZONIGSBERG i. Pr.: Mit einem abermaligen
^ Fortschritt in Buhneneinrichtung und Regie
sind wir in die neue Spielzeit getreten. Ist es
auch nicht billig zu verlangen, daft alle Lucken
eines seit Jahrzehnten veralteten Fundus mit
einem Schlage erganzt werden, so mufi doch
festgestellt werden, daft das hundertjahrige
Konigsberger Stadttheater sich den Anspruchen
zeitgemafter Operninszenierung technisch durch-
aus angepaftt hat. Die Verwaltung des neuen
Apparates in der Oper ist obendrein in die
Hande eQi|CJ^ ji^aj^n^^i gegeben, der mit ihm in
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (OPER)
237
geistig interessanter und stichhaltiger Weise
umzugeben weiB: in Charles Moor ist uns ein
Regisseur gewonnen, der wirklich musikdrama-
tisch arbeitet, den Buhnenvorgang als musik-
dramatisches Ausdrucksmittel durcbgestaltet;
und nun brauchen wir uns vor der bevorstehen-
dcn „Parsifal a - und zyklischen „Ring a -Auffuh-
rung in szenisctaer Hinsicht nicht mehr gar so
sehr zu furchten. Aucb unsere beiden Haupt-
kapellmeister Frommer und Sen ink, unsere
guten Tenore Fanger und Favre haben wir
nocb, dazu die sehr zu schatzende Jugendlich-
Dramatische Erna Fiebiger und manche andere
tuchtige Kraft, und noch geht es uns ganz gut.
Doch schon wirft die ratselvolle Zukunft ihre
Schatten voraus; ein Tenor, der was taugt, bleibt
nicht in Konigsberg, sowohl Fanger wie Favre
sollen uns verlassen, und schon das erste Ersatz-
Gastspiel hat gezeigt, wie schwer es sein wird,
geeignete Nachfolger fur sie zu finden.
Dr. Lucian Kamietiski
MAGDEBURG: In unserem Stadttheater, das
*** durch die Direktion Vogeler (fruher in
Halberstadt) vielleicht einen Direktor erhalten
bat, wie ihn diese Ubergangszeit braucht, kam
zum ersten Male fur Deutschland die neue Oper
von dem Wiener Komponisten Max von Ober-
Ieithner w Aphrodite" zu Gehor. Das Text-
buch entstand aus dem gleichnamigen Roman
yon Pierre Louys, aus den neunziger Jahren,
fiber dessen Sumpf wuster Erotik, die in dem
Textbuch nicht ganz verhullt wird, selbst in
Paris langst Gras gewachsen ist. LiebstSckl
gewann durch seine Bearbeitung wenigstens
etwas an kulturfahigem Boden. Gleichwohl, ein
Geschlecht von sympathischen Menschen wird
man auf ihm vergebens suchen. Der Mann und
die Weibchen; das animalisch Erotische in un-
gezugelter Nacktheit. Versuchte Schfindung,
Diebstahl, Kreuzigungstod hinter der Szene,
Mord, Giftbecher, Sakrileg. Das ist fur eine und
eine halbe Stunde schon eine Leistung! Chrysis,
wie sie nach dem Erleben aller Moglichkeiten
der Liebe die Gunst eines Gottes ersehnt. Er
erscbeint ibr in der Gestalt des Bildhauers
Demetrios, der das Standbild der Aphrodite nach
dem Bilde seinerGeliebten,derK6niginBerenike,
in Marmor gebildet hat. Demetrios und Chrysis.
Preis ihrer eifersuchtigen Liebe: der von Deme-
trios zu stehlende Schleier der Bacchis, die statt
ihrer mit dem Preise der Schonheit gekront
wurde. Weiter: der Raub der demantnen Nadel
der Priesterfrau, die nur durch den Tod ihrer
TrSgerin gewonnen werden kann, und endlich
der Raub des kostbaren Schmuckes, der am
Halse der marmornen Gottin glanzt; erst durch
Zertrummerung des Standbildes wird er frei.
Demetrios vollbringt diese drei verbrecherischen
Taten und schlagt schlieBlich sein Meisterwerk
in Stucke. Aber ihm wird kein Lohn; die ver-
brecherische Laufbahn von einer halben Stunde
Dauer hat ihn zerknickt. Er verschmSht Chrysis
und sinkt dahin, von einem mitleidigen Doich-
stofle getroffen. Chrysis aber muB den Gift-
becher trinken und hat in griechischer Schonheit
auf der Bubne zu sterben. Oberleitbner hat
uber diese alexandrinisch-pariser Gesellschaftdie
Mantel buntfarbigen Orcbesterklangs geworfen.
Seine Motive atmen aber gleichwohl nicht viel
inneres Leben. Fremdlftndisches Kalorit in
C 1
Ganztonleitern und ihren Akkordfolgen. Geist-
volle sympathische Arbeit, aber es fehlen die
groBen Bogen, die allein dramatisch fortzuziehen
vermogen. Am Unmusikalischen des Textbuches
muBtediesergeistvolleOpernkomponistscheitern.
Josef Go 11 rich gab der Partitur viel Feuer und
Schwung, ohne sie indessen fur die deutsche
Buhne retten zu konnen. Max Hasse
IMANNHE1M: Mit einer Neueinstudierung von
*** G lucks „Iphigenie in Aulis" wurde die
neue Opernsaison eroffnet, mit dem neu ein-
studierten „Maskenball a von Verdi begann ein
Ve r d i - Z y k 1 u s, der indessen nur langsam
vorwartsschreitet. Von alteren Spielopern wurden
„Fra Diavolo", „Der schwarze Domino" und
„Maurer und Schlosser" zu neuem Leben er-
weckt, dann feierte Mozarts w Entfuhrung aus
dem Serail" nach jahrelangem Schlummer ein
frohliches Erwachen. Max Lipmann als Bel-
monte, Karen Oderwald-Landerals Konstanze,
Gertrud Runge als Blondchen, Karl Man g als
Osmin und Max Felmy als Pedrillo gaben eine
vorzugliche Besetzung ab und die Auffuhrung
errang unter der vortreiflichen Leitung von Ar-
thur Bodanzky einen gianzenden Erfolg. —
Leo Slezak gastierte als Eleazar und Rhadames;
er imponierte in erster Linie durch seine pha-
nomenale Stimme, mit der indessen die feinere
stimmliche Kultur nicht auf gleicher Hohe steht.
K. Eschmann
MUNCHEN: Unsere Hofoper veranstaltet
gegenwartig Auffuhrungen VerdischerMei-
sterwerke. „Rigoletto tt , w Traviata a , w Maskenball a ,
„Troubadour a , w AYda" und n OthelIo a sind bereits
absolviert, und noch in dieser Woche wird der
^Falstaff* 4 — fur Munchen eine Novitat — den
Zyklus abschlieBen. Jeder musikalische Mensch
freut sich daruber, das Andenken Verdi's geehrt
zu wissen. Denn wir lieben diesen letzten
grofien Italiener, ohne uns uber seine Schwachen
zu tauschen. Mit all seinen Unbedenklichkeiten
und Cruditaten steht er doch wie ein Stuck
Natur vor uns Kindern einer ewig reflektieren-
den Zeit. Wir bewundern seine originate Phan-
tasie, seine dramatische Schlagkraft und Cha-
rakterisierungskunst, wir bewundern vor allem
die echt romanische Sicherheit seiner Technik
und seine echt romanische Liebe zu dem Ma-
terial seiner Kunst. Unsere Dirigenten Bruno
Walter und Otto HeB besitzen jenen verfeiner-
ten Klangsinn, der allein alle Schonheiten Verdi-
scher Instrumentation fuhlen und herausarbeiten
kann. Da sie zu ihrer Aufgabe auch das erfor-
derliche Temperament mitbringen, konnten sie
uns vortreffliche Gesamtleistungen bieten, weit
bessere als der schwerblutige, unsensible Rohr.
Unser Buhnenensemble ist bei allem hingeben-
den FleiB (gleich alien ubrigen deutschen En-
sembles) mit dem Verdi'schen Vortragsstil nur
zum Teil vertraut. Es wird bei uns eben auch
noch zu wenig legato gesungen und zuviel ge-
schrieen. Nur Fraulein Fay und Fraulein Pe-
rard-Petzel sowie Herr Brodersen, der ein
vorzuglicher Rigoletto ist, zeigten sich ihren
Aufgaben durchaus gewachsen, wahrend die
Leistungen der Frau Bosetti gesanglich wie
musikalisch auf der Hohe absoluter Vollendung
standen. Alexander Berrsche
DARIS: Das hochmoderne Musikdrama von
F Wolf-Ferrari .I^f^f^^ Madonna*
11 UNIVERSITY OF MICHIGAN
238
DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
ist trotz aller Hindernisse endlich doch an der
Grofien Oper zur Auffuhrung gelangt. Schon
im Frubjahr solltc es mit Mary Garden gegeben
werden, aber wenige Tage vor der Generalprobe
meldete sie sich krank, und keine andereSa*ngerin
der Grofien Oper wollte diese Gelegenheit er-
greifen, sich mit Ruhm zu bedecken. Direktor
Messager konnte scbliefilich dem Streik nur da-
durch begegnen, dafi er in Andr6e Vally eine
neue Kraft anwarb, die nicht zu den Berufs-
kreisen gehort und ihre ansehnlichen Snmm-
mittel bis dahin nur im Salon verwertet batte.
Auflerdem mufite der venezianische Kapell-
meister Preite herbeigerufen werden, urn die
Vorstellungen zu leiten, obschon die Grofie Oper
fiber drei st&ndige Dirigenten verfugt. Aucb die
Pariser Kritik hat sich an der Verschworung
beteiligt, indem sie das vom Tondichter selbst
geschaffene Textbuch fur roh und banal erklfirte
und die Musik noch schlimmer wegkommen
liefl. Dennoch liefi schon die Generalprobe den
Eindruck zuruck, dafi der elementare Ausdruck
der Leidenschaft zwischen Text und Musik eine
ungewohnliche Einheit schaffe, die das Publikum
unwillkurlich feQle, und die Verketzerung durch
die Kritik hat auch dem weiteren Erfolg nicht
geschadet. Wenn man bedenkt, dafi Andr6e Vally
in der anspruchsvollen Partie der Maliella zum
erstenmal die Buhne betrat, und zwar die Riesen-
buhne der GroBen Oper, die selbst geubten
Buhnensangem eine unerwartet schwere Aufgabe
stellt, so mufi man zugeben, dafi ihre Leistung
wenigstens in gesanglicher Beziehung mehr als
befriedigend war. Der Tenor Campagnola
und der Bariton Marcoux, dem s pater Sizes
folgte, gaben ihre Partien mit einem Realismus
wieder, der an der Grofien Oper unerhort ist,
aber in diesem Werke ganz am Platze war. Die
„Pagliacci" von Leoncavallo, die noch am ehesten
mit dem neuen Werke verglichen werden konnen,
haben sich in der Grofien Oper nicht heimisch
machen konnen, aber dem „Schmuck der Ma-
donna" wird, wie es bis jetzt scbeint, ein besseres
Schicksal beschieden sein, weil das Orchester
reicher gestaltet ist und besser in den grofien
Raum des Hauses hineinpafit.
Aus einem einaktigen Drama eine vieraktige
Oper zu machen, ware selbst dann ein gefahr-
liches Unternehmen, wenn der Tonsetzer eben-
soviel Genie hat wie der Dichter. Im Falle der
r Drei Masken a von Charles Mer6 und Isidore
de Lara, die nach dem Theater von Marseille
nun auch das neue Pariser Opernhaus Astrucs,
das Theater der elysfiischen Gefilde, mit
ansehnlichem Erfolg zur Auffuhrung gebracht
hat, kann man aber nur von einem gewissen
Talent der Urheber sprechen. Der tragische
Einakter hatte vor funf Jahren dem winzigen
Theater MSvisto einen vorubergehenden Glanz
verliehen, und nicht zu leugnen ist, dafi es ein
ausgezeichneter tragikomischer Einfall M6r6s
war, an einem Faschingsabend die Leiche des
Sohnes als schwer betrunkenen Gast in das Haus
des Vaters fuhren zu )as*en, wo dadurch eine
echt korsische Familienrache befriedigt wird.
Lara hat auch fur diese Schlufiszene, die seinen
vierten Akt allein ausfuHt, eine nicht sehr feine,
aber packende musikaliscbe Behandlung ge-
funden, aber die drei ersten Akte bilden zu
diesem Schlufiakt in dichterischer und noch mehr
C 1
in musikalischer Beziehung nur eine durch un-
notiges Beiwerk in die BreitegezogeneEinleiiung.
Da Lara bestSndig furchtet seine Musik gelre als
allzu konservativ, hat er fur den dritten Akt eine
Karnavalmusik geliefert, bei der man sich gerade-
zu die Ohren zuhalten mufi. Das vulgare L&rm-
werkzeug des Bigophons wird hier zum ersten-
mal in das symphonische Orchester eingefubrt,
um sich an einem burlesken Totenmarsch zu
beteiligen. Als Ganzes ist die neue Partirur
Laras weniger wertvoll als die seiner „Sanga"
und seiner letztjihrigen „Nail", aber er hat jeden-
falls noch nie eine so wirksame Szene gestaltet
wie die, wo die drei maskierten Morder mit der
maskierten Leiche bei ihrem Totfeinde eindringen
und durch derbe Scherze die Entdeckung des
Leichnams verzSgern. Das ganze Werk wird
uberdies durch das Wiegenlied einer alten Amme
durchzogen, das sehr gut wirkt und immer wieder
mit Genugtuung begrufit wird. Frau Marie" de
Lisle sang es mit viel Empfindung, und so war
ihr Erfolg mindestens ebenso grofi als derjenige
von Rose F6art, welche die weibliche Haupt-
partie des verfuhrten Madchens innehatte, dessen
Verfuhrung in der angegebenen grausamen Weise
von seinen drei maskierten Brudern geahndet
wird. Ein bisher unbekannter Orchesterdirigent
Theodor Mathieu zeichnete sich nicht weniger
aus als der Tenor Lapelletrie und der Bariton
Albers. Felix Vogt
DRAG: Von zwei ausgezeichneten Neueinstu-
* dierungen im Neuen deutschen Theater
ist zu berichten. Als Vorfeier zu Verdi's hun-
dertstem Geburtstage wurde wFalstaff" gegeben.
Das entzuckende Werk bleibt aber immer nur
ein Leckerbissen fur Feinschmecker, wogegen
das breite Publikum uber die meisten Schon-
heiten leider hinweghort. Die Auffuhrung war
ausgezeichnet. Hans Pokorny, der uns leider
mit Ablauf der Spielzeit verlafit, hatte in der
Titelrolle einen grofien Erfolg. Aber auch Hed-
wig von Debicka und die junge, ungemein
talentierte Eisner waren ganz hervorragend.
Kostlich war die Neueinstudierung von Mozarts
„Entfuhrung aus dem Serail*. Unter Zem-
lin sky's stilvoller Leitung ubte das Werk eine
ziindende Wirkung aus. Nicola Zee ist ein
Osmin von profunder komischer Wirkung. Die
Damen Debicka und Eisner waren vollwertig.
Der Verdi-Zyklus begann mit einer Auffuh-
rung von „ AVda a , in der die heimischen Krifte,
alien voran die grofizugige Emmy Hoy als
Ai'da, besseres leisteten als die Gfiste, von denen
Mariska A Id rich von der Hammerstein-Oper
in Newyork direkt enttauschte und Augustino
Scam pi ni, als zweiter Caruso vorausgelobt,
uber das Mittelmafi eines guten italienischen
Tenors nicht hinausging. Sonst verdient noch
die stilvolle zyklische Auffuhrung des „Ring"
ruhmend hervorgehoben zu werden.
Dr. Ernst Rychnovsky
CTRASSBURG: Nachdem uns von August an
^ ein Wiener Operettenensemble mit mittel-
mafiigem, teilweise minderwertigem Personal ein
mittelmafiiges, teilweise minderwertiges Reper-
toire vorgesetzt hatte, nahm von Mitte September
die Op^r wiederum ihren Anfang, und zwar mit
der ,Judin*. Weiterhin gelangte neueinstudiert
Mozarts reizende „Entfubrung a zu Gehor,
leider .getrubt durch einen lyrischen Tenor
Original from
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KRITIK (OPER)
239
(Poerner), an dessen Kunst man keinerlei
Freude haben kann; auch die Wiederauf-
nahme von Kienzls gefalligem „Kuhreigen" war
anerkennenswert. Pfitzner zeigte in Direktion
dcs ^Tristan* und des „G16ckchen des Eremiten"
seine gleichmaBige Beherrschung des ernsten
und des heiteren Stils. Sonst fullten noch „Der
liebe Augustin", w Fidelio a , w Lohengrin", die
ziemlicb uberflfissige „Undine* (die erst im Vor-
jahre zur Genuge abgespielt war), noch dazu in
recht unvollkommener Auffuhrung, den Spiel-
plan, dazu als einzige bisherige Novitat die
Nichtigkeit „Hoheit tanzt Walzer 44 ! Hier trat ein
neuengagierterOperettentenor,OttoBeer,auf,der
aber die fur dies Fach erforderliche Eleganz und
Leichtigkeit des Gesangs vermissen laBt. Besser
gefabren sind wir mitdem Engagement des Herrn
Bischoff, an dem wir nun einmal einen wirk-
lichen Heldentenor mit Kraft und Leichtigkeit
der Hone besitzen; sein Eleazar, Florestan,
Tristan usw. waren vortrefFliche Leistungen. Auch
der Ersatz fur die jugendliche dramatische
Sangerin (bisher Dina MahlendorfT), Frau Dit-
Beraneck, berechtigt zu guten Erwartungen,
ebenso wie der Spieltenor Fritz Muller- Raven,
dessen angenehmes Organ nur noch an Starke
zu wunschen fibrig UBt. So bietet die Oper
unter Pfitzners Leitung alle Voraussetzungen fur
eine ersprieBliche kunstlerische Wirksamkeit
unter der Voraussetzung allerdings, dafi es gelingt,
das gar zu spirliche und konventionelle Reper-
toire auf eine hohere Stufe zu heben.
Gustav Altmann
WHEN: Die Direktion Gregor, das unfrucht-
** barste aller bisherigen Opernregimes,
dauert weiter; fahrt fort, an den Pflicbten gegen
die beutige Produktion voruberzugehen, die neuen
Werke von StrauB und Schillings, Pfitzner, Sieg-
fried Wagner als nicht vorhanden zu be-
trachten, Neuszenierungen wertvoller und teurer
Scnopfungen in wenigen Proben herzustellen
und auf Minderwertigkeiten einen FleiB zu ver-
wenden, der den Wichtigkeiten entzogen wird
und das ganze Gleicbgewicht und die Konti-
nuitit der Arbeit st6rt. 1m Verdi-Zyklus
sind alle Vorstellungen, auch die neu heraus-
gebrachte des „Ernani", gerade zur Not zurecht-
geflickt worden, in hastigen Proben mit ein
paar neuen Dekorationen, dort und da der Dar-
stellung ein Licht aufsetzend und im iibrigen
den Siingern und Dirigenten vertrauend, deren
Sicberheit immerhin vor den argsten Unfallen
schutzen mochte. Die Ursache: weil die ganze
verfugbare Probenzeit von Herrn Direktor
Gregor fur seine — an sich ganz vollendete,
mit unsaglicher Muhe durchgebildete, in der
Bildwirkung und in jedem Detail der Darstellung
sebenswerte — lnszenierung von Puccini's
Goldgraberfilm mit Musik „Das Madchen aus
dem goldenen Westen" besetzt war. Das
Werk ist in Berlin bekannt und ist in diesen
Blattern ausfuhrlich behandelt worden. Wes-
halb wenige Worte daruber genugen mogen,
daB hier stofflich ein Tiefstand erreicht worden
ist, den man nicht einmal nach der aus Blut-
dunst und Weibrauch gemischten „Tosca a fur
mdglich gehalten hatte; daft nichts depri-
mierender sein kann, als einen Tondichter von
derartiger melodischer Poten/, raffinierter Deli-
katesse, solchcr Meisterschaft im Jkauen der
f)::j :i/nn :v/ i iDUQ
£ 1
verfiihrerischsten Stimmungstr^nke und in der
fabelhaften Bravour, in einem knappen Rhyth-
mus, einer steil aufschielienden Gesangs-
phrase, einer aparten Klangmischung oder in
jahen Kontrasten briinstigster Erotik und bru-
talster Grausamkeit jede Situation musikalisch
aufs knappste festzulegen und zu konturieren —
daB solch ein Tondichter derart der Reumittel
sadistischer Blutrunstigkeit bedarf, um sich zur
ProduktivitSt zu stimulieren. Der Weg von der
„Tosca tt uber dieses Werk fuhrt geradezu zum
n Schinderhannes tt oder ahnlichen Produkten
vulgarster Panoptikumphantasie . . . Wie stark
sein Talent ist, spurt man in jedem Takt; man
ist angewidert, und er zwingt doch zum Auf-
horchen. Seine Technik ist unfehlbar, ist von
einer sparsamen Treffsicherheit, von der jeder
der heutigen Dramatiker lernen konnte, und ist
so stark, daB sie sogar das Manko der Erfindung
wegt^uscht und daB sich bei diesen musivisch
von zwei zu zwei Takten sich fortsetzenden Ge-
sangslinien doch immer der Eindruck einnistet,
eine breite und eindringliche Kantilene zu horen.
Miniaturarbeit, aber mit einem Temperament
und einer Hitze des Atems, daB man Dra-
matik zu erleben glaubt. Dieser handfeste
Theatermann hat oft Einfille von exotischer
Zartheit und uberraschender plastischer Kraft;
und dieser subtile Erfinder zeigt sich gleich dann
wieder als kluger Routinier, der das rechte Rezept
bar, sinnlich aufzureizen und Nervenschauer
mit angenehmem Gruseln ertragen zu machen.
Leider aber erstreckt sich das RezeptmaBige
auch schon auf die Art seiner Melodik, besonders
aber auf Harmonik und Modulation; man kennt
seine Quarten- und Quintenfolgen, seine Ganz-
tonschritte bis zum OberdruB, dieses ganze Ver-
fahren zur Herstellung banalitatfreier i\lusik.
Aber — er „hat a das Publikum; und der Arger
daruber und uber seine Neigung zu Kolportage-
stoffen w3re nicht so groB, wenn er nicht bei
alledem ein „ganzer Kerl a ware; einer, dem
nicht nur alles Technische gelingt, weil er weiB,
was er will, sondern dem oft mitten in der ver-
dorbensten Routine plotzlich Dinge gelingen,
die ans Geniale streifen; die Stilisierung der
Niggerweisen, die Blutstropfen in der Harfe,
das Verstummen der Musik und das fast uner-
trSglich spannende unartikulierte Vibrieren des
Orchesters in der Spielszene (freilich der Zirkus-
trick, wenn vor dem Salto mortale die Musik
plotzlich schweigt!) — das und vieles andere
ist so genial erfunden und so fabelhaft gekonnt,
daB man es gar nicht verschmerzen kann, diese
Begabung in so unedler Sensation verschwendet
zu sehen. Die Vorstellung des Werks war von
einer fast betrubenden Vollkommenheit. Von
Gregors vorzuglicher, minutios ins Detail gehen-
der und doch den theatralischen Zug des Ganzen
wahrender Regie wurde schon gesprochen. Herr
Reich we in hat das Orchester mit Sicherheit,
Verve und feinster Farbengebung gefiihrt, und
in den Hauptrollen waren Mizzijeritza (als
Minnie von beherzter Anmut und passionierter
Schlagkraft), Alfred Pice aver (als ideal
singender edler Riuber), Rudolf Hofbauer
(als tuckischer Sheriff eine psychologische
Charakterstudie von feinstem Reiz und glaub-
hafter Evidenz des Bosen), neben ihnen in
famosen Episoden d^j^^^lms, Ritt-
L UNIVERSITY OF MICHIGAN
240
DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
mann, Goddard, Breuer, Madin, Preufi
und Leuer so vollendet, dafX sich ein starker
Publikumserfolg einstellte.
In der Volksoper: Puccini aufs Oster-
reichische ubertragen und in verjGngten Pro-
portionen: Franz Neumanns auf deutschen
Buhnen wohlbekannte „Liebelei a nach
Schnitzlers Drama, in einer von Herrn Mar-
kowsky sorgsam inszenierten, von Herrn
Tittel mit Temperament geleiteten Auffuhrung,
in der neben dem allzu mondSnen Frl. Roeder
(Schlagermizi) und den durchaus vortrefflichen
Herren Lufimann (Fritz), Brand (Theodor),
Klein (fremder Herr) und Bandler (Weiring)
die Christine Vika En gels in ihrer ruhrenden,
bangen Hingabe, ihrer wahrhaften Empfindung
und ihrer zarten Leidenschaft in Gesang und
Spiel zu Herzen ging. Die nicht eigenartige,
aber warme, herzliche und dabei vornehme und
gewandte Musik, die sich nur etwas zu schwer
an gewisse alltagliche Dialogwendungen hangt,
ist doppelt sympathisch. Durch ihre Ehrlich-
keit, ihre sehr hubschen und innigen Einfalle.
Und weil sie wider Willen die musikalische
Moglichkeit der modernen Konversationsoper
glatt ad absurdum fuhrt. Richard Specht
YWIESBADEN: Die neue Musiksaison begann
™ mitder Vorfuhrungder StrauGschen w Ariadne
auf Naxos**. Das zuerst auflodernde lnteresse
flaute bald wieder ab: schon bei den Wieder-
holungen fehlte der lebenskrSftige Wiederhall
im Publikum. Uber die stilistischen Mangel
der im ubrigen so kuhn erdachten Partitur ver-
mochte man sich doch nur schwer hinwegzu-
setzen,unddieKomodieinderHofmannsthalschen
Verarbeitung langweilte trotz des sehr flotten
Spiels unserer Darsteller. Vortrefflich fiihrte
sich die neue Primadonna Gabriele E n g 1 e r t h
als Ariadne ein; sie gab seitdem auch als Rezia,
Senta, Aida usw. Proben einer bemerkenswerten
gesangsdramatischen Begabung. — Von unver-
wustlicher Anziehungskraft waren die Opern
von Verdi, die bei Gelegenheit der 100. Ge-
burtsfeier dieses Meisters auf dem Plan er-
schienen: „Traviata", ^Troubadour** (mit Urlus
aus Leipzig als Manrico), „ATda u (mit Slezak
als Rhadames), „Othello u , darin unser Tenorist
Forchhammer (als Othello) von neuem seine
pr&chtige dramatische Gestaltungskunst offen-
barte. Prof. Otto Dorn
KONZERT
BERLIN: Den 1. Symphonieabend derKonig-
lichen Kapelle dirigierte nicht Richard
StrauB, sondern in Vertretung Leo Blech. Das
Programm begann mit der Ouverture „Rosa-
munde** von Schubert, brachte danach Haydns
Symphonie in G (mit dem Paukenschlag), das
Konzert fur Flote und Harfe von Mozart und
schloll mit Beethovens Achter. Das Mozartsche
Werk, in Paris fur den Herzog von Guines und
dessen Tochter von dem jugendlichen Tonsetzer
geschaffen, obwohl ihm weder die Flote noch die
Harfe als Klanginstrumente sympathisch waren,
enthSlt namentlich im Andantino ein Gebilde
von beruckendem Klangreiz; es wurde von
Emil Prill und Josef Ziegenhein mit vollen-
deter SchSnheit der Tongebung gespielt. Leo
Blech zeigte sich auch an diesem Abend als
C 1
tuchtiger Meister des Taktstockes. — Fur das
1. Konzert des Philharmonischen Chores
hatte Siegfried Ochs zwei Neuheiten ausgewShlt:
eine Trauerode fur Chor und Orchester von
Hans Koefiler auf eine Dichtung von Max
Kalbeck und „Das Gluck von Edenhall", die
bekannte Uhlandsche Ballade fur Chor und
Orchester von Engelbert Humperdinck. Die
etwas schwerblutige Musik der Trauerode, in
der das Orchester vor der Menschenstimme und
in ihm das Blech stark bevorzugt ist, schreitet
wuchtig, feierlich ernst wie ein Trauermarsch
an dem Horer voruber. Das instrumentale
Hauptmotiv wird zu bedeutsamer Klangpracbt
gesteigert, doch fuhlt man sich zum ScbluB
mehr niedergedriickt als erhoben, da die flnstere
Grundstimmung sich ohne mildernden Gegen-
satz festsetzt. In Humperdincks Ballade ver-
nehmen wir alle Vorzuge des naiv schaffenden
Tondichters, der im Orchester mit sicher ge-
staltender Hand jede Wendung des Gedichtes
liebevoll ausmalt, wahrend er den Chor das
Wort rezitieren lafit. Die Musik ist durchaus
popular gehalten und bereitet den Ausfuhrenden
ebensowenig wie den Horenden Schwierigkeiten.
Der Schwerpunkt des Programms ruhte auf dem
Kyrie, Sanktus und Agnus Dei von Max Bruch,
einem herrlichen Werk, mit dem sich der Ton-
setzer einen Ehrenplatz neben unseren ersten
Meistern erobert hat. Die melodische Erfindung,
wie der vornehme Aufbau des Satzes, die vollen-
dete Schonheit, die uns aus der sinnvollen Ver-
wertung der angewandten Klangmittel entgegen-
stromt, notigen, wie schon bei fruheren Auf-
fuhrungen, zu ruckhaltloser Bewunderung. Hier
entfaltete denn auch der Verein unter seinem
Dirigenten die voile Kraft seines Konnens; man
merkte alien an der Auffuhrung Beteiligten die
Liebe zu dem Werke an. Bruckners Tedeum,
ebenfalls ein Prachtstuck in dem Repertoire des
Philharmonischen Chores, bildete den SchluQ des
Abends. Lillian Wiesickes schlanker weicher
Sopran neben dem Berliner Vokalquartett
(Eva Lelimann, Marta Stapelfeldt, Richard
Fischer und Eugen Brieger), Bemhard Irr-
gang vor der Orgel, unsere Philharmoniker,
alle setzten mit dem Chor ihre besten KrSfte
voll ein fur das Gelingen des interessanten
Abends. — Maria Philippi sang, von Edwin
Fischer am Bechstein begleitet, aulier Lieder-
gruppen von Brahms und Schumann eine Reihe
neuer Lieder ihres Begleiters, die manchen fein-
sinnigen Zug in der Deutung des Dichterwortes
zeigten. Die SSngerin bewahrte sich wieder als
treffliche Kunstlerin, die mit ihrem warmen
sympathischen Organ, mit ihrem geistig belebten
Vortrag ihre Horer zu fesseln weiB. — Walther
Kirchhoff, der mit Begleitung des von Hugo
R u del dirigierten Philharmonischen Orchesters
einen Wagner-Abend gab, sang vor gefulltem
Hause und versetzte sein Publikum in belles
Entzucken. Was man auch fur gerechten Einwand
gegen das Herausgreifen von Bruchstucken aus
Wagners Werken erheben mag, das voile Haus
jubelte dem Sanger ruckhaltlos zu, der, glanzend
disponiert, alles was er sang, zurGeltung brachte.
Selbst in dem doch ziemlich wuchtig instrumen-
tierten Schmiedelied aus ^Siegfried** klang die
Stimme sieghaft uber das Orchester hinweg, und
man verstand jede Silbe des Dichterwortes. Es
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KRITIK (KONZERT)
241
ist eine wabre Freude, zu erlcben, wie sich dieser
dcutsche Tenor zu immer reiferem Konnen, zu
reicherem Aurbluhen des Organs entfaltet. —
Die Singakademie fuhrte in ihrem 1. Abonne-
mentskonzert Handels ,Judas Maccabaus** auf.
Schade, daB die Titelpartie mil dem Kammer-
sanger Ludwig Hell besetzt war, der weder sein
Organ richtig geschult noch eine Ahnung von
Handels Sti) hat. In den gewaltigen Chorsdtzen
des Werkes erfreute die Sangerschar unter
Georg Scbumanns energiscber Leitung durch
die Ausdrucksfahigkeit, die Kraft und den Glanz
derTonfulle. Die anderen Solopanieen waren im
Sopran durch Anna Kaempfert, im Alt durch
Tilly Koenen, im BaB durch J. von Raatz-
Brockmann angemessen besetzt. In dem hin-
reiCcnd schonen Siegeslied „Seht, er kommt
mit Preis gekront" wirkten Knabenstimmen aus
dem Koniglichen Domchor mit. Die Freiheits-
chore hat die Singakademie, wie das Programm
meldete, zum ersten Male nach den denkwurdigen
Tagen der Leipziger Volkerschlacht gesungen;
die erste vollstandige Auffuhrung des ganzen
Werkes erfolgte dann im AUrz des folgenden
Jahres. — Von den vier angemeldeten Orchester-
konzerten unter Max Fiedlers Leitung fand
das 1. unter Mitwirkung von Hermine
d'Albert statt, die vier Lieder des Dirigenten
mit Orchesterbegleitung sang, groBzugig an-
gelegte, mit weitgespannter Melodic ausgestattete
Gesange,die durch kunstlerischen Vortrag zu voller
Wirkung gebracht wurden. Webers „Oberon a -
Ouverttire leitete das Programm ein, eine Sym-
phonic von Rachmaninoff in e op. 27, ein zwar
interessantes, aber durch die Lfinge doch etwas
ermudendes Werk, und die Orchester-Variationen
fiber ein Haydnsches Thema von Brahms bildeten
den Inhalt des Abends. Der beliebte Dirigent
wurde von den Horern mit Beifall uberschuttet.
— Im 2. N ikisch- K onzert wurden Mendels-
sohns „Hebriden a -Ouverture, Chopin's Klavier-
konzert in e (Ossip Gabrilowitsch), eine
Konzert- Ouverture w Cockaigne tt von Edward
Elgarund Tscbaikowsky's pathetische Symphonie
gespielt. El gar's Musik hebt recht ulkig, wie
echter Karnevalsscherz an, halt aber nicht, was
sie zum Beginne verspricht; sie zerflattert in
Bruchteile, es fehlt die logische Entwickelung
im Aufbau. Der Pianist spielte Chopin's Konzert
mit klarflussiger, sauber ausgefeilter Technik,
es fehlte aber dem Vortrag ein gewisserZauber, der
fur den Tondichter charakteristisch ist; es klang
mehr wie ein Etudenwerk. Den Hohepunkt des
Abends bildete dieTschaikowsky'scheSymphonie,
vom Orchester unter Nikischs Leitung faszi-
nierend, wirklich hinreiBend schon ausgefuhrt.
— Die Gesellschaft der Musikfreunde hat
jetzt die Leitung ihrer Konzerte Ernst Wen del
ubertragen, der an dem ersten Abend Wagners
Ouverture zum „Fliegenden Hollander" und
daraus auch die Ballade der Senta mit Emmy
Destinn als Solistin dirigierte; die Sangerin,
die ohne Lowen den Saal betrat, trug alsdann
noch zwei Lieder von Liszt (den Fischerknaben
und die Loreley) mit weichem, suBem Tone vor.
Liszts' „Faust a -Symphonie mit Johannes Sem-
bach im Tenorsolo und dem Berliner
Lehrergesangverein (Felix Schmidt) im
SchluBchor bildete den SchluB. Der Dirigent
zeigte vollige Herrschaft uber die Musik, die
xiil 4. rv-i *iv,v! -V..-C i()(H)
£ 1
! / L
er auffuhrte, ohne die Partitur aufzuschlagen;
mit eleganter Haltung fuhrt er den Taktstock;
aus dem Mephisto-Satze holte er die Pikan-
terieen der Instrumentierung mit Raffinement
heraus — jedenfalls ist er eine Individualist unter
den jetzt lebenden Orchesterdirigenten. —
Hjalmar von Dameck gab einen Wein-
gartner-Abend; es wurden eine Sonateln D fur
Violine und Klavier op. 42, ein Quintett g op. 50
fur Klavier, Klarinette, Violine, Bratsche und
Violoncell gespielt, auBerdem sang Lucille
Marcell-Weingartner zwei groBere Lieder-
gruppen ihres Mannes. Die Sangerin hat mich
recht enttauscht. Das Organ ist volltonig, klingt
aber im Konzertsaal zu hart, fur den Liedervortrag
zu wenig geschult. Die Atemfiihrung ist ganz
mangelhaft; es kommt der Sangerin gar nicht
darauf an, mitten im Wort zu atmen. Jede
intimere Wirkung ist ausgeschlossen, da man
kein Wort des Gedichtes versteht, die Zunge
drangt sich gar zu zischelnd zwischen die Zahne.
Das Quintett, um dessen Ausfuhrung sich auBer
dem Konzertgeber mit seiner Violine und dem
Komponisten am Klavier die Herren Oskar
Schubert, BennoSchuch und Otto Nieder-
mayr wohlverdient machten, ist ein merk-
wurdiges Stuck; Liszt und Richard StrauB baben
dabei ihren Segen erteilt. Kammermusik ist
das nicht mehr, dazu ist alles viel zu orchestral
gedacht und nun hdcbst interessant ubertragen
auf die genannten Instrumente. Die Harmonik
ganz hypermodern; man fuhlt, daB der Tonsetzer
auch einmal so etwas Richard StrauB riskieren
will. Die Formen der Kammermusik sind voll-
standig gesprengt. Wie der namliche Tonsetzer
die Sonate in D und dies Quintett in g kurz
hintereinander schaffen konnte, scheint recht
sonderbar: in der Sonate geht alles harmonisch
hochst einfach, kaum uber Tonika und Domi-
nante hinaus her, und im Quintett findet sich
das Ohr in der Tonalitat kaum zurecht. Seinen
eigenen Stil, seine eigene Ausdrucksweise bat
Weingartner bisher, obwohl er doch viel kom-
poniert, ebenso wenig gefunden wie d'Albert.
Seine Erfindunggreift fortwfthrend nach fremdem
Gut; auf Tritt und Schritt begegnet man guten
Bekannten. Der Saal war ubrigens nicht voll
besetzt; aber der Komponist, der nebenbei be-
merkt wunderbar schon Klavier spielt, wurde,
namentlich mit der Sangerin, von seinen An-
hSngern mit Beifall uberschuttet, obwohl die
Lieder reichlich banal sind. Das Allerbanalste,
in dem der liebe Schwan aus dem „Lobengrin tt
weit seine Schwingen ausbreitet, muBte natur-
lich wiederholt werden. E. E. Taubert
AuBerordentlich interessant, aber auch
amusant war ein Konzert der SociSte* des
instruments anciens aus Paris; ganz Er-
staunliches leisteten wieder die Herren Maurice
Hewitt (Quinton), Henri Casadesus (Viole
d'amour), Marcel Casadesus (Viole de gambe)
und Maurice Devilliers (Basse), die diesmal
eine neue, und zwar vortreffliche Cembalo-
spielerin in Regina Patorni mitgebracht hatten.
Wenn man nur wiiBte, inwieweit sie die Kom-
positionen von Benincori und Destouches (Fete
galante) bearbeitet haben. Eine Virtuosenleistung
ersten Ranges bot ubrigens der Viola d'amour-
Spieler noch in einer Phantasie von Niccolini. —
wei Meister, Raoul P,aJgno uncLEugene Ysaye,
UNIVERSITY OF MOIGAN
Zwc
242
DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
brachten in dem Riesensaal der Philharmonic
selbst ein so zartes Genilde wie Mozarts D-dur
Sonate fur Klavier und Violine aufs beste zur
Geltung; auBerdem spielten sie C6sar Frances
einzige und Beethovens sogenannte Kreutzer-
sonate, die beide langst eine stehende Nummer
bei solchen Sonatenabendcn geworden sind. —
Artur Schnabel und Karl Flesch hoben
zwischen Schumanns Sonate in d und der
Schubertschen ziemlich selten offentlich ge-
spielten Phantasie op. 160 in meisterlicherWieder-
gabe die Sonate op. 6 in G des jugendlichen
Neutoners E. W. Korngold aus der Taufe. Nach
ihr zu urteilen, ist er kaum der sehnlichst er-
vartete musikalische Messias. Sie hat mancher-
lei Vorzuge, vor allem sucht Korngold darin
melodios zu sein; aber seine Melodik ist oft zu
verschwommen, die Themen treten nicht ge-
nugend prfignant hervor. Die naturlich ganz
moderne Harmonik ist vielfach zu unruhig, zu
bizarr und ausgeklugelt. Als Fehler erscheint
mir, daft diese Sonate zu konzertmiBtg gehalten
ist; das Scherzo ist in der Hauptsache ein
richtiges Virtuosenstuck, bei dem der junge
Komponist offenbar nicht daran gedacht hat, daB
Sonaten vor allem fur die Hausmusik bestimmt
sein sollen. Nicht vorteilhaft fur die Wirkung
isr, daB in den vier Satzen, denen ein gemein-
samer Gedanke zugrunde zu liegen scheint, vor-
wiegend duselbe elegische Stimmung vor-
herrscht; das wird auf die Dauer ziemlich lang-
weilig. Besonders im ersten Satz, der sehr
schone Ein^elheiten enthfilt, vermiflt man gar
zu sehr die Gegensdtze in der Thematik. Das
sehr bizarre, phantastische, ubrigens gar zu sehr
ausgedv hnte Scherzo bringt als zweites Thema
auch wieder einen zu ruhigen Gedanken; dazu
kommt dann auch wieder ein getragenes so-
genanntes Trio. Das Adagio will zuerst gar nicht
recht in FluB kommen; die zarte, duftige Musik
des Mitteltetls aber nahm mich ganz gefangen.
Im Finale steht an zweiter Stelle ein capriccioses,
geistreiches Thema; nicht recht motiviert er-
scheint mir die daran sich schliefiende Fuge.
Der ruhige Ausklang des Satzes wirkt sehr
schon. Alles in allem ist diese Sonate, in deren
erstem Satze einige ganz wuste Stellen vor-
kommen, nicht mehr als eine starke Talent-
probe; mdglich, daft sie bei nSherer Beschaftigung
ntcht bloB interessiert, sondern auch einem lieb
wird, daft die, wenn ich so sagen darf, mollusken-
artigen Gebilde dann festere Formen annehmen.
— Das RosS-Quartett verzichtete diesmal im
Programm auf ein eigentliches Quartett, trat
unter Mitwirkung von Franz Jelinek fur
Bruckners Quintett ein, dessen weihevolles
Adagio besonders gut geriet, und entfesselte mit
dem Brahmsschen Ersten Sextett (zweites Violon-
cell: Eduard Ros6) wahre Jubelstiirme. — Einen
Quintett-Schubert-Abend veranstaltetcf das Boh-
mische Quartett; in dem Forellenquintett
assistierten Karl Friedberg am Klavier und
Herr (joedecke vom Philharmonischen Or-
chester als Kontrabassist vortrefflich; in dem
einzigschonen Streichquintett safl Herr Zelenka
am Pult des zweiten Violoncells. Die ZuhSrer
waren hochbefriedigt. — Nur mit groBter Be-
gcisterung kann ich von dem Petersburger
Streichquartett berichten, das in idealster
Weise furS.Tanejew's Zweites und furGlazounow's
C 1
Funftes Quartett eintrat. AuBerdem holten sich
der zweiteGeiger Naum Kranz und derBratscher
Bakaleinikow noch einen Sondererfolg durch
die virtuose Wiedergabe der bekannten Passa-
caglia von H&ndel-Halvorsen. — Ein erstklassiges
Quartett ist unstreitig auch das Flonzaley-
Quartett. War es ein Scberz, daB es zwischen
Mozart und Haydn Arnold Schonbergs op. 7 zur
Auffuhrung brachte? Ich bin seinerzeit hier
sehr warm fur dessen Streichsextett eingetreten,
muB aber dieses ohne Unterbrechung 49 Minuten
dauernde Quartett als Ganzes rundweg ablehnen,
trotzdem ich einzelne hochpoetische, warm
empfundene Stellen, vor allem das Thema im
6 /i Takt und die ziemlich ausgesponnene E-dur
Episode im "/g Takt, anerkennen muB. Man hat
meist den Eindruck, daB der Komponist nur
versuchen wollte, was an Verworrenheit und an
MiBtonen dem heurlgen Publikum geboten werden
kann. Die Anforderungen, die er infolge seiner
hypermodernen Harmonik und seinerverzwickten
RhythmikandieAusfuhrenden stellt,sind horrend.
Ihnen gait in der Hauptsache der Beifall; docb
ruhten die Schonberg-Anhanger nicht, bis er
selbst trotz starken Zeichen des Mifivergnugens
auf dem Podium sich zeigte. — Wie immer
wunderbar schon spielte das Brusseler Streich-
quartett Haydn, Mozart und Beethoven; dessen
cis-moll kronte den Abend. — Die Kammer-
musikvereinigung der Kdniglichen Ka-
pelle fuhrte Bachs Suite in h, in der Emil Prill
herrlich die FISte blies und Robert Kahn den
Cembalopart auf einem lbachord ausfuhrte,
leider mit Weglassung zweier Sitze auf, ferner
Beethovens reizendes kleines Trio op. 1 1 mit
Klarinette und eine Kassation von Haydn, die
Adalbert Gulzow, der unermudliche Leiter
dieser Vereinigung, ausgegraben hat; dazwischen
sang Claire Dux die sehr modernen, wirkungs-
vollen Lieder op. 20 von Leo Blech und dessen
Kinderlieder op. 21, vom Komponisten vortreff-
lich begleitet. — Mischa El man behauptet sich
nach wie vor unter den ersten Geigern; mit
Begleitung des von Max Fiedler geleiteten
Bluthner-Orchesters brachte er zwischen Lalo's
Spanischer Symphonie und dem Beethovenschen
Konzert ein noch ungedrucktes des Deutsch-
Amerikaners Max Vogrich zur Urauffuhrung,
bei dem seine sieghafte Technik, seine groBe
Leidenschaft und musikalische Gestaltungskraft
dem anwesenden Tonsetzer zu einem starken
Erfolg verhalf. W E pur si mouve" ist dieses
Konzert, das mehr eine symphonische Dichtung
ist, uberschrieben; auch hat jeder Satz ein Dante-
sches Motto. Ein wuchiiger Hauptgedanke hilt
die vier Sitze zusammen. Der erste geht gleich
in ein zartes Adagio uber, fur dessen Instrumen-
tation das „Lohengrin tt - Vorspiel vorbildlich ge-
wesen ist. Auch der dritte Satz ist ein Adagio, und
aucb im vierten ist das zweiteThema sehrgetragen.
Trotzdem ist der Stimmungsgehalt der einzelnen
Satze ausreichend verschieden gestaltet. Die
Melodik ist vornehm und groBzugig, keineswegs
alltSglich. Die Instrumentation ist zwar farben-
reich, tragt aber der Solostimme zu wenig Rech-
nung; darum durfre sich das hocbinteressante
Werk kaum recht einburgern. — Im Koniglichen
Opernhause fand eine Matinee zum Besten
des zu errichtenden Meyerbeer-Denkmals
statt mheinem sehrgescbickt zusammengestellten
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
243
Programm und unter Mitwirkung erster Krafte.
Begonnen wurde mit der unverdientermaBen in
Vergessenheit geratenen Ouverture zum Schau-
spicl „Struensee a unter Leo Blech, deren glanz-
volle Instrumentation und prachtvoller Aufbau
von jedermann anerkannt werden muB. Blech
fubrte uberhaupt mit Schwung, ja Begeisterung
den Taktstock mit Ausnahme des „91. Psalms",
der vom Koniglichen Opernchor unter Hugo
Rudels eindringlicher Leitung klangschon und
fein abgetont gesungen wurde. Stellenweise
macht dieser Psalm doch nicht den Eindruck
tiefempfundener religioser Musik, beweist aber,
daB Meyerbeer aucb den a cappella Satz vortreff-
lich beherrscbte. Vor dem Psalm trug Otto
Sommerstorff einen sicberlich gut gemeinten,
aber Meyerbeer zu sehr verhimmelnden Prolog
von Joseph Lauff vor. Frau Arndt-Ober (Arie
der Fides aus dem zweiten Akt des „Propheten a )
wurde gefeiert, noch mehr Frau Andrejewa-
Skilondz, die an Stelle der erkrankten Frau
Bosetti die schwierige Koloraturarie der Konigin
aus den „Hugenotten" mit verbluffender Technik
vortrug. Im Kostum und mit aufgestellter Deko-
ration sang Francesco d'Andrade hochst leben-
dig die Ballade von „Adamastor, dem Konig der
Wellen" aus der w Afrikanerin"; leider war der
Kunstler stark indisponiert. Viel Anklang fand
der von Balletmeister Graeb arrangierte „Fackel-
tanz", der als effektvolles Musikstuck auch heute
noch von alien MilitSrkapellen gespielt wird.
Zum SchluG wurde der vierte Akt der „Huge-
notten" aufgefuhrt. Als Valentine betrat Emmy
Destinn nach langerer Pause zum ersten Male
wieder die Konigliche Opernbuhne. Hermann
Jadlowker sang den Raoul. Beide Kurstler
waren glinzend disponiert. Von den ubrigen
Mitwirkenden zeichneten sich besonders Herr
Hoffmann (St. Bris) und Herr Bronsgeest
(Nevers) aus. Wilhelm Altmann
Hermann Henze, der sich im vergangenen
Winter als Dirigent vorteilhaft eingefuhrt hatte,
gab ein Konzert mit dem Bluthner-Orchester.
Die symphonische Ouverture „Ekkehard a von
Franz Schreker, die bei dieser Gelegenheit
ihre erste Auffuhrung in Berlin erfuhr, ein
Jugendwerk des in letzter Zeit auf dramatischem
Gebiet bekannt gewordenen Tonsetzers, zeichnet
sich durch Schwung, ubersichtlichen Aufbau
und wirksame Steigerungen aus; die Unperson-
lichkeit der Tonsprache vermag freilich keine
tiefergebenden Eindrucke zu erzielen. Hatte
sich der Dirigent seinerzeit mit Bruckners Ro-
mantischer uberraschend gut abgefunden, so
versagte er diesmal der Brucknerschen Dritten
gegenuber fast vollig. Wie kann man, um nur
eines zu nennen, die Dorpertanzweise des
Scherzos so grundlich miBverstehen und den
waschechten LSndler des Trios in einem der-
artigen Eiltempo berunterspielen, daB der Cha-
rakter dieses ganzen Satzes bis zur Unkennt-
lichkeit verwischt wird! Auch die Wiedergabe
der ubrigen Sitze lieB sehr viel zu wunschen
ubrig; es war ein Mu^izieren, das in seiner
Unbeseeltbeit und oberflScblichen Glfitte direkt
verstimmend wirkte. Viel besser gelang dem
Dirigenten die Begleitung von funf GesSngen
mit Orchester von Reger, Mahler und Hausegger,
denen Frau Cahier's prachtvoller Alt und
hochentwickeltes Vortragstalent zu starker Wir-
f)::j *i/nn :v,- C ilK)0
O
kung verhalf. — Gemeinschaftlich konzertierten
Alphonse Van Neste (Viola da Gamba), Suzanne
Linden (Cembalo) und Arlette Linden (Gesang).
In einer Handelschen Sonate und reizvollen alten
kleinen Stucken fur Gambe und Cembalo zeigten
die Instrumentalisten sicheres Stilgefuhl und
Sinn fur feine klangliche Schattierungen. Die
Opernsfingerin Frl. Linden bot franzosische
Lieder aus dem 18. Jahrhundert, ohne in Stimme
und Vortrag uber die fur solche entzuckenden
Stuckchen erforderliche Leichttgkeit, Frische und
kokette Anmut zu verfugen. — Auch Julius
Neudorffer-Opitz kann seine Herkunft von
der Buhne nicht verleugnen. Am besten gelingt
ihm Lyrik mit dramatischem Einschlag, wahrend
seine Wiedergabe von echten Liedern in punkto
feiner Nuancierung und zarten Ausdrucks nicht
alle Wunsche erfiillt. Im ubrigen ist Neudorffer
ein musikalisch empfindenderintelligenter Kunst-
ler, dessen ausgiebigen, wohlgeschulten Bariton
auch im Konzertsaal zu horen sich lohnt. In
Fritz Fuhrmeister hatte er einen anschmieg-
samen Begleiter. — Das auf Mitwirkung eines
Solisien verzichtende 1. Hausegger-Konzert
nahm einen uberaus anregenden Verlauf. Der
Dirigent hatte ein Programm zusammengestellt,
dessen Ausluhrung seine Eigenart in hellste
Beleucbtung ruckte ( w Freischutz a - Ouverture,
Schuberts Unvollendete, „DonJuan a von StrauB
und Beethovens Funfte). Mag man mit Haus-
eggers Auffassung in manchen Einzelheiten
nicht ubereinstimmen, wie z. B. mit den auf-
failig gedehnten Tempi der Ouverture und vor
allem des Schlusses der Funften, deren uber-
schSumender Jubelhymnus dadurch eher zu
einem Fest gebandigter Kraft wurde, mag sein
geflissentliches Betonen manches Episodischen
zuweilen die Einheitlichkeit der Gesamtwirkung
gefahrden, — man hat bei Hausegger doch immer
das bestimmte Gefuhl, daB solche Eigenwilligkeit
nicht der Sucht nach Nuancen, dem Bemuhen,
es um jeden Preis anders machen zu wollen
als andere, entspringt, sondern tief in seiner
Natur begrundet ist. Trat in seiner Nachschaffung
Beethovens Hauseggers scharfer Kunstverstand
zuweilen etwas in den Vordergrund und hatte
man seinem Schubert etwas mehr Herzlichkeit
gewunscht, so offenbarte sich seine innerste
Wesensart auch diesmal wieder, wie schon so
oft, am deutlichsten bei einem Glanzstuck des-
kriptiver Musik: die wahrhaft funkenspruhende
Vorfubrung des „Don Juan" war schlecbthin
meisterhaft. Im ubrigen ist es erfreulich, daB diese
Konzerte allem Anschein nach jetzt doch mehr
Anteilnahme von seiten des Publikums flnden
als in fruheren Jahren. — Am 2. Abend der
Berliner Vereinigung fur moderne Kam-
mermusik (Marix Loevensohn und Genossen)
gab es zwei Urauffuhrungen Das funfsdtzige
Streichquartett op. 14 von Egon Welles z ist die
beachtenswerte Schopfung eines zweifellos be-
gabten Tonsetzers, in dessen Brust zurzeit noch
zwei miteinander im Widersireit liegende Seelen
wohnen: eine gemaBigt-moderne und eine aus-
gesprochen futuristische. Geht es im ersten
und im SchluBsatz harmonisch und melodisch
zuweilen etwas bunt zu, so rufen so manche
anderen Stelien, besonders im dritten (Tempo di
Musette) und im vierten (Andante poco soste-
ruto) Satz, die berechugte Hoff.nung wach, dieser
Cfriqmal frcflja,
1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
244
DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
den Horer annoch etwas benebelnde musi-
kalische FederweifJe werde sich dereinst doch
noch klaren. Das wahre Gesicht des Tonsetzers
scheint mir nicht aus den wild-genialiscb sicb
gebardenden Partieen hervorzulugen, sondern
aus den andern. Die Cellosonate (Manuskript)
op. 5 von Max Trapp verzichtet ganzlich auf
alle himmelsturmerischen Alluren; sie bietet
ansprecbende Gedanken in klarer Fassung,
fesselt durch solide Arbeit und wurde durch
Zuruckdammung einer gewissen Redseligkeit
(im Adagio-Intermezzo) an Wirkung entschieden
gewinnen. Kate Neugebauer-Ravoth sang,
von den Komponisten begleitet, eine Reibe
Lieder von Fritz Kauffmann und Julius Weis-
mann, unter denen die Weismannschen an Er-
findung und Gestaltung sich als die bei weitem
bedeutenderen erwiesen. Willy Renz
Julius von Raatz-Brockmann (Lieder-
und Balladenabend) erfreute wieder seine zahl-
reichen Zuhorer durch seine prachtige Stimme
und den intelligenten Vortrag, obwohl der
Kunstler anfangs durch eine kleine Indisposition
an der Entfaltung seiner vollen Krafte gehindert
wurde; bei den Liedern von Straufi war jedoch
von einer Behinderung nichts mehr zu ver-
spuren, da sie geradezu meisterhaft klangen.
Eine neue Ballade „Rahab, die Jerichonitin"
von Viktor von Woikowsky-Biedau konnte es
nicht einmal zu einem Achtungserfolg bringen;
die Komposition ist eine Mischung aller Kunst-
gattungen und ohne jede Originalitat. — Ziemlich
trostlos sah es in dem 9. Einfuhrungskonzert
der diplomierten Mitglieder des Verbandes
der konzertierenden Kunstler Deutsch-
lands aus, das vor fast leeren Banken stattfand.
Ellen Neumann (Mezzosopran) und Hugo
Tbienhaus (Bariton) sind mit ihrer musi-
kalischen Ausbildung noch lange nicht so we it,
um sich in Berlin in einem offentlichen Konzert
horen lassen zu dfirfen. — Alice Peroux-
Williams ist eine SSngerin, der man gem
begegnet; ibre wohlgebildete Stimme und ihr
Vortrag erheben sich weit fiber das Durch-
schnittsniveau unserer Gesangskunstlerinnen.
Bei den deutschen Liedern storte etwas die
auslandische Aussprache, aber man mufite sich
doch fiber den Wohlklang der Stimme freuen.
— Hermann Weissenborn ist ein Sanger, der
scbon jabrelang regelmaBig Liederabende ver-
anstaltet, ohne sich weiter zu vervollkommnen;
er gab wie immer eine gute Durchschnitts-
leistung. Einige Lieder von Fr. E. Koch, die
er zum ersten Male sang, fanden beim Publikum
grolien Beifall; es sind nette Sachelchen, die in
Dilettantenkreisen mehr Liebhaber finden durften
als bei Musikern. Max Vogel
Waclaw Piotrowski ist ein sehr mafJiger
Geiger, der weder mit neueren noch mit aiteren
Werken Gluck hat. Immerhin war es von
Interesse, eine Sonate von Benda zu horen.
— Ein neuer Saal, „Meistersaal a benannt,
ist mit einem hubschen, anspruchslosen Pro-
gramm eroffnet worden. Auf die Ausstattung
des Saales ist viel Muhe verwandt worden,
doch hitte man bedenken sollen, daft von
dunklen Bronze- und Holztonen sehr schwer
eine anregende Stimmung zu erwarten ist.
Die Akustik erwies sich sowohl bei der Kammer-
musik — die Professoren Mayer-Mahr,
O
Bernbard Dessau und Heinrich Grfinfeld
spielten frisch und bieder das Trio B-dur von
Schubert — , wie bei den Gesangsvortragen als
zureicbend. Diese bot Lula Mysz-Gmeiner
in etwas mehr zwingender als bezwingender
Art, und Leo Gollanin, der trotz seiner
ErkSltung sehr angenehm wirkte. Ein Mifi-
griff waren die beiden von Matthias von Erd-
berg gesprochenen und von Felix Dyck be-
gleiteten bos-sentimentalen „Gedicbte in Prosa a
von Turgenjew mit entsprechender Musik von
Arensky. — 3. Esplanade-Musikabend.
Anmutender wirkt schon der andere neue, in
dieser Saison eroffnete Musikraum: heller
Marmor und auch sonst viel WeiB, sowie das
pulsierende Rot der Vorhange ergeben einen
schonen Akkord und stimmen vortrefflich zur
eleganten IntimitSt des ganzen auQeren Arran-
gements. Ob dieses auch in der Wabl der
Krgfte glficklich ist, ist eine andere Frage.
Vom genannten Abend kann man das nicht
behaupten. Pugno amfisierte und erfreute
durch sein feines, gut vorbereitetes Spiel, die
temperamentvolle und echt franzosiscbe
Kfinstlerin Aino AcktS enttluschte durch
ihre forcierte Manier, und van Rooy war zu
groBzugig-derb fur die tiefen Stficke, die er
vortrug. Ober den jugendlichen Geiger Charles
Sommer, der mitwirkte und der wabrschein-
lich eingeffihrt werden sollte, laftt sich vor-
lauBg nur sagen, dafi er ein kaltes, nicht eben
bedeutendes Talent ist. — John Powell ist
ein sehr begabter Pianist, der sich zwar fiber-
schatzt — sonst konnte er sich nicht mit der
ungemein anspruchsvollen Sonate f-moll von
Brahms hervorwagen — und der noch zuviel
durch mechanische Bewegung aus dem In-
strument und zu wenig aus seiner Seele schopft,
der aber, wenn er viel, viel fibt, von sich reden
machen durfte. — Elena Gerhard t sang mit
sfiQester Stimme und vorbildlicher Technik
einige Manuskriptlieder vom fruhverstorbenen
Erich J. Wolff. In „Verspatung tt flel das
geistvolle Zwischenspiel, welches das traurige
Warten des Kindes malt, angenehm auf, „Die
widerspenstige Braut" war mehr konventionell
w reizend**, in w Es ist ein Schnitter" ist zu
wenig Eigenes geboten, und „Erhebung tt wirkt
banal; tiefste, schonste Empfindung hingegen
klingt aus dem Lied „Der Trauernde". — Else
Schmidt-Held singt mit massigtr, nicht ge-
nfigend geschulter Stimme, und auch in ihrem
Vortrag ist mehr Natur als notig ist. Die
neuen Lieder von Karl Hallwachs sind
mittelmaBige Kompositionen zu mittelmaBigen,
ja nichtigen Worten. Man kann die Musiker
nicht genug vor solchen ausgelebten Texten
warnen; da nehme sich jeder die beiden letzten
bedeutenden Tonsetzer zum Muster: Brahms
und Hugo Wolf. — Heinrich von Opienski
ist ein tfichtiger, warmblfitiger Musiker, der
mit Orchester, Gesangstimme und Klavier
sicher umzugehen versteht, dem aber eins,
allerdings das Wichtigste, fehlt: der heutige
Seelenrhythmus. Seine Trauer und seine
Freude sind nur als Tatsachen, als Namen die
unseren, aber wir erleben sie vollig anders:
wir sind weit davon entfernt, die Tragik w einer
koniglichen Liebe** so zu empfinden wie der
Komponist, oder xlen „kalt und kuhl funkelnden
unqinal from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
245
Sternen" nacbzuklagen. Fur Opienski's Kunst
setzten sich die KammersSngcrin Felicia Ka-
schowska und der Pianist Ignaz Tiegermann
mit Liebe ein. — Die Cellistin Beatrice
Harrison hat in kurzer Zeit so auBerordent-
liche Fortschritte gemacht, daB man sie zu
den wenigen nennenswerten Kunstlerinnen ihres
Faches zahlen kann, und wenn man mit ihrer
jungen, kraftigen, durch und durch musikalischen
Auffassung vorlieb nimmt, muB man sie neben
ihre bestbekannten Kollegen stellen. Sie spielte
drei Konzerte: Haydns „modernes a , freund-
liches in D-dur, pVAlbert's — der Komponist
dirigierte — leidenscbaftliches in C-dur und
Saint-Saens' in a-moll, eines seiner besten und
gebaltvollsten Werke uberhaupt. — Alexander
Heinemann bekampfte eine sichtliche Indis-
position und sang mit alter Kunst und altem
Beifall neben anderen einige neue Lieder von
Christian Sinding, Viktor von Woikowsky-
Biedau und Richard Stohr. Die weitaus be-
mcrkenswertesten unter diesen sind die von
Stohr: durchweg effektvolle Stucke im besten
Sinne. Besonders zu empfehlen sind: „Der
Morgen" und „Die Werkeluhr".
Arno Nadel
Melanie und Hans Michaelis, die auf
zwei Geigen konzertierten, liefien ein gut ab-
getontes Zusammenspiel horen, wShrend das
Technische bei beiden noch der Abrundung be-
darf. Sie hoben ein wirkungsvolles Divertimento
fur zwei Geigen und Klavier (Alexander Neu-
mann) von Heinrich G. Noren aus der Taufe
und verhalfen ihm zu einem guten Erfolge. —
Auch bei llja Schkolnik (Violine) kann man
sich mit dem Musikalischen wohl einverstanden
erkiaren, wahrend der Ton oft noch zu robust
und nicht ganz schlackenfrei klingt. Der Be-
gleiter am Klavier Natanael Broman brachte,
ohne besonders aufzufallen, einige Solostucke
korrekt zu Gehor. — Marta Haller hatte sich
ihr Programm sehr klug zusammengestellt.
Ihrem hohen, lichten Sopran liegen alle zarten
musikalischen Gebilde ausgezeichnet. Auch die
Technik und der Vortrag stehen auf nicht ge-
wohnlicherStufe. — Der Pianist Birger Hammer
weiB stets zu interessieren, wenn man auch mit
seiner Auffassung nicht immer einverstanden
sein kann. Seine reife Technik, sein Tempera-
ment und sein Feingefuhl bringen meist pr3ch-
tige Leistungen zustande. — Das 8. E i n f u h r u n g s-
konzert des Verbandes ko nzertierender
Kunstler Deutschlands stand wieder nur
auf einem Durchschnittsniveau. Martha Freye
hat singen gelernt, bleibt aber der Poesie ihrer
Vortrige alles schuldig. Eva Rottscher steckt
mit ihrem Koloratursopran ganz im Dilettantismus.
Helene Crancy - Moller (Rezitation) zeigte
hubsches Vortragstalent mit Ieider auch nicht
freiem Tone. Das Beste war die Klavierbegleitung
von Willy Crancy. — In dem Abschiedskonzert
von Margarete Arndt-Ober mit dem Bluthner-
Orchester feierten die herrlichen Stimmittel der
Sangerin wahre Triumpbe, wahrend die Behand-
lung der Stimme noch manches zu wunschen
ubrig laBt. Hohe Stellen klingen oft gepreBt
und die tiefen Tone zu robust. — Aus dem Spiel
von Ella Jonas-Stockhausen (Klavier) spricht
viel Personliches. Alles ist wohldurchdacht, und
sie zeichnet, mit vielleicht etwa&r starker Be-l
f)::j ;i/cC! :)vl lOUQl
tonung des Virtuosen, immer in groBen Linien.
— Die Stimme der Mezzosopranistin Paula
Werner-Jensen klingt am besten in der
Mittellage, die unfreie Hohe und Tiefe fallen
dagegen etwas ab. In der poetischen Aus-r
schopfung ihrer VortrSge steht sie aber auf
hoher Stufe. — Piet Deutscb ist bemerkens-
wert durch die Art, wie er seinen nicht groBen
Bariton beherrscht und durch die Intelligenz
seiner VortrSge. Mehreren Liedern seines Be-
gleiters Fritz Crome verhalf er zu gutem Er-
folge. Ich nenne als die besten: „Ich bitte euch*
und das kuhne: „Und wenn ich die Welt an die
Kehle fasse." — Gerta Doepner (Gesang) und
Use Doepner (Cello) sind junge Anftngerinnen,
die aber eine Zukunft haben dank ihres Talentes
und ihrer guten Schule. Wenn auch noch nichts
Personliches aus ihren Gaben spricht, so merkt
man doch aus alien echtes Musikertum. Sie
hatten einen trefflichen Begleiter: Romuald
Wikarski. — Uber die Sopranistin Kate
Schmidt ist nicht viel zu sagen, denn man
hStte dann, abgesehen von einigen gut sitzenden
hohen Tonen, nur zu tadeln. — Hans Klein-
holz verfugt uber eine hubsche Stimme, die er
nur noch etwas gar zu vorsichtig behandelt.
Gerade dadurch gelingt manches nicht so, wie
es ihm wohl vorschwebt. — Sympathisch wirkt
der weiche Bariton von Karl Kienlechner.
Mancher Ton rutscht ihm freilich noch in den
Hals. In seinen Vortragen war mir vieles zu
weichlich und nicht mannlich genug. Marix
Loevensohn steuerte in seiner bekannten
meisterhaften Art Cellovortrage bei. — Die
Sangerin ErnaGerstmann besitztansprechendes
Material, das sie auch im piano gut zu ver-
wenden weiB. Mit der Atemtechnik steht sie
oft noch auf gespanntem FuBe. — Anna Erler-
Schnaudt (Alt) und Max KrauB (Bariton)
hatten sich zu einem Lieder- und Duetten-Abend
zusammengetan. Die Sangerin weiB ihre urn-
fangreiche und ausgiebige Stimme gut zu be-
herrschen. Im Uberschwang des Gefuhles tut
sie nur manchmal etwas zu viel des Guten, so
daB sich dann ein zu haufiges Portamento be-
merkbar macht. Ihr Partner hat glanzendes
Material, das er auf dem besten Wege ist, ganz
in seine Gewalt zu bekommen. Emil Thilo
In recht ungunstiger Disposition sang Mar-
garet* Prochnewski-Petzhold Lieder aiterer
wie neuerer Meister und lieB deshalb die Frage
unentschieden, ob ihr Organ schon dauernd oder
nur zeitweise an Wohlklang beeintrSchtigt sei.
James Simon, der auch Chopin's Ballade op. 52
spendete, begleitete sie wundervoll. — Marguerite
Berson hatte sich nicht mit Brahms' Violin-
konzert einfuhren sollen, fur das ihre Technik
kaum, ihrgeistiges Erfassen aber keineswegs aus-
reichte. Etwas besser gelang ihr Lalos Sym-
phonic espagnole, den zweiten Satz bewaitigte
sie mit ihrer kraftvoll energischen Bogenfuhrung
ganz passabel; schliefllich war aber doch alles
noch zu wenig ausgereift, um einen Platz in
einem Berliner Konzertsaal zu verdienen. —
Isa Berger Rilba hat an der Entwickelung
ihrer hohen Sopranstimme mit Erfolg gearbeitet.
Dem Klange nach ist jetzt ihr hohes Kopf-
register, das muhelos bis ins f 8 reicht, von
seltener Schonheit und Klarheit; technisch,
das beiBt was Kehlte'^jg^^H'Kiffll nat sie zwar
V UNIVERSITY OF MICHIGAN
246
DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
manches erreicht, aber doch noch nicht genug,
urn eine so anspruchsvolle Arie wie die der
Konstanze aus Mozarts w Entfuhrung a ohne
Bedenken auf das Program m eines Berliner
Konzertes setzen zu durfen; vornehmlich bedarf
ihr Triller, der noch immer ungewandt und
unklar klingt, wesentlicher Vervollkommnung.
Eine Reihe neuer Lieder von Georg Schumann,
unter denen das „Trutzliedchen u wohl das
inhaltlich wertvollste ist, gaben ihr Gelegenheit,
Vortrag und Auffassungsgabe zu bekunden. —
Recht gunstige Eindrucke hinterlieB der Lieder-
abend von Dora Wittekindt, zumal es sich
hier urn ein erstes Auftreten handelte. Die
Stimme der Dame, ein voluminoser Alt, klingt
am schonsten im piano; leider verwendet es
die SSngerin nach Art aller Kunstnovizen nur
recht s pari ich und bringt sich dadurch selbst
um manche schone Wirkung. Im forte klingt
das Organ meist scharf, eine Folge zu gewalt-
samer, fur den Konzertgesang nicht geeigneter
Tongebung. Auch dem Atem fehlt noch die
ruhige Geschmeidigkeit; die Vokalisation ist
in Ordnung bis auf ein paar spitze, unscbonei;
im Vortrag und in der musikalischen Auf-
fassung dagegen bekundete sie Geschmack und
Talent. Eduard Behm begleitete mit wunder-
voller Feinfuhligkeit. — Ernst Alfred Ayes
Organ, ein scbmacbtiger Bariton, ist im Klange
reizlos, aber bis auf einige recht flache hohe
T6ne Ieidlich geschult. Im Vortrag zeigten sich
Unmanieren und in der Auffassung Gescbmack-
losigkeiten, wie ein oft ganz unmotiviertes Zer-
reiflen des Tempos. — In Reinhold Koenen-
kamp Iernte ich einen intelligenten, musikalisch
vornehm erzogenen Sanger kennen, dessen
Stimme, ein nicht unsympathischer Tenor, was
Vokalisation und Tragfahigkeit des Tons betrifft,
erfreulichen Ernst der Studien erkennen laBt.
Wurde es ihm gelingen, eine im mezza voce
viel hluflger als beim forte auftretende Unfrei-
heit der Tonbildung zu besiegen, so wurde sein
Organ unzweifelhaft durchweg das gewinnen,
was ihm jetzt zu seinem Schaden fehlt, namlich
metallischen Glanz. Seinem vortrefflichen Be-
gleiter, Prof. M. Stange, ersang er mit drei
geschickt und wirkungsvoll konzipierten Liedern
einen schonen Erfolg und durfte sogar selbst als
Komponist eines Liedes den Dank des Publikums
entgegennehmen. — Keinen guten Abend hatte
Tilly Koenen mit ihrem Schubert-Wolf-Abend.
Die Stimme der Kunstlerin in ihrer glanzvollen
Pracht und Uppigkeit ist auf dramatische Wir-
kung zugeschnitten. Wo die Eigenart der von
ihr gewfihlten Lieder dies zulieB, loste sie ihre
Aufgabe mit gewohnter Verve. Nicht so gluck-
lich war sie dagegen beim Vortrag rein lyrischer
Stucke, wie Schuberts „Ave Maria a oder „An
die Musik a . Das sind Lieder, die man von
viel unbedeutenderen Sangerinnen schon viel
besser gehort hat. Ein als Zugabe gespendetes,
selten gesungenes Lied von Schubert, „Der Hirt
auf dem Felsen 4 *, zeigte ihr Organ in dem Riesen-
umfang von zwei Oktaven und einem ganzen
Ton. — In angenehme Erinnerung brachte sich
der als trefflicher Techniker und tuchtiger
Musiker bestens bekannte Geiger Theodore
Spiering mit einem popuISren Violin-Abend,
in dem er auBer Mozarts Es-dur Konzert eine
selten gehorte C-dur Pbaatasie op. 131 von Schu-
mann in dankenswerter Weise zu Gehor brachte.
Chausson's poeme op. 25 ist eine konventionelle,
nicht sonderlich geistvolle Arbeit. Vieuxtemps'
a-moll Konzert machte den Beschlufi. Dr. Rudolf
Siegel dirigierte. — Einen sehr schonen Erfolg
ersang sich auf dem fur sie noch ungewohnten,
heiBen Boden des Konzertpodiums die Konig-
liche Sfingerin Margarete Parbs. Sie hat von
der Buhne her erfreulicherweise fast nur Gutes
in ihre Konzerttatigkeit mit binubergenommen,
das beiflt nur das, was auch dem Konzertgesang
zurZier gereicht, vor allem ihre hohe Intelligenz
und Lebendigkeit des Vortrags, der immer, selbst
in den larmoyanten GesSngen eines J. P. A. Schulz,
Reichardt oder Himmel eigenartig und cbarakter-
voll blieb. Ihre Stimme, ein ausgiebiger Mezzo-
sopran, ist besonders in der Lage um f* herum
von uppigem Wohllaut und frischem Reiz; so-
bald es der Kunstlerin gelingt, ihre Atemkultur
nach den Anforderungen des Konzertgesangs zu
verfeinern, hat sie die Anwartschaft, eine unserer
interessantesten Konzertsangerinnen zu werden.
— Keinen guten Verlauf nahm der Vortrags-
abend des Prof. Feuchtinger, der in der
Theorie fur eine Kultur des Zungenbein-
muskels als des allein seligmachenden Faktors
der GesangspSdagogik eintrat und sich hieruber
in nicht sehr flieBender, aber doch nicht un-
interessanter Weise auslieB. Hfitte er es damit
bewenden lassen, so waren wenigstens die Ehren
des Abends gerettet geblieben. Um aber seine
Theorie in die Praxis zu ubersetzen, muBte er
uns nun auch noch einige seiner Schuler vor-
fuhren, und da zeigte es sich freilicfa, daB
gerade das Gegenteil von dem erreicht war, was
er vorber behauptet hatte, nfimlich bei alien
dreien ein verbluffend gleicher false her Sitz
der Tone „uber den Bruch hinaus" (um seinen
Ausdruck beizubehalten). Der Abend erhielt da-
durch einen unfreiwillig heiteren Abschlufi,dessen
Kosten die drei armen Dressierten zu tragen
hatten. — Einen glSnzenden Erfolg erspielte sich
derjungeamerikanischeGeigerFrankGittelson.
Bachs E-dur Konzert habe ich kaum je zuvor
so stilvoll, innig und doch mit so schlichter
GrSBe vortragen horen. Wie ein groBer, seelen-
voller Gesang quoll das herrliche Adagio aus
seinen Fingern hervor, dem auch Edmund von
StrauB mit dem Bluthner-Orchester in hervor-
ragendem MaBe gerecht wurde. In Kauns inter-
essantem Phantasiestuck zeigte er seine Technik
ebenso entwickelt wie sein musikalisches Ver-
stSndnis und bestatigte diese Eindrucke durch
den hochachtbaren Vortrag von Brahms' Violin-
konzert. Emil Liepe
Max Schroth sang Lieder und Balladen.
ff Sang a ? Es war kein Vergnugen, zu horen, wie
eine so ungelenke Stimme forciert wurde, um
aus ihr mehr berausbolen zu wollen, als beim
besten Willen im Bereiche der Moglichkeiten lag.
Stimmliche Kultur fehlt ihm fast ginzlicb. Mag
sein, daB durch Krankheit usw. der sinnliche
Reiz seiner Stimme verloren ging; dann wurde
er aber besser daran tun, nicht zu konzertieren,
resp. zu warten. Mein Unbehagen wurde noch
dadurch gesteigert, daB der Begleiter, Clemens
Schmalstich, seine Aufgabe sehr leger aufzu-
fassen schien. Wozu dieses PrSludieren vor
jeder Programm-Nummer? Von der „pianisti-
schen**^^^^^^^^ 1 icn 8 anz schweigen. —
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
247
Von Gwendolyn und Arthur Williams horte
icb eine neue Sonate in a fur Klavier und Vio-
loncello von Karl Klingler. Ich kann mich
kurz fassen: Klingler hat sich da ins Lager der
Modernen begeben, was er lieber nicht tun sollte.
Es liegt ihm nicht so, wie der klassische Stil
jener Kammermusik, deren vorzuglicher Ver-
mittler er uns schon so oft gewesen. Anlage
der Tbematik, Figuration usw., besonders die
spieltechnischen Varianten des Streichinstru-
mentes verweisen auf klassische kompositions-
tecbniscbe Deutung des Sujets. AuBerdem
spielten die beiden Regers F-dur Sonate op. 78
und Beethovens Sonate in D op. 102/2, technisch
und musikalisch fast einwandfrei. Der Cellist
durfte mehr noch aus seiner Reserve beraus-
gehen, die Pianistin dagegen das Pedal mit
groBerer Sorgfalt benutzen. — Hertha Dehm-
lows Stimme ist im letzten Jahre ganz bedeu-
tend veredelt worden. Aucb jetzt noch mitunter
zu dunkel gefirbt, bescbrinkt sich dieser bis-
herige Hauptfehler ihrer Stimme nur mehr auf
einzelne Vokale. Unmdglich doch statt w bald"
bold, statt „Grab a Grob, statt w Leid a Loid zu
singen. Im Franzosischen war's noch Srger,
begunstigt durcb die notwendige nasale Grund-
firbung der Sprache. Die Gruppe von Claude
Debussy (u. a. „Mandoline") wirkte daher am
wenigsten kunstlerisch vollendet. Rein gesangs*
technisch ist an Frl. Dehmlows Stimme kaum
noch etwas auszusetzen. — Arthur E g i d i ab-
solviene sein 3. Konzert (Bach -Abend) unter
Mitwirkung von Gustav Werner vom Deutschen
Opernbause. Da bat ibm aber der Zufall einen
bosen Streich gespielt, denn Werner ist ein vdllig
unbraucbbarer Tenor. Diese Erkenntnis, die
Egidi ein wenig zu spit gekommen sein mag,
wirkte offenbar auf den Konzertgeber ein. Der
Bach klang zu monoton. Die Tbematik und
Phrasierung waren zu wenig plastiscb beraus-
gearbeiiet. Jedenfalls bat Egidy das Verdienst,
in seinen drei Konzerten ein interessantes neues
Orgelwerk in hochst eindrucksvoller Weise vor-
gefuhrt zu baben. — Der jugendliche Eddy
Brown erbracbte von neuem den Beweis, dafi
er ein sehr beffihigter Geiger ist. Vorlauflg legt
er jedoch nocb zu groBen Nachdruck auf tech-
niscbe Spezialitfiten. Seine Bogenfuhrung ist
fast vollendet zu nennen. In manueller Hinsicbt
durfte er sich noch groBerer Korrektheit be-
fleilligen, besonders in Doppelgriffen bei schwie-
rigem Lagenwechsel. — In der Philharmonie
das 1. „Elite-Konzert". Mitwirkende: Claire
Dux, Edith von Voigtlaender, Hermann Jad-
lowker und Emil Sauer. Otto Bake begleitete.
Das gewohnte Bild im Saal: GroBe Fiiile, im
Parkett eine Modenscbau, eine Unzabl unmusi-
kalischerMenschen, die sich denAnschein geben,
Kunstverstandnis zu besitzen. In Anbetracht
dessen das beruhmte „hochkunstlerische Pro-
gram m a . Man weiB nie, gibt dieses oder das
Auditorium AnlaB zur„Elite*-Signierung. Hoffent-
licb machen die Kunstler bei dieser Gelegenheit
ein Gescbaft. — Anna von Gabain zShlt zu den
ernst zu nehmenden unter den klavierspielenden
Damen. Ihr technisches Vermogen hfilt ihrem
kunstlerischen die Wage. Es ist eine Freude,
sie zu horen. Diesmal absolvierte sie ein fiuBerst
anspruchsvolles Programm mit Werken von
Reger, Draeseke, d'Albert und
Albert und Brahms. Die
C 1
Konzertgeberin bewies wiederum in schlagender
Weise, dafl es fur die Ausfuhrung eines schwie-
rigen Werkes nicht notwendig ist, dafi man
„auswendig* spiele. Sie spielte alles nach Noten.
Man sollte zu dieser Art des offentlichen Musi-
zierens allgemein zuruckgreifen. Ich bin fest
davon uberzeugt, daft dann das letzte Stundcben
der Tasten-Akrobaten geschlagen hatte. — Fanny
Federbof-Mollers Stimme fehlt so ziemlich
alles, was zur „Ausbildung* gehort. Die Qualitat
ihres Organs ist teilweise nicht ubel, anderer-
seits aber, besonders in der Hone, recht zweifel-
haft. Der Vortrag 13Bt sehr viel zu wunschen
ubrig. Infolgedessen konnten einige erstmalig
gesungene Lieder von Sigfrid Karg-Elert
wenig auf Erfolg rechnen. Es waren dies „Rosen-
lieder" (drei Impressionen) und w Drei Nixen-
lieder**, sSmtlicbe mit unglaublich l&ppischen
Texten. Auch die musikalische Faktur dieser
neuen Lieder ist verschwommen. Mit oder ohne
Absicht, jedenfalls wirken sie nur als momentane
Einfalle, nicht aber als streng zu bewertende
organische Gefuge. — Ary van Leeuwen, der
bekannte Soloflotist der K. K. Hofoper in Wien,
kehrte wieder bei uns ein. Er spielte im
Verein mit Paula Weinbaum (Alt), Theodor
H.John (Viola) und Paul Schramm (Cem-
balo) ausschlieBlich Werke von Job. Seb. und
K. Ph. E. Bach. Seine bewundernswerte Vir-
tuositat, gepaart mit feinstem musikalischen
Empfinden und Stilgefuhl, garantiert fur die
seltensten Genusse. Ob es allerdings wunscbens-
wert ist, unser Klavier bei Bach durcb
das historiscbe Cembalo zu ersetzen, mocbte
ich nach diesem Abend fast verneinen.
Das Volumen des Instruments ist fur grdBere
RSume und besonders bei Kammermusik zu
durftig. U. a. wurde auch ein neues Instrument
von A. van Leeuwen vorgefuhrt, und zwar ein
Albisipbon. Es ist eine BaBflote neuer
Konstruktion, gebaut nach Angabe von Abelardo
Albisi, Solofldtist der Mailander Scala. A. van
Leeuwen spielte das merkwurdige Instrument
als Erster zum ersten Male in Deutschland.
VorlSufig scbeint mir die Sache noch ein wenig
problematisch zu sein, tonlich sowobl als auch
nach der asthetischen Seite bin. Man muB ab-
warten, ob diese Flotenkategorie in mehr ver-
vollkommneter Art Eingang findet in unser
Symphonie-Orcbester. Wunschenswert ware es
jedenfalls. — Im Bluthner-Saal borte ich, be-
gleitet vom Hausorchester, unter der straffen,
sacbkundigen Leitung Wassili Safonoff's eine
junge, sehr talentierte Geigerin zum ersten Male:
Isolde Menges. Zwar noch keine vollendete
Kunstlerin, aber eine, die es werden wird. Ihren
Namen wird man sich merken miissen. Tech-
nisch und aucb tonqualitativ muB die junge Dame
sich noch gehorig vervollkommnen In musi-
kalischer Hinsicht ist sie von verbluffender Fruh-
reife. AuBer den Konzerten von Brahms und
Tschaikowsky spielte sie noch einige kleinere
Kompositionen von Chopin-Auer, Fr. Kreisler
und Brahms-Joachim, die ihr fast besser gelangen
als die groBen Konzcrte.
Carl Robert Blum
Das Klavierspiel der Schwestern Rose und
Ottilie Sutro liiBt eine gute Zusammenarbeit
und musikalisches Verstandnis erkennen. Die
Urauffuhrung zweiej r fUefn^nf|^(j^jke im Fugen-
UNIVERSITY OF MICHIGAN
248
DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
stil op. 19 von Pierre Maurice war eine wohl-
gelungene. Dieser Komposition kann man nur
kurze Lebensdauerprophezeien. — Bruno H inze-
Reinhold, derernst denkende und nur nach der
Seite des Ausdrucks strebende Pianist, gab unter
Mitwirkung von Anna Hinze-Reinhold ein
Konzert, das ihm und seiner Partnerin einen
unbedingten Erfolg sicherte. Besonders hervor-
zuheben ist die Wiedergabe der MSrkischen
Suite op. 92 fur zwei Klaviere von Hugo Kaun,
die sicher durchgereift erklang. Dem Werke
kann man weiteste Verbreitung wunschen. —
Eine groBzugige Spielerin ist Erika Woskow.
Die Variationen und Fuge fiber ein Thema von
Bach von Max Reger bewaltigte sie mit be-
wunderungswerter Sicherheit nach musikalischer
wie rein technischer Seite. Etwas mehr Ober-
armtatigkeit sowie weicheres Einschmiegen in
die Tastatur ware von Nutzen zur Bildung eines
volleren und weiter tragenden Tones — Das
neugebildete Marteau-Quartett brachte an
seinem zweiten Abend Werke von Brahms,
Jaques - Dalcroze und Schumann. Gegenuber
dem ersten Abend hat sich das Zusammenspiel
besser gestaltet. Dem Cellisten ware ein
festerer und sichererer Ton besonders in der
Kantilene zu wunschen. Ein Mehrherausgeben
und etwas mehr Leben sollte kultiviert werden,
damit nicht allzusehr Vornehmheit und Reserve
dem inneren Werte der Werke Abbruch tun. —
Edouard Risler war trefflich disponiert. Er
hatte einen groBen Abend. Werden auch ein-
zelne Teile sehr dozierend wiedergegeben, so
ist der groBe Zug niemals zu verleugnen. Tech-
nik tritt zurvick, und nur der gewollte Ausdruck
des Kunstwerkes tritt in den Vordergrund. Eine
aufrichtige und ehrliche Arbeit. Op. 57 von
Beethoven war eine grofie Tat. — Mira Pollheim
ist eine tuchtige Pianistin Die Technik ist weit
vorgeschritten und ihr musikalisches Kdnnen ist
fein durchgebildet. Zur Vervollkommnung ihrer
Technik mochte ich empfehlen, Accorde und
Oktaven nicht herauszuhauen, sondern mehr
mittels Gleitung aufzusetzen. Richard Bur-
meister leitete das Orchester, vielmehr seine
Schulerin um die Klippen von Liszts Concert
path6tique und Konzert Es-Dur. — Ernst von
Len gy el verspricht ein groBer Pianist zu werden.
Steht sein Hauptkonnen einstweilen noch zu
sehr im Sinne der Technik, so wird mit den
Jahren der geistige Gehalt mehr in das Vorder-
treffen gefunrt werden. Die Anlagen sind in
bester Weise vorhanden. Hanns Reiss
Frederic Lamond, der Beethoven-Spezialist,
errang mit den Diabelli-Variationen nur einen
Achtungserfolg, wahrend er nach dem Vortrage
des Turkischen Marsches sturmisch gefeiert
wurde. Zu Unrecht! Den belanglosen Marsch
spielen Hunderte weit besser als er, wahrend
ihm den Aufbau der Variationen so leicht keiner
nachmachen wird. An Einzelheiten merkte man
leider wieder, daB Lamond kein groBer Techniker
ist, und daB sich seine TemperamentsauBerungen
schon deshalb stets in bescheidenen Grenzen
halten. Seine Beethoven-Interpretationen sind \
fast immer allzu sachlich, allzu durchdacht; sie
verdienen objektiv gewiB allerhand Anerkennung;
aber sie begeistern nicht, weil es ihnen an Ge-
fuhlswarme fehlt. Lamond gestaltet seinen Beet-
hoven oft vortrefflich, aber er erlebt ihn nicht;
C 1
da rum ist sein Spiel immer nur Reproduktion,
niemals Neuschopfung. — Auch das Klingler-
Quartett 13Bt sich zuweilen in seinem Streben
nach Joachimscher Klassizitat zu kuhler Sach-
Iichkeit verleiten. Es vermeidet allzu absichtlich
jedes Pathos, jede starkere Temperaments£uBe-
rung. Immerhin sind seine Vortrage stets eine
wahre Erquickung fur diejenigen, die auf reine
Intonation und klare Gestaltung das Hauptgewicbt
legen. Die Wiedergabe eines Mozartschen Quar-
tetes war von feinstem Stilempflnden getragen.
Dagegen wurde Haydns Kaiserquartett unbegreif-
licherweise wie ein hubscbes Spielzeug behandelt.
Am meisten litt hierunter der letzte Satz, bei
dem man den Ubergang von c^moll nach C-dur
nur als eine spielerische Nuance empfand. —
Im Gegensatz zu Lamond ist Wilhelm Backhaus
ein Musiker, der sich zuweilen weniger durch
sein Gestaltungsvermogen als durch seine Finger
inspirieren laBt. Nach seinem Beethovenabend
gab er ein Konzert mit Cbopin'schen Werken.
Verbluffend war wiederum die Leichtigkeit, mit
der er alle technischen Schwierigkeiten uberwand.
DaB er diesmal Selbstbeherrschung genug besaG,
um alle virtuosen Regungen zu unterdrucken,
muB freudig anerkannt werden. Nicht einen
Fingerakrobaten, sondern einen feinsinnigen Mu-
siker am Klavier horte man. Ober Verschieden-
heiten der Auffassung soil nicht gestritten werden.
Man darf jederzeit von der w feststehenden** Tradi-
tion abweichen, wenn die Abweichung nicht will-
kurlich erscheint, sondern uberzeugend wirkt. —
DaB es keine feststehenden Normen gibt, bewies
auch Ludwig Wullners erster Liederabend.
Lessing stellte einst die Frage, ob Raffael nicht
einer der groBten Maler gewesen ware, selbst
wenn er keine Hande gehabt hatte. Wullner
ist sicherlich einer unserer hervorragendsten
Liederinterpreten, trotzdem er rein stimmlich
mit keinem anderen beruhmten Sanger kon-
kurrieren kann. DaB er Schuberts „Winterreise*
vortrug, war in jedem Fall ein Fehler. Es gibt
ja so unendlich viele Lieder, bei denen das
Deklamatorische die Hauptsache ist. Wullner
sollte die Grenzen seines Spezialgebietes nicht
uberschreiten. Als Schubertsanger ist er meines
Erachtens trotz der Innerlichkeit seines Vortrages
unmoglich; vor allem deshalb, weil die Gefuhls-
wertesehrvielwenigerindenWiihelmMullerscben
Versen, als in den Schubertschen Melodieen
liegen, die man singen muB, aber nicht dekla-
mieren, flustern und hinausschreien darf. —
Im Gegensatz zu Wullner zahlt Ludwig HeB zu
den Stimmgewaltigen. Diesmal war er anfangs
recht matt. Es scheint uberhaupt, daB er stets
ein Dutzend Lieder gesungen haben muB, bevor
er sich im Vollbesitz seiner Stimmittel befindet.
Zwei Lieder von Wolf und zwei von Liszt wuBte
er (mit sehr geschickter Verwendung der Kopf-
stimme) so tief innerlich zu interpretieren und
so klangschon vorzutragen, wie man sie selten
gehort hat. Leider dampften am Schlusse zwei
uble Schmarren von Eugen Haile die Begeisterung
recht erheblich. Es gibt in der Tat kaum etwas
Geschmackloseres als „Es regnet* von Haile.
Derlei nach Liedern von Wolf und Liszt vor-
zutragen, ist unverzeihlich. In Amerika kann
man so etwas vielleicht machen, in Deutschland
nicht. Das mdge der Konzertgeber berucksich-
tigen, .wenn er. von seiner Amerikafahrt heim-
6 ' Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRIT1K (KONZERT)
249
gekehrt ist. — Einen ungetrfibten Genufi bereitete
den Horern ein Konzert von Joseph Lhe*vinne.
Der bekannte Kunstler bewies von neuem seine
glanzende pianistische Begabung. Schlechthin
vollendet war sein Zusammenspiel mit seiner
Gatrin in Mozarts Es-dur Konzert fur zwei
Klaviere und Orchester. Eine grofiere Pra*zision
im Mechanischen und eine reinere Harmonie
im Geistigen ist zwischen zwei Klavierspielern
kaum denkbar. Es empfiehlt sich fibrigens, dem
Beispiel des Kfinstlerpaares zu folgen und die
beiden Flugel in entgegengesetzter Richtung
neben einander zu stellen. Man soil dem andern
Spieler in die Augen sehen konnen und nicht
nach den Fingern schielen. Der bebabige Dirigent
(w\ v. Safonoff) dirigierte ohne Taktstock und
versenkte zumeist den Daumen der Linken in
die Westentasche; aber es ging auch so. —
Minder Erfreuliches ist fiber einen Novitaten-
abend Henri Marteau's zu berichten. Ein sym-
phonischer Prolog zu Kleists „Prinz von Homburg"
von Wiilibald Kaehler erwies sich als eine zu
dick instrumentierte, sonst aber ganz passable
Kapellmeisterarbeit; eine symphonische Dichtung
„Das Leben ein Traum" fur Violine und Orchester
von Otto Neitzel aber wurde zu scharfster Ab-
lehnung herausfordern, wenn man nicht dem
geschatzten Verfasser seiner anderweitigen Ver-
dienste halber Rucksicht schuldig ware. Der
einzige Gewinn des Abends war ein zwar uber-
langes, aber klangschones und vortrefflich
gearbeitetes „Passacaglia-Konzert tt von Hans
KoeBIer, das vom Konzertgeber ganz wunder-
voll gespielt wurde. Komponist und Interpret
fanden reichen und wohlverdienten Beifall. —
Das erste diesjahrige Loevensohn- Konzert
brachte ein neues Streichquartett (op. 16) von
Paul Scheinpflug, dessen erster Satz anlafilich
des Danziger Tonkunstlerfestes 1 ) seine Urauf-
fiihrung erlebte. Das Werk fesselt von der ersten
bis zur letzten Note und bietet im Detail mancherlei
Reizvolles. Aber es ist allzu formlos und strebt
wie so viele moderne Quartette nach orchestralen
Wirkungen. Die Wiedergabe durch das Loeven-
sohn-Quartett war sehr fein abgetont und ver-
dient auch wegen ihrer temperamentvollen Ge-
staltung uneingeschranktes Lob. Als Mitwirkende
sang Frieda Langendorff (anstelle von FrSulein
Oblhoff) Lieder von Marx und Wolf, ohne den
Erfolg zu erzielen, d n sie als Buhnens§ngerin
zu finden pflegt. Den Schlufi des Programms
bildete „auf vielseitiges Verlangen" eine Wieder-
holung von Joseph Jongens zweidimensionalem
Klavier-Quartett op. 33. (Es ist sehr lang und
sehr breit, aber leider gar nicht tief.)
Richard H. Stein
Gunna Breuning, Paulus Bache und Max
Trapp haben sich zu einer Triovereinigung zu-
sammengetan, und was sie an ihrem ersten
Abend boten, versprach viel fur die Zukunft.
Der erste Satz des Brahmsschen c-moll Trio
op. 101 wurde voll Schwung und Feuer gespielt,
wenn auch ein wenig derb angefafit; eine prach-
tige Letstung war die Wiedergabe des zweiten
Satzes mit seinen gebeimnisvoll flusternden Stim-
mungen; beim dritten Satz mufl man sich be-
kanntlich huten, sufilich zu werden; dieser Ge-
J ) Vgl. die Analyse des Komponisten in der
,Musik a , XI, 16, S. 229 f.
yr. ., p£ra
C 1
fahr sind die Konzertgeber nicht immer ent-
gangen. Sehr dankenswert war es, einmal wieder
Beethovens Kakaduvariationen hervorzuholen;
sie wurden famos zusammengespielt, und es
fehlte auch nicht am notigen Humor; wie er-
gotzlich ist es doch, wenn der Scbalk im Moll-
sStzchen sein Schelmengesicht hervorsteckt; so-
gar eine Spieluhr imitiert er, bis er das Thema
im Kontrapunkt zu Tode hetzt — um zum Schlufi
wieder eine scheinheilige Miene aufzustecken!
— Auch das Hefi-Quartett hat sich neugebildet.
Der treffliche Fuhrer hat die Herren Albert
Stoessel, Richard Heber und Max Baldner
um sich versammelt, und wenn auch die Horer-
gemeinde ein wenig zusammengeschmolzen ist,
so sind doch sicher nicht die besten ausgeblieben.
Das Zusammenspiel liefi wohl hier und da noch
einen Wunsch offen, aber ein ernster kunstle-
rischer Geist waltete sowobl fiber Brahms (op.
51, 2) wie fiber C6sar Franck, obwohl ich die
Wahl des Franck'schen D-dur Quartetts gerade
fur dieses 1. Konzert nicht fur glucklich hielt.
Alle Satze leiden an einer fast hypertrophischen
Lange und sind mehr ergrubelt als erdichtet.
Nur der zweite Satz mit seiner dammernden
Grazie macht eine Ausnahme. Er wurde ubrigens
famos gespielt; das huschte wie auf silbrigen
Elfenffifien dahin. — Willy Hefi begegnete ich
am nachsten Tag wieder als Solist im Konzert
des Berliner Liederkranz. Seine kristall-
klaren, technisch aufs feinste ausgemeifielten
und elegant gespielten Vortrage losten rauschen-
den Beifall aus. Der Liederkranz hatte ein Pro-
gramm aufgestellt, das eigentlich dem Geiste
des Mannergesanges insofern zuwiderlief, als der
Keim und Hauptbestandteil jedes Chorgesanges,
das leichte Volkslied, ganz unberucksichtigt ge-
blieben war; es ist aber bisweilen eine grofiere
Kunst, kleine Volkslieder vollendet wiederzu-
geben, als sich mit Kunstarbeiten schwersten
Kalibers abzuqualen. Davon abgesehen zeigte
der Verein sich auf einer stattlichen Hohe kunst-
lerischer Leistungsfahigkeit; nur bei Cornelius'
„Alter Soldat" geriet er ernstlich ins Schwanken.
Karl Kampfs w Die Stadt u stand zum erstenmal
auf dem Programm; es ist eine ernste gediegene
Arbeit, mit feinster Stimmungsmalerei durch-
setzt, wirkungsvoll im Aufbau, aber auch enorm
schwer. Vielleicht hdtten sich noch mehr Kon-
traste herausholen, uberhaupt die ganze Wieder-
gabe durchsichtiger gestalten lassen. — Die ge-
schatzte Geigerin Edith von Voigtlaender hatte
sich mit Arthur van Eweyk zu einem Konzert
vereinigt. Das respektable Konnen der ersteren,
ihre edle Tongebung und ihre gute Musikernatur
machten ihre VortrSge recht erquicklich. Sie
spielte unter anderem das Phantasiestuck op. 66
von Kaun, das sich nicht anspruchsvoll gibt,
sondern Musik um der Musik willen ist; einmal
fangen allerdings die Walkuren darin an zu
jauchzen, und gegen den Schlufi tritt das tech-
nische Moment stark in den Vordergrund. Eine
ganz wundervolle Schopfung aber ist desselben
Komponisten Abendlied mit obi. Violine. Eweyk
sang es; er war leider nicht gut disponiert;
die Hohe machte ihm Schwierigkeiten. Trotz-
dem konnte man sich seiner gediegenen Kfinstler-
schaft erfreuen. Nur mochte ich sowohl ihm
wie der Konzertgeberin einen Schufi mehr Tem-
rament wfinschen. I«teressanfe waren die vier
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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DIE MUSIK XIII. 4: 2 NOVEMBERHEFT 1913
Lieder des (im fibrigen doch wohl immer noch
zu hoch eingeschMtzten) Joseph Marx: das sehr
melodische „Wie reizend bist du a , das zarter
Stimmungen voile „Abends tt , das w Standchen tt ,
das einfache melodische Linien mit kunstvolier
Begleitung umgfirtet und mit pikanter Rhythmik
wfirzt und nur in der zweiten Strophe aus der
Rolle fSllt, und endlich das gesuchte und ge-
scbraubte „WofQr a . Max Laurischkus be-
gleitete sehr fein; er war der Geigerin auch in
Brahms' sonniger „Meistersinger a -Sonate (op. 100)
ein trefflicher Gefabrte. — Lolo Barnay sieht
sehr sfifi aus und singt stellenweis sehr sfifi.
Das ist bei deutschen Volksliedern nicht immer
angebracht: w In einem kfihlen Grunde" z. B.
behandelte sie geradezu als „Schmacbtlappen M
(sit venia verbo!). Fur lustige Volkslieder aber
fehlt ibr Humor uni Temperament. Auflerdem
mufi sie an ibrer Hohe arbeiten, die im forte
hart und schrill klingt. — Hedwig Dam man
konnte ihre an sich scbonen Stimmittel nicht
zur Geltung bringen, da sie unglaublich befangen
war. Ich will ibr wfinschen, dafi die Zeit dieses
Lampenfieber kuriert. Die VortrSge der Mit-
wirkenden, Else Direnberger (Violine) und
Edmund Goldfisch (Klavier), bewegten sich auf
dem Niveau einer tficbtigen, wenn auch nicht
uberragenden Kunstlerschaft. — Vivian Gosnell
steckt noch stark im AnfSngertum. Sein klang-
voller Bariton wird einstweilen noch nicht nach
Gebfihr ausgenutzt; alles ist auf mezza voce ge-
stimmt, wahrend die Stimme im forte noch sehr
hart und rauh klingt. Die kleinen italienischen
Sachen sang, bzw. sSuselte er nicht fibel, aber
dem Schubertschen .Prometheus" fehlte alle
kfinstlerische Kultur, und der falsche Einsatz
in der „Lotosblume a hdtte unbedingt nicht vor-
kommen dfirfen. — Messchaert! Ein herr-
licher Liederabend. Der Sanger war vorzuglich
„in Form", und alle Vortrage gewihrten ausnahms-
los reinsten Genufi. Wie achtunggebietend ist
doch beispielsweise seine Technik, fiber den
schwindenden Glanz seiner Hohe durch aus-
giebige Verwendung der Kopfresonanz hinweg-
zutauschen. Wie stilecht und stilrein die Auf-
fassung, ob er Schubert, Brahms oder Wolf singt.
Wie golden sein Humor, wenn er die kSstlichen
Pointen in Wolfs „Musikant a oder der „Storchen-
botschaft" herausholt. Ware es nicht fiberhaupt
einmal eine lohnende Aufgabe fur einen wirklich
guten Sanger, einen ganzen Abend lang den
Humoren bei Wolf, Haydn, Mozart, Weber, Loewe,
Schubert usw. nachzuspuren? Einstweilen fiber-
lafit man den Humor noch immer den Volkslied-
,und Lautensangern. So haben sich neuerdings
Elsa Laura von Wolzogen und Carl Clewing
zu gemeinsamem Wirken zusammengetan. Frau
von Wolzogens nette Vortragsweise ist ja be-
kannt. Clewing ist ihr an stimmlichem Fond
bedeutend fiber; auch als Vortragskfinstler ge-
hort er zu den besten — aber das Lautenspiel!
Dadurch, dafi er die Saiten statt von der Scite
von oben anreiftt, schlagen sie wieder auf das
Holz zurfick und geben einen unangenehm
klirrenden Klang, bei dem natfirlich auch Reso-
nanz und Tragfabigkeit vollkommen verloren
geht. Auflerdem war das Instrument den ganzen
Abend total verstimmt. Das Hildebrandtslied
ist ubrigens nicht das alteste Volkslied, sondern
die alteste erhaltene Heldensage, die sich in
C 1
ppateren Jahrhunderten zu vielen Volksliedern
kristallisierte. Aber Clewings charmante Vor-
tragskunst hilft selbst fiber solche literarische
Entgleisungen weg. Max Burkhardt
BKESLAU: Der Orchesterverein hat seine
Tatigkeit wieder in vollem Umfange aufge-
nommen. Das 1. Abonnementskonzert brachte
die Symphonie No. 4 B-dur von Beethoven und
die Brahms-Variationen fiber den Choral St
Antoni, beide in tadelloser Ausffihrung unter
Leitung Dohrns. Aaltje Noordewier-Red-
dingius erbracbte namentlich in der Bacbscben
Kantate „Jauchzet Gott in alien Landen" einen
gelungenen Beweis ibrer hochentwickelten Ge-
sangskunst Da zu dem 2. Abonnements-
konzert ein Solist nach dem andern absagte,
blieb nichts fibrig, als dem Konzert einen
rein orcbestralen Cbarakter zu geben. Dohrn
beschrankte sich auf zwei Symphonieen : Brahms*
Dritte und die Siebente von Bruckner. Das
Experiment, ein solistenloses Konzert zu ver-
anstalten, gelang fiber Erwarten gut. Wenn auch
die Generalprobe betrichtlicbe Lficken im Zu-
hdrerraumc aufwies, so war doch die Aufffihrung
gut besucht, und dank der vorzfiglichen Wieder-
gabe beider Werke hat sich das Publikum bei
Brahms und Bruckner sehr wohl befunden. —
Aucb die Kammermusik-Abende mit Dohrn,
Wittenberg, Behr, Hermann und Melzer
haben wieder eingesetzt. Der erste Abend
brachte in vortrefflicher Ausffihrung je ein
Streichquartett von Mozart und Beethoven und
als Neuheit ein interessantes Konzert fur Klavier
und Violine mit Streichquartett- Begleitung in
D-dur von Ernest Cbausson. — Hermann Behr,
der Dirigent der volkstfimlichen Mittwoch-
Konzerte wartete in seinem 1. Konzert mit
der c-moll Symphonie von Brahms auf, deren
Gebalt mit grofierEnergie herausgearbeitet wurde.
In demselben Konzert spielte Nora Duesberg,
eine ganz ausgezeicbnete Wiener Geigerin, das
Violinkonzert von Tschaikowsky. — Julia Culp
gab einen von etwa 2000 Personen besuchten
Liederabend. — Recht interessant gestaltete sich
ein Konzert des Breslauer Vokal-Quar-
tetts von Martha Aumann-Lindner, Helene
Borck, Maxjanssen und Otto Gaertner.
Dieses Quartett hat sich zur Aufgabe gestellt,
vokale Kammermusik zu pflegen und den groften
Scbatz zu heben, den wir in den alten Madri-
galen besitzen. Gleich das 1. Konzert gelang
fiber alle Erwartung. Man horte Vokalsatze von
Pitoni, Bennett, Praetorius, Leo HaQler und
Friederici in einer aufs feinste abgewogenen Aus-
ffihrung. — Das grolle Konzert, mit dem unsere
Jahrhundertausstellung geschlossen wurde, fand
wieder in der Jahrhunderthalle vor 5000 Zu-
horern statt. Leider war diesmal der Klang-
korper nicht auf die numerische Hohe gebracht
worden, die die groBe Halle nun einmal braucht.
Die Neunte Symphonie von Beethoven und die
Alt-Rhapsodie von Brahms klangen zu sehr en
miniature, so dafi tiefere Wirkungen nicht erzielt
wurden. Josef Schink
pvRESDEN: Das 1. Symphoniekonzert
^ der Serie B brachte als Neuheit eine Sym-
phonie h-moll von Kurt Striegler, die bier
ihre Uraufffihrung erlebte. Der Komponist
ist an derselben Stelle bereits einmal mit einer
Symphonie a- moll zu Worte gekommen und hat
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KRITIK (KONZERT)
251
mit ihr damals Hoffnungen erweckt. Sein neues
Werk erfullt diese nur insofern, als es den
Tonsetzer jetzt im Vollbesitze der technischen
Fertigkeit zeigt. Er instrumentiert gut, weili
wuchtige Steigerungcn herbeizufuhren und mit
sein em thematischen Material gescbickt zu ar-
beiten. Aber rein musikalisch steht die neue
Symphonie hinter der alteren nach meiner Mei-
nung zuruck. Sie ist in der Erfindung weniger
originell, zeigt mehr die glatte Mundart des
Eklektikers als die tiefe Sprache des eigenen
Empflndens; es ist sehr anstandige Kapell-
meistermusik,die auf die Dauer nicht zu unseren
Herzen spricht, obgleich es ihr an schdnen Ein-
zelbeiten gewift nicbt mangelt. Die Neuheit,
deren vier S3tze obne Pausen ineinander uber-
geben, fand in Ernst v. Scbucb den liebevoll-
sten Interpreten und brachte dem Verfasser leb-
baften Beifall und mehrere Hervorrufe ein.
Solist des Abends war Wilhelm Backbaus,
der das bier noch unbekannte Klavierkonzert
Es-dur von Otto Neitzel spielte und diesem
geistsprubenden, klangfeinen und in der Zu-
sammenwirkung von Klavier und Orchester oft
uberraschenden Werke zu einem unbestrittenen
Siege verbalf. — Ira 1. Pbilbarmonischen
Konzert erwies sich Bronislaw Huberman
mit dem Vortrag des Beethovenkonzerts als
einer der allerersten Geigenkunstler, der seine
fabelhafte und unfehlbare Tecbnik durchaus in
den Dienst einer gereiften, beseelten Empfindung
stellt. Elena Gerhardt vermocbte mit einigen
Gesangen mit Orchester nicht recht zu erwar-
men, fand aber fur ihre Lieder am Klavier, die
KarlPretzsch meisterhaft begleitete,sturmische
Anerkennung. — In Alice P6roux-WiIliams
lernte man eine Gesangskunstlerin von hervor-
ragenden Eigenschaften kennen, Helga Petri s
Liederabend verstarkte die Wertschatzung ihres
liebenswurdigen, durch hingebenden Fleifi ge-
stfitzten Talentes, und Max Pauers grofie, viel-
seitige Kunstlerschaft machte seinen Klavier-
abend zum genuftreicben Erlebnis. Josef Pern-
baur (Leipzig) stellte sich mit Rudolf BSrticb
und Arthur Stenz erstmalig als Mitglied des
Dresdener Trios vor, das an ihm einen Kla-
vierkunstler von feinstem Ensemblespiel ge-
wonnen hat. F. A. Gei filer
pvOsSELDORF: Der stadtische Musik-
*^ verein unter Karl Panzners vielgeprie-
sener Leitung brachte im 1. Abonnementskonzert
Schuberts grolie C-dur Symphonie in idealer
Wiedergabe, sowie eine delikat gespielte kleine
Nachtmusik fur Streichorchester von Mozart.
Als Solist beteiligte sich Bronislaw Huberman,
der Goldmarks Violinkonzert op. 28 hier zum
ersten Male, und zwar als eleganter Techniker
mit sensiblem Ton und Vortrag erfolgreichst
vorfuhrte. Die groften Orchesterkonzerte
unter Panzner bieten auch in diesem Jahre
wieder hervorragend wertvolle Programme, die
verraten, daft dem Dirigenten dabei keinerlei
Konzessionen an den Geschmack des Publikums
und sonstiger Berater zugemutet werden. Das
1. Konzert bescherte Haydns D-dur Symphonie
(No. 14), hier eine Neuheit, Schuberts Rosa-
mundenmusik und Beetbovens D-dur No. 2 in
wunderbar abgeklSrter, tonlich entzuckender und
stilstrenger Ausdeutung und trug dem gefeierten
Dirigenten grofle Ovationen ein. Das Z. Konzert
f)::j :i/nn :v/ C jOOO
C 1
eroffnete August Scharrer als Gastdirigent mit
seiner d-moll Symphonie „Per aspera ad astra"
op. 23, die sich als interessante und wertvolle
Schdpfung auswies und in guter Wiedergabe viel
Beifall fand. Dann vermittelte uns Frau Chop-
Groenevelt die Bekanntschaft mit dem
jedenfalls klangschdnen und sehr geschmackvoll
komponierten Klavierkonzert op. 50 von Hugo
Kaun, das sie mit klarster Technik und viel
musikalischer Intelligenz wirksam zum Vortrag
brachte. Auch die temperamentvolle, glanzend
instrumentierte Kameval-Ouverture von W.
Braunfels errang, von Panzner geradezu hin-
reiliend interpretiert, einen vollen Erfolg. Von
privaten Konzerten verdient der Kammermusik-
Abend des Dusseldorfer Streichquartetts,
der in der reizvollen Wiedergabe des Forellen-
quintetts (Schwarzam Klavier) gipfelte, erwShnt
zu werden. A. Eccarius-Sieber
CLBERFELD: Die Elberfelder Konzert-
" Gesellschaft veranstaltet auch in diesem
Winter sechs Konzerte in der Stadthalle und vier
Solisten-Konzerte im Kasino. Das 1. Konzert
brachte Haydns ewig junge Jahreszeiten", in
denen Mientje La u p r e c h t - van Lam men
als herzige Hanne glanzte. Auch das stadtische
Orchester stand unter Hans Haym auf gewohnter
Hone. Von Rudolf Moest haben wir schon
starkere Eindriicke mitgenommen, als diesmal
von seinem Simon. Paul Schmedes wirkte
als Lukas mehr durch seine hocbstehende Vor-
tragskunst, als durch sein nicht mehr einwand-
freies Material. Die Chore zeichneten sich durch
Klangschonheit und Frische aus.
F. Schemensky
CRANKFURT a. M.: Mit einer wurdigen Auf-
* fuhrung von Beethovens GroBer Messe er-
offnete der Ruhlsche Gesangverein den
Reigen der grolien Chorkonzerte. Man mufi
dem energischen und ungewohnlich begabten
Dirigenten Karl Schuricht nachruhmen, daft
er mit einer Intensitfit sondergleichen auf ein
intellektuelles Eindringen in den geistigen Gehalt
bei seinem Chor hingearbeitet hat. Das Werk
ist dem Chor sozusagen ins Fleisch gewachsen,
daher denn auch die auCergewohnlich tiefe
Wirkung dfeser Auffuhrung. Solistisch standen
die Damen Anna Kaempfert (Sopran) und
Maria Philippi (Alt) vollig auf der Hohe ihrer
Aufgabe, bei den Herren Dr. M. Romer (Tenor)
und Carl Braun (BaO) storte oft die unfeine
Tongebung. L»as Violinsolo spielte Hans Lange
mit ganz uberirdisch scbonem, ausdrucksvollem
Ton. — Ausder ReihebelangloserkleinerKonzerte
ist ein Abend der Gesellschaft fur Ssthetische
Kultur besonders zu erwahnen: hier spielten
Ludwig Rottenberg und Bernhard Sekles vier-
hfindig Stiicke von Mozart, Brahms und Schubert
mit solch prachtvoller musikalischer Anmut und
poetischer Musikalitat, daft das Publikum fast
das Atmen vergaft. Hedwig Schacko zeigte in
einem Liederabend ihrem alten Stammpublikum,
daft ihre liebenswurdige Liederkunst noch besteht.
Karl Werner
HAMBURG: Alle Konzertinstitute, die das
musikalische Leben Hamburgs mit reichlicher
Nahrung speisen — gegen 600 Konzerte sollen
bereits fest angemeldet sein — haben ihren vollen
Winterbetrieb aufgenommen. Die Berliner
fc
hilharmoniker unter Arthur Nikisch, die
nginal Trom
TJr
UNIVERSITY OF MICHIGAN
252
DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913
Hamburger Philharmonie unter Siegmund
von Hausegger, die Philharmonischen
Konzerte unter Eibenschutz, die zahllosen
Volks- und popularen Konzerte, sie alle haben
ihre ersten Schlachten bereits geschlagen.
Nikisch, dessen ungeheure Beliebtheit in einem
fast auf den letzten Platz ausabonnierten Konzert-
saal Ausdruck findet, wiederholte hier die
Orchesterwerke seines ersten Berliner Konzertes:
die tragische Symphonie von Draeseke, fur die
ibm die ernsteren Musikfreunde dankbar waren,
wenn auch dies Werk, in dem Konstruiertes und
Gewolltes, Prinzipielles und Reflektiertes die
Oberhand behalten, der breiten Menge eigentlich
wenig gibt. Bei Hausegger konzentrierte sich
das Interesse auf zwei bemerkenswerte Erst-
auffuhrungen. Gernsheims neues Violin-
konzert erlebte, von Marteau meisterlich vor-
getragen, die Urauffuhrung, und Max Regers
„B6cklin-Suite tt , die vordem nur in Essen zu
horen gewesen war, wandte sich zum ersten
Male an das Auditorium einer musikalischen
Grolistadt. Reger als Programmusiker, Reger
als Komponist von vier symphonischen Dich-
tungen nach Bocklinscben bekannten Gemalden
mutet fast wie eine Sensation an und entbehrt
zum mindesten nicht eines gewissen pikanten
Reizes. Denn sofort taucht die Frage auf: Macht
Reger eine entscheidende Scbwenkung, hat er die
Basis seiner kunstlerischen Anschauungen ver-
andert, ist er des trockenen und gelehrten Tones
uberdriissig? Oder ist das nur eine kunstlerische
Extratour, so ein kleiner Ferienabstecher in
fremdes Gebiet? Die Beantwortung der Frage
bleibt der Zukunft vorbehalten, einstweilen wird
man diese erste Begegnung Regers mit den
Prinzipien der Programmusik kaum anders denn
als eine Kollision zwischen Regers Eigenart und
der Moderne — die allerdings auch bald schon
Mode von gestern geworden ist — bezeichnen
konnen. Einen Vorteil freilich gewann sich
Reger aus dem programmatischen Vorwurf, den
Vorteil eines fur seine VerhSltnisse ungewohnt
farbigen lnstrumentationsantriebes. Reger hat
nie zuvor etwas geschrieben, was so schon klingt
wie diese vier Stucke, in denen er scheinbar
erst seinen Sinn fur ein differenziertes Orchester-
kolorit, fur Mischfarben und instrumentale
Stimmungsmalerei entdeckt hat. Aber dariiber
hinaus scheint doch die Rucksicht auf das Pro-
gramm ihm zu einer Fessel geworden zu sein;
seine technische Phantasie, der Reichtum seiner
kombinatorischen Begabung, die Kunst seiner
organischen Entwickelungen, die aus einem
knappen Thema immer neue Bluten hervor-
zaubern, sind durch das Programm unterbunden.
Reger gleicht dem Spazierganger, der, um den
Weg nicht zu verfehlen, etwa immer um dieselbe
Litfaftsfiule promeniert; die Furcbt, etwas zu
sagen, was nicht zum dichterischen Thema ge-
hort, hemmt ihn, gibt seiner Musik etwas Kurz-
atmiges und etwas Enges. Unter den vier
symphonischen Bildern steht am hochsten und
Bocklin am nachsten seine Auffassung der
„Toteninsel a . Die Aufnahme der vier Stucke
war ziemlich kuhl; freundlicher empfangen sah
sich Gernsheim, der sein Violinkonzert selbst
dirigiert hatte. Der Meister, der die Schwelle
des patriarchalischen Alters bereits uberschritten
hat, steht jenseits alter Entwickelungsperioden,
C 1
er steht uber den Uberrascbungen. Wie er
heute schafft, schopft er aus dem Reichtum
seiner Erfahrungen, aus einem gediegenen
Konnen und ehrlichen Wollen, das sich von
jeder extremen Betonung gleich weit zuruckhalt.
Am effektvollsten gibt das neue Konzert sich in
einem in Nocturnostimmung getauchten Adagio-
satz. Einen sensationellen Erfolg als Liszt-
Spieler holte sich bei Eibenschutz Paul Gold-
schmidt, der Liszts A-dur Konzert und die
„Totentanz a -Variationen mit blendender Bravour
und mit rassigem, nervigem, rhytbmischem
Empfinden spielte. Heinrich Cbevalley
1^ OLN: Mit dem Vorsatze, besonders treffliche
*^ auswSrtige Quartettgenossenschaften nach
Koln als Gaste zu bringen, hat sich bier eine
„Vereinigung Kolner Kammermusik-
freunde** gebildet, die in jeder Saison eine
beschrankte Anzahl Konzerte (diesmal drei) zu
veranstalten gedenkt und von seiten der Lieb-
haber des vornehmen Kunstzweiges so warm
begruGt wurde, daB zu dem ersten im Hotel
Disch statrgehabten Abend Wochen voraus alles
ausverkauft war. Den recht glucklichen Anfang
machte das Flonzaley-Quartett, dem man
eine prachtvolle Ausfuhrung des Brabmsschen
Klavierquartetts A-dur unter Mitwirkung der ein-
heimischen Therese Pott, der Sonate fur zwei
Geigen und Cello von G. Sammartini sowie des
Streichquartetts C-dur von Dvofik dankte. An-
mutige Liedergaben bot zwischendurch Tilly
Cahnbley-Hinken mit stimmungsvollen
Stucken von H. Wolf und C. Ramrath. — In der
Musikalischen Gesellschaft zeigte sich der
Pianist Mark Giinzburg in der Technik zeit-
weilig nicht recht disponiert, wahrend er sonst
gut abschnitt und ebenso aufgenommen wurde.
Einen einhelligen groCen Erfolg holte sich der
Geiger Alexander Schaichet, der sich mit
Mozarts Konzert Es-dur nach Durchgeistigung,
Temperament und vornehm geklfirten virtuosen
Eigenschaften als hervorragend pradestinierter
Vertreter seines Instruments einfuhrte. Auch die
Sopranistin Marietta Amstad erzielte mit ihrem
auf nicht gerade bedeutende stimmliche Mittel
sich stiitzenden, aber ausdrucksvoll-gewandten
und personlichen Reizes nicht entbehrenden
Vortrage einer Reihe franzosischer Lieder aus
dem 18. Jahrhundert sebr sympathische Wir-
kungen. — Das 1. Gurzenich konzert setzte
mit dem von Richard Straufi zur Einweihung
des Wiener Konzerthauses geschriebenen w Fest-
lichen Praludium a ein, das sich als ein in der
Erfindung nicht eben sonderlich eigenartiges,
aber geistreich angelegtes und unter eindrucks-
voller Behandlung der Orgel im Orchester pomp-
haft gefuhrtes, sehr kunstvolles Gelegenheits-
stuck von viel Pathos erwies. Sein bravourSser
Interpret Fritz Steinbach vermittelte ihm freund-
liche Aufnahme. Mit Beethovens Achter Sym-
phonie brachten Dirigent und Orchester spater
eine oft gewurdigte Glanzdarbietung. Muriel
Foster bot mit dem Altsolo in Brahms' Rhap-
sodie sowie Hugo Wolf-Liedern nicht sehr warme,
aber feinkunstlerisch ausgefeilte Leistungen,
wShrend Joan Manen mit Bruchs Phantasie und
seiner Paganini-Caprice No. 24 alles elektrisierte.
Paul Hiller
K6NIGSBERGi.Pr.:UnsereMusikverhaltnisse
sindjiun so weit geordnet, daQ wir ein starkes
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KRITIK (KONZERT)
253
und gutes Zentralorchester haben, dessen Fufi-
punkt aufierhalb des Theaters liegt: das von den
einen sehnlichst erhoffte, von den anderen mit
Bangen erwartete Stadthallenorchester hat
sich kunstlerisch bereits aufs beste bewahrt, im
Konzertsaal namentlich in dem ersten der
standigen Symphon iekonzerte (Leitung Max
Brode, Solist Bronislaw Huberman), wo es
etwa in der groBen c-moll Symphonie von Saint-
Saens ausgiebige Gelegenheit hatte, alle seine
Register zu zeigen. Die finanzielle Zukunft des
Unternehmens ist freilich eine bisher noch nicht
geloste Frage — moglicherweise steuern wir auf
diesem Umwege auf ein stadtisches Orchester
zu. Auch ein einheimisches Streichquartett,
das uns im letzten Winter fehlte, hat sich wieder
gebildet unter der Fuhrung des fruheren Theater-
konzertmeisters Carl Becker, mit dem in
fruheren Ensembles bewahrten CellistenHermann
Hopf, und ein erster Abend des neuen Quartetts
hat bereits bewiesen, daft die Lucke durchaus
vollwertigausgefulltist. Von unseren Dilettanten-
vereinen trat bisher nur der von Max Brode
geleitete Instrumentalverein „Philharmonie tt
(begrundet durch den bekannten Komponisten
Sobolewski) anlafilich seines funfundsiebzigsten
Stiftungsfestes mit einem Jubilaumskonzert her-
vor. Endlich darf ich unter den einheimischen
Konigsberger Veranstaltungen den ersten meiner
eigenen Versuche nennen, unser weiteres
Konzertpublikum durch Wort und Ton fur lebens-
starke altere Musik und historische Musik-
anschauung zu gewinnen; aus dem Eindrucke,
den die starke Personlichkeit Monteverdi's,
des Hauptgegenstandes meines ersten Vortrags,
nach den vermittelten Musikproben (Sopran:
Linda Kamieriska, Alt: Gertrud v. Borze-
sto wski)offenbar hinterlieli,glaube ich schlieBen
zu konnen, daC derlei Bestrebungen hier keines-
falls aussichtslos sind, und halte es fur meine
Pflicht, solche Abende moglichst zu einer stfin-
digen Einrichtung zu machen. Das ubrige war
vorlaufig Einfuhr: der Berliner Domchor
kam, Artur Schnabel, der Liebling der Konigs-
berger, kam und musizierte mit Karl Flesch,
kurz darauf mit Therese Schnabel und dem
neuerdings uberraschend sich verinnerlichenden
Artur van Eweyk; es kamen Alexander
Petscbnikoff, der vielversprechende Pianist
Richard Buhlig, ein begabter junger Baritonist
Hans Meier und andere noch, die alle nicht
eigentlich das musizierende Konigsberg charak-
terisieren. Dr. Lucian Kamieiiski
MAGDEBURG: Die Konzertsaison nahm hier
*** in ublicher Weise ihren Anfang durch zwei
Konzerte des stadtischen Orchesters im
Stadttheater. Solisten: Kirchhoff und Rosen-
thal; Dirigent: Krug-W a ld|see. Das 1. Konzert
des Kaufmanniscben Vereins dirigierte Stein-
bach. Mit ibm ziebt immer hier Brahms ein
(c-moll Symphonie). Carl Friedberg spielte die
symphonischen Variationen von C6sar Franck.
Fur den Winter wurden Weingartner und Nikisch
eingeladen. Das nachste Konzert in der Har-
moniegesellschaft dirigiert Reger. So ist man
mit Erfolg bemuht, unserm Konzertleben auch
einmal einen hoheren Schwung zu geben; nur
die Konzerte des stSdtischen Orchesters arbeiten
hierin auf konservativem Boden weiter.
Max Pi a s s e
., C iUOQ
o
M
MANNHEIM: Die Musikalischen Aka-
*** demieen huben bei Mozart und Beethoven
an, die „Maurerische Trauermusik" und Beet-
hovens Achte Symphonie wurden von Arthur Bo-
dan zky hervorragend geboten. Valborg Svard-
strom sang mit gutem Verstandnis und sicherer
Technik neben Liedern von Beethoven die nach-
komponierte Konzertarie zu „Idomeneo a (Szene
und Rondo). Hugo Birkigt spielte das Violin-
solo dazu tonschon und ausdrucksvoll. Aufier
zwei Orgelkonzerten Arno Landmanns — das
letzte war ein Max Reger-Abend — , einem Lieder-
und Arien-Abend von Leo Slezak sind nur
zwei Kammermusik-Abende von besonderer Be-
deutung gewesen. Das Flonzaley-Quartett
brachte uns Arnold Schonbergs op. 7 und Hugo
Wolfs Italienische Serenade, dazu eine Sonate
in d-moll fur zwei Violinen und Cello von
Leclair. Das Mannheimer Quartett spielte
Mendelssohns Quartett in Es-dur (op. 12), ein
Divertimento op. 20 von Bernhard Sekles und
Beethovens Quartett in a-moll (op. 132).
K. Eschmann
UNCHEN: Noch im Dienste des Sikular-
gedachtnisses fur den Bayreutber Meister
stand ein in groBem Stile veranstaltetes Konzert,
in dem Bruchstucke aus „Parsifal" (der zweite
Akt von der Blumenmadchenszene und der
dritte vom Auftritt Parsifals an) zur Auffuhrung
gelangten. Die Solisten waren ersten Ranges
(Berta Morena, Johannes Sembach, Anton
van Rooy, Felix von Kraus), das Orchester
(Konzertverein) tiichtig, nur die Chore nicht
ganz genugend, das Ganze durch Franz Beidler
gut einstudiert und mit sicherer Hand geleitet.
Die Teilnahme des Publikums war sehr lebhaft,
aber der Eindruck doch wohl nicht so stark,
wie man erwarten konnte. Ein von Bruno
Walter geleitetes Konzert des Hoforchesters,
dessen Ertrag der Witwen- und Waisenkasse
dieser Korperschaft zufloC, sollte durch die Mit-
wirkung von Edyth Walker eine besondere An-
ziehungskraft erhalten. Aber der Besuch blieb
mafiig. Einen Wagner-Abend mil Orchester gab
der Tenorist Walter Kirchhoff, dessen gesang-
liche Leistungen mehr imponierten als die
Orchesterdirektion Hugo Hud els. Im Volks-
Symphoniekonzert spielten unter Paul Prill:
Ernst Riemann das Mozartsche Kronungs-
konzert, Robert Reitz das Ungarische Konzert
von Joachim. Ein amenkanischer Dirigent,
Weston Gales, vermochte mit der Leitung von
Werken Wagners, Dvorak's und Humperdincks
nicht von der Notwendigkeit seines Auftretens
in Deutschland zu Ciberzeugen. Wahrend Felix
Berber und Walter Braunfels in dem ersten
ihrer Sonatenabende nur altere Meister spielten
(Bach, Leclair, Mozart und Beethoven), benutzte
der leider von Miinchen scheidende Violoncellist
Emmeran Stoeber sein Abschiedskonzert zur
Vorfuhrung seiner neuen Werke, des ersten Satzes
aus einerSymphonie furVioloncell undOrchester,
op. 11, von Gottfried Rudinger — sehr talent-
voll, aber zu lang und nicht immer gliicklich
instrumentiert — und eines „Sommermarchen a
betitelten Divertissements fur Violoncell allein,
op. 30, von Josef Haas — sehr geschickt und
launig gemacht, aber doch (wie schlieBlich alle
Solowerke fur dieses Instrument) etwas proble-
matisch. Von groIien,_ Gei^ern ^horte man im
! / L
C
i_ ueigern .norte
Unqmal from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
254
DIE MUSIK XIII. 4: 2 NOVEMBERHEFT 1913
eigenen Konzerte bis jetzt nur erst Joan Man6n,
hinter dem der einheimische Richard Heber-
lein weit zuruckstehen mufite. Starker wirkte
Anni Betzak. Sonst waren unter den kon-
zertierenden Instrumentalsolisten die Klavier-
spieler gleich von Anfang an in der erdrucken-
den Oberzahl. Von Meistern ersten Ranges
sind Emil Sauer und Wilhelm Backhaus zu
nennen. Leonid Kreutzer spielte u. a. die
b-moll Sonate, op. 74, von Glazounow. Josef
Pembaur versuchte fur die c-moll Sonate, op. 10,
von Emil Schennig zu interessieren, mit nicht
allzu viel Gluck. Sonst brachte das Bestrehen,
das Programm etwas interessanter zu gestalten
— ein Bestreben, dem man doch, zumal unter
der jungeren Generation der Konzertierenden,
jetzt haufiger begegnet — , manches Erfreuliche
und Interessante. Es Helen auf die von Carola
Lorey-Mikorey gebrachtenVariationen uberein
Hfindelsches Thema von Robert Volkmann, durch
Alfred Hoehn: Introduktion und Fuge von Cynll
Scott (Jies freilich mehr interessant als erfreulich),
auf zwei Klavieren von den Herren Fritz Be rend
und Franz Dorfmuller das prSchtige opus 18,
Prelude, Fugue et Variation von C6sar Franck
und das reuend zopfige B-dur Duo von Boieldieu.
Sigfrid Karg-Elert gab mit eigenen Komposi-
tionen, unterstiitzt von Hermann Zilcher, einen
Propaganda-Abend fiir das Mustel-Harmonium,
wo eine Sonate in fis-moll hervorragte. Ich
nenne von Klavierspielern ferner Gottfried
Galston, Sara Freid, Felix Dyck; unter den
einheimischen Dr. Richard Gschrey und die
talentvolle Debutantin Erna Elfenbein. Nume-
risch schlossen sich den Klavierspielern, wie
immer, die Sanger und Sfingerinnen an. Lula
MyszGmeiner trat, sekundiert von ihrem
nicht gam ebenbunigen Bruder Rudolf, in
dankenswerter Weise fiir den gehaltvollen
Dehmel-Zyklus Hermann Zilchers ein. In dem
Liederabend von Maria Philippi produzierte
sich der mitwirkende Pianist Edwin Fischer
auch als Liederkomponist. Raoul Walter
brachte nicht unsympathische Volkslieder von
Georg MeBner, neben weniger Sympathischem
von Wilhelm M tiller. Ein sehr fesselndes
Programm hatte der von Berlin nach Munchen
ubergesiedelte Baritonist Otto Schwendy:
u. a. Lieder von Thuille und sehr wertvolle
neue GesSnge von Heinrich K. Sen mid, neben
denen sich ziemlich leicht wirgende SSchelchen
von Hugo Rasch etwas deplaziert ausnahmen.
Leonore Wallner berucksichiigte die zeitge-
nossische Lyrik gar mit funf Namen: Arnold
Mendelssohn, Paul Klengel, Frederick Delius,
Richard Wetz und Rudolf Bergh. Vielversprechend
debutierte die einheimische Hildegard Hem-
meter, und auch aus Amalie Hermann, die
man (u. a. mit Liedern von Pfitzner und Wolf-
Ferrari) neben dem Dresdener Tenoristen
Robert Broil in einem der unglucksel'gen
Einfuhrungskonzerte des Verbandes konzertie-
render Kunstler horte, kann etwas werden.
Karl Rehfufi aus Frankfurt sang mit starkem
Erfolg Schuberts „Schdne Mullerin 44 , Gabriele
Kottmayr hatte sich mit dem Pianisten Walter
Hafiler verbunden und Elsa Laura von Wol-
zogen erfreute ihr Publikum, obgleich sie
nichts Neues brachte, — wahrend Robert
Kothe mit einer neuen (10.) Folge seiner Lieder
C 1
zur Laute vor seine Freunde und Bewunderer
trat. die ihn auch diesmal wieder mit begeistertera
Beifall uberschutteten, insofern mit Recht, als
auch dieses neue Programm ganz reizende
Sachen enthalt. Rudolf Louis
OARIS: Die groften Sonntagskonzerte baben
* wie iiblich mit der zweitcn Woche des Ok-
tobers wieder begonnen, aber bis jetzt nur eine
Neuheit zutage gefordert. Es war ein „drama-
tisches Gedicht* (seltsamer Titel fur ein Ton-
werk) von Achille Philip „Les Djinns*. Aus
dem bekannten Gedicht Victor Hugos hat schon
C6sar Franck ein bemerkenswertes kleines Or-
chesterstuck gemacht und daherwar es fur einen
Neuling etwas verwegen, das gleiche Gedicht
fur eine Singstimme mit Orchesterbegleitung zu
komponieren. Dennoch hat Chevillard recht
getan, das Werk mit derOpernsangerin D aumas
im Konzert Lamoureux zur Auffuhrung zu
bringen, denn das Anschwellen und Verschwin-
den des orientaHschen Gespensterchors, das
Hugo im Versmaft so gut wiedergegeben, recht-
fertigt die neue Behandlung. — Im Konzert
Colonne brachte zwar Piern6 eine Neuheit
von Saint-Saens zur Auffuhrung, aber diese
stammt schon aus dem Jabre 1855 und der
Meister hatte nur ungern in die Auffuhrung dieses
Jugendwerkes gewilligt. Es ist eine namentlicb
an Mozart erinnernde Ouverture zu eincr ko-
mischen Oper, die ungeschrieben blieb. Fur
Paris neu war die dreisltzige Maurische Rhip-
sodie von Humperdinck, die im Konzert
Lamoureux gut aufgenommen wurde, obschon
die Kritik nachher fand, daft der Orientalismus
des deutschen Meisters im Vcgleich zu dem
der modernen Franzosen und Russen doch etwas
zu schuchtern sei. Aus Mangel an bedeutenden
Neuheiten griff Pierae" schon im 3. Konzert
Colonne zu dem behebten Ausweg. ein reines
Beethovenkonzert zu geben, das eigentlich eher
an den SchluB als an den Anfang einer Konzert-
serie gehort. Die allzu viel gehorte Neunte
Symphonie wurde aber wenigstens durch die
Grofie Messe abgeld^t und als selteneres Stuck
wurde der Elegische Gesang in neuer franzo-
sischer Obersetzung von Ropartz durch ein
hervorragendes Soloquartett vorgetragen. — Auch
im Theater derChamps-Elysees baben die
Orchesterkonzerte des Mittwocbabends wieder
eingesetzt. i>as gleiche Programm wird hier nur
mit geringer Verinderung der Solostucke zwei-
mal gespielt. In den beiden ersten Konzerteo
war Claude Debussy der Held des Tages. Er
dirigicrte selbst sein dreisatztges symphonisches
Gedicht w Iberia", das wohl bis jetzt seine her-
vorragendste Arbeit fur Orchester ist. Nicht
ungern horte man auch sein Jugendwerk n L*
Damoiselle Elue* 4 wieder, zumal da Frau Worska
die Hauptpartie entzuckend vortrug.
Felix Vogt
DRAG: Die Konzertflut ist nach des Sommers
' Ebbe punktlich auch fiber uns hereinge-
brochen. Wenn die Zeichen nicht trugen, wird
es heuer wust zugehen, denn bis jet/t sind be-
reits mehr als dreiflig Konzerte uber das Normale
angesagt. Und was sonst noch kommen mag,
das sich bis jetzt nicht vor die Offentlichkeit
traut? Das Plus an Konzerten ist vorderhand der
Eroffnung eines neuen Konzertsaales zuzu-
schreiben, den das Musikhaus Mojmtr Urban ek
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
255
sich in ihrem Liederabend (mit Pfitzner) als
Meisterin des bel canto und des, allerdings etwas
gleichm&Big gefarbten Liedergesangs; 6 Kinder-
Heder von Edmund v. StrauB sind ganz niedlich,
aberherzlich unbedeutend. — ImTonkunstler-
verein spielte die Baseler Geigerin Anna
Hegner mit wohltuender Reinheit und Reife,
leider etwas unbedeutende Sachen. Der Pianist
Egon Petri besitzt eine vortreffliche Technik;
die Art jedoch, wie er die Brahmsschen Paganini-
Variationen durcb ein morderliches Rekordspiel
urn ihre geistigen QualitSten brachte, vermag ich
nicht zu billigen. Dr. Gustav Altmann
^^MEN: In feierlicher Weise, durch drei auf-
mitten in der Stadt errichtet hat und „Mozar-
teum a nennt. Die Konzerte daselbst ragten
allerdings higher fiber das Mittelmali nicht hinaus.
Alexander Dillmann gab einen seiner uber-
flussigen Wagner Abende am Klavier, Bertha
Manz enttauschte durch geringes Konnen,
Gabriele Leschetitzky dagegen hatte einen
groBen Erfolg namentlich als Brahmsinterpretin.
Einen seltenen Enthusiasmus erweckteder kleine
Geiger Pepa Barton, in dem ohne Zweifel eines
der bemerkenswenesten Geigertalente heran-
wichst. Robert Kot he, der famose Lautens§nger,
hat nach lingerer Zeit wieder einmal auch in
Prag seine fein ziselierte Kunst vorgefuhrt und
Marie Louise Debogis durch ihren subtilen Ge- ** einanderfolgende Festkonzerte, wurde das
sangsvortrag die groBeZahl ihrer Anh3nger um neue Wiener Konzerthaus eroffnet. Ein
ein. betrachtliches vermehrt. 1m Deutschrn alien modernen Bedurfnissen angepaflter Bau.
Kammermusikverein hat, vom Ros6-Quartett Drei Sale: — ein sehr groBer, festlich hell
gespielt, ein handschriftliches Klavierquintett stimmender, nur zu wenig ruhig gehaltener,
von Robert Haas als starke Talentprobe sehr mehr durch Dekor und „hinzugefugten tt Zierat
gefallen. Die prSgnante Kurze jedes Satzes, von als durch die Giiederung in groBe, glatte, farbig
denen namentlich der zweite durch aparte Har- kontrastierte Flachen wirkend, fur Symphonie-
monieen hervorsticht, failt angenehm auf. Auch und Oratorienauffuhrungen; ein mittlerer, in
die populiren Sonmagnachmittag-Konzerte der seiner vornehmen Flachenwirkung weitaus an-
Tschechischen Philh ar moniker unterdem sprechender, fur Auffuhrungen mit kleiner
verdienstvollen Dirigenten Dr. Wilhelm Ze- Orchesterbesetzung und ein kleiner, ganz ent-
manek haben bereiis wieder begonnen. Aus zuckender, in goldgelber Seide und matt-
dem bisher gelei>teten Pcnsum ist vor allem der schimmernden Wanden, furintime Musik. Jeden-
Bacb-Abend hervorzuhcben. Als der Organist falls eine Statte, die rasch zum Empfangen guter
von Weltruf hat harl Straube auch in Prag Musik stimmt und fiir deren Errichtung alle
gewirkt. Dr. Ernst Rychnovsky Wiener Musikfreunde (vi lleicht nur mit Aus-
STRASSBURG: Langsam erwacht das neue nahme der jetzt doppelt geplagten Kritiker!)
Leben in der Ko^zertsaison. Eingeleitet dem Konzertverein und seinem opferwilligen
wurde sie durch ein wohlgelungenes Konzert Vorstand frohen Dank sagen werden. Die vier
des Bremer Lebrergesangvereins, der Konzerte, in denen Beethovens ^Neunte* und
unter seinem Dirigenten Ernst Wend el eine das von d'Albert ein wenig allzu „genial a ge-
hohe Ausbildung in der Kunst des Manner- spielte G-dur Konzert, Symphonieen von Haydn
gesangs aufwies; der mitwirkende Geiger Ad und Mozarr, Kammermusik, Lieder (von Meister
Metz zeigte lobliche Qualitaten. — Die katho- Messchaert gesungen, als ob er sie gedichtet
liscben Kirchenchore unter Leitung des hattc), Bruckners Tedeum, Schuberts Es-dur
Domorganisten Abb6 Victor! boten eine gut Messe, die Altrhapsodie von Brahms und das
vorbereitete Wiedergabe des Tinelschen Ora Meistersingervorspiel ausgefuhrt wurden — alles
toriums „Franziskus*; die Musik ist v«»n einem unter der Leitung Ferdinand Lowes, dieses
vornehmen Eklektizismus, etwas an C6sar Franck noblen Musikers, des mannhaften und wahr-
erinnernd, wohlklingend und geschmackvoll. Fur haften Kunstlers und warmfuhlenden Dirigenten,
das Sopransolo war Frau Lotze-Holz etwas dem der Konzertverein und sein Orchester sein
zu bocbJramatisch,vortreflflich jedoch der Pariser heutiges Niveau verdankt — wurden durch ein
Tenor Plamondon und der hiesige Bariton eigens fur diesen schonen Anlaft komponiertes,
Schutzendorf. — Das 1. Abonnements- „FestlichesPraiudium tt von Richard StrauB
konzert brachte Mahlers fSlschlich als eroffnet. Eine strahlende Intrata, zuerst in
^Symphonic* bezeichnetes w Lied von der Erde* michtigen Orgelakkorden aufstrebend, dann in
jene mit rafflnierter Kunst gemachte, aber eben einem breiten Gesangsthema hinstromend, das
doch auch nur „gemachte a Vertonung von sechs schliefilich zu einem in frohem Ernst bewegten
chinesischen GeJichten. Gesanglich zeichneten Hymnus fuhrt, dem Mittelpunkt des ganzen,
sich dabei unsere Opernkrfifte Fritz Bisch off und meisterlich gefugten, ganz unimpressionistisch
Agnes Hermann aus, d. h. soweit sie neben dem in freudiger Diatonik beharrenden, breit ge-
Orchester uberhaupt zu horen waren. Mit Beet- gliederten Werks, in dem offenbare Zitat-
bovens Zweiter schloB das von Pfitzner wendungen — wie Euryanthens w Vertrau auf
schwungvoll dirigierte Konzert. — Durch einen Gott* — eine sinnspruchartige Wirkung zu uben
schonen Abend erfreute der M2nnergesang- bestimmt sind und das am Schlufl, in einer
verein, der uns die prichtige Sopranistin Emma groBartigen thematischen Kombination das
Bellwidt und den jungen, aber in der Tat hoch- Hymnenmotiv von Trompeten aus der Hohe be-
begabten Geiger Feuermann zu horen gab — henschend hinausschmettert. Ein etwas archa-
Als trefflicher Pianist erwies sich Alfred Ho eh n, i-ierendes Stuck voll echt StrauBschen Jubels,
hie und da noch mit etwas jugendliehem Ober- ein klarer bundiger FestgruB, wie ihn nur ein
schwang. Auf zwei stark futuristisch angehauchte Meister senden kann. Wenn auch das Wesen
Stucke von Cyrill Scott und Balakirew hatte dieses Meisters sich in anderen Werken noch
man gern verzichtet; solch kakophonische Un- weit ekstatischer und kiihner fesselnd aller
musik macht wahrlich niemandem Freude. Frl. Seelen bemachtigt. Hier aber wie schon in der
Herman n,nnsereOpernmezzosopranistin, zeigte «Anadne tt — und, wiejes heiBt. nochviel starker
/ ' J, Original from
r, v ii ju^jv UNIVERSITY OF MICHIGAN
! / L
256
DIE MUS1K XI1L 4: 2. NOVEMBERHBFT 1913
und bewuBter la der neuen „Deutsctaen Motette*
— eine nacndenklicb stimmende Neigung zu
klsssiscner Einfscbbelt, zur Bfindlgung ill der
Qberecbftumenden Ffille zu rubiger Linl© and xu
grofien, schlfcbten Quartern; and ela Stch-
entfcrnen von alkm bizarren und blofl ,ioter-
esaamen*, Bel cinem, der wie Rictaard Strati H,
die »Ohren von fibermorgen* bit, ela Zcicbcn
sonderlicber Art, das gerade in der Zeit des
inuslkaliscben Futurism us Acbtung itad Auf*
merksamkeir gcbietct. — Den ErSffnuogskoozer-
ten foJgte ein Geigentbend Bronlslaw Huber-
mad» t ela Ltederabe&d Julia Culpa, — beidea
Kfinstler, fiber die neue Wane nicbt gefiinden
werden kdnnea und also aucb nlcbt gesucbt
werdea ftollen. — Die Pbil bar moniker, die
Mahiers SOL Geburtstag unbemerkt vorfibergehen
JleGen, baben Veingertuer bei der glcichen
Gelegenbeit urn so eiurmlscber und durcb ein
eigenea Festkonzert geebrt, bei dem Komposf-
tfonen desjubilara (die synipnoniscbe Dicbtung
„K5nig Lear", die Justige Ouvertfire* und da-
zwiscben Lleder, die ton Dr. Ludwlg Tullner
zu Melodraroen umgedeutet wurden) und dazu
Beetbovens ^Ffinfte* aufgefuhrt wurden. Eine
zunichat befremdende Zusaramenstelluflg, die
♦aber offenbar nur in der Absjcbt gcscfrcben iat,
neben ebarakteristiacbe Kompositionen des Ge-
feierten aucb cine seiner cbarakteriatlscbesten
DIHgeatenleistungen an stellen. Vie der Uater-
f elcbnete fiber Weingirtners Tondicbtungen und
aucb fiber gewisse Seltea seines Bectboven-
dirlgterena denkt, bat er an dieter und anderer
Stelte ao oft ausgetprocben, dafi er rich
dessen diesmal ffigllcb entscbligen kann, urn
bei dieser festllcben Gelegenbeit nicbt all
gtf mlkber Storcnfiled zu gclten. Genug in
der Feststeliung, dan Veingertner, durcb seine
Qualtttten ebenso wie durcb seine uo wider-
■teblicheLiebenawurdigkelt, seine weltmlnnitcbe
Eleganz und durcb Beine gewionende Art einer
der verwfibnteaten Liebliuge w*iens T bo jubelnd
gefeiert vurde, wie is Wien eben nur neliettc
Musifcer, Bfibaeakfinatler und populire Burger
metater gefeiert werden kdnnen.
Richard Specfat
WIESBADEN: Daa 1. Konzert iro Korbiuse
w unter Carl Scburiehts temperamentvoller
Leitung bracbte ala Hauptwerk die bier lange
nicbt mebr geb&rte Straunsche JSvmpbonJi
Domestics'; und mit Strautocben Liedern batte
Edith Walker glftnzendea Erfotg. — Im Hof*
tbeater-Konzert gelangte unter Manastidt die
Mahlerscbe Symphonic »Daa Lied too der Erde*
zu Gebor. Das Werk apracb zwar nlcbt soglefcb
allgemeln an — aeine Re lie alad mm Teil won!
mebr Intlmer Art — , docb an dem IciDen
cxotiachen Anbaucb der Partitur durfte roan,
zunitl bei ao erlesener Wiedeigabe, aeine Freuoe
baben. Jobanna Kid fesselte durcb ibren sym*
gatbiscbeji Geaang; die Tenorpanle vertrat Hn
ieverL — Sehr glfickllcb debutlerten in
eigenen Koazerten: Jobanna Klein, eine ge-
schmackvoUe Pianistin aus Elly Ney'a Schule,
und E. Lindner, der aicb wieder alt ein tecb-
nlacb und muaikaliscb gediegeaer Vfolinvirtuos
erwiea. Otto Dora
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
Mlt Erlaubnls dea Verlages Scbuater & Loenler gebea wlr dem Artikel tou Julius Kapp
einige seiner Pagan In 1* Biograpbie entnommeDe Bilder bei, Dem Bl arte mlt dem G e-
faurts- uad dem Sterbebause Pagan in i^a listen wlr die 1819 entstandene Zeicb-
nung von Jean Ingres folgen, die ebenso wie die Litbograpble von Joseph Kriebuber
die marksnten Zuge des graft en Vlnuosen cbarakteristUcb wiederglbt. Die Karl-
katur too unbekannter Hand, zur Zeit des Londoner AuFtretens Pagaaini's entstanden, zeigt
neben einem A urogram m ein StGck einer G-Siite von des Kfinstlers berfibmter Guamertua-
Vloline, die jetzt lm stldtlscben Museum In Genua aufbewabrt wird. ScblieQIicb bringen wlr
unseren Letern den Abgufi der recbten Hand Paganlnl's und das Autograph der Violin-
fitimme von ^Le streghe*.
lm Verdi-jubillumsjabre darf die aoeben von Jobinnes Schiffner in Berlin voJlendete
Bfiste des Meisters um so eber auf Beacbtung reebnen* ala aie von elgenartiger AufTassung zeugt
Ntchdruct nur mil bnondsrer Erkabfll* dci VerUffli t««tittct
All* R«cfat«, lubci«a<lnt du der GbenetnuiCj v«rbelulitta
fir dli Zur&ckMsdaiii nnTirlinftar od«r ntcht ipfeneldeter AUaoskripCB, WU Ibnsa nlcbi f*dB|ead
Pono baHici^ ttbcmJuunt dJv Red*ktiaD ktlos Gvmnti*. Sebw«r traerllcb* AUatuluipte nrdca vnceprffl
tnrflckgeaattdt.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeifiter Bernhard Schuster
Berlin W 57, BfilowstniBo 107<
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PAGAN1NJS GEBURTSHAUS IN GENUA
PAGANINIS STERBEHAUS IN NIZZA
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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PAGAN1NI
Zekbnung von Jem Ingres
1819
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Liihographie van Kriehuber
Wien, 1828
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KARIKATUR UNBEKANNTER HAND
AUF PAGANINIS LONDONER AUFTRETEN
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PAGANINIS RECHTE HAND
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AUTOGRAPH DER VIOLINSTIMME VON PAGANINIS *LE STREGHE 1
Mtitand, 1813
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
verdi^bOste
Von Johannes Sebiffner
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
DIE MUSIK
HALBMONATSSCHRIFT MIT
BILDERN UND NOTEN
HERAUSGEGEBEN VON
KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
HEFT 5 • ERSTES DEZEMBER-HEFT
13. JAHRGANG 1913/1914
VERLEGT BEI
SCHUSTERS LOEFFLER- BERLIN W
/ " " M ., Olio in al from
'■■'■'•■■■■>• ^'^ >( -n s K UNIVERSITY OF MICHIGAN
Wenn eure Gemalde wahr sind, so werden sie vor den Wecbselfailen der
Mode sicher sein . . . Man darf nicht glauben, auf der Natur gegrundete
Werke konnten unter dem EinfluG der Zeit zu leiden haben. Die Natur,
diese gottliche Mutter, ubertragt auf den Maler, der sie treu wiederzugeben
weifl, ihre Unsterblichkeit.
Gr6try
INHALT DES 1. DEZEMBER-HEFTES
MAURICE MOSZKOWSKI: Ober kritische Neuausgaben von
Musikwerken
HENRI DE CURZON: Gr6try (f am 24. September 1813)
FRIEDRICH WELLMANN: Beethoven und Bremen
JOHANNES H. HaTZFELD: Franz Witt. Ein Gedenkblatt zu
seinem 25. Todestage (2. Dezember 1888)
MAX AREND: Erganzungen und Berichtigungen zu Wotquenne's
Thematischem Verzeicnnis der GJuckschen Werke
REVUE DER REVUEEN: Aus deutschen Musikzeitschriften
BESPRECHUNGEN (Bucher und Musikalien) Referenten:
Ernst Rychnovsky, Wolfgang Golther, F/. Stubenvoll, Ernst
Schnorr von Carolsfeld, F. A. Geifller, Walter Dahms, Wilhelm
Altmann, Jeno Kerntler, Arnold Schering
KRITIK (Oper und Konzert): Aachen, Antwerpen, Baden-Baden,
Basel, Berlin, Bremen, Briissel, Dessau, Dresden, Essen,
Frankfurt a. M., Genf, Hamburg, Heidelberg, Johannesburg,
Kassel, Koln, Leipzig, London, Munchen, Schwerin, Stuttgart,
Weimar
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
KUNSTBEILAGEN: Andr6 Ernest Modeste Gr6try (nach dem
Gemalde von Robert Lefevre; Faksimile eines Briefes an
Beaumarchais); Hector Berlioz, nach Josef Kriehuber; Reger-
Buste von Bianca Ehrlich; Portrats von Hans von Bronsart
und Franz Witt
NACHRICHTEN: Neue Opern, Opernrepertoire, Konzerte,
Tageschronik, Totenschau, Verschiedenes, Aus dem Verlag
ANZEIGEN
DIE MUSIK erscheint monatlich zwcimal.
Abonnementspreis fflr das Quartal 4 Mk.
Abonnementspreis fOrdenJahrgang 15Mk.
Preis des einzelnen Heftes I Mk. Viertel-
jahrseinbanddecken a 1 Mk. Sammcl-
kasten fQr die Kunstbeilagen dcs gan/en
Jahrgangs 2,50 Mk. Abonnements durch
jede Buch- und Musikalienhandlung, fflr
kleine Plfitze ohne Buchhandler Bezug
durch die Post
Generalvertretung fflr Krankreich,
Belgien und En gland: Albert Gutmann,
Paris, 106 Boulevard Saint-Germain
Alleinige buchhandlerische Vertretung fflr
England und Kolonieen;
Breitkopf & Hftrtel, London,
54 Great Marlborough Street
fflr A m e r i k a: Breitkopf & HarteI,NewYork
fQr Frankreich: Costal lat & Co., Paris
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Uriqinal from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ober kritische neu-ausgaben
von musikwerken
VON MAURICE MOSZKOWSKI IN PARIS
Neue Ausgaben von klassischen Werken, welche bereits als Gemeingut der
Kunstgebildeten wenigstens gel ten, pflegen, wo es sich nicht um kauf-
mlnnische Spekulation handelt, aus der Erkenntnis von der Unzulfinglich-
keit der fruheren hervorzugehen. a
Mit diesen Worten beginnt Hans von Bulow die Vorrede zu seiner
Ausgabe der Chromatischen Phantasie und Fuge von Sebastian Bach. Als
die Erfordernisse einer neuen und nutzbringenden Bach-Ausgabe bezeichnet
er dann spaterhin
„Erleichterung der Ausfuhrung durch praktische Fingersatzbezeichnung, bei welcher
die Rucksicht auf Bequemlichkeit, sogenannte Handlichkeit, sich stets einer genauen
Satz-Interpunktion, einer logischen rhythmischen Pbrasierung unterzuordnen hat; end-
lich organische Vorschriften fiber die Qualit&t der Bewegur.g, des ZeitmaBes."
Man wird diesen Prinzipien gewiO zustimmen diirfen und ihre Giiltig-
keit auch aufrecht erhalten, wenn es sich um neue Ausgaben von anderen
Werken handelt, die ebenfalls jener Epoche entstammen, in der die Kora-
ponisten kaum etwas anderes als die Noten niederschrieben, sich aber aller
Andeutungen uber Tempo, Tonstarke, Phrasierung, Fingersatz usw. ent-
hielten. Der in unseren Tagen lebende Klavierspieler weiB, oder sollte
wenigstens wissen, daB mit wenigen Ausnahmen alle dahin gehorenden
Bezeichnungen in den Werken von Froberger, Kuhnau, Bach, Handel,
Scarlatti usw. nicht von den Komponisten, sondern von spateren Heraus-
gebern und Bearbeitern herriihren und daher also nicht immer mit be-
dingungsloser Unterwerfung aufgenommen zu werden brauchen. 1st er also
dessen eingedenk, so wird er die betreffenden Vortragsbezeichnungen des
Herausgebers, wenn dieser eine musikalische Autoritat ist, mit Respekt
und Aufmerksamkeit priifen, sich aber auch Abweichungen von ihnen
gestatten, wo er sich durch seinen eigenen Geschmack dazu berechtigt
glaubt.
Die Forderung der „Objektivitfit" bei Ausfuhrung von Musikwerken
ist ja iiberhaupt nur cum grano salis zu verstehen. Der Spieler soil den
Intentionen des Komponisten mit Gewissenhaftigkeit folgen, soil nichts von
dessen Angaben uber den Vortrag seiner Stticke iibersehen und alle Finger-
zeige beniitzen, die ihm das Studium der Musikgeschichte und die Kenntnis
der Tradition an die Hand geben, um sich uber den Stil der verschiedenen
Musik-Epochen und die personliche Eigenheit jedes einzelnen Komponisten
zu informieren. Hat er sich auf diese Art mit dem Charakter des vorzu-
tragenden Stiickes vertraut gemacht, so soil er dann aber einen kleinlichen
Pedantismus zu vermeiden suchen und nicht nach dem Ideale einer phono-
17*
n . , f Y^\oLr- Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
260 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMRERHEFT 1913
graphenhaften Individualitatslosigkeit streben. Bis wie weit es dem Aus-
fuhrenden gestattet ist, bei der Wiedergabe einer musikalischen Komposition
seine eigene Personlichkeit zu betatigen, und in ein Werk Nuancierungen
hineinzutragen, die der Komponist nicht angegeben hat, ja, die ihm viel-
leicht nicht einmal vorgeschwebt haben, das wird die musikalische Asthetik
niemals mit mathematischer Genauigkeit feststellen konnen. Man hat seiner-
zeit sehr haufig Anton Rubinstein und Hans von Biilow als typische Re-
prasentanten subjektiver und objektiver Vortragskunst angesehen, und als
beide in Berlin in zwei nahe aufeinander folgenden Konzerten dieselbe
Beethovensche Sonate gespielt hatten, bemerkte ein geistreicher Musik-
freund ebenso witzig als zutreffend, beim ersteren habe man ein Land-
schaftsbild gesehen, beim letzteren eine Generalstabskarte.
Wenn dieser Vergleich nun aber sehr zu ungunsten Bulows aus-
gefallen war, so darf man dies nicht schlechterdings auf Rechnung seiner
sogenannten Objektivitat setzen. Biilow besaB einen nur wenig reizvollen
Anschlag und sein Klavierspiel hatte zuweilen einen recht doktrinfiren An-
strich. Beides hat aber nichts mit der Objektivitat zu tun und als Dirigent,
wie auch als Herausgeber von klassischen Klavierwerken war Biilow mit-
unter sogar sehr subjektiv. Dies bringt uns nun auf unser eigentliches
Thema, namlich die Erorterung der Grenzen, innerhalb deren ein kritischer
Herausgeber von Musikwerken Anderer subjektiv sein darf. Hier muG man
nun den Anfang damit machen, dafi man diese Neuausgaben in zwei
Kategorieen scheidet. Die eine bezweckt ausschlieBlich eine kritische Revision
des Textes, und bei ihr besteht die Arbeit des Herausgebers also darin,
die authentische Fassung der betreffenden Kompositionen mit moglichst
grofier Sicherheit zu reproduzieren, was durch Priifung und Vergleichung
der bereits vorhandenen Ausgaben, durch Einsicht in das Manuskript, so-
fern dies noch auffindbar und zuganglich, gelegentlich auch wohl durch
Uberlieferung oder zufallige, an anderen Orten gefundene Fingerzeige an-
zustreben ist. In diese Kategorie gehoren also z. B. die von Breit-
kopf & Hartel unter dem Titel w Denkmaler deutscher Tonkunst* veran-
stalteten Klassikerausgaben, diejenigen der Berliner Akademie der Kun*te,
die sich w Urtext klassischer Musikwerke" nennen, Krolls Ausgabe von
Bachs Wohltemperiertem Klavier usw. Die zuletzt genannte unterscheidet
sich ihrem Wesen nach von den beiden andern nur dadurch, daG der
Herausgeber ihr Fingersatze beigegeben hat.
Die zweite Kategorie kritischer Neuausgaben urn fa fit die Arbeiten
derjenigen, die sich zum Zwecke gesetzt hatten, die von ihnen revidierten
Kompositionen dem Verstandnis der Spieler naher zu bringen und ihm
deren Ausfuhrung durch gute Fingersatze, sinngemaBe Phrasierung, An-
gaben iiber Pedalgebrauch und sogar gelegentliche kleine Textveranderungen
zu erleichtern. Diese kleinen Textveranderungen wachsen sich nun aber
n . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n * , r UNIVERSITY OF MICHIGAN
MOSZKOWSKI: KRITISCHE NEUAUSGABEN VON MUSIKWERKEN 261
mitunter zu recht groflen dort aus, wo der Herausgeber es auch fur
angezeigt halt, irgend eine {Composition zu modernisieren. Dies kann
mitunter ganz zulassig und der betreffenden Komposition vorteilhaft sein,
in anderen Fallen aber auch einer Verunstaltung gleich kommen. Als zu-
lassig wird man es ansehen diirfen, wenn der Herausgeber sinngemafi
irgend eine Stelle modifiziert, bei der der Komponist sich offenbar wegen
der zu seiner Zeit noch eingeschrankten Klaviatur einen Zwang auferlegen
muBte. Aber nattirlich darf dann die eigentliche Intention keinem Zweifel
unterliegen. Nicht unberechtigt diirfte es ferner sein, gelegentlich einmal
eine Verdoppelung in Oktaven vorzunehmen, z. B. im BaB, urn dem Ein-
tritt eines Fugenthemas mehr Majestat zu geben. Ja, es lieCen sich sogar
Falle finden, wo noch erheblichere Retouchen wohl zu rechtfertigen waren,
denn tatsachlich lieCen die Komponisten in friiheren Zeiten dem Aus-
fuhrenden doch viel mehr Freiheit, als man heute gemeinhin glaubt, und
sehr haufig duldeten sie nicht nur die von ihnen eingestreuten Verzierungen
und harmonischen Ausfuhrungen, sondern setzten Solche geradezu voraus.
(Dies allerdings nur in bereits sehr entlegenen Kunstepochen.) Aber in
noch einem andern Falle darf der Herausgeber sich gestatten, seinen
Komponisten zu „korrigieren a , oder, besser gesagt, eine Korrektur in dessen
Werk in Vorschlag zu bringen, namlich in dem, wo nach seiner An-
sicht eine wirkliche Zerstreutheit oder Nachlassigkeit vorliegt. Dies scheint
mir z. B. in Schumanns Kompositionen an zwei Stellen recht sicher zu
sein. Die eine davon findet sich in No. 3 der „Kreisleriana tt , wo
Schumann sich nach meiner festen Uberzeugung in den letzten einund-
zwanzig Takten beziiglich der Zeitwerte geirrt und diese doppelt so lang-
sam geschrieben hat, als er zu tun vermeinte. Man spiele nur den ganzen
Passus (von der Bezeichnung „Noch schneller* ab) einmal recht genau
im Takt durch und wird dann wohl finden, dass beim Eintritt der Synkopen
die Sache vollstandig ins Stocken gerat, wenn man nicht zu einem Doppio
movimento" (ibergeht. 1 )
Ein anderes Versehen scheint mir Schumann im Finale seiner
„Etudes symphoniques" untergelaufen zu sein. Im fiinfzigsten Takte nach
der As-dur Vorzeichnung erscheint namlich in der Tenorstimme ein Frag-
ment des Themas, dessen Rhythmus aber hier — sehr zum Nachteil der
Wirkung — verandert ist.
Das Thema des Finale beginnt bekanntlich folgendermaBen :
! ) Im Gegensatz hierzu wird eine nur scheinbare Zerstreutheit Schumanns
haufig mit Unrecht bespottelt. In seiner g-moll Sonate steht am Anfang als Tempo-
Bezeichnung w So schnell als moglich" und im Verlauf desselben Satzes wird dann
ein „Nocta schneller** gefordert. Da aber von hier ab die technische Schwierigkeit
sich bedeutend verringert, so lalit das Folgende eine Steigerung des Tempos recht
gut zu.
n . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
262 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
und an der von mir zitierten Stelle heifit der Rhythmus:
Ich halte es fiir gestattet, hier und in den folgenden fiinf Takten eine dem
Rhythmus des Themas entsprechende Umgestaltung vorzunebmen.
In die Kategorie nicht zu beanstandender Korrekturen schlieDe ich
beispielsweise auch die ein, die Biilow in einer Begleitungsfigur des groCen
Rondos (op. 129) von Beethoven vorgenommen hat. (Dreizehn Takte vor
dem Eintritt des Themas in B-dur.) Da es sich hier um ein posthumes
Werk handelt, so kann man auch vermuten, daO Beethoven selbst vor
seiner Veroffentlichung noch Einiges an ihm retouchiert haben wurde.
Bulow gibt zudem in einer Fufinote die originale Fassung der betreffenden
Stelle an und hat daher die Befugnisse, die man vernunftigerweise einem
kritischen Herausgeber zugestehen mufi, nicht uberschritten. Den Vorwurf,
es anderorts getan zu haben, kann ich ihm freilich nicht ersparen. Warum
hat er die Beantwortung des Themas in Bachs Chromatischer Fuge andern
zu miissen geglaubt? Wir konnen uns heute, wo es uns gut scheint, uber
Regeln tonaler Beantwortung eines Fugenthemas hinwegsetzen, haben aber
kein Recht, unsere Ansichten hieriiber denen der Klassiker zu substituieren.
Im oben erwfihnten Falle war eine Anderung des Comes ganz besonders
unstatthaft, weil sie spatere Reperkussionen in der namlichen rhythmischen
Gestalt ganz unmotiviert erscheinen lassen muD.
Bulows Verfahren scheint mir hier daher eigenmachtiger als bei den
Oktaven-Verdoppelungen, die er einigen Rezitativ-Passagen in der voraus-
gehenden Phantasie hinzugefiigt hat. Diese sind zwar diskutabal, beriihren
aber schliefilich doch den Kern der Sache nicht. Wenn in Berlin fruher
irgend ein Geiger franzosischer Schule das E-dur Praludium von Bach noch
so ausgezeichnet, aber etwas mehr w sautill6* spielte als es die Joachimsche
Tradition will, so erklarten die dortigen Hochschul-Schfifchen natiirlich
sofort, w daB der keinen Bach verstiinde". Das groOe Geschrei, das
etliche Zionswachter wegen der oben erwahnten Oktaven-Verdoppelungen
erhoben haben, ist wirklich nicht viel verstSndiger als die verdammende
Kritik der in verba magistri schworenden Hochschulklasse.
Noch grofiere Rechte als in der chromatischen Phantasie von Bach
hat sich Bulow im „Momento capriccioso* von Weber angemaDt. Hier
verandert er nicht nur Lage und Harmonie mancher Akkorde, sondern
komponiert an einer Stelle zwei Takte hinein, die iibrigens wohl kaum
eine Verbesserung bedeuten.
n . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
MOSZKOWSKI: KRITISCHE NEUAUSGABEN VON MUSIKWERKEN
263
Gelegentlich finden sich auch in sonst sehr guten Ausgaben Ver-
Snderungen, die eine ganz fraglose Verschlechterung des Urtextes darstellen,
Warum schreibt Klindworth in Chopin's Terzen-Etude statt:
8va „
die linke Hand folgendermaCen:
i
In sehr raschem Tempo klingt beides ziemlich egal, aber in Chopin's
Notation ist die Harmonie reiner; es lag also kein Grund vor, sie zu
verschlechtern.
Sehr seltsam sind in Mozarts a-moll Rondo die Abweichungen einiger
modernen Ausgaben von den alten. Der Anfang des Mittelsatzee in A-dur
heiflt bei Riemann („Altmeister des Klavierspiels"):
N^^ ^ A ^
£=?:
3*
bei Kuhner (Edition Litolff):
n
^^Eii
Die meisten modernen Ausgaben aber haben dagegen:
13
m^m-H ^m
Und so lauten diese Takte auch in der altesten Ausgabe, deren ich
habhaft werden konnte. (Breitkopf & Hlrtel, Typendruckausgabe.) Riemann
und Kuhner mussen offenbar noch eine andere kennen, in der das Zeichen
ess nicht nach sondern uber der ersten Note steht. Aber dies wurde ich
dann unbedingt fur einen Druckfehler halten, und auOerdem wSre die
Verzierung dann sowohl von Riemann wie von Kuhner ungenau realisiert.
C 1
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
264
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
Kuhner verkehrt die Folge der Verzierungsnoten und Riemann gibt sie
rhythmisch inkorrekt wieder.
Noch sonderbarer ist Riemanns Notation der Trillerstelle in demselben
Stuck:
m — - fr
•■*~^++^>+*^^+*+^+^ ■*+>***■ +****■
die in seiner Ausgabe so aussieht
tr
■r^*r +■ ^ **++ * ■+■+■ +•■+■■* +-■+■■+ +^-^ +--^*- *■■+>+ *^+--*
ft C
$^^mȣm sm
Nach dieser Schreibart diirfte der erste Triller also nicht die Wechsel-
note c haben, sondern miiBte mit ais und h gemacht werden. Fur diese
Korrektur wird wohl kaum eine Rechtfertigung zu finden sein.
Dali ubrigens in bezug auf die Ausfuhrung des Trillers (namentlich
in alteren Werken) die Meinungen haufig auseinander gehen, ist ja eine
bekannte Tatsache. Man notierte ihn nicht immer auf die gleicbe Art
und findet zudem in den alteren Lehrbiichern verschiedene Anweisungen
iiber seine Ausfuhrung. Indessen herrschte friiher doch wohl ziemliche
Einstimmigkeit fiber einen Punkt: Der mit einer aufsteigenden Note
endende Triller bekam einen Nachschlag, und dies namentlich, wenn die
Note hoher als eine Sekunde stieg. (Die Regeln fur eine Folge von
mehreren Trillern lassen wir hier aus dem Spiel.) Heute wird von dieser
Vorschrift, und durchaus mit Unrecht, haufig abgewichen. So finden wir
z. B. in Heinrich Germers Schrift „Die musikalische Ornamentik* nach
einer etwas zusammenhangslosen Abhandlung iiber den Triller die folgende
Bemerkung:
,. tr
„Auch der Triller im Anfangsmotiv von Beethovens op. 96
ist am besten so zu interpretieren
i
— rf g -*-»-zi=£^=i=
oder
m
da erscheint er als verlangerter Pralltriller und stellt das Motiv kernig und bestitnrat
hin, wahrend ein Triller mit Nachschlag dasselbe weichlich und verschwommen
erscheinen laflt."
Diese Aussieht kann ich durchaus nicht teilen und finde im Gegenteil
die oben angegebene Triller-Ausfuhrung steif und unschon.
An einer anderen Stelle der namlichen Schrift sagt Germer:
„Wenn Beethoven im ersten Allegrosatze seines op. 2 No. 3 die getrillerte Note
ausgeschrieben so anwendet:
ni:j :i/fir! :v,C iUOQI'C
Uriqinal from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
MOSZKOWSKI: KRIT1SCHE NEUAUSGABEN VON MUSIKWERKEN
265
£t£n tz± **+± £■
so ist die gleiche Ausfuhrung bei der analogen Stelle in Mozarts B-dur Sonate:
tr tr tr
w * m
auch wohl gestattet."
Es besteht aber gar keine Analogie zwischen den beiden zitierten
Stellen, denn die erste davon ist uberhaupt kein Triller.
Eine ganz eigenartige Ansicht aber stellt Germer am SchluB seines
Kapitels iiber den Triller auf:
„SchIieBlich sei noch eines Trillers Efwahnung getan, von welctaem merk-
wurdigerweise offiziell nie die Rede ist, und der doch bei keinem Geringeren als
Beethoven eine sehr wichtige Rolle spielt. Es ist das der Triller mit der unteren
Wechselnote ohne Nachschlag. In seinen sSmtlichen- Konzerten pflegt er die
langeren Triller vor einem SatzabschlutJ mit demselben in rhythmisch ausgeschriebener
Form einzuleiten, und zwar bald mit der oberen, bald mit der unteren Note anfangend.
Als vorzuglicbe Studie dafur sei Variation IV der Kreutzer-Sonate empfohlen. Auch
im Finale von op. 35 hat Beethoven jedenfalis diesen Triller, als neben der Melodie
fortgehend, beabsichtigt. Er schreibt ihn nicht aus, sondern deutet ihn nur in Form
einer kleinen Vorschlagsnote an, was denn zu den wunderlichsten Interpretationen
seitens Uneingeweihter Veranlassung gegeben hat. Er mud so lauten:
*:
rfrrf sz&ss^^E
erst im funften Takte tritt der Triller mit der oberen Wechselnote ein und lautet von
da ab:
Die Vorschlagsnote a in Beethovens Notierung
h
-Vi^o—
tr tr
nimmt Germer also fur eine Anweisung, auch den Triller mit a und b zu
machen! Dies ist wohl die „wunderlichste aller Interpretationen", die dieser
Triller noch gefunden hat.
Es ist wirklich merkwiirdig, zu wieviel Irrtiimern eine scheinbar so
harmlose Verzierung wie der Triller von jeher AnlaC gegeben hat. Hier
z. B. noch ein anderer von allerdings nur geringer Bedeutung.
£ 1
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
266 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
In Beethovens D-dur Sonate (op. 10 No. 3) findet sich folgende Stelle:
m
pn
Die korrespondierenden Takte bei der Wiederholung in D-dur erfahren
bei Beethoven eine Abanderung in:
g
IXr-#— ^^=
tr
$EE^EE££gE$EEEl
Hier hat Beethoven, wie man sieht, den Triller-Nachschlag weg-
gelassen, und das offenbar, weil ihm der Triller dafur zu kurz erschien.
In den meisten modernen Ausgaben ist diese scheinbare Nachlassigkeit aber
w korrigiert a und der Nachschlag erganzt worden. GroB ist der dadurch
angerichtete Schaden allerdings auch nicht. Hingegen ist eine wirkliche
Nachlassigkeit Beethovenscher Notierung, namlich die in der bekannten,
viel zitierten Gruppetto-Stelle aus dem ersten Satz der C-dur Sonate op. 2,
jetzt endlich wohl definitiv richtig gestellt worden. Es mag ubrigens hier-
bei bemerkt werden, daB die an Beethovens Notierung festhaltenden
Pianisten regelmaBig den Fehler begehen, das Gruppetto mit der Hauptnote
zu beginnen, und solchergestalt aus dem Gruppetto ein Gruppo machen.
Noch in einer andern Sonate ist Beethovens Intention infolge einer
mangelhaften Notierung fast immer mifiverstanden worden, Wir meinen
damit den langen Triller im Adagio der Sonate op. Ill (zwolf Takte vor
dem Eintritt der Es-dur Vorzeichnung). Wahrend der Dauer von zwei Takten
verlangt Beethoven hier von der rechten Hand einen Doppeltriller, der
sehr unbequem liegt und daher gegen den vorausgehenden einfachen Triller
immer etwas lahm herauskommt.
Fiir eine Nachdruck-Ausgabe von A. Diabelli & Co. hat Beethoven
hier den Fingersatz von \ \ hinzugefiigt. Obgleich es nun auch moglich
ist, diesen Fingersatz so zu verstehen, daB c b 8 mit J und " mit J genommen
werden soil, so erscheint es doch fast zweifellos, daB Beethoven einen
Triller von |} und *J gemeint hat, weil dieser nfimlich nicht nur viel leichter
auszufuhren ist, sondern auch unvergleichlich besser klingt. Hugo Riemann
gebuhrt die Anerkennung, dieses Kolumbus-Ei der klavierspielenden Welt
prMsentiert zu haben.
n . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v , i n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
MOSZKOWSKI: KRITISCHE NEUAUSGABEN VON MUSIKWERKEN 267
Zu den so iiberaus zahlreichen und gar nicht genug zu schatzenden
Verdiensten des in alien Zweigen der Musikwissenschaft hervorragenden
Mannes muO man auch dasjenige rechnen, eine Ausgabe der Beethoven-
schen Klaviersonaten verfafit zu haben, die nach einer gewissen Richtung
als aufierst wertvoll bezeichnet werden darf. Riemann hat auf diese Arbeit
eine auBerordentliche Sorgfalt verwendet, den Text genau revidiert, mit Vor-
tragsbezeichnungen bereichert und mit vielen nutzlichen und feinsinnigen
Anmerkungen ausgestattet. Selbstverstandlich hat er auch alle jene sinn-
losen Phrasierungszeichen, die eine Routine friiherer Zeiten in der musi-
kalischen Notation eingeburgert hatte, ganz radikal ausgemerzt. Ob aber
seine eigenen Phrasierungsprinzipien in ihrer Totalitat eine bleibende
Geltung erlangen werden, daruber herrscht heute noch bei den urteils-
fahigen Musikern groOe Meinungsverschiedenheit. Unter den Theoretikern
zahlt Riemann bereits sehr viele, unter den praktischen Tonkunstlern aber
relativ nur wenige Anhdnger. Ich personlich vermag ihm bei den letzten
Konsequenzen, die er aus seiner Theorie der „Anakrusis a , dem Leitmotiv
seines Lebens, zieht, nicht immer zu folgen. So kann ich z. B. im ersten
Teile der Beethovenschen Sonate op. 7 nicht die Struktur erkennen, die
Riemann durch seine Phrasierungsbezeichnung (und auch in einem seiner
Aufsfitze) klarzulegen sucht. Ebensowenig werde ich im ersten Satz der
d-moll Sonate op. 31 seinem Legatobogen folgen und die chromatische
Passage des zwanzigsten Taktes in den einundzwanzigsten einmunden lassen,
ohne einen rhythmischen Einschnitt zu machen. 1 ) Im zweiten Satz der
Fis-dur Sonate werde ich fortfahren, so zu lesen, wie nach Riemann nicht
gelesen werden darf, wogegen ich z. B. andererseits mit seiner Umstellung
der Taktstriche in den Sonaten op. 27 No. 1 und op. Ill durchaus ein-
verstanden bin.
DaB Riemann iibrigens die Struktur Beethovenscher Themen nicht
immer so auffaflt, wie der Komponist selbst es unzweifelhaft getan hat,
kann man aus seinem Aufsatze „Was ist ein Motiv? a entnehmen. Er
demonstriert an zwei Beispielen, der Leonoren-Ouverture und dem Scherzo
aus der Neunten Symphonie, daB Beethoven hier seine Motive in einer
Weise verarbeitet, die, vom Standpunkte der modernen Phraseologie aus
betrachtet, ihrer Struktur durchaus nicht entspricht. Riemann sagt nun
nicht etwa, daB Beethoven irgend etwas hatte anders machen sollen, kon-
statiert aber einen Widerstreit zwischen dem Rhythmiker und dem Kom-
positionspraktiker und ruft schliefllich aus: „Wer hat recht?"
*) Handelte es sich urn ein Orchesterstuck, so lage die Sactae anders. Der
D-moll Akkord im 21. Takt wurde alsdann durch den Hinzutritt neuer Instrumente
in genugender Weise abgegrenzt werden. Der Klavierspieler, dem das Hilfsmittel der
Klangfarben-Verschiedenheit nicht zur Verfugung steht, muB seine Zuflucht zu einer
Interpunktionswirkung nehmen.
n . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
268
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
Mein Gott, da aus den theoretisch falsch entwickelten Motiven schliefi-
lich zwei Meisterwerke entstanden sind, so wird man wohl sagen miissen,
daD Beethoven recht batte. Die ganze Sache aber erinnert stark an einen
Bericht, des osterreichischen Generals Alvinczy, der nach einer gegen
Bonaparte verlorenen Schlacht an den Kriegsrat in Wien berichtete, daD
Bonaparte ihn zwar besiegt habe, aber gegen alle Regeln der
Strategie.
DaD ich trotz meiner hier dargelegten Einschrankungen ein sehr auf-
richtiger Bewunderer Riemanns bin, mochte ich ubrigens eindringlich be-
tonen. Einen Hang zur Ubertreibung aber finde ich sowohl in seinen
theoretischen Schriften wie auch in seinen mit gar zu viel Vortrags- und
Phrasierungszeichen beladenen Ausgaben und ganz besonders in seinen
Fingersatzen. Wenn ich in Bezug auf die letzteren von Ubertreibung rede,
so meine ich darait, daD er die modernen, hauptsachlich von Bulow, Tausig
und Klindworth aufgestellten Prinzipien bis in die auOersten Konsequenzen
verfolgt, was dann zu einer ganz nutzlos erschwerten Kopf- und Finger-
arbeit fiihrt.
Ich greife zur Erlauterung des eben Gesagten einige Takte aus Beet-
hovens F-dur Sonate (op. 10 No. 2) mit Riemannschem Fingersatz heraus:
Ich glaube kaum, daD viele Klavierspieler ihn adoptieren werden.
Die Veroffentlichung der Riemannschen Ausgabe fallt in das Jahr 1884,
also in eine Zeit, in der, wenigstens in Deutschland, der Fingerwechsel
bei Tonwiederholungen in hochster Bliite stand. Seitdem hat Klindworth
bereits etwas eingelenkt, und Bulow gestand mir einmal offen zu, daD er
nur durch die meist mangelhafte Repetitionsmechanik der fruheren Klaviere
zu einem so ubertrieben haufigen Fingerwechsel gedrangt worden sei. Ich
glaube ubrigens, daD er sich diese Motivierung erst spater zurecht-
gelegt hat, denn auch bei schlechten Klavieren erleichtert der Finger-
wechsel nicht immer die Repetition. Eugen d'Albert zeigt sich nach dieser
Richtung hin in seiner Beethoven-Ausgabe als scharfer Reaktiondr, ist aber
im ubrigen fur einen so grofien Virtuosen im Fingersatz nicht gerade er-
finderisch.
Formulieren wir nun nach dieser kleinen Abschweifung auf ein Spe-
£ 1
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
MOSZKOWSKI: KRITISCHE NEUAUSGABEN VON MUSIKWERKEN 269
zialgebiet eine Konklusion des Ganzen. Sie lautet so, daO wir gegenwartig
von den Klavierkompositionen aller verlagsfreien groBen Komponisten eine
stattliche Anzahl von Ausgaben besitzen, die zum groBen Teil sehr ruh-
menswert sind, das Verstandnis dieser Werke auBerordentlich fordern helfen
und ihr Studium wesentlich erleichtern. Andererseits aber wird durch
diese manchmal sehr individuell gefarbten Ausgaben auch eine Gefahr ber-
vorgerufen, namlich die, daO die klavierspielende Welt nach und nach den
direkten Kontakt mit dem Originalbild der betreffenden Kompositionen
verliert und die Intentionen des Herausgebers von denen der Komponisten
nicht mehr zu unterscheiden vermag. Es sollte daher mit alien Mitteln
darauf hingewirkt werden, dafi dem Musiktreibenden immer die Moglich-
keit einer Vergleichung mit dem Original offen bleibe, und dies ist natur-
lich nur dadurch zu erreichen, daO man die altesten Ausgaben immer
wieder in Neudruck erscheinen 12Bt. Geschieht dies nicht, so wird schlieB-
lich nur der in Bibliotheken stobernde Musikforscher den Urtext unserer
musikalischen Klassiker kennen, das groCe Publikum aber manchmal wahre
Palimpseste in die Hand bekommen.
Also B videant consules! a
Copyright in America 1912 by Theodore Presser
( \ * £\oIf Original from
i.j:;j Men :;»y v ii h ),ll UNIVERSITYOF MICH
GRETRY
(f AM 24. SEPTEMBER 1813)
Von HENRI DE CURZON IN PARIS 1 )
Grfctry ist unter den Musikern der Dichter der Ausdruckswahrheit.
Zu seiner Zeit nahm er deshalb unter den fur das Theater
schaffenden Meistern eine hohere, etwas isolierte Stellung ein.
Darin ist der eigentliche Kern seiner Urspriinglichkeit zu suchen. Er ist
wahr, einfach und hat den Sinn fur die Poesie der Dinge. Sein Urteil ist das
eines Realisten, sein Verstand der eines Wegbahners, seine lachelnde, ein
wenig unbekiimmerte Phantasie die eines Dichters. Ohne eigentlich auf
dem Theater und auf dem Sondergebiet der komischen Oper und des
musikalischen Lustspiels, wo bereits das Bediirfnis nach Wahrhaftigkeit
und Folgerichtigkeit den Ausdruck regelte, eine Umwalzung herbeizufuhren,
verlieh er dieser Darstellung der einfachsten Dinge auf dem Theater
einen neuen, vorher nicht gekannten verfiihrerischen Reiz. Man war ent-
ziickt, bei so wenig Aufwand von Gesuchtheit und Gelehrsamkeit so gar
nichts von Theaterkonvention zu finden und bei allem Realismus einer so
feinen Abstufung des Empfindens, einer so lebendigen Abwechslung der
Bilder, einer so naturlichen Anmut zu begegnen.
Dieser Folgerichtigkeit des musikalischen Ausdrucks, dieser Natur-
lichkeit der Sprache verdankte Gr6try den glanzenden Erfolg, der ihm
von seinen ersten Werken an zuteil wurde. Mit dieser Poesie der Wahr-
heit bezauberte er sogleich Deutschland. Es ist sicherlich nicht ohne
Interesse, hier daran zu erinnern, dafi der Kurfiirst von Koln seit dem
Jahre 1771 an seinem Theater in Bonn, wo er damals Hof hielt, der Reihe
nach acht in Paris mit ganz auDerordentlichem Erfolg gegebene Gr6try'sche
Werke auffuhren lieC; daC besondersbei „SiIvain a derGroBvater und der Vater
Beethovens mitwirkten, und daO Beethoven selbst in seiner Eigenschaft
als Akkompagnist am Theater seine junge Einbildungskraft am GrStry'schen
Repertoire befruchtete. Es sei ferner das lobende Urteil des Kritikers
Forkel vom Jahre 1782 angefiihrt: „in alien Werken Gr6try's findet sich
eine wahrhaftige Deklamation, der er immer eine melodische Wendung zu
verleihen versteht." Es ware endlich schwierig, iiber das Genie Gr6try's
ein entscheidenderes Urteil zu finden, als das von Weber im Jahre 1817
(in seinen dramatisch-musikalischen Notizen iiber Dresdener Erstauf-
fiihrungen) abgegebene:
„Vielleicht ist Gr6try der einzige der in Frankreich erbluhten Komponisten,
der bedeutend lyrischen, ja sogar oft romantiscben Sinn hatte. Die mitunter wirklich
ruhrende Unschuld seiner Melodieen, deren Rhytbmen sich immer nach dem Be-
2 ) Autorisierte Ubersetzung aus dem Manuskript von Willy Rem in Berlin-
Schoneberg.
rv . , ( \>ooLf Original from
i i:u j,.ul! :»y v ii ju^jv UNIVERSITY OF MICHIGAN
CURZON: GRfeTRY 271
durfnisse des Augenblicks und nicht nach festgestellten Formen richteten und er-
zeugten, sind vergeblich zu erreichen versucht worden . . .*
So kdnnen wir uns jetzt bereits iiber die Stellung Gr6try's in der
Entwickelung der dramatischen Musik Rechenschaft geben. Diese Stellung
ist viel bedeutender, seine Aufgabe war viel notwendiger, als man ge-
meinhin annimmt. Zugegeben, sein Name fuhrt uns eine reizende, liebens-
wurdige Zeit ins Gedachtnis, etwas naiv im Geschmack und im Ausdruck,
deren Ziige sich langst verwischt baben und fast nur noch geschichtlichen
Wert besitzen. Und zweifellos ist Gr6try ein echtes Kind jener Zeit; er
verkorpert sie in seiner ganzen Erfindungsfrische und in seinem Bediirfnis
nach szenischer Wahrheit. Aber bei naherem Studium zeugen seine Werke
und seine theoretischen Gedanken von einer Unabhangigkeit und einer Kraft,
die ihn in Wirklichkeit als einen Vorbereiter erscheinen lassen. Sie fesseln
nicht bloB auch noch heute unseren modernen, anspruchsvoller gewordenen
Geist, sondern ihr Beispiel kann fur uns nach wie vor niitzlich und frucht-
bar sein. Man muB Gr6try seinen Rang unter den Meistern der Tonkunst
anweisen, die dem Modegeschmack entriickt sind, aus dem einfachen Grunde,
weil ihre Kunstlehre durch die Zeit nichts verliert. Er hat im iibrigen,
was ziemlich selten ist, diese seine Lehre selbst schriftlich niedergelegt.
Seine musikalischen Schopfungen werden durch seine Vorschriften gestiitzt,
und diese erstrecken sich sogar noch weiter und nehmen einen hoheren
Flug als jene. Er liefert Beispiele, aber er gibt sich iiber die inneren
Beweggrunde seines kiinstlerischen SchafTens und iiber seine Gedanken
Rechenschaft und formuliert sie zu Grundsatzen. Um in der Geschichte
der dramatischen Musik ein Analogon zu finden, muB man bis zu Richard
Wagner vordringen; wir werden, nebenbei bemerkt, sehen, daB ein solcher
Vergleich durchaus begrundet ist: auf dem engen Gebiet, auf das sich
Gr6try's Streben beschrSnkte, entwickelt er eine Anschauung von der
.musikalischen Handlung", die vdllig modern anmutet.
Das kommt daher, daB er eine wahre Leidenschaft fiir die melodische
Wahrheit besaB, und daB zu seiner Zeit niemand uber einen solch klaren
Blick verfiigte. Von sich aus, ohne jeden Vorganger, hat er sich zu ihr durch-
gerungen. Das Studium der alten italienischen Meister offnete ihm zuerst
die Augen; das Beispiel der ersten franzosischen Musiker, die diesen Weg
einschlugen, stachelte dann seinen Wetteifer an; schlieBlich hat er auf
Grund eigener Beobachtungen, allein, vollig unabhangig einen Aufschwung
zu eigenem Leben, zu individueller Freiheit genommen. Seltsam — dieser
Aufschwung und diese Selbstandigkeit hangen vielleicht mit einem Mangel,
einer Liicke in seiner Bildung zusammen, deren er sich selber wohl be-
wuflt war: seine Kenntnis des rein Handwerklichen, der technischen Grund-
lage seiner Kunst war sehr schwach. Aber war Gr6try auch nicht ge-
lehrt, so besaB er dafiir ein ungemein entwickeltes Empfindungsvermogen,
rv . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
272 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
dessen immer wahre, schlichte Einfalt urn so beredter wirkte, um so
ruhrender, wie Weber sagt.
Seine Melodie, ob vokal oder instrumental, ist aktiv, lebendig, immer
auf den Biihnenvorgang gerichtet, in fortwahrender Ubereinstimmung mit
der Handlung und den Charakteren; abwechslungsreich und geschmeidig
paflt sie sich allem an und durchdringt alles. Seine geniale Begabung
ist aus Unmittelbarkeit und Beobachtung zusammengesetzt; letztere uber-
wacht erstere. Und diese im Grunde so seltene Mischung von Realem
und Ideellem, dieses genaue Gleichgewicht zwischen den verschiedenen
Elementen des Kunstwerkes, diese harmonische Anmut in der Klarheit
und Deutlichkeit der Gedanken sind so kostbare Eigenschaften, daD sie ge-
niigen, Gr6try einen Platz unter den GroBmeistern der Buhne anzuweisen.
Um seine ganze Urspriinglichkeit zu verstehen und sich ihrer Be-
deutung bewuCt zu werden, muD man zunachst einmal seine musikalischen
Werke selbst betrachten, sodann, aber mit nicht geringerer Aufmerksam-
keit, seine theoretischen Ausfiihrungen studieren, die besser als jede
kritische Erorterung die Grundziige und Konsequenzen seines kunstlerischen
Schaffens darlegen. Das will ich im folgenden der Reihe nach tun.
Andr6 Ernest Modeste Gr6try ist am 11. Februar 1741 in Luttich
geboren, in bescheidenem Milieu, das ihm jedoch Geschmack an der
Musik und praktische Ubung darin beizubringen geeignet war. Sein
Vater war Violinist an einer Kirche; natiirlich tat der Junge als Chorknabe
seine ersten Schritte ins musikalische Leben. Aber der vonibergehende
Aufenthalt einer italienischen Truppe erfullte ihn mit einer glfinzenden
Hoffnung: er wollte schreiben, Opern komponieren. Bald darauf, im Alter von
18 Jahren, beschloB er, sich an der Quelle selbst zu unterrichten: er
reiste nach Italien, und zwar zu FuC. Die Schilderung dieser Reise, auf
der ihm ein junger Student der Chirurgie als Genosse und ein alter
Schmuggler aus seiner Heimat als Fuhrer diente, stellt eines der an-
ziehendsten Kapitel seiner im Greisenalter verfaOten Memoiren dar. Bei
dieser Romfahrt stiirzte sich Gr6try ubrigens nicht ganz ins Ungewisse,
Es gab dort ein Liitticher Kolleg, das auf die Dauer von funf Jahren
zwanzig junge Kunstbefltssene aufnahm, ohne sich ubrigens um ihre Studien
zu bekummern: jeder muCte sich selbst den Weg suchen, der fur ihn
der geeignetste war. Gr6try fand im Anfang keinen und probierte allerlei.
Aber eines Tages begegnete er, wie spater Mozart, in Bologna dem ge-
lehrten, vaterlichen P. Martini, dem einzigen Vertreter einer groOen Tradition
und tiefer Ehrfurcht vor der Kunst. Bei ihm empfing Gr6try den ersten
Unterricht. Das Studium Pergolese's bedeutete den zweiten. Das Theater
zog ihn im ubrigen ausschlieOlich an, und sein erster, von 1766 datierender
Versuch war ein italienisches Intermezzo. Aber erst das Studium der
n . , ( \>ooLf Original from
i i:u j,.ul! :»y v iin ) , li UNIVERSITY OF MICHIGAN
CURZON: GRfeTRY 273
reizenden Partitur w Rose et Colas" von Monsigny entschied tatsichlich
iiber seine Zukunft. Entschlossen, alles daranzusetzen, urn selbst auf
■diesem Weg der komiscben Oper fortzuschreiten, lehnte er den ihm von
Luttich angebotenen Posten eines Kantors ab und wahlte, anstatt in sein
Vaterland zuruckzukehren, Paris zu seiner neuen Heimat.
Er liefl sich dort im Sommer 1767 nieder. Die ersten Zeiten waren
ziemlich enttauschend, wie es aus Mangel an Beziehungen und Ver-
bindungen meist der Fall zu sein pflegt. Indessen lieflen ihn das Wohl-
wollen, das ihm Philidor, einer der originellsten Meister der Zeit, und
•die gluckliche Bekanntschaft mit dem Textdichter Marmontel bald bekannt
werden. „Der Hurone", seine erste Oper (1768), nach einem Voltaire'schen
Sujet, wurde ein richtiger Modeerfolg. Ich sprach schon von der Uber-
raschung, die der neue, abwechslungs- und farbenreiche Stil des jungen,
tags zuvor noch unbekannten Musikers hervorrief: er setzte im Anfang die
Orchestermitglieder bei den Proben auOer Fassung. Aber indem Gr6try seine
Beobachtungen erweiterte und sie auf verschiedengeartete Stoffe anwandte,
gluckte es ihm sehr bald, auf dem beschrittenen Wege vorwartszukommen.
.Lucile" (1769), „ein tugendhaftes und ehrbares Gemalde der ehelichen
Sitten" (in dem sich das beruhmte Quartett findet w Ou peut-on fitre
jnieux qu'au sein de sa famiHe?") war von auBerordentlicher Wirkung
auf die Gemiiter, und zwar nicht bloC im Theater, sondern auch im
hauslichen Leben. In musikalischer Hinsicht war es indessen „Das
sprechende Gemalde" (1769), das zum erstenmal die ganze Unmittelbar-
keit und Eigenart des Gr6try'schen Talents, zugleich den Schwung und die
Schmiegsamkeit seiner genialen Beanlagung oflfenbarte. Er hatte das
Stuck, wie er uns selber erzahlt, in freudiger Stimmung, lachend und
tanzend niedergeschrieben; die Nach welt lacht und tanzt noch immer
mit ihm, wenn sie es hort, denn diese entziickende kleine Komodie h<
sich noch auf dem Spielplan. Und in der Tat, wie glucklich weifi Gr6try
unter Benutzung des eigenen lautlichen Klanges der Textworte ihren Sinn
jnusikalisch auszudeuten und zu betonen, in der Wahl der Instrumente, im
Rhythmus wie in den Gesangstimmen! Welches Stilgefuhl den Personen und
der Handlung gegenuber und welcher Sinn fur das Malerische! Welch feiner
lronie zwischen Colombine und Cassandra, welch prickelnde Leichtigkeit
^wischen Colombine und Pierrot, welche Anmut und welcher Geschmack
bei Isabelle!
Im Gegensatz dazu erinnerte w Silvain* (1770) an „Lucile a , aber
der Ausdruck ist hier erheblich gesteigert, das Empfinden echt dramatisch,
die Wirkung rein und ergreifend infolge innerer Wahrhafiigkeit. Das
Duett „Dans le sein d'un pdre" zwischen Silvain und seiner jungen Gattin
Helene kann als Musterbeispiel wahren Ausdrucks auf der Biihne
gelten. B Die beiden Geizigen" (1770) brachten dann den dargestellten
XIII. 5. 18
( YiooLr- Original from
nj:i yy v iwu^u UNIVERSITY OF MICHIGAN
274 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
Personen ganz entgegengesetzte Empfindungen in originellster Art, aber urn
sie in Buffomanier zu verspotten, auf die Biibne. Es gibt da in harmonischer
Hinsicht phantastische Einfalle (wie z. B. die murrisch-zankische, fiebernde
Begleitung der Arie des alten Geizigen und die Nachahmung der lauernden,
kratzenden und bin und berrennenden Maus), die einfach genial sind.
Ich kann hier nicht alle folgenden Opern aufzahlen. Aber ich er-
wahne nebenbei „Zemire und Azor" (1771), eines der bedeutendsten
und bemerkenswertesten (und ungerechterweise heute ganz und gar ver-
gessenen) Werke Gr6try's. Nirgends auch nur der geringste VerstoB gegen
den Gescbmack; unmittelbar aus der Situation flieDende Komik im Verein mit
reinem Empfinden; jede Person durch das Orchester wie durch denGesangin
ihrem individuellen Charakter gezeichnet. Man kann nicht geistvoller die
naive Furcht und die drollige gute Laune Alis schildern, nicht reiner Zemirens
kindliche Ergebenheit, nicht iiberzeugender den Schmerz ihres Vaters.
Betrachten wir noch den „Hausfreund a (1772), voll feiner, delikater
Heiterkeit, und den .Prachtigen" (1773), mit dem beriihmten Rosen-
terzett. Es handelt sich darum, stumme Gefuhle zu tonendem Leben zu er-
wecken, da der „Prachtige" Clementine nur unter der Bedingung sehen darf,
daO das junge Madchen kein Wort redet: die Rose, die sie in der Hand halt,
muB fiir sie sprechen, und musikalisch laBt sich keine bessere Aus-
deutung dieser kleinen Handlung denken, bei der selbst das Schweigen
beredt ist. Da ist ferner „Das Rosenmadchen von Salency" (1774),
in dem GrStry die Eindriicke der Natur und der in ihr Lebenden aufs
gliicklichste vermittelt. Eine Erzahlung von Sturm und Wogengebraus
(„De ma barque 16gfcre . . .*) ist wegen der geschmackvollen Verwendung
ihrer schildernden Ziige lange Zeit beriihmt gewesen. Dann „Die
falsche Magie" (1775), in der ein paar Duette in rhythmischer Hinsicht
wahre Muster beschwingter Feinheit darstellen.
Zu den anziehendsten Partituren GrStry's gehoren ferner „Das Urteil
des Midas* (1778) mit seiner feinen Verspottung der herkommlichen
Opernarie und „Der eifersuchtige Liebhaber" (1778), der noch groCeres
Gliick machte. Das Werk ist eine wirkliche lyrische Komodie voll neuer
Einfalle. Ensemblestiicke, Dialoge kennzeichnen die verschiedenartigen
Empfindungen der Personen in ganz moderner Weise. Die Verlegenheit
einer sich in ihrer Erzahlung verhaspelnden Person wird in genialster Weise
durch die Verwirrung der von ihr zu singenden Melodie wiedergegeben.
„Die unvorhergesehenen Ereignisse" (1779), w Aucassin und Nico-
lette" (1779), w Andromache a (1780) hatten wenigerGliick, aber B Colinette
bei Hofe u (1782), „Die Karawane von Kairo a (1783), „Panurge* (1785>
erzielten dafiir, dank ihrer malerischen Farbigkeit, einen ihren eigentlichen
Wert erheblich iiberragenden Erfolg.
„Die Dorfprobe" (1784) und ^Richard Lowenherz 8 (1784) be-
C^riot^Ii- Original from
U:;j Men :;»y v it h ),ll UNIVERSITYOF MICH
CURZON: GRfeTRY 275
zeichnen den Gipfel von Gr6try's Talent und Ruhm. Das erste der
beiden Werke, die eigentlich nie vom Spielplan batten verschwinden durfen,
ist ein Bauernstiick, ebenso echt im Ton wie geistreich in der Idee. Das
zweite erhebt sicb von feinster, lieblichster Anmut zum begeistertsten
romantischen Schwung, und zwar immer mit einfachen, klaren und natiir-
licben Mitteln; einzig die Wahrheit des dramatischen Ausdrucks bedingt
die musikalische Illustration. Die Wiederkehr des melodiscben Motivs
v Une fifcvre brulante" z. B. ist durch die Handlung selbst gerechtfertigt.
Von dieser Zeit an begann GrStry's Schaffenskraft zu ermtiden; er
fand blofl gelegentlicb seine frische Unmittelbarkeit wieder. Als seiner wurdig
kann man nur noch nennen: „Der Graf von Albert" (1786), dessen
dramatischer Stoff es ibm angetan hatte, und seine in vollem komischen
Gegensatz dazu stehende Fortsetzung („Suite a ) vom Jahre 1787; „Raoul
Blaubart" (1789), in dem sicb wiederum durch die folgerichtige Ent-
wickelung der handelnden Personen charakterisierte Szenen finden, in deren
Anlage und Durchfuhrung Gr6try sich auszeicbnet; B Wilhelm Tell" (1791),
den er mit schweizerischen Volksweisen und mit einem alpinen Kolorit
ausstattete; endlich „Anacreon" (1797), der einzige Erfolg der Pariser
Oper wahrend der Revolution, in dem der ganze jugendfrische melodische
Reiz des Kiinstlers auf so mancher Partiturseite noch einmal aufbluht.
Zu dieser Zeit lebte Gr6try bereits als Philosoph. Er hatte sich
nach der „Eremitage" im Tal von Montmorency, wo Jean-Jacques Rousseau
gestorben war, zuriickgezogen. Dort hing er seinen Ideen nach, dort
schrieb er seine Memoiren und noch zahlreiche andere, weniger interessante
„Gedanken eines Einsiedlers". Hochbetagt, voll innerer Ruhe, umgeben
von einmiitigen Sympathieen, verschied er, gerade vor einem Jahrhundert,
am 24. September 1813.
* *
Seine Memoiren batten einen sehr groGen Erfolg beim Publikum und
hinterlieDen einen tiefen Eindruck bei den Musikern. Ob wohl jemand eine
Ahnung davon hatte, wie weit ihre Tragkraft, ihre Bedeutung fur die Ent-
wickelung der Kunst die der Werke ubersteigt, die gewissermaflen zum Vorwand
gedient haben? Diese Werke selbst, so vollendet sie in ihrer Art sind, gehoren
einer langst vergangenen Zeit an und bedienen sich langst iiberholter MitteL
Gr6 try's theoretische Gedanken dagegen stehen in gewisser Beziehung auDer-
halb der Zeit und iibersteigen im iibrigen seine Krfifte, wie sein Scharfblick
hinsichtlich des Ideals der dramatischen Musik seine Fahigkeiten, zu dem
ersehnten Ziel zu gelangen, iibertraf. Die Nachwelt erst sollte sich dessen
bewufit werden, daO hier ein grofier Geist ganz schlicht und unabhangig
zu der Einsicht gekommen war, in welchem Sinne es vorwarts gehen musse,
daC ihm diese Einsicht vor jedermann gekommen war, und daO er es sogar
voraussah, fiir lange Zeit weder auf Nachfolge noch auf Verstandnis rechnen
18*
n . , f Y^\oLr- Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
276 DIE MUSIK XIII, 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
zu diirfen. Wenn er fiir die Reform besser gerustet gewesen ware, wenn
er theoretisches Wissen und Konnen mit Flug der Phantasie, schopferische
Kraft mit gesundem Menschenverstand in seiner Person vereinigt hatte,
ebenso CharakterPestigkeit, und wenn er schlieOlich in seinen musikalischen
Lustspielen sich jedes Wettbewerbs mit Fremdem hStte enthalten konnen,
so ware Grdtry in Wahrheit der Richard Wagner der komischen Oper
geworden.
Horen wir ihm einmal zu:
„Die Musik ist Unsinn, wenn der OrchesterlSrm das deutliche Verstehen der
Textworte verhindert; sie ist Unsinn, wenn sie eitle Gelehrsamkeit auskramt; sie ist
Unsinn, wenn sie durch Verswiederholung eine Empfindung, eine Situation fiber Ge-
buhr ausdehnt; sie ist Unsinn, wenn sie nicbt jede Person des Stuckes in der ihr
zukommenden Sprache reden ISQt; sie ist Unsinn, wenn sie sich mehr bervortut, als
es die bandelnde Person oder die Situation erfordern; sie ist scblieOlich Unsinn, wenn
sie sich nicht in so volliger Obereinstimmung mit der Dichtung befindet, dafi man
sozusagen den Musiker vom Dichter nicht unterscbeiden kann." „Jawohl, ich wage
eine nochmalige Revolution in der Musik vorauszusagen, und sie ist gar nicht so
fern . . . Freilich sind wir noch weit von dem von uns alien ersehnten Ziel entfernt
Solange man nach dem Anhoren einer Oper sagt ,Die Musik hat den Erfolg gemacht*,
solange kritisiert man mebr den Musiker als den Dichter, oder der Erfolg, von dem
man spricbt, ist nicbt dramatiscber Natur, sondern er ist der gleiche, den der Musiker
in einem Konzert davontrftgt . . ." „Die Vokalmusik wird niemals vollendet sein,
wenn sie nicht die wahren Akzente des Wortes kopiert; ohne diese Eigenschaft bat
sie lediglich symphoniscben Charakter . . ." „Die Geheimnisse der Kunst beruben
lediglich in der richtigen Deklamation . .." „Der Kunstler kann nur durch das Studium
des Menschen, seiner Sitten und Leidenschaften — wobei er diese nicht vermengen
darf, sondern die kennzeichnenden unterscheidenden Merkmale auseinanderhalten mull
— zum Ausdruck des Wahren gelangen . . ." „LaBt uns stark in der Wahrheit sein;
das Orchester wird uns immer nach Wunsch dienen . . ."
Wie Gluck, wie iibrigens alle seine Vorlaufer auf musikdramatischem
Gebiet, stellie Gr6tiy die Gesetze des Lebens und des Fuhlens fiber die
des Wissens, iiber festgesetzte Regeln. Er forderte Handlung an Stelle
bloDer Musik, Eingebung an Stelle des MiCbrauchs des Wissens. Er stellte
die Melodie iiher die Harmonic lch habe ihn deshalb auch in die Nahe
Wagners geriickt. Sehen wir einmal genauer zu: Diese von Gr6try immer
wieder geforderte Vorherrschaft der Melodie in der dramatischen Musik,
auf der er alien gegnerischen Auslassungen gegeniiber unter Zuhilfenahme
ebenso richtiger wie genialer Beweise bestand — im Instrumentalen wie
im Vokalen — , muB man bei ihr nicht an den Kunstler denken, der,
haufig mit analogen Ausdrucken, ihre Notwendigkeit fiir die Entfaltung
jedes musikalischen Organismus mit wundervoller Energie verkundete, und
der veisicherte, ohne sie „sei nichts und werde nichts sein konnen-?
Gr6try bebafi nicht die Kraft, aus dem Orchester das zu machen, was
sich seiner ahnenden GewiBheit nach daraus machen lieO, und uberdies
zeigten ihm die Beispiele, die er vor Augen hatte, selbst das Glucks, bei
n . , ( \>ooLf Original from
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CURZON: GRfeTRY 277
genialen Ideen im Grunde nur zogernde, tastende Versuche. Mozart kannte er
nicht, und der von ihm aufs hochste bewunderte Haydn war in seinen Augen
unvollkommen, weil er die Fulle seiner Eingebungen nach der Seite des
Ausdrucks hin nicht hatte handelnden Charakteren und Personen zugute
kommen lassen. Aber Gr6try war durch Nachdenken zu der Oberzeugung
gefiihrt worden, dafi die konventionelle oder vom Text unabhangige Be-
gleitung sich erkaltend auf den schonsten Gesang lege und dafi das zu
erreichende Ziel in einer gleichberechtigten Beredsamkeit von Orchester und
Gesang bestehe. Die Musik — stellte er einmal als Grundsatz auf — mufi
singen, sie mufi mit den Stimmen singen, mit der Begleitung, wenn sie kann,
aber dann unter der Bedingung, dafi diese „ebenfalls inspiriert ist und nicht
das Resultat gewaltsamer Arbeit". Wenn Wagner erklart, jeder Takt
eines musikdramatischen Werkes habe nur dann Berechtigung, falls er
etwas von der Handlung ausdrucke oder vom Charakter des Handelnden,
sagt er damit etwas anderes, als Gr6try wahrend seines ganzen Lebens
instinktiv gefiihlt und mit Beispiel und Lehre verfochten hat?
„Nutzlose Schonheit ist schadliche Schonheit." Ein wahrhaft lapidares,
eines Meisters wiirdiges Wort! „Eine Einzelheit an falscher Stelle, und
ware sie an sich noch so entzuckend, ist immer ein Widersinn . . ." »Der
Geist, den man in der Musik aufbringen will, verdirbt oft den, den man
bereits in den Textworten hat . . ." Anders gesagt: Wahrheit, selbst auf
Kosten der Wirkung. Und keine „Manier a , denn sie entspringt „An-
strengungen, die man gemacht hat, um die mangelnde natiirliche Be-
gabung zu ersetzen.* GrStry zieht deshalb „eine mittelmafiige natiirliche
Anlage einer guten Manier" vor. Aus diesem Grund wandte er sich
auch gegen die iibertriebene Schatzung theoretischen Wissens. Und zwar
nicht etwa, um sich selbst wegen seiner Schwache in dieser Beziehung
zu rechtfertigen. Er wufite sehr wohl, daO er vom Handwerk nicht all-
zuviel verstand, dafi er ofters Fehler machte; aber er war sich auch klar
dariiber, dafi er bei dem Streben, solche zu vermeiden, seine natiirliche
Begabung der Gefahr der Versteinerung ausgesetzt hatte. Er erkannte, dafi
„der inspirierte Kiinstler zuweilen auf das Wissen verzichten kann, aber
haufig tauscht er sich auch: er hat keinen Charakter, weil er keine
Grundsatze hat". Indessen fiigt er hinzu: „Die Wissenschaft kann nur
eine Definition haben: das Studium der Natur; sobald sie sich davon ent-
fernt, so ist, wir wollen es kecklich sagen, dieseWissenschaft ein Mifibrauch".
Auf jeder Seite der Gr6try'schen Memoiren begegnen wir Grundsatzen,
die noch nach 50 Jahren fur revolutionar gegolten hatten; einen so weiten,
fur die damalige Zeit ungeahnten Horizont eroffnen sie fur die Zukunft
der Kunst. Die Ubereinstimmung des musikalischen Ausdrucks mit der
Situation und den Personen; die gegenseitige innere Durchdringung von
Musik und Dichtung; das Verwerfen jeder leeren Wortwiederholung; das
n . , f Y^\oLr- Original from
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278 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
Suchen nach charakteristischcn Motiven fiir die auf die Biihne gestellten
Typen; die richtige Deklamation, die einer graziosen, aber falschen Wendung
vorgezogen wird; der Gedanke, daB der dichterische Vorwurf des Dramas
notwendig die einzig ihr zukommende Musik in sich enthalten musse, — alles
Beobachtungen und Forderungen, die auch heute noch so manchen Opern-
partituren gegeniiber am Platze waren, in denen ein Ubermafl von verwickeltem
Konnen die Gedankenarmut und die Impotenz nicht verschleiern kann.
Die theoretischen Erorterungen Gr6try's haben ubrigens auch eine
merkwurdige praktische Seite. Man hat, im Hinblick auf Wagner und
Bayreuth, oft an seine Forderungen erinnert: Der Zuschauerraum soil dem
Auge und Ohr so angepa&t werden, daB weder vom musikalischen, noch
vom sprachlichen und szenischen Detail auch nur das geringste verloren
geht; er soil deragemaB hochstens 1000 Personen fassen; es soil nur eine
Art von Platzen geben, in Amphitheaterform, ohne Logen; das Orchester
soil verborgen werden, unsichtbar fiir die Zuschauer . . .*)
Die Selbstandigkeit seiner Ideen ist es, was man immer am meisten
an GrStry bewundern muB. Ich habe seine leidenschaftliche Verehrung
fiir Pergolese bereits erwahnt, der ihm das Wesen der natiirlichen Dekla-
mation geoffenbart hatte. Aber er zogerte nicht, den unheilbaren Nieder-
gang, dem die italienische Schule entgegentrieb, weil sie ihre Vorganger
nicht begriffen hatte, offentlich zu verkiinden. In Paris verlieB Gr6try
das italienische Lager, sobald er Gluck schatzen gelernt hatte:
„Als ich ihn zum erstenmal horte," antwortete er denen, die ibm seinen Abfall
vorwarfen, „glaubte ich mich nur durch die dramatiscbe Handlung gefesselt und ich
sagte wie Ihr: Da ist kein Gesang darin. Aber ich war bald angenehm enttauscht,
denn ich fuhlte, dafl es die zur Handlung gewordene Musik selbst war, die mich
erschiittert hatte . . ."
In welchem MaBe er sich neidlos vor der Macht des Genies beugte,
mogen seine Worte beweisen:
„Ein anderer ist wahr, wenn er einfache Gefuhle schildert; sobald er es aber
unternimmt, sie bis in ihre Hochspannungen zu verfolgen, so ist er bloB ein Kind,
das die Keule schwingen will. Ich spreche hier von mir."
Mit diesem Ausspruch konnte ich schliefien, aber es gibt da unter
den an junge Musiker gerichteten Worten noch ein anderes, das fur eine
Studie iiber GrStry in Wahrheit als SchluB dienen kann:
„Wenn eure GemSlde wahr sind, so werden sie vor den Wechselfallen der
Mode sicher sein . . . Man darf nicht glauben, auf der Natur gegrundete Werke
kdnnten unter dem EinfluB der Zeit zu leiden baben. Die Natur, diese gottliche
Mutter, ubertragt auf den Maler, der sie treu wiederzugeben weiB, ihre Unsterblichkeit."
l ) Auch eine Errungenschaft der allerjungsten Zeit, den „Schalldeckel a , hat Gr6try
bereits gefordert: n Eine steinerne Brustung . . . muBte das Orchester von der Biihne
trennen, damit der Ton nach dem Saal zuruckgeworfen wurde." Anm. des Obers.
n
C i \t \o!f ■ Original from
^^AiWiKiv UNIVERSITY OF MICf
BEETHOVEN UND BREMEN
VON PROF. FRIEDRICH WELLMANN IN BREMEN
Wenn wir nach dem Marchen von den „Bremer Stadtmusikanten*
urteilen, so miissen wir annehmen, daO der Ruf dieser Kunstler
auBerordentlich weit verbreitet gewesen ist, denn Grimm hat
das Mfirchen im Paderbornschen und im Hessenlande kennen gelernt.
Aber aus den Bemerkungen der unglucklichen Tiere fallt nicht gerade ein
gutes Licht auf Bremens Musik, wenigstens nicht auf die Stellung der
Stadtmusikanten; denn die Beschaftigung bei diesem Korps wird nur dem
Totgeschlagenwerden noch eben vorgezogen. Nun war es allerdings um
die Ratsmusik der Hansestadt, von der wir etwa seit 1525 etwas wissen,
meistens schlecht bestellt; das Gehalt war gering, die Konkurrenz trotz
aller Privilegien gefahrlich. SchlieDlich wurden die vier Stadtmusiker im
Jahrc 1751 mit den Regimentshautboisten zu einer groBeren, leistungs-
fahigeren „Bande* vereinigt, aber auch das half nicht viel, und dieser
.chorus musicus" loste sich allmahlich in nichts auf. Dafur aber taten
sich die ubrigen Musiker, die in Bremen zahlreich vertreten waren und
am Theater und mit Privatstunden ihren Unterhalt verdienten, zusammen,
und aus ihnen entstand im Laufe der Jahre ein brauchbares, vollstandiges
Orchester. Die Musik nahm dann schnell einen gewaltigen Aufschwung.
Im ersten Dezennium des 19. Jahrhunderts hatte sich in der Hansestadt
ein Kult fur Beethovens Musik herangebildet, „wie er in jenen Jahren
und selbst im zweiten Jahrzehnt noch nirgends in Deutschland zu finden
war". So sagt Schindler, der aufmerksame Geschaftsfuhrer Beethovens,
in der Biographie seines geliebten Meisters, von deren dritter Auflage vor
einigen Jahren Kalischer einen Neudruck herausgegeben hat. Dieser
Beethovenkult hatte seinen Ausgangspunkt und sein Kraftzentrum in
den Privatkonzerten des hochmusikalischen und energischen Domkantors
Wilhelm Christian Miiller, der, aus einem thiiringischen Dorfchen ent-
sprossen, im Jahre 1778 bereits nach Bremen kam und dort Zeit seines
Lebens fur die Musik mit unermudlichem Eifer tMtig gewesen ist, bis er
1831 im Alter von 80 Jahren aus dem Leben schied.
Zu dem musikalischen Kreise, den er im Laufe der Jahre um sich
schuf, gehorten etwa 24 Bremer Familien, Kaufleute und Gelehrte; einen
Hauptanteil an der praktischen Ausubung der Musik nahmen der Musik-
direktor Johann Heinrich Lowe, ein geborener Marker, und die beiden
hochbegabten Kinder des Kantors, von denen die Tochter eine gediegene
Klaviervirtuosin und der Sohn ein tiichtiger Geiger geworden waren. Hier
wurde das Edelste und Beste aus der Musik studiert, theoretisch erlautert
und besprochen und endlich auch praktisch vorgefiihrt. Musiker des
f \>oolf Original from
:u j,.uy :-, v Jin J^R UNIVERSITY OF MICHIGAN
280 DIE MUSIK XIII. 5: I. DEZEMBERHEFT 1913
Orchesters vervollstandigten die Besetzung der Stficke. Der durch groBe
Kenntnis gebildete und durch ein feines musikalisches Empfinden geleitete
Geschmack des Dr. Muller sorgte dafiir, daB von allem Neuen schnell das
Beste hier bekannt wurde. Beethovens Bedeutung erkannte er sofort und
machte es sich nun zur LebensauPgabe, die schwer verstandliche Ton-
sprache des groBen Meisters den Mitgliedern seines Kreises und dadurch
dem grofieren Publikum der Hansestadt zugfinglich und lieb zu machen.
Und dalS es ihm gelungen ist, dafiir haben wir ein beredtes Zeugnis durch
die Konzertprogramme der Bremer Zeitungen jener Jahre, in denen so
manches Werk des Wiener Gewaltigen auffallend schnell nach der Ver-
offentlichung erscheint. So finden wir im Anfange des Winters 1809
bereits die Fiinfte und Sechste Symphonie, Februar 1811 die Egmont-
Ouvertiire!
Naturlich blieb Beethoven dieser Erfolg nicht unbekannt, und ein
freundschaftlicher Verkehr entwickelte sich allmahlich zwischen Bremen
und Wien; zunfichst nur brieflich. Beethoven interessierte sich lebhaft fur
die Nachrichten aus der Hansestadt, und Nannette Streicher, mit der Muller
wegen verschiedener Lieferungen von Instrumenten korrespondierte, muBte
ihm alle Neuigkeiten mitteilen; sie scheint ihm sogar ihre an die Bremer
gerichteten Briefe vorgelegt zu haben. (Vgl. Kalischer, Beethovens Briefe
Bd. Ill, No. 619 und 651.) Erst im Jahre 1820 wurde die Bekanntschaft
personlich, dadurch, daB Muller mit seiner Tochter den Meister in Modling
besuchte.
In Miillers Privat-Konzerten spielte als Erlauterer musikalischer Ge-
danken, als Literaturkenner und Dichter ein talentvoller, aber phantastiscb
beanlagter junger Mann eine bedeutende Rolle. Es war Karl Jacob Ludwig
I ken. Als nun der schon in alien Landen Aufsehen erregende Wiener
Tonkunstler im Jahre 1819 seinen 49. Geburtstag feierte, sandten ihm
Dr. Muller und seine Tochter Elise als Haupter der Bremer Beethoven-
Gemeinde ihre herzlichen GriiBe; und als Iken, der im Miillerschen Kreise
ebenfalls ein begeisterter Verehrer jenes Meisters geworden war, die Bitte
aussprach, einige hymnische Dichtungen von ihm mit einzulegen, mochten
die Freunde es ihm nicht abschlagen. Elise schrieb aber in banger Vor-
ahnung der Wirkung dieser Poesie gleich hinzu, daB sie ihrem Freunde
zuliebe beiliegende Blatter mitgesandt hatte.
Zwei einleitende Sonette, „Die Rheinnixe* und ,Die Donaunixe",
verraten Formtalent und wahre Empfindung.
Die Rhein-Nixe
Des Rheinstroms Nixe sang in suBen Tonen,
Ihr war das Herz so voll, zum OberflieBen ;
Da muBt' es sich in krlftgem Drang ergieBen,
Und sie gebar den Sohn des holden Schonen.
( , t.vnL'- Onqina from
O
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WELLMANN: BEETHOVEN UND BREMEN 281
Wer kommt ihm gleich von alien deutschen Sohnen,
Dem solche Bluten in der Brust entsprieBen,
Die ihm den Beifall seines Volks verhieBen,
Und jedes Erdensohnes Leid versohnen.
Dem Strom entstromte solcber Tone Rauschen,
Die Mutter selbst mufl an der Quelle lauschen,
Das liebe Bonn, es staunt ob solcbem Zeicben.
Die Gottin selbst vermag dem Sohn zu lehren
Nichts mehr. Er folgt nur eignen Ohres Horen,
Und scbweigend muB dem Sohn die Mutter weicben.
Die Donau-Nixe
Und sie entsendet ihn nach zwanzig Jahren
Zur nahen Freundin, ob sie unterweise
Den ungestumen Jungling, daB er weise
Und sanft sich stimme, wie die Vater waren.
Doch liebt er, in dem Trotze zu beharren,
Nicht schleicht die Donau-Nympbe still und leise;
Er kSmpft, ob er den Lorbeer ihr entreiBe
Und er erringt den Preis, wie ihr erfahren.
Und staunend siebt sie da den Schmuck sich rauben,
Und selbst die Themse naht mit Siegeskrfinzen,
Vom fernsten Ufer tont ihm Preis und Wonne.
Bald werden funfzig Sonnen schon entgl&nzen.
Ihr Cotter, wiegt ihn ein in Rosenlauben,
DaB spit erst scheide solchen Lebens Sonne.
In ungebundener Form schliefit sich daran eine von Begeisterung
flammende Anrede an den Gewaltigen, in der sich neben echter warmer
Herzenssprache bereits gewisse Ubertreibungen bemerkbar machen.
Sie vollstandig wiederzugeben, wiirde uns zu weit fiihren, aber
einige Stellen daraus diirften der Mitteilung wert sein. So heiBt es z. B.
nach einem zitatenreichen Anfange:
„VerstoBe uns nicht, wir liegen Dir zu FuBen, gib uns Gehor und vergib uns
nur, wenn wir unseren Dank und unsere Anbetung in Worten, in Lauten stammeln,
uber die Du erbaben bist, und die nur an der Erde kleben, wenn die Musik aus den
Herzen der Menschen wie die Lerche in den Himmel hinaufsteigt und uns zu besseren
Wesen veredelt."
Aus diesem Passus spricht eine tiefe, echte Begeisterung fur Musik
uberhaupt, und Beethoven mag ihn trotz seines uberschwenglichen Tones
mit Anerkennung gelesen haben, zumal er wuBte, daB gerade seine Musik
es war, die den Hanseaten zu solcher schwarmerischen Ergriffenheit ge-
bracht. Herzlich und wahr klingt auch der SchluB dieser Anrede:
„Wenn Du einmal mit den Schickungen nicht zufrieden bist und Schmerzen
Dich qualen, dann sollst Du nicht vergessen, daB noch Freunde in der Feme sind,
Uriqinal from
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282 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
die auch duldcn und harren, und zu denen auch wir gehoren, die sich mit Dir vcr-
wandt fuhlen und die Deiner mit der treuesten Liebe eingedenk sind.
,M6chtest du dem Angedenken
Eines Freunds ein Lficheln schenken.'
Dies ist unser einziger, unser sehnlichster Wunsch und die suGeste Erwiderung,
wenn unser Erkennen vom Meister nicht verkannt wurde."
Leider vermochte der jugendliche Schwarmer es nicht, hiermit zu
schlieCen. Sein poetisches Feuer ergriff ihn mit unwiderstehlicher Gewalt,
und in zusammenhangsloser Reihenfolge fiigt er ErguB urn ErguB hinzu,
Geschmackloses mit Poetischem mengend. Denn den Vers
w Wenn's Liebchen gruBt, pocnt uns das Herz.
Du gruBest uns mit Liebesschmerz.
Die Macht der Tone wSchst so voll;
Das Herz schlfigt, wie es schlagen soll. a
kann selbst der liebenswurdigste Kritiker nicht gerade zur geschmack-
vollen Poesie rechnen.
Etwas anmutiger und mit einem gewissen Geschick zusammengestellt
ist eine kleine Wanderung durch Beethovens Kompositionen in gebundener
Form. Da heifit es unter anderem:
„Bald fuhrst du uns zur heilgen Statte, Und mit himmelhoch jubelnder Phantasie
Wo Christus einst am Olberg litt; Zum Ratsel deiner Funften Symphonic,
Der heilgen sieben Stimmen Sang Fort zum Quartett- und Quintetten-Geton,
Ertont uns im Septettenklang, Dort mischt sich der Flugel mit Hornern
Bald zu Lenoren, Marcellinen, so schon.
Zu schauerlicher Schicksalsbahn, Zu Faust und Gretchen, zuruck zum Lande,
Fidelio und Florestan, Wo die Zitronenwalder bluhn
Bald zu Prometheus' Feueresse, Bei feierlicbem Nachtgesang
Daft sich der Tanz zum Klange messe. Notturnen und Serenadenklang" usf.
Von hier zum Trauermarsche des Heroen
Wenn auch dem Rhythmus mitunter Gewalt angetan ist und manches
nicht eben poetisch genannt werden kann, so muB doch die umfassende
und offenbar genauere Kenntnis aller Gebiete Beethovenscher Musik
unser Erstaunen erregen und muBte dem Meister ein wohltuender Beweis
dafiir sein, daB man in Bremen tatsachlich mit groBem Eifer seiner Muse
huldigte.
Aber immer noch liefl den Schwarmer sein poetischer Drang nicht
zur Ruhe kommen, und er fiigte noch eine „Traum-Vision* hinzu, die
nun allerdings bis zur Albernheit ubertrieben und phantastisch genannt
werden muB. Es ware grausam, wollte ich den geneigten Lesern das
ganze in ungebundener Form verfaBte Poem auftischen. Sie werden an
einer Probe genug haben.
Der Dichter wandert im Traume durch die Welt der Fixsterne; alle-
gorische und mythologische Gestalten schweben da im bunten Gemisch
umher. Schliefilich fiihrt ihn Ganymed zur MilchstraBe.
rv . , f Y\£\oLr- Original from
I i:u j,u:j :r, v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
WELLMANN: BEETHOVEN UND BREMEN 283
„Hinter diesem Sternen-Ncbel a , sagt er dann zum Wanderer, „bis hinauf zur
MilchstraGe sind deine Kunstler versammelt; nimm dir einen in den Sinn, und du
wirst den, den du am liebsten hast, in seiner Glorie sehen. In dem Augenblick sah
ich von oben einen Stern auf den Chor herabfallen. Jetzt offnete sich der Sternen-
staub; in einera runden Amphitheater erhob sich ein Orch ester, in der Mitte unten sah
ich Beethoven an einem goldenen Flugel, jede Taste schlug an eine Harmonika, die
Dichtkunst scbwebte uber ihm und hielt eine Sternenkrone uber seinem Haupte.
Traumgestalten lagen vor ihm in der Luft, die Tragodie blickte ihn freundlich an,
und die Oper reichte ihm Palmen und Hirtenkr&nze. Die drei Parzen hielten
Mozarts Bild in den Wolken, Apoll und die Musen schlugen ihre Leyer, und das
Ganze schloB sich nach oben mit dichten Haufen geflugelter Engelsscharen."
Ganz so uberladen und schwulstig, wie uns dieses Bild erscheint,
mag es wohl in jener sentimentalen Zeit, in der ein Barockgeschmack noch
nicht ganz verwunden war, nicht geklungen haben, aber es ist kaum anzu-
nehmen, daO Beethovens kiinstlerisches Herz Gefallen daran gefunden habe.
Jedenfalls trug diese phantastische MiOgeburt nicht gerade dazu bei,
den Gewaltigen fur die beigelegten „Erlauterungen a verschiedener seiner
Kompositionen empfanglicher zu stimmen. Er hatte schon mehrfach von
seinen Bremer Freunden derartige Elaborate, schriftliche Fixierungen von
Vortragen der Privat-Konzert-Abende erhalten, und sie waren gewiD nicht
wenig stolz darauf. Nur die Rucksicht auf die wirklich ehrlichen Emp-
findungen jener treuen Gemeinde vermochte ihn an einer kraftigen Er-
widerung zu hindern.
Das Geburtstagsgeschenk des Jahres 1819 war ihm aber doch zu stark.
Schindler hat in der dritten Auflage seiner Biographie eine solche Er-
liuterung abgedruckt. Sie betrifft die Siebente Symphonie und leistet
Erstaunliches im Herausfinden ganz besonderer Feinheiten.
Im Schindlerschen Beethoven-Archiv der Berliner Koniglichen Biblio-
<hek sind noch mehrere, die mit jener zusammen nach Wien gelangten.
Vielleicht ist es nicht unzeitgemaB, ein solches „Programm" zur D-dur
Symphonie der programmliebenden Musikwelt mitzuteilen. Es scheint auch
von dem besagten Dichter Karl Iken herzuruhren. Die tollsten Stellen hat
Dr. Muller einfach durchgestrichen. Es bleibt aber immer noch genug stehen.
„Wir ahndeten", so heiBt es dort, „einen Feldzug von Rittern im romantischen
Geiste des Mittelalters, wie etwa die Kreuzritter in ihrer schwarmerischen Begeisterung
nach Jerusalem Ziehen, um das heilige Grab zu erobern, wie sie mit freudigem Mute
auszieben, um die Schmach der Christen zu r&chen. Immer ist diese heroische Kraft
aber gemSfiigt durch dazwischentonende weibliche Stimmen, durch einen gefublvollen
Gesang voll zarten Frauensinnes, durch Anmut und Liebe, die oft bis zur tiefsten
religiosen Empflndung gesteigert wird. Es kommt uns vor, als wenn die zartliche
Gattin beim Abschied ihren Ritter noch weinend bis an das Schlofitor ihrer Burg
begleiiet und als wenn sie ihm noch etwas nachruft, wShrend unten im Tal schon die
Reisigen und Knappen versammelt sind, um den Kriegszug anzutreten. *Die ganze
Dichtung ist dabei immer mit scharfen Umrissen bezeichnet, sie steht faQlich und
anschaulich da, sie ist mit so scharfen Typen gestempelt, daft man gleich sagen kann,
das bedeutet dies, dies bedeutet das . . . ,Kannst du sagen, das ist, da alles im
n . , f Y^\oLr- Original from
i i:u j,.uj :»y v iin * , r UNIVERSITY OF MICHIGAN
284 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
Kreislauf der Zeit untergeht?' sagt Werther in dem Roman von Goethe, und doch
kann man es bier sagen, und vor allem mochten wir wunschen, daB man den Tag
fiber einige Stunden im Werther gelesen babe, wenn man den Abend ein solcbes
Konzert boren will. Die Darstellung dieser Traumbilder, dieser dunklen Gesichte,
ist so charakteristisch, so ausgeprSgt, daB sie beinahe in die Wirklichkeit ubertreten,
das heiBt mit anderen Worten, daQ sie beinabe Oper sind. Auch Ufit sich der
Opernstil gar nicht verkennen. Halt man aber biergegen z. B. die Haydnschen
Symphonieen, ... so weifi man eigentlich gar nicht, was man hdrt. Sie sind durch-
aus unbestimmt, vage, nur allgemein ansprechend, ins Blaue gespielt und z. B.
tfindelnd oder ernsthaft, tragisch oder komisch, wie's eben fillt, nie aber motiviei%.
wie es bei Beethoven der Fall ist ... Beethoven legt uns gerade die schwersten
R&tsel vor . . . aber nicht deswegen, weil sie einen unbestimmten Charakter tragen,
sondern weil das Ganze zu sehr mit Bildern uberfullt, die Beziehung unter ihnen
dunkel bleibt, das Band sich oft zu verlieren scheint, welches alles zusammenhalt
und das Ganze oft bizarr zusammengesetzt ist."
Diese Erlauterung trifft gewiO zum Teil etwas rechtes, sie ist ein
noch unklares Empfinden der Pragnanz und der subjektiven Tonsprache
Beethovenscher Werke, aber die Art, in der hier dem Tondichter Gewalt
angetan wird, hatte genugt, auch ein weniger reizbares Gemut, als es
Beethoven besaD, in Flammen zu setzen. Es folgte nun aber gar direkt
die Aufforderung zu einer Erklarung des Meisters:
„M6chte der verehrte Kunstler, Herr von Beethoven, uns doch sagen konnen,
ob er auch dieser Meinung ist, und vor allem, ob in seinen Symphonieen wohl ein
versteckter Zusammenbang sei, dessen Erklarung er uns absicbtlicb verschwiegen
habe, da doch bei der Pastorale eine solche Erklarung in Worten dabeigeschrieben
ist, wo es eigentlich nicht einmal so nStig war als bei den andern, z. B. der Fun ft en
in c-moll und anderen.**
Das gab den Ausschlag. Beethoven konnte und wollte nun nicht
langer schweigen. Er sah, dafi seine Gemeinde in Gefahr gerate, das
Wesen seiner Musik ganzlich falsch aufzufassen. Die Folge war ein
energischer Protest gegen eine derartige Auslegung und Sezierung eines
Kunstwerkes, den er seinem Sekretar Schindler in die Feder diktierte.
Dieser Protest traf zugleich mit einem freundlichen Briefe an Mullers in
Bremen ein und war dazu angetan, die uberschSumende Begeisterung
empfindlich niederzudriicken.
Nach diesem und anderen Schreiben Beethovens an Dr. Muller ist
schon von Schindler und seitdem bis auf den heutigen Tag eifrigst ge-
forscht worden; aber in Mullers NachlaB, den Manuskripten der Bremer
Stadtbibliothek, ist nichts davon zu finden, und auch im Testamente seiner
Tochter Elise, die 1849 starb, kein Wort davon erwahnt. Wo sie ge-
blieben sind, weifl niemand. Vielleicht tauchen sie noch einmal aus der
Verborgenheit auf 1 ) und halten den Enthusiasten, die das „Heldenleben*
l ) Der Wellmannsche Artikel gibt vielleicht den AnlaB, von neuem nach dem
Verbleib dieser jedenfalls hochst interessanten Briefe Beethovens zu forschen. Vir
publizieren ihn nicht zuletzt aus dem Grunde, die Offentlichkeit auf diese ver-
schollenen Beethovenschen Schriftstucke hinzuweisen. Red.
rv . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
WELLMANN: BEETHOVEN UND BREMEN 285
und die „Sinfonia domestica" fur der Giiter hochstes erklaren, die An-
sicht des groflen Meisters uber Programmusik vor Augen.
In Bremen aber lieC man sich trotz des erniichternden Donnerschlages
aus Wien nicht entmutigen. Immer eifriger betrieben Miiller und seine
Freunde die Verkiindigung des neuen, musikalischen Heiles, immer weitere
Kreise ergriff die Begeisterung fur den kuhnen Tondichter; und als Meth-
fessel 1820 Beethoven in Hamburg zur Anerkennung verhalf, da waren
die groDen Symphonieen in Bremen bereits Gemeingut der musikalisch
Gebildeien geworden.
Aus dem kleinen Korps der Stadtmusikanten, das erst vier, dann
fiinf und sechs Mann zahlte und gewifi zunftmaGig schlecht und recht
seine Streich- oder noch lieber seine Blech- und Holzmusik machte, hatte
sich im Laufe der Jahrhunderte ein stattliches Orchester entwickelt, das
an den Symphonieen von Stamitz, Haydn und Mozart zu hoher Leistungs-
fahigkeit herangebildet wurde und unter einem tiichtigen Dirigenten den
gewaltigen Schopfungen Beethovens vollig gewachsen war. Johann Heinrich
Lowe, der seit 1805 die Leitung dieses Orchesters ubernommen hatte, war
gewiB kein handwerksmaBiger Zunftler mehr wie fast alle seine Vorganger,
aber er konnte sich doch nur schwer in die neue, eigenartige Tonsprache
finden, in der jener Priester des Schonen zu der aufhorchenden Welt redete;
er setzte die Werke eines Andreas Romberg noch denen eines Beethoven
gleich und ist erst allmahlich unter dem Einflusse Wilhelm Christian Mullers
ein Bewunderer und Verkundiger der neuen Lehre geworden. Als er 1815
wegen eines Augenubels seine Stellung aufgeben rouOte, folgte ihm aber
in Karl Friedrich Ochernal ein Mann, der von Anfang an der Beethovenschen
Musik ein voiles Verstandnis entgegenbrachte; und als zu derselben Zeit
der als Komponist und Orgelvirtuose in ganz Deutschland ruhmlichst be-
kannte Wilhelm Friedrich Riem Organist an der Domkirche wurde, standen
dem unermudlich tatigen Dr. Miiller zwei Heifer zur Seite, wie er sie sich
besser nicht wtinschen konnte. Diese drei Manner vollbrachten das groBe
Werk, Beethoven aus der Abgeschlossenheit der Privatkreise heraus dem
groQen Publikum nicht nur zuzufuhren — das hatte auch Lowe schon
getan — sondern ihn auch den Bremern verstandlich und damit lieb und
wert zu machen. Und von der Zeit an ist er den Bremern lieb und wert
jgeblieben bis auf den heutigen Tag, wo ein Panzner und Wendel ihn uns
in verklar tester Gestalt darzustellen verstanden. Das Marchen von den
Bremer Stadtmusikanten aber mit seinen hohnischen Anspielungen auf die
iraurigen Zustande in der Hansestadt trifft heute unsere Musik nicht
mehr; das verdanken wir dem Genius des groDen Meisters und seinen
Bremer Freunden, vor allem dem Dr. Wilhelm Christian Miiller.
£ 1
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
FRANZ WITT
EIN GEDENKBLATT ZU SEINEM 25. TODESTAGE (2. DEZEMBER 1888)
VON JOH. H. HATZFELD IN SANDEBECK
Dr. Franz Witt, ein groOer deutscher Meister* ist die Oberschrift einer Bro-
schure Cyrill Kistlers. Wir werden viellcicht fiber den hocbzielenden
Titel zu lacheln versucht sein, vielleicht aber auch des Lessingschen
Wortes uns nachdenklich erinnern, dafi einige beruhmt sind, andere es ver-
dienen zu sein. Es soil bier weder fur das eine noch fur das andere gestritten werden.
Witt ist aucb ohnedem einer derjenigen, die ihren Platz in der Gescbicbte baben.
Man kennt Witt — kennt ihn vielleicht auch nicht — als den Restaurator der
Kirchenmusik und Grunder des Gdcilienvereins fur alle Lander deutscher Zunge.
Nach vielen Predigern in der Wuste war er es, der dieser Aufgabe mit Taten zu Leibe
ging, und das mit einer Zahigkeit und Energie, die ibm neben seinen Erfolgen auch
viele Feinde schuf und ihm selbst in unseren Tagen noch eifrige Gegner wach erhalt.
Der Beruf eines Erneuerers ist bei keiner der gelehrten Zunfte akkreditiert;
man kann sich darum auch nicht durch abgelegte Examina sozusagen staatlich dafur
abstempeln lassen. Man muB einfach in ihn hineinwachsen. Das bringt dann etwas
von einem Selfmademan mit sicb, einer Sorte Leute, die bekanntlich nicht bloli in
Amerika wachsen, in Europa freilich immer rarer werden. Witt macht da keine
Ausnahme. Gewifi ist er aus Regensburg hervorgegangen, hat von Schrems und
Proske gelernt, aber man erhalt noch lange nicht Witt, wenn man jene drei addiert.
Als im Jahre 1865 seine Broschure erschien „Der Zustand der katholiscben Kirchen-
musik, zunichst in Altbayern", da klang schon das Zwingende und Imponierende
dessen durch, der auf eigenen Pfaden zur Erkenntnis gekommen war. Und es ist
bezeichnend genug, dafi er sein Program m, mit dem er im Jahre 1867 an die Spitze
des von ihm gegrundeten Vereins trat, nie einer Korrektur zu unterwerfen genotigt war.
Was er erstrebte, war: „Wiirdiger Gottesdienst! Erbauung, Veredelung, Erziehung
des Volkes durch ernste, weihevolle Musik bis ins kleinste Dorf hinab!" Dazu sollte
seine Organisation dienen, dazu grundete er seine Blatter („Fliegende Blatter fur Kirchen-
musik** und „Musica sacra"), von denen er, Shnlich Chrysander, ganze Jahrgange allein
schrieb, dazu suchte er auf zahlreichen Wanderfahrten, Kursen usw. mit dem zundenden
Feuer seiner Rede zu begeistern, dazu fuhrte er eine Korrespondenz von etwa
2000 Brie fen jahrlich, in seiner nervosen Beweglichkeit und seiner ungeheuren
Arbeitskraft unwillkurlich an Wagner erinnernd.
Es war Zeit, daB einer kam wie er. Die Opernkomponisten scbrieben zwar
noch — fast mdchte man sagen aus alter Gewohnheit — in religidsen Szenen eine
religios gefarbte Musik, die Kirchenmusiker aber „revanchierten" sicb dadurcb, daB
sie die Opernmanier, und zwar nicht die der geistlichen Szenen, in ihre Messen
und Offertorien herubernahmen. Man lese die sog. „Tonbilder a in Witts BISttem.
Eine asthetische Farbenblindbeit, wunderlich und Srgerlich zugleich. Witt stach ihr
den Star mit der ihm eigenen, bei derlei Operationen auch einzig empfehlenswerten
Raschheit und Entschiedenheit. Und damit — war der Kampf eroffnet. Witt fuhrte
ihn scharf in der Form, aber peinlichst loyal und, was das meiste besagen will,
wirksam — die schnelle Ausbreitung seiner Organisation beweist das. Sein unglaub-
liches GedSchtnis, das allein, abgesehen von dem „Alten", an 300 Messen und eben-
soviel Motetten, Vespern usw. damals bekannter Komponisten fast parti turgetreu fest-
hielt, war ihm dabei eine unschatzbare Stutze. Es produzierte mit Sicherheit fur jede
Behauptung wenigstens ein Beispiel. Sein Stil war dabei klar, prazis, von einer
eigentumlichen Eleganz, beweislosen Phrasen abhold. Trotzdem, es ware gegen alles
rv . , ( \>ooLf Original from
I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN
HATZFELD: FRANZ WITT 287
Herkommen gewesen, batte man ihn gleich verstanden. Ganz davon abgesehen, daQ
man auf vielen Choren die „Personalien wahren" muQte, war da das banale Hindernis,
daQ eben viele nicht aus ihrer Haut heraus konnten. Weniger Streit gab's urn den
gregorianischen Choral, fur den Witt erneute Pflege verlangte. Um so mehr dafur urn
die Frage, was von der brSuchlichen Produktion unkirchlich und was an seine Stelle zu
setzen sei. Weil Witt das meiste verwarf und auf die Alten als Vorbilder hinwies,
schalt man ihn einen Reaktionar. Ach nein, reaktion&r war diese Feuerseele nicht.
„Wir gehen zuruck bis da, wo wir eine unzweifelhaft kirchliche Musik treffen und
von da — wieder vorwarts". So war's gemeint. Und so hat er's auch gleich aus-
gesprochen. Schon anno 1865. „Ich bin nicht ausschlieQlich fur die Art und
Weise der Alten. . . . Sollen wir Palestrina kopieren? Das sei feme! . . . Das
Original ist uns lieber als die Kopie. . . . Das hochste Lob fur einen Kirchen-
komponisten wird es sein, wenn man von ihm sagen kann, in seinen Werken wehe
Palestrinas Geist, und doch habe derselbe Geist einen ganz anderen, nicht
palestrinischen, nicht mehr veralteten, sondern lebensfrischen und zeit-
ge ma lien Ausdruck gefunden." (In Oberhoffers CScilia IV, S. 1.) Und ebenda: .nicht als
wenn im tonus jonicus oder aeolicus die Frommigkeit saQe, der Geist ist's, der lebendig
macht". „Also der Ausdruck ist das Entscheidende, nicht die Form, mithin nicht die
Tonart, nicht das Chroma u. a." (Musica sacra 1880, S. 5.) Als wahrer Fortschrittler
wollte er nicht bloG fiber Palestrina, auch fiber Haydn usw. hinaus. DaQ er dazu auch
die Mangel der Alten betonte, schuf ihm obendrein eine Gegenstromung im eigenen
Verein, die ihre stSrkste Stutze merkwurdigerweise im demokratisch-fortschrittlichen
Rheinlande hatte. DaQ Witt die kirchliche Instrumentalmusik ha*tte verdrangen wollen
— auch eine Version, die noch umlauft — widerlegt sich einfach dadurch, daQ er
selber solche geschrieben hat. Uberhaupt war Witt ein starkes kompositorisches
Talent. Konnte es nicht ausbleiben, daQ im Zwange des Bedurfnisses manch un~
gleichmaQiges mit unterlief, so bin ich doch uberzeugt, daQ eine Reihe seiner Werke
wieder zu hoheren Enren kommen werden, als man ihnen derzeit zubilligt. Un-
bestritten bewundert wurde das Direktionstalent Witts. Kistler sagt, daQ es ihn hin-
gerissen habe. Liszt sprach sich Shnlich aus. Wenn man nun noch hinzufugt, daQ
der vielbeschaftigte Mann noch Zeit fand, die Scuola gregoriana, eine Hochschule fur
Kirchenmusik, in Rom einzurichten und zu erhalten und dazu noch die Arbeit der
Eitner usw. durch eigene Forschungen zu unterstutzen, so hat man wenigstens im
UmriQ ein Bild seines Interessengebietes, zu dem bei allem auch die Seelsorge noch
geborte. Neben Liszts durfte Witt auch Wagners Freundschaft sich erfreuen, der in
ihm eine verwandte Seele fuhlte. Ehe Wagners Bearbeitung des Stabat mater von
Palestrina 1 ) in Druck gegeben wurde, lag sie Witt zur Durchsicht vor, der sie nachher
auch mit einer sehr warmen Empfehlung in den Cacilienvereinskatalog aufnahm
(naheres w Musica sacra" 1913, S. 129—131). Von Wagners Werken durfte er 1877
sagen, daQ ihm ^Lohengrin", „RheingoId a und die „Walkure* so geliufig seien, als
die „Missa Papae Marcelli".
Fruh stellte sich bei dem allzu arbeitsfreudigen Manne ein nervoses Leiden ein,
das seinem Leben mit 54 Jahren ein Ziel setzte. w Das Grab aber schloQ sich 4 *, so
schrieb damals das „Munchener Fremdenblatt", B uber der irdischen Hulle eines Mannes,
der mit machtiger Hand in einen Zweig der Kirchenkunst und Kulturgeschichte ein-
gegriffen und diesseits und jenseits des Meeres eine Bewegung hervorgerufen hat,
die mSchtig und berechtigt genug ist, um nicht, wenn zwei Augen brachen, am Ende
zu sein."
2 ) Siehe daruber w Die Musik" IV, 2, S. 231—237
( \iooLf Original from
nj:i yy v iiK jj^jv UNIVERSITY OF MICHIGAN
ERGANZUNGEN und berichtigungen zu
WOTQUENNFS THEMATISCHEM VERZEICH-
NIS DER GLUCKSCHEN WERKE
VON DR. MAX AREND IN DRESDEN
1. Von Clucks kleinem dramatischen Pastorale „La Danza* (Text von
Metastasio) ist die Partitur erhalten und war schon Anton Schmid bekannt. Dagegen
wird das Textbuch von Wotquenne als unaufgefunden bezeichnet. Ich babe es in der
Dresdener Hofbibliothek mit Hilfe des Zettelkatalogs entdeckt. Die Signatur ist
w Lit. Ital. D 360 tt . Der genaue Titel lautet — die Zeilen durch | angedeutet — : La
Danza. | Componimento | Drammatico pastorale | a due voci | cbe serve
d'introduzione | ad un ballo. | Cantato in Laxemburg | alia presenza | delle |
Maesta | Loro Imperiali | e Reali. | Vienna | Nella Stamparia di G. L. N. de
Ghelen. | L' Anno MDCCLV. Dann finden sich die Angaben der Ausfuhrenden,
wie sie Wotquenne angibt. Sehr intercssant aber und ein vollstandiges Novum ist
die Angabe iiber das folgende Ballet:
Ballano
Le Signore: Joffroj Cam pi
Bianchi Schraetter
Veiskern Grummanin
Li Signori: Angiolino Bodin
Mecour Cascione
Gobert Gregoire
Gajer Checco
La musica del ballo & del Signore Giuseppe Starzer.
Wir erfabren also hier, daB Josef Starzer, der bekannte Balletkomponist, der
1787, ziemlich gleichzeitig mit Cluck, starb, das folgende Ballet komponiert bat. Da-
mit fillt die von Wotquenne ausgesprochene Ansicht (Seite 220 des Tbematischen
Verzeichnisses), daB Clucks Ballet-Pantomime Alessandro w der kleinen Oper ,La
Danza 4 als Ergfinzung dienen" sollte. Schmid erzShlt uns ausdrucklich, daQ „La
Danza" mit demselben folgenden Ballet kurz darauf in Wien wiederholt worden
sei, also mit dem Starzerschen Ballet. Das Textbuch enthalt fiber die durch das
Ballet auszudruckende Handlung keine Angaben, schlieBt vielmehr mit den Worten
der „ Danza" ab.
Bei dieser Gelegenheit bitte ich, im Namen der „Gluck-Gemeinde", alle
Freunde Glucks, auf den bibliotheken ihres Wohnsitzes die Zettelkataloge der ita-
lienischen und franzosischen Literaturen auf Glucksche Operntexte bin nachzusehen
und etwaige Mitteilungen an die „Gluck-Gemeinde M zu senden. Hdchstwahrscbeinlich
sind noch eine Reihe der bisher nicht aufgefundenen Textbucher erhalten — man
vergleiche dazu Wotquenne's Thematisches Verzeichnis — und konnen uns mehr
oder minder wichtige biographische und sonstige Notizen vermitteln. Ich bin namens
der „Gluck-Gemeinde a fur jede Mitteilung eines solchen Fundes im voraus dankbar
und gebe hier meine Adresse zu diesem Zweck: Mathtldenstrafie 46 in Dresden.
2. Wotquenne erwShnt Seite 220 seines thematischen Katalogs einen einzelnen
Marsch von Gluck, den er nicht unterbringen kann. Dieser Marsch laQt sich jedoch
mit einer an GewiBheit angrenzenden Wahrscbeinlichkeit als Beginn der funfren
Szene des ersten Aktes von „Demofoonte" (Mailand 1743) einreihen. Von w Demo-
( H nno | r Original from
j-i i,-ul: :;.y vnn^iL UNIVERSITY OF MICHIGAN
AREND: ERGANZUNGEN ZU WOTQUENNE'S GLUCK-VERZEICHNIS 289
foonte* ist uns nicht die Partitur erhalten. Wohl aber das Textbuch und als
Bruchstucke die einzelnen Nummcrn der Partitur, vielleicht mit Ausnahme der
Ouverture. Ich sage vielleicht, denn es ist nicht unwahrscheinlich, daB die Ouverture
sich unter den einzelnen neun Ouverturen befindet, die uns erhalten sind. Man
kann sich daher die Partitur mit Hilfe des Textbuches zusammenstellen. Nun finden
wir in der vierten Szene des ersten Aktes den Timante allein, der eine Arie singt
und dann abgeht, so daB die Buhne leer ist. Fur die funfte Szene gibt der Dichter
folgende Regievorschrift: „Porto di mare festivamente adornato per V arrivo della
Principessa di Frigia. Vista di molte navi, della piu magniflca delle quali al suono
di varij stromenti barbari, preceduti da numeroso corteggio, sbarcano a terra.* Dann
tritt Creusa und Cherinto auf. Creusa singt:
Ma che t' afPana, o Prence?
Perch £ mesto cosl?
Nach dem Abgang des Timante finden wir in anderen Kompositionen des
Metastasio'schen Textes regelmafiig einen Marsch. Ich habe u. a. die be id en Hasse-
schen Opern „Demofoonte a , deren Partituren sich hier in Dresden befinden, daraufhin
nachgepruft. AuBerdem liegt die zwingende Notwendigkeit, daB hier ein festlicher
Marsch erklingt, in der dramatischen Situation. Wotquenne schlieBt selbst aus dem
Sttl, dafi der „Marsch* „vermutlich einem Werke aus Glucks erster Periode" an-
gehore. Hinzu kommt, daB er sich, ebenso wie die meisten Fragmente des Gluckschen
„ Demo foonte", in der Pariser Konservatoriumsbibliothek findet. Die UmstSnde zu-
sammengenommen, wird man diesen Marsch ohne Bedenken der Partitur des
„Demofoonte tt einreihen konnen.
3. Bei dieser Gelegenheit will ich auf ein kleines, auch von Liebeskind an-
scheinend ubersehenes Versehen Wotquenne's, auf das mich Riemann aufmerksam
machte, hinweisen. Die siebente, von Gluck nicht im Druck herausgegebene Trio-
sonate in E dur befindet sich nSmlich nach Angabe Riemanns, die ich nicht nach-
gepruft habe, handschriftlich in der Berliner Kgl. Bibliothek, nicht in Dresden.
Bekanntlich hat Riemann im Collegium musicum alle sieben Gluckschen Triosonaten
mit ausgearbeiteten Cembalo-Stimmen im Druck herausgegeben, so daB die Wichtigkeit
des Fundortes der Handschrift jetzt wesentlich geringer ist als vorher, keineswegs
aber aufgehoben ist.
XIII. 5. 19
r fV^r\ nir- Original from
LJr >r :i,:cc! :)y ^ lUU^It UNIVERSITY OF MICHIGAN
REVUE DER REVUEEN
Aus deutschen Musikzeitschriften
SIGNALE FUR DIE MUSIKALISCHE WELT (Berlin), 71. Jahrgang, No. 40 bis 45
(1. Oktober bis 5. November 1913). — No. 40. „Das Konzertubel". Von August
Spanuth. „. . . Man leite den Strom einer ehrlichen Entrustung fiber die Konzert-
misere in das richtige Bett; man erschwere das Konzertieren jedem, der nicht aus-
reichend dazu veranlagt ist. Die Trotzkopfe, die von ihrem Vorhaben nicht abzu-
bringen sind und sich durchaus in Berlin eine legitimierende Kritik holen wollen,
kdnnen viellcicht durch Totschweigen kuriert werden . . . Wenn sich alle Zeitungen
zu diesem Prinzip bekennen wurden, durfte man ein merkbares Abflauen uberflussiger
Konzerte schon bald erwarten." „Die Konzertdirektionen und Agenturen mSgen zwar
keine tadellosen Institute sein, aber ehe man ihnen kurzweg den Hals umdreht, trage
man Sorge, daB nichts Schlimmeres an ihre Stelle tritt. Soil es sich aber urn ein all-
gemeines groBes Reinmachen im Musikgeschaft handeln, dann muQten auch noch
manche andere Untersuchungen angestellt werden. Die Prozente der Konzert-
direktionen mogen hoch sein, aber wenn es nun Konservatoriumsdirektoren geben
sollte, die ihren Lehrern noch weit hohere Prozente des Schulerhonorars abnehmen?
Und bei ihnen ware das noch gravierender, weil sie doch nicht wie die Agenten
bloBe Geschaftsleute sein, sondern als Pfidagogen eine Rolle spielen wollen." —
„Zu Siloti's metrischer Auslegung des Scherzos in Beethovens Siebenter". Er-
widerung von Max Steinitzer. „. ..Niemals. . . kann derfunfte Takt des Stuckes...
zur schweren ZShlzeit werden; das nahme dem ganzen Thema das Beflugelte."
— No. 41. „ Verdi, der Begrunder der modernen Spieloper a . Von Felix Wein-
gartner. „ . . . Auch unsere moderne komische Oper krankt wie so vieles andere
an Wagner. Die ,Meistersinger' sind Wagners schonstes Werk, ja ein Wunder-
werk schlechthin. Aber ihr schwerer, den verbramten Prunkgewandern der Nurn-
berger Patrizier vergleichbarer Stil pafit nur fur sie, fur sie ganz allein, und erdruckt
jeden leichteren Stoff. Das ist dieses Werkes hoher Vorzug und sein schwerer
Nachteil fur alle, die ihm zu nahe kommen wollen. Unsere komische Oper hat
sich teils vom Einflufi der ,Meistersinger* nicht genugend frei gemacht, teiis lieb-
augelt sie mit der Operette oder wurstelt mit einer Art von raffinierter Bauern-
schlauheit beide Stile durcheinander. Den Stil des ,Falstaff' mochte ich, ohne
ihn damit ergrunden zu kdnnen, kurz folgendermaBen charakterisieren: Innigste
Durchdringung von Wort und Ton ohne polyphone Uberladung. Dies
sei das Prinzip einer modernen komischen Oper! Das Leitmotiv im Wagnerschen
Sinn ist damit von vornherein ausgeschlossen oder zum mindesten auf den
Charakter eines Erinnerungsmotivs, wie es die alten Meister und auch Verdi selbst
anwenden, beschrankt; die Forderung nach melodischem und thematiscbem Reich-
turn, der die leitmotivische Schnitzelpolyphonie von selbst verdrSngt, ist gestellt.
Mit der Erfullung dieser* Forderung ware aber selbst einer Nachahmung des
,Falstaff*-Stiles der eigene Wert gewahrt . . .* — n Verdi und Goethe*. Von Friedrich
Spiro. „. . . Viermal hat sich Verdi mit grofiem Eifer und wechselndem Erfolg
an Theaterstucken Schillers versucht . . .; sehr viel weniger bekannt, aber zum
mindesten ebenso beachtenswert, ja wegen des schonen Resultates und der bei
ihm singularen Form noch hubscher ist es, daB er zwei Dichtungen Goethes
komponiert hat ..." Es handelt sich um Gretchens Monologe „Meine Run* ist
hin a und w Ach neige, du Schmerzensreiche", die in den in den funfziger Jahren
erschienenen secbs „Romanze di Giuseppe Verdi" enthalten sind. „ . . . Beim ersten
n - i ( "r\r\i^Ii» Original from
u i, i, uu :), vktu^il UNIVERSITYOF MICHIGAN
REVUE DER REVUEEN 291
hat Verdi unwillkurlich, aber bezeichnenderweise, dieselbe Tonart gewShlt wie
Schubert: auf Andeutung des Spinnrades wie uberhaupt auf jede Tonmalerei hat
er verzichtet, ohne jedoch die Klavierbegleitung monoton werden zu lassen, nur
ist sie eben trotz manchen leisen Rhythmenwechsels ganz Begleitung, einfache
harmonische Unterlage, weil alle Kraft, alles Leben, aller Ausdruck und alle
Passion nach guter volkstumlicher Weise in die Melodie verlegt ist. Diese
Melodie, in alien sechs Romanzen uppig, warm und von edler Naturlichkeit, frei
von alien Schreieffekten, erhebt sich in den beiden Gretchen-Monologen zu auBer-
ordentlicher Hohe; die Szene vor der Mater dolorosa hat in der veroffentlichten
Musik zu ihr schwerlich ihresgleichen . . . a — Das Heft enthUlt ferner noch:
„Zwei Briefe Verdi's", „Verdi und die Wiener Kritik" (Glossen zur Entwickelungs-
geschichte der modernen Oper) von Ferdinand Scherber und „Zur Verdi-Kritik"
von August Spanuth. „ . . . Mit Recht ruhen die Wurzeln der Kraft, die einen
schaffenden Kunstler emporwachsen 13Bt, im nationalen Boden; schieBt der Baum
aber sehr hoch empor, und halten ihn keine auBerlichen Hindernisse davon ab,
so mag er mit einer Krone m&chtiger Zweige auch uber das einheimische Gebiet
noch hinauswachsen. Der kultivierten Nachbarn angenehme Pflicht ist es dann,
die Frucbte, die er auch auf ihr Gebiet fallen laBt, willkommen zu heiBen, nicht
aber, dem Baum durch Vorurteile und Enge der Begriffe Licht und Luft zu ver-
bauen. So mSchtig und groB emporzuwachsen aber, daB er die ganze Kulturwelt
unter seine Zweige bringt, ist freilich nur ganz wenigen beschieden gewesen.
Verdi zfihlt nicht zu diesen seltensten Ausnahmen, er gehort nicht in die Klasse
Goethes oder Beethovens; aber er war doch so bedeutend, daB es sich lohnt,
ihn von innen heraus zu verstehen, nicht bloB ihm mit dem Ohr zuzuhdren . . ."
— No. 42. „Das Wiener KonzerthausV Von — rb — w . . . Jedenfalls ist mit dem
Bau des Konzerthauses und der Akademie eine wirkliche Tat vollbracht worden,
die schon als solche hohe Anerkennung verdient. Denn bier, wo noch immer
das dolce far niente des sorglosen Sudlanders in leisen Melodieen durch die
StraBen rauscht, gibt es oft die ungeahntesten und kleinsten Hindernisse, die die
groBte Tat zum Straucheln bringen. Mogen sich keine Parteien um das Konzert-
haus bilden, und moge nur gute Musik darin gemacht werden!** — No. 43. .,Ein
unbekannter Symphoniesatz von Anton Bruckner". Von C. Hynais. Behandelt
den zweiten Satz (Andante molto, Es-dur) von Bruckners allererster, in Linz im
Jahre 1862 vollendeter Symphonic — No. 44. „Genesius, nicht Gewesius". Von
August Spanuth. „. . . Alles in allem: eine Arbeit, die wirklich nicht den
Spott, sondern die grundlichste Beachtung der musikalischen Welt verdiente . . ."
— No. 45. w ,Sprachsch6nheiten* in klassischen Opern". Von Ernst Heine-
mann. Verfasser macht VorscblSge zur Abschwachung von offenbaren Text-
verstoBen und sprachlichen Geschmacklosigkeiten bei Mozart und Beethoven.
ALLGEMEINE MUSIK-ZEITUNG (Berlin), 40.Jahrgang, No. 16 bis 20 (18. April
bis 16. Mai 1913). — No. 16. „Ist Musik Luxus?" Eine Betrachtung von Arthur
Schlegel. Verfasser verneint die Frage: „. . . sie ist eine Notwendigkeit, wie
ja schon viele erkannt haben, aber mitunter gerade maBgebende Kreise nicht." —
„Richard Wagner und sein Kollege ReiBiger." Mit unveroffentlichten Briefen
Reifiigers und Protokollen uber Richard Wagner und anderem Material. Von Johannes
Reichelt. „. . . Zwei bisher unveroffentlichte Briefe an den gefeierten Kom-
ponisten Flotow und an den Verleger Bohme (C. F. Peters) in Leipzig geben daruber
AufschluB, wie geringschatzend ReiBiger uber Richard Wagners Musik sprach, wenn
er wuBte, daB es nicht zu Wagners Ohren kam; ebenso ein bekannter Brief
ReiBigers an den Generaldirektor v. Luttichau, der schlieBlich auch seine Ab-
19»
( H nno | r Original from
j-i i,-ul: :;.y vnn^iL UNIVERSITY OF MICHIGAN
292 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
setzung als Kapellmeister der Dresdener Hofoper herbeifuhrte . . . Nachfolgendes
authentische Material fiber Wagners Kollegen ReiBiger durfte in Richard Wagners
Verbalten zu ReiBiger Licht bringen ..." — No. 17. Festnummer aus AnlaB der
in Berlin stattfindenden Bach-Beethoven-Brahms-Festwoche. w BerIin^ als Musik-
feststadt." Von Paul Schwers. Dafl sich die Berliner Musikfeste „zu einem
stSndigen und kunstlerisch unentbehrlichen Faktor des Berliner Musiklebens heraus-
bilden mogen, das ist der Wunscb, den ich der ersten Musikfestwoche mit auf den
Weg geben mochte . . ." — „Bach-Beethoven-Brahms-Autographen in der Berliner
Koniglichen Bibliothek." Von Hermann Springer. — „Beethoven in Berlin."
Von Adolf Wei Urn an n. „. . . Wohl nirgends dningt sich die Vernunft vor wie bier,
nirgends wie hier sucht man sich, bevor etwas gefailt, Rechenschaft daruber zu
geben, ob und warum es gefallen durfe. Berlin ist nicht sprode nur aus Bequem-
lichkeit, sondern weil es voll ist von denkenden und moralischen Menschen. So
war es bis vor einigen Dezennien, bevor noch die Nervositat der Weltstadt der
Vernunft einen Streich spielte. Man nennt diesen Mangel an Schwungkraft ein
Symptom unkunstlerischen Wesens. Und doch lebt in den Menschen dieser Stadt
eine tiefe Neigung zur Musik. Sie wird als Bildungsmittel geschatzt, man freut
sich ihrer, man weiht ihr einen fast gottesdienstlichen Kultus. Was man also ehrt,
daran will man nicht rutteln lassen. Und bemerkten wir . . . miBf&llig den storenden
EinfluB der Vernunft, die Treue gegen ererbie und erkannte Werte, die Herzens-
sache ist, durfen wir nicht unterschatzen: Berlin verwehrt zwar dem Genie zu-
nachst den Eintritt, aber es sorgt durch die Treue bestens fur seine Unsterblicb-
keit. Der Fall Beethoven beweist es. a Verfasser legt die Beziehungen Beethovens
zu Menschen und Musik Berlins dar und schlieBt: .. . . Ist nun nicht Wunder-
voiles geschehen? Sind wir nicht Zeugen eines erhebenden Scbauspiels? Die
staunenswert gesteigerten, verfeinerten musikalischen KrSfte der Weltstadt wissen
nichts Hoheres, als sich wieder im Dienste jenes GroBen zu sammeln. Aus der
Zersplitterung, aus der Nervenkunst flnden mude Seelen andachtiger denn je den
Weg zu Beethoven. Auch der fortschrittliche erleuchtete Geist klammert sich an
diese SSule, er kehrt sehnsuchtig zum Ausgangspunkt zuruck. Da ist das Kapitel
von der Treue Berlins, der Beethovenstadt." — „Erinnerungen an das Berliner
Musikleben vor 50Jahren." Von Otto LeBmann. „. . . In einer Hinsicht wenigstens
unterschied sich das Musikleben von fruher von dem heutigen sehr zu seinem
Vorteil: das musikalische Publikum durfte sicher sein, wenn es Konzerte besuchte,
selbst von unberuhmten Kunstlern relativ genieBbare Leistungen zu horen. Die
heute zu einer Kalamitfit gewordene Uberschwemmung der Konzertsale mit
kunstlerisch unzulSnglichen Darbietungen kannte man nicht; wer offentlich sich
h6ren lassen wollte, tat es denn doch mit einem gewissen Respekt vor dem offent-
lichen Urteil. . ." — w Beethovens WeihekuB." Von La Mara. Ober den KuB,
den Beethoven am 13. April 1823 Franz Liszt bei seinem zweiten Konzert im
kleinen Wiener Redoutensaal auf die Stirne druckte. — „Goethe und Wagner." Von
K. Woltereck. „. . . So ist versucht worden, nachzuweisen, daB Goethe und
Wagner, die beiden grSBten Bildungsfaktoren unserer Zeit, in ihrem VerhSltnis
von Leben und Dichten, in manchen Motiven ihrer dramatischen Dichtungen und
in der Entwickelung als dramatische Dichter viele gemeinsame Zuge zeigen, die
immer doch ganz ihre eigenen sind. Und auch im fiuBeren Rahmen ihres Lebens
lassen sich noch manche zufallige, aber doch sonderbare Parallelen finden. . ." —
„Vom Musikerlehrling zum Musikdirigenten." Von H. Kraus. Aus einer wurttem-
bergischen Zinkenistenordnung vom Jahre 1721. — „C. M. von Webers erste
Polemik." Von Willy Redhardt. Ober einen Streit Webers bei Gelegenheit der
n - i ( Y^\nlr» Original from
a ,v UNIVERSITYOF MICHIGAN
REVUE DER REVUEEN 293
Auffuhrung seines „Waldmadcbens" in Freiberg i. S. — „Aus den musikalischen
Erinnerungen eines alten Tonkunstlers." Von Adolph Kohut. Mitteilungen aus
dem NachlaB des sachsischen Pianisten Justus Dietz. — No. 18. „Zur Wiederein-
fuhrung der Schnabelflote." Von Johannes Conze. „. . . Die Applikatur der
Schnabelflote wurde genau der ublichen Flotenapplikatur entsprechen. Die gerade
(senkrechte) Haltung wurde fur den Spieler sogar eine Erleichterung bedeuten.
Die ganze Neuerung bestSnde also eigentlich nur im Aufsetzen eines Schnabel-
mundstucks mit Sternspalte. Es durfte nicht schwierig sein, Fldten mit aus-
wechselbaren Mundstucken (Schnabelmundstuck und Quermundstuck) zu konstruieren.
Kleine Stimmungsdifferenzen muBten bei der Schnabelflote naturlich auf andere
Weise beseitigt werden konnen als bei der Querflote. Welcher Instrumenten-
bauer tritt mit der ersten modernen Schnabelflote hervor?" — No. 19. „Zwei
akustische Studien." Von Fritz Vol bach. (SchluB in No. 20.) Vorabdruck aus
des Verfassers Schrift „Die Instrumente unseres Orchesters." — „Unser Opern-
spielplan." Von KarlStorck. (SchluB in No. 20.) w . . . Wir unterscbatzen unser
Publikum. Es ist gar nicht wahr, daB dieses Publikum fur gute Musik, auch fur
gute Neuheiten nicht zu baben ist. Man darf es ganz ruhig sagen, daB unser
Theater jenes Publikum haben wird, das es haben will. Es ist da viel gesundigt
worden, und die schwerste Sunde ist es, daB durch die bohen Preise fur Opern-
vorstellungen weite Teile der Bevolkerung vom Besuch unserer Opernbauser
ferngehalten werden. Hier hat die offentliche Tatigkeit zuerst einzusetzen. Aber
so gut seinerzeit die ,Zauberflote' sofort popular werden konnte, so gut der ,Frei-
schiitz' vom ganzen Volke mit Jubel aufgenommen wurde, so gut uberhaupt unser
Volk von der Mitte des achtzehnten bis in die Mitte des neunzehnten Jahr-
hunderts seine Lieblingslieder aus guten Opern und Singspielen genommen hat,
so gut muB das auch heute noch gehen. Die Tatsache, daB dagegen alle neuen
volkstumlichen Licder die elendesten Erzeugnisse der Schundoperettenliteratur
sind, spricht Bande. Gebt dem Volke gute Nahrung, es wird mit Freude danach
greifen !*
NEUE ZE1TSCHRIFT FUR MUSIK (Leipzig), 80.Jahrgang, No. 26 und 27 (26. J uni
und 3. Juli 1913). — No. 26. „Die zweite Speerszene. Eine unbekannte
Szene im Rheingold". Zweite Jubiiaumsgabe von Moritz Wirth. — B M8ngel des
Gesangsunterrichts". Von H.Walter. Ober die Unzuianglichkeit des theoretischen
Gesangsunterrichts an den hoheren Schulen. — ff Vom Bayreuther Festspielzettel".
Von Paul Bulow. „. . . Soviel ich weiB, ist wunderbarerweise bis jetzt uber
die unSsthetische Form und besonders uber den dem kunstlerischen Zwecke
ganzlich fernstehenden Inhalt des Theaterzettels der Bayreuther Festspiele nie
etwas Rugendes geschrieben worden. Einen gleichen Eindruck wird aber jeder
kunstlerisch empfindende Festspielbesucher erhalten, wenn er sich dieses ab-
stoBende Reklameblatt von Theaterzettel betrachtet. . ." — No. 27. W E. T. A. Hoff-
manns ,Undine' als ,Kunstwerk der Zukunft <a . Eine Jahrhundert-Erinnerung von
Edgar Istel. „. . . , Undine* ist noch keine Erfullung, nur eine VerheiBung, aber
eine VerheiBung von solch merkwurdiger Deutlichkeit, daB erst wir Heutigen den
Weg erkennen konnen, den sie gezeigt. ,Undine' wies direkt auf das ,Kunstwerk
der Zukunft*, auf Weber und Wagner bin. Beide haben von Hoffmann gelernt,
besonders Weber praktisch, und zwar gerade an der , Undine*. Wagner, der die
Oper wohl nie gekannt hat, ist jedoch aufs tiefste von ihren Prinzipien beeinfluBt,
indirekt durch die Vermittelung Webers und direkt durch Hoffmanns Schriften,
die er schon in derjugend leidenschaftlich las und selbst im hochsten Alter noch
liebte. . .« Willy Renz
r fV^r\ nir- Original from
U-r'i/u^ :) V ^ lUU^It UNIVERSITYOF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN
BUCHER
52. Walter Niemann : Die Musik seit
Richard Wagner. Verlag : Schuster
& Loeffler, Berlin und Leipzig 1913.
(Mk. 5.—.)
Man kann nicht immer ruhigen Blutes bleiben,
wenn die Rede auf Richard Wagner und die
moderne Musik in Kreisen kommt, die hier wie
dort das Recht gepacbtet zu haben vermeinen,
daft sie alles besser wissen als andere oder doch
mindestens ebenso gut. „Greulichen Unsinn
kramst du aus" mochte man mit Mime zitieren
oder mit Siegfried „Gut waYs den Schlund dir
zu schliefien, den Rachen reckst du zu weit."
Aber schliefilich beruhigt man sich doch mit
dem schwachen Trost, daft OberflSchlichkeit
und halbes Wissen nie aus der Welt geschafft
werden konnen. Aber eines muB man doch
immer wieder wenigstens versuchen: die Leute
aufzuklaren, daft manches sich doch anders
verhait als einfacher Untertanenverstand sich
trSumen ISfit, selbst wenn man nicht von eitel
Hoffnung erfullt ist, dafi die Lehre auf frucht-
baren Boden fallen wird.
Fur einen der wertvollsten Behelfe, das
musikliebende Publikum fiber den Zusammen-
hang zwischen der Kunst Richard Wagners und
der Kunst der Gegenwart sachkundig aufzu-
klaren, halte ich das Buch Walter Niemanns
uber „die Musik seit Richard Wagner". Ich
schatze Niemann schon aus der Zeit, da mir
als sein erstes Werk seine aufschlufireiche
Studie tiber die abweichende Bedeutung der
Ligaturen in der Mensuraltheorie der Zeit vor
Johannes de Garlandia zukam, kenne ihn also
nun gut ein Dutzendjahre und habe seit dieser
Zeit an jeder seiner Veroffentlichungen meine
aufrichtige Freude gehabt. Schon wegen der
erquickend ehrlichen Gesinnung, die sich in
ihnen aussprach. Er blieb sich treu, auch wenn
er arg befehdet ward. Und nun liegt sein
Reifstes vor uns, und ich darf ohne jede Ein-
schrankung behaupten, daft es niemanden geben
wird, der aus dem Buche nicht starke An-
regungen mitnihme. Manches, was bisher sozu-
sagen in der Luft bing, bringt Niemann auf die
einfache Formel, ohne jedoch je in den trockenen
lehrhaften Ton zu verfallen, dessen auch er satt
ist. Und selbst dort, wo man anderer Meinung
ist als Niemann, bedeutet das Eingehen auf
seine Ansichten und die Auseinandersetzung
mit diesen einen seltenen Genuft.
Fur sein jungstes Buch will sich Niemann
den Vorwurf des Subjektivismus gern gefallen
lassen, denh ein objektives Urteilen gibt es
nicht. Den Parteistandpunkt aber kennt es
nicht. Es weist jede Sonderstellung, jedes
musikalische Partei- und Cliquentum weit und
nachdrucklichst von sich. Es will nur eines:
unparteiische Gerechtigkeit. Jeder unbefangene
Beurteiler wird Niemann unumwunden zuge-
stehen, dafi sein Streben nach moglicbster Un-
parteilichkeit von Erfolg gekront war. Manch-
mal freilich habe ich die Empfindung, dafi Nie-
mann in seinem geradezu fanatischen Eifer
nach Wahrheit des Guten vielleicht doch etwas
zu viel tut und im Leaser den Eindfiruck wacb-
ruft, al^l *oJ>- 1 fB-f- = ^i^'/kl^iit <. 1 «9d|3iC|^^4i > (lirgert sei.
So die Bemerkung auf Seite 88 uber Richard
Straufi'aRosenkavalier" und „Ariadneauf Naxos",
auf deren Wurdigung er nicht eingehen will,
„denn auch ihren Sensationserfolgen haben die
inneren und dauernden nicht standgehalten".
Aber man wird rasch versohnt, wenn man an
anderer Stelle wieder das viele Schone liest,
das Niemann uber Strauft zu sagen weifi.
Walter Niemann teilt seinen Stoflf in vier
Bucher. Das erste ist der Romantik und dem
Klassizismus gewidmet. Wagners Verhaltnis zur
Romantik und Nachromantik erfahrt hier eine
scharfe Beleuchtung. Es ware, meint Niemann,
aufierordentlich ungerecht, die Schopfungen der
Romantiker und Nachromantiker in Bausch und
Bogen als ausschliefilicb genrehaft zu ver-
dammen oder ihnen die Verantwortung dafur
zuzuschieben, dafi so viele Halbmusiker oder
Dilettanten sich auf die ihnen leicht zu erjagende
Beute der kleinen Liedform stiirzten. Gerade
Wagner selbst hat einem Lachner, einem Mendels-
sohn und Schumann, einem Hiller mit der leiden-
schaftlichen Einseitigkeit des ganz und gar von
den eigenen Planen, Anschauungen und Reformen
erfullten genialen und weit uberlegenen Kunst*
lers die scharfsten und unverdientesten Zensuren
erteilt. Und seine engere Gemeinde, voran die
monomanen und orthodoxen Wagnerschen Dog-
matiker und engherzigen Musiker wie der Schu-
mannverSchter Josef Rubinstein, haben brav mit-
geholfen, uns das Bild der Romantik und des
Klassizismus arg verzerrt zu uberliefern. Mit
Recht weist dann Niemann darauf bin, dafi
gerade unsere Hausmusik, die man bemuht ist,
vor der Operetten- und Tingeltangelmusik zu
immunisieren, den Nachromantikern sehr dank-
bar sein mufi. Ihre Klavierstucke, Lieder und
Kammermusiken sind meist nicht so schwer,
dafi sie ein tuchtiger Dilettant nicht bewaltigen
konnte. lm Klavierspiel zu vier HInden, das
ja heute schon fast ausgestorben scbeint, haben
die Nachromantiker in den ungunstigsten Zeiten
das reiche Erbe der Klassiker und Romantiker
treu bewahrt. Gerade hier zeigt sichs', dafi ihre
Zeit eine neue Blute der idealisierten Tanz-
formen bedeutet. Ihrer Romantik entsprechen
reizende Kleinarbeit und eine alien Stimmungen
gewachsene seelische Vertiefung. Dieser Zu-
wachs an Seelischem erstreckt sich bis auf die
Etude. Aber je mehr die Nachromantik sich
von der Zeit der Grofimeister uber Wagner und
Liszt der Gegenwart nihert, desto deutlicher
nimmt sie in _den Formen ihrer Werke die
Zeichen der Ubergangszeit an. Die Formen
schwanken, verbinden sich, stromen ineinander,
alles strebt nach Entwicklung, nach Wachstum.
Neben der Sonate steht die Suite und Serenade,
neben der Variation der Zyklus mit poetischen
Stimmungsbildern, neben der Symphonie die
Sinfonietta. Die Symphonie nimmt Elemente der
programmatischen symphonischen Dichtung an
und verzichtet zuweilen auf das unbedingte Vor-
recht der ViersStzigkeit und des genrehaften
Charakters ihrer Mittelsatze. Das Lied zieht
Elemente der dramatischen Kantate, das Genre-
stuck Elemente der poetischen Programmusik
herbei. Die einfache dreiteilige Liedform wird
durch Sofll^ejijfT^nje^i^fen, die Tanzform durch
^^^liYbfMar^ 6116 " undab -
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
295
gewandelt. Die Suite teilt sich immer deutlicher
in eine unter EinfluB der immer gewaltigeren
musikalischen Renaissancebewegung alter-
tumelnde gebundene und in eine moderne. Der
Ouverture tritt das Vorspiel, der symphonische
Prolog zur Seite.
Ungemein aufschlufireich ist, was der Ver-
fasser im z we it en Buche uber den EinfluB
Wagners auf das Opernschaffen der Gegenwart
sagt, wie da die Wagnersche Phraseologie, die
Wagnersche Formel rein SuBerlich nachgeahmt
wurde, ohne daB die Nachtreter auch in Wagners
Geiste geschaffen hStten. Leider verbietet es
der Raum, aus der Fulle der Gedanken, die
Niemann gerade zu diesem Thema vorbringt,
aucb nur eine kleine Auslese zu bringen. Das
Bucb uber die Neuromantik wird dem groBen
Publikum vielleicht die meisten Aufscblusse
bringen, zumai die jungere Generation mit den
Werken Ricbard Wagners aufgewachsen ist und
die moderne Opernproduktion miterlebt.
Das dritteBucb behandelt die Moderne. Als
die Grundelemente, die dem taglich schwanken-
den und ewig wandelbaren Begriff der deutschen
musikalischen Moderne unserer Zeit einige Be-
stimmtheit und Festigkeit verleihen, erscheinen
Niemann die langsame Umwandlung der ver-
geistigten und verinnerlichten Seelen- und
Herzenskunst zur verauBerlichten und artisti-
schen Nerven-, Klang- und Stimmungskunst, die
Tonmalerei, der Naturalismus und Realismus in
der Klangcharakteristik, die Romantik und In-
timitSt, die Wichtigkeit des umgebenden Milieus
in Klima, Ort, Erziebung, Nation, Sitte, die
nebeneinander herlaufenden Anschauungen von
der Kunst fur alle und der Kunst fur Kenner.
Ich kann es nicht unterlassen, an dieser Stelle
besonders auf Niemanns feinsinnige Charakteri-
sierungen modernerTonkunstler wie Regers oder
Pfltzners hinzuweisen.
Das vierte Buch ist der nationalen Musik und
der musikalischen Heimatkunst gewidmet. Es
ware zwar sehr verlockend, auch hier sich mit
einzelnen Anschauungen des Autors nSber aus-
einanderzusetzen, aber ich kann nur noch auf
das Buch als Ganzes binweisen unddem Wunsche
Ausdruck geben, dafl sich alle an der Musik
interessierten Kreise, die Musiker von Beruf und
die Laien, recht eingehend mit diesem prSch-
tigen Buche beschaftigen. Es wird ihr Schade
nicht sein.
Zum Schlusse mochte ich noch anmerken,
daB Leo Blecb kein Osterreicher ist, sondern
1871 in Aachen geboren ward und nach musi-
kalischen Studien bei Bargiel und Humperdinck
in Berlin erst 1899 nach Prag gekommen ist, so
daB man ihn nicht widerspruchslos wird zu den
osterreicbischen Komponisten zahlen konnen.
Dr. Ernst Rychnovsky
53. Carl Siegmund Benedict: Richard
Wagner, sein Leben in Briefen. Eine
Auswabl aus den Briefen des Meisters mit
biographischen Einleitungen. Verlag: Breit-
kopf & HSrtel, Leipzig 1913. (Mk. 5.—.)
Die Ausgaben der Wagnerschen Briefe, bis-
her 17 Bfinde, sind alle in den Verlag von Breit-
kopf & HaYtel ubergegangen. Damit ist die
Grundlage fur eine kunftige kritische Gesamt-
ausgabe geschaffen, die freilich noch in weiter
Feme stent, da noch zahlreiche Briefe unzu-
o
ganglich sind und die bereits gedruckten einzelne
Lucken aufweisen. Es war ein glucklicher Ge-
danke, aus dieser Fulle von charakteristischen
und inbaltsreichen Briefen eine biograpbische
Auswahl zu treffen, wie auch Schillers und
Goethes Leben auf Grund ihrer Briefe erzahlt
wurde. Mitkurzen Einleitungen und Anmerkungen
konnen die notigen Erganzungen beigefugt werden,
so daB ein abgerundetes und vollstandiges Ge-
samtbild sich ergibt. Benedict bat sich geschickt
und taktvoll dieser dankbaren Aufgabe unter-
zogen. Die Biographie in Briefen ist ein wert-
volles Seitenstuck zur Autobiographic Hier
waltet die Stimmung des Augenblicks, wShrend
die Autobiographic eine wohlbedacbte Ruckschau
auf die Vergangenheit darstellt, wobei manche
Zuge verblassen und zurucktreten. Der Heraus-
geber nahm nur solche Briefe auf, in denen
„die ganze Seele des Meisters mit der ihm
eigenen Wfirme und Leidenscbaft" sich aus-
spricht. Also keine Mosaik aus Bruchstucken,
sondern lauter vollstandige Urkunden, aus denen
die voile Personlichkeit Wagners zu uns spricht.
Das Buch gliedert sich in sechs Abschnitte: die
Jugend-undWanderjahre(1813-42),dieDresdener
Kapellmeisterzeit (1842 — 49), die Verbannung der
Zuricher Zeit (1849-58), der Irrnis und der
Leiden Pfade von Venedig bis Munchen (1858—64),
Munchen und Tribschen (1864—72), Bayreuth
(1872—83). Im ganzen sind 112 Briefe auf-
genommen, die an Personen gerichtet sind,
welche in Wagners Leben eine gewisse Be-
deutung haben. Die Einleitungen sind wie die
Anmerkungen absichtlich so kurz als moglich
gehalten, um den unmittelbaren Eindruck der
Briefe nicht zu storen. Auch die Anmerkungen
beschrSnken sich auf knappe Angaben, etwa so,
wie KloB im Briefwechsel zwischen Wagner
und Liszt verfuhr. Was die auBere Gestalt des
Buches betrifft, so hatte ich eine Unterscheidung
der Einleitungen von den Briefen im Druck
gewunscht; vor allem aber sollten die einzelnen
Seiten durch Uberschriften dem Leser das Auf-
suchen der einzelnen Briefe erleichtern.
Uber die Wahl der Briefe kann man naturlich
fur einzelne Ffille auch anderer Meinung sein.
Mancher wird diesen oder jenen Brief vermissen.
Auch die Adressaten erschopfen keineswegs den
ganzen Freundes- oder Bekanntenkreis des
Meisters und gewihren daher kein vollstandiges
Bild von Wagners brieflichem Verkehr. Aber
solche Einwinde verschwinden vor der uberaus
gunstigen Gesamtwirkung des Buches, das vor-
zuglich geeignet ist, anschaulich und lebendig
in Wagners Leben und Wirken einzufuhren.
Die Briefe sind immer die unmittelbarsten und
wertvollsten biographischen Zeugnisse. Sie bieten
aber auch hohen Ssthetischen GenuB, da Wagners
Briefe von seltener Schonheit und kunstlerischer
Wirkung sind. Sie verdienen vielfach den Vor-
zug vor den Schriften und enthalten jedenfalls
deren unentbehrliche Erganzung.
Wolfgang Golther
54. I riii a von HOpflingen-de Lyro: Re-
naissance der Gesangs- und Sprech-
kunst. Verlag: Wilbelm Braumuller, Wien
und Leipzig 1913. (Mk. 5.—.)
Ein leises, aber schwer niederzuzwingendes
MiBtrauen ergriff mich, als ich den Titel dieses
ziemlich korpulenten Buches (XX und 374 Seiten)
Original from
C
UNIVERSITYOF MICHIGAN
296
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
las. Nicht zuletzt gegen mich selbst, ob ich
die Selbstverleugnung aufbringen wurde, micb
da durcbzulesen. Nun ich damit fertig, gestehe
ich gem, daft mein anfangliches MiBtrauen einer
angenebmen Enttauschung Platz gemacht hat.
Nicht als ob wir hier endlich das langst er-
sehnte, den Gegenstand vollig meisternde Werk
vor uns batten. Auch iaflt der Titel eine Er-
fullung erwarten, wo uns der Inbalt selbst doch
nur wieder mit einem pium desideratum ent-
lafit. Ferner gehort das Buch vollstandig der
mechanistischen Schule an, liest sich also fur
einen uberzeugten Anhanger der Taylor'schen
Theorieen nur mit leisem inneren Protest
gegen den allgemeinen Standpunkt der Ver-
fasserin. Wenn sie sich noch in einem 17. Kapitel
uber den ausscblaggebenden Einfluft derNach-
ahmung beim Tonbildungsunterricht und die
Wichtigkeit der Erziehung des Ohres fur
die G esangsqualitaten eines Tones etwas
verbreitet hfitte, so hatte dies den Wert ihrer
Ausfuhrungen erheblich gesteigert und sie ihrts
rein mechanistischen Charakters entkleidet.
Von diesen prinzipiellen Einw3nden abgesehen,
enthSlt das (wie die Verfasserin selbst an eimgen
Stellen einrfiumt) etwas redselige Buch eine
Fulle richtiger, anscheinend auf Erfaruung be*
ruhender Beobachtungen und darau* fo gerichtig
entwickelter Lehren. Den Einfluft physiologischer
und anatomischer Belehrung auf den Schuler
scheint mir die Verfasserin zu ubersch&tzen.
(Das Buch enth< naturlich den ublichen ana-
tomischen Atlas, zusammengesetzt aus den un-
vermeidlichen Tafeln aus Gutzmann, Gerber,
Heitzmann usw.) Jede nicht ganz unbefangene
Kenntnis dieser Dinge stort meines Erachtens
den ruhigen, automatischen, nur durch das Ohr
zu kontrollierenden Ablauf der Stimmen-
funktionen. Im Anschluft an Bukofzer empfiehlt
die Verfasserin (S. 160 und 357) das „italienische tt
t (ein Mittelding zwischen dem harten t und
dem weichen d der deutschen Sprache) als
geeignetsten „Einsatzkonsonanten", da die Den-
talis ihrer Benennung entsprechend hart hinter
der oberen Zahnreibe gebildet werden, dem
einzig richtigen Anschlagspunkt des Tones.
Da es sich darum handelt, die Vokale moglichst
weit „vorne a zu bildcn, ist jedoch ein Kon-
sonant, der dem ersten Artikulationsgebiet
(Gerber S. 347) angehort, vorzuziehen und als
den geeignetsten „Ansatzkonsonanten a mochte
ich in Obereinstimmung mit Muller-Sollner
das leichte drucklose m bezeichnen. Wo das
richtig gesummte m sitzt, muft auch der richtig
gebildete Vokal sitzen. Was die Verfasserin
uber die Textbehandlung sagt, hat durchaus
Hand und Fuft und ihre Bemerkungen zur
Hygiene der Singstimme bekunden, daft sie
das Ergebnis vielfacher persSnlicher Erfahrungen
sind. Recht dankenswert ist die Betonung von
Reclams Rat, der den Berufssangern empfiehlt,
an den Tagen, da sie nicht offentlich auftreten,
zur Stunde ihrer gewohnten Produktion zu
Hause Skalen zu uben, und den Schauspielern,
Resonanzubungen zu machen, um die Leistungs-
fahigkeit der Stimme zu einer bestimmten
Stunde durch Angewohnung zu erhohen. Das
ausfuhrliche Inhaltsverzeicbnis lafit zwar den
Wunsch nach einem Sach- und Literaturregister
nicht ganz verstummen, gibt aiber immerhin
(V
D '!!;]"':!
einen ausreichenden Begriff von der Fulle des
Stoffes, den die Verfasserin in angenehmem
Wiener Deutsch anregend und unterhaltend
zugleich behandelt. Dr. Fr. Stubenvoll
MUSIKALIEN
55. Desire P&que: Zehn Kompositionen
fur Orgel. Werk 57. Verlag: N. Simrock,
G. m. b. H., Berlin 1913. (2 Hefte zu je
Mk. 3.-.)
In der Orgelliteratur war der Name D£sir6
Paque's bisher unbekannt. Die hier vorliegenden
zehn kurzeren Stucke sind zwar zunachst fur
den Konzertsaal gedacht, konnen aber mit Aus-
wahl (z. B. Meditation et Pastorale, Pr61ude-
Impromptu, Canon, Adagio, Trio) auch gut in
der Kirche Verwendung finden. PSque's Musik
tragt internationale Zuge, es sind darin Merk-
male nordischer, deutscber und romaniscber
Herkunft anzutreffen, in sehr personlicher Weise
zu neuer Einheit verschmolzen. So resultiert
ein eigenartig Neues, dem man sein Interesse
nicht versagen kann. Es fehlt nicht an Stellen,
die harmonisch kuhn gestaltet sind und uber-
raschenden Gebrauch der Cbromatik aufweisen,
so in der w Fugbette sur le nom Bach", Prelude,
Adagio. Von wenigen etwas leichter wiegenden
Takten abgesehen, herrscht fast uberall die
Schonheitslinie vor und eine vornehmeAusdrucks-
weise in untadeliger technischer Arbeit. Jeden-
falls wird man nicht ohne Genuft zu diesen
ubrigens beinahe durchweg leicht spielbaren
Stucken greifen, die, durch geschmackvolle Re-
gistrierung in ihrer Wirkung noch gehoben, ein
Program m zu beleben gar wohl geeignet sind.
56. Karl Hoyer: Einleitung, Variationen
und Fuge uber den Choral .^Jerusalem,
du hocbgebaute Stadt" fur Orgel. Ver-
lag: F. E. C. Leuckart, Leipzig 1913. (Mk.2.50.)
Angeregt durch Regers Cboralphantasieen
hat es Hoyer verstanden, wohlgeformte und
wirksam erfundene Musik von gewthltem Aus-
drucke zu schreiben, die ehrlich und ohne
chromatische Oberladung durchaus modern emp-
funden, echt orgelmaftig und dabei nur von
mittlerer Schwierigkeit sich von selbst ihren
gebuhrenden Platz erringen wird. Sehr wirksam
ist die mit grofter technischer Sicherheit auf-
gebaute Schluftfuge mit Choral, deren Thema
aus dem Choral selbst entwickelt ist.
Dr. Ernst Schnorr von Carols fe Id
57. Hermann (iiftdcncr: Erstes Liederheft.
Verlag: W. Karczag & K. Wallner, Wien
und Leipzig. (Mk. 3.—.)
Diese Liedcr sind wohl eigentlich fur Ge-
sang und Harfe geschrieben und als Ges&nge
aitester Art gedacht, wobci die Begleitung nur
auf wenige Wechselakkorde sich beschrankte.
Ihr Wert liegt bauptsaehlich in der Singstimme,
die durchaus vorherrscht und mit erfreulicber
Frische der Erfindung ausgestattet ist. Es waltet
geradezu ein volksliedaniger Zug in den Weisen
Gradeners, was kein germges Lob bedeutet. Um
so peinlicher fuhlt man sich von der Begleitung
beruhrt, die uber die primitivsten gebrocbenen
Harmonien nicht hinauskommt und durch deren
unausgesetzte Verwendung ermudend wirkt und
keine feinere Herausarbeitung zul&fit. Mag aucb
Grade^er jdiesftpXliJettantische Form der Be*
UNIVERSITY OF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
297
gleitung mit Absicht gewShlt haben, um seinen
Liedern den Charakter von rhapsodischen Im-
provisationen zu verleihen, so ist er doch in der
Durchfuhrung dieses Grundsatzes viel weiter
gegangen als es beutzutage zul&ssig ist. Denn
gerade wenn man mit Freuden die Tatsache be-
grufit, dafl in letzter Zeit in der Liederkompo-
sition wieder mehr Wert auf klare, sangbare
Melodie gelegt wird, muB man doch fordern,
dafi die wertvolle Bereicherung der Ausdrucks-
mittel, die uns die letzten 25 Jahre gebracht
baben, nicht vollstflndig auBer Acht gelassen
werde. Wenn Gradener kunftig zu seiner mube-
losen Erfindung noch eine gute, kunstreiche,
wenn auch durcbaus nicht gekunstelte Klavier-
begleitung fiigen wollte, wurde er sich selbst den
besten Dienst erweisen und seinen weiteren Ar-
beiten die aufmunterndste Anteilnahme sichern.
58. D6sirc P&que: Sieben Lieder fur eine
Singstimme und Klavier. Verlag: N.
Simrock, G. m. b. H., Berlin und Leipzig.
(Mk. 4.-.)
Fur diese franzostschen Gesfinge, deren
Texte in der Verdeutschung von Erna Gumpel
noch prosaischer klingen als im Original, werden
sich deutsche Musiker und Musiklernende kaum
erwSrmen konnen, denn es liegt zu wenig Seele
darin. Auch die musikalische Faktur ist wenig
fesselnd. Die Melodie hat entweder etwas Leie-
riges oder sie bleibt im DeclamS srecken, Stil-
einbeit mangelt ebenso wie tieferes Empfinden.
Relativ am besten ist meiner Meinung nach
No. 6 „Der Abend* 4 , obwohl dabei die Oktaven-
parallelen in ibrer hartnSckigen Beibehaltung so
unschdn sind, daQ selbst ein von pedantischem
Regelzwang freier Beurteiler daran Anstofi
nebmen mufi. In der Harmonik sind die Lieder
recbt uninteressant,dieallt§glicbstengebrochenen
Akkorde werden zur Bewegung verwandt, und
der Inhalt entspricht dieser SuBeren Form. Es
hat wenig Sinn, derartige Erzeugnisse auf den
uberfullten Markt zu werfen, wo so viele be-
gabtereTonsetzer nicht zuWorte kommen konnen,
weil ihnen die Beziehungen zu einem Verleger
fehlen. F. A. GeiBler
59. Joseph Pembaur d. J.: Marienlieder fur
eine Sin gstimme und Klavier. Wunder-
horn-Verlag, Munchen. (lV\k. 2. — .)
Pembaur bemuht sich in diesen drei Liedern,
einen kirchlichen Ton durch homophonen Satz
und eigenartige, bisweilen zunachst fremd an-
mutende Akkordverbindungen zu erzielen. Am
besten gelungen erscheint mir „Ich sehe dich in
tausend bildern*. In alien drei Liedern schwingt
ein mystischer, religioser Unterton, der den Horer
ergreift.
60. Heinrich Kaspar Schmid: Funf Ge-
dichte fur eine Singstimme und
Klavier. op. 17. (Mk. 3.— .) — Kleine
Lieder fur eine Singstimme und
Klavier. op. 20. (Mk. 2.50.) Wunderhorn-
Verlag, Munchen.
Diese Lieder sind voll echter Lyrik. Die
Singstimme bat dankbare Aufgaben, und in der
stets feinsinnig durchgearbeiteten Begleitung
ist kein Zuviel. Aus dem ersten Hefte hat
mich besonders „Rotkehlchen a entzuckt. Alle
Lieder aus opus 17 mussen im Konzertsaal von
Erfolg sein, noch mcbr aber die. aus opus 2Q.
o
Das sind liebliche Gebilde von zartesten T6-
nungen, die alle gleich meisterhaft gestaltet sind.
Waiter Dahms
61. Alberto Bachmann : Sonate pour Piano
et Vio Ion. Verlag: Adolph Fiirstner, Berlin.
(Mk. 4.-.)
Von diesem Tonsetzer kannte ich bisher nur
elegante, sehr violinmaBige Salonstucke. Diese
aus vier knappen Satzen bestehende Sonate in
d-moil stellt der Phantasie und dem Empfinden
des Autors das beste Zeugnis aus; seine Ge-
danken, die er in einer mitunter reichlich bril-
lanten Form niedergelegt hat, sind keineswegs
alltfiglich; namentlich gilt dies von dem ersten,
auch rhythmisch recht interessanten Satze, dessen
Hauptthema sofort gefangen nimmt. Im Scherzo
steckt viel Esprit; der gesangvolle Mittelsatz, in
dem durch Synkopierung der Melodie besonderer
Reiz abgewonnen wird, bringt einen schSnen
Gegensatz. Die einfache Melodik des Adagios,
das am wenigsten darauf schlieBen lSBt, daQ der
Komponist Pariser ist, ist gewinnend. Das be-
sonders schwierige Finale ist fur eine Sonate zu
konzertmaBig gehalten, wie denn uberhaupt die
Anspruche an die Ausfuhrenden nicht gering
sind. Fur offentliche Auffuhrungen mdchte ich
diese Sonate besonders empfehlen.
62. Heniot Levy; Sonate fur Pianoforte
und Violine. op. 6. Verlag: Ries & Erler,
Berlin. (Mk. 12.-.)
Diese in streng klassischem Stil gehaltene
viersStzige Sonate, die geubte und leistungs-
fahige Ensemblespieler verlangt, verrSt entschie-
den kompositorische Begabung; die Tbemen sind
durchweg plastisch und sogar von einer gewissen
Groftzugigkeit, doch neigt der Komponist zur
Weitschweifigkeit. Viel Leidenschaft steckt in
dem ersten Satz, der durch seine Rhythmik be-
merkenswert ist, besonders das zweite Thema
wird man lieb gewinnen. Warme Empfin-
dung und Sinn fur einschmeichelnde und doch
nicht weichliche Melodik lafit das Adagio er-
kennen. Pikant und sehr ins Ohr fallend ist
das Scherzo. Das Finale tragt mit Recht die
Bezeichnung Allegro resoluto; das zweite Thema
wirkt machtvoll. Es lohnt sich die BeschSf-
tigung mit dieser Sonate, die ubrigens Leopold
Godowsky gewidmet ist.
63. Peter htojanovtts: Klavierqua rtett.
op. 15. -- Klaviertrio. op. 16. Verlag: Fr.
Kistner, Leipzig, (je Mk. 9.-.)
Zweibeachtenswerte, nreit ausgefuhrte Werke,
deren Melodik einen starken sudslawiscben Ein-
schlag hat, mitunter also traumerisch-lieblich,
ich sage nicht: sufilich-weichlich ist. WirkungN-
voller und datum fur den Konzertgebrauch
empfehlenswerter ist wohl das Quartett, dem
grofier Schwung, Kraft und ein brillantes aufieres
Gewand nachzuriihmen ist. Besonders gilt dies
von den beiden EcksStzen. Viel Eigenart, auch
in der Klangwirkung, steckt in dem Scherzo;
der langsame Satz diirfte trotz groBer Feinheiten
im einzelnen verhaitnismadig am wenigsren nach-
haltig fesseln. Im Trio steckt viel Pathos, be-
sonders im letzten Satz. Der erste, uberwiegend
in langsamem Zeitrr.aB gehaltene ist von leiser
Wehmut erfullt. Ein pikantes Scherzo und
ein einschmeichelndes Intermezzo sind die
MittelsStze. Der Komponist, der die musi-
kalischen Formen ^^^w^f^^herrscht, be-
UNIVERSITY OF MICHIGAN
298
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
muht sich auch erfolgreich, seine Harmonik und
Rhyttamik interessant zu gestalten.
64. A. Kopylow: 3* me et 4*™ Quatuor pour
2 Violons, Alto et Violoncelle. op. 32
und 33. Verlag: J. H. Zimmermann, Leipzig.
(Partitur je Mk. 2.—, Stimmen Mk. 9.—.)
In meinem Artikel „Die Kammermusik der
Russen tt (Die Musik Bd. 23) habe icta die beiden
ersten Quartette Kopylow's bereits als hochst
beachtenswert bezeichnet. Die beiden vorliegen-
den, von denen das dritte in A-dur, das vierte
in C-dur stent, verdienen nicht minder, von alien
Quartettfreunden gekannt zu werden. Gewatm
es schon eine Freude, die sorgfaltig gearbeiteten
Partituren zu lesen, die von volligerBeherrscbung
des Quartettstils der Klassiker Zeugnis ablegen
und das wechselreicbe Spiel, das gegenseitige
Sichablosen der einzelnen Instrumente aufs
klarste erkennen lassen, so ist es noch schoner,
wenn diese wirklich erklingen. Hier haben wir
wieder einen Komponisten, der Schonheit der
auBeren Form mit wirklicber Erfindung verbindet
und in der Harmonik und Rhythmik eigenartig
ist. In letzterer Hinsicht hat er eine Vorliebe
daftir, im Dreivierteltakt zwei Takteinheiten wie
drei des Zweivierteltakts zu behandeln. Es ist
schwer zu sagen, welches der beiden Werke
schoner und ansprechender ist. Opus 32 bringt
im ersten Satz gleich eine ungemein frische
Melodie, der dann ein geradezu bezauberndes
Gesangsthema mit einer ostinaten chromatischen
Begleitungsfigur folgt. Das Scherzo beschwort
in seinem Hauptteil die Geister des Mendels-
sohnschen „Sommernachtstraum a herauf, um im
Mittelsatz ein sehr reizvolles echt russisches
Zwischenspiel zu bieten. Der langsame Satz in
Liedform beginnt choralartig in einfach frommer
Weise, die durch eine Art Scherzo unterbrochen
wird. Das rondoartige Finale wirkt vor allem
durch die an einen derben Volkstanz gemannende
urwuchsige Hauptmelodie. Opus 33 tragt im
ersten sehr einfach und klar gehaltenen Satz,
vor allem im Hauptthema, russischen Charakter.
Eine Glanznummer fiir virtuose Ausfuhrung ist
das Scherzo, das in seinem Hauptteil von einer
Lebendigkeit und Frische sondergleichen ist und
durch einen kurzen elegischen Zwischenteil
unterbrochen wird. Wie ein richtiges Volkslied
mutet trotz der feinen Arbeit der langsame Satz
an. Das Finale beginnt sehr wuchtig, fast or-
chestral, hat einen sieghaft trotzigen Zug in der
Hauptsache; als Gegensatz erscheint ein un-
gemein liebliches, dem Ohr sich einschmeicheln-
des Thema. — Beide Werke konnen von Dilet-
tanten bewaltigt werden. In deren Interesse
bedaure ich, daB der Preis der Stimmen, die
freilich hochst opulent gestochen sind, verhaltnis-
maBig hoch ist.
65. Ferdinand Kflchler: Praktische Violin-
schule. Verlag: Hug & Co., Basel. (Mk.5.— .)
Auf dem Titelblatt hatte vermerkt sein mussen,
dafi diese naturlich auch Ubungsstiicke aus be-
kannten alteren Violinschulen (vor allem der
Hubert Riesschen) enthaltende Schule die
zweite umgearbeitete Auflage eines 1910 er-
schienenen Werkes ist. In dieser neuen Auflage
bekennt sich der Verfasser durchaus zu den von
Dr. F. A. Steinhausen in seinem bekannten
Werke „Die Physiologie der Bogenfuhrung auf
den Streichinstrumenten a ^ewonnenen Resultaten,
vor allem erklart auch er die fruher fast aus-
schlieBlich geforderte Unbeweglichkeit des Ober-
armes fur sinnlos. Nur die erste Lage behandelt
er. Der Schuler wird langsam aber sicher ge-
fordert und erhalt auBer Obungen genugend
melodische Stucke, vor allem ChorSIe und Volks-
lieder, um nicht das Interesse zu verlieren. Auf
jeden Fall gehort diese Schule zu den beachtungs-
werten.
66. Amadeo von der Hoya: Mod erne
Lagenstudien fur Violine. Verlag:
F. E. C. Leuckart, Leipzig. (Mk. 26.—.)
Der bekannte Linzer Violinpadagoge hat mit
diesem Werke, dessen erster Teil die festen
Lagen in funf Heften, dessen zweiter Teil den
Lagenwechsel in vier Heften behandelt, mit be-
wunderungswurdigstem Scharfsinn ein Gebiet
erschopft, das selbst in den groBen Schulen von
Singer-Seifriz, Moser-Joachim und Sevcik etwas zu
kurz gekommen war. Dabei geht er nicht uber
die funfte Lage hinaus; es durfte aber schwer
sein, noch andere Moglichkeiten in bezug auf
Lagenwechsel herauszufinden, als sie der Ver-
fasser erdacht, fast mSchte ich sagen, erklugelt
hat. Wahrend ich von der uberaus groBen
Nutzlichkeit der von ihm fur die festen Lagen
gebotenen Studien, die die trefflichste Erganzung
zu jeder Violinschule bieten, durchaus uberzeugt
bin, neige ich der Ansicht zu, dafi man den
Lagenwechsel weit besser und vor allem mit
mehr musikalischem GenuB aus dem Studium
der Violinkonzerte, uberhaupt der Vortrags-
literatur lernt; doch zweifle ich nicht, daB, wer
die Energie hat, auch Hoyas Lagenwechsel-
Ubungen grundlich durchzustudieren, jeder tech-
nischen Schwierigkeit Herr werden rn^uB; un-
billig w2re es zu verlangen, daB diese Obungen
auch dem Geiste und dem Empfinden Nahrung
geben sollen.
67. Ernst Brtkggemann: Drei Ieichte Sona-
tinen fur Violine in der ersten Lage
und Klavier zum Studium wie zum
Vortrag. op. 5. Verlag: L. Schwann, Dussel-
dorf. (No. 1 Mk. 1.20, No. 2 Mk. 2.— , No. 3
Mk. 2.40.)
Auf das angenehmste enttauscht war ich, als
ich diese Sonatinen mit einem Freunde durch-
spielte; sie haben nichtsTrockenes, Schulmeister-
liches an sich, sondern zeugen von frischem
musikalischen Empfinden und feiner Beherr-
schung der musikalischen Formen. Jeder Schuler
wird sie mit Anregung spielen, aber auch Er-
wachsene werden sich an den hubschen musika-
lischen Einfallen des Komponisten erfreuen; er
hatte ubrigens einen Fingersatz hinzufugen sollen,
der auf die hoheren Lagen Bezug nimmt, in
denen manche Stellen sehr gut ausgefuhrt werden
konnen. Sollte ich einer dieser drei Sonatinen
den Vorzug geben, so ware es der ersten; in
der dritten ist ubrigens ein reizender Kanon.
Einige Druckfehler, vor allem Weglassung des
Sechszehntelstriches, werden niemanden storen.
Wilhelm Altmann
68. Serge Bortkiewicz: Konzert (B-dur) fur
Klavier und Orchester. op. 16. Verlag:
Fr. Kistner, Leipzig. (Mk. 9.—.)
Nach den Erfahrungen der letzten Jahre zu
urteilen, scheint es nicht allzuleicht geworden
zu sein, ein in jedem Sinne gutes Klavierkonzert
zu schretlfen.jJXie Verbindung eines ernsten und
UNIVERSITY OF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
299
dabei doch gefalligen thcmatischen Inhalts mit
einer interessanten DurchfGhrung desselben im
Rahmen des freien Stils, dabei ein klangvoller,
brillanter und doch nicht in blolXe Virtuositat
ausartender Klavierpart: das sind Bedingungen,
denen es nicbt so leicht ist, in gleichem Mafie
gerecbt zu werden. Sind doch bekanntlich in
den letzten Jahren verschiedene Klavierkonzerte
namhafter Autoren aufgetaucht, die in irgend-
einer Weise obigen Anforderungen nicht zu ge-
nugen schienen und deshalb nach einigen
Achtungserfolgen wieder der Vergessenheit an-
heimgefallen sind. Diesem Werke des talent-
vollen jungen russischen Komponisten muQ —
wenn man prophezeien darf — ein viel besseres
Los beschieden sein. Ich habe kein Shnliches
Werk moderneren Ursprungs gesehen, das alien
obigen Anforderungen so glanzend genugte. Der
Pianist wird es mit Freuden begrQBen, weil es
sehr wirksam ist; der Musiker auch, weil er sein
Vergnugen daran finden wird ; auch durfte es zum
Scbluft dem Publikum sehr willkommen sein,
das, wenn auch musikalisch genugend gebildet,
nicbt immer nur „Interessantes tt haben will,
sondern mal auch „etwas furs Herz a im besten
Sinne des Wortes. Das Werk ist in drei nicht zu
langen Satzen aufgebaut. Ein jeder Satz bildet
ein in sich geschlossenes Ganzes ; das Konzert soil
nicht, wie das moderne Schlagwort lautet, „ohne
Zwischenpausen gegeben werden". Diese Ruck-
kehr zur Slteren Mode ist besonders bei Kon-
zerten sehr angebracht; es gewShrt dem Publi-
kum Gelegenheir, seinen Beifall nicht erst am
Schlusse zu SuiJern (was dem ausfuhrenden
Kunstler selten unangenehm ist) und bietet
beiden die Moglicbkeit, sich in Ruhe fur die
folgende Aufgabe und fur die noch bevor-
stehenden Genusse vorzubereiten. Nichtsdesto-
weniger ist die Zusammengehdrigkeit der drei
Satze durch die thematische Arbeit vollstandig
gewahrt. Nach ein paar aufterst charakteristischen
einleitenden Takten des Orchesters (die spater
auch sehr oft auftauchen) hebt das Klavier mit
seinem Hauptthema, sozusagen der „Seele des
Werkes", an, das in verschiedenen, Varianten
nicht nur den ersten Satz beherrscht, wo es
sozusagen zu seinem groflten Triumph erhoben
wird, sondern auch noch vor der Koda des
dritten Satzes als willkommene Reminiszenz
auftaucht. Thematisch ist diesem Motiv, nebst
den oben erwahnten ruhigen einleitenden Mo-
tiven, ein durchweg lyrisches Seitenthema zu-
gesellt. Eine aus dem Hauptthema gebildete
effektvolle Kadenz geht der Koda des ersten
Satzes voran. Der zweite, ruhige Satz bringt
eine geschickte Verbindung eines choralartigen
und eines lyrischen Motivs, wobei die oben er-
wfihnten einleitenden Motive — in rhapsodischer,
rezitativischer Weise behandelt — die Verbindung
zwiscben ihnen herstellen. Der dritte Satz ist
hauptsSchlich auf ein recht flottes, slawisches
Tanzmotiv aufgebaut. Das sehr lyrische, etwas
modern italienisch klingende Seitenthema wirkt
in seinem Gegensatze ausgezeichnet. Vor der
letzten Wiederkehr des Tanzmotivs kommt die
erwartungsvoll vorbereitete Reminiszenz an das
Hauptthema des ersten Satzes, woran sich dann
der effektvoll gesteigerte Schlufi desWerkesan-
schliefit. — Pianisten sei das Werk^atrfs warmstej
(V
empfohlen. Sie und das Publikum werden ihre
Freude daran haben. Fur seinen Weg kann ich
dem Konzert nur Schones wunschen — und noch
das Allerbeste zum SchluB: moge es nicht so
schnell iiberspielt werden, wie man es bei
seiner SinnfSlligkeit befurchten konnte.
Dr. Jeno Kerntler
69. Denkmfiler der Tonkunst in Oster-
reicli. XX. Jahrgang. I. Teil. 40. Band.
Jacob Handl (Gallus): Opusmusicum,
IV. Teil. Bearbeilet von Emil Bezecny
und Josef Mantuani. Verlag: Artaria
& Co., Wien 1913. (Mk. 20.—.)
Des groften Jacob Gallus Technik im viel-
stimmigen und vielchorigen Vokalsatze zu be-
wundern, fand man bereits in fruheren Jahr-
gangen der osterreichischen DenkmSler Ver-
anlassung. Jetzt folgt nun der vierte und letzte
Teil (1587) seines umfangreichen Opus musicum.
In 57 Motetten entfaltet er auch hier wieder
eine unglaubliche Vielseitigkeit in der Behand-
lung der mehrchorigen Schreibweise, die bis
zur Aufstellung von vier gesonderten Chor-
gruppen geht und in gleichem MaQe Homo-
phonie wie Polyphonie ausbeutet. Wer das
beruhmte w Ecce quomodo moritur" des Gallus
kennt, weili, welchen Klangzauber der Meister
mit den einfachsten Mitteln erreichen konnte.
Der neue Band bringt Satze, die hinter diesem
nicht zuriickstehen. Man sehe etwa das zarte
sechsstimmige „Jesu dulcis memoria" (No. 38)
oder das ebenfalls sechsstimmige w O sacrum
convivium (No. 9), wo des Komponisten Neigung
zu uberraschenden, herben diatonischen Aus-
weichungen hervortritt. Trotzdem ist eine ge-
wisse Gleichformigkeit der Klangfarben nicht
zu verkennen, ebenso das Vorherrschen echt
Gallus'scher Lieblingswendungen. Indessen ist
zu beachten, daft Gallus selbst keineswegs blofte
a cappella-Ausfuhrung im Sinne hatte. In einer
interessanten lateinischen Vorrede an die
„eifrigen Musikfreunde" rechtfertigt er sich
gegen den Vorwurf, in seinen Kompositionen
mehr Sanger beschaftigt zu haben als ein ge-
wohnlicher Kirchenchor aufbringen kann. „Da
es jedoch schwerlich eine einigermaBen an-
gesehene Gemeinde gibt, bei der nicht Blaser
(tibicines) unterhalten werden, oder — fur den
Fall, dafl den Sangern Orgeln oder Instrumente
zu Hilfe kommen mussen — einen Chor ohne
Orgel, so weiB ich nicht, warum meine Ge-
sSnge so vielstimmig sein sollen, dafi man sie
nicht so wie sie stehen ausfuhren konnte. a
Indem er ferner auf das salomonische Orchester
der Bibel hinweist und auf die getrennte Auf-
stellung der Levitenchore, „die unter Leitung
Salomos sowohl mit Tuben wie mit Menschen-
stimmen, mit Cimbali, Cithari und allerlei Art
von Musikanten zusammen musizierten", ergibt
sich fur den modernen Chordirigenten die Auf-
forderung, die Kompositionen nach Gutdunken
auf Stimmen und Instrumente zu verteilen oder
gegebenenfalls die Orgel begleitend hinzu-
zuziehen. Auf diese Weise lassen sich nament-
lich die Stucke fur drei und vier obligate (und
naturlich getrennt aufzustellende) Chore zu
machtigen Wirkungen steigern.
c
,-, Dr. Arnold Sen e ring
Unqinal from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK
OPER
A NTWERPEN: Die beiden hiesigen Opern-
** buhnen, die franzosiscbe und die
vlamische, die im allgemeinen auf grund-
verschiedenes Publikum angewiesen sind,
wetteifern, ihren Zuhorern das Beste zu
bieten. Ersterer gelang es freilich bis jetzt
nur zum Teil, sich in besondere Gunst zu
setzen. Das Repertoire bot wenig Abwechselung,
und Auffuhrungen des „Tell a , der Jiidin", der
„Afrikanerin" konnen nur mit allerersten KraTten
und in schoner Aufmachung heute noch unser
Interesse wecken. Giinstigeren Eindruck hinter-
HefJen Stucke moderner Komponisten, wie
Puccini's „Vie de Boheme", „Tosca* und „Ma-
dame Butterfly" und Massenet's „Manon a und
„Werther u dank den hervorragenden Leistungen
von FrI. Cesbron von der Op6ra Comique und
des vorzuglichen Tenors Mario. Frigora
fungiert an diesem Theater als gewandter Kapell-
meister. — Sehr gliicklich eroffnete die vla-
mische Oper ihre Saison. Unter Leitung der
Kapellmeister Schrey und Dr. Becker wurden
dort, in glanzender Ausstattung, sachgemafter
Regie, recht vollkommenen Einzel-, Ensemble-
und Chor-Leistungen, uns die besten Werke
deutscher Meister — ^Hollander", „Tannhauser a ,
„Freischihz tt , ^Hoffmanns Erzahlungen" und
„Martha a — in fast mustergultiger Weise zu
GehSr gebracht. Des hiesigen Konservatorium-
direktors Wambach Oper „Quentin Massys" ge-
fiel wieder aufierordentlich, und zwei Einakter,
„Heidebienchen" des hiesigen Musikers Ver-
heyden und „Der Heilige* des Hollanders
Ryken, hatten als Neuheiten sehr guten Erfolg.
Ein solcher war auch der ersten Auffuhrung in
Belgien von Tschaikowsky's „Eugen Onegin*
beschieden. Obwohl weder Textbuch noch die
Musik des russischen Symphonikers sich fur die
Buhne sonderlich eignen, brachte das Publikum
dieser vom Kapellmeister Schrey liebevoll ge-
deuteten vornehmen Partitur ein feines Ver-
standnis entgegen. A. Honigsheim
OASEL: Weder die sehr erfreulichen Reper-
" toireverhaltnisse, noch dieanerkennenswerten
Leistungen des Personals vermochten bis heute
dem Theater das Interesse wiederzubringen, das
es teils durch eigene Schuld, teils durch die
Konkurrenz von Vari£t6 und Kino etnbufite.
Diese betrubende Erscheinung, die ubrigens
keineswegs als fiir unsere Stadt spezifisch be-
trachtet werden darf, ist darum doppelt bedauer-
lich, weil wir als Leiter der Oper in Gottfried
Becker eine ganz hervorragende Kraft besitzen,
in der sich feines musikalisches Empfinden mit
gereifter Technik und vollendetem Geschmack
verbinden. Unter seiner Leitung buchten wir
sehr stimmungsvolle Auffuhrungen des „Rhein-
gold a , der Verdi-Opern „Aida a und „OthelIo a
und der genialen Musik zu Daudets „Arl£sienne M
von Georges Bizet. Sehr gluckliche Wiedergabe
fanden u. a. auch „Mattha tt , „Freischutz tt und
„Zar und Zimmermannn** unter Max Laudien.
Gebhard Reiner
OERLIN: Bagatellen. Der gute alte Boieldieu
" kam im Koniglichen Opernhause zu
Ehren. Rein zufallig. Richard Strauft' Ver-
dienst ist's, seine „Voitures vers6es tt zur Auf-
fuhrung empfohlen zuhaben. Georg Droescher
el
bearbeitete den Dupatyschen Originaltext, und es
entpuppte sich daraus „Der Satan sweg*. Unter
diesem Namen wird nun die auferstandene An-
tiquitat eine Zeit lang im Spielplan gedeihen, um
den Satansweg aller nicht auf den Knalleffekt
berechneten, aller feinen und kleinen Werke zu
gehen. Aber es verlohnt sich, ihr Recht auf das
Dasein ein wenig zu prufen und zu bestatigen.
Sie ist die zweite Fassung eines Vaudeville w Le
sgducteur en voyage", das Boieldieu anno 1806
in Petersburg geschrieben hatte. Ein reizendes
Sachelchen. Und der Inhalt? Der in Paris und
die Pariser verliebte Provinzler Dormeuil lafit
einen locherigen Weg absichtlich nicht aus-
bessern, um mit Pariser Gasten, die im Loch
stecken bleiben, wenigstens zeitweilig GroG-
stadtluft zu atmen. Aber eines Tages hat er
erstens die Nachteile eines aufregenden Pariser
Besuches zu spuren und bleibt zweitens, als er
sich seiner entledigen will, am Satansweg hSngen.
Das ist amusanter wenn man's erzahlt, als wenn
man's in der Oper szenenlang erlebt. Es mufite
denn auch in die Darsteller ein Gran jenes
esprit gaulois geschlupft sein, den man sich
hierzulande krampfhaft, aber vergeblich ein-
zuimpfen sucht. Doch es gibt etwas, wo auch
schwerfailige Worte nicht toten konnen: den
tsprit der Boieldieu'schen Musik. Sie enthalt
grazioseste Nummern: so ein parodistisches
Duett, reizende Ensembles, die allerdings wieder
gebieterisch Beweglichkeit der Sanger fordern,
Man kann sich nun ungefahr denken, wie die
Auffuhrung verlief. Sie hatte zwar in Richard
Straufi am Pulteine Stutze; er brauchte nur, was
ihn mit Mozart verbindet, fur Boieldieu nutzbar
zu machen; und er tat's, wenn auch nach mangel-
haften Vorproben. So dauerte es einige Zeit,
bis alles stimmte. Abersonst! Frl. Al fermann,
im Koloraturgesang sehr tuchtig, ist passabel;
auch Frau v. Scheeles Komik ist zu ertragen.
Hoffmann als Dormeuil dagegen ist unmoglich;
und Frau Andrejewa-Skilondz salzlos.
Die gute Laune vergeht einem vollends,
wenn man sich der Novitat erinnert, die
das Deutsche Opernhaus uns zu bieten
fur gut fand. Es bescherte uns „Das Not-
hemd**, ein dreiaktiges Buhnenspiel von Victor
v. Woikowsky-Biedau. Wurde wirklich Herr
Direktor Hartmann nicht von Gewissensbissen
gcplagt, als er uns mit diesem Opus behelligte?
War er sich nicht bewuflt, personliche Ruck-
sichten uber sachliche gestellt zu haben? Das
junge Unternehmen ist von mir stets verdienter-
maRen so freundlich behandelt worden, daD ich
meinen Arger nicht zuruckzuhalten brauche. Ich
meine: fiir solche Stoffe sind wir endgultig ver-
dorben, mogen sie auch (im aiteren Sinn) noch
so buhnenwirksam sein. Wir empfinden hier
nichts, absolut nichts. Die Zauberkraft der
Tugend und Unschuld, die den Braven schutzt
und sich gegen den Bosewicht wendet, mag
einem Tugendbund gefallen; fur ihn lafit sich
das Stuck als Propagandamittel verwerten. Soli
schon wagnerisiert werden, dann begnuge man
sich nicht mit schablonenhaften Typen, stellc
Menschen von Fleisch und Blut hin, von sun-
digem Fleisch und kochendem Blut. Aber was
soil uns diese saftlose Kreuzung von „Loben-
grin* und den „Meistersingern tt ? Ich fange be-
reits an, mich.faute de mieux fur den B5se-
UrlqinaTfrom
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (OPER)
301
wicht Neidhart zu erwarmen, da wird er zum
falschen Angeber, und ich mufJ ihm anstiindiger-
weise meine Sympathieen entziehen. Die Musik
des Herrn Victor v. Woikowsky-Biedau e^pt-
waffnet durch ihre Harmlosigkeit. Si- wagnen-
siert naturlieh auch, aber im Siegfriedschen
Sinne. Das ist fast schon ein Kompliment.
Denn es bedeutet, dafi der Auchkomponist eine
nubsche Begabung fur das Volkstiimliche be-
sitzt. Fur diese liefert er manche Probe, so in
einigen Liedern, im Tanze des dritten Aktes, der
denn auch fein durchsichtig instrumentiert ist.
Leider will er sich aber nicht nacb der Uecke
strecken und bandelt im Bann einer Wagner-
Hypnose, die im letzten Vorspiel zu erheiternden
Wirkungen fuhrt. Es stcckt ein gut Teil GrofJ-
mannssuchtindieserallesandere alsdramatischen
Musik. Man kann unter solchen Umstanden auch
die Auffuhrung mit kurzen Worten abtun. Sie
schien mir bereits fur ein leises Schuldbewulk-
sein zu sprechen. Sie unterstrich in ihrem
darstellerischen Teil das Scnablonenhafte und
war in der Regie sorgloser, als es sonst hier
der Fall ist. Felicitas Hall am a als Armgard
blieb statuenhafte Tugend, die alle sundigen
Tricbe sofort niederschlagen muCte; ihreschone,
doch ginzlich verbildete Stimme strebt ebenso-
wenig wie der Mensch danach, Ausdruck zu
werden; Paul Hansen, ihr Partner, wirkte an-
genehm als guter Tenor; der Bosewicht Neidhard,
von Eduard Schuller gegeben, konnte etwa
im Bauerntheater von Pradl mit Erfolg gastieren.
Eduard Morike aber peitschte das Orchester
zu Blechorgien an, die die Grundschwache der
Panitur in ein grelles Licht riickten. Hoffcn
wir, dafi nun nicht etwa alle bisher verborgenen
Opernmanuskripte von Mitgliedern des Auf&ichts-
rates zum Touen gebrachi werden.
Adolf WeiGmann
ORE MEN: Die Erstauffuhrung von „Genesius a
" von Felix Weingartner unter Leitung des
Komponisten gestaltete sich zu einem Triumph
fur den feinsinnigen Dirigenten und Musiker.
Glanzvoll waren Alois Hadwiger in der Titel-
partie und Hertha Pfeilschn eider als Pelagia.
Willy Bader vertrat den milden Heiligen
Cyprian, Guido Schutzendorf den Kaiser
Diokletian und Kathinka Pecz die Claudia. Die
Regie (Curt Strickrodt) hatte fur auBerordent-
lich effektvolle Buhnenbilder Sorge getragen. —
Bei der zweiten Neuheit, „Grigri u von Paul
Lincke, dingierte der Komponist gleichfalls. —
GroBe Anziehungskraft ubte das Gastspiel von
Emmy Destinn in der „Afrikanenn a aus.
Neben ihrer Selica bestanden in den Haupt-
rollen mit Ehren J uan S p i w a k ( Vasco de Gama),
Guido Schutzendorf (Nelusco) und A. Hanna
Siegert als kehlfertige, sympathische Ines.
Prof. Dr. Vopel
BROSSEL: Die Monnaie-Oper ist seit Anfang
September wieder in voller Tatigkeit. Das
Personal ist zum groflten Teil dasselbe wie ver-
gangenes Jahr; einige „Neue", wie die Prima-
donna Panis, sind ausgezeichnet. Als Verdi-
Feier wurden mit eigenen Kraften „Rigoletto"
(mit dem famosen Bariton Rouard) und „La
Traviata" wurdig aufgefuhrt, und dann lieU die
Direktion drei „stars u , Destinn, Martin el li
und Dinh Gilly, kommen, die unter dem Maestro
Polacco in glinzender Weise B Ai(ta tt sangenl
(V
Von denselben wurde dann auch noch „La Fille
du Far West" unter gleicher Begeisterung ge-
sungen. Eine interessante Novitfit war die
choreographische Auffuhrung der bekannten und
bedeutenden Orchester-Variationen „Istar" von
dMndy, mit der vorziiglichen Tanzerin Cerny.
Zusammen mit „Istar a fand eine szenische
Wiederholung von d , lndy , s„Lied von derGlocke"
unter Leitung des jungen begabten Lauweryns
statt. Als erste groBe Novitat erschien Wolf-
Ferrari's „Schmuck der Madonna", die aber
bei vorziiglicher Auffuhrung unter Lauweryns
keinen grofien Anklang beim Publikum findet.
Dem Werk fehlt die edle Melodik — daruber
konnen die lebhaften Volksszenen des 1. Aktes
und die berauschenden Tanze des 3. Aktes nicht
hinwegtauschen. Die Person des dummen, um
Liebe flehenden Gennaro ist direkt abstoftend.
Felix Welcker
pvESSAU: Otto Neitzels dreiaktige Oper
*-* »Die Barbarina* 4 ging am 18. November
am Hoftheater unter Franz Mikoreys gediegener
Leitung in hiesiger Erstauffuhrung in Szene und
hatte bei lebensvoller Darstellung und prachtiger
aufierer Ausstattung einen lebhaften Erfolg zu
verzeichnen. Unter den Mitwirkenden zeichnete
sich Marcella Roseler in der Titelpartie be-
sonders aus. Ernst Hamann
pvRESDEN: Mit der Urauffuhrung der drei-
**^ aktigen Oper „Coeur Afi" von Eduard
Kunneke bewies die Leitung der Hofoper
abermals, daft es ihr um die Forderung junger
Talente und um eigene neue Taten zu tun ist.
Kunneke hat sich mit seiner Oper „Robins
Ende" vor vier Jahren mit Ehren eingefuhrt und
verrat auch in seinem neuen Werke, dessen
Textbuch nach Scribe's bekanntem Lustspiel
„Der Damenkrieg" geschickt bearbeitet ist, eine
unverkennbare Begabung fur die Biihne und
fur den lyrtschen Einschlag. Schade nur, daB
diese beiden Elemente sich noch nicht zu einem
Ganzen bei ihm vereinigt haben. Alle Teile
seiner Musik sind an sich reizend, manches ist
sogar in Erfindung und Ausfuhrung ganz vor-
trefflich geraten, aber die stilistische Einheit
fehlt dem Werke, und dieser Mangel ist einem
Dauererfolge nicht gunstig. Das Beispiel ist
sicher lehrreich: Da hat ein kluger und be-
gabter Tonsetzer zu einem guten Text eine
Musik geschrieben, in der Leidenschaft, drama-
tische Spannung, groBe Steigerungen sich eben-
so finden wie Sentimentalitat, Komik und
Walzerweisen; er meinte also gewifi, alle In-
gredienzien eines grofien Erfolgcs in der Hand
zu haben, zumal da er die moderne Dekla-
mation der Wechselreden durch geschlossene
Nummern unterbricht. Und dennoch kam nur
bei der erstenVorstellung der ubliche Premieren-
erfolg zustande, bei der zweiten war das Haus
schon leer, und so hat man die Oper bereits
wieder abgesetzt, was um desWerkes selbst wie
um der darauf verwandten Muhe willen nur zu
bedauern ist. Diese Oper ist eben mchr aus Er-
wagung und kluger Berechnung als aus inner-
stem Herzensdrang geschaffen, und dafur hat
das Publikum ein feines Ahnungsvermogen.
Vielleicht ware das Ergebnis besser gewesen,
hatte man fur die tragende Partie der GrSfin
eine Sangerin mit glanzenderen Mitteln und
mehr hinreiBendeC^SQPl^flfei friebenswiirdig-
UNIVERSITY OF MICHIGAN
302
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
keit bestimmt als Gerda Barby aufzubringen
vermag. In der von Hermann Kutzschbach
mit Leichtigkeit, Feinbeit und Scbwung ge-
leitetenVorstellung ragten Minnie Nast, Desider
Zador, Fritz Soot und Hans Rudiger hervor.
— Einen groBen, edlen Genuft gewahrte das
Gastspiel Karl Perron's, der im „Bajazzo a
und in „Tiefland" seine bekannten Meister-
leistungen bot und uns wieder erkennen lebrte,
wie viel wir durch sein Ausscbeiden aus dem
Verband der Hofoper verloren haben. Eine
neue Mignon von Crete Merrem, ein viel-
verheiBender neuer Wilhelm Meister von
Richard Tauber, auf dessen tenoristische Ent-
wickelung ich die grofiten Hoffnungen setze, und
ein neuer Lothario von Waldemar Staegemann,
dessen Organ fur diese Partie entschieden zu
hell klingt, stellten sich an einem Abend vor.
Auflerdem ist noch zu berichten, daB Fritz Soot
in Puccini's „Boh6me a die Partie des Rudolf mit
auBergewohnlichem Erfolg seinem Repertoire ein-
gefugt hat. Der Versuch der Generaldirektion,
durch einen spaten Anfang der Vorstellungen
den Besuch zu steigern, ist bis jetzt vollig ge-
scheitert, denn wir haben noch nie so leere
Hauser gesehen wie gerade jetzt. Moge man
deshalb bald wieder zu dem fruhzeitigeren
Anfang zuriickkehren. F. A. GeiBler
LJAMBURG: Unsere beiden Opern leben in
** einem unfriedlichen Nebeneinander, in einer
latenten Kampfesstimmung dahin. Und beide
machen sich dadurch das Leben schwer und
die Geschafte nicht eben leichter. Keine Frage:
die Neue Oper hat den schwereren Stand, weil
sie den schlechteren Besuch und die Schwierig-
keiten des durch die Vormachtstellung des
Stadttheaters eingeengten Spielplanes zu ertragen
hat. Aber auch im Stadttheater hat man schon
Spielzeiten mit besser besucbten Hausern ge-
sehen. Optimisten reden daher heute bereits von
einer Vereinigung der beiden Unternehmungen,
die sicher beiden mancherlei Vorteile gewahren
wurde; aber ehe es dazu kommt, wurde es
genugen, wenn vorlauflg einmal eine Einigung
und eine gewisse prinzipielle Verstandigung in
den Angelegenheiten der Spielplane erzielt wurde.
So wie die Dinge jetzt liegen, dafi z. B. beide
Theater am selben Abend Rossini's „Barbier u
oder Mozarts „Figaro a geben, mussen beide
notgedrungen Schaden erleiden. Und es kann
weder fur die Neue Oper, die in der Hauptsache
doch schon aus raumlichen Rucksichten auf
die leichter gewogenen Werke der Spieloper
und auf musikalische Kammerkunst angewiesen
ist, von besonderem Vorteile sein, wenn sie sich
an Aufgaben heranwagt, die wie die „Stumme
von Portici" den grolien Apparat und die groBen
Dimensionen unserer Stadttheaterbuhne bean-
spruchen; noch kann es andererseits im Interesse
des Stadttheaters liegen, wenn es der Neuen
Oper mit den Werken Konkurrenz zu machen
versucht, die nun einmal sich gliicklicher im
intimen Rahmen eines kleineren Hauses prUsen-
tieren. Auch das Wettrennen um Novitaten von
zweifelhaftem Werte und ebenfalls zweifelhafter
Eintraglichkeit wurde aufhoren, ebenso wie die
Preisuberbietung zur Gewinnung hervorragender
G3ste. Alle diese rein praktischen Erwagungen
sollten, wenn man nicht eines der beiden Institute
oder vielleicht auch alle beide schlieBlich in den
n
i/Co
Ruin hineintreiben will, zu einem vernunftigen
„viribus unitis" fuhren. — Die kunstlerischen
Leistungen beider Buhnen leiden naturlich bis
zu einem gewissen Grade jetzt unter der Hast
des forcierten Betriebes. So brachte die Neue
(^per die „Stumme von Portici" in Brechers
Bearbeitung in einer keineswegs einwandfreien
Auffiihrung heraus: erfreulicher Mitwirkung des
Chores und des Orchesters standen in dieser
Auffiihrung sehr wenig abgerundete solistische
Darbietungen gegenuber, und erst ein Gastspiel
Hermann Jadlowkers in der Masaniello-Partie
vermochte der Auffiihrung starkere dramatiscbe
Impulse zu geben. Im Stadttheater brachte
Dr. Loewenfeld in einer sehr reizvollen
Inszenierung und in einer uberaus amusanten,
feinen Detaildurcharbeitung den Rossini'schen
„Barbier" heraus. Felix Weingartner dirigierte
mit Esprit und mit der notigen leichten Hand
dies graziose Werk, das auch solistisch bis auf
die wenig gluckliche Wiedergabe der Titelrolle
in sehr ansprechender Weise zur Geltung ge-
bracht wurde. Danach versuchte man es mit
einer Neueinstudierung der „SaIome", fur die
aber, nachdem Brecher und Edyth Walker uns
verloren gegangen sind, die geeigneten Krifte
uns fehlen. Kapellmeister Meyrowitz hat zu
Straufi doch nur das mehr neutrale Verbiltnis
des gewandten und temperamentvollen Opern-
dirigenten, aber die Witterung fur das Wesent-
liche des StrauB-Stils und der StrauQ-Koloristik
mangelt ihm. Ebenso fehlte Frau Easton fur
die Wiedergabe der Titelpartie das Oberzeugende ;
sie ersetzt vieles durch Routine, aber gerade
das Entscheidende bei dieser Aufgabe kann
keine Routine der Welt ersetzen.
Heinrich Chevalley
JOHANNESBURG: Die Wiederkehrder B Quin-
lanOperaCompany" bedeutete ein wich tiges
Ereignis fur die hiesige musikalische Welt.
Ihr energischer Leiter, Thomas Quinlan, lieQ
im Zeitraum von drei Wochen 18 Opern auf-
fuhren. Von besonderem Interesse war eine
„Meistersinger tt -VorstelIung, „Der Ring
des Nibelungen" und „Louise a von Char-
pentier. Die Leitung der Wagnerschen Werke
lag in den bewahrten HSnden Richard Eck-
holds. Leider flel der Besuch der Quinlan
Oper in die bosen Tage des Streiks, so dafl die
Auffiihrung der „Gotterdammerung" infolge der
ernsten Unruhen in der Nahe des Opernhauses
unterbleiben mufite. Gerade der Ausfall dieses
Musikdramas ist um so bedauerlicher, als die
Tetralogie dem groBten Teil des Publikums
ganz neu war und die Unvollstandigkeit der
Auffiihrung notwendigerweise den Gesamtein-
druck abschwachte. Die Hauptrollen im „Ring*
erfuhren zumeist eine tuchtige Verkorperung.
Im Vordergrunde standen Edna Thornton
(Fricka, Erda) und Robert Parker (Wotan,
Wanderer), die wir beide schon im Vorjahre
als hervorragende WagnersSnger kennen lernten.
Eine Glanzleistung bot Herr Samuel als
Alberich. Neu im Ensemble war Franz Costa
(Heldentenor der Nurnberger Oper), der als
Siegfried einen schonen Erfolg errang, als
Brunnhilde lernten wir Perceval Allen, eine
der besten englischen Wagnersangerinnen,
kennen. In den „Meistersingern a entzuckte
Robert Parker als Hans Sachs durch den
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KRITIK (OPER)
303
schonen metallischen Klang seiner Stimme.
Glanzend bewfchrte sich neben ihm Maurice
D'Oisley, der sowohl gesanglich als aucb
durch sein friscbes Spiel den schweren An-
fordemngen der Davidrolle voll gerecht werden
konnte. Der „Walther Stolzing" des Herrn Hed-
mond wurde leider durch stimmliche Miidig-
keitserscheinungen getrubt. Das „Evchen" liegt
der jungen amerikanischen Sangerin Felicie
Lyne offenbar nicht recht. Sie ist mehr im
Koloraturgesang zu Hause, was sie als Gilda
im „Rigoletto* und Rosina im „Barbier u aufs
uberzeugendste bewies. In beiden Opern hatte
sie in dem Bariton Samuel in Gesang und
Spiel einen prftchtigen Partner. Tulio Voghera,
der uns scbon in der letzten Saison als tuchtiger
Dirigent der italienischen Opern auffiel, leitete
die von ihm einstudierte Auffuhrung der „L o u i s e"
von Charpentier. Das Werk erzielte keinen
einmutigen Beifall, was vielleicbt durch die
allzu breite und doch armliche Handlung ver-
schuldet ist. Die Titelrolle vertrat Jeanne
Brola, die durch die allzu tragische Auffassung
dieser Rolle nicht so befriedigte, wie mit ihren
Leistungen als „Tosca" und „Madame Butterfly",
wo sie ihr dramatisches Talent voll entwickeln
konnte. Den AbscbluQ der Saison bildete
„Samson und Dalila", die als eine uberaus ein-
heitliche Auffuhrung bezeichnet werden muft.
Als Dalila wurde Edna Thornton sturmisch
akklamiert. — Ein Wort des Lobes gebiihrt
noch Herrn Quinlan fur die herrliche Aus-
stattung, die er samtlichen Werken zu teil
werden liefi. Trotz der uberaus kleinen Dimen-
sionen der Standard Buhne wurden besonders
in „Rheingold", „Aida" und „Samson und
Dalila" in szenischer Beziehung uberraschende
Wirkungen erzielt. M. Pol la k
KOLN: „Der Abenteurer", ein Spiel in vier
Akten von Julius Bittner. Urauffuhrung
am 30. Oktober. Der groBe Tag, den manche
Leute von der Neuheit fur unser Opernhaus er-
wartet hatten, ist es zwar nicht geworden, und
man konnte hier Bittnersche Freunde horen,
die da meinten, diese neueste Etappe in seiner
Laufbahn als Opernkomponist fuhre nicht auf
sein Ziel zu, vielmehr etwas abseits, aber die
Bekanntschaft mit des Wiener Bezirksrichters
jungstem Musenkinde braucht niemanden zu
gereuen, denn sie ist immerhin keine uninter-
essante. Im Mittelpunkte der mit ihren zum
Teil recht grotesken Personen und oft bis zur
Unverstfindlichkeit bizarren Wendungen stark
operettenhaften Handlung steht der zur Heilung
des Grafen Wolkenburg von der Melancholey
auf dessen niederosterreichisches SchlolJ be-
rufene Wiener Wunderdoktor Jerome de Mont-
fleury (recte Andreas Blumenbichler), der den
Grafen kompromittierende und enterbende Fa-
milienmemoiren stiehlt und zuriickgibt, da-
zwischen aber zwei schnell betorte Weiber zur
Strecke bringt: des Grafen Geliebte, eine Wiener
Balleteuse, und des Grafen altjungferliche liebes-
durstige Schwester. Wegen der mit letzterer
zelebrierten Liebesnacht erhalt der Schwindler
sie vom Bruder zur Frau. Montfleury zieht aber
das freie Abenteurerleben vor und balanciert als
Seilt3nzer uber den SchlofXgraben von dannen,
wihrend die von ihm hypnotisierte GrSfln ihn
im Brautgemache erwartet. Der gemutsdosige,
D'::j"«i,-'L
C iOoqIc
Harfe zupfende und dichterisch dilettierende
Graf sowie seine zu einem „Dichterhof" um
ihn gruppierten schmarotzenden Freunde (Kari-
katuren) vermogen nur wenig zu interessieren,
doch bringt die Handlung ein paar aparte, hubsche
Szenen und der leider zu Unrecht literarisch
gemeinte Text einige amusante Pointen. Ich
stelle Bittners Musik, wenngleich sie keine rechte
Originalitat und keine Stileinheit zeigt, uber sein
Textbuch. Klar ersichtlich war Straufi* „Rosen-
kavalier" musikalisch-geistiger Pate des „Aben-
teurers", und das wird seiner Reputation nicht
schaden, weniger jedenfalls als die einmal sehr
uberraschend Gehor verlangende selige „Lucia"
Donizetti's. Erhebliche Vorzuge des in der ge-
bundenen Dialogform sehr gewandten, viele
hubsche Melodik einflechtenden Tonsetzers sind
zweifellos auch hier vielgestaltig lebensvoller
Orchestersatz, wirksame Personen-Charakteri-
sierung, Gefiihl fur Stimmungen und, trotz
mancher bedenklichenlnkonsequenz,ZielbewuCt-
sein im Detail. Die von Fritz RSmond aller-
liebst inszenierte, von Gustav Brecher fein-
geistig geleitete Auffuhrung nahm mit Karl
Schroder, Julius vom Scheidt, Marie Fink
und Katharina Rohr in den Hauptrollen einen
vortrefflichen Verlauf. Dem Werke stand das
Publikum ziemlich fremd gegenuber, doch fuhrte
freundlicher Beifall Bittner wiederholt vor die
Rampe. — Von zwei im ^Hollander" auf An-
stellung gastierenden Baritonisten bot Harry
de Garmo aus Lubeck, wenngleich seine schone
Stimme unten nicht ausreicht und zu jugend-
lich timbriert ist, im ganzen sehr Anerkennens-
wertes, indes der Freiburger Sanger Willi Moog
sich durch geradezu unerhortes Falsch- und Zu-
tiefsingen als indiskutabel erwies. — Es ist hier
seit Jahren Brauch, im Opernhause am Aller-
heiligen-Feiertage Liszts w Legende von der
heiligen Elisabeth" aufzufiihren, wenngleich
das mehr nuraufStimmungsmomenten basierende
Werk musikalisch der schonen Dichtung Otto
Roquettes keineswegs ebenburtig ist. So gab es
auch diesmal mit Wanda Achsel (Elisabeth),
Karl Giesen (Landgraf Hermann) und Karl
Renner (Ludwig) eine sehr stilvolle Auffuhrung.
Paul Hiller
I EIPZIG: Die hiesige Oper steht scitgeraumer
*-* Zeit im Zeichen der Anstellungsgastspiele.
Nach alien Himmelsrichtungen streckte man die
Fuhler aus, um vor allem das bisher von Fritz
Rapp bestellte erste BaBfach auszufullen, sowie
fur den lyrischen Tenor Karl Schroth und ein
paar andere Facher Ersatz zu erhalten. Und
da nun auch Urlus auf einen Amenkaurlaub
gegangen ist, wird man audi fernernoch manches
Gastspiel von Heldentenoren zu gewartigen
haben. Fur Schroth hat man sich nach erfolg-
reichem Gastspiel als Tamino bereits den jungen
verheiftungsvollen Hans Lifimann, den Bruder
der bekannten SSngerin gesichert, der zuletzt
an Buhnen in Bergamo und Mailand tatig war.
Von anderen GSsten seien nur genannt: L6on
Rains, dem man gute gesangliche Tugenden,
aber wenig Spielubung nachsagte, Modest
Menzinsky, der vortreffliche Hans Spies,
Jean Miiller, Gmur, der als Lerchenau in
der trefflichen Neueinstudierung des w Rosen-
kavalier" gut gefiel, ferner Walter Soomer
und Garl Perron, die als Sachs und Wotan
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304
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
sehr gefeiert wurden; von Damen Priska Aich,
die als Pamina viel gesangliche Anmut be-
kundete, und Julie Koerner, deren Agathe
nicht widerspruchslos blieb. AufJer einer treff-
lichen Tat unseres Operndirektors Lohse, der
Neueinstudierung von Verdi's „Othello a , w3re
noch einer guten Auffuhrung der Puccini'schen
„Tosca a deshalb zu gedenken, weil der Kom-
ponist zugegen war. Dr. Max Unger
lyiONCHEN: Der Verdi-Zyklus derHofoper hat
*** mit einigen ausgezeichneten Auffuhrungen
des ^Falstaff* 4 abgeschlossen. Bruno Walter
hatte alle Kostbarkeiten dieser reichen Partitur
wohl gehutet und an ihren Platz gestellt, und
auch die Besetzung war durchweg vorzuglich.
Feinhals hat mit der Titelrolle sein Repertoir
durch einen ganz neuen Typus bereichert und
sich In Darstellung und Gesang von allem Opern-
schema erfreulich entfernt. Die drei Justigen
Weiber" wurden von den Damen von Fladung,
Dahmen und Wilier mit unverwustlicher, aber
doch diskreter Laune dargestellt, wahrend das
schmachtende Liebespaar dem Fraulein Ivogun
und Herrn von Schaik Gelegenheit gab, ihre
sehr hoffnungsvollen jungen Begabungen zu er-
proben. Alexander Berrsche
SCHWERIN i. M.: Das Grofiherzogliche Hof-
theater hat seinen allverehrten Chef ver-
loren; am 4. November ist Generalintendant
Freiherr von Ledebur nach 30jahriger. mit
kunstlerischen Erfolgen reichgesegneter Amts-
tatigkeit im 73. Lebensjahre infolge Herzschlages
santt verschieden. Viel, sehr viel hat der Ver-
storbene fur das Schweriner Hofiheater und
speziell fur die Hofoper geleistet. Er hinterlaftt
seinem noch nicht bestimmten Nachfolger eine
uberaus leistung>fa"hige und tadellos geschulte
Hofkapelle mit anerkannt tuchtigen Fuhrern,
daneben ein Solo- und Chorpersonal, das hohen
Anspruchen zu genugen imstande ist. Er hinter-
laftt auch ein Opernrepertoire, das in seinem
Wert jedenfalls zu den besten der deutschen
Buhnenrepertoires gehort. Von den bedeutend-
sten Komponistcn fchlt darin niemand, und alle
klassischen Werke hat es uns oft in hinreifiender
Schonheit enthullt, so in diesem Winter noch
wieder „Fidelio tt , „Freischutz", w Othello u , „Lohen-
grin tt , „Tannhauser" u. a. Mit Unrecht hat man
auch jetzt in seinen Nekrologen dem Freiherrn
von Ledebur, wie schon fruher, nachgesagt, er
babe Richard Wagner hintenangestellt. ('as ist
grundfalsch; Wagners Werke kamen alljahrlich
wiederholt am Schweriner Hoftheater heraus
Den schon fruher viel gespielten Werken wurden
durch Ledebur auch „Rheingold", „Gdtter-
dfimmerung" und „Tristan a hinzugefiigt. In
diesem Herbst wurde die Spielzeit mit dem
„Fliegenden Hollander" eroffnet, es kamen also
in einem Monat schon drei Wagneropern her-
aus; der „Ring a wird wie alljahrlich folgen. —
Ausnehmend gut wird zurzeit Verdi's „Othe)lo**
gegeben. Adolf Grobke in der Titelrolle und
Ottilie Schott als Desdemona bieten geradezu
gianzende Leistungen. Auch „Das Mfidchen
aus dem goldenen Westen" hat hier seinen
Einzug gehalten und schafft voile Hauser. Die
Schweriner Damen baben sicb anscheinend in
diese Kinooper verliebt, sie ist ja so „ruhrsam a
und dazu so „spannend". Es gibt aber auch
D'::j"«i,-'L
viele, und das sollen Leute mit einigem Kunst-
verstandnis sein, die mit unserm Fritz Keuter
sagen: B Wer et mag, de mag et, wer et nicb
mag, de mag et woll nicb maegen".
Paul Fr. Evers
CTUTTGART: Das erste Ereignis der Opern-
^ saison war das dreimalige Gastspiel von
Caruso (in „Tosca a , w Carmen" und „Rigo-
letto* 4 ); es verlief unter alien Anzeichen einer
wirklich starken fiulieren und inneren Publikum-
erschutterung. Zu einer solchen konnte es
die Urauffuhrung von Walter Braunfels'
„Ulenspiegel a nicht bringen. Die Schwacbe
des dramatischen Untergrundes im Text erhilt
in der klanglich reich gestalteten, aber inhalt-
lich wenig unmittelbare Eindruckskraft be-
sitzenden Musik nicht genugenden Ausgleich.
Der gebuhrende Hocbachtungsbeifall fur die
ernste, von starker Begabung und reicbem
Konnen getragene Arbeit und die von grund-
licher, aufopferungsvoller Vorarbeit zeugende
Auffuhrung unter Max v. Schillings* und Emil
Gerhausers Leitung konnte uber die Tatsache
eints Fehlschlages nicht hinwegtauschen. In
dieser Urauffuhrung hatten wir aber auch, wie
schon in mancher Neueinstudierung alterer
Opern, in der noch jungen Opernzeit Gelegen-
heit, uns des neuen Besitzes stimmlich und
darstellerisch ausgezeichnet begabter Sanger zu
erfreuen. Von diesen sind besonders zu nennen
der heldisch lyrische Tenor Rudolf Ritter, der
stimmprfichtige Bassist Otto Helgers, der vor-
nehme lyrische Bariton Scheidl, der intelligent
charakterisierende Bariton Ziegler und die mit
jugendfrischer und feingebildeter Stimme empor-
strebende Koloratursangerin Kassowitz. Star-
ken Eindruck und anhahendes Interesse emelte
Waltershausens w Oberst Chabert" mit Hermann
Weil und Hedy Iracema- Br ugel m an n in den
Hauptpartieen. Oscar Sch roter
W/EIMAR: Eroffnet wurde unser Hoftheater
^^ mit einer geradezu vorbildlicben Auf-
fuhrung von Mozarts „Zauberfldte a . Herr
von Schirach hatte fur eine Stileinheit in der
vollstandig neuen und bis ins kleinste wobl-
durchdachten Inszenierung gesorgt, um die uns
jedes # groliere Theater beneiden kann. Frei von
alien AuBerlichkeiten ein wurdiger Rahmen fur
Mozarts Meisterwerk. — Als ortliche Novitat
gelangte eine einaktige Oper: ff Im Brunnen*
von Wilhelm Blodek zur erfolgreicben Auf-
fuhrung. Eine liebenswurdige, volkstumliche
Musik, verbunden mit einer lustigen Handlung,
rechtfertigte die Ausgrabung. Von besonderer
Schonheit ist ein den Mondaufgang begleitendes
Orchesterintermezzo. — Der neue zweite Kapell-
meister Latzko stellte sich bis jetzt mit der
exakten Leitung des zum Verdi-JubilSum neu-
einstudierten „Mas ken balls' 1 , des „Freiscbutz a
und der beiden unzertrennlichen veristiscben
Zwillinge „Cavalleria" und n Bajazzo" vorteilhaft
vor. Das ndtige Theaterrubato und die individua-
listisch gestaltende und fortreiBende Kraft mufi
sich allerdings noch einstellen. Eine Pracbt-
leistung bot Herr Bergmann als Rene" im
„Maskenball b . Die ubrigen Opernabende waren
in der Hauptsache Wagner gewidmet.
Carl Roricb
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KRITIK (KONZERT)
305
KONZERT
A ACHEN: Mit Mahlers Achter Symphonie be-
** gann die diesjahrige KonzertsaUon. Ein
gewaltiger Auftakt. 700 Musiker und Sanger
vcreinigten sich unter der strammen Leitung
des Musikdirektors Busch, urn diesem eigen-
artigen Werk zu einer sehr gelungenen Auf-
ffihrung zu verhelfen. Das Publtkum zeigte
wabrend der Generalprobe und des Konzertes
lebbafteste Beteiligung. Busch behandelte den
ungebeuren Apparat mit staunenswerter Be-
sonnenheit, das Orchester phrasierte klar und
eindringlich, der Cbor war prompt in seinen
Einsatzen, so daQ die Hymne Veni creator so-
wie vom zweiten Teil besonders der SchluB-
cbor vortreffiich herauskamen. Von den Solisten
zeichneten sicb in erster Linie die Damen
Foerstel, Cahnbley-Hinken und Philippi
aus. Urn ein Wortchen fiber das Werk selbst
zu sagen, so scheint mir die Orchester- und
Chormasse den geistigen Gehalt der Komposition
zuweilen zu erdrficken. Der zweite Teil ist
doch vorwiegend lyrisch. Man wundert sich
wohl fiber die Zusammenstellung der Kirchen-
hymne mit dem zweiten Teil des „Faust tt . Der
Goethe-Kenner Mahler wird auf Veni creator auf-
merksam geworden sein durch die Bemerkung
in den Spruchen in Prosa: „Der herrliche
Kirchengesang ,Veni* ist ganz eigentlich ein
Appell ans Genie; deswegen er geist- und kraft-
reiche Menschen gewaltig anspricht." Der sehr
gunstige Verlauf der ganzen Veranstaltung auDerte
seine Wirkung in einem lebhafteren Z iSpruch
der Abonnements- und anderen Konzerte. Es
ist kaum ein Platz mehr zu haben. Etwas er-
klart sich dies auch aus der geringen Zufrieden-
heit des Publikums mit den heurigen Theater-
verhaitnissen; trotz des erhohten staJtischen Zu-
schusses hapert es in der Auswahl des Ge-
botenen und den solistischen Kraften mehr als
in anderen Jahren. — Das 1. Abonnements-
konzert brachte ein „Stabat Mater" ffir Alt (Marie
Leroy aus Paris), Frauenchor und kleines
Orchester von Emanuel M6or. Die mit aparten
GedankengSngen ausgestattete Kantate ermfidet
durch den gleichformigen Ton des Ausdrucks,
fiber den auch die ausdrucksvolle, dunkel
timbrierte Altstimme nicht hinweghelfcn konnte.
In der Kirche wfirde das Werk mit Orgel-
begleitung eher gefallen. Der Pianist Cortot
aus Paris spielte das seltener gehorte c-moll
Konzert von Saint-Saens wundervoll. Unser
Orchester erntet unter Busch Lorbeeren. Ganz
kurz sei auf eine kostliche Wiedergabe der
Pastoralsymphonie Beethovens, auf DvoHk's
Heldenlied und Bruckners Ffinfte (beide zum
ersten Male in Aachen) hingewiesen. Der
Pianist van de Sandt spielte Chopin sehr fein.
Frau Mysz-Gmeiner brachte Lieder von
Schubert und Loewe, die Boh men im 2. Kammer-
musik-Konzert ihren Landsmann Dvorak und
Beethoven op. 59 No. 3 unubertrefflich im
Zusammenspiel und zartesten Duft des Klanges.
Prof. Liese
D ADEN-BADEN : Aus dem sommerlichen Musik-
" leben, das sich hier wie an alien Kurorten
in rubigen Bahnen bewegt, hob sich dieses Jahr
ein Konzert, das wohl mehr interesse verdient
hStte als etwa die Erstauffuhrung einer Qperetten-
XIII. 5 fJ-Tli/n:! :v,-C iOOO
n
novitat von zweifelhaftestem musikalischen Wert:
es war ein Sonderkonzert unveroffentlichter
Werke der Tonkunst aus dem 18. Jabr-
hundert. In der Donaueschinger Furstlich
Furstenbergischen Hofbibliothek hat man bei
der derzeitigen Sichtung der dort ruhenden
Ffille alter Notenmanuskripte eine Reihe inter-
essanter Kompositionen von Dittersdorf, Haydn,
Kreutzer u. a. aufgefunden, die teils unbekannt
waren, teils als verschollen galten. Der Ffirst
von Ffirstenberg hat nun fur eine Aufffihrung
einzelner dieser Werke durch das hiesige
stadtische Orchester die Manuskripte in liebens-
wfirdiger Weise zur Verffigung gestellt. Kapell-
meister Burkhard (Donaueschingen), der mit
Prof. Heinrich die Sichtungsarbeiten vornimmt,
leitete das hiesige Konzert. Zur Auftubrung
kam eine gefailige, wenn auch nicht gerade
bedeutende Serenade von Dittersdorf, deren
Figuration in den raschen S&tzen an Mozart
erinnerte. Im Mittelpunkt des lnteresses stand
eine Haydn-Symphonie in D-dur, der man
skeptisch gegenfiber trat, die aber bei strenger
Kritik doch als Werk des Ahmeisters der Sym-
phonie gelten konnte; sie zahlt zwar nicht zu
seinen reifsten Werken, weist aber in dem
flussigen Allegrosatz, dem derbfrohlichen Menuett
und dem reizvollen humorgewfirzten Rondo recht
originelle Gedanken auf. Den nachhaltigsten
Eindruck vielleicht hinterliefien zwei von George
A. Walter feinnuanciert und geistvoll vorge-
tragene Arien aus Haydn's Oper„Ritter Roland";
aut die einen sonnigen Humor ausstrahlende
Arie des Don Pasquale mit ihrer originellen
Klangmalerei in der Orchesteibegleitung sei
besonders hingewiesen. Auch die frischlebendige
Ouverture zur genannten Oper verdient Interesse.
Kapellmeister Burkhard, ein junger, srebsamer
Musiker, gab den Werken eine stilsichere, ge-
diegene Interpretation. — Die Primadonna von
der Op£ra Comique in Paris, Maggie Teyte,
brachte zusammen mit dem Tenor Vincent
von der Covent Garden-Oper in London in
Kostfimen Lieder aus dem 18. Jahrhundert sowie
Weckerlins entzfickende kleine Oper„La Laitiere
de Trianon* 4 in szenischer Darstellung im Konzert-
saal zur Aufffihrung. Der ganze Zauber der
Rokokozeit lebte in diesem Konzert auf. — Den
Auftakt ffir die groBen Herbstkonzerte gab
Ernest van Dyck, der mit Wagner, Schubert,
Strauft und zwei gehaltvollen Balladen von dem
hier lebenden Komponisten Eugen von Volborth
aufwartete und durch den immer noch strahlenden
Glanz seiner warmblfitigen Stimme, seine vor-
nehme Gesangskultur und den ausdruckstiefen
Vortrag Bewunderung fand. Das Stadtische
Orchester unter Paul Hein machte u. a. mit
einer interessanten Symphonie von Kalinnikow
bekannt. An Eugene Ysaye*s grofiem edlen Ton
und an seiner seelenvollen Kantilene konnte
man sich im 22. Violinkonzert von Viotti, der
„Havanaise tt von Saint-Saens und einer kleinen
stimmungsvollen eigenen Komposition („Reve
d'enfant**) in kritiklosem Genielien im 2. Herbst-
konzert erfreuen. Das Orchester, das einleitend
Beethovens Erste Symphonie spielte, gab der
Tondichtung „L'apprenti sorcier" von Paul Ducas,
die Paul Hein bereits vor 12 Jahren in Deutsch-
land zuerst aufffihrte, viel Geist und Farbe. Die
jgrofie Attraktion der, -Herbstkonzerte bildete in
f r- unqinaT from
- UNIVERSITY OF MlffllGAN
506
DIE MUS1K XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
deren 3. Leo Slezak; der gottbegnadete Sanger
wufite in Arien und Liedern mit seinem hell-
leuchtenden, durch eine staunenswerte Technik
unterstutzten Tenor das begeisterte Publikum
zu nicht endenwollenden Beifallssturmen hin-
zureiBen. Debussy's „Petite Suite" sowie die
Oberon-Ouverture brachte dem Orchester mit
Paul Hein viel Anerkennung ein. Mit einem
Beethoven-Goetbe-Abend beschlossen Frederic
Lamond und Irene Lamond-Triesch die
Herbstkonzerte. Lamond dirigierte die Coriolan-
ouverture, das Rondino fur Blasinstrumente und
die Funfte Symphonie, wahrte dabei anerkennens-
werte Zuruckhaltung in eigenmSchtiger Aus-
deutung, trat aber dann um so mehr im Klavier-
konzert in G-dur von Beethoven aus der Reserve
und gab in seiner uberzeugend personlichen
Vortragsart hier sein Bestes. Irene Triesch
rezitierte mit der ganzen Fulle ihrer reichen
Ausdrucksmittel Balladen von Goethe und das
Kapitel „Samson und Delila" aus dem Buche
der Richter. — Em Wunderkind in des Wortes
bester Bedeutung lernte man in dem zwolf-
jfihrigen Geiger Duci Kerekjarto kennen; sein
verstfindnisvolles gefuhlstiefes Spiel fand eben-
solche Bewunderung wie seine keine Schwierig-
keiten kennende Technik. Ein weit das Durch-
schnittsmaB uberragender Pianist ist der fein-
fuhlige Franz Xaver Muhlbauer, der in einem
Klassiker wie Moderne umfassenden Programm
einen schonen Beweis seiner echten soliden
Kunstlerschaft gab. August Scharrer brachte
mit dem Chorverein Max Brucbs „Odysseus a
zu einer innerlich belebten, an dramatischen
Hohenpunkten reichen Auffiihrung und erntete
nebst den zum Teil aus Vereinsmitgliedern be-
stehenden Solisten verdiente Anerkennung. —
In diesem Winter wird hier ein besonders
reges Musikleben herrschen; wird doch Paul
Hein in den Abonnements- und Symphonie-
konzerten etwa 25 Novitaten zur Auffiihrung
bringen. Dr. Hans Munch
OASEL: In den beiden ersten Symphonie-
" konzerten der Saison, in denen Hermann
Suter in gewohntgewissenhafter, wohlerwogener
Wiedergabe Brahms' „Erste", Schumanns Sym-
phonic d-moll, Wagners „Siegfried-Idyll a und
Straufl* „Don Juan* 4 vermittelte, bestritten Ru-
dolph Ganz und Aaltje Noordewier den so
listischen Teil. Ersterer bot in technisch uber-
aus glanzender, musikalisch etwas kuhl-reser-
vierter Interpretation das C-dur Klavierkonzert
Beethovens und die „£tudes en forme de varia-
tions a op. 13 von Schumann. Letztere eine
Reihe gutgewShlter Lieder von Schubert und
StrauB in intelligenter, vielleicht zu intelligenter
Ausfuhrung. — Zu Volkskonzerten im edelsten
Sinn gestaltete Adolf Hamm seine obligaten
drei Orgelabende, in denen unter Zuzug von
Solisten Orgel-, Vokal- und Instrumentalwerke
aller Epochen stimmungsstarke Auffiihrung
fanden. Schonen Erfolg erspielte sich der
Zuricher Organist Ernst Isler in einem eigenen
Konzerte speziell mit der Wiedergabe von Werken
Regers, und ein gemeinsames Munsterkonzert
vereinigte das Trio Casals-Hamm-Philippi
zu einem an exquisiten Gaben reichen Abend.
Gebhard Reiner
DERL1N: In dem ersten von seinen vier an-
*-* gekundigten Symphonie-Abenden brachte
/nil :«v C lOOOlc
D
.'r;!-
Theodore Spiering eine Reihe neuer Orchester-
werke: Max Regers Konzert im alten Stil
(dreisgtzig), „in a summer garden" von Frederick
Delius und Hauseggers Dionysische Phan-
tasie. Die vier Bet- und BuBlieder fur BaB mit
Orchesterbegleitung von E. N. v. Reznicek, die
Paul Knupfer singen sollte, muBten wegbleiben,
da der Sanger plotzlich erkrankt war. Das
Regersche Werk (op. 123) zeigt, dafi der frucht-
bare Tondichter das Orchester jetzt wirkungs-
und klangvoller zu behandeln gelernt hat, eine
Kunst, die Delius und Hausegger sich schon
zu eigen gemacht batten, ^als sie mit ihren
ersten Werken an die Offentlichkeit tratcn.
Schumanns Zweite Symphonie bildete den SchluB
des Programms. Spiering bewahrt sich ebenso
tuchtig als Dirigent wie als Geiger und fuhrt
den Taktstock genau so sicher wie den Violin-
bogen. — Im 2. Symphonieabend der Konig-
lichen Kapelle hat Richard StraufJ Gustav
Mahlers w Lied von der Erde" zu wunderbarer
Wirkung zu bringen verstanden; man spurte
in jedem Augenblick, wie der Dirigent mit
warmer Liebe den Mahlerschen Orchestersatz,
die eigenartige Stimmung gerade dieser Musik
zu ihrem vollen Rechte kommen lassen wollte.
Unterstiitzt wurde er dabei aufs beste von Frau
Charles Cahier, die ihren Anteil an den sechs
Gesangen, namentlich den bedeutenden SchluB,
mit wahrhaft erschutterndem Ausdruck gab. Herr
Jadlowker wuBte leider mit seiner Partie gar
nichts anzufangen; er verstand offenbar gar
nichts von seiner Sache, auch sein Organ klang
ganz stumpf. An Beethovens Zweiter durfte
sich nach Mahlers reichlich pessimisiischer
Musik das Publikum erholen. — Der Berliner
Lehrer-Gesangverein (Felix Schmidt) gab
sein erstes Konzert dieses Winters. In die
Mitte des Programms war der groBe Preischor
„1813" gestellt worden, den Friedrich Hegar auf
Adolf Freys Gedicht fur das vierte Kaiser-Wett-
singen komponiert hat. Der Dirigent hatte die
ursprungliche Fassung des Chores gewahlt, der
in Frankfurt in gekurzter und erleichterter Fassung
gesungen worden war. Einige dem Verein ge-
widmete Chorstucke, wie w Echo tt von Otto Taub-
mann und Rudolf Bucks „Ostmarkisches Bauern*
lied", ferner „Die Nacht" von Franz Schubert,
mehrere Chore aus dem Volksliederbuche, sowie
der kleine Preischor „Wanderlied" von Behm
bildeten den Inhalt des Programms, in dem
Zelters „Meister und Gesell" mit seinem kost-
lichen Humor einen Glanzpunkt abgab. Auch
eine junge Violinspielerin, Alexandra Feldser,
erntete mit Stiicken von Vieuxtemps, Bruch u. a.
reichen Beifall. — Im 3. Nikisch-Konzert,
das mit der Tragischen Ouvertiire von Brahms
begann und mit der zu „Genoveva" von Schumann
schloB, wurde die neue Romantische Suite op. 125
von Max Reger gespielt, deren erste zwei SStze,
Notturno und Scherzo, durch die Feinheit
und Klangschonheit der Orchesterfarbung uber-
raschten. In der Themenbildung, der Melodie-
fiihrung und Rhythmik vernimmt das Ohr nur
wenig greifbar plastische Gebilde, der Aufbau
der Satze erscheint nicht architektonisch fest;
aber die Stimmung der Eichendorffschen Ge-
dichte, die den Tondichter zu seiner Musik in-
spiriert haben, ist doch glucklich getroffen. Im
Finale greift Reger auf Wendungen des Notturno
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
307
zuruck; leider will sich hier aber keine ge-
schlossene Entwickelung einstellen, es zerflatttrt
gar zu sehr in Einzelheiten, dehnt sich auch im
Verhaltnis zum Inhalt zu sehr in die Lange.
Pablo Casals, der Dvordks Cellokonzert in h
und spater die Suite in C fur Cellosolo von
Bach spielte, zeigte sich als ein Meister seines
Instrumentes. Er ist kein Virtuose, sondern
ein Kunstler, sonst hStte er sich wohl etwas
anderes als die Bachsche Suite zum Vortrag
gewahlt, mit der er das Beste des ganzen Abends
gab; jeden einzelnen der sechs Satze brachte
er klangschon,den geisltigen Inhalt mit vollendeter
plastischer Gestaltung zur vollen Geltung. —
Leo Slezak, von Prof. Dachs am Klavier be-
gleitet, gab einen Liederabend. Ein stimm-
gewaltiger Sanger, der sich in starken Gegen-
satzen zwischen ff und pp nicht genug tun kann;
die Horer jubeln ja, wenn er die hohen Tone
in den Saal schmettert und dann plotzlich eine
ganze Phrase kaum vernehmbar hinhaucht. Ein
Lied wirklich in seiner Stimmung zu erfassen,
ist er nicht imstande; ein feiner empfindender
Mensch hat diese Art Tenore bald recht satt. —
Eine verdienstliche Tat hat das Marteau-Quar-
tettvollbracht, indemesdrei Kammermusikwerke
Fried! ich Gernsheims, das Quartett in cop. 25,
das Klavierquartett in F op. 47 und die Sonate G
op. 85 fur Klavier und Violine auffuhrte; der
Komponist spie te in den beiden letzten Werken
den Klavierparr. Uberall zeigt sich die reicbe
musikalische Erfindung, warmblutiges Tempera-
ment und die sichere Gestaltungskraft des
Meisters, der, an den Klassikern herangebildet,
doch niemals nur nachformt, sondern im leben-
digen Kontakt mit seiner Zeit aus dem Vollen
schafft und seine Eigenart reif ausgebildet hat.
— In seinem 1. Winterkon?ert sang der Berliner
Sangerverein (Caecilia Melodia) unter dem
Chormeister Max Eschke Hegars „Trompete
von Gravelotte" und „1813 a , drei kraftvolle,
charakteristisch gestaltete Chore von Hugo
Kaun, vier Lieder von Kremser, Behms Wander-
lied u. a. und erfreute durchweg durch Reinheit
der Intonation, deutliche Textaussprache, rhyth-
mische Sicherhcit; eine gesunde naturliche Auf-
fassung und Frohsinn im Singen kennzeichnen
diesen Mannerchor, dem man gerne zuhort, auch
wenn man kurz vorher den Lehrergesangverein
gehort hat. Mathilde Gilow hat einen sym-
pathisch anklingenden hohen Sopran, der selbst
ein so schwieriges Stuck wie Alabieffs „Nachti-
gall u geschmackvoll vorzutragen vermag. Josef
WeiB spielte ein paar seiner Virtuosenstiicke.
E. E. Taubert
Die Berliner Mozart-Gemeinde veran-
staltete zur Feier des Jubilaumsjahres 1913 ein
Konzert, das vom Berliner Brahms- Verein
und dem Zehlendorfer Chorgesangverein
mit Zuziehung des Philharmonischen Orchesters
ausgefuhrt wurde. Wieder lernte man den Leiter
aller drei genannten Vereine, Fritz Ruck ward,
als trefflichen Musiker schatzen und konnte
sich uber die Chorleistungen im allgemeinen
nur freuen. Nicht gerade hervorragend war das
Soloquartett mit Mary Mora von Goetz, Hetta
von Schmidt, Georg Funk und Wilhelm
Guttmann besetzt; am Cembalo wirkte Max
Laurischkus, an der Orgel Johannes Senft-
leben. Fur HSndels 100. Psalm und fur
n'inli/r?:! :v,- V ilX)0
n
Mozarts stark verweltlichte sog. Kronungsmesse,
deren Agnus Dei besonders melodisch ist, konnte
man sich nicht mehr so recht erwarmen: um so
mehr wirkten BeethovensChor-Phantasie, deren
obligate Klavierstimme vortrefflich von Waldemar
Lutschg ausgefuhrt wurde, und das Triumph-
lied von Brahms. — Nur mit Begeisterung kann
man von dem Konzert desKonigl. Hof- und
Domchors reden, dessen Leistungsfahigkeit
Hugo Rudel sehr gehoben hat; das Programm
bot in seiner ersten Halfte altere, in seiner
zweiten lebende Meister. Hochst eindrucksvoll
war Hauseggers 6stimmiges Requiem, durch
feine Tonmalerei ausgezeichnet W. von Baufi-
nerns Weihe der Nacht, doch den Hohepunkt
der Chorleistung bildete die 16stimmige Hymne
op. 34 No. 2 von Strauft. — Sehr gut fuhrte sich
eine neue Trio-Vereinigung ein, die der Lehrer
an der Kgl. Hochschule Prof. Ludwig Hirsch-
b e rg mit zwei weit jungeren Herren, dem Geiger
Richard Kroemer und dem Violoncellisten des
neuen Marteau-Quartetts Georges Georgesco
gegrundet hat. — Als Meister ihres Instrumentes
erwiesen sich wieder die Geiger Franz von Vec-
sey und Michael Preft, die mit dem Philhar-
monischen Orchester konzertierten; ersterer be-
geisterte mich durch den Vortrag des Bachschen
Konzerts in E; letzterer, dem das Brahmssche
sehr gut lag, verhalf dem Phantasiestuck von
Hugo Kaun wieder einmal zu einem grofien Er-
folg. — Eine sehr talentvolle Schulerin Hans
Sitts, Katharina Bosch, die mit dem Bluthner-
Orchester konzertierte, trat fur das Konzert ihres
Lehrers op. Ill, der selbst das Orchester leitete,
und auch fur des gleichfalls am Dirigentenpult
stehenden Julius Weismann Konzert op. 36
mitgroftter Hingabe ein; letzteres ist ein gehalt-
volles, ernstes, in bezug auf Ausdruck und Ge-
staltungsfahigkeit grofle Anspruche stellendes,
leider viel zu stark instrumentiertes Werk, das
eigentlich nur im Finale besonders dankbar fur
die Solostimme ist. Wilhelm Altmann
Uberaus anregend und genufireich verlief das
vom Moskauer Synodal-Chor veranstaltete
Konzert. Man hat hier schon mehrfach Ge-
legenheit gehabt, Vertreter des hochentwickelten
russischen Kirchengesangs zu horen. Der aus
42 Sangern (25 Knaben und 17 Erwachsenen)
bestehende Moskauer Chor, der in dem jungen
N. Golowanow einen hervorragend befahigten
Dirigenten besitzt, darf zu den ausgezeichnetsten
Vereinigungen dieser Art gerechnet werden. Er
verfugt uber sorgfaltig ausgewahltes, teilweise
prachtvolles Stimmenmaterial (die Soprane sind
in Klang und Ausdruck von fast madchenhafter
Zartheit, im forte von strahlendem Glanz;
weniger bestechend sind Alt und Tenor, unuber-
trefflich dagegen die des ofteren in die Kontra-
oktave hinabkletternden Basse), genugt in rhyth-
mischer und besonders in dynamischer Hinsicht
den strengsten Anforderungen und lafit, was
Warme und Lebendigkeit des Vortrags anbelangt,
keinen Wunsch unbefriedigt. Die in farben-
reiche Kirchengewander gekleideten Gaste trugen
denn auch mit Kompositionen von Ippolitow-
Iwanow, Kalinnikow, Lwowsky, Tschaikowsky,
Rachmaninoff, Kastalsky u. a. einen gewaltigen
Erfolg davon. — Einen „Bach-Beethoven-Abend
mit fun f Blasinstrumenten" veranstalteten Elsa
nd George A. Waltp-jf p j i: ^pjtg^ ^fj^rkung der
UNIVERSITY OF M^HIGAN
1n<
308
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
Kammermusiker H. W. de Vries (Flote), Gott-
lieb Schreiber (Oboe), Waldemar Conrad
(Klarinette), Louis Scheiwein (Fagott) und
Georg Bottcher (Horn). Zum Vorrrag ge-
langten sechs Bachsche Arien (mit Solooboe,
-flote und -horn), in denen der vorzuglich dispo-
nierte Sanger wieder durch sichere Beherrschung
des Bacbschen Stils, reifes musikalisches Emp-
finden und feinsinnige Behandlung seines wohl-
geschulien Organs erfreute. Einen nicht minder
kunstlerischen GenufJ bedeutete die durch
geistigte Wiedergabe des Liederkreises an die
feme Geliebte; drei Liedern von Beethoven
hatte Walter ein instrumental Gewand an-
gezogen, meines Erachtens ein ziemlich
flussiges Unterfangen. Elsa Walter ist eine
feinfuhlige Begleiterin und treffliche Rammer-
spielerin; in Beethovens Sonate D-dur op. 10
No. 3 bewies sie Gestaltungskraft und Musikalitfit.
Das fesselnde Programm bot ferner in aus-
gezeichneter Wiedergabe Beethovens Quintett
op. 16. Willy Renz
Willy Haehnel (Violine) ist noch kein
fertiger Kunstler; seine Technik ist noch nicht
sicher genug und der Vortrag zu suBlich. Um
den grofien Bluthner-SaaleinigermaBen zu fullen,
wirkte Paula Nivell mit, die fur den Vortrag
der Arie der Rosine aus dem „Barbier" wobl-
verdienten Beifall erntete. — Bertha Manz
(Mezzosopran) bemuhte sich vergeblich. Die
Leistungen der mitwirkenden Herren Rudolf
Bartich (Violine) und Friedrich Miiller-Bar-
neck (Klavier) standen auf einem hoheren
Niveau. — Helene Glinz versteht es, mit ihrer
anmutigen hohen Stimme und einem netten
Vortrag ihre Zuhorer fur sich einzunehmen. —
Margarete Heim ist ebenfalls ein ansprechendes
Gesangstalent. Die VortrSge auf zwei Klavieren
von Lotte Groll und Walter Ziegler lieBen
vorUufig nur auf grofien FleiB schlieBen. —
Max Trapp ist mehr Musiker als Pianist, was
naturlich fur inn einnimmt. Hoffentlich eignet
er sich noch eine zuverlSssigere Technik an.
Max Vogel
Josef Pembaur ist,wenn er sich in m derne,
malerisch empfindsame Stucke wie „Ondine u
(M. Ravel) und „Reflets dans Peau" (Debuss>y)
vertiefr, mit dem Klavier ein einziger Organis
mus. Seine Schwachen jedoch, schwebende
Zugellosigkeit und grundlose Pathetik, zeigen
sich am deutlichsten in groBeren klassischen
Stucken : die Wiedergabe der „Appassionata tt war
seelisch wie technisch ein Unding. — Nichts
weniger als GenufJ bereiteten die Lieder von
Gustav Leonard. Handwerklich-musikalische
Begabung, die von einer erschreckend geringen
Selbstkritik gehegt wird, brachte da viel Boses
zutage. Und drei tuchtige Kunstler: Meta
Zlotnicka, Louis van Laar und Anton
Sistermans muBten sich in die Darbietung
teilen. Sistermans allerdings gab nur seine
grobere Kunst her. — Willi Kewitsch (Sopran),
Paul Schram m (Klavier). Die Sangerin brachte
mit etwas scharfem Temperament, aber sonst
ausgezeichnet neue Lieder zum Vortrag: sieben
mit Triobegleitung von Robert Kahn, gefallige,
aber dem neuen Tage abgewandte Stucke, und
einige von zwei ernsten jungeren Musikern: von
Lissauer und Carriere. Das Entzucken
Konzerts aber bildete„ das geistyolle Spiel
(V
ungemein begabten Pianisten Schramm, dessen
vibrierende Art ihresgleichen sucht. - Lula-
Mysz-Gmeiner und Rudolf Gmeiner sangen
einen behmel-Zyklus von Hermann Zilcher
(14 GesSnge), der eine Unendhchkeit von
schreienden Sentimentalitaten umfaBr, die von
„truber Liebe" umgrenzt sind. Als die besten
Stucke erschienen mir wEingang 14 , „Nachtgebet
der Braut 44 , „Blick ins Licht" und „hin Grab*.
Lula Mysz-Gmeiner sang energisch, zart, rein
— und immer herrlich; ihr Partner half ihr mit
schoner Stimme und nicht eben bedeutender
Kunst. — Im 3. der Loevensohn-Kon-
zerte, die wegen ihrer Uneigennutzigkeit nicht
fiber- genug gelobt werden konnen, horten wir sieben
Manuskriptlieder von S. Lieberson, die Wil-
helm Guttmann, ein Sanger von seltenen
Gaben, SuBerst wirksam vortrug. Nach der sehr
ernst zu nehmenden Diktion des Heineschen
„Es war ein alter Konig" hStte man allerdings
mehr erwartet als nur ein musikalisches „Scha-
kern mit den Weidenkatzchen". Ernest Chaus-
son's leidenschafiliches, aber im Grunde hng-
weiliges Konzert fur Klavier, Violine und Streich-
quartett spielten die Herren: Kreutzer, van Laar
(Solo-Violine), Hait, Kursch, Kutschka und
Loevensohn mit feinem Stilgefuhl. — Aucb die
Kammersangerin Elisabeth Boehm van Endert,
deren sprodes Material wenig Reizvolles dar-
bietet, sang zwei neue Lieder mit Orchester von
Clemens Schmalstich, die mehr geschickt ge-
macht als empfunden sind. Besser lag ihr scbon
die „Mittelalterliche Venushymne* 1 von d^Albert,
die leider den Schlufi eines bekannten Klavier-
werkes von Franck zu einem wichtigen Motiv
verwendet. Arno Nadel
Durch stilgemSBe und bis ins kleinste fein
abschattierte Vorfuhrungen verlief der Trio-
Abend von Robert Kahn (Klavier), Joseph
Rywkind (Violine) und Artnur Williams
(Cello) sehr genuGreich. — Dieses Trio unter-
stutzte auch den Liederabend von Rose Walter,
die mit ihrer hubschen und gut kultivierten
Stimme einem Liederzyklus mit Triobegleitung
von Robert Kahn zu schonem Erfolge verhalf. —
Der Cellist Anton Pokrovsky weifi wenig zu
interessieren; das Beste an seinen Leistungen
i>t der umfangreiche Ton. — Der jugendliche
Geiger M. Piastro ist freilich auch noch nicht
ganz konzertfertig, spielt aber viel temperamem-
voller und sehr musikalisch. — Durch technisch
reifes und wohldurchdachtes Klavierspiel und
ein sehr interessantes Programm nahm Elsa
Rau fur sich ein. — Der Clara Krausesche
Frauenchor (Dirigentin: Clara Kra use) brachte
mit dem Bluthner-Orchester zwei wohlgelungene
Erstauffuhrungen: w Athenischer Fruhlingsreigen*
von F. Frischen und „Das blaue Gemach"
von A. FickSnscher. Ich gebe dem ersteren
Werke den Vorzug wegen seiner naturlichen
und dem Text aufs glucklichste angepaBten
musikalischen Illustration. Die Sologesange der
Altistin Agnes Fridrichowicz waren in jeder
Beziehung ein groBer GenuB. — Die junge
Pianistin Hansi Blechmann mag durch
Podiumangstlichkeit noch an der vollen Ent-
faltung ihrer Fahigkeiten gehindert sein, man
kann ihr aber jetzt schon groBes technisches
Konnen und reines musikalisches Empfinden
des
des
beze
TOinalfr<i i ft Weingartner hie,t e,nen
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
309
Vortrag uber Richard Wagner zur Erinnerung
an dessen 100. Geburtstag. Etwas direkt Neues
bracbte der Vortragende nicht, aber in klarer
Obersicht und auf temperamentvolle Weise
Zeigte er als Grundzuge der Wagnerschen
Kunst die Idee der Erlosung und des Helden-
tums. Dann ging er auf das Problem der Kunst
tiber, das in Verbindung von Wort und Ton
besteht, den Einfluli Schopenhauers und die
Entwickelung Wagners bei jedem einzelnen
Werke. Eine unbegrenzte Liebe und Verehrung
fur den Dichterkomponisten sprach aus den
Worten des Vortragenden. Emil Thilo
Gunstige Eindrucke hinterliefS das Spiel des
jugendlichen Geigers L£szlo Ipolyi, der neben
schon rectat befriedigend entwickelter Technik
gesundes Auffassungs- und Vortragsvermogen
bekundete. Wurde er beim gestoBenen Staccato
wie beim Legato weniger mit dem ganzen Arm
als nur mit dem Handgelenk arbeiten, so wurde
sein Spiel auBerlich an Eleganz und sein Ton
an Elastizitiit und Warme gewinnen. — Wilhelm
Guttmann zeigte sich aufs neue als intelligenter,
musikalisch empfindender Sanger. Seine Stimme
ist nicht das Beste an ihm und bedarf gelegent-
lich noch bezuglich freier, runderer Tongebung
erneuter Aufmerksamkeit. Seine ganze gesang-
liche Beanlagung ist rein lyrisch, und uberall
da, wo er sich in diesem Fahrwasser bewegte,
erzielte er kunstlerisch wertvolle Erfolge. Seinem
meisterhaften Begleiter Eduard Behm ersang
er mit einer Anzahl von Manuskriptliedern einen
sehr schonen Erfolg; als besonders wertvoll
erwies sich unter ihnen „Der erste Schnee",
ein sehr feines Stimmungsbild, und „Fruhlings-
ruhe a , wahrend das Publikum „Sieger a und
B Zigeunerst&ndchen" besonders auszeichnete
und da capo verlangte. — Hochkunstlerischc
Genusse zeitigte der erste der diesjahrigen Trio-
abende des Georg Schumann-Trios. An
klanglicher Ausgeglichenheit, absoluter Sauber-
keit und durchdachter Vortragsweise sind die
Darbietungen dieser erstklassigen Triovereinigung
kaum zu ubertreffen, und das Beste ist, daft
jedem der drei Kunstler in gleichem Mali das
gleiche Lob gebuhrt; so vermochten sie dank
ihrer Kunst den drei Beethovenschen Werken
op. 1 No. 3, op. 70 No. 1 und op. 97 zu tief-
gehender Wirkung zu verhelfen. — Die aus
14 Herren bestehende Konzertvereinigung
des K aiser-Wil helm -Gedachtni ski rchen-
chors sang unter Leitung ihres Dirigenten
Alexander Kiefllich Gesange von Palestrina,
Lasso, Kiel und Vitali und zeigte hier neben
meist sauberer Intonation klangliche Ausge-
glichenheit und recht hiibsches Stimmaterial.
Auch einigen Neuheiten verhalfen sie zu
lebensvoller Wirkung, so W. Bergers „An den
Scblaf" (einer sehr feinen, stimmungsvollen
Komposition) und besonders Karl Kampfs
poetisch durchgeistigtem „Morgen an der Ost-
see", wShrend Franz Mikoreys geschraubte,
wenig sympathische Musik zu „Fruhling und
Frauen** auf groflere Massenwirkung rechnete.
Zwischendurch erfreute Hilde Fordan-El-
gers durch beifallig aufgenommene Violinvor-
trage. — Auch Sam Fid elm an n gehdrt zu
den Geigern, denen man infolge ihres ehrlichen
Strebens und Konnens gem zuhort. Sein Ton
ist zwar klein, aber kbensvoll und s^m^pathisch.
und seine Technik schon jetzt derartig ent-
wickelt, daC er z. B. den nicht durchweg sonder-
lich violinmafligen Passagen in Karlowicz* der
Erfindung nach etwas mattem Violinkonzerte
gerecht zu werden vermochte. — Der Lieder-
abend von Irmgard Kraus-Sonderhoff hielt
leider die anfangs in Brahms' Zigeunerliedern
erweckten gunstigen Eindrucke im weiteren Ver-
lauf des Konzerts nicht aufrecht. Mit Fritz
Cromes GesSngen, die der SBngerin fast durch-
weg zu hoch lagen, vermochte sie die gesang-
lichen MSngel ihrer Schulung nicht zu verdecken,
wenn es ihrauch gelang, durch ihren intelligenten
und von innerer Warme zeugenden Vortrag
vieles zu uberbrucken und dem talentierten
Komponisten zu Anerkennung zu verhelfen.
Ihre Stimme ist nach Registersitz, Volumen und
Timbre die echte Altstimme; es ist demnach
nicht wohlgetan, bei einer offentlichen Produk-
tion fast durchweg in hoheren Lagen, die eigent-
lich das Gebiet des Soprans sind, herumzusingen
und die Stimme dauernd zu unnaturlichen An-
strengungen zu zwingen. — Ein auffallend
schones, nach der Hohe zu glanzvoll ausgiebiges
Tenormaterial zeigte Carl Ludwig Lauen stein.
In vieler Hinsicht ist dies wertvolle Material
schon zu kunstlerischer Reife erzogen. Was
deutlichere Aussprache und namentlich plan-
voile Verwertung der Konsonanten betrifft, bleibt
noch viel zu tun ubng, ebenso in der kunst-
lerischen Disziplin des piano, das jetzt meist
dumpf und gaumig klingt. Die offenbare In-
telligenz des Sangers trat namentlich in der
achtbaren BewSltigung einiger schwieriger, aber
keineswegs wertvoller Neuheiten von Mauke
und Bitter vorteilhaft zutage. Der Begleiter
M. Raucheisen hatte sich groflere Rerserve
auferlegen sollen. Emil Liepe
Willy Burmester gehort zu den Genialen,
die nicht immer mit gleicher Gute ihre Gaben
spenden. Diesmal aber war er ganz besonders
gut ^aufgelegt", und so war es nicht verwunder-
lich, dafi er Gegenstand ekstatischster Ovationen
war. Emeric Kris ist als Begleiter recht gut
am Platze, als Solist zu aufierlich. — Der jugend-
liche Cellist Hans Bottermund konzer-
tierte mit dem Bluthner-Orchester unter der
etwas schulmeisterlichen Direktion Johannes
Reicherts. Er spielte die Konzerte von
d'Albert in C und von Dvofdk in h mit groOem
musikalischen Verstandnis und mit respektabler
Technik. Besonders bemerkenswert seine Ar-
peggien, Piccicati (die von groBer Klangschon-
heit sind) und Flageoletts. —John Thompson
und Marie Barinowa betStigten sich kla-
vieristisch. Ersterer steckt vorlauflg noch ganz
im Technischen. Sein recht buntes Programm
erledigte er mit mehr oder weniger gutem Ge-
lingen. In musikalischer Hinsicht ist ihm noch
ein geruttelt MaC grofieren VerstMndnisses fur
die Meisterwerke unserer Literatur zu wunschen.
Erfreulicher war der Abend der Frau Barinowa.
Sie steht vollig uber der Materie. Wer Beet-
hoven und Chopin mit solch innerem Ver-
standnis, mit so poetischer Auffassung zu deuten
weifX, der ist zu GrdfJerem berufen. Nur eines
mochte ich ihr fur die Zukunft raten: Bach
darf man nicht zu klavieristisch auffassen, das
polyphone VerstSndnis_kommt da etwas zu kurz,
find — ihr HauptfehfeJf'Wnalefrfi&litraste von
11 UNIVERSITY OF MICHIGAN
310
DIE MUS1K XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
Licht und Schatten mussen sorgsamer verteilt
werden. Die Dynamik ist nicht al fresco zu
deuten, das wirkt manieriert. — Zwei Orgel-
konzerte* von Karl Straube erregten in be-
sonderem Mafie die Neugierde der Bach- und
Orgelinteressierten Welt Groli-Berlins. Gewili
hat mancher tiefe Eindrucke, reiche Belehrung
und Anregung mit nach Hause nehmen konnen.
Und wer zu denen gehort, die Bach in liberalster
Weise modernisiert zu geniefien belieben, der
ist ganz gewili auf seine Rechnung gekommen.
Wer aber historische Auffassung schatzr, wem
Bach viel zu hoch steht, um seiner Eigenart
durch moderne ubertriebene Effekte (und nur
von diesen rede ich hier) das eigentliche Lebens-
element, das Grofiartige, Ernste, Monumentale,
zu nehmen, der konnte sich mit Straubes
(gewili diskutabler, in mancher Hinsicht teil-
weise berechtigter) Bach-Auffassung nicht vollig
einverstanden erklaren. Dali Straube spiel-
und registriertechnisch „an sich" einwandfrei
ist, das versteht sich bei solchem Meister von
selbst. Ich wollte hier nur opponieren gegen
eine Bach-Auffassung, die ich als manieriert be-
zeichnen mufi. Die grofiten Leistungen dieser
beiden interessanten Konzerte waren unstreitig
die „Neun Orgelchorale" von Bach, Regers hier
erstmaliggehSrtesop. 127, „Einleitung, Passacaglia
und Fuge", das er eigens fur die Einweihung
der Breslauer Orgel komponierte (schade, daC
man ihm die „Gelegenbeit a oft zu deutlich
anmerkt), die Bachsche g-moll Phantasie und die
Fuge in C (Toccata und Adagio waren wenig
erfreulich). Die hochst virtuose Interpretation
der c-moll Passacaglia beendete sehr wirkungs-
voll diese in der Hauptsache den Manen unseres
grolien Sebastian Bach gewidmete Veranstaltung.
— Von kammermusikalischen Darbietungen
horte ich den 3. Abend von Artur Schnabel,
Carl Flesch und Jean G6rardy, die „Jungfern-
rede" einer neuen Trio-Vereinigung: Earl
William Frederick Morse (Violine), Felix
Robert Mendelssohn (Violoncello), Adolf
Waterman (Klavier) und einen „Modernen
Sonaten-Abend" von Arnold Wagner (Klavier)
und Petrescu Woiku (Violine). Die Leistungen
der ersten Vereinigung sind zur Genuge be-
kannt. Die neue Vereinigung widmete ihr
als ziemlich wertvoll zu bezeichnen, doch
machten sie in der Art dieser Ausfubrung keine
besonders gute Figur. Der Pianist ist feiner ge-
bildet, der Geiger naturlicher. — Den BeschluB
meiner diesmaligen Rezensionen machen zwei
Liederabende von Axel Ringstrom (Tenor-
bariton) und Selma vom Scheidt. War das
Programm des ersteren etwas bunt, so zeigte
das der bekannten Weimarer Kammersangerin
erfreuliches Stilgefuhl. Sie hatte es uber-
schrieben: „Das Lied in der Form der Arie
vom 17. Jahrhundert bis auf Mozart." Die Be-
gleitung besorgten Eduard Behm und Fritz
Lindemann. Die Gesangskultur des Sangers
lafit kaum etwas zu wunschen ubrig. Da ist
ein schoner, resonanter Ton, brillante Atem-
technik, wundervolle mezza voce. Nach der
vortragstechnischen Seite aber sieht's bei Ring-
strom ziemlich arg aus. Eifrigstes Studium
mufi da Wandel schaffen. Bei Frl. vom Scheidt
waltet beinahe ein umgekehrtes Verhaltnis.
Doch sind bei ihr die Ursachen rein natur-
licher Art. Ihre einstmals scbone Stimme fangt
an, in der Hohe scharf zu werden. Ihr Vortrag
jedoch ist in jeder Hinsicht anerkennenswen.
Carl Robert Blum
Sophie Sack ist Naturspielerin. Musika-
lischer Instinkt und Temperament sind ihre
Vorzuge. Eine Draufgangerin, die mit den Jahren
durch Ebenmafi wohl ausgereifte Leistungen zu-
stande bringen wird. — Georg Zscherneck ist
ein tuchtiger Klavierspieler. Andere Vorzuge
habe ich keine entdecken konnen. — Edouard
Risler spielte Bach, Beethoven, Schumann und
Chopin. Die Kinderszenen von Schumann
wurdenmeisterhaftvorgetragen.— Clara Gun ther
spielte dermafien Klavier, dali ich fur ein Durch-
halten des Abends furchtete. Vollige Steifheit
des ganzen Spielmechanismus, von tonalerSchon-
heit keine Ahnung. Entweder vollige Umbildung
oder ganzliches Aufhoren. — Georg von Lale-
wicz gab einen Schumann-Abend. Solch be-
scheidenes Zurucktreten des Ichs gegenuber
dem Kunstwerke kann nur segenbringend sein.
Es war ein Abend voll des Schonen. — Albert
Da widow mulite geistig auf einer bedeutend
hoheren Stufe jstehen, um ein op. Ill wieder-
zugeben. Eitle Uberschatzung ist eine Fallbrucke.
erstes Programm Beethoven (Trio in B, op. 97), | — Ruby Holland spielte vortrefflich. Von der
Chopin (Sonate in g, op. 65, fur Violoncello
und Klavier) und C6sar Franck (Sonate fur
Violine und Klavier). Die Wahl zweier So-
naten entsprang wohl dem Wunsche, die
Leistungen der einzelnen besonders zu do-
kumentieren. Nun, das ist auch zum Teil
wohl gelungen. Am fahigsten erschienen mir
die Streicher, wogegen der Pianist durch be-
sondere Unsauberkeit der Technik und durch
zu geringe plastische Gestaltungskraft un-
angenehm auffiel, Dem Geiger gebricht es an
einem vollen, gut tragenden Ton (vielleicht hielt
er sich irrtumlicherweise zu sehr zuruck?), und
der jugendliche Cellist mulite in puncto Phra
sierung noch eingehendere Studien
aulierdem weniger aulierlich spielen.
Letztgenannten ging esganz modern zu
von Karol Szymanowski (op. 9),
Enesco (op. 6) und Louis Vierne
ungen Dame wird man noch mehr horen.
Hanns Rei ss
Wenn d'Albert Klavier spielt, pflegt er ein
paar dutzendmal daneben zu greifen; von
Emil Sauer hort man nie eine falscbe Note.
Trotzdem hat man mit Recht d^lbert als
Pianisten stets hoher eingeschatzt. Carl Fried-
berg steht zwischen beiden: Beethovens Sonate
op. 109 z. B. spielt er musikalisch fast so klar
und groti wie d'Albert und technisch fast so
vollendet wie Sauer; aber das Letzte in musi
kalischer und technischer Hinsicht fehlt. Er
ist iiberhaupt nach keiner Richtung hin ein
Blender; kein Wunder, dali ihm in Berlin nicht
treiben, ' der wohlverdiente Erfolg zuteil wird. Auch
Bei den | Sauer spielte diesmal Beethovens op. 109; sehr
Sonaten i schon, gewili; nur: was ihm noch viel besser
Georges gelang, war die „Spieldose tt von Sauer. (Das
(op. 23) ist's!) Ubrigens andert Friedberg seltsamer-
standen auf dem Programm. Diese Werke j weise seine Programme stets in letzter Stunde;
sind schon bekannL die beideni letzteren auch vernjrtjtlklu SWVr-ffri fcststellen, wer von seinen
: :;,yC iOOJ>lc UNIVERSITY OF MICHIGAN
D'::j"«i,-'L
KRIT1K (KONZERT)
311
Kritikern wirklich da war. — Ein vortrefflicher
Musiker und Pianist ist auch Edwin Fischer.
Einzelbeiten bei Chopin und Liszt zeigten, daft
er mehr kann, als er gibt, und daB es ihm wohl
nur an Selbstvertrauen fehlt. Sein Spiel wirkt
noch etwas unfrei, lSBt Gestaltungskraft und
Formvermogen vermissen Ein definitives Urteil
kann man uber ihn zurzeit noch nicht fallen. —
Das rein Technische beherrscht auch Georg
Grunberg sehr gut; doch spielte er Sonaten
von Schubert und Schumann unter stSndigem
MiBbrauch des Pedals so seelenlos herunter,
daB der Gesamteindruck wenig erfreulich war.
— Nicht besser ist es um Vera Kaphun-
Aronson bestellt: alles unheimlich exakt,
aber saft- und kraftlos; man glaubte ein Pianola
zu horen. So ein richtiger, derber Patzer wurde
geradezu erlosend gewirkt haben. — Ganz anders
Edouard Risler, dessen 3. Konzert zunachst
wieder Bach und Beethoven brachte. Er stellt
sein technisches Konnen stets in den Dienst
einer hoheren Idee und vermag sogar bei dem
seltsamen Versuch, die Phantastische Symphonie
von Berlioz auf dem Klavier wiederzugeben,
noch kunstlerische Wirkungen zu erzielen.
Freilich, daB er keine starke Personlichkeit ist,
kann trotz seiner eminenten Ffihigkeiten nicht
ubersehen werden. — Angelika Rum m el und
llonaK.Durigo bewiesen von neuem, daB sie uber
ein sehr schones stimmliches Material verfugen;
unnotiges Forcieren hat jedoch bei beiden bereits
allerhand Ermudungserscheinungen gezeitigt,
denen die Sangerinnen um so groBere Auf-
merksamkeit widmen sollten, als man mit Recht
den Reiz ihrer Stimme stets weit boner geschatzt
hat als ihren musikalischen Vortrag. Auch die
Begleiter sind diesmal zu nennen: Alexander
Neumann, weil er unerlaubt oft danebengriff,
und Robert Kahn, weil sein vornehm diskretes
Spiel rein musikalisch die Leistung der Sangerin
erheblich ubertraf. — Ein Swan Hennessy-
Abend brachte neben mancherlei Belanglosig-
keiten fur Klavier eine sehr hubsche Suite fur
Streichquartett (op. 46) und ein paar gefallige
Lieder, bei deren Interpretation eine anmutige
junge Dame, Marguerite Sonntag, sehr viel
guten Willen bekundete. — Ein August Ludwig-
Abend sollte in Wort und Musik „die Schaffens-
norm fur die Musik der Zukunft" fixieren. Der
Prospekt verhieB ferner: „Erfullung der in der
gesamten Tonkunst herrschenden Sehnsucht
nach Wohlklang", „eine neue Art Tonkunst",
ein „neues Tonsystem" („Konzentrationsmusik a ),
„neu entdeckte" Akkorde und dergleichen. Man
bekam, unter pianistischer Mitwirkung von
Mark Gunzburg, ein paar zum Teil recht
hubsche Musikstucke zu horen, die jedoch
nichts irgendwie Neues boten, und auBerdem
einen Vortrag, der allerdings von neuen Ent-
deckungen wimmelte: die Fuge keine selb-
stSndige Kunstform, die „Zauberflote" bei der
ersten Auffuhrung durchgefallen, und so. Es
gibt auf alien kunstlerischen Gebieten Neuerer
wie August Ludwig; man wird ihnen sein Mit-
gefuhl nicht versagen konnen, denn sie meinen
es alle so gut; aber man muB sie trotzdem auf
das Irrationale aller geschicbtlich und theoretisch
schlecht fundierten Reformbestrebungen auf-
merksam machen. Und man muB ihnen auBer-
dem sagen, daB kein GroBer es rfoflg. hat,. aJlfe
fl':!l":!/r?r! :v,- V AH IV It
O
anderen Lichter auszublasen, damit sein eigenes
Licht Ieuchte. Richard H. Stein
Ellen Sarsen nutzt ihre an sich nicht ublen
Stimmittel gar nicht aus; sie singt nicht, sondern
sie sauselt, und da sie auBerdem ein Program m
zusammengestellt hatte, das keine laute Note
aufwies, so litt der Abend unter bedeutender
Einformigkeit. — Anna Reichner-Feitens
Stimme ist nicht immer frei; es gibt da einige
gepreBte T5ne, die ausgemerzt werden mussen.
Im Vortrag waren einige Sachen sehr beachtens-
wert. — Bernhard Ulrich ist noch nicht reif
fiir die Oifentlichkeit, besonders nicht fur so
groBe Aufgaben wie „Odins Meeresritt". Ansatz
und Vokalisation sind sehr anfechtbar. Der
Rezitator Otto Montua brachte trotz seines nicht
eben groBen Organs seine Vortrage zu be-
deutender Wirkung. Max Burkhardt
DaB der russische BaBbaritonist Sergej War-
jag in trotz gutturaler Tongebung und mangel-
hafter Sprechtechnik interessieren konnte, ver-
dankterseinem hochkultivierten,vontreffsicherer
Intelligenz geleiteten Vortrag, sowie einem aus-
gesprochenen Gharakterisierungstalent. Die klug
gewahlten russischen Opernfragmente ( w Boris
Godounow" von Moussorgsky) und Lieder von
Rimsky-Korssakow dienten den Vorzugen des
Sangers gut, wahrend Loewe und hauptsfich-
lich Schubert („Tartarusgruppe tt , ^Wanderer"
usw.) hohere Gesangskunst eifordem, als
dem Sanger momentan zur Verfugung steht.
Oskar Wappenschmitt begleitete mit techni-
scher SouverfinitSt und Stilgefiihl. — Uta Hahn
hatte mit derart ungeeigneten und verbildeten
Stimmitteln nicht vor die Offentlichkeit treten
sollen. Das Interesse konzentrierte sich auf
den mitwirkenden Pianisten Paul Schramm, der
u. a. mit einer fulminanten Wiedergabe von Liszts
„Waldesrauschen a kraftvolle Personlichkeit und
gediegenes Konnen dokumentierte. — Erfreu-
liches, wenn auch noch nicht Gleichwertiges bot
Dora Thuringer. Sie ist ausgesprochene Kolo-
ratursangerin und besitzt als solche beachtens-
werte QualitSten; auch Ausdruck und Vortrags-
talent sind in nuce vorhanden. Aber noch ver-
liert die SSngerin beim Ansatz den Atem, statt
ihn zu spannen und restlos in Klang und Re-
sonanz zu verwandeln. Daher die hauflgen
Kakophonieen und Detonationen in der unge-
nugend gestutzten Hohe, sowie die mangelnde
Priignanz der Sprache. Trotzdem gelingen leichte
und grazile Sachen beute schon relativ gut,
wahrend stfirkere Akzente noch mitunter ver-
sagen. Theodor Munzersdorfs Begleitung
half uber manche FShrlichkeit gewandt und
sicher hinweg. — Berechtigung, Schubert, Wolf
und Reger zu singen, hat Elsa Glass-Sant
mit einem warmen, gut tragenden Mezzosopran.
Schade, daB der letzte Teil des Programmes —
einschlieBlich der ziemlich farblosen und wenig
interessanten Manuskriptlieder von Roderich v.
Mojsisovics — nicht glucklich gewahlt war.
Coenraad V. Bos' Begleitung war musikalisch,
nur eine Nuance zu kraftig. — Charlotte Her-
pens Gesangskunst ist trotz temperament- und
charmvollen Vortrags noch ziemlich unreif,
hauptsachlich was Kopfresonanz, Phrasierung
und Sprachbehandlung anbelangt. Vorderhand
demonstriert sie lediglich voluminoses und ent-
wickelungsfahiges i€lm^i*1^MutiATon begleitete
UNIVERSITY OF MICHIGAN
312
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
verstandnisvoll und schmiegsam. — Was da-
gegen mit weniger uppigen Mitteln rechte Kunst
zu leisten vermag, bewies Eva von Skopnik,
die Hubert Patdky's an reifes Konnen appellie-
rende Lieder in ihrem Sjimmungsgehalt restlos
erschopfte. Auch Brahms, Wolf und Reger
waren in ihrer und Max Laurischkus' mei-
sterlichen Interpretation genuBreich zu boren.
— Minna Dahlke-Kappes steht noch nicht
im Zenith ihrer stimmlicben Kultur. Sie druckt
auf den Ton, und auch der Ausdruck bedarf der
Verinnerlichung. Von den Manuskriptliedern
verdienen die Hermann Gischlers wegen ihres
Personlictokeitsgehalts und der Originalitfit der
Rbythmik und Melodik Erwahnung. Otto Bake
begleitete vorzuglich. Rudolf Wassermann
BREMEN: Das 1. Philharmonische Kon-
zert unter Ernst Wendel trug in seinem
ersten Teile der Jahrhundertfeierstimmung
Rechnung. H2ndels „Hallelujah a und Wagners
„Kaisermarsch a unter Mitwirkung des Phil-
harmonischen Chors sowie Beethovens
c-moll Symphonie wurden gebiihrend gewurdigt.
Meisterhaft spielte Eugene Ysaye das d-moll
Konzert von Bruch. lm 2. Konzert erlebte
Max Regers Balletsuite op. 130 ihre Urauf-
fuhrung. Die sechs charakteristischen Stucke
(Entree, Colomb'ne, Harlequin, Pierrot und
Pierrette, Valse d'amour, Finale) fanden bci der
glanzenden Interpretation Wendels groBen An-
klang. Der kunstlerische Schwerpunkt des
Abends lag in der pathetischen Symphonie von
Tschaikowsky, die man zum Andenken an den
20. Todestag des Komponisten gewShlt hatte.
Julia Culp entfesselte mit drei Liedern von
Beethoven mit Orchesterbegleitung („Die Trom-
mel geriihrt* 4 , „Freudvoll und leidvoll** und
^Adelaide 14 ) sowie mit sechs Schubert-GesSngen
Beifallssturme. — H. G. Norens Kammermusik-
Abend bot nur Werke vom Konzertgeber, eine
Klavierviolinsonate in a-moll (op. 33) und ein
Trio in d-moll von guten musikalischen Quali-
taten; ferner sang Signe Noren-Gjertsen
mehrere Lieder ihres Gatten. — Hans Heine-
manns Chopin-Abend und Otto Vietors und
Martha Arndts Solistenkonzert (drei Werke fur
zwei Klaviere, darunter eine Sonate in einem
Satz von Hans Huber) verdienen lobende Er-
wShnung. Prof. Dr. Vopel
DROSSEL: Eugene Ysaye hateinenoffentlichen
" Protest erlassen, daB es in einer Stadt wie
Brussel immer noch keinen groBen Konzert-
saal gibt. Seine Konzerte waren die letzten
Jahre in dem schonen Alhambratheater, das aber
aus technischen Grunden nicht mehr zu haben
ist. So ist er gezwungen, in den kleinen Saal
„Patria tt zu fluchten, der sich aber fur groBe
Orchesterkonzerte nicht eignet. AuBerdem be-
findet sich dieser Saal im katholiscben Vereins-
hause, wodurch viele liberate Elemente ab-
gehalten werden, dahin zu gehen — in Belgien
ist alles „Politik**. So war das 1. Konzert nur
schwach besucht, das starke Orchester klang
viel zu wuchtig. Die Auffuhrung unter Ysaye
war sehr lobenswert. Schumanns „Dritte a , das
interessante ^Pagan-Poem* 4 von Loeffler und ein
Piemontesischer Tanz von Sinigaglia bildeten
das Programm. Als Solist wurde Eisenberger
mit dem 24. Konzert von Mozart und dem cis-
moll von Rimsky-Korssakpw mit Recht sehr
gefeiert. — Das 1. Concert populaire unter
Lauweryns, der sich zum erstenmal als
Konzertdirigent mit Erfolg vorstellte, brachte
die Euryanthen-Ouverture, Schuberts „Unvoll-
endete", Mendelssohns „Italienische tt und Berlioz'
„R6miscben Karneval*. Emmy Destinn bot
mit ihrer prachtvollen Gesangskunst unter groBer
Begeisterung die Agathen- und Donna Anna-Arien.
Sehr interessant war das 2. Concert populaire,
fur das man Reger mit seinen „Meiningern"
verpflichtet hatte. Das war ein aufmerksames,
diszipliniertes Musizieren, an dem man seine
helle Freude hatte. Oberon-OuvertQre, Ballet-
musik aus „Rosamunde a und Beethovens „Funfte a
waren die sehr beifallig aufgenommenen Dar-
bietungen. Szigeti spielte das Brahmsscbe
Violinkonzerthervorragendschon. — VonSolisten-
konzerten sind zu nennen Kreisler, Norman
Wi 1 k s und B u h 1 i g, alle sehr warm aufgenommen.
Felix Welcker
pvRESDEN: Das 2. Sy mphoniekonzert der
*^ Serie A brachte als Neuheit eine Symphonie
D-dur von Erwin Lendvai, die mit ihrer Form-
losigkeit und ihrem fremdartigen, groBenteils
mystisch - religiosen Inhalt trotz zablreicher
Schonheiten im einzelnen es kaum zu einem
Achtungserfolg brachte, obwohl die Ausfuhrung
durch die Konigl. Kapelle unter Hermann
Kutzscbbach und die ernst zu nehmende Arbeit
des Komponisten wohl eine wfirmere Aufnahme
verdient batten. Wenn auch Lendvai in seiner
Symphonie noch nicht abgeklarte, reife Kunst
bietet, sondern uber ein Tasten, Suchen und
Schwarmen kaum hinauskommt, so stecken
doch in ihr musikalische, besonders koloristische
Werte und seine Begabung fur Stimmungskunst
ist unverkennbar. — Im 1. Konzert der Ver-
einigung der Musikfreunde erscbien Max
Reger als Cast mit seiner Meininger Hof-
kapelle. Die Interpretation der F-dur Sym-
phonie von Brahms konnte nur wenig be-
friedigen; Reger dirigierte zu schwer, zerriB und
zerdehnte die einzelnen Satze und brachte
Fermaten nach eigenem Gutdunken 6n; auch
klang das Orchester, besonders in den Holz-
blSsern, etwas zu hart. Ganz prachtvoll dagegen
kam Regers w Romantische Suite" zur Geltung,
die diesmal einen wesentlich starkeren Eindruck
hinterlieB als seinerzeit bei der hiesigen Ur-
auffuhrung unter Schuch. Die SSngerin des
Abends, Anna Stronck-K appel, genugte nur
bescheidensten Anspriichen. — Der Dresdner
Mozartverein bot seinen Mitgliedern als w Neu-
heit" das Konzert c-moll fur zwei Violinen von
Job. Seb. Bach, das die Schwestern Reemy
technisch sauber, aber doch allzu damenhaft
ausfuhren. Jean Louis Nicod6 dirigierte am
SchluB unter starker Wirkung sein „Deutsches
Gebet a . — Ein Kompositionsabend von Hans
Fahrmann muBte die Wertschatzung dieses
hochbegabten Tonsetzers aufs neue verstSrken.
Eine Sonate fur Orgel (es-moll), die Kraft, Glanz,
Innigkeit und harmonischen Reichtum zeigt,
sowie ein Symphonisches Konzert b-moll fur
Orgel und Orchester erzielten in ausgezeichneter
Wiedergabe durch Eugen Richter eine tiefe
Wirkung, die durch Julia Rahm- Rennebaum
mit einigen empfindungstiefen Gesangen Fihr-
manns noch verstarkt wurde. — Das Petri-
Quartet^^^i ^tj T| durch die Wiedergabe
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
313
des prachtvollen, mit Unrecht bisher vernach-
l&ssigten Streichquartetts e-moll von Verdi ein
Verdienst. Das Pete rsburgerStreich qu arte tt
entzuckte wiederum durch herrliches Zusammen-
spiel und edelsten Klang der wertvollen Stradi-
vari-Instrumente, hatte auch in Lydia Kobe-
latzky-IUyna eine schatzenswerte S3ngerin
mitgebracht. Mit Vortrflgen fur zwet Klaviere
sicherten sich Rose und Ottilio Sutro die
WertscbStzung der Kenner; ein Sonatenabend
von Huberman und Backhaus zeigte die
beiden beruhmten Virtuosen als geschmackvolle
Kammermusikspieler. In seinem Musiksalon
trat Bertrand Roth als Komponist einiger Stucke
fur Geige und Klavier erfolgreich bervor, auch
neue Lieder von Walter Dost fanden, von Martha
Gunther schon gesungen, verdiente Beachtung.
Ein Geigenabend von Karl Flesch, der u. a.
auch neue Stucke von Heinrich Noren vortrug,
sei noch hervorgehoben. F. A. Geifller
ESSEN: Mit der Urauffuhrung von Regers
Bocklin-Suite setzte die winterliche Musik
ein. Bis auf den nicht recht gelungenen Schluft-
satz, das Bacchanal, sind es sehr stimmungs-
volle Bilder von zum Teil ganz duftiger Farben-
gebung, womit Reger den Empfindungsgehalt
der Toteninsel, des geigenden Eremiten und |
des Spieles der Wellen in Tone bannt. Mehr i
als sonst neigt Reger hier der Linie zu; das j
Klangschwelgen beginnt festerer Gestaitung zu |
weichen. Unter des Komponisten Leitung gab
es mit unserm glSnzenden Orchester eine Auf-
fuhrung ersten Ranges. Als Gegenstuck bot
Abendroth die Siebente von Beethoven mit
feurigem Schwung und trotz des sturmischen
Jubels den letzten Satz mit plastischer Klar-
heit. Straufi* Festliches Prfcludium hatten wir
wenige Tage nach den Wienern, verspurten aber
keine Sebnsucht, es wieder zu horen. Pfitzner
spielte im Musikverein mit hiesigen Kunstlern
sein Klaviertrio, und Frau Lauprecht sang
Lieder von ihm. Ein kubler Abend,beidem Pfitzner
nicht in Stimmung kam und die Horer des-
gleichen. Immer fester schlagt jedoch Bruckner
hier Wurzeln, dank Abendroths unentwegtem
Eintreten fur ihn, das uns diesmal die Dritte
Symphonie bescherte. Den Lisztschen „Tasso u
brachte Abendroth ebenso virtuos wie von innerm
Erleben getragen, — faszinierend. Den heuer
iiblichen Wagnerzins entbot der Kruppsche
B i 1 d u n g s v e re i n unter Obsners Leitung.
Bruchstucke aus den Opern und dem „Parsifal a .
Es ist bemerkenswert, dafl Leute, die tagsiiber
den Hammer schwingen, mit solcher Lust im
„Parsifal a sangen, und an zwei Abenden uber
viertausend Arbeiter und deren Angehorige mit
Begeisterung zuhorten. Hier macrit wirklich das
Volk fur das Volk Musik. Max Hehemann
FRANKFURT a. M.: Das 2. T o n k u n s 1 1 e r-
Konzert brachte unter Max Kaempfert
als Hauptstuck Brahms' c-moll Symphonie, der
Wagners aulierordentlich eindringlich interpre-
tierte Faustouverture und ein concerto grosso
von Handel vorausgingen. Die Leistungen des
Orchesters nehmen einen erfreulichen Aufstieg.
Als Solist war der Bassist Paul Bender er-
schienen. Soweit ein Buhnensanger im Konzert-
saal seiner Aufgabe gewachsen sein kann, be-
hauptete er sich in einer „Messias a -Arie und in
Liedern (mit Klavierbegleitung). /Am . meiMeji]
n'!:i : :!/r?r! :v,- V ilK IV I
n
imponierte seine wuchtige Stimme. — Die Chor-
konzerte haben eine sehr willkommene Ergan-
zung erfahren. Der V ere in fiir Kirchen-
gesang hat den Schritt aus dem Dom mit
ausgesprochenem Erfolg gewagt. Unter Leitung
des energischen und feinffihligen Dirigenten Pius
Kalt sang der Verein mit prachtvollem Chor-
klang und ganz entziickend feiner Ausarbeitung
Stucke aus der leider so ganz tibersehenen alten
a cappella-Literatur. Man kann das Frankfurter
Musikleben nur zu solch einem Chor begluck-
wiinschen: er scheint berufen, eine empfindliche
Lucke auszufullen. Fur das kunstlerische Streben
des Dirigenten sind die Wahl der Solovortrage
charakteristisch: Hans Lange (Violine) spielte
mit Florence Bassermann (Klavier), Ary
Schuyer (Cello) und Hans Bassermann
die h-moll Sonate von Bach, das A-dur Trio von
Franz Xaver Richter und das D-dur Trio von
Joh. Ludwig Krebs. — Der Frankfurter
Volkschor brachte unter Prof. Fleisch den
„Messias a zu einer eindrucksvollen Wiedergabe,
bei solistisch ausgezeichneter Mitwirkung von
Antoni Kohman (Tenor), Alice Aschaffen-
burg (Alt) und Sophie Metzen (Sopran). Der
Volkschor „Union" erzielte mit dem „Judas
Makkabaus* einen starken Erfolg; hier wuBten
Ejnar Forchhammer (Tenor), N. Naumow
(Bafi), Paula Schick-Nauth (Alt) und Else
Gentner-Fischer (Sopran) das Publikum zu
begeistern. — An kleinen Konzerten ist sonst
kein Mangel : Lieder und Klavierabende die Fulle.
Von ihnen seien Frau Mysz-Gmeiner, die
Zilchers Dehmel - Zyklus zu auBergewohnlich
tiefer Wirkung brachte, der ausgezeichnete
Chopin-Spieler Josef Schwarz und die fein-
sinnige Konzertsangerin Alice Lenn6, deren
subtile Vortragskunst sehr gefiel, erwahnt.
Karl Werner
GENF: Am 4. Oktober, zu fruh fiir unsere
Gewohnheiten, gab Pablo Casals mit dem
Pariser Pianisten Dumesnil, der sich hier
gut eingefuhrt hat, ein Konzert. An Solisten
horten wir noch den hier viele Verehrer zShlen-
den Edouard Risler mit dem Pariser Tenor
Clement, dem ein bedeutender Ruf voraus-
ging. In einem Klavierabend stellte sich der
Pianist Schidenhelm hier vor, der danische
Geiger Gustavson konzertierte mit seinem
Landsmann Louis Froehlich und die jugend-
liche Geigerin Leech-Carreras mit Marguerite
Roesgen, einer jungen Genfer Pianistin. Am
8. November begann unsere offizielle Konzert-
saison mit dem 1. Abonnementskonzert
unter Stavenhagens bewShrter Leitung. Eine
wenig gehorte Symphonie in D-dur von Mozart
(1782 komponiert) eroffnete den Reigen. Der
Solist war Rudolph Ganz, dessen glanzende
Technik wieder im hellsten Lichte strahlte. Er
brachte uns das Dritte Konzert des Basler
Meisters Hans Huber und ein Konzertstuck
von femile Blanchet, dem Lausanner Komponisten.
Das Hubersche Werk zeigt festes Gefuge und
Beherrschung der Mittel, aber die wenig interes-
sante Erfindung und die uberladene Ornamentik,
Tonleitern, Kadenzen — ein etwas Sltlich an-
mutender Hausrat — ermuden auf die Dauer.
Mehr fesselte uns das Werk Blanche^s. Wenn
auch seine Architektur keine so solide ist, wie
dje Hubersche, so fQfeb^iwlrf lo^lmimit Interesse
1 UNIVERSITY OF MICHIGAN
314
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
den Einf&llen des Autors. Er hat etwas zu sagen
und sagt es auf originelle Weise. Pianist und
Dirigent haben keine leichte Aufgabe: es gibt
da eine Menge rhythmischer Komplikationen.
In den Erfolg teilten sich der Pianist und der
anwesende Komponist. Das Konzert schlofi mit
einer glanzenden Auffuhrung des Lisztschen
„Tasso", den Stavenhagen in liebevollster Weise
einstudiert hatte. Oscar Schulz
UAMBURG: Aus der Konzert-Hochflut, die
** sich in diesen Wochen in breitem Strom
iiber uns ergielit, aus dieser Hochflut, die mit
dem Heute alle Erinnerungen an das Gestern
und Ehegestern wegschwemmt, haften im Ge-
dSchtnis eigentlich nur die groften Orchester-
konzerte, die wir Nikisch und Hausegger
verdanken. Beide hatten grofie Abende: Haus-
egger zollte wie alljahrlich Meister Bruckner
seinen Tribut mit einer wundervollen, geistig
hochstehenden Wiedergabe der c-moll Symphonie,
die er fast strichlos — nur wenige Takte in dem
halbstundigen Adagiosatze fehlten — zur Auf-
fuhrung brachte, und Nikisch wiederholte unter
tiefgehenden Eindrucken die pathetische von
Tschaikowsky. Max Fiedler brachte sich mit
einem Beethoven-Kolossalprogramm bei seinen
zahlreichen hiesigen Freunden, die ihm sein
Verhalten gegen Hamburg in seinem Amerika-
Engagement lfcngst verziehen haben, in Erinne-
rung. Der schlechte Besuch der Hamburger
Konzerte macht im ubrigen weitere Fortschritte;
eigentlich konnten die Konzertgeber sich die
Saalmiete ersparen und die paar Kritiker, fur die
sie konzertieren, zu sich ins Hotel bitten. Raum
ware in der kleinsten Hutte und fur alle Be-
teiligten ware das unendlich viel bequemer. Eine
Ausnahme in dieser Beziehung machte der Zu-
drang zu Edyth Walkers Liederabend, der im
dichtgefullten grofien KonventgartenSaal an-
nahernd 2000 Menschen versammelte, die der
glSnzend disponierten, auch als Liedersangerin
sehrbedeutenden KQnstlerin mitRechtzujubelten.
Heinrich Chevalley
HEIDELBERG: Das 1. Konzert des Bach-
Vereins (Leiter: Philipp Wolfrum) bestritt
Leo Slezak, der in vier Abschnitten mit durch-
weg wertvollen, zum Teil altbekannten Liedern
und Arien die grofie Hdrerschaft derart be-
geisterte, daft man ganz vergaft, daft der Kunst-
ler auch Fehler hat. Diese liegen zumeist auf
dem Gebiet der Aussprache. Dreimal muftte
sich Slezak zu Zugaben verstehen. Wolfrum
begleitete entzuckend. Das 2. Konzert bewegte
sich ausschliefilich auf klassischem Boden:
Gr6try, Handel und Mozart hatten das Wort.
Von ersterem wurde eine Lustspielouvertlire
und die von Mottl bearbeitete Balletsuite, von
Handel das Orgelkonzert No. 2 in B-dur, von
Mozart die D-dur Symphonie (K. V. No. 504)
dargeboten. Poppen bewahrte sich wieder als
Meister der Orgel. Nur teilweise vermochte mit
Arien von Handel und Mozart Frau Densz zu
genugen. Die Kammermusikkonzerte Otto
Seeligs vermittelten im ersten Abend durch
das Ros6-Quartett einen Hoehgenuft mit
Hans Pfitzners Streichquartett op. 13 (D-dur),
dem sich Mozarts Klavierquartett in Es (K. V.
No. 493) und Beethovens op. 130 anreihten. Den
Klavierpart bei Mozart vertrat stilvoll Direktor
Seelig. Im zweiten Abend konzertierten die
D'::j"«i,-'L
Briisseler (Tscbaikowsky's op. 30 und Beet-
hovens op 18 No. 4), unterstutzt von Martha
Fickler, die Lieder von Haydn und Beethoven
nach schottischen, walisischen und irischen
Volksmelodieen gew&blt hatte. Ferner sind
Liederabende zu registrieren von Else Often,
Lisa und Sven Scholander, Ludwig Wullner,
Frl. Fickler; Frl. Sack gab erfreuliche Proben
ihres pianistischen Konnens.
Karl Aug. KrauB
JOHANNESBURG: Die Quinlan Operngesell-
J schaft bot uns auch das hier so tiberaus
seltene Vergnugen, ein Orchesterkonzert zu
horen. Richard Eckhold bot in plastischer
Ausarbeitung die Leonoren - Ouverture. Der
Konzertmeister des Orchesters, Percy Frostick,
spielte das „Rondo capriccioso" von Saint-Saens
mit Eleganz und bemerkenswerter Bogentechnik.
Leider war das Werk durch die allzu tempera-
mentvolle Leitung des Dirigenten Tulio Voghera
nachteilig beeinflufit, dagegen befriedigte er uns
wieder mit seiner schonen Wiedergabe von
PreMude und Arie aus „Louise tt . — Von hiesigen
Konzerten interessierte besonders ein Abend
der Musical Society, an dem Selma Sacke
und Lorenzo Danza das ganze Repertoire be-
stritten. Einen bedeutenden Eindruck machte
die junge Geigerin durch den Vortrag der
Chaconne, der „Habanera" von Saint-Saens und
der „Zigeunerweisen tt von Sarasate. Im letzten
Konzert derselben Gesellschaft horten wir das
Klavierkonzert von Grieg, von Herrn Lloyd
mit klarer Technik schon vorgetragen. Das
Konzert wurde vom Amateurorchester unter
W. Peters Leitung leider nicht sehr an-
schmiegend begleitet. Lloyd ist ein Pianist, dem
wir besonders die Bekanntschaft moderner
Komponisten zu verdanken haben; so brachte
er kurzlich verschiedene Kompositionen von
Debussy zu Gehor und fesselte uns mit dem
geschmackvollen Vortrag dieser ultramodernen
Studien. — Die Philharmonische Gesell-
schaft bot eine Auffuhrung von Coleridge
Taylor's „TaIe of Japan". Die Musik in ihrer
modernen japanischen Harmonie ist stellen-
weise sehr romantisch. Nennenswert war als
Solopartie Mift Blowden Hopkins, die sich
hauptsfichlich zur Oratoriensangerin eignet. —
Der deutsche Club veranstaltete einen Abend,
an dem Milly Wildner und Lorenzo Danza
eine Griegsche Sonate in vollendeter Weise
vortrugen. M. Pollak
KASSEL: Zu den drei hiesigen Konzert-
direktionen hat sich nun auch das Waren-
haus Tietz gesellt. Naturlich bei niedrigeren
Preisen und „bester Ware* 4 ein starker Run, der
Saal ausverkaufr. Im Mittelpunkt des Interesses
stehen aber noch die Konzerte der Konig-
lichen Kapelle (Prof. Beier), die uns zuerst
einen Wagner-Abend bot mit dem „Liebesmahl tt
(Lehrergesangvcrein), der „Faust-Ouverture" und
der Pariser „Tannhauser**-Musik. Kirchhoff
und Frl. Kronacher teilten sich in die Solisten-
Ehren. Spohr (c-moll Symphonie), Tschaikowsky
(Violinkonzert), Debussy (zwei Stiicke aus ^Le
Martyre de saint SSbastien"), Reger (Violin-
sonate), Strauft (Festliches Praludium), — kann
man mehr verlangen als diese Buntheit des
2. Abends? Mehr als die effektvolle Straufl-
Musik-^wefiktei dlt Mystik Debussy's Interesse,
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
315
aber auch — Kopfschuttein. Den Violinwerken
war Felix Berber ein wiirdiger Interpret. —
Die Herren Hoppen, Onken, Keller,
Kuhling bereiteten mit Haydn- und Beethoven-
Quartetten und Mozarts Klarinettenquintett viel
Freude. — Von Geigern borten wir Kreisler,
Thibaud und Schmuller, von denen der
erste ein groBes Programm mit Alexander
Neumann glanzend erledigte, Thibaud, beson-
ders mit Bachs Chaconne, tiefen Eindruck er-
zielte und Schmuller mit Reger dessen Suite
op. 93 und die Brahms-Sonate G-dur trefflich
zu Gehor brachte. Regers Klarinettensonate
vermittelten meisterhaft ihr Schopfer und Aug.
Lohmann. — An Rosenthal bewunderte man
vor allem die erstaunliche Technik, mit der er
Werke wie die Paganini-Variationen von Brahms
und eine Humoreske eigener Komposition aus-
fuhrte, wShrend Carl Friedberg sich als
tuchtigen Chopin-Interpreten erwies. — Von
Gesangskunstlern wurden sehr bejubelt Hein-
ricta Hensel und Lilly Hoffmann-OnSgin,
die von ihrem Gatten feinfuhligst begleitet wurde.
Auch Gertrud Fischer-Maretzki (von Reger
begleitet), Elisabeth Boehm-van Endert, Elsa
GlaB-Sant (Coenraad V. Bos) und der Balladen-
singer Karl Gotz hatten sich warmen Beifalls
zu erfreuen. Einen sehr interessanten Abend
bot Sigfrid Karg-Elert als Meister auf dem
Kunstharmonium. Dr. Brede
KOLN: Das 2. Gurzenich-Konzert brachte
das langere Jahre nicht gehorte H S n d e 1 sche
Oratorium ^Israel in Agypten", dessen fur des
Altmeisters kunstreiche Eigenart in besonderem
Matte charakteristischer Bestand an prachtvollen
Cborsatzen und feingeformten Aden, sowie
Bravourduetten den Freunden dieses zur hochsten
Blute gediehenen Oratorienstils naturlich ein
sehr willkommenes Abendprogramm bedeutete.
Der Auffuhrung lag die Ausgabe der Handel-
gesellschaft zugrunde, die nach Fritz Stein-
bach s Einrichtung durch einige gut gewahlte
Solonummern aus verwandten Werken des
Meisters und auch sonst in dankenswerter Weise
erginzt worden war. Gestutzt auf hervorragende
Ctaor- und Orchesterleistungen, bot unser Diri-
gent eine so klar anschauliche wie weihevolle
Darlegung der machtvollen Schopfung, so daft
den Horern, soweit immer genannte Faktoren
maBgebend waren, hoher GenuB bereitet wurde.
Die Solisten behaupteten leider kein einheltliches
kunstlerisches Niveau. Wahrend Tilia Hill, die
man hier noch nicht kannte, sich durch ausge-
zeichnete Vortragseigenschaften nicht minder als
durch den vornehmen Ton ihrer Stimme als
Konzertsopranistin trefflicher Art einfuhrte, ver-
darb Anna Erler-Schnaudt diesmal viel durch
recht empfindliches Unreinsingen und stellen-
weise nur muhsames Bewaltigen der hohen Lage.
Die erste BaBpartie hatte in Alfred Kase einen
nach jeder Richtung vorzuglichen und sehr sym-
pathischen Vertreter, dann aber zeigte sich der
mit der zweiten BaBpartie betraute Fritz Hopf
gesangskunstlerisch keineswegs auf der Hone
der Situation. Besser schnitt der hinsichtlich
derTonbildung allerdings zu wunschen lassende
Tenorist Theo Bachenheimer ab. — In der
Musikalischen Gesellschaft fand das
Sevcik-Quartett mit Smetana, Dvorak und
Weingartner SuBerst warme Aumahrae; dann er-
D'lIjIU-'UIJ :)v VlOOQ
k
zielte die Karlsruher Sopranistin Hildegard
Schumacher kiinstlerisch undstimmlich durch-
aus berechtigten schonen Erfolg. Der war in
noch groBerem MaBstabe C6cile Valnor bei
ihrem Liederabend beschieden. DasGurzenich-
Quartett loste zumal mit Friedrich Kloses ge-
staltungskraftigem Quartett Es-dur (vide Jenaer
Musikfest) starkes Interesse und voll wurdigenden
Beifall aus. Paul Hiller
I EIPZIG: Das Jubilaum der Leipziger Volker-
*-* schlacht gab auch fur das 1. Gewand-
hauskonzert den Ausschlag. Die w Egmont a -
Ouverture, Liszts „Heldenklage" und die w Eroica a
bildeten, von Nikischs Hand feinnervig ge-
glattet, eine Dreiheit von Eckpfeilern. Der
Bruckner-Dirigent Nikisch entwaffnete im 2. Kon-
zert mit der Symphonie in c-moll auch die
scharfst gewetzte kritische Feder; nicht minder
prachtig erklangen aus seinem sicheren Ein-
fiihlungsvermogen die Urauffuhrungen der er-
traumten Klangimpressionen „Erster Kuckucks-
ruf im Fruhling" und „Sommernacht am Flusse"
von Fr. Delius. Louise Debogis, die Solistin
des 1. Konzertes, weckte den Appetit auf ein
paar vokale Kostproben ahnlicher Herkunft,
da sie der Stimmungskunst eines Liszt am
besten gerecht wurde. Braucht man uber die
SSngerin des 2. Abends, Julia Culp, mehr als
ihr Programm mitzuteilen? Also: sie sang Lieder
von Schubert (leider mit einer von Schonberg
zum Teil ganzlich verinstrumentierten Begleitung)
und von ihrem allzufruh heimgegangenen,
schaffensgewandten Begleiter Erich J. Wolff.
DaB Nikisch als Dolmetsch des groBten Klassi-
zisten schwerlich erreichbar ist, dessen wurde
man im folgenden Konzert (1. Brahmsabend,
c-moll Symphonie) von neuem inne, und da
noch der grundmusikalische Carl Friedberg
den Platz am Flugel eingenommen hatte, senkte
man willig die kritische Feder und gab sich gern
einzig dem hohen kunstlerischen Genufi hin.
— Die Philharmoniker Windersteins ver-
mittelten im 1. Konzert in eindringlicher Weise
einige Wagneriana und Fr. Gernsheims hier schon
in guter Erinnerung stehendes Vorspiel „Zu
einem Drama". Solisten waren Melanie Kurt,
die sich in der „Tristan u -SchluBszene durch ihren
schwungvollen Vortrag besonders auszeichnete,
und W. Lindsay, dessen Lisztsspiel viel musi-
kalisches Innenleben verriet. — Recht ver-
heiBungsvoll laBt sich das Musizieren der
Streichervereinigungen an. Das Flonzaley-
Quartett machte uns mit dem leider recht
fahrigen Quartett op. 7 von Schonberg bekannt.
Die Petersburger waren in ihren bisherigen
zwei Abenden in vorzuglicher Verfassung; sie
brachten die anspruchslosen „Miniaturen tt ihres
Griinders, des Herzogs G. Alex, zu Mecklen-
burg-Strelitz, mit. Tilly Cah nbley-Hinken
zog sich in demselben Konzert, obwohl indispo-
niert, mit Gluck aus der AffSre. Der zweite
Abend der Petersburger hatte fast ausschlieB-
lich russischen Anstrich: TanSjeff, Tschai-
kowsky u. a. waren vertreten mit Kammer-
musik und Liedern (Lydia Kobelatzky-Illyna),
der Klavieranteil lag in den Handen der
Temperamentspielerin Else Gipser. Ein Wein-
gartner-Abend des leistungsfahigen Sevcik-
Quartetts wurde wegen UnpSBlichkeit gleich
zweier Mitwirkend^^Uje^inrpjjGw^k-Schumann-
UNIVERSITY OF MICHIGAN
316
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
Weingartner-Konzert. — Die Solisten mussen heute
mit einer kurzen Statistik furlieb nehmen: aufter
den bekannten Pianisten Lamond, Backhaus,
L. Kreutzer, P. Weingarten konzertierten
der tiichtige, aber wandelbare Josef Wei ft, der
gediegene G. Zscherneck, der liebenswurdige
Fr. v. Bose, die verinnerlichten Kunstler A. v.
Roessel und E. Weinreich und die ver-
heiftungsvolle Lili Kroeber-Ascbe; von Strei-
chern der werdende Saleski, die fertigen
J. Preft und R. Reitz, der treffliche J. Blumle
und der noch ungleichmaftige Leistungen bietende
I. Schkolnik. Gutes, aber noch nicht letzte
Gesangskunst, gewahrten K. Steinbruck und
J.Hedmondt, bestes jedoch Kate Neugebauer-
Ravoth. In Kompositionskonzerten stellten
sich Paul Pfitzner als treffliches Formentalent,
Kurt R i c h t e r als in vielen Beziehungen noch
unausgereift vor. Mit seiner Ouvertiire „Aus
Jugendtagen", die Nikischim4. Gewandhaus-
konzert pr§chtig herausbrachte, zeigte einer
der Nestoren unter den lebenden Tondichtern,
Carl Goldmark, wie erin unverminderterjugend-
frische sich selbst treugeblieben. R. Strauft'
Symphonische Phantasie „Aus Italien", das Werk,
das ihn aus dem „absoluten* Heerlager in das
„programmatische a hintiberfuhrte, bildete, farben-
freudig errichtet, den anderen orchestralen Eck-
pfeiler des Abends. In Bronislaw Huberman,
der Tschaikowsky (Konzert und Serenade
mSlancolique) hochmusikalisch und vergeistigt
vermittelte, war einer der Berufensten aus dem
jungeren Geigernachwuchs gewonnen worden.
— Windersteins Philharmoniker hatten
sich in Brahms' D-dur Symphonie, und, wie uns
schien, noch mehr in Bizet's zweite Orchester-
suite aus ^Arl^sienne" versenkt und stellten
ihren feinfuhligen Konzertmeister H. Schachte-
beck mit Beethovens beiden Violinromanzen
und den anmutigen lyrischen Tenor Paul
Schmedes mit den knifflig und charakteristisch
erfundenen „Glockenliedem tt von Schillings und
der Adelaide heraus. — Unter Richard Wetz,
dem Stellvertreter des nach Hamburg abgeord-
neten Georg Gohler, sang der Riedel-Verein
das Deutsche Requiem von Brahms(Gewandhaus-
orchester, Soli: Anna Stronck-Kappel, Hjal-
mar Arlberg), das hier, da mir keine Karten
zugingen, lediglich registriert sei. — Sehr an-
regend verlief des trefflichen Dirigenten H.
Laber „Moderner Abend** mit einer jugend-
frischen, aber nicht gerade themenkraftigen
Symphonie von Hans Huber, einem etwas
meistersingernden Festzug von Fr. Klose und
einem nicht sehr dankbaren,abergutgearbeiteten
Klavierkonzert von Martucci, wofur die tuchtige
und sorgfaltige Am6Iie Klose eine Lanze brach.
— Zu einem schonen kiinstlerischen Erfolg ge-
staltete sich der Sonatenabend von B. Lhotsky,
dem Vorgeiger des Sevfok-Quartetts, mit der
einheimischen Temperament- und Feinspielerin
Anny Eisele (Mozart, Brahms und Strauft).
Die gleichzeitige erste Kammermusik im
Gewandhaus, die Beethovens op. 130, Haydns
op. 77, No. 1 und Gesange mit Bratsche von
Brahms (Emmi Leisner und Herrmann)
brachte, ging mir daher begreiflicherweise ver-
loren. — Ein Noren-Abend (die Sopranistin
Signe NorenrGiertsen, der wohlbeschlagene
Violinist Louis van Laaj, der ausgezeichnete
Cellist Marix Loevensohn und die erst-
klassige Klavierspielerin Ella Jonas-Stock-
hausen) war mit einer Violinsonate, Liedern
und einem Klaviertrio wohl geeignet, neue
Freunde fur den Komponisten zu werben. —
Von Geigern gaben eigene Konzerte Franz
von Vecsey und Carl Flesch; sie bewabrten
sich in bekannter Weise. Der hochbegabte
Ignaz Friedman zeigte uns an Chopin immer
mehr neue und ungeahnte Ausdeutungsmoglich-
keiten. Sein Schiiler Ignaz Tiegermann stellte
gute technische Tugenden heraus, wird aber
noch der Verinnerlichung seines Meisters nach-
eifern mussen. In Aurelio Giorni erkannte
man einen sorgfSltigen, aber noch etwas knorrigen
Klavierspieler. Lotte Groll und Walter Ziegler
sollen sich auf ihren beiden Klavieren wieder so
wohlbeschlagen wie voriges Jahr erwiesen haben.
Als gesangs-kunstlerisch begabter denn ver-
innerlicht stellte sich Isa Berger-Rilba vor;
Seraphine Schelle war noch nicht am Ende
ihrer Studien, Helene Schutz soil sich zu grofte
Aufgaben gestellt haben, wogegen man bei
Meta Steinbruck (am Klavier Sigfrid Karg-
Elert) einen hiibschen Erfolg feststellte. An
Dora Heims muftte am besten ihr feingebildeter
Pianokopfton zusagen, und im Liederabend der
noch nicht ganz auf den Parnaft ihrer Kunst
gelangten Nathalie Aktz6ry fesselte mien am
meisten ihr, wenn auch noch so viele ver-
schiedene Namen aufweisendes, so doch ein-
heitlich gedachtes Programm (Italiener, Russen
und Franzosen). Dr. Max Unger
LONDON: Oktoberkonzerte. A. Or-
chesterkonzerte. Der vielseitige Henry
Wood eroffnete die Samstag Nachmittag-Recitals
des Queen's Hall Orchestra mit Scriabin's
Symphonie No. 3 in C (op. 43) „Le divin poeme a
(Das gottliche Gedicht"), die damit ihre eng-
lische Erstauffuhrung erlebte. Nach dem futu-
ristischen w Prometheus a des gleichen Kom-
ponisten, der in der vorigen Saison Aufsehen
erregte, erwartete das Londoner Publikum eine
ganz besondere Sensation und hatte sich daher
iiberaus stark eingefunden. Fur die Futuristen
bedeutete jedoch die Symphonie eine Ent-
tSuschung, da sie sich in Grenzen halt. Sie
zerfallt in drei Satze: „luttes a , w volupt6s" und
w jeu divin", die, ohne Unterbrechung gespielt,
50 Minuten dauern. Dem Tondichter Nahe-
stehende wollen wissen, daft er musikaliscb
etwa Folgendes darin auszusprechen beabsichtigt:
Des Daseins hochstes Ziel besteht in der Ver-
wirklichung der eigenen Individualitat. Die
grublerische Suche nach seinem Selbst fuhrt
ihn zu dem Schlusse: „Ich bin = ich schaflfe
in Freiheit." Die Symphonie soil nun die
Freude fiber dieses freie Schaffen aussprechen.
Ferner: alle Leidenschaften ruft der Mensch
selbst in sich hervor und kann sie auch selbst
unterdrucken. Und zuletzt erklart der Kom-
ponist, daft nur in ruheloser, nie endender
Tatigkeit das Heil der Menschheit liege. Ob
Scriabin dieses psychologische Programm auch
tatsachlich in Musik umsetzen konnte, bleibe
anheimgestellt. Die Tonsprache des russischen
Musikphilosophen zeigt zum Teil starke An-
lehnungen an Chopin, teils erinnert sie an
Wagner. Den originellsten Eindruck hinterlieft
dei* lyrische, klangschone Mittelsatz w volupt^s M .
Origin anroiTi
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRIT1K (KONZERT)
317
Als Novum ist festzustellen, daft in dem auf
110 Mitwirkende verstarkten Orchester zum
erstenmal unter den Streichern sechs Damen
(4 Geigen und 2 Bratschen) spielten, was eine
wichtige Neueinfuhrung bedeutet. Im gleichen
Recital spielte Pablo Casals mit vollendeter
Meisterschaft das h-moll Cellokonzert von
DvoMk. Die am Schlusse gebracbte Ouvertfire
zu „Ivan dem Grausamen" von Rimsky-Kors-
sakow ist Theatermusik, die nicht in den Konzert-
saal gehort. — Aufs lebhafteste zu bedauern ist
es, wenn eine der besten hiesigen Vereinigungen
von lnstrumentalisten, das London Symphony
Orchestra wahrend seiner ganzen diesjfihrigen
Saison keine einzige Novitat, sondern nur alt-
bewfihrte Werke auffiihrt. Die Institution wurde
seinerzeit vor allem mit der Absicht begrundet,
die jungbritische Schule zu fordern, und sie ha<
mit ihren zahlreichen Elgar-Auffuhrungen glor- j
reiche Jahre unter Hans Richter hinter sich. |
In dieser Saison treten als Gastdirigenten |
Steinbach, Mlynarski, Safonoff, Mengelberg und j
Nikisch auf. Steinbach eroffnete den Reigen |
mit einer prachtvoll plastischen Wiedergabe
von Brahms' „Dritter tt , von der besonders der
letzte Satz unter seiner Fiihrung tiefen Ein-
druck hinterlieft und der c-moll Symphonie
von Beethoven. Hervorzuheben ist auch seine
uberaus kraftige Interpretation von Bachs
Brandenburgischem Konzert No. 6 und Beet-
hovens w Leonoren a -Ouverture No. 3. — Die
allabendlichen, heuer sehr stark besuchten
„Promenade-concerts a unter Wood an der
Queen's Hall fanden am 25. Oktober ihr Ende.
Als interessanteste Novitat ist Dohnanyi's
Suite fur Orchester op. 19 zu bezeichnen, die
wiederholt werden muftte. Der erste anmutige
Satz in Variationen verriit keine besondere
OriginalitSt, dagegen ist der zweite langsame,
von einem eigenen, sofort bestrickenden Reiz,
und das frische, lebendige Finale zeigt in seinem
FluB schone Erfindungskraft. Entschiedene Be-
gabung in ihrer echten, ungekunstelten Lustig-
keit beweisen auch die spezihSch britischen
Variationen furStreichorchester Ernest Austin's
„The Vicar of Bray tt („Der Vikar von Bray").
Von ausgesprochener, sofort fesselnder Eigen-
art ist Frederick Delius' Klavierkonzert in
c-moll, das Theodor Szanto, dem es gewidmet
ist, vortrefflich wiedergab. Der Tondichter hat
das 1897 komponierte Werk seither umgearbeitet.
Percy Pitt's „Arie fur Streichinstrumente"
wirkte durch ihre Einfachheit und das Echte
ihrer Empfindung. Ein „Idyll a von Eric Coates
ist ansprechende Musik. Des in London
so erfolgreichen Russen Stravinsky Suite
„L'oiseau de feu tf empfindet man im Konzert
saal als eine Anomalie; derartige musikalische
Raketen und Feuerwerke gehoren auf die Biibne
und zum Ballet. Dagegen empfing man von
G. H. Clutsam's hier zum erstenmal gespielter
Einleitung zum dritten Akt von „Konig Harle-
kin u und dem darauffolgenden Tanz einen recht
gunstigen Eindruck. Havergal Brian's Ouver-
ture „Dr. Merrybeart" („Dr. Lustig") wirkt ebenso
wie „Der Vikar von Bray" durch das spezifisch
Englische. Aus der groften Liste der Novitaten
heben wir noch Georges Dorlay's ^Concerto
passion^* hervor, det.sen Melodik Begabung
verrat. Im Solopart zeichnete sich^C. War-i
O
D'::j"«i,-'L
wick-Evans aus, der auch das Solo in einer
tuchtigen Auffuhrung von StrauB' „Don Quixote"
spielte. Gabriel Faur6's Ballade fur Klavier
und Orchester op. 19 ist ein romantisches, zum
Teil stark auf das Virtuosenharte zugespitztes
Stuck. Der Husse Sergius Wassilenko fubrte
sich mit seiner pastoralen Suite „An die Sonne"
ein. Cecil Baumer erschien vorteilhaft in
Mc. Dowelfs Klavierkonzert No. 2 in d-moll.
Carrie Tubb sang mit Erfolg die grandiose
Schluftszene aus Straufi' „Salome a , die Wood's
Orchester glSnzend herausarbeitete. Mit pracht-
vollem Klang und Rhythmus brachten die
Spieler auch Elgar's stets willkommene„Enigma a -
Variationen und Berlioz' Scherzo „Queen Mab"
zu Gehor. Auch Brahms' w Vierte u wurde, ganz
besonders im letzten Satz, hinreifiend wieder-
gegeben. — B. Kammermusik. Die Classi-
cal Concert Society hatte zwei sehr erfolg-
reiche Recitals. In dem einen waren Pablo
Casals und Johanne Stockmarr in Beet-
hovens Cellosonate in C eine starke Attraktion.
Die hohe Kunst der Pianistin kam noch lebendiger
in Brahms' hier selten gehortem Trio in a-moll
op. 114 zum Ausdruck, in dem der vortreffliche
Charles Draper den Klarinettenpart inter-
pretierte. Casals zeigte seine aufterordentliche
Begabung noch in Bachs unbegleiteter Suite
in G. Im 2. Konzert trat das stets mit Freude
gehorte Rose-Quartett wieder auf. In ihren
Brahms-Auffuhrungen bieten die WienerKiinstler
stets die Lese ihrer Meisterschaft. Sie bescherten
uns das c-moll Quartett op.51 No. 1 und das a-moll
Quartett op. 26, in welch letzterem F. S. Kelly
am Klavier sali. Das klangschone Flonzaley-
Quartett lieli sich in Beethoven, Schubert und
Schonberg erfolgreich horen; man zahlt es hier
zu den besten Streichvereinigungen des Konti-
nents. Das tuchtige Wessely-Quartett be-
gann seine 13. Saison mit Mozarts Quartett op. 22,
Schuberts Quintett in C op, 163 und Glieres
Quartett in g-moll op. 20. Besonders schon ge-
lang ihm das Schubert-Quintett, in dem C. A.
Crabbe das zweite Cello spielte. — C. Von den
Solisten erdffnete Mischa Elman den Reigen,
der mit Vollendung Beethovens g-moll Sonate,
Bruchs d-moll Konzert und Ernsts w Othello a -
Phantasie vortrug. Fritz Kreisler nahm die
Londoner neuerdings im Sturm mit einem Pro-
gramm, das allerdings stark dem populiiren Ge-
schmack huldigte, seine Kunst jedoch von alien
Seiten zeigte. Harold Bauer utyerzeugte wieder
von seinem griindlichen Konnen auf dem Flugel
und seinem feinen Empfinden. Sein Zusammen-
spiel mit Jacques Thibaud bedeutet stets einen
hohen GenuB. Grofter Beliebtheit erfreut sich
hier Teresa Carreno, die sich wie Bauer vor
ihrer amerikanischen TournSe verabschiedete.
Ein feiner Chopinspieler von origineller Auf-
fassung ist Pachmann, der u. a. Schumanns
selten gespielte „Grande humoresque* 4 op. 20 vor-
trug. Der Pianist Archy Rosenthal absolvierte
ein erfolgreiches Bach-Beethoven-Chopin-Kon-
zert und spielte auch Mc. Dowell's ^Tragische
Sonate 4 *. Florizel v. Reuter, das einstige
Wunderkind, produzierte sich mit Erfolg in einem
Recital mit Orchester, das Wood leitete. Er
spielte das Brahms- und Dvor£k-Violinkonzert,
die jedoch beide uber seine Krafte gingen. Sig-
mund Feuermann^fljejj^r^iizjf^n^hrige w Wun-
C UNIVERSITY OF MICHIGAN
318
DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
dergeiger", leistete fur sein Alter wahrhaft Be-
deutendes in Beethovens Kreutzer-Sonate und
Bruchs Violinkonzert in g-moll. Ein Sanger von
Geschmack ist Paul Draper, der selten gehorte
Lieder von Schubert und Brahms vortrug. In
einem zweiten Programm gab erMahlers „Lieder
eines fahrenden Gesellen" mit schonem Erfolg
zum besten. L. Leon hard
VAUNCHEN: WShrend Bruno Walter das
*** Programm des 1. Abonnementskonzertes der
Musikalischen Akademie (Hoforchester) mit
Mozart, Beethoven und Mendelssohn bestritt,
brachte Ferdinand Lowe im 1. Abonnejnents-
konzert des Konzertvereins gleich eine
Novitat: das zur Einweihung des Wiener Konzert-
vereinshauses komponierte Festliche Praludium
fur Orchester und Orgel von Richard Straufl —
ein aulierlich pomposes, aber innerlich recht
schwaches Stuck. 1m gleichen Konzert spielte
Karl Flesch, der wenige Tage darauf auch in
einem eigenen Abend Triumphe feierte, das
Brahmssche Violinkonzert ganz wunderbar schon.
DasherkommlicheAllerheiligen-Konzertdes Hof-
orchesters und Lehrer-Gesangvereins
wurde heuer zu einer wurdigen Gedachtnisfeier
fur Verdi benutzt: das Requiem des italienischen
Meisters erlebte unter Bruno Walter mit einem
Solistenquartett ersten Ranges (B o s e 1 1 i, C a h i e r,
Erb, Bender) eine glanzende Auffuhrung. Mehr
zweiten Ranges, wenn schon nicht ohne Ver-
dienst, war eine von dem begabten jungen Italiener
Carlo Gall one dirigierte Verdi-Feier, die neben
Opernbruchstiicken (auch Ouvertiiren!) eine sehr
schone Auffuhrung der „Laudi alia Vergine
Maria" fur Frauenchor brachte. Unter den
Solisten der Veranstaltung ragte neben Anna
Malatesta und Julius Runger der vielver-
sprechendejunge Tenor Karl Fischer hervor. Die
Munchener Hofopernsangerin Luise Perard-
Petzl machte in einem eigenen Konzert, das
Franz v. Hoefilin dirigierte, mit vier Orehester-
gesangen von Hermann W. Walte rshausen
bekannt. Paul Prill, der den von ihm geleiteten
Volks-Symphoniekonzerten mehr durch die Wahl
als durch die Ausfuhrung der Programme kiinst-
lerisches Interesse zu geben versteht, hatte man
zu danken fur die Auffuhrung der Kammer-
symphonie, op. 27, von Paul J u o n (mit dem Kom-
ponisten am Klavier) und der Ersten Symphonie,
op. 16, von Sgambati. Nicht recht verstandlich
ist mir das Eintreten von Kiinstlem wie Pab]o
Casals und Marie Leroy fur den Komponisten
Emanuel Moor. Jener spielte von ihm — zu-
sammen mit dem Geiger Richard Rettich und
dem Komponisten — das Trio in C-dur, op. 81,
und ein Prelude in E-dur, op. 123, diese sang
in einem Volks-Symphoniekonzert U Extase (nach
V. Hugo) und in ihrem Liederabend klavier-
begleitete Gesange neben solchen von FaurS,
Duparc u. a. Von den drei Melodramen, die
Ludwig Wu liner mitbrachte: „Die Wallfahrt
nach Kevelaer" (Heine), „Das klagende Lied"
(Martin Greif) — Musik zu beiden von H. Cuy-
pers — und „Hektors Bestattung" (Homers Ilias),
Musik von Botho Sigwart — vermochte keines
musikalisch lebhaft zu interessieren. — Sehr
stark und auch kunstlerisch ertragreich war der
Konzertbetrieb in den letzten Wochen nament-
lich auf dem Gebiete der Kammermusik. Die
Munchener, die in Johannes ^Hegar einen
■■---■■ tV
neuen Violoncellisten bekommen haben (an Stellc
des nach Berlin ubersiedelnden Heinrich Kiefer)
erfreuten mit der ganz vortrefTlichen Wiedergabe
des Streichquartetts in Es von Friedrich Klose
und des Klavierquintetts in C von Hans Pfitzner
(unter Mitwirkung August Schmid-Lindners),
die Brusseler (gleichfalls mit einem neuen
Violoncellisten) spielten neben Beethoven und
Haydn das klangschone Streichquartett in Des,
op. 15, von Dohn£nyi, und der Deutscben
Vereinigung fur alte Musik verhalfen
Werke von Johann Sebastian und Friedemann
Bach, Rameau, Scarlatti, Handel und Attilio,
und die Mitwirkung von Elfriede Schunck
(Cembalo), Emil Wagner (Viola d'amore) und
Blasern des Hoforchesters zu einem wohlge-
lungenen Abend. Das Trio der Geschwister
Klengel machte mit einem Klaviertrio in f-moll,
op. 8, von J. B. Foerster bekannt, und auch
das dsterreichische Trio (Paul Schramm
und Genossen) wartete mit selten Gehortem auf:
Variationen und Fuge uber ein Volkslied von
Paul Carriere und dem B-dur Trio vonV. d'lndy.
Der Geiger Richard Rettich exekutierte mit der
Pianistin Pauline Friefi die beiden Sonaten: op. 7
von Juon und op. 28 von Julius Weismann, auCer-
dem eine fiinfsatzige Suite von Rettich selbst.
Die Miinchner Mozart-Gem einde, der jetzt
Margarete Quidde vorsteht, ehrte das Andenken
ihres verstorbenen Vorstandes, Prof. Emil Pott,
mit einem Abend, dem sie bald einen zweiten
folgen liefi, an dem sich der Pianist Paul Gold-
schmidt besonders auszeichnete. Eine neue
Kammermusik-Vereinigung, die der Pianist
Georg Stoeber und der Konzertmeister W.Wolf
mit Blasern des Hoforchesters gebildet haben,
debutierte mit einem Quintett fur Blasinstrumente
von J. Miroslav Weber und dem Trio fur Klavier,
Violine und Bratsche, op. 5, einem Jugend-
werk von Ludwig Thuille. Ganz glanzend
fuhrte sich die gleichfalls neue Trio-Ver-
einigung Felix Berber, Johannes Hegar,
Hermann Zilcher mit Tschaikowsky's a-moll
Trio, op. 50, und dem F-dur Trio, op. 8, von
Pfitzner ein. Werke von Siegfried G. K alien-
berg (eine Klaviersonate, der langsame Satz
einer Klavier-Violinsonate und Lieder), fur die
der Neue Verein eintrat, fanden Teilnahme bei
solchen, die, wenn ich so sagen darf, mehr lite-
rarisch als musikalisch horen. Verungliickt war
eine Veranstaltung der Vortragsvereinigung
deutscher Kiinstler, die fur Gesangskompo-
sitionen von Lorenz Seemann, Hans Kotschke,
Heinrich Bienstock und Georg Gohler Interesse
wecken sollte. Das Ehepaar Bruno und Anna
Hinze-Reinhold musizierte auf zwei Klaviercn :
ein Phantasiestuck in c-moll von J. Guy Ropartz
und eine Kleine Suite von Debussy; Herr Hinze
allein eine Phantasiesonate, op. 68, von Ernst
Ed. Taubert. Wahrend Alfred Schroeder fur
die Klaviersonate in E-dur, op. 2, von E. W. Korn-
gold eintrat, brachten die anderen Pianisten:
Ossip Gabrilowitsch, Frederic Lamond,
Edwin Fischer, Lester Donahue nur Bekann-
tes. Von Gesangskunstlern nenne ich Adolf
Wallnofer, der in einer durch Gesangsbeitrage
illustrierten Conf6rence seine Resonanztontheorie
entwickelte, Julia Culp, die ebenso wie Elena
Gerhardt Lieder von dem kurzlich verstorbenen
Erich ,4. Wolff ^ane, Edith Walker (^Hermann
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRiTIK (KONZERT)
319
und Thusnelda" und w Der Hirt auf dem Felsen a
von Schubert), Nathalie AktzSry (Lieder von
Moussorgski,Glazounow, Rachmaninoff, Borodin,
Wassilenko, Debussy, Chausson, Moret), die
Baritonisten Helge Lindberg, Julius Neu-
dorffer - Opitz (Max Mahler) und Vernon
d'Arnalle, die Tenoristen Adalbert Ebner und
Paul Landeg, dann noch — mit der Pianistin
Sandra Droucker zusammen — Maria Lydia
Gunther (C. Beines) und Gabriele RoBle.
Zur Laute lieBen sich horen: Robert Kothe
mit einer neuen, der zehnten Folge seiner
Volkslieder, Lisa und Sven Scholander und
Frida Munnich- Profil. Ungeheures Aufsehen
erregte der fabelhafte Gitarrenvirtuos Miguel
Llobet. Ein Oratorium: „Die Passion Jesu
Christi", Worte von Msgr. Jac. Abweger, Musik
von Friedrich Seitz, kam in der Ludwigskirche
(Chorregent Eduard Meyer) zur Aufftihrung.
Das geigende Geschwisterpaar Melanie und
Hans Michaelis machte sich um Kompo-
sitionen von Hermann Zilcher und Heinrich
Noren (Divertimento, op. 42) verdient; Lieder
von Zilcher sang die talentvolle Eva Bruhn.
Endlich sind noch zu erwahnen zwei groBe
und ein kleiner Geiger: Franz von Vecsey,
Bronislaw Huberman und Alfred Pellegrini
aus Dresden, und eine Violoncellistin: Lotte
Hegyesi, die am Klavier von Hans Weisbach
unterstutzt wurde. Rudolf Louis
SCHWER1N i. M.: Konzerte gab es schon in
Fuller Tilly Koenen sang, Julia Culp sang,
das Marteau-Quartett spielte, und noch viele
andere Kiinstler mit weniger klangvolleren Stim-
men kamen nach Schwerin, um sich horen zu
lassen. Manche fanden kein voiles Haus; es
scheint fast, als wenn bei unserm Publikum sich
schon jetzt eine gewisse Konzertmudigkeit be-
rnerkbar macht. Besonderen Wert hatte das von
Willibald Kaehler musterhaft dirigierte erste
Orchesterkonzert. Es kamen u. a. Webers
Kantate „Kampf und Sieg", sowie die Ftinfie
Symphonie von Beethoven ganz ausgezeichnet
zum Vortrag. Paul Fr. Evers
STUTTGART: Der „Musikbetrieb u ist in vollem
Gange. Es ist auch schon Oberproduktion
da, wie viele mangelhaft besuchte Konzerte,
auch solche bester kiinstlerischer Qualitat, be-
wiesen. Steigender Frequenz erfreuten sich bis
jetzt nur die Abonnementskonzerte und die
Kammermusik-Abende des Wendling-Quartetts.
Diese feststehenden vornehmsten Veranstaltun-
gen in unserer Musikpflege setzten aber auch
gleich am Anfang mit voller eigener Kraft und
Zuziehung namhafter, zugkr^ftiger Solisten ein.
Das 1. Abonnementskonzert der Hofkapelle
unter Schillings' Leitung wurde mit dem
„Meistersinger a -Vorspiel eroffnet. Das 2. brachte
den GenuB der lange nicht gehorten Meister-
ouverture „Die Hebriden" von Mendelssohn, in
warmblutiger, flussiger Ausfiihrung. Der Solist
des 1., Emil Sauer, erntete mit seinem Klavier-
konzert No. 2 als Komponist und als technisch
und musikalisch hochstehender Klavierspielerdie
reichsten Beifallsehren. Gleich lebhaft wurde
auch der Solist des 2. Konzertes, Carl Flesch,
nach dem schonheitsgesattigten Vortrage des
Violinkonzerts in A-dur von Mozart gefeiert.
Den ScbluB dieses Abends bildete das n Fest-
liche Praludium" fur groBes Orch^ster und
(1
Orgel op. 61 von Richard StrauB. Dieser
neueste StrauB imponiert nur mit glanzend
organisierter Klangmasse. Die schopferische
Muse war bei der Konzeption dieses Werkes
nicht in festlicher Gebelaune. DasWendling-
Quartett verlegte seine Kammermusik-Abende
auf die Bfihne des „Kleinen" Hoftheaters und
hat damit einen noch groBeren Kreis von Zu-
horern gewonnen, der die bis jetzt unter
pianistischer Mitwirkung von Max v. Pauer
und £douard Risler gebotenen feinen Genusse
mit lebendigster Beifallsfreude aufnahm. Neben
Klassischem von Beethoven, Schubert, Schumann
und Brahms erschien als Novitat das Klavier-
quartett in c-moll op. 15 von Gabriel Faur6,
ein nicht gerade stark eigenstandiges, aber klang-
lich und inhaltlich sehr reizvolles Werk. Die
Kammermusik war auch durch das Brusseler
Streichquartett, das hier zum ersten Male
erschien, in vornehmster Weise vertreten. Es
verhalf mit seiner volltonigen und kunstlerisch
reich belebten Ausfuhrung besonders dem Streich-
quartett in Des-dur von Ernst von Dohnanyi
zu einem starken Erfolg. Das Stuttgarter
Trio (Angelo Kessissoglu, Gregor von
Akimoff und Peter Donndorf) eroflfnete seinen
Kammermusikzyklus mit einem eindruckvollen
und erfolgreichen Brahms-Abend. Verdi's
Gedenktag feierte der Verein fur klassische
Kirchenmusik unter Erich Bands Leitung
mit einer vorzuglich gelungenen Aufftihrung
des Requiems. An groBeren Konzertveranstal-
tungen ist noch ein Bach-Abend des Wtirttem-
bergischen Bach-Vereins mit kammer-
musikalisch fein gearteten Auffuhrungen von
Instrumentalwerken unter Karl Wendlings
Leitung und der Mitwirkung von Max Pauer
(Chromatische Phantasie und Fuge) und Alfred
Saal (Cellosonate) zu nennen. Die Solisten-
abende reihten sich dicht und bunt aneinander.
Das Obergewicht bis zur Oberlastung hatten
die Liederabende. Lula Mysz-Gmeiner und
Berta Morena trugen bis jetzt den Sieg davon,
doch auch die einheimischen Gesangskrafte
Meta Diestel, Ludwig Feuerlein, Helge
Lindberg, Gertrud Betzler und Margarete
CloB behaupteten sich neben diesen GroBen
sehr ehrenvoll. Wilhelm Backhaus und Joan
Man6*n eroffneten die Konzertsaison mit groBen
Erfolgen. Oscar Schroter
WEIMAR: Einen recht erfreulichen Auftakt
bildete eine Jahrhundertfeier der ver-
einigten Lehrergesangvereine von Apolda,
Eisenach, Jena und Weimar. Ein stattlicher
Klangkorper, der durch schones Stimmaterial
erfreute. Hildegard Wolffs Gesang konnte in
keiner Weise befriedigen. Ein Gluck fur sie,
daB ihr Begleiter P. Schramm durch seine
trefflichen Solovortrage das Publikum zu fesseln
wuBte. Auch der Konzertsanger Otto Bromme
hatte zu friih den verhangnisvollen Schritt in
dieOffentlichkeit gewaet. Die Klavierduettistinnen
Geschwister Satz enttauschten diesmal; ihr
Spiel lieB die notige Sauberkeit und straffe
Rhythmik vermissen. Einen vorzuglichen
Organisten lernten wir in Robert Steiner aus
Bern kennen. Der Klavierpoet Ansorge hatte
an seinem ersten Abend kein besonderes Gluck
und schien von nervosen Depressionen be-
einfluBt. O berfluss (^ r j l J ? jf r a | ( ^| ]in ^ onzert der
l " UNIVERSITY OF MICHIGAN
320 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913
Sangerin K u c h 1 e r - We i B b r o d und des j arbeitenden offenbaren Busoni-Schulers Gottfried
komponierenden Pianisten W. Renner. Willy , Galston, wahrend das poetische und hoch-
Burmester hatte wie immer das Publikum kunstlerische Klavierspiel Lambrinos den
auf seiner Seite. Ein Wagner-Abend des stark Freunden wahrer Kunst einen echten GenuC
posierenden Alexander Dillmann (Klavier) im I bereitete. Lula Mysz-Gmeiner sang, wie
Verein mit einem mehr mit dem Dynamischen immer, vollendet, kokettierte etwas mit ibrem
rechnenden Tenor R. Tom lie h und unserer i piano und liefJ die notigen Ruhcpausen durch
mit Unrecht zum dramatischen Fach umsatteln | ihre hochbegabte Schwester Luise pianistisch
wollenden Selma vom Scheidt hinterlieft recht ; ausfullen. Das 1. Abonnementskonzert des
heterogene Eindrucke. Genie und Kraft aufierten | Hoftheaters unter Raabes souveraner Leitung
sich in den draufgangerischen Klavierinter- war den drei ersten Symphonieen Beethovens
pretationen des mit technischen Blendern j gewidmet. Carl Rorich
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
Die Studie Hejiri de Curzon's fiber Gr6try illustrieren wir durch ein Portrat des
Meisters, eine Litographie von Belliard nach dem nach dem Leben geschaffenen Ge-
malde von Robert Lefevre, sowie durch eine Probe seiner Handschrift, die
einem Brief Gr£try's vom 18. August 1791 an Beaumarchais entnommen ist.
Des 110. Geburtstages (11. Dezember) von Hector Berlioz sei durch sein Portrat
nach Josef Kriehuber gedacht, das die vielen von uns im Laufe der Jahre veroffentlicbten bild-
lichen Darstellungen des Kunstlers um ein charakteristisches Stuck bereichert.
Im vergangenen Sommer hat die Berliner Bildhauerin Bianca Ehrlich im Meininger Heim
Max Regers zwei Busten des Tonsetzers geschaffen, eine groBere, etwas idealisierte, und eine
kleinere, ganz aus der Wirklichkeit entstandene. Erstere fuhren wir unseren Lesern im Bilde
vor. Beide Arbeiten der begabten Kiinstlerin sind im Verlag von Gebruder Micheli in Berlin
erschienen.
Zum Gedenkartikel Johannes Hatzfelds gehort das Portrat von Franz Witt.
Am 3. November schied in Miinchen Hans von Bronsart im Alter von 84 Jahren aus
dem Leben. Mit ihm ist ein hochbegabter Kunstler, ein lauterer, vornehmer Charakter dahin-
gegangen, einer der letzten Paladine Liszts und des neudeutschen Kreises, einer der treuesten
Freunde und MitkSmpfer Hans von Bulows, den er 1877 als ersten Kapellmeister nach Hannover
berufen hatte. Als Sohn des Generalleutnants Bronsart von Schellendorf in Berlin geboren,
studierte er bei Dehn und bei Liszt in Weimar und machte dann langere Konzertreisen als
Pianist. 1860-62 dirigierte cr die Euterpe-Konzerte in Leipzig, 1865-66 als Nachfolger Bulows
die Veranstaltungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Berlin. Von 1867—87 wirkte er als
Intendant des Hoftheaters in Hannover, von 1887—95 als Generalintendant der Weimarer Hof-
bubne. Nach seiner Pensionierung lebte Bronsart in Pertisau am Achensee und in Munchen.
Als schaffender Kunstler hat er sich besonders mit seinem g-moll Trio und dem fruher viel
gespielten Klavierkonzert in fis-moll einen geachteten Namen erworben. Er schrieb ferner zwei
Symphonieen, die dramatische Tondichtung „Manfred a , ein Streichsextett, Chorwerke und Klavier-
stGcke.
Nachdruck nur mit besonderer Erlaubnis des Verlages gestittct
Alle Rccbte, insbesonderc das der Obersctzung, vorbehalten
F&r die ZurGcksendung unverlangter oder nicbt angeracl deter Manuskripte, fills Ibnen nlcht genfigeod
Porto beillegt, Dbernimmt die Redaktion kelne Garantie. Schwer leserliche Manuskripte werden ungeprGft
zuruckgesandt.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin W 57, BiilowsfraGe ta? 1
( \ 'M\rt\i - Original Tram
U-i :i-ua : )y lilJi^K UNIVERSITYQF MICHIGAN
ANDRE ERNEST MODESTE GRETRY
f 24. September 1813
Lithographic von Belliard nacb dera Gcmilde von Robert LeRvre
XIII
CI
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
O ft /t^jitusrw ?WW±2 <?«** ^^cu^Ja^ t^
0- /?UH4u C/Uju Inigd^iL /iaU/~s£iL &my*ty<L </a /is
IfcfAW JfcZfyn^ 4h outrage* ^aM^Tu^
(faUMW f frit a^ /tywrtu a//)r v> la/nw- A^. ^^
fd^*-^ cjo tctxf) fu^tt^6<j^» /n*m cA^y frm*';
HHJ /%MU*/-/)qi
/
SCHLUSS EINES BRIEFES VON A. E. M. GRfcTRY AN BEAUMARCHAIS
XIII
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
HECTOR BERLIOZ
# II. December 1805
Lithographic von Kriehubcr 1845
XIII
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MAX REGER-bOSTE
Von Blanc* Ehrlich
Xill
• • •
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
FRANZ XAVER WITT
t 2, December 1888
XIII
; J ... ...
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Hofmielier Qvhr, Hir»ch, Mlirtcbtn, pboi.
HANS VON BBONSART
+ 3 + November 19(1
*'• : :
Mil
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DIE MUSIK
HALBMONATSSCHRIFT MIT
BILDERN UND NOTEN
HER AUSGEGEBEN VON
KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
W
HEFT 6 • ZWEITES DEZEMBER-HEFT
13. JAHRGANG 1913/1914
VERLEGT BEI
SCHUSTERS LOEFFLER- BERLIN W
•■: :-, CiOO0k*
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Es waltet la Jeder Zeit eia geheimes BBndnis verwaadter Ge later.
SchlieGt, die ibr zuaamroengebBrt, den Kreis fester, dafi die Wahr-
heit der Kuitst immer klorer leuchte, Qberall Freude and Segen
yerbreitend*
Robert Scbuminn
INHALT DES 2. DEZEMBER-HEFTES
W I LI BALD NAG EL: Vom Auadrucke dea Natlonalen tu. dcr
Muaik
RICHARD SPECHT: Guatev Mahler als Operadirefctor
LA MARA: Eiuo Nachleae ungedruckter Wagner- Brief o
EDGAR ISTEL: Die Not der BuhnenkompoaisteD
BESPRECHUNGEN (BGcfaer and Mualkalien) Refferenten:
Richard H. Stein, W J Helm Altmann, Albert Leitzraann, Otto
Holtenberg, Carl Rorich, Hago Schtemuller, F* A, GelQJer
KR1T1K (Operund Konzert): Amsterdam, Berlin, Braunecbveig,
Breslau, Budapest* Dresden, Frankfurt a* M, Grai, Halle a. &,
Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Kdln, Kopenhagen, Leipzig,
Mahu, Mtinchen, Nttniberg, Paria, Prag, St + Petersburg Wlen,
Zurich.
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
KUNSTBE1LAGEN: Girstav Mahler, drel Biider aus den Knaben-
undjunglingajahreu; Gufitav Mahler und vein Sell vager Arnold
Rose*; Mahler mil eeinem Tocbterchen auf aelaem frQberen
Landbesitz (Maieruigg am Wfrtheraee); Mahler auf der fiber-
fthrt von Amerike; Mahler in der Hofoper; Mahler am Schreib-
tlscb; Mahler 1m Foyer derHotoper; Guatav Mahler, Amster-
damer Photographic; Gustar Mahler, Karlkamr von Burkardt;
Totenmaske Gustav Mahler*, abgeformt von Carl Moll; Titel-
blatt des eraten Tetla von Mahler* Lied von der Erde; Erate
Ptrtiturseite dea eraten Teils von MahlersLicd von der Erde.
QUART ALSTITEL mm 4a Band der MUS1K
NACHR1CHTEN: Neue Opera, O pern repertoire, Konzerte,
Tageachronf k, Totenachau, Verachiedenea, Aua dem Verlag
ANZEtGEN
DIE MUSIK enchdnt monatHch xwehnaL
Abonnemeotapreia Mr dai Quartal 4 ML
Abonaemeiitsprela rar dco Jabrgaog 1-5ML
Praia dea etozeinen Hcftea 1 MIl Vlertel-
|ahr»elnb*iiddeckeQ a 1 Mk, Sanunel-
kastea for die Kunetbeitagea dea gameo
Jahrganga 2,50 ML Abonnemsnta darch
|ede Buch- uad MntlkaLfeabandlung, fflr
klelae Plltw oboe Buchhfeidler Scrag
durcn dte P«t
Generalvertretung ftlr Frank rcich,
Belgian und En gland: Albert Gutmann*
ParJe, 106 Boulevard Sa!Dt*GeraiaJn
Allrfnlge bacon IndleHaelw VertretUDg far
England and Kolonleen;
Breltkopr & Hirtel, London,
54 Great Marlborough Street
rar A m er I ka: Brdtkopf & Hine^NewYork
rar Frankrelch: Coatallat & Co,, Parla
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
VOM AUSDRUCKE DES NATIONALEN
IN DER MUSIK
VON PROFESSOR DR. WILIBALD NAGEL IN ZURICH
Volkstiimlich und national sind nicht unter alien Umstanden gleich-
wertige und iibereinstimmende Begriffe. Wir sehen Melodieen, die
kein Zeichen einer nationalen Grundfarbe an sich tragen, von Volk
zu Volk wandern und in der Fremde heimisch werden. Was ihnen die
Verbreitung sichert, ist ihre leichte Verstandlichkeit. In Frankreich hat
sich das Seckbacher Lied furchterlichen Angedenkens, in Deutschland der
englische Daisy-Walzer sentimental-frecher Herkunft Biirgerrecht errungen.
Beide tragen keine irgendwie nationale Gewandung. Sie gehoren dera
internationalen Schmutzgeschlechte an, das der Mob ohne und mit Lack-
stiefeln zu seinen FreudeauBerungen zu gebrauchen gewohnt ist.
Was das Nationale in der Musik ausmacht, ist nicht eben ganz leicht
festzustellen. Man kommt da mit allgemeinen Redensarten nicht weit.
Kant hat einmal (in seinen „Beobachtungen liber das Gefuhl des Schonen
und Erhabenen" 1764) den Italienern und Franzosen ein hervortretendes
Gefuhl fiir das Schone, den Deutschen, Hollandern und Spaniern einen
Ciberwiegenden Sinn fur das Erhabene zugewiesen. Diese allgemeine Ein-
schatzung, die der Philosoph dann weiterhin noch ausbeutet, gilt vielfach
auch heute noch. Wollte man aus ihr Riickschliisse auf die musika-
lischen AuBerungen des Kunstgeistes der genannten Volker machen, so
konnte das nicht ohne gewaltige Einschrankungen geschehen. Schon fiir
die Musik bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts lieBe sich eine derartige
Charakterisierung unmoglich aufrecht halten, von der Bahn ganz abgesehen,
die die Kunst seit jener Zeit in der Epoche der Wiener Klassik und herab
bis auf unsere Tage zu durchmessen hatte. Mozart gilt uns alien als die
Verkorperung charaktervoller Schonheit in der Musik; der italienische
Verismus hat mit voller Absicht gegen den eingeborenen Schonheitssinn,
wenn auch vergeblich, realistische Wahrheit des Ausdruckes auszuspielen
versucht; wer in den spanischen „Zarzuelas tt Erhabenheit finden wollte,
wiirde sich lacherlich machen.
Solche Staffelungen pflegen im allgemeinen auf Grund mangelhafter
Kenntnis der Einzelerscheinungen zu geschehen, wenn sie nicht Resultat
nationalen Diinkels oder traditioneller Anschauung sind. Wer wollte ernst-
lich unternehmen, das Wesen der deutschen Musik in einen Satz zu
bannen, wenn er sich daran erinnert, daC neben Bach Beethoven, Mozart,
Schubert und Joh. StrauB stehen, daB Formensinn, Anmut, Schonheit und
Erhabenheit in ihrer Kunst ein unendlich reich abgestuftes Ausdrucks-
gebiet geschaffen haben? Mit denselben Bezeichnungen wird man aber
21*
n - i ( "r\r\i^Ii» Original from
u i, i, uu :), vktu^il UNIVERSITYOF MICHIGAN
324 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
auch kiinstlerische Erscheinungen anderer Volker zu bedenken haben,
wenn man sich auf allgemeine Charakteristiken beschranken will. Gleich-
wohl bleibt die Grundfarbe der deutschen Musik, soweit sie echt ist und
sich nicht eine beliebige fremde Hiille borgt, eine von der der franzosischen
verschiedene. Sie in knappen Worten auszudrucken, erscheint unendlich
schwer, wenn nicht unraoglich, da dies zum Teil die FShigkeit der Objekti-
vierung der Wesenheit des eigenen Volkes zur Voraussetzung hat. Viel
leichter ist es, gewisse volkische Idiotismen zu bestimmen, soweit sie in
der Musik Verwendung gefunden haben. Nur in bezug auf sie sprechen
wir heute von nationalen Schulen in der Musik. Und dieses nur in der
des 19. und unseres Jahrhunderts.
Man sieht: diese allgemeinen Charakteristiken sagen uns herzlich
wenig. Wir kommen dem Begriffe des Nationalen nSher, wenn wir neben
den einzelnen Idiotismen Tonalitat, Rhythmik, SchluOformeln usw. naher
betrachten. Nun zeigt sich da aber eines: es lassen sich mit dem Ohre
Unterschiede zwischen den einzelnen nationalen Weisen leicht wahrnehmen.
Bannen wir jedoch ihre Art in Formeln, so zeigt sich kein groBer Abstand.
Ob es sich bei diesen Verhaltnissen nicht empfehlen wurde, statistische
Aufnahmen uber die nationalen GesSnge in der Art zu machen, daO zum
Beispiel die einzelnen Intervalle auf die HMuBgkeit ihrer Verwendung
untersucht, die Melodieen also in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Tone,
vertikal, betrachtet und die Resultate mit den bisher erreichten zusammen-
gestellt wiirden, bleibe dahingestellt.
Volksmusik als eine Kunst, die typische nationale Eigentumlichkeiten
im Spiegelbilde, oder die den Charakter ihres Heimatlandes in dem einen
oder anderen Zuge aufweist, Volksmusik als Tragerin eines gewissen
kunstlerischen RassenbewuDtseins und Kunstmusik als Produkt musikalischer
Bildung bedeuten Gegensatze. Alle Volksmusik ist zunachst als ein-
stimmiges Erzeugnis eines naiven kunstlerischen Mitteilungsdranges an-
zusehen, ist AuBerung einer Gabe, die dem Menschen von der Natur als
gliickbringendes Geschenk mit ins Leben gegeben wurde. Alle Kunst als
bewuBte Ubermittelung inneren Lebens an die AuBenwelt hat tatige reflek-
torische Krafte zur unbedingten Voraussetzung. Selbstredend setzt auch
die Volkskunst allerlei voraus.
Man kennt die Thesen iiber die Entstehung der Musik. Sicherlich
ist die Naturnachahmung hier eine zweite Erscheinung; das primare Element
ist vielleicht der Rhythmus der Arbeit gewesen, der anfeuernde Rufe, Formeln
und anderes gab, das sich spater zum „Liede" verdichtete.
Ist das biogenetische Gesetz richtig, nach dem jedes Kind die Ent-
wickelungsreihe der Art in seinem eigenen Leben aufzeigt, so werden wir
die Frage: Welche Kunst ist die altere, die Musik oder die bildnerische
Darstellung durch GrifFel und Farbe? zugunsten jener beantworten miissen.
.. T « Original from
v 1 1
D-i !i-u- :)y ViDlV^.v UNIVERSITY OF MICHIGAN
NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 325
Denn in dem Augenblicke, da das Kind fur den Ausdruck „Mutter a die
ersten Laute findet, steht es unter dem zunachst unbewufiten Zwange von
Ton und Rhythmus. Erst wenn Dinge der AuBenwelt sich ihm als Objekte
darstellen und zum Begriffe werden, nimmt es Stift und Farbe, utn sie nach-
zubilden. Musik ist, wie einfach sie immer sei, Ausdruck innerer Be-
wegung oder Erregung; jede bildnerische Tatigkeit setzt einen gewissen
Nachahmungstrieb voraus, die Fahigkeit der Objektivierung von Mit- und
Umwelt. Von dieser letzteren ist bei dem Kinde in seinen ersten
Lebensauflerungen noch ganz und gar nicht die Rede.
Wir haben keine Ursache, uns die Verhaltnisse bei den unkultivierten
Urvolkern anders wie bei den Kindern zu denken. Man darf nicht etwa
folgern wollen: weil uns Zeichnungen von Hdhlenbewohnern, nicht aber
deren Lieder erhalten sind, ist die bildende Kunst dem Gesange vorauf-
gegangen. Lieder aufzuschreiben vermochte erst eine verhaltnismaBig
hoch entwickelte Kulturstufe.
Jede kunstlerische Mitteilung verlangt den Zustand einer gewissen
MuBe. Es ist wahrscheinlich, daB es Zeiten gegeben hat, in denen der
Mensch in bestandigem Kampfe mit seiner Umwelt lebte, so daB ihm nicht
die geringste Moglichkeit geboten war, sich irgendwie kunstlerisch zu be-
tatigen. Diese Moglichkeit, die nach der Menschen Art Notwendigkeit
war, Bel aber dann an die Frau, an das spielende Kind, fur die zu kampfen
Aufgabe des Mannes war. Hatte der im Walde eine Lichtung geschlagen,
wilde Tiere, die sein Heim bedrohten, oder andere Feinde seiner Tatigkeit
besiegt, so mochte er wohl, besaB er einen kiinstlerischen Drang, selbst
zum Werkzeuge greifen, um etwa seinen Kampf mit einem Baren auf dem
Gesteine seiner Hohle darzustellen. Darin lag eine gewisse Tendenz:
seinen Ruhm im Bilde fur die Nachwelt festzuhalten.
Die KunstauBerungen des Kindes sind ganz und gar absichtslos; ist
ihm die Freude an Ton und Rhythmus erst einmal erwacht, so musiziert
es darauflos; die unsinnigsten Zusammenstellungen von Silben mussen zu
rhythmischen Tongefiigen herhalten. Dann kommen einzelne Tone daran,
Satze in Prosa, endlich Reimereien. Jetzt treten gewisse nachahmende
Momente hinzu: das Kind verwertet das, was es an AuBerungen Erwach-
sener aufgeschnappt hat.
Daraus lassen sich gewisse Riickschlusse auf die Urrausik machen.
Wir durfen sagen: wie die Moglichkeit, Musik hervorzubringen, dem Men-
schen von Anfang an gegeben war (als Rhythmus, als Ton, endlich als
entwickelte Tonreihe), so hat er sie auch ohne Frage gleich benutzt, wenn
natiirlich auch keineswegs ausgenutzt. Die Anfange alien Musikmachens
sind an die von der Natur direkt gegebenen, also die einfachsten physika-
lischen Bedingungen gekniipft gewesen. Was freilich die Urmusik hervor-
brachte, wissen wir nicht. Und auch noch die ersten bestimmten Nach-
f V^^il,- Original from
cS ,v UNIVERSITY OF MICHIGAN
326 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
richten von einer musikalischen Kunst verlieren sich im Nebel einer un-
durchdringlichen Vergangenheit. Gestatten sie uns Riickschlusse auf die
Urmusik?
Das ist bemerkenswert: die altesten Tonleitern, von denen wir Kunde
haben, ruhen auf der sogenannten Pentatonik: ein Fiinfton-Leiter-System
findet sich im Osten, in China, Japan, in Polynesien, wie im Westen bei
den Kelten; es ist den Naturvolkern Afrikas und Australiens vertraut, wie
es sich bei den Griechen fand und demnach auch selbstverstandlich bei
den ur-arischen Volkerstammen. Dem klassischen Altertume war die Kunde
von einem untergegangenen Weltteile Atlantis, der vielleicht Europa mit
Amerika verband, mehr als bloCe Legende. Die moderne Wissenschaft hat
die Annahme verworfen, bis sich neuerdings wieder die Moglichkeit heraus-
stellte, dafi der „phantastischen Hypothese a doch am Ende Tatsachen zu-
grunde liegen konnten. Nimmt man das Vorhandensein eines solchen unter-
gegangenen Weltteils an, so laBt sich das Auftreten gleicher Sagen und
Legenden hiiben und driiben ebensoleicht erklaren, wie auch eine etwaige
gleichartige Urmusik. Aber der Annahme einer Wanderung von Volks-
stammen in westlicher Richtung bedarf es wenigstens mit Bezug auf den
zweiten Punkt gar nicht. Wie wir schon sagten: die Musik im ursprung-
lichen Stadium ist liberall insofern die gleiche gewesen, als ihr Tonumfang
iiberall der von der Natur selbst gegebene war. Die verschiedene Art der
Beschaftigung der Volker freilich hat eine Verschiedenheit der Weisen
bedingt.
War die Fiinfton-Leiter die alteste? Ist sie ein Naturprodukt, ist sie
Resultat der Theorie? Wie geschah die Anwendung der Tone? All das
sind Fragen, die wir nicht bestimmt beantworten konnen. Die alteste uns
bekannte, d. h. aus der Tradition ubermittelte Leiter war bei den Griechen
vor Terpander (ca. 675 v. Chr.) in Gebrauch; sie zeigte diese Form:
d e g a h d e, d. h. um die Zentrale a lagern sich nach Hohe und Tiefe
zwei Quintenreihen. Wie man sieht, entbehrt diese Reihe der Halbtone.
Waren diese der praktischen Musik wirklich fremd? Auch hier fehlt uns
die Moglichkeit zu einer klaren Antwort. Wir konnen anch nicht unbedingt
sagen, daC die halbtonfreie Pentatonik der diatonischen Pentatonik und
Heptatonik zeitlich voraufgegangen sein miisse. Deshalb sind auch zwin-
gende Riickschliisse, etwa aus der japanischen Musik, die die drei Systeme
kennt, unmoglich. A priori sind wir wohl geneigt, die Enharmonik, wie
wir sie aus der griechischen Musik kennen, d. h. die Zerlegung eines
Halbtones in zwei Vierteltonschritte, fur ein Produkt der spekulativen Theorie
zu halten. Sie ist es in der Tat, und doch kennt auch die Musik un-
zivilisierter Volker die gleiche, unserem modernen Tonsysteme fremde
Tonteilung.
Angenommen, es gab eine, nicht aufgeschriebene Urmusik, die bei
f V^^il,- Original from
tV v UNIVERSITY OF MICHIGAN
NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 327
den Volksstammen der Erde insofern gleich war, als ihr Tonumfang durch
die Natur bestimmt war: wodurch haben sich die einzelnen Abtonungen
vollzogen, die aus der Einheit eine nach nationalen, ethnographischen
Eigentumlichkeiten gefarbte Vielheit der Erscheinungen machte? Einmal,
wie schon betont, durch die verschiedene Art der Beschaftigung der Volker,
die Beschaffenheit der Lander (Gebirge, Kiiste, flaches Land), das Klima.
Aber das erklart bei weitem nicht alles, vor allem das eine nicht, daC es
Volker mit ausgesprochenem Dur-Sinne, andere mit gleich stark ausgepragtem
Moll-Emp6nden gibt.
Eine moderne Theorie scheidet die Rassen, je nachdem sich in ihnen
mannliche oder weibliche Charaktereigenschaften mehr oder weniger stark
geltend machen. Nach den, iibrigens keinesfalls unbedingt geltenden Ver-
erbungsgesetzen konnten im Verlaufe langer Entwickelungsreihen sich die
einen oder andern immer mehr vorgeschoben und die KunstauCerungen
im Dur- oder Mollsinne beeinfluBt haben. Aber sind diese ein den beiden
Geschlechtern eignendes Moment ihrer Wesenheit? Wir erkennen den
Slawen einen stark entwickelten Mollsinn zu, den Germanen entspricht das
Durgeschlecht. Beides bezieht sich, was wohl zu beachten ist, nur auf
die Volkskunst, nicht auf das bewuBte kiinstlerische Schaffen. Das Kind,
das den naiven Standpunkt der Volksmusik vertritt, empfindet bei uns
Germanen durchaus im Dursinne; ein Mollakkord ist ihm, wenn seine
Bildung in der Musik erst beginnt, etwas HaBliches, seinem Wesen nicht
Entsprechendes. Im Laufe der musikalischen Erziehung verwischen sich
diese Grenzen durchaus. Offenbar haben die Tongeschlechter in der Kunst-
musik eine ganz andere Bedeutung als die, der Musik ein fur allemal eine
feststehende Grundfarbe zu geben. Wir konnen die Frage hier ins ein-
zelne hinein nicht verfolgen.
Wie wir schon hdrten: alle seine Lebensbedingungen beeinflussen die
Kunst eines Volkes auch schon in deren AnfMngen. Ein kriegerisches Volk
hat eine andere Musik als ein Ackerbau oder Viehzucht treibendes; das
Lied des Seemannes ist von dem des Bergbewohners verschieden; die
nordische Kunst ist ernster, gemessener als die sinnenfrohe des Siidens,
die unter lachendem Himmel erwuchs. Die Tonsetzer brauchen fur den
Ausdruck des Pastoralen fast stets die gleiche Tonart, trotzdem die Tonhohe
sich im Laufe der Jahrhunderte geandert hat. Nicht dasselbe ist der Fall,
wenn es sich etwa um die Schilderung des wogenden Meeres und seiner
Attribute oder um anderes dahin gehorendes handelt. Woher riihrt diese
Erscheinung? Wir wissen es nicht. War sie in den ersten Zeiten der
nationalen Scheidung bereits vorhanden?
Diese Scheidung konnte selbstredend erst eintreten, nachdem die
Volker seflhaft geworden waren und sich eine ihr Leben beeinflussende
Grundart der Beschaftigung herausgebildet hatte, d. h. nachdem sie Acker-
n - i rY\r\nIi» Original from
u i, i, uu :), vktu^il UNIVERSITYOF MICHIGAN
328 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
bauer, Fischer usw. geworden waren. Aber aus diesen Fruhzeiten fehlen
uns jegliche Dokumente der musikalischen Kunst. Und selbst da, wo die
Volker zuerst ins Licht klarer geschichtlicher Forschung treten, bedeuten
die wenigen Dokumente, sofern sie uberhaupt diesen Namen verdienen,
herzlich wenig. Was sagt es uns am Ende, daC die griechisctaen Ton-
geschlechter mit den Namen der einzelnen Volksstamme bezeichnet wurden?
Gar nichts. Oder wer wollte sich herausnehmen, aus dem dorischen Ton-
geschlechte Wesensziige der Dorier abzuleiten? Uns fehlt die Fahigkeit,
die alte Musik asthetisch erschopfend zu werten; das wiirde auch dann
nicht viel anders sein, wenn wir mehr altgriechische Musikstticke besaOen.
Der Unterschied zwischen den griechischen Tongeschlechtern ist ein so
groBer, daO die Namengebung keine vollig zufallige gewesen sein kann.
Die Griechen waren kein in einem einzigen Staatswesen vereintes und
zentralisiertes Volk; jeder Stamm besaC seine eigenen Volksweisen, deren
tonaler Grundlage sich die der Begleitung dienenden Instrumente anzu-
passen hatten. Die Griechen empfanden die Besonderheiten dieser Gesange
ohne alle Frage. Bei uns ist das nur in bezug auf die Tonalitat noch der
Fall: dem lydischen Tongeschlechte entspricht unser Dur, das hypodorische
unserem Moll, die aber beide gemein-arischem Boden entstammt sein
diirften. Wenn dies der Fall ist, wann hat sich die Durauffassung von der
anderen abgesondert, wodurch ist ihre Vorherrschaft im germanischen Musik-
bewuBtsein bedingt worden? Das.sind abermals Fragen, die sich mit
unseren Mitteln nicht zwingend beantworten lassen.
Auf der oben angegebenen Tonreihe ruhen sowohl die altesten
griechischen Tempelgesfinge wie auch gregorianische Weisen. Enharmonik
und Chromatik, jene Tonsysteme, die im Laufe der Zeiten neben der reinen
Diatonik erwuchsen, sind zunachst und in Griechenland Resultat spekulativer
Musikbetrachtung und der Volkskunst fremd gewesen. Sie blieben wohl
als Element der dem Drama verbundenen antiken Tonkunst aus der Kirche
verbannt, bis die entwickelte Kunstmusik sie aufnahm. Als dies geschah,
hatten sich die scharfen Gegensatze zwischen der kanonisch abgestempelten,
allgemeinen kirchlichen Weise und den Erzeugnissen der nationalen Volks-
kunst ausgeglichen oder waren iiberbruckt worden: die kirchliche Kunst
entnahm all das, was ihr Fortschreiten, ihre Ausbildung ermoglichte, nach
und nach der Volkskunst selbst; was sie dafiir gab, war nichts Geringes:
das klassische Altertum kennt die Musik vorwiegend nur als Teilkunst,
die Kirche erst liefi sie sich als Einzelkunst breit und machtig entfalten.
Wie uns die friihen Liederhandschriften beweisen, lebten neben den
urspriinglich kirchlichen Tonreihen auch damals unsere C-dur und a-moll
Leitern im VolksbewuCtsein; wir durfen daraus schlieBen, daQ auch die
friiheren Jahrhunderte sie in der Volksmusik bewahrten. In die kirchliche
Kunstubung gelangten sie, wesentliche Kennzeichen bodenstandigen Musik-
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NAGEL: DAS NAT10NALE IN DER MUSIK 329
treibens, erst gegen Ende der ersten Halfte des 16. Jahrhunderts, als
jonischer, fiinfter authentischer Ton (C-dur) und als aolischer, sechster
authentischer Ton (a-moll). Das eine sei nur nebenbei betont, daQ es nicht
richtig ist, im Dur das Ursprungliche, im Moll das Abgeleitete zu sehen.
Sie bedeuten GegensStze: die Hauptdreiklange verhalten sich nur dann
gleich, wenn sie in umgekehrter Reihenfolge der Addition ihrer Intervalle
gelesen werden: c-e-g und a-f-d (je eine groBe und eine kleine Terz).
Die beiden Tonreihen selbst aber verhalten sich, auch wenn die Moll-
tonleiter umgekehrt, von der Hohe zur Tiefe, gelesen wird, nicht gleich.
Erst eine Teilung der Mollreihe und Versetzung der Hfilften ergibt gleiche
Intervalle. Die Mollskala e-d-c-h-a-g-f-e ist die uralte dorische Reihe,
der phrygische Kirchenton. Erst aus der Erkenntnis, daQ die Durdominante
der Molltonika eine Verbindung von Dur- und Mollelementen darstellt, laflt
sich eine sichere Art der Wertung der Mollharmonik und damit auch
nationaler Weisen schottischer und irischer, skandinavischer, tschechischer
und russischer Weisen gewinnen. Es ist schon mehrfach darauf aufmerksam
gemacht worden, daC vor dem Aufkommen der Mehrstimmigkeit die reine
Mollauffassung der Melodieen iiber die Durauffassung herrschte, und daQ
dies noch der Fall ist bei Volkern, welche die Mehrstimmigkeit nicht
kennen oder erst spat in ihren Besitz gelangt sind, nachdem die Aus-
bildung der Polyphonie bereits erfolgt war.
Ist diese selbst als Bestandteil volkstumlichen Musiktreibens anzu-
seben? Die Anfange zwei- und mehrstimmigen Singens und auch selbst
die der Nachahmung sind schwerlich erst Resultat theoretischen Kom-
binierens gewesen. Auf die Moglichkeit, zwei Stimmen in das Verhaltnis
der Nachahmung zu bringen, kann die Beobachtung des Echos gefuhrt
haben; in Terzen und Sexten eine Melodie zu begleiten, war dem Gymel
(= cantus gemellus, Zwiegesang) eigen, der sich spfiter in den Faux bourdon,
eine in England bereits um 1200 geiibte Art freien Diskantierens, wandelte.
Ob diese, eine zuerst wohl ganz volkstumliche Form, ursprunglich vokal
war, darf bezweifelt werden.
Was zur Entstehung der kirchlichen Polyphonie fuhrte, ist aus den
Theoretikern des friihen Mittelalters nicht zu entnehmen, es sei denn, man
fuhre die pythagoreischen Studien, wie sie der Zeit gelaufig waren, an.
Das erste in die Praxis umgesetzte Resultat dieser Studien, das sogenannte
Hucbaldsche Organum, hat mit Volkskunst nichts zu tun. Es mag (das
ganze Verhaltnis der Musiktheorie zur Volkskunst drangt zu der Annahme)
aus dem Gefuhle der Notwendigkeit entstanden sein, dieser ein gleich-
wertiges entgegenzustellen, das einmal das Bediirfnis des Volkes nach
mehrstimmiger Musik zu befriedigen imstande war, ferner aber die der
Nationalmusik charakteristischen Intervalle ausschaltete, die die kirchlichc
Kunst ihrerseits ja auch, freilich nur allmahlich, ubernahm.
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330 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
Wie weit eine mehrstimmige Volkskunst im ersten Jahrtausend der
christlichen Zeitrechnung verbreitet war, laBt sich nicht sagen. Wir konnen
auch nicht angeben, wie lange sich der Volksgesang und wo er sich in
seiner urspriinglichen Gestalt, d. h. in der uralten Verbindung gemeinsamer
Handlungen der Volksgemeinde, erhielt, deren Bewegungsformen (Marsch,
Tanz, religiose Feier u. a. m.) seine eigene Ausgestaltung bestimmte. Wie
in England, Schottland, Irland und Wales schon in keltischer Zeit eine
unter gesetzlichem Schutze stehende Kaste der Barden bestand, die sich
zum Teile bis ins 18. Jahrhundert hinein erhielt, so waren in Skandinavien
die Skalden die Bewahrer altnationaler Weisen. Auch Gallien kannte das
Bardentum, nicht aber Deutschland. Die Reste der Kunst besagen uns
nicht viel von deren eigentlichem musikalischen Wesen, so daD wir die
Unterschiede hochstens durch Ruckschliisse von spateren KunstauOerungen
aus festzusetzen versuchen konnten. Allein wir tappen dabei doch bestandig
im Dunkeln, da wir nicht bestimmen konnen, wo eine etwaige Kunstuber-
lieferung ein reines Produkt der Volksmuse bietet. Die Kirche sah in
aller volksmaBigen Kunstiibung ein Hindernis fur ihre eigene nivellierende
Arbeit; so rottete sie aus, was sie nur konnte. Wie weniges aus dem
reichen Schatze volkstiimlicher deutscher Lyrik ist durch pfaffisch blindes
Wiiten auf uns gekommen! Und was in Deutschland geschah, wird wohl
auch anderwarts vorgekommen sein.
Bestimmte Anzeichen einer starken Unterscheidung im nationalen
Sinne zeigen sich (was von uralter keltischer Kunst geredet wird, griindet
sich nur auf allgemeine Gesichtspunkte) erst im 13. Jahrhundert, als das
Chanson der Franzosen sich mehr und mehr in seiner scharf zugespitzten
Rhythmik und dem eindringlichen und reizvollen Melos herausbildete. Man
wird diese Weise bis zur friihesten Troubadourzeit zuriickversetzen durfen
und leicht auch Unterschiede zwischen den Troubadours und den deutschen
Minnesangern feststellen, ohne diese freilich durch regelmaBig wieder-
kehrende Idiotismen des Ausdruckes angeben zu konnen, wie sie fur unsere
Auffassung vom Wesen des Nationalen charakteristisch sind. Und doch
sind derlei formelhafte Ztige schon a priori anzunehmen, um der ver-
schiedenen Formen willen, in denen die Musik der Zeit erscheint. Doch
kommen die lyrischen Kunstdichtungen hier weniger in Frage, als die
Volkslieder und vor allem die zum Teile mit dem Worte verbundenen
Tanze. Einzeluntersuchungen fehlen da noch, und auch daruber sind wir
noch nicht im klaren, wie weit der nationale Musikjargon bei der Kunst
der italienischen Friihrenaissance Ausdruck gefunden hat.
Man kann bei der Entwickelung der Musik bis zum Ende des 16. Jabr-
hunderts und weiter, abgesehen von der reinen Instrumenfalmusik, im
ganzen drei Stromungen unterscheiden: die rein kirchliche, von der
Polyphonie beherrschte Kunst, die das Volkslied gerne als Tenor der
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NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 331
Massen verwendete, eine aristokratische Gesellschaftskunst und eine volks-
tumliche Musik, Auch diese gewann spater EinfluB auf die Oper. Die aus der
Provence stammende Frottole bildete sich in Italien zum Madrigale urn,
welche Form das Gesellschaftslied der Zeit wurde. Aber auf dem Wege,
der es nordwarts fiber die Alpen fiihrte, verlor das Madrigal jegliche
nationale Farbung: wer seine englischen und italienischen Formen z. B.
vergleicht, wird hochstens Abweichungen im Erfindungsgrade der Ton-
setzer feststellen, oder nach der Richtung polyphoner oder homophoner
Vorherrschaft im Gesamtausdrucke, der haufigeren oder geringeren Ver-
wendung des Chromas usw. Bekannte Streitfragen wie die, ob William
Bird dem Meister von Praeneste gleichwertig sei, lassen sich schon deshalb
nicht recht losen, weil der polyphonen Vokalkunst, wie sie sich bis zum
Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte, der eigentliche Individualausdruck
fehlt, vor allem auch der, welcher sich im Sinne nationaler Eigentumlich-
keiten betatigte. Palestrina und Bird schrieben Musik fur die romische
Kirche als Musiker, die dieser Kirche ergeben waren; ihr VolksbewuBtsein
trat dabei nicht in Tatigkeit oder doch nur auBerhalb der kirchlichen Kunst.
Das, woran die strenge Kunst damals experimentierte, lag gar nicht im
Aufsuchen und Verwenden der nationalen Ausdruckskrafte; sie strebte aus
dem Banne der kirchlich tonalen Einkreisung des Ausdruckes heraus und
damit allerdings auch der volkstumlichen und nationalen Weise zu. Das
muC man wohl als in erster Linie das Zeitalter Zar lino's charakterisierendes
Moment hervorheben. Wie wenig man im 16. Jahrhundert noch daran
dachte, im Sinne nationaler Musik zu charakterisieren, geht wohl am besten
aus den Versuchen musikalischer Schlachtschilderungen hervor, wie sie
Jeannequin oder Matth. Le Maistre unternahmen. Der Sieg Franz' L
fiber die Schweizer bei Marignano wird durch rein vokale Musik dargestellt;
Form und Ausdruck werden durch die Mittel kirchlicher Kunst bestritten.
Wohl erscheinen einzelne, die Franzosen, Italiener und Deutschen bezeich-
nende Rufe, aber sie bedeuten ffir den inneren Aufbau des Werkes nichts.
Gleichviel: man erkennt doch an diesen Bestrebungen den Wunsch nach
Nutzbarmachung folklorischer Elemente. Das ist noch mehr in der Folge-
zeit der Fall. So in den „Cris de Paris", den w Cries of London", den
zu musikalischen Werken zusammengefaDten Ausrufen der StraCenverkaufer,
wie sie auch heute noch da und dort in Kabarets auftauchen. Ein weiterer
Schritt geschah z. B. durch die englische Klaviermusik im Zeitalter der
Konigin Elisabeth, als Bird u. A. englische Volkslieder zu Variationen-
werken benutzten, ein Vorgehen, das auf dem Kontinente nach und nach
lebhaften Widerhall erweckte.
Machtige Anregung fand das Suchen, dem Ausdrucksgebiete der Ton-
kunst neue Gebiete zu erschlieBen, auch durch die Oper. Der Einzelaus-
druck in der Reihe der das Drama bildenden Vorgange verlangte gebieterisch
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332 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
Wirklichkeitsnachahmung, die Erwagung ihrer Moglichkeit und deren prak-
tische Anwendung. Wenn seit dem Auftreten der Oper, also vom 17. Jahr-
hundert ab, die Instrumentalmusik sich gewaltig entfaltete, so gebuhrt daran
ein Teil des Verdienstes auch der Oper.
Aber bedurfte schon die Kunst der Landschaftsmalerei, urn sich aus
kleinen Anfangen mit buntem Vielerlei zu einer geschlossenen Einheit urn-
zubilden, eines langen Zeitraumes, so erst recht die mit viel feinerem
Materiale arbeitende Musik, die jetzt die Aufgabe zu erfiillen hatte, aus
einer immerhin vorwiegend durch die Satztechnik bestimmten Sphare in
eine andere zu gelangen, in der es einmal gait, aufiere Erscheinungs-
formen zu objektivieren und in musikalischera Spiegelbilde wieder erstehen
zu lassen, sodann aber und vornehmlich die Gesetze kunstlerischen
Schaffens zu finden, nach denen das von jeder rein technischen Neben-
absicht freie Tonwerk zum Kiinder inneren Lebens werden konnte. Erst
in dem Augenblicke, da dieses Ziel erreicht war, konnte auch das BewuBt-
sein dafiir erwachen, daB in der nationalen Weise als dem Ausdrucke des
kunstlerischen MassenbewuBtseins ein wesentliches Mittel, die Kunst zu
bereichern, stecke.
Der Weg der Entwickelung, den die Musik seit dem Beginne des
17. Jahrhunderts zu durchmessen hatte, war ein langer, weiter und viel
gewundener. Im ganzen liegt er heute klar vor unseren Augen. Wir finden
auf ihm immer wieder AnfMnge zur Verwertung nationaler Weisen, aber
diese geschah nur nach und nach in zweckdienlicher und bewuBter Weise.
Oft handelt es sich nur um VortMuschung fremder Art. Das ist vor allem
in den vielen Hofballets des 17. Jahrhunderts der Fall, in denen die Hof-
gesellschaft in alien moglichen phantastischen Verkleidungen bei besonderen
AnlSssen erschien. Die Sitte war schon alteren Zeitraumen gelaufig und
erhielt sich sehr lange. Sie fand auch beim Volke Eingang, wie z. B.
aus den von R. Eitner mitgeteilten Volksmusik-Stiicken (Monatshefte fur
Musikgeschichte, 1882, No. 1) hervorgeht: Polnisches, Kosakenballet,
Moskowitisches Ballet, all das sind nur Uberschriften, die fur den Charakter
der Musik kaum etwas besagen. Ganz dieselbe Erscheinung bieten die Hof-
ballets: mag sein, daB da und dort irgendein aus der Fremde zuziehender
Musikant eine heimische Weise, ein Lied oder einen Tanz eingefuhrt hat,
der Verwendung fand oder in seinen Rhythmen, seiner Form zur Nach-
ahmung reizte — in erster Linie war fiir derartige pseudo-nationale Kunst
die Phantasie des Schneiders oder des die Auffuhrung inszenierenden Hof-
beamten bestimmend, der komponierende Kapellmeister hatte zur B Idee*
des Festes die begleitende Musik zu schaffen, eine Dienstaufgabe, bei der
er innerlich wohl nur selten stark beteiligt war.
Die Verhaltnisse anderten sich grundsatzlich erst, als die Oper die
nationale Weise als bewuBtes kunstlerisches Ausdrucksmittel ergriffen hatte
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NAGEL: DAS NAT10NALE IN DER MUSIK 333
und auch die Instrumentalmusik sie zu verwerten strebte. Den Weg
konnen wir hier im einzelnen nicht ausfiihrlich verfolgen. Im groOen und
ganzen bemerken wir jetzt ein Mehrfaches: Der Tondichter ubernimmt die
nationale Weise als ein gegebenes; das geschieht in der Oper, soweit sie
nationale Lieder verwendet; sie strebt aber noch nicht nach einem
bestimmten und bestimmbaren Lokalkolorit im Einzelnen. Oder aber: Die
Instrumentalkomponisten tragen in der Hauptform der Zeit, der Suite,
Tanze verschiedenster Nationalist in wechselnder Anordnung zusammen,
ohne im einzelnen nach Idiotismen des Ausdruckes zu suchen. Diese
Tanzformgruppierung erreicht in der Kunst Johann Sebastian Bachs
ihren unvergleichlichen Hohepunkt: hier sind die Tanzformen idealisiert,
jedes volkisch begrenzten Ausdruckes entkleidet und in rein kunstlerische
Gewandung gehullt. Oder auch: Der Tondichter tragt seine Oder seiner
Zeit Vorstellung vom Wesen eines fremden Volkes in die Komposition,
die dessen Art bezeichnen soil, hinein: das ergibt dann Schopfungen wie
die kuriosen Variationen Alessandro Poglietti's (1661 — 1683), die
W. Niemann kurzlich wieder herausgegeben hat. Man sehe die franzosische
Variation: hier hat die konventionelle Vorstellung vom geschniegelten,
komplimentenreichen Wesen gewaltet; die die Variation bestimmende Figur
mag aus dem Gedanken an zeremonielle, devote Verbeugungen ent-
standen sein. Auf jeden Fall hat die Variation nichts ausgesprochen Fran-
zosisches, wie es uns aus Lully's Operntanzen etwa vertraut ist. Hier
zeigt sich das Nationale — bei Lully genial anempfunden — weniger in
einzelnen Wendungen der Musiksprache, als in der pikant und zierlich
zugespitzten Rhythmik, wie es sich auch — als Versailler Hofton der Zeit
— in der stellenweise auffallend starken Verwendung von Sordinenklangen
und der scharfen Betonung der der nationalen Eitelkeit schmeichelnden
Begriffe: Ehre, Vaterland, Ruhm usw. auCert.
Die nationale Weise als ethnographischer Begriff, der den Gesamtaus-
druck eines Kunstwerkes beeinflussen und moglicherweise formbildend
wirken konnte, war mit alledem noch nicht gefunden. Nachbildungen
fremder Formen gab es uberall, in der Violinmusik, der Chorlyrik usw.
Uberall aber kann man bemerken, daC dies Nachahmen im wesentlichen
auf die Form und auf Einzelheiten des Ausdruckes, die mit eigentlich
national gefarbten Formeln nichts zu tun haben, beschrankt blieb.
Ein Schritt vorwarts geschah durch Gluck. Indem er nachwies, was
im Musikausdrucke nicht dramatisch sei, wurde die Bahn frei, aufzusuchen,
worin das Wesen des Dramatischen bestehe. Dadurch wurde auch erst die
rechte Moglichkeit geboten, das national Verschiedene in der Gegensatz-
lichkeit seiner Musiksprache innerlich zu begreifen. Gluck selbst muDte
es an sich erfahren, daB sein germanisches Wesen dem des Italieners wider-
spreche. Das Deutsche in Gluck war weniger ein bestimmtes Idiom des
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334 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
musikalischen Ausdrucks, als vielmehr das Frontmachen gegen das bloBe
Melodisieren, es war das theoretische Abwagen und praktische Festsetzen
des Grenzgebietes zwischen den dem Drama dienenden Schwesterkiinsten.
Gluck hat auch nicht etwa ein griechisches Kolorit fur seine Musik-
dramen gefunden. Aber er versuchte in den Skythenchoren einen
besonderen volkischen Ausdruck zu schaffen, fur den er freilich kein
direktes Vorbild hatte.
Mit der Erwahnung des Namens Glucks haben wir den Anfang einer
Bewegung bezeichnet, die neben einer anderen direkt in die Bildung
nationaler Schulen im eigentlichen Sinne ausmundete. Diese andere ist
die durch die deutsche Instrumentalmusik der Zeit begonnene Richtung,
die in der Kunst des groflen Wiener Dreigestirns der Tonkunst ihre hocbste
Hohe fand. Der menschlich freie Stil wurde zum Ideale alien kunstlerischen
Bildens. DaB Lessing gegen das theatralische Pathos der Franzosen auf-
trat, Gluck den Gedanken seiner Opernreform fafite, daB die Mannheimer
dem vielverschlungenen kontrapunktischen Gebilde der Instrumentalmusik
mit neuen Formen und Ausdrucksmitteln entgegentraten, die in ihrer
innersten Wesenheit nicht nach satztechnischen, sondern nach kiinstlerisch
freien und nach reinen Empfindungsmomenten bestimmt waren, daB in
England der Wert der Volkskunst in den Resten der alten Dichtkunst
zuerst erkannt wurde, dafi Rousseau seinen nicht zum wenigsten in Deutsch-
land nachhaltigen Widerhall weckenden Ruf zur Ruckkehr nach der Natur
iiber die Welt schleuderte: alles ist Ausdruck desselben Sehnens, aus einer
Welt der Uberkiinstelung und des Formalismus zu rein menschlichen, all-
gemein faCbaren Form- und Kunstbegriffen zu gelangen. John Gay's
„Bettleroper* von 1727, Rousseau's Singspiel „Le devin du village",
Hillers Singspiele, die opera buffa und die op6ra comique, die Hin-
wendung Mozarts zum Singspiele, sein, Haydns und Beethovens Auf-
greifen des Volksliedes: all das sind Marksteine der Entwickelung zu dem
Ziele, an dem die voile Nutzbarmachung der nationalen Weise lag. Was
die Instrumentalmusik langst erreicht hatte, Ausdruck des VolksbewuBtseins
zu sein, das konnte die Oper erst erreichen, nachdem ihr das hofische
Gewand abgerissen worden war. Die vergeblichen Versuche der Hamburger,
der Karlsruher Oper usw. kennen wir. Erst muBte sich der Begriff eines
aufierhalb der Hofgesellschaft stehenden Publikums herausbilden, erst
muDten die Volker zum BewuBtsein des Kulturschatzes ihrer heimischen
Weisen erwachen, ehe das geschehen konnte.
Wenn die Instrumentalmusik die auf Verwertung des volksmaBigen
Ausdruckes gerichteten Bestrebungen zunachst nicht weiterverfolgte, so liegt
fiir den riickschauenden Blick des Historikers der Grund klar vor Augen:
Hier gait es zunachst, die groBe Form der Sonate und der ihren Gesetzen
gehorchenden Gebilde der Symphonie und des Quartettes auszubauen.
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NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 335
Erschien in der friiheren Oper eine Volksweise als gelegentlicher
Einschlag, so machte sie jetzt die Hauptsache aus. Gay's Bettleroper ist
ganz volkstumlich im Ausdrucke, vollig auf die Volksballade gegriindet,
Hillers Weisen wurden der Ausgangspunkt der iippigen Bliitezeit des
deutschen Liedes und wirkten im hochsten Mafle befruchtend auf Goethe
ein, und wer, der seinen Mozart im Herzen tragt, wiiCte nicht, dafi die
Gestalt Papagenos ganz aus der gleichen, wenn auch kleinen, so doch
freundlichen und anrautig-lieben Sphare erwachsen ist?
War einmal die Freude an der eigenen Volksweise erwacht, so mufite
auch der Anteil an der fremder Volker sich regen. Und dies je starker,
je mehr die Nationen in Verkehr unter einander traten. Handelsbeziehungen
haben von jeher die Ein- und Ausfuhr kunstlerischer Erzeugnisse zur
Folge gehabt. Auch die Diplomatic hat da eine gewisse Rolle gespielt,
kriegerische Ereignisse haben Teilnahme fiir fremde Kunst geweckt. Fiir
all das bietet die Geschichte der Musik Beispiele. Und die Musiker aller
Lander waren von jeher untereinander gewurfelt worden und nebeneinander
tatig gewesen. Kam nun die Erkenntnis dazu, dafi neue Ausdrucksgebiete
erschlossen werden miifiten, sollte die Kunstentwickelung nicht stillestehen,
traten neben die Volker alter Musikkultur neue, so war von selbst dem
Wege die Richtung vorgezeichnet.
Eine nicht ganz unwesentliche Unterstutzung fand diese auch dadurch,
dafi die Vorliebe fiir fremdes Wesen einen betrachtlichen Zeitraum hindurch
in der Wiener Zauberposse gepflegt wurde, der sich das Singspiel anschlofi,
das komische Rollen bevorzugte. Mozart mit der „Entfiihrung a ward einer
der Fuhrer, und auch bei Beethoven gibt es u. a. orientalische Musik.
Man weifi, wie dann die Bassas, Wesire und Kalifen lange Jahre hindurch
eine Theaterrolle spielten.
Die Literatur war neben der Musik in der ganzen Angelegenheit
einhergegangen. Seit 1742 waren walisische, schottische und irische Volks-
weisen bekannt geworden. G. Thomson hatte ihnen ein kiinstlerisches
Gewand zugedacht, indem er Pleyel, Kotzeluch und Beethoven zu
ihrer Bearbeitung aufforderte. SchwedischeMelodieen folgten jenen 1814/16,
und nun ward die Losung zur Sammlung nationaler Weisen allgemein. Die
Bewegung ist heute noch nicht abgeschlossen. Leider wird sie oft mit
unzureichenden Mitteln gefordert. Sie hat seit einigen Jahren auch auf
die Weisen exotischer Volker iibergegriffen. Die grofie Bedeutung des Volks-
liedes fiir die Kulturgeschichte wird heute nirgendwo mehr verkannt.
Als die Bewegung ihren ersten Niederschlag in Deutschland fand
(v. d. Hagen's „Sammlung a erschien 1807, und Silcher begann seine
„Volkslieder a 1827 herauszugeben), war Beethoven auf der Hohe seines
Wirkens angelangt. Nachahmen liefi sich seine ganz aus dem Inneren ent-
stromte Kunst nicht. Neues muCte gefunden werden. Fremde Art auf-
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a ,v UNIVERSITYOF MICHIGAN
336 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
zugreifen, lag, wie wir horten, in der Luft. Schon Schubert verwandte
die auslandische Weise in anderer Form wie Beethoven, dem sie am
Ende doch nur dazu taugte, besondere Kontrastwirkungen zu erreichen.
Schubert ging in seinem ungarischen Divertissement auf Nacbahmung, nicht
nur auf gelegentliche Verwendung ungarischer Volksmusik aus, er ahmte
Zimbal-Klange und -Effekte nach und schuf dies wundervolle Werk hochster
Kunst aus der vollen Beherrschung des fremden Kunstgeistes heraus,
ohne dabei der eigenen Individualist das Geringste zu vergeben oder ihrer
zu vergessen.
Es ist eine eigentumliche Tatsache, dafi mit dem Abschlusse des
Beethovenschen Zeitalters eine Reihe von Vdlkerschaften in den Gang der
Musikkultur eintrat, die bis dahin der Entwickelung selbst ferngestanden,
den Schatz ihrer eigenen Musik verborgen vor sich und der AuCenwelt gehfitet
hatten. Die Italiener und mehr noch die Deutschen waren bis dahin ihre
Lehrer in der Kunst gewesen. Es lag in der Natur der Sache, daB sich
in dem Augenblicke, da ihre eigene Produktion begann und auswirts
Beachtung fand, ihr SelbstbewuDtsein gewaltig steigern muflte. In
Deutschland nahm man die ersten Fuhrer der Skandinavier, Tschechen,
Russen um deswillen besonders freundlich auf, weil sie zum Teil in
Deutschland erzogen worden waren und das eigene volkische Musikidiom
innerhalb der Ausdrucks- und Formgrenzen der allgemeinen europfiischen,
d. h. der deutschen Musiksprache, unterzubringen suchten. Und als deren
Nachfahren diesen Zusammenhang zu lockern und sich auf eigene FuBe
zu stellen wufiten, wurden sie als Fremde rasch zu „interessanten"
Erscheinungen, die der Salondilettantismus besonders eifrig pflegte.
Es wird immerdar ein Kulturkuriosum bleiben, daO die Hochflut der
Begeisterung fur Richard Wagner mit der Zeit der kritiklosen Hinnahme
der Kleinkunst Edvard Grieg's zusammenfiel! Aber auch auCerhalb
Deutschlands gewannen sich die Skandinavier, Tschechen, Russen und
Finnen bald Boden. DaO ihnen immer ehrliche Teilnahme entgegen-
getragen wurde, darf bezweifelt werden; hier und da mochte der Wunsch,
die deutsche Musik entthront zu sehen, mitspielen.
Man wird nicht alle nationalen Schulen, die im 19. Jahrhundert auf-
kamen, auf dieselbe Stufe stellen durfen. Ist z. B. bei Dvorak das
nationale Wesen nur sozusagen ein Saum an der Gewandung seines zentral-
europaischen Musikwesens, so erfolgte bei Grieg je langer je mehr die
Absage an dieses; immer auffallender beschrankte er sich auf nationale
Idiotismen und Floskeln. War ihm dies wirklich inneres Bedurfnis, oder
war es die Folge einer Erkenntnis, daB seinen groflen Werken doch
dilettantische Ziige eigneten, die ihm auf die Dauer den Ausdruck in breiten
Formen unmoglich gemacht hatten? Ist man sich des krassen Wider-
spruches zwischen der Ausdruckswelt seiner e-moll Sonate z. B. und den
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NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 337
kleinen Nippsachen, die er schuf, bewuOt, so kommt man unwillkiirlich zu
einer solchen Annahme. Von den Russen sind einige Vertreter einer nur
halbeuropaischen Musikanschauung, ihre Werke durchsetzen asiatische
Barbarismen, die in ihrer monotonen Rhythmik und kakophonen Auf-
dringlichkeit nur musikalischer Unbildung zusagen konnen oder jener
blasierten Uberbildung, die wahllos nach dem Neuen greift, weil es neu ist.
Ware es denkbar, dafS eine sich auf national abgegrenzte Ausdrucks-
mittel stiitzende Kunst je eine Gefahr fur unsere eigene bedeuten konnte?
Die Frage ist wohl schon aufgeworfen worden. Nimmt man die Moglich-
keit des Unterganges unserer Kultur an, so darf die Frage bejaht werden,
sonst nicht. Denn man mag in der fremden Musik allerlei Reizvolles und
kiinstlerisch Brauchbares sehen, allgemeinen Wert besitzt sie um deswillen
nicht, weil sie selbst sich ja in ihren Ausdrucksmitteln bescheidet, in ein-
seitiger Weise Einseitiges pflegt.
Ware die deutsche Musik, als sie ihre hochste Hohe erklommen, nicht
in einen Zeitraum gefallen, in dem das Deutschtum fast nur ein theoretischer
Begriff fiir die politische Welt war, ware nicht die Sehnsucht nach neuen,
besseren Zeiten der Leitstern gewesen, an dem sie sich aufrichtete, sie
wiirde wohl ein ganz und gar anderes Ansehen erhalten und nicht jenen
groflen weltbiirgerlichen, rein menschlichen und schonen Zug gewonnen
haben, der sie zur Musiksprache schlechtweg werden lieC. Das Beste, das
Dauernde hat das Deutschtum bislang der Kulturwelt ja meist dann
gegeben, wenn ihm die politischen Verhaltnisse die Bewegungsfreiheit nach
auflen beschrankten und seinen wunderbar reichen inneren Kraften rege
Fliigel liehen.
Reflektorische Tatigkeit bereitete den Boden fiir die nationalen Schulen
unserer Zeit vor. Aber diesen selbst eignet die Reflexion als vorwiegende
Triebkraft des kunstlerischen Schaffens nur teilweise. Ganz und gar frei
ist der erste echte Vertreter des Nationalismus in der Musik von ihr,
Fr6d6ric Chopin. GewiD konnte das, was an seiner Kunst national ist,
nur aus dem Gefiihle der Zusammengehorigkeit mit einem geknechteten
Volke erwachsen, aber das geschah, der kunstlerischen Absicht, dem Grund-
plane nach, unbewuGt. Die reflektorische Tatigkeit setzte bei Chopin erst
ein, wenn es die letzte Hand an seine Werke zu legen gait: da wurde
gefeilt und gereinigt, bis der Schein des leicht Hingeworfenen erreicht war.
DaB Chopin nur zum Teil in seinen Werken einen nationalen Standpunkt
vertritt, kann nur kurz angemerkt werden; seine Mazurken sind ohne
Frage dahin zu zahlen, nicht auch seine Polonaisen, deren Grundrhythmus
vielleicht auf spanischen Ursprung der Form hinweist. Wie Chopin fiir die
polnische, hat Liszt, der seine Kunst — freilich vergeblich — weiterzubilden
versuchte, fiir die ungarische Musik gewirkt. Das slawische Element der
Musik zeigt sich besonders in dem iiberwiegenden elegischen Moll-
XIII. 6. 22
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U-i :i-ua : )y lilJi^K UNIVERSITYQF MICHIGAN
338 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
charakter mit Anklang vornehmlich an den lydischen Kirchenton; bedeut-
sam erscheinen auch die vielen iibermafligen Intervalle und besondere
Rhythmen, bei Liszt dann noch der schroffe Wechsel zwischen Dur und
Moll u. a. m. Der jungrussischen Musik eignet ein mannigfach von dem
zentraleuropaischen abweichender Periodenbau, die Gliederung in 3, 5 oder
7 Takte; man findet in ihr eine bedeutsame Hinwendung zur Chroma ik
und daneben als Reste eines offenbar originaren Tonempfindens eine
starke Liebe zum Mollgeschlechte. Daneben stoCen wir wiederum auf
rhythmische Besonderheiten, einformige Rhythmen, die sich in endlosen
Wiederholungen abhaspeln, melodische Eigenheiten usw. Das Besondere
im Charakter der Volker an der Auffassung darzulegen, die sie in der
Musik vom Naturleben auCern, wird einmal eine lohnende Arbeit sein.
Aber nur der Musikphilologe, der dichterisches Empfinden besitzt, sollte
sie losen. Fur die Russen bietet Tschaikowsky's Kleinkunst da ein dank-
bares Objekt, und ein Vergleich zwischen den Russen und den Skandi-
naviern in dieser Hinsicht wird iiberaus bezeichnende Resultate zutage
fordern iiber das rein Musikalische hinaus, fur die Volkspsychologie. Man
wird dann vielleicht auch zu dem Begriffe von musikalisch krankhaften
und gesunden Volkern gelangen und als zu diesen zahlend besonders die
Skandinavier betrachten.
Diesen Standpunkt einnehmen, heifit nicht das, was Kjerulf, Grieg,
Svendsen u. A. geschaffen, in Bausch und Bogen billigen. Aber jene
Manner konnten mit anderen (die Deutschen vor allem haben bessere
Vorbilder) Fiihrer zu groCerer Einfachheit der Tonkunst werden, voraus-
gesetzt freilich, daO unsere Lebensbedingungen sich andern, und dann
Propheten der Neuordnung der Dinge aufstehen, wie einst deren Beet-
hoven einer war . . .
Nur indirekt hangt mit der Frage, die uns hier beschaftigt, die der
Einfiihrung der exotischen Musik zusammen, um die sich der und jener
so heifi bemuht. Sie kann auf sich beruhen bleiben. Ich habe schon an
anderen Stellen gelegentlich angefiihrt, daft Ganztonreihen und Vierteltone
fur die dramatische und programmatische Musik eine Bereicherung dar-
stellen konnen, vornehmlich, um Lokalfarben zu geben. Vierteltone in die
reine Musik einzufiihren, erscheint mir ein ganz vergebliches Bemuhen.
Charakteristisch sind sie nur fiir primitive Musikzustande. Die einstimmige
Weise der scharfohrigen Naturvolker kennt sie. In der modernen, har-
monisch bestimmten Musik wiirden sie nur das Tohuwabohu des herrschenden
Klangwesens, das sich, je langer je mehr zu einem Klangunfugswesen entwickelt,
vermehren helfen. Und davor behiite uns der Genius der Tonkunst . . .
Die Welt ist voll von sonderbaren Aposteln, die alle ihre glaubigen
Jiinger finden. Josua Kuhn wollte in Amden oberhalb des Walensees eine
Kolonie weltuberdriissiger Menschen ansiedeln; vor kurzem haben wir den
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NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 339
Versuch einer Wiederbelebung des Wodan-Kults erlebt, und „Allvater a
spukt immer noch in gewissen Kopfen; der eine plantscht im Wasser, der
andere in Gebeten, der Dritte heilt die kranke Welt durch Kauen: da
kommt vielleicht auch noch einer (Musik als Medizin, dieser uralte Scherz,
taucht auch immer wieder wichtigtuerisch in der Tagespresse auf), der uns
als Ideal die Musik der Fidschi-Insulaner hinstellt. Am Ende horen wir
ihn und seine Genossen, die er ja sicherlich finden wird, noch von einem
Musik-Hagenbeck gefiihrt: in den zoologischen Garten, als an den Orten,
die seinen Kunstbegriffen am nachsten stehen! Warten wir den Gang der
Dinge ruhig ab. Aber das eine sollte man doch bedenken; nicht alles,
was im Interesse der Wissenschaft erforscht werden muB, darf in die gang-
bare Miinze der Praxis umgesetzt werden, und jedes Ding ist bis zu einem
gewissen Grade an seinen Ort und seine Zeit gebunden, und es kann nicht
immer an eine andere Stelle verpflanzt werden, ohne in Gefahr zu geraten,
seines Wesens Kern zu verlieren.
Th. Billroth hat in seiner durch Hanslick herausgegebenen Arbeit
„Wer ist musikalisch?" (Berlin 1895) allerlei zu unserer Frage Gehorendes
gestreift. Die Schrift hatte wohl ihre Anfange in Briefen und mundlichen.
Aussprachen mit Brahms, und Bemerkungen von Billroths Assistenten
Dr. Biidinger iiber das Marschieren und Dr. von Fleischl, der etwa
1000 italienische Volkslieder auf Tonalitat und Gliederung untersucht hatte,
gingen ihr voraus. Derartige Arbeit sollte noch auf andere Volkslieder
auf Tanze usw. ausgedehnt werden. Auch diirfte, wie schon gesagt, eine,
Statistik der verwendeten Intervalle nicht fehlen, sollen wir in die Lage
versetzt sein, das verschiedene nationale Wesen moglichst genau auf For-
meln zu bringen. Ganz wird das freilich wohl nie gelingen, denn die
Grenzen zwischen den einzelnen Kulturgebieten stehen nicht unvernickbar
fest, so dafi wir z. B., wenn wir auch unsere Periodisierungsweise als die
Norm fur unsere zentraleuropaische Musik erkennen, doch auch Ausnah-
men, wie funftaktige Rhythmen finden usw. AuBerdem aber laBt sich das,
was die eigentliche kiinstlerische Wirkung ausmacht, beschreibend nicht
vollig wiedergeben. Wir konnen noch so viele iibereinstimmende Punkte
etwa zwischen der Kunst Chopin's und der jungrussischen und ungarischen
Musik auffinden und werden doch in jedem Zuge wieder gewaltige Unter-
schiede bemerken, Unterschiede, die das Ohr vor dem analysierenden Ver-
stande wahrnimmt, und die dieser schwerlich je scharf wird fixieren konnen,
derart, dafi er den letzten Schleier vom Geheimnisse der kunstlerischen
Wirkung hobe. Vermochte er das, so wiirden sich ja in der Tat Kunst-
werke konstruieren lassen. Formelwesen und Mathematik aber, das wissen
wir schon aus Eulers „Tentamen novae theoriae musicae" von 1729>
reichen dazu nicht aus, und ein Gesondertes bleibt die Schopfung des
Kiinstlers, ein anderes deren theoretische Betrachtung.
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GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR
VON RICHARD SPECHT IN WIEN 1 )
Am 1. Mai 1897 trat Gustav Mahler sein Amt als Kapellmeister der
/\ Wiener Hofoper an. Der Dirigent als .Star" war damals noch
JL a. keine derart typische Erscheinung wie heute; daO man einen
Orchesterleiter einer Primadonna gleich verwohnt, freilich auch, daB sich
manche von ihnen auch wie Primadonnen betragen, ist eine der vielen
unerfreulichen Errungenschaften der letzten Jahre, in denen die Neigung
immer mehr iiberhand nimmt, die Wichtigkeit des Dirigenten in seinen
AuBerlichkeiten ebenso zu iiberschatzen, als er vordem in seinen Inner-
lichkeiten unterschatzt wurde. Zur Zeit, in der Mahler nach Wien kam>
war jenen verhaltnismaCig wenigen, die sich mit Richard Wagners Kunst-
lehre vertraut gemacht hatten, die Bedeutsamkeit des Dirigenten als Be*
herrschers des Orchesters und der Sanger wohl aufgegangen, und Hans
Richters ehrwiirdige, von Bayreuther Glorie umschimmerte Gestalt war
fur sie die beste Verkorperung dieser Dirigentenart. DaB der Orchester-
leiter im Opernhaus mehr sein musse, der dramatische Architekt, wie
Hermann Bahr es nennt, der Beherrscher des Szenischen ebenso wie der
Darstellung, weil im Musikdrama jeder Wortakzent, jede Geste, jede Be-
leuchtung, jedes Biihnenbild nicht nur mit der Musik verflochten sein,
sondern der Musik entspringen musse — das haben erst die zehn nachsten
Jahre gelehrt. Damals war — dem sogenannten w groBen Publikum a
wenigstens — das Engagement eines neuen Kapellmeisters bei weitem
nicht von dem Interesse, wie etwa das einer neuen Koloraturdiva oder
einer neuen Primaballerina. So kam es, daB Mahlers Berufung in weiteren
Kreisen keine allzu groBe Beachtung fand; nur in jenen engeren, edleren
Gruppen des Publikums, jener Insel von zart GenieBenden, die sich in
jedem Biihnenhaus bildet, in dem wirkliche Kunst gepflegt wird und die
man zwar selten beim „Prophet tt oder bei „Excelsior* entdecken, dafiir
aber immer bei Mozarts und Wagners Werken finden wird, sah man dem
neuen Orchesterleiter, dessen Name schon ofter als der eines der eigen-
willigsten, fesselndsten und radikalsten Musiker und Dirigenten der jungen
Generation aufgeflogen war, mit einiger Spannung entgegen.
Mit weit groBerer freilich noch in den Kreisen der Biihnenkunstler
und besonders in jenen der Hofoper selbst. Die B Mahlerlegende", die
spaterhin so ungeheuerliche Dimensionen annahm, wurde schon damals,
wenn auch nicht mit solcher Blutriinstigkeit wie spater, zum Schreck der
Allzeitgemutlichen von den Bankelsangern des Kulissenklatschs getrillert.
J ) Wir entnehmen dieses Kapitel mit Genehmigung des Verlages Schuster
& Loeffler der soeben erschienenen Mahler-Biographie von Richard Specht. Red.
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SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 341
Diese Legende verzerrte das Bild eines fanatisch unbeugsamen, riick-
sichtslosen, keiner „Beziehungen tt achtenden, launenhaften, schroffen und
nervosen Kiinstlers, der die Orchestermusiker miBhandle, die Biihnen-
kunstler in all ihren Empfindlichkeiten und Eitelkeiten verletze und beide
nur als Instrumente betrachte, die er tyrannisiere und bis zur Erschopfung
anspanne — verzerrte dieses Bild zu dem eines halbnarrischen, groCen-
wahnsinnigen Theatercaligula. Man wuBte, daB Mahler die Budapester
Oper in kurzen Jahren aus tiefster Verrottung auf eine Hohe gerissen
hatte, die alsbald die Aufmerksamkeit der ganzen Musikerwelt auf die
Auffuhrungen eines bisher — und seither wieder — als abgelegenes
asiatisches Theater betrachteten Institutes lenkte; wuBte aber auch, daB
er von dort — wie fast von alien Buhnen, an denen er gewirkt hatte —
in Unfrieden geschieden war; man hatte aus Hamburg immer wieder von
Konflikten gehort, die zwischen ihm und dem TheatergroBhandler Pollini
losplatzten; man wuBte aus seinen friiheren Zeiten, aus Kassel, Leipzig
und Prag, mit welch verbissener Energie er seine kiinstlerischen Forde-
rungen durchzuhalten verstand und daB er in kleinen Provinzstadten mit
zaher List Auffuhrungen des Fidelio, des Don Juan und Wagnerischer
Werke hintertrieben habe und lieber Operetten dirigierte, um die geliebten
Schopfungen nicht der verruchtesten Entstellung preisgeben zu miissen.
Was ihn doch als einen der Unbequemen verdachtig machen muBte, denen
es um die Sache, um Ernst und um Uberzeugung ging. Man wuBte auch,
daB er an alien Statten seines Wirkens von den meisten gehafit und nur
von wenigen sehr geliebt worden war, und nahm sich nicht erst die Muhe
zu untersuchen, ob diese „meisten a nicht die typisch tragen, eitlen, nur
auf die eigene kleine Personlichkeit bedachten Vertreter des „ewigen
Kitschs", jene wenigen nicht die paar wertvollen, ernstlich dem Werk
dienenden, nur auf Vollkommenheit des Ganzen bedachten Kunstler waren,
die — so wie jene anderen als die „kompakte Majoritat" — als die er-
haltende Minoritat in jedem Theaterinstitut anzutreffen sind. Es gab nur
ganz wenige, die aus all diesen Anzeichen einen Kunstler von heniicher
Unduldsamkeit fuhlten, von der wundervollen Orthodoxie des Kunst-
besessenen, dem nichts gilt als das Werk und sein inneres Gesetz; der
sich nicht beschwichtigen Wflt, ehe er die letzten Moglichkeiten der Inter-
pretation erobert hat, der sich nicht mit einem gefalligen Ungefahr ab-
findet, wo eine Vollendung zu erreichen ist, dessen Reizbarkeiten nur das
Negativ einer subtilen kiinstlerischen Empfindlichkeit und Empfanglichkeit
bedeuten, und dessen Schonungslosigkeit im Anspannen und Uberspannen
aller Krafte seiner Mitarbeiter am Werk eine berechtigte ist, weil er auch
fur sich selber weder Schonung noch Bequemlichkeit kennt. Und selbst
fur diese wenigen gab es eine Uberraschung, als sie Mahler zum ersten-
mal am Werk sahen; weil sie sich zwar das rechte Bild seines in Sturm
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342 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
und Flammen lodernden, niemals beruhigten Wesens gemacht batten, aber
doch nicht wissen konnten, welcber Art denn seine Kunst sei und zu
welchen Ergebnissen der Interpretation sie zu fuhren vermochte.
Am 11. Mai dirigierte Mahler zum erstenmal den Lohengrin. Also
ein Werk, das im Spielplan „stand a , wie nur wenige, dessen Wiedergabe
gewissermaflen durch den Meister selbst sanktioniert war (wenn auch seit-
her naturlicherweise durchaus andere Kiinstler auf der Buhne und nur
wenige von damals im Orchester tatig waren) — und vor allem eines, in
dem es unmoglich schien, irgendwie Neues zu enthullen, das Richtige
anders zu zeigen, als es die Tradition festgestellt hatte. Aber es war noch
kaum die erste halbe Stunde vergangen, als alle unter dem zwingenden
Eindruck einer erschutternden, nie zuvor erlebten Offenbarung standen.
Schon nach dem Vorspiel, das kaum jemals friiher in solch entmateriali-
sierter Verklartheit, so vollkommen dieser Welt entriickt erklungen war,
in Tonen, die gleich einem milde verzuckten Leuchten aus fremden Fernen
zu kommen schienen, brach nach einem Augenblick ergriffenen Schweigens
ein Jauchzen aus, wie es nur aus ungeahntem Uberwaltigtwerden zu brechen
vermag. Und im Verlauf des Abends wurde es jedem klar, daB hier ein
unerhorter, jeder Selbstentaufierung fahiger und zu jedem Ringen um die
Vollkommenheit entschlossener Wille waltete, der das scheinbar langst-
gekannte in einer Weise entschleierte, daB es wie ein ganz Neues und wie
ein groBes Wunder wirkte. Wodurch Mahler dieses Wunder vollbrachte?
Das Rezept ist sehr simpel : er fiihrte den Lohengrin einfach richtig auf.
Richtig, das heiBt nicht nur: dem Buchstaben des Meisters folgend, jedem
seiner Gebote treu gehorsam, jedes Tempo erfiillend, jeder dynamischen
Schwebung genauen Ausdruck gebend und jedem Akzent seinen bestimmten
Wert. Das allein w£re viel; und ist mehr, als man es auBerhalb Bayreuths
in den meisten Auffiihrungen der groBen Kunstinstitute zu horen bekommt.
Aber damit dieser Buchstabe im Sinn des in ihm waltenden Geistes lebendig
werde, bedarf es eines Tiefblicks, der nur dessen achtet, was das Werk
selbst aussagt und alles vergiBt, was Herkommen und Uberlieferung daran
verschleierten; und eines Enthusiasmus, dem im Augenblick solchen Nach-
schaffens nichts auf der Welt wichtiger ist, als daB jedes punktierte Achtel
mit gleicher Vollendung und Reinheit zur Erscheinung werde wie die
Totalitat des innersten Gedankens, auf dem das Werk ruht. Beides war
Mahler eigen: der heilige Wahn, der nur fur die Schopfung und in der
Schopfung lebt, deren Wiedergabe versucht werden soil; der auBerhalb
dieser geistigen Welt nichts anderes mehr kennt und gelten lassen will,
der nicht ruht, ehe die innere Vision, die das Werk in seinem Nach-
schopfer weckte, ohne Makel und ohne Rest zur sinnlichen Erfullung
wurde. Und ebenso die Juwelierfreude am Detail, am sublimen, ein-
ordnenden Gestalten der feinsten und verstecktesten Zuge, das erst dem
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D-rii,'u- ::»y Vit )lVyv UNIVERSITY OF MICHIGAN
SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 343
Ganzen den wundersamen flimmernden Glanz und tausendfaltige Lebendig-
keit gibt. Dazu aber, zu dieser ganz selbstvergessenen, nur dem Werk
dienenden Reinheit und Begeisterung und zu der intuitiven Sicherheit der
nachschaffenden, stilbildenden Kraft noch eines: die Verachtung alles bloB
GewohnheitsmaCigen und Uberkommenen, der Bequemlichkeit einer Inter-
pretation, die mit sich zufrieden ist und ihre Berechtigung darin sieht, weil
man es „immer so gemacht habe a . w Tradition ist Schlamperei tt , hat man
Mahler oft sagen horen, und wer ihn an jenem Lohengrin-Abend zum
erstenmal am Pult sah, begriff sofort, was er damit meinte, und daB dieses
prachtvolle Wort eines seines Berufenseins gewissen, von spendender
Phantasie des Ohrs und des Auges gesegneten Kiinstlers nicht die Hiiter
wertvollen Besitzes treflfen sollte; sondern die Ausrede blofier Lassigkeit,
die ihre Unkorrektheit hinter Autoritaten verschanzt. An jenem Abend
schien alles neu: der Klang des Orchesters, das in tausendfachen Ab-
schattierungen leuchtete, die Macht und Prazision der Chore, die zum
erstenmal nicht einem Mannergesangverein im Kostum glichen, sondern
die am Drama Anteil hatten; der Stil der Sanger, die sich von einem
ratselhaften Willen gepackt und weit iiber sich emporgerissen fiihlten. Und
dadurch auch das Drama selbst. Man fiihlte: hier war einer am Werk,
dessen individuelles Leben erloschen und in das Leben der Schopfung hin-
iibergestromt war, fiir die er sich in einer an Raserei grenzenden Hingabe
darbrachte; der alles ringsum vergessen hatte und nur in das Werk ver-
sunken war bis zu seinem tiefsten Grund; der mit der Kraft der gleichen
Verziicktheit, die den indischen Fakir bei seiner Beschworung umfangt,
andere an seiner Hellsichtigkeit teilnehmen lieB. Zusammenhange wurden
klar, die friiher keiner beachtet hatte, langst Gewohntes strahlte in jung-
fraulichem Zauber auf und wurde mit dem ganzen keuschen Reiz des erst-
maligen und unberiihrten Empfangens genossen; man erlebte Zartheiten
von einer verschwebenden Delikatesse, Steigerungen von einer entladenden
und befreienden Wucht, wie es in gleicher Intensitat und Inbrunst viel-
leicht nur von jenen gespiirt worden war, die Richard Wagner den Takt-
stock fiihren sahen. Hier war einer, der mit Begeisterung und Verzweiflung,
mit aufwiegelnder, ja fast erpresserischer Leidenschaft um jede Betonung
der untergeordnetsten instrumentalen Stimme rang, dem jedes Zuriick-
bleiben hinter der fleckenlosen Intention unertraglich war, der mit einer
bis dahin ungehorten Beredsamkeit der Gebarde das Melos des Werkes in
die Luft zeichnete und sein Erklingen erzwang; der jedem der Sanger das
unbedingte Gefiihl der inneren Freiheit gab, weil er jeden scheinbar sich
selbst uberliefl und ihn doch in Bann hielt und jeden auf eine Hohe empor-
jagte, deren Erklimmen sich keiner zutraute. Aber man fiihlte auch, daB
hier einer war, der nicht nur die Macht solch unermeBlicher Hingabe hatte,
sondern auch die des Sichbewahrens; der der anderen und ihrer Zu-
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344 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
stimmung nicht bedurfte, weil er sicher in sich ruhte; der mehr war als
bloB der, der sich jetzt in der begliickten Trunkenheit zu verschwenden
schien; der sich zurucknehmen konnte, urn immer wieder fur gleiche
Ekstasen bereitzustehen.
Sein Dirigieren, das vom ersten Augenblick an alarmiert und gefesselt
hat, war damals durchaus anders als in seinen letzten Jahren, in denen er
mit einer fast asketischen Sparsamkeit der Geste, mit leiser Andeutung
wirkte und aus seiner innerlich um so bewegteren Gelassenheit nur in den
dann unvergeBlichen, hinreiflenden Momenten plotzlichen Aufschwungs
oder jah verwandelten Ausdrucks auffuhr, mit unbeschreiblicher Macht des
beschworenden, gleichsam peitschenden, durch die Luft pfeifenden Takt-
stockes. Damals aber war er von einer Beweglichkeit, die subjektiver und
gewiC interessanter war als die spatere objektive Ruhe, aber manche vom
Werk selbst abzulenken geeignet war; wahrend andere wieder gerade in
der Luziditat seiner Zeichen die Musik deutlicher empfingen, weil sie jedes
Detail nicht nur durchs Ohr, sondern auch durchs Auge erfassen konnten.
Nur dafl Mahler niemals daran dachte, es dem Horer auf solche Art zu
erleichtern; sondern nur an die rechte Verstandigung mit seinen Musikern,
um derentwillen er gem jeden Spott wegen der unruhigen, iiberlebendigen
Sprache seiner jetzt eine Melodie zartlich aufschopfenden, jetzt gleich
einem Rapier zufahrenden, dann beschwichtigend abwinkenden und gleich
wieder zu zornigem Niederstreich geballten Hande ertrug. Dort schienen
sie einen kurzen Gesang aufzuscheuchen, hier wieder trieben sie heftig
und resigniert zugleich ein allzuvordringliches Instrument ins Schweigen
zuriick, fegten wie mit Sabelhieben durch die Kolonnen allzuschtichtem
akzentuierender Spieler und hetzten die braven Seelen in einen Aufruhr,
vor dem all ihre subalternen Instinkte erschraken und dessen sie doch
ratselhaft froh wurden; und manchmal war es, bei leidenschaftlicher, aus
der dunkelsten Tiefe hervorbrechender Melodie, als ob diese Hande, die
jetzt gleichsam unsichtbare Faden an sich heranzogen und heranzerrten,
den Leuten im Orchester die Musik aus dem Leibe haspeln wollten. Er
zwang ihnen alles ab, was sie geben konnten; und mehr. Er setzte alles
rings um sich in Flammen und Feuer. In seiner Sauerstoffatmosphare
brannten die triibsten Nachtlichter plotzlich strahlend und taghell. (Und
konnten es ihm nie verzeihen, daB sie dann, von ihm abgeriickt, wieder
nur ihren schwachen Ollampchenschimmer verbreiten konnten.) Alle,
Gebende und Empfangende, fiihlten etwas satanisch Unersattliches, etwas
himmlisch Sehnsuchtsvolles, etwas irdisch Bildnerstarkes in diesem ganz
aufgebrochenen, ganz Wille zur Vollendung gewordenen Menschen, der am
eigenen Leib ein Kunstwerk ausdriickte; in machtig malender, in ruck-
weiser und heftiger Bewegung, ja oft stampfend und zappelnd, in plotz-
lichem erbitterten Staunen, wie es nur moglich sei, daB irgendeiner der
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SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS 0PERND1REKT0R 345
Ausfiihrenden sich nicht ganz hingeben, nicht das Letzte schenken, nicht
all sein Physisches mifiachten und all sein Geistiges als geringes Opfer
fur die Seligkeit des Vollbringens hoher Musik darbringen konne. Manche
fanden das iibertrieben, meinten auch, daB sein ganzes Gehaben, diese so
gar nicht auf den Zuschauer berechnete, gleichsam iiberlaute und sich
preisgebende, ungeziigelt iiberlebendige Beweglichkeit der Gebarde nicht
in gute Gesellschaft passe, und vergaBen dabei nur, wie wenig wahrhafte
KunstCibung und „gute Gesellschaft" miteinander zu tun haben. Die
anderen spurten hinter all diesen oft bizarren AuBerlichkeiten blitzartig
den groBen Kiinstler, der nicht neben dem reproduzierten Werk stand,
sondern es ganz mit seinem Ich durchtrankte und in jenen Augenblicken
es gleichsam neu produzierte; mehr, der die Gabe der Transfiguration
hatte, der in diesem Moment mehr Richard Wagner als Gustav Mahler
war, wie er spaterhin bei seinem Nachschaffen des Figaro und des Fidelio
mit Mozarts und Beethovens Hirn zu denken und mit ihren Herzen zu
fiihlen schien.
Das klingt iibertrieben und ist es wohl auch, wie alles Formulierende;
aber man wird daraus begreifen, was es denn eigentlich war, das Gustav Mahler
als Dirigenten zu einer „Klasse fur sich a machte, zu etwas Einzigartigem,
dem man unrecht tut, es mit anderem zu vergleichen, so wie man den
anderen durch solchen Vergleich unrecht tut. Auf diese Dinge wird noch
zuriickzukommen sein. Wer diesen Eindruck von Mahlers Dirigieren nicht
hatte, mit dem wird eine Auseinandersetzung freilich ein Ding der Un-
moglichkeit bleiben. Er ist der einzige, bei dem ich das Gefiihl hatte:
w So muB Richard Wagner dirigiert haben"; der einzige, bei dessen Inter-
pretationen fast immer — und nicht immer — die iibermachtige Emp-
findung laut wurde: „Es ist so vollkommen, wie Beethoven oder Mozart
oder Wagner es sich selber vorgestellt haben mull". Wahrend man bei
den hochsten Leistungen der anderen fiihlt, „es ist so vollkommen, wie
ich mir's vorstellen konnte". Nur daB die meisten eben viel lieber das
horen, was ihrer eigenen, als das, was Beethovens Vorstellung entspricht.
Weil die meisten nur sich, nicht den Meister suchen, der ihnen dort, wo
er ihnen nicht gleicht, nur unheimlich und aufstorend ist. (Zur Auf-
klarung gewisser moderner Dirigentenerfolge.)
Dem Lohengrin folgte der Fliegende Hollander, folgte bald darauf
Freischutz und Zauberflote. Wenige Monate nachher war Mahler definitiver
Direktor der Hofoper, und die Macht, die er ausiibte, war so ungeheuer,
daB sich alles im ersten Ansturm ergab, und dafi sogar die Mediokratie
ihm ganz verfallen war. Erst geraume Zeit spater besannen sich die
Ewiggestrigen auf sich selbst und riickten dann in doppelter Wut vor: im
Hafl gegen einen, der sich vermafi, anders zu sein. Der Moglichkeiten
erfiillte, die sie verneint hatten. Der sie gar nicht gefragt hatte, ob er so
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346 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
musizieren diirfe. Der ihrer nicht zu bedurfen schien, und in dessen
Unabhangigkeit sie die Verachtung gegen ihresgleichen fuhlten; dessen
Beispiel ihnen unbequem, beschamend und lastig war, weil es neue MaB-
stabe aufstellte und ihre Minderwertigkeit ad absurdum fiihrte. Dazu aber
kam das Ressentiment gegen den, dessen Zauber sie zuerst erlegen waren:
sie konnten es ihm nicht verzeihen, durch ihn iiberwaltigt worden zu sein.
Unter alien, die gegen Mahler mit verkennender Schmahung, mit emporter
Gegnerschaft, mit iiberzeugter Abneigung losgingen, waren keine giftiger,
maBloser, entstellender, tiickischer als jene, die sich zuerst vor seiner
Grofie geneigt hatten. Aber das kam erst spater. In Mahlers erster
Wiener Zeit hatte der Widerspruch geschwiegen. Man hatte eine Intensitat
erlebt, die befreiend wirkte und den Alltag tief unter sich liefl, und gab
sich diesem schonen Gefiihl bedenkenlos hin. Erst lange nach diesem
Rausch, in den Mahler nicht nur die wertvollen, sondern auch kleine und
sonst gewohnlich gegen das GroBe widerspenstige Naturen versetzt hatte,
merkte man, wie unwienerisch seine Art war, mit der er Wien erobert
hatte ; wie fern von aller Selbstgeniigsamkeit, von der Freude am liebens-
wiirdig Leutseligen, von aller Kunstspielerei, vor allera aber vom Kultus
des Privat-Personlichen; wie zelotisch unerbittlich im Gehorsam gegen
das reine und unantastbare Gebot der Kunst, wie verachtungsvoll gegen
alles Mittelmafl des Popularen diese Art war. Man lieB sich damals alles
von ihm gefallen. Dinge, die vor ihm keiner hatte wagen diirfen: die
Zumutung ungekiirzter Wagnerauffiihrungen, ehrenwortlich besiegelte Ab-
schaffung der Claque, Verfinsterung des Zuschauerraums, um zur Kon-
zentration und zum Einstellen auf die malerische Sinnlichkeit des Biihnen-
bildes zu zwingen; die Aussperrung der Zuspatkommenden bei strengen
Werken; eine Erziehung des Publikums mit einem Wort, die diesen
auBerlichen, aber organisch mit ernstlichem Kunstempfangen zusammen-
hangenden Dingen anderes gesellte: die Achtung vor der Reinheit und
Subtilitat der Auffuhrung einer Schopfung und das Bediirfnis nach solcher
Reinheit wurde wachgerufen, einzig durch den hohen Ernst der wunder-
vollen Arbeit, deren Verrichtung man zusah. 1 )
J ) Wie Mahler auch sonst, und, wenn es sein mufite, durch personliche Ein-
wirkung erzieherischen EinfluB auf sein Auditorium nahm, mogen zwei hubsche
Episoden erweisen, deren Zeuge ich war. Die eine in Hamburg: an dem Abend,
an dem ich ihn zum erstenmal dirigieren sah. „Walkure*. Das Glockenzeichen
rattert; im Haus wird's stiller, einzelne suchen noch ihre Platze auf, andere schwatzen.
Ein Flustern „Ah, Mahler" gebt durchs Haus: ein kleiner, sebniger, mit heftig
stampfendem Schritt durchs Orchester eilender Mann mit scharfem Antlitz, in dem
etwas Leidendes und etwas hart und herrisch Entschlossenes war, kam zum Pult,
lieB einen Augenblick lang die blitzenden Brillenglaser ins Parterre funkeln und gab
das Zeichen zum Beginn: das Sturm- und Donnermotiv begann in den tiefen Streichern
zu wetterleuchten. Aber noch ist Unruhe im Haus. Mahler macht ein Zeichen
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SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 347
Es dauerte freilich nicht allzu lange, bis man sich der Gefahr dieser
Entwienerung bewuBt wurde und bis der Chor der Rache sich zur Revolte
sammelte. Aber wie gesagt, das kam erst spater.
unwilliger Ungeduld; aber es will nicbt still werden. Da klopft er kurz ab, unter-
bricht, legt den Taktstock hin und wendet sich mit verschrankten Armen ruhig zum
Publikum: „Bitte, ich kann warten!" Totenstille, dann sturmischer Applaus und
sofort darauf andSchtigsteRuhe und stillstes Empfangendes schmerzlichschonen Werkes.
Ich erinnere mich noch, daB ich mir damals dachte: „In Wien konnt' er sich so was
nicht erlauben." Man weiB seither, daB er sich auch in Wien Ahnliches „erlaubt"
hat, und daB er es sich erlauben durfte, weil jeder fiiblte, daB dort einer saB, der
das Recht dazu hatte und der fordern durfte, daB seine entruckte Hingebung an
das Werk und seine Wiedergabe zumindest mit der Ruhe des Respekts, wenn schon
nicht mit der der gleichen Hingebung miterlebt werde.
Die zweite in Wien, als der vielgefeierte, von einem jugendlichen ^Hermann-
bund" schwSrmerisch umringte Hermann Winkelmann Grund zu haben glaubte, gegen
Mahler verstimmt zu sein; was fur seine sehr ungestumen AnhSnger ein AnlaB war,
bei jeder moglichen und unmoglichen Gelegenheit fur ihren Liebling zu demonstrieren
und ihn, wenn er sang, nach jeder Phrase durch vehementen, lauten Applaus aus-
zuzeichnen. Wenn Leonore im Fidelio sagte: „Er hat eine Stimme, sie geht zu der
Tiefe des Herzens," so deuteten sie's auf Winkelmann; ebenso wenn irgendeine
andere Stelle auf ihn bezogen werden konnte, und immer, wenn der auBerordentliche
Kunstler irgendeine Phrase gesungen hatte, prasselte storendes und stimmungs-
zerreiBendes Handeklatschen und Scbreien mitten in die Musik hinein. Begreiflich,
daB Mahler dies verdroB, dem die Kontinuitat der dramatischen Stimmung das
Hocbste der Interpretation war. SodaB er eines Abends, als es wieder so zugegangen
war und als der „Hermannbund a wieder einmal an der Buhnentur auf seinen Abgott
wartete, plotzlich mitten unter den jungen Leuten stand, die einen Moment lang
verdutzt zuruckwichen, dann aber in dem echten Gefuhl begeisterter Jugend in tur-
bulente Hochrufe auf Mahler ausbrachen. Aber Mahler wehrt sie unwillig ab und
richtet das Wort an sie: „Ich will eure Hochrufe nicht und bitte mich damit zu
verschonen. Von einer Jugend, die keinen Respekt vor dem Kunstwerk und vor
dem Schaffen der groBen Meister hat, will ich nicht gefeiert werden." Und als die
Junglinge betreten schweigen, setzt er lebhaft fort: „Ihr wollt einen Kunstler ehren
und zerstort das Werk durch euer Dazwischenrufen und -schreien. Ich verehre
Winkelmann gewiB ganz so wie ihr, weil er ein Kunstler ist, der weiB, daB zuerst
das Werk kommt und dann der Darsteller; daB der Sanger nur das Werkzeug im
Dienst des groBen Meisters ist. Ich bin sicher, daB gerade Winkelmann, den ihr
durch euren Applaus feiern wollt, aufs tiefste verletzt ist, wenn um seinetwillen die
Stimmung zerrissen und der Fortgang des Dramas aufgehalten oder ganz zerstort
wird. Wenn ihr am SchluB des Aktes applaudiert, oder wenn der Sanger von der
Szene abgeht, und wenn das nicht aus toricbter Demonstration, sondern aus Be-
geisterung geschieht, ist nichts dawider zu sagen; aber mitten in eine Szene hinein
zu applaudieren und zu rufen, ist barbarisch, scheuBlich, unkunstlerisch und gerade
der Jugend unwurdig, die doch kunstlerisch fuhlen sollte. Also denkt nach — und
tut's nicht wieder!" Wendet sich und geht, wahrend jetzt der Enthusiasmus der
Leichtbewegten losbricht und helle, sturmische Rufe „Hoch Mahler!" erklingen
Mahler dreht sich um, lacht und sagt: „Jetzt nehme ich eure Hochrufe an. Denn
jetzt bin ich ja von der Szene abgegangen." Die Lehre hat gefruchtet; fortan
herrschte vollkommene Ruhe wahrend der Akte. — Bei dieser Gelegenheit mag auch
( VuuilV' Original from
juj i/ul: :;.y vun j^k UNIVERSITY OF MICHIGAN
348 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
Etwas anderes begann sogleich: die Widerstande im Haus selbst.
Mahler hatte sich vermessen, auf „Lieblinge a zu verzichten und wollte
nichts von irgendwelchem Starwesen wissen. Und mehr: er hatte sich
unterfangen zu zeigen, was ein Ensemble sei; was es bedeute, wenn ein
Wille zum Ganzen am Werk war. So gab es sofort Aufruhr; verwohnte
Kiinstler, wie van Dyck oder die Renard gingen zu offenem Widerstand
iiber, urn freilich schlieBlich zu unterliegen. Aber die eigentliche Gefahr
kam nicht von den gekrankten GroBen, sondern von den plotzlich empor-
gehobenen „Kleinen a . DaB er unbeugsam bleiben muBte und sich seine
Arbeit an einem ganz in Richard Wagners Geist geiibten Darstellungsstil
nicht durch Primadonnen- und Primosignore-Launen gefahrden lassen
durfte, war klar, und niemand bedauerte es mehr als er selber, wenn die
kunstlerische Einsicht bedeutender Gesangsdarsteller kleiner war als ihre
private Eitelkeit, und wenn das Institut sie verlieren muBte, statt dafi sie
sich, vertrauensvoll und mancher seiner Schroffheiten ungeachtet, seiner
Fiihrung iiberlassen hatten. Aber mit wahrhaften Kiinstlern hatte er
kaum jemals wirkliche Konflikte. Das beweisen nicht nur jene heute
einzig den Ruhm der Hofoper bedeutenden Sanger, die durch Mahler erst
gelernt hatten, um ihre Kunst zu ringen, wie Jakob mit dem Engel, und
alle Moglichkeiten ihrer Begabung zu entfalten. Auch jene, die ihm un-
willig, ja oft mit Zorn und Abscheu folgten, fiihlten, was es hieB, mit
ihm zu arbeiten, sich von ihm peinigen und unbarmherzig bis zur Er-
schopfung alles — und mehr als alles — abverlangen zu lassen, was
ihr Naturell herzugeben vermochte. In Theodor Reichmanns Tagebiichern
sind derartige immerwahrend umspringende Gefiihle verzeichnet: Wut und
Grimm gegen den Jiidischen Affen", gegen diesen frechen kleinen Kobold,
der sich unterstand, ihn zu korrigieren, ihn zu maBregeln, ja gar zu
anderem zu zwingen, als er zu geben gewohnt war; und das nachstemal
werde er es sich nicht mehr bieten lassen und ihm ins Gesicht schlagen.
Aber er laBt es sich immer wieder bieten; und nach dem unerhorten
Erfolg der Vorstellung schreibt er in einem einzigen Jubel von dem
erwahnt werden, dafi Mahler, der den allegorischen konventionellen Theatervorhang
nicht vertragen konnte und dessen Gefuhl zumindest bei ernsten Werken den ein-
fachen, in der Mitte sich teilenden, seitlich aufzuziehenden Bayreuther Samtvor-
hang forderte, bei seiner hoheren Behorde mit seinem Wunsch nicht durchdringen
konnte. Worauf er kurz entschlossen aus seiner Tasche den Vorhang anschaffte und
ihn der Hofoper zum Geschenk machte. Ebenso wie er zwei Jahre vorher in Ham-
burg die Anschaffung neuer und die Reparatur alter Orchesterinstrumente — beides
war zur rechten Klangerzielung unbedingt notig — bei den Stadtvfctern, die das Theater
subventionierten, nicht durchsetzen konnte und deshalb aus seinen Privatmitteln fur
diese Verbesserung sorgte. Beide Falle waren mit empfindlichen Kosten verbunden;
aber Mahler hat dessen nie geachtet, wenn es der Reinheit des durch seine Kunst-
arbeit erzielten Eindrucks gait.
f V^^il,- Original from
cS ,v UNIVERSITY OF MICHIGAN
SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 349
„Gott Mahler", der ihm eine Leistung abgerungen habe, wie er sie nie
zu geben geahnt hatte; dem man alle Krankung, alle Plage verzeihen und
den man anbeten miisse. Hier spricht ein Aufrichtiger (wenn er auch
immer wieder in schaumenden Zorn und freilich dann auch wieder in
verziickte Dankbarkeit fallt); aber innerlich dachten alle wirklichen Kunstler
des Hauses so. Weil sie den anderen Kunstler spiirten; und weil sie
nicht nur die eigene Wandlung fiihlten, sondern schlieOlich nach allem
Strauben und allem Bangen vor dem Wagnis des Ungewissen doch merkten,
daB sie nicht nur zu auOerlich starkerem, sondern auch zu ganz anders
wertvollem Erfolg gestoCen worden seien; erst fast wider Willen, dann #
aber doch, sei es auch mit verletzter Empfindlichkeit und beleidigtem
Selbstgefuhl vor der scheinbaren MiCachtung dessen, der sie nur als
Instrument behandelte, mit wachsendem Glauben an den Grofleren, der sie
fiihrte. Von den echten KCinstlern der Hofoper hat sich keiner an Mahler
vergriffen, und nur die wenigsten haben sich nicht schliefilich mit ihm
verstandigt. Was ihm drohte, kam von anderer Seite. Kam von ge-
krankter Stareitelkeit und kam von der MittelmaBigkeit.
Gewifi war bei Mahler auch etwas Trotz dabei, der gegen die „Lieb-
linge ft ging; und nicht nur, weil er — es wurde schon gesagt — Stars nicht
brauchen konnte; keine verwohnten Herrscher der Kulissen, nur Diener des
Werkes. Sondern weil er sich's zutrauen durfte, zu zeigen, wie er gerade
ohne die „gefeierten Herrschaften" seine kiinstlerische Vision zu voll-
kommener Erfullung bringen konnte. Es war auch wirklich so, daB Mahler
mit den GroBen zunachst gar nichts anfangen konnte. Er hat seine ersten,
so unerhort eindrucksvollen und in atemlosem Entzucken empfangenen
Vorstellungen fast nur mit den Sangern zweiten Ranges gemacht, die er
sich „herrichten, zurechtbiegen", erziehen konnte. Die „GroBen a waren
viel zu aufgeblaht von ihrer Wiirde, urn sich das von dem w kleinen Juden"
gefallen zu lassen. Daher all die Affaren der ersten Zeit, die „Zuriick-
setzungen", weil er sich nicht durch die festgelegte Leistung eines Lieb-
lings den Stil seiner Auffiihrungen verderben lassen wollte. Bald aber
zeigte sich eine andere Konsequenz. Die meisten der von ihm in die Hohe
Gepeitschten, fur einen Abend lang von seiner stahlernen Hand Gehaltenen,
sanken wie mit Sagespanen gefullte Puppen zusammen, wenn er sie loslieB,
um zu erproben, wie es war, wenn sie einmal allein gehen und stehen
sollten. Dann hatten sie eben nur wieder die unausrottbaren Gebarden
konventioneller Dressur. Was mechanisch in ihnen wirksam werden konnte,
war ja da. Aber was er gegeben hatte, konnte nur geistig wirksam sein.
Und fiel deshalb gleich wieder ab, weil es nirgends haften konnte. Er
hatte zehn Leben zu gleicher Zeit leben miissen, um alle die zu halten,
die sein Hauch fur Stunden aus den Marionetten der Routine zu leuchtenden
Menschen gemacht hatte. Und er wurde es oft mude.
( \ -^t\t\\i - Original from
cS ,v UNIVERSITY OF MICHIGAN
350 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
Daher kam es — um diese Dinge gleich in diesem Zusammenhang
vorwegzunehmen — , daft man vom Direktor Mahler gesagt hat, er sei
ein Unmensch gewesen, habe Karrieren verhindert, sei rucksichtslos und
brutal iiber Leichen hingeschritten, habe in seinem schrankenlosen Egoismus
Existenzen aufs Spiel gesetzt und wertvolle Menschen beiseite geschoben,
wenn sie fur ihn nichts mehr bedeuteten. Das Bild ist wahr und falsch
zugleich. Wahr, weil Ziige von Brutalitat, Unmenschlichkeit, Riicksichts-
losigkeit aus seinem Wesen nicht wegzuleugnen sind; falsch, weil sie un-
richtig und in hamischer Verzerrung gesehen und eingestellt sind. Er war
^uch als Theatermann ganz Kiinstler, wuBte nichts von Menschen, nur um
eine Sache ; war nicht egoistisch, aber egozentrisch, wie jeder, dem es gilt,
seinen groBen Traum zu groBer Wirklichkeit zu machen. Wenn er ein
kiinstlerisches Ziel vor Augen hatte, sah er nicht rechts und links; ihm
gait dann nichts, was nicht diesem Ziel und seinem Erreichen dienen konnte,
er vergaB alle Dinge und alle Menschen, wenn sie nicht just mit der Auf-
gabe zusammenhingen, die er sich eben jetzt gestellt hatte. Auch wenn
diese Aufgabe nichts anderes als die Neuinszenierung einer Oper war. Er
kannte dann nichts „Personliches a , keine „Beziehungen a , nichts Mensch-
liches im privaten Sinn ; mit einer fanatischen Konzentration und mit
erbarmungsloser Energie schaltete er alles aus, was ihn von seinem Ziele
abgelenkt hatte, was ihn zu hindern oder gar seine Spannkraft zu schwachen
drohte. Er hat in solchen Zeiten sorgenvollen Mitarbeitern im Orchester
oft aus Eigenem geholfen; vielleicht sogar weniger aus Giite, denn seine
Giite war anderer, kosmischerer Art und nicht auf den Spezialfall gerichtet,
— sondern weil er das „kleine Mitleid" nicht vertrug, das ihn innerlich
auslaugte und schwachte; vor allem aber, weil er sorgengequalte, durch
die bedrangenden Kleinlichkeiten des Tages gehetzte und an voller Hingabe
gehemmte Mitkampfer nicht brauchen konnte. Diese Hingabe, von der er
selbst ganz erfiillt war, und die er sich unter Preisgeben der eigenen Ruhe,
des Gliicks, ja des physischen Wohlbefindens abforderte, verlangte er von
alien, die mit ihm arbeiteten; er stand knirschend und fassungslos vor
Ratseln, wenn sich verdrossene Abspannung oder gar Auflehnung meldete,
und wenn nicht jeder weiter willig am Werk sein wollte. Dann freilich
konnte er rucksichtslos, ja unbarmherzig werden; konnte es ebenso sein,
wenn er Renitenz spiirte, die sich geflissentlich von seinem brennenden,
in Schaffenslust lohenden Willen abwandte, im dumpfen, tiickischen Trotz
des Hergebrachten verschanzt blieb und einfach dorthin nicht mitwollte,
wohin dieser Wille wies. Dann freilich brachte dieser ganz kindliche, in
seinem jahen Vertrauen und seinem jahen MiBtrauen gleich unschuldige
und giitevolle Mensch es zuwege, den Widerspenstigen, mochte er im Or-
chester oder auf der Szene zu finden sein, durch verachtungsvollen, uner-
bittlichen Hohn aufs furchtbarste bloBzustellen; er war imstande, den schon
n - i rY\r\nIi» Original from
u i, i, uu :), vktu^il UNIVERSITYOF MICHIGAN
SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 351
durch seinen grimmigen und schneidenden Verweis Aufgereizten und Zorn-
zitternden zu zwingen, eine Stelle zwanzig-, dreiBig-, fiinfzig-, hundertmal
wiederholen zu lassen, immer wieder durch ein boses Wort unterbrechend,
immer wieder neuen Beginn zu fordern und nicht abzulassen, bis die Stelle
so kam, wie er sie wollte, weil er sie innerlich so gehort hatte. Denn er
wuBte wohl, was er tat, und seine scheinbare „Unmenschlichkeit tf und die
„boshafte" Lust, den andern zu qualen, war nichts anderes, als was jeder
tut, der die Welt des Theaters kennt: er ringt dem Zorn, der Verzweiflung,
dem AuCersichsein ab, was der widerstrebenden Borniertheit oder der absicht-
lichen Feindseligkeit in Ruhe nicht abzugewinnen ist; peitscht sie durch diese
fast sadistische Marter iiber sich hinaus zu Leistungen, zu denen sich keiner
fahig glaubte, und bringt sie zu Wirkungen, die dem Tobenden, zu tiefst Ver-
letzten dann erst die Augen dariiber offnen, daB der gehaBte Dirigent dort
droben doch besser gewuDt habe, was nottut, und daB er ihm noch fiir
seinen auCeren Erfolg und inneres Weiterkommen zu danken habe. Nur
daB die Kleinen, die menschlich Minderwertigen, das doch nie iiber sich
vermochten und vermogen; bei ihnen bleibt doch der HaB, die Rachsucht des
Beschamten obenauf. In solchen Augenblicken war Mahler wahrhaft un-
heimlich; er konnte wirklich dasitzen wie ein boser Affe, sein Gesicht
zuckte in tausend Teufeleien, er riB an den Nageln, der Blick seiner sonst
so wunderbar ruhigen, braunen, nach innen schauenden Augen wurde griin-
lich stechend wie der eines schlimmen Koboldes, sein weicher, fast frauen-
hafter Mund in einem hamisch verzerrten Lacheln versteint, das den rechten
Mundwinkel erschreckend tief herabzog; er hatte dann etwas beinahe
Grauenhaftes, Drohendes und Lahmendes zugleich; nicht nur fiir die Wert-
losen, die sich ihm aus Bosheit oder bloB aus Gedankenlosigkeit und Faul-
heit widersetzen wollten, sondern auch fiir willige, arglose, aber schwache
und scheue Naturen, die oft solch einen gar nicht ihnen zugedachten Blick
auf sich bezogen, verwirrt und verzagt wurden, in Fehler gerieten, und
nun erst recht zum Opfer seiner argen, grimmig sprungbereiten Wachsam-
keit wurden und ganz den Faden verloren.
Wenn er in solchen Fallen ungerecht war, so geschah es nur des-
halb, weil er vielleicht oft zu rasch war, Feindseligkeit und Widerstreben
vorauszusetzen, wo manchmal wirklich nur eine Verschiichterung und MiB-
trauen gegen die eigene Befahigung da war; es gab Sfinger, die seinen Blick
einfach nicht ertrugen, die aus dem Konzept kamen, und denen das schon
Beherrschte entglitt, wenn ein scharfer Strahl hinter den blitzenden Brillen-
glasern mitten auf sie zuschoB. Aber gerade die Besseren unter diesen
waren es bald, die sich dieser gleichgewichtlosen Kleinmutigkeit schamten
und alles taten, um durch vollige Sicherheit des Erlernens ihr kiinstlerisches
Gewissen robuster zu machen; die sich ganz aufschlieBen lernten bis an
die Grenze ihrer FShigkeit, ja oft, durch ein Lobeswort angespornt, zu dem
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v 1 1
D-i !i-u- :)y ViDlV^.v UNIVERSITY OF MICHIGAN
352 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
Mahler leicht bereit war, wenn er guten Willen und redliche Miihe fuhlte,
iiber diese Grenzen hinaus. Und so hat er oft das Wunder vollbracht,
auch mit Sangern mittleren Ranges unvergleichliche Vorstellungen zu
schaffen. Er war — bei den Kleinen von den Seinen — zu herzlicber,
ja zu ungebuhrlich iiberschwenglicher Anerkennung iramer geneigt. Bei
den GroBen dunkte es ihn unnotig, er wuDte, daB ihrer sicher in sich
ruhenden und sicher weiterschreitenden Kraft bloB Kopfnicken des Ein-
verstandenseins genugende Bekraftigung war, und daB sie nicht „Auf-
munterung", nur Bestatigung brauchten. Bei den anderen aber lieB er es
an solcher Aufmunterung nicht fehlen, und da mochte es vorkommen, daB
er, in jede Einzelheit des Kunstwerks verliebt, das er eben bereitete, oft
eine Sangerin, die einen bestimmten hohen, zart angesetzten Ton, einen
Sanger, der eine Phrase von bestimmtem Ausdruck besonders glucklich traf,
ohne sonst jene starken kiinstlerischen Komplexe eigen zu haben, die er
vom Gesangsdarsteller forderte, eben oft urn eines Taktes halber, den er
besonders nachdrucklich haben wollte, mit einer Rolle betraute und sich
dann des Lobes fur den Sanger nicht genug tun konnte, dem gerade diese
Stelle niemand nachmachen konne. Kein Wunder, daB dann solche Buhnen-
kiinstler, ohnedies entziindet und jeder Phantasie der Eitelkeit geneigt,
einen solchen, im Moment oft iibertriebenen Lobspruch gleich als An-
weisung auf die Zukunft, als einen Wechsel auf eine Laufbahn betrachteten,
zu der sie sonst nichts fahig gemacht hatte. Und noch weniger Wunder,
wenn sie es dann, als diese Zukunft ausblieb und ihre Laufbahn eine ihrem
Wesen, wenn auch nicht ihrer Einbildung gemaBe wurde, an Groll, Rankune,
Unlust zur Arbeit, ja an Feindseligkeit und Intrigen nicht fehlen lieBen.
Was ihnen in Wien leichter wird als irgendwo anders; denn nirgends wird
die Person des Darstellers zu solcher Wichtigkeit aufgeblaht; bestehen
solch wirksame Biindnisse zwischen Sangern und Reportern, die in der
Zeitung gleich mit aufgedonnerten „Affaren u bereit sind; wird Dichter oder
Direktor, Regisseur oder Dirigent, so hoch ihr kiinstlerisches Niveau das
des Biihnenkiinstlers iiberragen mag, so leicht dem „Liebling a gegeniiber
ins Unrecht gesetzt, ja oft bis zur Machtlosigkeit ausgeschaltet.
Eine solche Affare war denn auch der AnlaB fiir Mahler, von Wien
zu scheiden, und ware dem nicht so — wir hatten ihn und sein wunder-
voll groBes Beispiel vielleicht noch mitten unter uns. Aber auch wahrend
der unvergeBlichen und der Erinnerung, wenn auch nicht der realen Nach-
wirkung unverlierbaren zehn Jahre, in denen Mahler die Wiener Hofoper
fiihrte, hat es derartiger kindischer Kulissenstiirme mehr als zuviel gegeben,
die alle durch solch vermeintliche Zuriicksetzung oder „Wortbriiche a ver-
anlaBt waren; durch die Folgenlosigkeit mancher gegluckten Leistung —
aber eine Folgenlosigkeit, an der nicht Mahler, sondern das Versagen all
der „Kehlkopfe im Kosturn" schuld war. Das waren die Karrieren, die
r fV^r\ nir- Original from
lKy:uw :>y ^ lUU^It UNIVERSITY OF MICHIGAN
SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS 0PERND1REKT0R 353
Mahler vernichtete, die Existenzen, die er auf dem Gewissen hatte. Wer
noch naher zusieht, wird entdecken, dafi es sich niemals um wahrhafte,
vielseitig gebildete Begabung, ja kaum jemals um willensfreudige, ver-
trauensvoll und unverzagt dem groOen Fuhrer folgende gehandelt hat.
Keiner war bereiter als Mahler, selbst das geringfiigigste Zeichen eines
kunstlerischen Wesens zu beachten und fdrdernd seinem Werk einzufiigen,
das er als kostbares Erbe denen zu hinterlassen gedachte, von denen er
sich verstanden sehen und denen er nicht nur im Geistigen und Kunst-
lerischen, sondern auch im Technischen ein Meister, ein grofier Gebender
sein wollte. Dafi er auch hier Enttauschung erlebte, dafi es unter diesen
Jungern nur ganz wenige gab, denen der Kultus der eigenen geringeren
Personlichkeit nicht wichtiger und dringender war, als das Gebot, seinen
.heiligen Gral tt — so druckte er es selber aus — zu den anderen weiter
zu tragen, wenn er einmal nicht mehr sei — diese vom Standpunkt der
anderen aus menschlich begreifliche, aber ihm selber oft Stunden bitterster
Niedergeschlagenheit bereitende Tatsache soil auch in anderem Zusammen-
hang bedacht werden.
Unter den bedeutenden Kunstlern, die jetzt an der Wiener Hofoper
tatig sind und die fast durchwegs von Mahler gefunden und erzogen wurden,
wird vielleicht mancher sein, der von stacheligen Launen, ja, mag sein,
von grausamer Willkur des Augenblicks, aber keiner, der von Zuriick-
setzung oder gar von einer Hemmung seiner Entfaltung zu erzahlen vermag.
Das konnen nur die, deren Unproduktivitat vor Entfaltung sicher war. All
diese grofien Gesangsdarsteller, die Mildenburg und die Gutheil, Weide-
mann, Schmedes, Hesch und Mayr, aber auch andere Begabungen von
minder hohem, wenn auch genug reizvollem Wesen werden laut bekennen,
dafi sie das Beste, wenn nicht das Ganze ihrer Kunst der Fuhrung Gustav
Mahlers verdanken; dafi er ihnen Bereiche erschlossen hat, von denen sie
nichts geahnt hatten und die sie allein nie gefunden hatten; dafi er ihnen
Moglichkeiten der Vollendung gezeigt, eine Reinheit des Stils, eine uber-
redende und doch immer die schamhafte Keuschheit des Ausdrucks wahrende
Macht der Entaufierung und Entruckung gegeben hat, die mit den Scham-
losigkeiten des Theaterbetriebs nichts zu schaffen hatte, und die das
Werden, die Arbeit des Gestaltens, das langsame Erwachsenlassen eines
neu wiederzugebenden Werks noch mehr zu Andacht und Fest machte,
als es dann die endgiiltige Erfiillung vor den Vielzuvielen war. Aber auch
Mahlers boshafteste Feinde, auch jene, die von der Hoheit seiner Seele
und dem leidenschaftlichen Fanatismus seiner nur die Schopfung ver-
langenden und der Beschwerden der Wehleidigen nicht achtenden Kunst-
iibung keine Vorstellung haben konnten, weil ihrem nur auf Erfolg, Vor-
wartskommen, hohe Gage gerichteten Sinn von Anbeginn an jede derartige
von den Eitelkeiten des Ich abgewandte, nur der Sache dienende Regung
XIII. 6. 23
{ \ * ( m \\t* Original from
U-i :i-ua : )y lilJi^K UNIVERSITYQF MICHIGAN
354 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
fremd und unverstandlich bleiben muBte — auch diese haben immer ein-
gestehen mussen, daC die Arbeit mit Mahler, der Reichtum dieser schenkenden
Stunden, die Fiille der Anregung und des Lernens das Hochste war, was
sie erleben durften, und daC sie all die w Unbill a gem noch einmal ertriigen,
wenn ihnen noch solche „Probetage a mit Mahler vergonnt werden konnten.
Dieser „Unmensch a faszinierte alle. Sogar den Gehassigen. Um wieviel
mehr erst den, der sich ihm ganz ergab und fur den er zum Verhangnis
werden konnte; er war dann Hebbel gleich, hatte etwas vom „Gehirn-
raubtier", schopfte und leerte die Menschen aus, die nicht immer Vorrat
genug hatten, um ihn mit Mahler und an ihm zu erneuern. Er hat Menschen
gesucht und eben dadurch auch Menschen verbraucht wie wenig andere,
und hatte doch, wenn er nicht eben durch Niedrigkeit, Falschheit oder
Untreue enttauscht wurde, selbst eine oft ruhrende Treue gegen solche,
die ihm auch nur den Wahn des Verstandenwerdens gegeben hatten. Aber
von diesen gleichfalls viel verkannten und verleumdeten Beziehungen zu
sprechen, ist hier nicht der Ort und ist es, mit wenigen Ausnahmen, zu
friih: die, denen er sich darbrachte und denen er Wunden schlug, sind
noch zu nahe unter uns.
Mahler ist vielleicht menschlich von einem nicht freizusprechen: daG
er in seinem sachlichen Fanatismus gar kein Gefiihl fur Allzumenschliches
hatte; daO er ganz unfahig war, sich in kleine Gesinnung hineinzudenken,
und mehr: daC er unbarmherzig gegen sie war. Er wuCte es wohl gar
nicht, wie tief und unheilbar er die Empfindung schwacherer und gerade
durch ihre innere Unsicherheit verwundbarerer Menschen verletzte, und
konnte grausam gegen solche werden, bei denen er ihres kleinlichen Eigen-
diinkels oder auch nur ihrer kiinstlerischen Mangel halber manche Quali-
taten des Gemuts oder des Charakters iibersah. Auch kummerte er sich
gar nicht darum; er war immer so tief in seine Aufgabe verstrickt, dafi er
fur Sentimentalitaten nicht Zeit zu haben glaubte, und schroff beiseite
schob, was ihn hemmen konnte. Freilich aber: immer nur bei solchen,
mit denen auch nicht die geringste Verstandigung moglich war. Wo er
den Willen zur Mitfolge spiirte und Vertrauen zu seiner Fuhrung, hat er
sich auch immer aufgeschlossen, und wenn solche Mitarbeiter auch — wie
jeder, der mit ihm zu tun hatte — unter seinen sprunghaften Launen und
Unberechenbarkeiten zu leiden hatten, konnte sich doch nur Verstandnis-
losigkeit durch ihn wirklich verletzt und bis zur Unversohnlichkeit gekrankt
fiihlen. Sicher aber, daC gerade diese MiBachtung kleiner Menschlichkeiten
es war, die ihm unheilvoll wurde und die ihn und uns um die Vollendung
seines Reformwerkes brachte.
n - i ( Y\r\nli» Original from
u i, i, uu :), vktu^il UNIVERSITYOF MICHIGAN
EINE NACHLESE UNGEDRUCKTER WAGNER
BRIEFE
MITGETEILT VON LA MARA
I.
An Matteo Salvi,
Operndirektor in Wien 1 )
Wien, 18. Nov. 61.
Sehr geehrter Herr Direktor!
Ich lese in verschiedenen Blattern, unter Anderem in der Ost-
Deutschen Post von vorgestern, die Notiz, daB mir von der hohen k. k.
Hoftheater-Direktion fiir meine Oper „Tristan und Isolde" ein Honorar
als Reugeld ausgezahlt worden sei.
Ich glaube mich nicht ohne Anspruch auf Erfolg an Sie mit der
Bitte wenden zu diirfen, durch eine prompte Erklarung jener Behauptung
entgegen treten zu wollen, und erwarte Ihre gefallige Anzeige davon.
Mit groCter Hochachtung habe ich die Ehre zu verbleiben
Ihr sehr ergebener Diener
Richard Wagner
II.
An Buchhandler ? in Leipzig 2 )
Geehrtester Herr!
Mit meinem besten Dank fiir die letzten Besorgungen, ersuche ich
Sie heute mit der gefalligen Anschaffung der auf dem beifolgenden Zettel
verzeichneten Bucher fiir mich fortfahren zu wollen. Sie wiirden mich
sehr verbinden, wenn Sie zuvor von diesem Verzeichnisse Herrn Dr. H.
Brockhaus Kenntnifi geben und seine Meinung iiber die von mir getroffene
Auswahl einholen wollten; jedenfalls ware es mir lieb, wenn er bei dieser
Gelegenheit davon benachrichtigt wiirde, daB ich auf diese Weise zur
Selbsthilfe geschritten bin und ihn demgemaB von jeder Bemiihung in
dieser Angelegenheit befreit zu wissen wiinsche.
Die Zahlung wollen Sie gefalligst, nach Anzeige des Betrages an
mich bei Gelegenheit der Sendung, in Leipzig selbst von mir zugesendet
erwarten, da ich es leichter habe eine Zahlung an Sie dort anzuweisen,
J ) Autograph in der Bibliothek der Accademia Santa Cecilia in Rom.
2 ) Autograph aus dem Besitz von Frau Sofie Schubart-Czermak in Dresden.
23*
.* 1' Original from
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D-i !i-u- :)y ViOl Vy v UNIVERSITY OF MICHIGAN
356 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
als die nicht unansehnliche Vertheuerung durch die Kosten des Postvor-
schusses zu tragen.
Fiir den Einband der Bucher werde ich von jetzt an hier am Orte
selber sorgen, da ich neuerdings mit einem geschickten Buchbinder mich
zur Zufriedenheit eingerichtet habe.
Hochachtungsvoll ergebenst
Richard Wagner
Luzern, Hof Tribschen, 15. Juni 1869.
[Auf einem beiliegenden Zettel:]
1. Weber. „Indische Studien", Berl. u. Lpz. 1848.
(Auswahl der Bearbeitungen der „Upanishat a .)
2. 1 ) Roth. „Zur Literatur des Veda.* Stuttg. 1846.
3. Brockhaus. Indische Mahrchen. Aus dem Sanskrit iibersetzt.
(Deutsch.) Lpz. 1859. (2 Bdchen.)
(Die Ubersetzung allein. 2 Thle. 1843.)
4. „Prabodhatschandrodaya a (deutsch iibersetzt) Konigsb. 1842 (bei
Theile).
5. Wilson. Indisches Theater, (deutsch iibers. von Wolff.) 2 Bde.
Weimar 1828.
6. Benfey. Pantschatantra. Indische Fabelsammlung. (Deutsch.)
Leipzig 1859. 2 Bande.
7. Lassen. „Indische Alterthumskunde.* 4 Bde. Bonn (1844 — 61).
Bd. 1 (2. Auflage) Lpz. 1867.
8. Saint-Hilaire. „Essai sur la philosophic S&nkhya. a Paris 1852.
9. Colebrooke. „Essai sur la philosophic des Hindous." Franzosisch
von Pauthier. Paris 1833.
III.
An die Hofoperndirektion in Wien 2 )
Werthester Freund !
Es thut mir wahrhaft leid, dafi die erste Nachricht, welche ich seit
meinem Fortgange aus Wien von dorther erhielt, die beiliegenden Zeilen
des Fraulein v. Siegstadt sein muBten.
Uber die Beurlaubung dieser Dame war ich mit Herrn Direktor Jauner
vollstandig iibereingekommen; es schien mir dies auch im Einklang mit
') Daruber steht von fremder, vcrmutlich von Prof. Brockhaus* (Wagners
Schwager) Hand, deren Korrektur auch an anderer Stelle sichtbar ist, eingefugt:
w Colebrooke uber die Vedas, Qbers. von Poley."
2 ) Autograph dieses und der folgenden 2 Briefe aus dem Besitz von Opern-
direktor Jauner in Wien.
n-i:v";i^r
i P<>c\oIr Original from
' :)vVjUU 5 IL UNIVERSITYOFMICI
LA MARA: UNGEDRUCKTE WAGNERBRIEFE 357
den Versicherungen des Fiirsten Hohenlohe zu stehen, welcher mir schlieClich
von selbst das Versprechen gab, jedc erdenkliche Rucksicht auf meine
Auffuhrungen in Bayreuth zu nehmen. Sollten dagegen dies Alles nur
schone Worte gewesen sein? Ich wiirde fur diesen Fall annehmen, dafl
man den Vorsatz gefafit, mich in Wien nicht wiederzusehen. —
Eine freundliche Nachtfcht fiber den Fortgang des Lohengrin ware
mir wohl erwunschter gewesen; ich liugne das nicht!
Vielleicht folgt alles Gute noch nach?
Mit den besten Gruflen
Ihr ergebenster
Richard Wagner
Bayreuth, 20. Dez. 1875.
IV.
An Operndirektor Franz Jauner in Wien
Geehrtester Freund!
Wegen Mifibrauches der ihm eingeraumten Rechte, ist gegen F. die
Klage meinerseits einem ausgezeichneten Advokaten Berlins ubergeben. 1 )
Es ist mir unmoglich zugleich einen Revers zu unterzeichnen, welcher ihm
die usurpirten Rechte im allerweitesten Mafie zuerkennen wiirde. Ich
unterdriicke den Ausdruck meiner Verwunderung iiber die vom Herrn
Finanzprokurator mir gestellte Zumuthung, bekenne aber zugleich das Leid-
wesen, in welches mich dieser Fall in Betreff der Direktion des k. k. Hof-
operntheaters versetzt. Da ich unverantwortlich handeln wiirde, zu Un-
gunsten meines und meiner Erben Vermogensstandes eine zu
begiinstigen, mufi ich es vorziehen, ein Einschreiten der k. k. Hofopern-
direktion, welche hierzu vielleicht gegen mich gedrangt sein durfte, abzu-
warten, da ich zu gleicher Zeit mein Recht auf das Energischeste zu
verfolgen gedenke
Sie werden als zartfiihlender Mensch und Kiinstler, leicht ermessen,
wie leid es mir thut, meinen letzten GruB aus diesem fur uns Beide so
ergebnifireichen Jahre in dieser Weise an Sie richten zu miissen. Noch
bleibt mir jedoch die schone Erinnerung an meinen „ Lohengrin" I
l ) F., in Nachfolge Mesers Verleger des w TannhSuser a , stellte die Forderung,
an den zwischen Wagner und der Wiener Opernleitung vereinbarten Tantiemen fur
die nachkomponierten Tannhauserszenen partizipieren zu wollen. Er hatte sich,
wahrend der ProzeB zwischen ihm und Wagner schwebte, an die Direktion der Hof-
oper mit dem Verlangen gewandt, dali weitere Auffuhrungen des „Tannhauser a
unterbleiben sollten, bis das Gericht gesprochen haben wurde. Doch ging die Direktion
nicht darauf ein; auch entschied das Gericht zu Wagners Gunsten.
f "" > \ -\] - Original from
D-i :i/ua :>y ^ fOO^K UNIVERSITY OF MICHIGAN
358 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
Bitte griiBen Sie Nollet, Miiller und Frau Kupfer herzlichst von mir!
Sie haben mir als wahrhaft gute Kinder groBe Freude gemacht. Meine
Erkenntlichkeit fiir den Chor hoffe ich sehr ernstlich nachstens bezeugen
zu konnen: im Betreff der von Ihnen so wiirdig zugestandenen Benefiz-
auffiihrung bitte ich Sie nur die Direktions-Einnahme an diesem Abend
so gering wie raoglich zu bezeichnen, wogegen ich jedenfalls auf die
Tantieme dieser Vorstellung, so wie auf Ersatz der Reise- und Aufent-
haltskosten durchaus verzichte. Jeden Tag, der Ihnen beliebt, bin ich
bereit einzutreffen.
Die herzlichsten GriiBe von Haus zu Haus von
Ihrem
sehr ergebenen
Richard Wagner
Bayreuth, Sylvesterabend 1875.
V.
An Operndirektor Franz Jauner in Wien
Theuerster Freund!
Es ergeht an Sie die Bitte, das uns verheiBene Don Juaner- (Jauner)
Gastmahl auf 4 Uhr anzuberaumen, falls Ihnen dieB nicht unangenehm
ist. — AuBerdem ersuche ich Sie noch urn die ErlaubniB (oder Gestattung)
nebst dem Fiirsten Liechtenstein und Dr. Standhartner auch raeinen armen
(sonst vernachlassigten) Freund Dr. Gustav Schonaich mitbringen zu diirfen.
Gott wird Ihnen hierbei helfen, in welcher festen Annahme ich ver-
harre als
Ihr
allezeit Musikdirektionsbeflissener
Supernumerar- Kapellmeister
Richard Wagner
Wien, 3. Marz 76.
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DIE NOT DER BOHNEN- KOMPONISTEN
VON EDGAR ISTEL IN BERLIN-WILMERSDORF
Die „Musik a hat im zweiten Novemberheft des laufenden Jahrganges einen
„Aufruf zur Grundung einer Organisation von Komponisten ernster dra-
matischer Werke" des Herrn Dr. Konta in Wien veroffentlicht und sich
damit dankenswerterweise zum Organ einer Bewegung gemacht, die sicher
noch weitere Kreise Ziehen wird, wenn sie wohl auch auf ganz anderer Basis, als
Dr. Konta sich denkt, zum Ziele kommen durfte. Da Herr Dr. Konta zum SchlufJ
Vorschlage und Rat von „Leidensgenossen a erbittet, darf ich mir wohl gestatten,
auf Grund meiner Erfahrungen einiges zur Sache beizutragen, und ich hoffe, daQ
meine Ausfiihrungen wiederum zum Ausgangspunkt weiterer Erorterungen werden,
denen die „Musik a , soweit sie sich rein sachlich halten, auch weiterhin Raum
gonnen wird.
Der langen Rede kurzer Sinn war bei Herrn Dr. Konta folgendes, das zu
rekapitulieren wohl nicht ganz unnotig ist:
1. Es soil eine ^Organisation der Komponisten ernster dramatischer Werke"
geschaffen werden.
2. Die betreffenden Komponisten sollen zunSchst einmal, bis die Organisation
lebt und lebensfahig ist, „auf einige Woe hen" (?!) weder Theatern noch
Verlegern ihre Wcrke anbieten.
3. Die Organisation soil dann „das wirtschaftliche Elend, das nach Beendigung
eines Buhnenwerkes den Schaffenden niederdruckt, aus der Welt schaffen."
Insbesondere: „Das Hausieren mit der neuen Arbeit soil vermieden werden,
und der Zwang zur Verschuldung durch die auf Kosten des Kiinstlers ge-
forderte Herstellung des Materials soil aufhoren."
Diesen drei Punkten fiigt Dr. Konta die Bemerkung an, er hatte eine Reihe
von Vorschlagen zu machen, wie diesen Hauptubeln abgeholfen werden konnte,
— aber gerade die Sufterst wichtigen positiven Vorschlage, wie die gerugten Zu-
stSnde gebessert wurden, bleiben vorlaufig Geheimnis des Herrn Dr. Konta. Fragen
wir nun lieber gleich, ob uberhaupt diesen Ubeln abgeholfen werden konne? Dazu
mussen wir uns die einzelnen Punkte der Kontaschen Feststellungen einmal genauer an-
sehen. Schon der erstePunkt leidet an einem bemerkenswerten Mangel an Klarheit. Was
heifit zunSchst: ^Komponisten ernster dramatischer Werke"? Herr Dr. Konta meint
das doch sicher nicht so, dafi nur Komponisten blutrunstiger Texte beitreten durfen,
wahrend Verfasser heiterer Opern nicht zugelassen werden? Bleibt also nur die
Deutung: Komponisten, die kunstlerisch ernst zu nehmen sind. Ich vermute, Dr. Konta
will hier gegen die von ihm nicht kunstlerisch ernst genommenen Operettenkompo-
nisten Front machen. Nichts verfehlter als dies! Die Komponisten der „Fledermaus a
und der „Schdnen Helena" sind sicherlich kunstlerisch ernster zu nehmen als viele
der Kapellmeistergefolgschaft Wagners, und mir personlich wenigstens ist eine so
entzuckend delikate Partitur wie die von Leo Falls „Lieber Augustin" ungleich
kunstlerisch wertvoller als die Erlosungs- und Stabreim - Opern der Gegenwart.
Mit solcher Menschenmakelei kommen wir also nicht weiter. Da sind doch die
Literaten weit taktvoller und — gescheiter. Vor wenigen Tagen erst fand die Haupt-
versammlung des „Verbandes deutscher Buhnenschriftsteller" in Berlin statt, eine seit
mehreren Jahren bestehende Organisation, der rund 200 dramatische Autoren, darunter
allerdings nur sehr wenige Komponisten — ich habe die Ehre, gleichfalls dazuzu-
gehoren — beigetreten sind. Die Aufnahmebedingungen fur die Mitgliedschaft sind
.. 1' Original from
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D-i !i-u- :)y ViDlV^.v UNIVERSITY OF MICHIGAN
360 DIE MUS1K XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
sehr streng: der Autor muB, abgesehen davon, dafi er eine Aufnahmekommission zu
passieren hat, mit eincm abendfiillenden Buhnenwerk an einem offentlichen Theater
— keine Liebhaberbuhne! — in einer Stadt von mehr als 200000 Einwohnern wenigstens
dreimal zur Auffuhrung gekommen sein. In dieser also sehr durchgesiebten Ver-
sammlung beriet man unter anderem uber die Forderung junger Talente, die es auch
in der Literatur auGerordentlich schwer haben, aufgefuhrt zu werden; denn es bleibt
eben der ewige circulus vitiosus: wer nicht bekannt ist, wird nicbt aufgefuhrt, und
wer nicht aufgefuhrt ist, wird nicht bekannt. Da sprach Hermann Sudermann
in der Debatte ein paar prSchtige Worte, die ich hier zu Nutz und Frommen der an-
scheinend viel weniger demokratisch gesinnten Musiker dem Sinne nach wiederhole:
„Hier gibt es keine beruhmten und unberuhmten, keine genialen und talentierten,
keine Ewigkeits- und Tagesschriftsteller, sondern einfach nur Kollegen: wir sind
hier alle gleich.* Konnten wir ewig im Streit liegenden Musiker uns nicht auch
einmal zu solcher vornehmen Gesinnung emporschwingen? Aber es ist nicht
nur taktlos, sondern auch unklug, die Operetten- und Possenmusiker von
vornherein auszuschliefien. Eine Organisation gegenuber den Buhnen kann nur
dann wirklich funktionieren, wenn sie Macht und Geld ihr eigen nennt. Wie viele
„ernste a Komponisten aber haben heute eine solche Macht und solche Einnahmen,
daB sie den Direktoren notigenfalls ihren Willen zugunsten der weniger gesegneten
Kollegen aufzwingen konnten? Denn darauf kommt es an: gutwillig werden
die Buhnen niemals MiGstfinde abscbaffen! Das Deutsche TheateradreQbuch von
1912/13 — der eben erschienene neuejahrgang 12Bt leider diese wichtige Rubrik ver-
missen — zahlt die meistaufgefuhrten Autoren auf. Unter den lebenden „ernsten"
deutschenOpernkomponisten finde ich nur vier und, wenn man den von einem deutschen
Vater abstammenden Deutsch-Italiener Wolf- Ferrari dazu rechnet, funf Komponisten
deren Auffuhrungsziffern das Mittelmafi uberschreiten. Es sind dies: d'Abert mit 362,
Humperdinck mit 315, Kienzl mit 127, Straufi mit 443 und Wolf-Ferrari mit 134 Auf
fuhrungen. Diese Ziffern bleiben weit hinter den Auffuhrungszahlen der groCen
Toten — Wagner, Verdi, Bizet, Gounod, Lortzing, Mozart, Weber usw. — zuruck und
noch viel weiter hinter denen der Auffuhrungsziffern der lebenden Operettenkompo-
nisten, von denen nicht weniger als zwolf mit ganz ungeheuerlichen Ziffern flgurieren,
z. B. Lehar mit 3176 und Fall mit 3168 Auffuhrungen. Und nun will ich Herrn
Dr. Konta auch noch ein offenes Geheimnis verraten: Selbst die „Vertriebstelle des
Verbandes deutscher Buhnenschriftsteller" macht nur deshalb so glanzende Geschafte,
weil sie fast sSmtliche Werke von Jean Gilbert hat, dem Autor der von alien „ernsten*
Komponisten sicher nicht sehr wertgeschatzten „Tangoprinzessin a und Shnlicher
leichter Ware. Wie soil nun den armen „ernsten" Autoren geholfen werden, wenn
nicht mit dem Gelde der so verachteten Unterhaltungskunstler? Gibt es eine andere
Moglichkeit? Ich kenne keine, es sei denn, man uberrede irgendeinen Krosus, ein
MilliSnchen oder mehr zu dem menschenfreundlichen Zwecke des Herrn Dr. Konta
zu stiften. w Geschafte, nicht Literatur machen soil die Vertriebsstelle", wurde
neulich unter allgemeinem Beifall in der geschilderten Generalversammlung aus-
gerufen. „Realpolitik, nicht Gefuhlspolitik treiben", rufe ich jetzt Herrn Dr. Konta
zu. Keine irgendwie lebensfahige Organisation wird die Opernkomponisten der
Muhe uberheben konnen, auch ein wenig kaufmannisch geschult zu sein und sich
um ihre eigenen Angelegenheiten zu kummern. Das wirtschaftliche Elend selbst
konnte nur ein Almosen und Vorschiisse verteilender Verein mildern, von dem es
aber ratselhaft bleiben wird, woher er seine Gelder beziehen soil. Wer nicht mit den
realen Machtfaktoren seiner Zeit rechnen kann, der soil eben lieber Symphonieen statt
Opern schreiben. Zu irgend jemandem mufl der Komponist nun schon einmal, ehe
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u i, i, uu :), vktu^il UNIVERSITYOF MICHIGAN
ISTEL: DIE NOT DER BUHNEN-KOMPON1STEN 361
er beruhmt und also begehrt ist, sein Werk tragen, und wem es entwurdigend erscheint,
selbst zu Kapellmeistern und Direktoren zu fahren, der muB mindestens zu den Ver-
legern und Agenten gehen, die zwar gerne ihre Prozente einstreichen, aber trotzdem
alle Muhe und Arbeit dem Autor uberlassen. Komme icb nun zum Schlufi, so
meine ich:
1. Eine Organisation aller Buhnen- Komponisten ohne jede Ausnahme, mit
alleinigem strengen AusschluB der Dilettanten, ist dringend notig, schon des Rechts-
schutzes halber.
2. Nur eine kaufrnfinnisch geleitete Vertriebsstelle kann den Komponisten ein
entwurdigendes Hausieren abnehmen.
3. Beide Organisationen sind bereits fertig vorhanden und braucbten nur fur
spezielle musikalische Bedurfnisse etwas erweitert zu werden: der Verband deutscber
Buhnenschriftsteller (Adresse: Berlin W, MotzstraBe 19) sieht ausdrucklich auch die
Aufnahme von Buhnen - Komponisten vor, und treten diese in groBerer Zabl beu
so wird ihnen sicher auch der entsprechende EinfluG auf die Fuhrung der Vereins-
angelegenheiten einger2umt werden. Die vereinigten Buhnenschriftsteller und
Komponisten aber werden eine Macht bilden, die auf unser gesamtes Theaterwesen
einen ungleich st^rkeren Druck auszuuben vermag als die immer sehr schwer unter
einen Hut zu bringenden und als Einzelgruppe fast einflufilosen „ernsten tt Kompo-
nisten. Mich sollte es freuen, wenn recht viele Kollegen meinem Rate folgten, so
daft ich in der nachsten Hauptversammlung nicht wieder der einzige Musiker bin;
dann werden wir der Gesamtheit der dramatischen Kollegen wohl auch einmal die
speziellen Musikerschmerzen vortragen konnen, und ich bin gewiB, wir werden bei
der groftzugigen und vornehmen Gesinnung dieses Verbandes auch hierfur ein offenes
Ohr finden. Vor der Eigenbrodelei einiger weniger Manner, die weder Geld noch
Macht in die Wagschale zu legen haben, mochte ich jedoch dringend warnen. Und
nun warte ich gerne darauf, daB dieser Vorschlag offentlich weiterdiskutiert wird.
r f^^^^Ii- Original from
U!;j:i,:.x!:)-A..l)0}K UNIVERSITY OF MICf
BESPRECHUNGEN
BUCHER
70. Armin Osterrieth: Der sozialwirt-
schaftliche Gedanke in der Kunst.
Helwingsche Verlagsbuchhandlung, Han-
nover. (Mk. 2.—.)
Was der Verfasser hier in zusammen-
hangender Form darstellt, hat er zum Teil
bereits in der „Musik al ) und in anderen Zeit-
schriften erortert. Man kann ihm theoretisch
in vielen wesentlichen Punkten beistimmen und
vor allem in der Beseitigung des Zwischen-
handels auf kunstlerischem Gebiete das zurzeit
erstrebenswerteste Ziel einer vernfinftigen
p Kunstpolitik a erblicken. Ich glaube aber, daB
in praxi durchaus nicht alles schon und gut
werden wfirde, sobald die Kfinstler sich organi-
sieren und ihre geschaftlichen Angelegenheiten
selbst erledigen. Erstlich, weil es den Kfinstlern
zumeist an kaufmSnniscber Begabung und Er-
fahrung fehlt; und zweitens, weil Kunstler-
organisationen, wie man weiB, fast immer zu
Cliquenbildungen fuhren, die in materieller
Hinsicht vielleicht keinen allzu groBen Scbaden
anrichten, in ideeller Hinsicht aber sicberlich
noch viel gefahrlicher sind, als die oft skrupel-
losen Geschaftsleute, denen die Kunstler bisher
ausgeliefert waren. — Die Lage der Schauspieler
und der bildenden Kunstler fiberschaut der
Verfasser mit klarem Blick; dagegen scheint er
auf musikalischem Gebiete nicht ganz so gut
orientiert zu sein. So weiB er z. B. gar nicht
genug Rfihmenswertes fiber die Genossenschaft
deutscher Tonsetzer zu sagen; aber er sieht die
andere Seite nicht: Ffinf Jahre lang ist jeder
Neueintretende w auBerordentliches a Mitglied, hat
als solches weder Sitz noch Stimme in den
Generalversammlungen, darf sogar nicht einmal
zuhoren(!), ist aber trotzdem an alle Beschliisse
der Generalversammlungen gebunden, denen er
sich bedingungslos unterwerfen muB, wenn er
nicht einen sehr wesentlichen Teil seiner Recnte
(sogar den Anspruch auf eine Alterspension)
verlieren will; nach diesen funf Jahren wird er
nur dann ordentliches Mitglied, wenn die Haupt-
versammlung ihn hierzu „ernennt a usw. usw. —
Sehr schwierig ist die Frage des Zusammen-
schlusses der konzertierenden Kunstler. Die
„Beruhmten a werden nicht mitmachen wollen,
schon deshalb nicht, weil sie es nicht notig
haben, zudem mit ihren Agenten ganz gut aus-
kommen und sich vor allem keine Konkurrenz
groflziehen wollen. Ohne sie kann aber keine
Organisation etwas Wesentliches erreichen.
(Vgl. die Geschicke des Dusseldorfer Verbandes.)
— Von einer rigorosen Anwendung des Stellen-
vermittlungsgesetzes auf die Agenten verspreche
ich mir auch nicht sehr viel. Wenn diese nur
noch Vermittler, aber nicht mehr Unternehmer
sein dfirfen, was ware damit erreicht? Gar nichts.
Solange sie kapitalkraftig sind, wird man nur
das durchsetzen, daft sie nominell nicht mehr
als Unternehmer fungieren dfirfen; im fibrigen
bleibt alles beim alten, — Die Agenten und
Verleger sind fibrigens gar nicht so schlechte
Menschen, wie die Fernerstehenden zumeist
glauben; dali sie als Geschaftsleute Geschfifte
>) XII, 17, S. 305
7, S. 305 tl-^ y
/nil :«v C jOOtflC
machen wollen, kann man ibnen schliefilich
nicht verdenken; dafl sie aber nur Gescbafte
machen wollen, ist einfach nicht wahr. Un-
zahlige junge Kunstler sind durch den sicberen
Instinkt und die mutige Initiative der Agenten
und Verleger zu Ruhm und Geld gekommen.
Wen haben denn je die berfihmten Kollegen
(StrauB, Nikisch, Weingartner usw.) gefordert?
Fur welchen unbekannten Komponisten haben
sich jemals berfihmte Sanger und Sangerinnen
eingesetzt, wenn sie nicht hohe „Ehrenhonorare"
daffir bekamen? Herr Osterrieth hat offenbar
niemals hinter die Kulissen gesehen. — Uber-
haupt: Das Eindringen sozial-wirtschaftlicher
Ideen in die Kfinstlerkreise erscheint mir weniger
wichtig als das Eindringen kunstlerischer Ideen
in die Kreise derjenigen Kapitalisten, denen die
Kunst vorwiegend ein Handelsartikel ist, und
derjenigen Konsumenten, denen sie nur ein
nebensachliches Amusement bedeutet. Wir be-
kommen eine kfinstlerische Kultur nicht dadurcb,
daB wir die Kunstler zu tuchtigen Geschafts-
leuten heranbilden, sondern viel eher dadurcb,
daB wir die Geldmenschen wieder zu dem
machen, was sie fruher waren: zu Mazenen der
Kunstler. Man darf nicht vergessen, dafl die
Kunst kein unentbehrlicher Handelsgegenstand
wie Fleisch und Brot, sondern ein Luxusanikel
ist, dessen Absatzgebiet auch die idealste
Organisation niemals festigen und erweitern
kann, wenn die Liebhaber aussterben. Das isfs,
darum handelt sich*s! Der Verfasser hofft, es
werde sich w an der unmittelbaren Beruhrung
und Reibung der organisierten Kunstlerschaft
und des organisierten Kunstpublikums" der
w Kunstgedanke a entzunden. Mit Verlaub: Das
ist phraseologischer Unsinn, das ist argste Ver-
kennung der Voraussetzungen und Bedingungen
jeglicher kunstlerischen Wirksamkeit. Wir
brauchen ausubende Kunstler, die ihre Horer im
tiefsten Innern ergreifen, wir brauchen Kompo-
nisten, die den Inhalt ihrer Zeit kunstlerisch zu
gestalten verstehen, wir brauchen ein Publikum,
das in der Kunst sich selbst, seine erhabensten
Freuden und seine tiefsten Leiden sucht und
wiedererkennt; aber wir brauchen nie und
nimmer organisierte, bilanzsichere Kunst -
produzenten und -konsumenten. Kein wahrer
Kunstler sucht fur das, was er gibt, Eier, Butter
und KSse, oder meinethalben Kaviar und Austern
einzuhandeln. Er schafft nicht, um zu leben
(am allerwenigsten, um „gut u zu leben), sondern
er lebt, um zu schaffen. Nur die Tingeltangel-
komponisten und die Operettenschreiber arbeiten
fur ihren Geldbeutel und ihre Verdauung; nur
ihre TStigkeit (die keine kfinstlerische Tatigkeit
ist) laBt sich dem allgemeinen Wirtschaftsbetrieb
eingliedern. Eine Operette kann ein unent-
behrlicher Gebrauchsartikel sein; ein Streich-
quartett ist immer nur ein Luxusgegenstand,
fiberflussig im wirtschaftlichen Sinne. — Kunst
ist Geschenk; sie rechnet auf Dankbarkeit, aber
sie kann niemals mit fasten Verdiensten rechnen.
Ein Kulturfaktor kann sie nur sein, solange es
Mazene gibt. (Bemittelte, die zugunsten der
Unbemittelten fur kfinstlerische Darbietungen
mehr ausgeben, als ihnen diese wirklich wert
sind.) Von den Gegengeschenken ist nicht zu
reden. ^JehweiiBrWohl, der eine Kunstler wird
Original fronV
UNIVERSITY OF MICHIGAN
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
363
zu reich beschenkt, und der andere darbt un-
verdient. Aber das war schon vor 1000 Jahren
so und wird nach abermals 1000 Jahren trotz
aller Organisationsversuche nicht anders sein.
Quod Deus bene vortat.
Dr. Richard H. Stein
71. Julius Kapp; Paganini. Eine Biogra-
phic Mit 60 Bildern. Verlag: Schuster &
Loeffler, Berlin und Leipzig. (Mk. 5. — .)
Es war eine sehr gute Idee des Autors, seiner
Biographte des groBten Klaviervirtuosen des 19.
Jahrhunderts, Liszts, eine Lebensbeschreibung
des groBten Violinvirtuosen derselben Zeitepoche
folgen zu lassen, um so mehr, als wegen der
Durftigkeit der vorhandenen deutschen, auBer-
dem auch vollig veralteten Paganiniliteratur ein
direktes Bedurfnis nach einer solchen Biogra-
phie unleugbar vorhanden war. Der Verfasser,
dessen Darstellungstalent und flotte Schreibweise
uns wieder ein sehr lesbares, auch stofflich inter-
essantes Buch geschenkt hat, hat die groBte
Muhe auf Herbeischaffung neuen Materials ver-
wendet; vor allem stand ihm der handschrift-
liche NachlaB des groBen Geigers, insbesondere
dessen Ausgaben- und Einnahmenbuch zur Ver-
fugung. Mit mancher Legende hat er grundlich
aufgerSumt. So wird man jetzt nicht mehr be-
haupten durfen, daB Paganini Berlioz aufgefordert
babe, fur ihn ein Konzert fur Bratsche zu kom-
ponieren; dies ist nur von Freunden Berlioz'
aufgebracht worden, um fur diesen mehr Inter-
esse zu erregen. Als Spender der beruhmten
20000 Francs fur Berlioz ist die Personlichkeit
des iiberaus geizigen Paganini auch nur von
einem unbekannt bleiben wollenden Wohltater
vorgeschoben worden. Wohl aber bleibt auch
nach Kapps Forschungen die Moglichkeit ofPen,
daB Paganini eine Zeitlang im Gefangnis ge-
sessen hat, wenn auch die Legende, daB er dar-
in sein Spiel auf der bloBen G-Saite ausgebildet
habe, haltlos ist. Von den zahllosen Liebes-
handeln des Kunstlers, dessen Leben wirklich
ein Roman gewesen ist, berichtet Kapp sehr
Interessantes, auch von seiner Leidenschaft fur
das Spiel, zu dessen volliger Aufgabe er in einem
besonders kritischen Fall ahnlich wie Wagner
sich dann entschlossen hat. Sehr verdienstvoll
ist die biographische Tabelle, die Zusammenstel-
lung von Berichten beruhmter Zeitgenossen, die
Paganini-Bibliographie und der Nachweis seiner
zahlreichen ungedruckt gebliebenen Komposi-
tionen. Interessant sind die mitgeteilten AuBe-
rungen Otokar Sev6iks uber die Bedeutung Pa-
ganini's in der Geschichte der Violine; miBver-
standen kann darin leicht werden, was uber die
von Paganini beliebte Umstimmung der Violine
gesagt ist; er spielte doch tatsSchlich in D-dur,
nie in Es-dur (wie das Orchester), wenn er seine
Violine einen halben Ton hdher als das Orches-
ter einstimmte. Diese Umstimmung (einen hal-
ben Ton hoher) hat ubrigens Mozart vielleicht
als erster in seiner Konzertante fur Violine und
Bratsche in Es fur die Bratsche vorgeschrieben.
Das auBerordentlich reichhaltige Bildermaterial
enthait naturlich auch verschiedene Proben der
Schriftzuge und Notenschrift Paganini's. Infolge
der vornehmen Ausstattung eignet sich das Buch
sehr gut als Geschenk fur Geiger.
W i 1 h e 1 ny A*l t m a n n t
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MUSIKALIEN
72. Theodor Blumer juii.: Drei Klavier-
stiicke. op. 30. Verlag: N. Simrock, G. m.
b. H., Berlin und Leipzig. (Mk, 2. — .)
73. Desire Paque : Chants intimes, suite
poStique. op. 36. (Mk. 3.—.) — Im-
promptu, op. 49. (Mk. 2.—.) — Huit
morceaux. op. 56. (Mk. 3. — .) — Six
morceaux. op. 59. (Mk. 3.— .) Verlag:
N. Simrock, G. m. b. H., Berlin und Leipzig.
Von den kleinen Klavierstucken Blumers
spricht am meisten No. 3 (Rdverie) mit seinen
rhythmischen Feinheiten an; die beiden andern
sind sprode in der Erfindung und oberflacblich
in der Wirkung. Paque hat zweifellos Ideen,
weiB sie aber nicht immer formgerecht und
wirkungsvoll zu behandeln. Am wenigsten be-
friedigt das etwas fadenscheinige Impromptu;
von den kleinen Stucken, die sehr ungleich-
artig in Gedanken und Aufbau sind, sind die
der ersten Sammlung samtlich besser als die
der zweiten; in der Suite uberwiegen hinein-
geheimnisste auBermusikalische Gedanken mit
unklarer Symbolik den rein tonlichen Gehalt,
der gering ist.
74. Eugen Gunst: Sonate-fantaisie (f-moll)
pour piano, op. 8. Verlag: P.Jurgenson,
Moskau und Leipzig. (Rbl. 2. — .)
75. Gottfried von Lingeu: Son ate fur
Klavier in d-moll. op. 4. Odeonverlag,
Munchen. (Mk. 5. — .)
76. Otto Manasse: Metamorphosen fur
Klavier. Verlag: Ries & Erler, Berlin.
(Mk. 3.-.)
Sehr unerfreuliche Belege mangelnder rein
musikalischer Begabung, die sich aufs Kom-
ponieren legt. Weder wirklich lebensfahige
musikalische Ideen noch Gefuhl fur formale
Behandlung und Architektonik ist vorhanden,
dagegen macht sich ein durchaus abstraktes,
blutleeres Tonspiel geltend, Uber Manasse's
ungenieBbarer Komposition steht frevelhafter-
weise der Name Bachs, dessen Tone den
Ariadnefaden bilden, an dem man, leider erst
nach einigen Irrfahrten, das Labyrinth ver-
lassen kann.
77. Hugo Riemann: Zehn Klavierstucke
zu zwei HSnden. (Riemann-Album.) Ver-
lag: C. F. Kahnt Nachf., Leipzig. (Mk. 1.50.).
78. Josef WeiB: Suite in Walzerform fur
Pianoforte, op. 40. Verlag: F.E.C.Leuckart,
Leipzig. (Mk. 3.—.).
Die beiden anspruchslos auftretenden, aber
gediegene Musik leichteren Genres enthaltenden
Hefte wird man im Unterricht mit Nutzen
brauchen konnen. Ich hebe besonders die Suite
hervor, der in hochst grazioser Weise Walzer-
taktierung zugrunde gelegt ist.
Albert Leitzmann
79. Hans Huber: Ein Liederspiel nach
alten Tanzliedertexten, fur Manner-
chor, Soli und zweihandige Klavier-
begleitung. Verlag: Max Pohl-Wohnlich,
Basel. (Kl.-A. Mk. 3.-.)
DerKomponisthatdenvolkstumlichenDialekt-
versen eine musikalische Fassung, etwa im Stil
eines modulatorisch und harmonisch gesteigerten
Genre w Koschat tt , gegeben. Den beschrankten
Moglichkeiten des ilf|^g^pcji|cf ^^s verleiht die
UNIVERSITY OF MICHIGAN
364
DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
flotte Klavierbegleitung reichere Farben. Die
Soli sind kurz und konnen von Vereinsmitgliedern
ubernommen werden. Das unterhaltende Opus
cignet sich fur muntere, interne Gesangvereins-
veranstaltungen.
80. Heinrich Rficklos: Zehn ausgew2hlte
Lieder. (Einzeln Mk. 0.80 bis 1.—.) — Funf
Lieder. (Komplett Mk. 2.—.) Verlag: Carl
Gruninger (Klett & Hartmann), Stuttgart.
Alles ziemlich harmlose Erzeugnisse, zur
Befriedigung der Bedurfnisse musikalischer
SpieBbiirger. Von den zehn Liedern sind w Mor-
genlied* (Eichendorff), „Mittagszauber" (Geibel)
und „Wiegenlied a (Hebbel) relativ am besten ge-
raten. Desselben Dichters wundervolles „Gebet a
ist geradezu erstaunlich bose musikalisch ver-
ballhornt. — Unter den funf Liedern macht sich
„Winter u (Arno Holz) als bestes bemerkbar.
81. L. Seemann: Zwei Lieder. op. 9.(Mk. 1.50.)
— Vier Lieder.op.il. (2Hefteje Mk. 1.50.)
— Zwei Lieder. op. 12. (Mk. 2.— .) Verlag:
Ries & Erler, Berlin.
Diese Kompositionen enthalten manche An-
laufe zu einer tieferen Charakteristik, aber
keines, ob kurz, ob lang, hat des Tonsetzers
mangelhafte Technik zu einem einheitlichen,
wertvollen Gebilde zu gestalten vermocht. Das
Handwerk grundlich zu erlernen, kann selbst
einem modernen Komponisten nicht gut erspart
bleiben.
82. Walter Flath: Drei Lieder. Verlag: C.
F. W. Siegel, Leipzig. (Mk. 3.—.)
Ein etwas sufXliches Empfinden, aber doch
poetisches Ausdrucksvermogen bekunden diese
Lieder. In Anbetracht der einfachen Texte ge-
bSrdet sich die Klavierbegleitung wohl zu bom-
bastisch. Das „Wiegenlied a (aus „Frau Sorge a
von Sudermann) durfte, von einem mit leichter
Hone ausgestatteten Sopran vorgetragen, einer
stimmungsvollen Wirkung am sichersten sein.
83. Oswald K6rte: J ugend-Symphonie fur
Klavier zu vier Hfinden, Streich-
quartett Oder Streichorchester und
(ad libitum) Pauken. Verlag: Ries & Erler,
^Berlin. (Part. Mk. 3.—.)
Uber dieses ganz od-prosaische Produkt sind
keine Worte zu verlieren. Die liebe Jugend
konnte sich an dieser musikalischen Kost nur
den Geschmack und Magen verderben.
Otto Hollenberg
84. Friedrich Gernaheim: Konzert No. 2.
F-dur fur Violine mit Orchester (oder
Klavierbegleitung). op. 86. Verlag: Jul. Hein-
rich Zimmermann, Leipzig. (Kl.-A. Mk. 6. — .)
Das mir im Klavierauszug vorliegende Violin-
konzert gehort mit zu den besten Erzeugnissen
auf diesem Gebiete. Vor alien Dingen ist
es mit ganz besonderer Freude zu begrufien,
daft der Autor dem Soloinstrument die fuh-
rende Rolle zuerteilt und so dem ausubenden
Kunstler willkommene Gelegenheit gibt, seine
Individualist sowie sein technisches Rustzeug
in den Vordergrund zu rucken; ein Konzert
muft in allererster Linie fur den Kunstler da
sein und nicht fur das begleitende Orchester.
Selbstverstandlich darf das Orchester auch nicht
zur Riesenguitarre herabsinken. Bei aller Fein-
heit der thematischen Arbeit hat es Gernsheim
trefHich verstanden, den Orchesterpart zu einem
/nil :«v C jOOtflc
D
.'r;!-
sekundierenden und nicht zu einem dominie-
renden zu machen. Das dreiteilige, klar ge-
gliederte, aber in einem Satz auszufubrende Werk
mufi ernsten berufenen Geigern eine willkom-
mene Bereicherung ihrer Konzertliteratur be-
deuten. Gewidmet ist das dankbare, verhaltnis-
mafiig knapp gehaltene Werk Henri Marteau.
Carl Rorich
85. Paul Juon: Sonate fur Violoncello
und Klavier. op. 54. Verlag: Schlesinger-
sche Buch- und Musikhandlung, Berlin.
(Mk. 5.—.)
Wem die Kammermusikwerke Juons bekannt
sind (und wer kennt sie nicht?), dem wird auch
diese neue Cello-Sonate keine Oberraschungen
bringen. Man findet in ihr die Schreibart des
Komponisten in unverSnderter Form wieder. Da
sind die Quinten und die Quarten, die dem Stil
ein apartes, fast nationales Geprage geben, obne
daft man mit Bestimmtheit sagen kann, welcher
Nation sie angehoren; da sind die harmonischen
Ausweichungen, die im Moment so frappieren,
im Grunde genommen aber ganz selbstverstand-
lich klingen; da ist vor allem die eindringliche
melodische Sprache des Violoncells, das, bis in
die hochsten Regionen gefuhrt, immer gesang-
voll bleibt und in jahem Wechsel von zarten
Stellen bis zu heftigen Ausbruchen wildester
Leidenschaft aufsturmt. Also ein Werk voller
Leben, voll Farbe, voll Temperament. Gedrangt
und knapp in der Form, niemals langweilig,
aber auch selten an die klassischen Formen der
Kammermusik gemahnend. Keine Nachahmung,
sondern ein Stuck eigenen Lebens. Das ist es
auch, was dem Werke seinen Wert gibt.
Hugo Schlemuller
86. Gottfried Rndinger: „Marchenstunde*.
Acht Klavierstucke. op. 1. Wunderhorn-
verlag, Munchen. (Heft I und II je Mk. 1 80.)
Aus Grofimutters Erzahlungsschatz stammen
diese musikalischen Marchen keinesfalls, dazu
mangelt ihnen die Naivitat, das ursprungliche
Gefiihl, die Ungezwungenheit in Erfindung und
Ausdruck. Die Sucht, „apart a zu schreiben,
tritt auf Schritt und Tritt zu deutlich hervor^
als daft man einen ungetrubten GenuB haben
konnte. Die Stucke des zweiten Heftes halte
ich durchweg fur besser als die des ersten.
No. 6 w Anmutig bewegt" zeigt am klarsten und
ohne Brimborium die Begabung des Tonsetzers^
dem man nur den Rat geben kann, in Zukunft
sich einer moglichst einfachen Schreibweise zu
befleiftigen. Auch No. 7 „Langsam und aus-
drucksvoll" verrat Erfindung und Empfindung,
tritt aber schon wieder zu groQspurig auf. Es
ist das wahre Ungluck unserer jungen Kom-
ponisten. da(J sie kein rechtes Augen- oder viel-
mehr OhrenmaB mehr haben. Wenn sie Marchen
erzahlen wollen, werden sie schon sehr kom-
pliziert und scheuen angstlich jede volkstumliche
Wendung. Auch bei Rudinger ist der Einflufl
der Impressionisten unverkennbar, vielleicht
spielt sogar ein wenig auch Arnold Schonberg
hinein, dessen Rucksichtslosigkeiten dem jungen
Geschlecht begreiflicherweise sehr imponieren.
Das sehr lebhafte Stuck No. 8 ist im Grunde
nur eine Etude, wird aber, gut gespielt, eine
hubsche Wirkung tun. R A GeifiIer
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK
OPER
OERLIN: Es tut wohl, von dem wild-westlichen
" Puccini, der auf niedere Instinkte zielt, zu
jenem anderen der „Manon Lescaut" zuruck-
zukehren. Und es ist nur billig, daB das
Deutsche Opernhaus, dem wir jene pein-
licbe Bekanntscbaft zu danken haben, nun fur
ein Werk das Wort ergreift, das immer wieder
vor dem Opernmassengrab gerettet werden mufl.
Wir konnen nun Puccini's Entwickelung uber-
schauen; wir wissen, daB wir neue Aufschliisse
von ihm nicht zu erwarten haben. Alles Eigene
ist karikierend-stereotyp geworden, alles ist er-
starrt; die Sonne geht fur ihn unter, aber sie
beleuchtet, verklart uns die Vergangenheit. Man
bat Puccini's „Manon tt anno 1908 in Gregors
„Komischer Oper" scheitern sehen. Es war die
Zeit, wo einc auf das Besondere lossteuernde
Bubne den Kampf gegen musikalischen Chau-
vinismus zu fubren hatte. Alles Romanische,
soweit es nicht als felsenfestes Dauerwerk ab-
gestempelt war, wurde heftig befehdet. Haben
die Zeiten sich gewandelt? So viel ist gewiB, dafi
man sich nun willigerden Reizen dieser „Manon"
ergibt, und daB ein Deutsches Opernhaus sich
in den Augen der gutburgerlichen Abonnenten
durch ihre Aufnahme in den Spielplan nicht
untreu wird. Freilich ist zu wiederholen, daB
bierzulande in den Auffuhrungen ecbt-roma-
niscber Werke immer nur ein Ungefahr zu
erreichen ist. Die fremde Kultursphare ver-
leugnet sich nicht, und die deutsche Ubersetzung,
diesmal von Ludwig Hartmann, entzieht der
Phrase den Boden, dem sie entsprossen ist, die
Luft, in der sie atmet. Man weiB, daQ diese
„Manon a uns einen Vorgeschmack der „BohSme a
gibt. Da ist jene zwar gefuhlsenge, aber
schmeichelnde Lyrik, oft durch den Einklang
von Stimme und Instrument gehoben; da ist
Milieu, mit den aus der veristischen Werkstatt
stammenden Mitteln gemeistert; da ist auch der
Zug zum Aparten, Leiterfremden, aber die Un-
sicherheit eines noch nicht flugge Gewordenen
gibt ihm jenes Mali, das wir spater vermissen.
Allerlei geschieht: es wird getrunken, gelacht,
geliebt, entfuhrt, verhaftet, ausgewandert. Aber
schon hier versagt dem Dramatiker die Hand,
und das reizende Genrebild muli uns die
mangelnde Entwickelung der Romanvorgange
ersetzen. So ist Puccini; so entziickend hilflos,
wie es sein Konkurrent Massenet, in dem die
inneren Hemmungen fehlten, niemals sein
konnte. Man muB von der Auffuhrung im
Deutschen Opernhaus mit Hochachtungsprechen.
Lyrik und Milieu treffen auf Versta*ndnis. Jene
sich in ihrem Wesen zu erschlieflen, mtiht sich
mit bemerkenswertem Erfolg Ignaz Waghalter,
ein begeisterter und begeisternder Fuhrer des
Orchesters, von hastigem Atem, und immer
bereit, die Phrase zu unterstreicben. Der
Apparat hat sich vervollkommnet, der Klang sich
verfeinert. Das Milieu findet seine starkste Stutze
in allem Dekorativen, in das prachtvolle Be-
leuchtungseffekte hineinspielen, und man wird
an den Lilaschein, der uber der Einode des
letzten Aktes schwebte, noch lange zuruck-
denken. Hertha Stolzen berg hat sich seelisch
zu differenzieren. Das Schwergewicht* hat der
n'inli/r?:! :v,- V ilX)0
n
Komponist nach der Seite der liebenden Manon
geruckt. Die hochbegabte und kluge Kunstlerin
erreicbt hier ebenso jenes Ungefahr wie im
Gesang, der schon durch das deutsche Idiom
gebunden ist. Alexander Kirch ner als des
Grieux ist zunSchst schwerfSlliger als gewdhn-
lich, laBt aber spater (III. Akt) die lyrische Phrase
wirkungsvoll anschwellen. Die Episodenfiguren
(Jacques Bilk als Lescaut, Eduard Kandl als
Steuerpfichter, Gustav Werner als Student,
Joseph Plaut als Balletmeister) sind teils gut,
teils nicht storend; der Chor halt sich tuchtig,
und die Regie des Direktors Hartmann be-
wa"hrt sich. Diese Auffuhrung ist zwar von
Germanismen nicht frei, wirkt aber angenehm,
und wird dem Werk hoffentlich neue Sympathieen
werben. Adolf WeiBmann
ORAUNSCHWEIG: Die politischen Ereignisse
"spiegelten sich im Hoftheater wieder, das
mehrere glanzende Vorstellungen bot. Der
Herzog-Regent Johann Albrecht bestimmte fur
seinen Abschied „Lohengrin a . Fiir den Einzug
des Herzogspaares war am ersten Tage der
dritte Akt der „Meistersinger* bestimmt. Dort
half unser ehemaliger und zukunftiger Helden-
tenor O. Hagen (Frankfurt a. M.), hier
J. Decker (Koln) aus. Am zweiten Tage ge-
staltete sich die „Maienkonigin tt zu einer sinn-
bildlichen Huldigung der Kaisertochter. Fur
seinen Geburtstag wunschte sich der Herzog
den „Barbier von Sevilla" mit d'Andrade als
Gast. Auflerdem ist bemerkenswert Kienzls
^Evangelimann" mit einer glfinzenden Leistung
von J. Decker und eine gegenteilige des
„k5niglichen* Sangers Funck (Berlin) als Sieg-
mund („Walkure a .) „Oberst Chabert a errang
dank den Leistungen von Albine Nagel und
Hans Spies grofien Erfolg. Ernst Stier
BRESLAU: Der Erfolg von Mussorgsky's
Zaren-Oper „Boris Godunow" und unge-
wohnlich hauflge Erkrankungen im Personale
bewirkten, daB in der Novitatenarbeit des Stadt-
theaters eine ISngere Pause eintrat. In die Lucke
wurden eine Reihe von Anstellungsgastspielen
fur die kommende Spielzeit eingeschoben. Eine
ganze Anzahl von Baritonisten muhte sich um
den „Fliegenden Hollander", und ein viertel
Dutzend von Heldentenoren bekSmpfte den
grimmen Biterolf und den tugendsamen Wolfram
im SSngerkrieg. Von ihnen alien durfte niemand
das Engagementsziel erreicht haben, zumal unter
den drei Gast-Tannhausern reichte keiner an
Trostorff heran, der sich ubrigens demnachst
wieder, nach langerer Unterbrechung, unserer
Oper nutzlich machen wird. Mehr Gluck war den
beiden Gasten eines w Barbier**-Abends be-
schieden. Herr Rudow vom Hoftheater in
Munchen war ein Figaro, der nur seine allzu
groBe Beweglichkeit abzulegen braucht, um uns
fur die Dauer herzlich willkommen zu sein, und
Tinka Wesel aus Brunn zeigte ein Rosinchen
von den gewinnendsten stimmlichen, darstelle-
rischen und personlichen Eigenschaften. Das
nachste Gastereignis in der Oper ist das zwei-
malige Erscheinen des russischen Baritonisten
Baklanoff, der den Rigoletto und den Godunow
singen wird. Leider gastiert Herr Baklanoff
nicht auf Engagement, trotzdem wir ihn brauchen
unnten. OriqTKafl^i Freund
1 ■ UNIVERSITY OF MICHIGAN
366
DIE MUS1K XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
D LJDAPEST: Der kunstlerische Regenerierungs-
" prozefi der Koniglichen Oper, den nach den
Verheerungen der letzten Jahre der Ara M6szaros
Regierungskommissar Graf B£nffy glucklich in
die Wege geleitet hatte, scheint wieder ins
Stocken zu geraten. Mit Beginn dieser Saison
ist Georg Anthes aus dem Verbande des In-
stitutes geschieden, der ungarische Meisterbariton
Michael Tak£ts ist uns durch einen jahen Tod
entrissen worden — uberall klaffen bedenkliche
Liicken, die der wunschenswerten Aufrollung
des Repertoires im Wege stehen. Wir haben
keinen Wagnertenor, keine dramatische Prima-
donna, keinen ersten Bassisten, so dafJ von
ernster Seite bereits die den Kunstchauvinisten
noch immer heikle Frage aufgeworfen wurde,
die Buhne der Koniglich Ungarischen Oper auch
deutsch singenden Kunstlern zu offnen* Dem
heimischen Ensemble zumindest die Mdglichkeit
des Novitatenstudiums zu sichern, wurde eine
Anzahl italienischer Sanger engagien, die indes
mit Ausnahme des kiinstlerisch intelligenten
Baritonisten Parvi von Publikum und Kritik
samtlich abgelehnt wurden. Fur den Geist, in
dem zurzeit die Gesamtarbeit im Opernhaus
geleitet wird, spricht der Umstand, daft der Neu-
einstudierung der „Traviata a die funffache
Anzahl der Proben zugewendet wurde, als jener
des „RosenkavaIier". Das letztgenannte Werk
verschwand dann auch wieder nach der zweiten
Reprise aus dem Repertoire, brachte indes der
Theaterleitung den nicht weiter benutzten Gewinn,
in Herrn Szende, einem jugendlichen Anfanger,
der die Partie des Ochs in zwei Wochen er-
lernte, den musikalischesten Sanger des En-
sembles entdeckt zu haben. Als Novitat wurde
bisher bloft das Meisterwerk Suppers, die ko-
mische Oper „Boccaccio a , mit vielem Gluck
in den Spielplan eingestellt. Der melodische
Reichtum, die rhythmische Anmut, der Geist und
Witz der Musik wirkten mit dem alten, un-
geminderten Reiz, und da auch die von Kapell-
meister Abrdnyi geleitete Auffuhrung — um
die sich namentlich die Damen Domotor,
Medek, Berts, Ambrus und Varadi, die
Herren Hegedus, Dalnoki, KertSsc, Gabor
verdient machen — einer kunstlerischen Nobili-
tierung der „Operette u gleichkam, so ist dem
Theater fur die Saison zumindest ein Zugstiick
gesichert. Das UbermaB der Arbeitszeit wurde
der mit minutidser BedSchtigkeit vorbereiteten
Verdi-Feier gewidmet. In Abstanden von
drei bis vier Wochen bekamen wir die „Traviata a ,
das von Kapellmeister Lichtenberg prachtig
einstudierte, nur in den weiblichen Soli unzu-
ISnglich interpretierte ^Requiem" und als die
kunstlerische Hauptleistung der Saison die neu-
inszeniene, neustudicrte „Aida" zu horen. Im
Mittelpunkte der „Traviata u -Auffuhrung stand die
virtuose, in bluhender Schonheit der Stimme
leuchtende Violetta der Frau Sdndor, die einige
Tage spater durch das Auftreten eines Weltstars
in der gleichen Partie noch eine kunstlerische
Rangerhohung erfuhr. Mit einer Verspatung
von zehn bis funfzehn Jahren erschien die be-
riihmte Koloraturdiva des Metropolitan-Opera-
House, Luisa Tetrazzini, als Violetta auf der
Buhne unseres Opernhauses. Noch immer eine
der besten, stimmlicb hervorragendsten Koloratur-
sangerinnen unserer Zeit, aber nichts weniger
n-iVVf::! r«Y C jOOtflc
als eine Sensation, kaum eine groCe Individualist.
Ihre glanzende Virtuositat entbehrt jener stilisti-
schen Authentizitat, die wir etwa an der Kunst
der Barrientos bewundern; die Tetrazzini bringt
die Noten, aber bei weitem nicht alien Geist,
Stil und Adel des Kunstwerkes. Eine gut kon-
servierte, noch immer prachtige Stimme, eine
blendende Kehlfertigkeit sichern der Kunstlerin
zweifellos die Bewunderung der Massen, der
sich der scharfer und tiefer Horende nur mit
Vorbehalten anschlieBen kann. Einer Bubnen-
illusion zumal steht die kleine, uberkomplette
Erscheinung der Diva hindernd im Wege. —
Der neuerworbene Dirigent Egisto Tango, der
bisher einige italienische Opern effektvoll re-
touchiert hatte, gab uns mit der Neustudierung
der w Aida" Gelegenheit, seiner kunstlerischen
Individualitat mit einem erschopfenden Urteil
naher kommen zu konnen. Er ist ein fanatischer
Arbeiter, ein geistvoll nervoser Ziseleur, ein
spekulativer Effektvirtuose, zuweilen auch ein
feiner Stimmungskunstler, aber kein Dirigent
von grofiem Zug. Es mangelt ihm vor allem
an schwungvollem Pathos, an der innerlich er-
greifenden Mitteilsamkeit; sein Feuer ist kalt,
sein Temperament hart, seine Erregungen fliefien
aus den Nerven, nicht aus der Seele. Immerhin:
Herr Tango hat zumindest einen ehernen Ar-
beitswillen und vermag seine stilistische Ein-
seitigkeit anziehend zu gestalten. So gab es
auch in der „Aida* neben vielem Verfehlten,
melodisch Oberstiirzten, rhythmisch Zerdehnten
auch Stellen von schonem Stimmungszauber und
impetuoser Kraft. Vor allem aber in dem Rha-
dames des Herrn Kornyei, dem Amonasro
des Herrn R6zsa zwei gesanglich wie dramatisch
bewunderungswurdige Prachtgestaltungen , die
mit der warmbeseelten Aida der Frau Medek
den sturmischen Erfolg der Reprise entschieden.
Dr. Be*la Di6sy
DRESDEN: Eine vollstandige Neuinszenierung
und -einstudierung von Richard Wagners
„Tannhauser a reihte sich an die voraus-
gegangenen szenischen Neugestaltungen des
„Ringes*, der w Meistersinger a und des „Lohen-
grin* wurdig an und bekundete wieder den
ernsten Willen der Theaterleitung, mit dem
ganzen Aufgebot aller Mittel der modernen
Buhnenkunst das Kunstwerk in einen neuen,
schonen und vornehmen Rahmen zu fassen.
Um so seltsamer ist es, dafi die mafigebenden
Stellen sich nicht vor dem Zwiespalt gehutet
haben, der dem echten Wagnerjunger die Freude
an dem Gebotenen einigermaflen truben mulite:
die musikalische Leitung stellte einerseits den
ursprunglichen Schlufl des Werkes wieder her
und bemiihte sich auch sonst, den Absichten
des Meisters gerecht zu werden — die Regie
andererseits trug kein Bedenken, sich fiber aus-
driickliche Vorschriften des Dichterkomponisten
hinwegzusetzen, wozu sie auch beim besten
Willen und hochsten Konnen sich meiner Mei-
nung nach nie das Recht anmafien darf. Ein
Beispiel nur sei hier angefuhrt: die Dekoration
des Venusbergs ist ganz in lila gehalten, nur
von oben fallt ein roter Schein auf das Rune-
bett, auf dem Tannhauser ziemlich behaglich
liegt, wahrend Venus am FufJende sitzt. Wider-
spricht schon diese Gruppierung der ausdruck-
lichen Vorschrift Wagners, so ist die Glut seiner
Original from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK (OPER)
367
Venusbergmusik in der weiteren Gestaltung des
Buhnenbilds nicht im geringsten zum Ausdruck
gebracht. Durch vielfaltige Schleier sah man
nur tief im Hintergrunde einige Gestaltcn sich
im Reigen oder in gemessenen Bewegungen
drehen; der ganze sinnliche Taumel fehlte;
dieser Venusberg sah einem Tochterpensionat
verzweifelt ahnlich. Auf meinen in der Tages-
presse gemachten Vorhalt erschienen bei der
dritten Auffuhrung einige Faune und Nymphen
auf der Vorderbuhne, aber die Sache sah immer
noch zahm genug aus. Die Dekoration des
zweiten Aktes, die genau nach dem Original des
Wartburgsaals gemalt ist, erschien mir etwas
zu eng und gedruckt und durch die vielen Stufen
verbaut, ist aber an sich wunderschon. Die
Fruhlings- und vor allem die Herbstlandschaft
waren im Ganzen wie in alien Einzelheiten
Meisterleistungen des Hoftheatermalers Alten-
kirch, die Spielleitung von d'Arnals brachte
viele feine und wirksame neue Nuancen und
Leon Fan to hatte Kostume entworfen, die
sicherlich ganz stilecht und historisch treu sind,
mir aber teilweise zu plump in Muster und
Schnitt erschienen. Ais groBten kiinstlerischen
Vorteil der Neueinstudierung, in der ubrigens
alle landlauflgen Striche aufgemacht waren,
mdchte ich die Wiederherstellung des alten
Schlusses bezeichnen, den Wagner seiner Zeit
in Dresden nur mit Rucksicht auf die allgemeine
Verstandlichkeit der Endszene abgeandert hat.
Jetzt, nachdem die Handlung des Werkes aller
Welt genau vertraut ist, brauchen wir die Leiche
Elisabeths sowie den Anblick des wieder grunen-
den Heilsstabes nicht mehr. Ein Totenglocklein
kundet von der Hohe der Wartburg her Elisabeths
Hinscheiden, das Tannhauser aus Wolframs
Munde erfahrt, Venus wird nicht mehr sichtbar,
sondern das Morgenrot des neuen Tages wird
zur Erzielung einer visionaren Wirkung (also
doch rot, nicht lila!) ausgenutzt, der Chor der
jungeren Pilger kundet hinter der Szene das
Wunder des griingewordenen Stabes und im
seligen BewuBtsein derErlosung hauchtHeinrich,
von Wolfram sanft gehalten, seine Seele aus.
Die Wirkung ist tief und rein und frei von
allem Theatralischen, und der Horer wird mit
ungetrubter seelischer Bewegung entlassen. Ich
kann deshalb alien Buhnen nur dringend raten,
bei einer Neueinstudierung des „Tannh§user a
diesem ursprunglichen und so ganz Wagnerischen
SchluB wieder zu seinem Rechte zu verhelfen.
Die musikalische Gesamtleistung war unter
Schuchs meisterlicher Fuhrung hervorragend
schon. In den Hauptpartieen zeichneten sich
Eva Plaschke-v. d. Osten, Elena Forti, Fritz
Vogelstrom, Walter Soomer und Georg Zott-
mayr aus. F. A. Gei filer
GRAZ: Die Grazer Stadtverwaltung hat den
artistischen Leiter des Theaters Julius
Grevenberg weiter auf seinem Poslen belassen
und behait die Buhnen in eigener Regie. (Wozu
eigentlich dann eine„Neuausschreibung u erfolgte,
die 60 Bewerbungen, darunter Manner von Rang
und Namen, zum Ergebnis hatte, ist zum
mindesten ganzlich unverstandlich.) Der Spiel-
plan liiBt nach wie vor viel zu wunschen ubrig
und wies bis zum letzten November keine
Neuheit auf. Ein Gastspiel der Wiener Volks-
opernsangerin Marie Ranzenberg als Dalila
D'::j"«i,-'L
und Amneris bereitete dank den hervorragenden
sangerischen und schauspielerischen Qualitaten
des Castes um so hoheren GenuB, als wir selbst
uber keine brauchbare Altistin verfiigen. In
„Tiefland a gastierte der Wiener Hofopernsanger
Georg Maikl mit auBergewohnlichem Erfolg als
Pedro. Auch der heimische Tenor Willy Tosta
wufite sich in dieser Partie viele Anerkennung
zu ersingen, desgleichen Fanny Pracher als
Martha. An Neueinstudierungen erschienen „Der
Freischutz" und „Die Stumme von Portici", die
beide darunter litten, daB es dem lyrischen
Tenor Harry Schurman n, einem jungen Sanger
mit groBen technischen Vorzugen, an der notigen
Durchschlagskraft der Stimme mangelt. „Die
Meistersinger von Nurnberg" erschienen mit
Fritz Schorr als gutem Sachs, Julius Martin
als charakteristischem Beckmesser, Josef von
Manovarda als prachtigem Pogner, Willy
Tosta als jugendfrischem Stolzing und Rosine
Fortelni als schon singendem Evchen. Eine
„Troubadour u -Vorstellung verdient wegen des
Kuriosums Erwahnung, daB drei Manricos
sangen: ein Herr Bocchesi als Gast, der im
zweiten Akt plotzlich die Arbeit einstellte, Re-
gisseur KoB, der fur ihn aus der Kulisse her-
aus den Akt zu Ende sang, und Harry Schiir-
mann, der dann die ubrigen Akte vollendete.
Dr. Otto Hodel
LJALLE a. S.: Was die „Tristan"-Auffuhrung
** bereits verriet, best3tigte die „Tannhauser a -
Vorstellung zur Genuge: wir haben in Hermann
Hans Wetzler, unserm ersten Kapellmeister,
in der Tat eine kunstlerische Kraft gewonnen,
die auf unser Musikleben von weitgehendem
Einflusse werden konnte, wenn es gelange, sie
auf langere Zeit an Halle zu fesseln. Unter
seiner Leitung ist der Verdi-Zyklus vom „Rigo-
letto" uber den w Troubadour tt hinweg bis zur
„Aida* in Szene gegangen. Leider hat man aus
mir unbekannten Grunden weder den „Othello tt
noch den wFalstaff*, der hier noch nie ilber die
Bretter gegangen ist, in den Ring aufgenommen.
Hier bietet sich der Direktion eine Gelegenheit,
eine Dankesschuld dem italienischen Meister
gegenuber abzutragen. Martin Frey
LIAMBURG: Bereits vor Wochen wurde an
** dieser Stelle bei der Erorterung der Ham-
burger OpernverhSltnisse darauf hingewiesen,
daB Felix Weingartner zurzeit den Rest seiner
Verpflichtungen gegen das Hamburger Stadt-
theater absolviere. Nunmehr haben auch die
ortlichen Erwagungen uber diese Tatsache, die
seit langem feststand, begonnen, und sie werden
je nach der Bedeutung, die man der Opern-
dirigententatigkeit Weingartners aus kunstle-
rischen oder aus kunstpolitisch taktischen Grun-
den beimiBt, in der Tagespresse mit mehr oder
weniger Leidenschaftlichkeit gefuhrt. In der
Hauptsache allerdings mit der angebrachten
minderen Leidenschaftlichkeit. Die Frage, was
Weingartner in der kurzen Zeit seiner mannig-
faltig unterbrochenen Wirksamkeit fur unsere
Stadttheater-Oper hat bedeuten konnen und hat
bedeuten wollen, kann ausgeschieden werden,
denn eines darf man, ohne Weingartner irgend-
wie damit zu nahe zu treten, wohl aussprechen:
Weingartner ist im Grunde seines Wesens ein
unopernhafter Mann, das Theater liegt ihm in
der Verastelung seines Kunstbetriebes nicht be-
| ' Original from
- UNIVERSITY OF MICHIGAN
368
DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
sonders gut. Nacheinander hat Weingartner
begehrte Theaterkapellmeisterpositionen in Ham-
burg, Konigsberg, Mannheim, Berlin, Wien und
zuletzt wieder in Hamburg inne gehabt. In
keiner dieser Stellungen hat er sich so wohl ge-
fuhlt, dali er sie dauernd hatte bekleiden mogen,
in keiner dieser Stellungen hat er kunstlerisch
fundamental und organisatorisch — wie etwa
Mahler in Wien — gewirkt. Wenn Weingartner
abends ans Pult tritt, um eine Oper zu dirigieren,
kann man sich in der Mehrzahl der Falle sicher-
lich eine Erhebung uber das Niveau der All-
taglichkeit versprechen, denn seine Anwesenheit
ist schon ein Stimulans, und sein Einflufl auf das
Orchester versagt niemals. Aber die stete, vor-
bereitende musikalische Kulturarbeit, die omi-
nosen Theaterproben, die ein Werk in seiner
musikalisch-dramatischen Total i tat scharf ab-
grenzen und stilistisch festlegen, ist heute weniger
denn je Weingartners Lieblingsbeschiftigung.
Und die UnzutrSglichkeiten, die mit einem kom- 1
plizierten Repertoirbetrieb verknupft sind, ver-
stimmen ihn, berauben ihn gelegentlich auch
der rechten Schaffensfreude. So fuhlt er sich
am wohlsten als Gastdirigent, der, selbst eine
Ausnahmestellung bekleidend, auch mit Aus-
nahmevoraussetzungen umgeben wird. Man wird
das alles ohne weiteres begreifen konnen, aber
eben darum auch den EntschluB Weingartners,
sich vom Hamburger Stadttheater zu trennen,
keineswegs als Vorboten des kunstlerischen Zu-
sammenbruches und katastrophaler Erscbei-
nungen betrachten konnen. Denn an dem kunst-
lerischen Gesamtbild, an der Art des Betriebes,
an Besetzungs- und Engagementsfragen wird da-
durch nichts geandert; um so weniger, als anzu-
nehmen ist, daB auch Weingartner spaterhin als
gefeierter Cast am Dirigentenpult der Hamburger
Oper mit der ihm gebuhrenden Wertschatzung
zu begriiBen sein wird. Die Loewenfeldsche
Neuinszenierung des „Ringes a hat mit einer von
Selmar Meyrowitz sehr groBzGgig und drama-
tisch zugespitzten Auffuhrung der w G6tter-
dammerung" ihr Ende erreicht. Die beiden
mittleren Abschnitte dirigierte Weingartner: die
w Walkure a ohne Striche, den „Siegfried u mit
den erw&hnten Kurzungen. Alles das: die
Teilung zwischen zwei Dirigenten, die Abwechs-
lung von gestrichenen und strichfreien Auf-
fuhrungen innerhalb desselben Zyklus ist schon
an sich ein Beweis da fur, daft Weingartner nicht
den Ehrgeiz besessen hat, der Hamburger Oper
denStil seiner Personlichkeit aufzupragen. Hatte
er sich sonst den ersten „Ring a , den wir in
wurdigem szenischen Rahmen erlebten, teilweise
nehmen lassen konnen? Dr. Loewenfelds In-
szenierung der „G6tterdammerung tt erwies sich
als eine kunstlerische GroBtat, auf deren vor-
bildliche und nachahmenswerte Bedeutung als
einer Wiedergeburt des Nibelungen-Dramas aus
dem Geiste Wagners und der Wagnerschen
Musik mit allem Nachdruck hingedeutet werden
darf. Loewenfeld, der selbst von Haus aus
Musiker ist, ist in der Tat die Erfullung einer
lang gehegten Sehnsucht, denn in ihm vereinigen
sich in der glucklichsten Weise musikalische
Kenntnisse mit seltenen dramaturgisch nach-
schopferischen Fahigkeiten. Er ist nicht Dekora-
teur, sondern wirklich Inszenator allergroBten
Stiles.
In der Neuen Oper gab es in einer von
Moris szenisch recht konventionell angefaBten
„Freischutz a -Auffuhrung markante Eindrucke,
die auf Dr. Gohlers prononzierte Dirigenten-
eigenart zuruckzufuhren waren. Im ubrigen ge-
nugten groBstadtischen Anspruchen in dieser
Vorstellung nur einigermaflen die Vertreterinncn
der Damenpartien, wfihrend auf dem Glatteis
der Weberschen Gesangsanforderungen die
Herren eine etwas kligliche Figur machten.
Zum zweiten Male wahrend ihres erst kurzen
Daseins hat die Neue Oper sich veranlaBt ge-
sehen, ihre Eintrittspreise zu ermiBigen, um bei
der Konkurrenz des Kinos und der im allge-
meinen flauen Konjunktur Publikum herbeizu-
locken. Ob diese MaBregel den gewunschten
Erfolg haben und der Neuen Oper eine solide
finanzielle Basis geben wird, bleibt abzuwarten.
Heinrich Chevalley
UANNOVER: In der Koniglichen Oper fand
** A. Kaisers Musikschauspiel B Stella maris"
eine freundliche Aufnahme. Die Hauptrollen waren
bei Gertrud Kappel und den Herren ter Meer
und Fleischer gut aufgehoben;der musikalische
Teil der durchweg als recht gelungen zu bezeicb-
nenden Erstauffuhrung lag in Herrn Gilles, der
szenische Teil in Herrn Derichs' Handen. Or-
chester, Chor und Ballet standen auf der Hobe
ihrer Aufgaben. — Von den vielen in letzter Zeit
stattgefundenen Probegastspielen verlief das der
Soubrette Mathilde Schuh aus Nurnberg bei
weitem am gunstigsten; es fuhrte zum Engage-
ment. Mine Oktoberhatten die Opernfreunde die
Freude, den Wiener Heldentener Leo Slezak
als Radames zu horen. L. Wuthmann
l/'ARLSRUHE:EinaufvierAbendeberechnetes
**- Richard StrauB-Fest brachte unter des
Komponisten Leitung die Bubnenwerke w Rosen-
kavalier", „Ariadne a und „Elektra". Straufi'
Kunstlerpersonlichkeit ubte einegroBe Anziebung
auf das Publikum aus, und sowohl der Ton-
dichter wie der Dirigent StrauB war Gegenstand
lebhafter Ovationen. Die genannten Werke, von
Fritz Cortolezis sorgsam vorbereitet und in
den einzelnen Partieen fast durchweg sehr gut
besetzt, erfuhren bei der Begeisterung, mit der
alle Mitwirkenden und nicht zuletzt unser treff-
liches Hoforchester am Werke waren, Wieder-
gaben von machtigster, nachhaltigster Wirkung.
StrauB* musikalische Fuhrung lieB manche
Partieen der hier bereits bekannten Werke in
neuem, interessantem Lichte erscheinen, und wie
er Solisten, Chor und Orchester ein unbedingt
verlfifilicher Fuhrer war, der mit leichter, sicherer
Hand nach Wunsch und Willen alles herausholte,
so erhielt jedes der vorgefuhrten Werke eine
stark personliche Note. Von den Mitwirkenden
nennen wir Beatrice Lauer-Kottlar als prach-
tige, gesanglich und darstelierisch gleich vor-
zugliche Marschallin, Franz Rohas famosen
Lerchenau, Mary Rudys Zerbinetta, die leicht-
flussig und sicher die balsbrecherischen Kolora-
turen sang, und Zdenka Mottl-FaBbenders
damonische, durch die Gewalt der Darstellung
und des gesanglichen Ausdrucks packende und
erschiitternde Elektra. Franz Zureich
l/'OLN: Die erste diesjahrige Auffuhrung von
*** Wagners Nibelungen-Tetralogie hat unter
Gustav Brechers stilvoller Leitung eine Reihe
sehr schoner Eindrucke gezeitigt. Neben den ner-
D'::j"«i,-'L
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KRITIK (OPER)
369
vorragenden Gestaltungen Modest Men zin sky's
<Siegmund und Siegfried) und von Alice Gusza-
lewicz (Brunnhilde) boten auch Karl Giesen
{Fafner, Hunding und Hagen), Friedrich Braun
<Wotan), Wanda Achsel (Freya und Gutrune),
Berta Grimm-Mittelmann (Fricka) und Sophie
Wolf (Sieglinde) hdcbst scbatzbare Leistungen.
Fritz R6monds Inszenierung hat ausgezeich-
nete Bilder geschaffen Paul Hiller
KOPENHAGEN: Mit einer Neueinstudierung,
Aubers „Stummer a , begniigte sich das Kgl.
Theater bisher. Obrigens schlug deralte Treffer
noch einmal ein, flott in Szene gesetzt und mit
H e ro 1 d als Masaniello, eine Partie, die ihm nicht
besonders gut liegt. William Be h rend
LEIPZIG: Unsere Theaterdirektion stellt schon
seit lSngerer Zeit Joan Man6ns „Act6 a als
Opernneuheit in Aussicht; doch muBte sie
wegen Indisposition des Tenors Jager auf un-
bestimmte Zeit verschoben werden. So ware
nur einer Neueinstudierung der „WeiBen Dame 4 *
zu gedenken, worin der bereits engagierte Hans
Lifimann die gute Meinung uber seinen Tenor
noch bekraftigte, ferner des Gastspiels Carl
Perrons, der als Hans Hciling und Hollander
uberragende darstellerische und gesangliche
Leistungen bot und naturlich sehrgefeiert wurde.
Nun uns Herr Urlus wieder nach Amerika
entfuhrt worden ist, half Adolf Loeltgen aus
Dresden mit ebenso jugendlicher Stimme wie
Erscheinung als Tannhauser aus; ihm stand
Priska Aich aus Dortmund, die fur das schei-
dende Frl. Marx auf Anstellung gastiert, als in
vieler Beziehung anmutige Elisabeth gegenuber.
Die Engagementsfragen losen sich langsam, aber
sicher. Wie vorauszusehen war, wurde inzwischen
Jean Miiller fur das erste BaBfach verpflicbtet;
ob freilich Frl. Aich die unsere sein werde,
steht noch auf einem andern Blatt.
Dr. Max Unger
R4AINZ: Schon kurzlich wurde an dieserStelle
*** auf das erfolgreiche Erstauftreten von Betty
M artel, einergeborenenMainzerin, hingewiesen.
Als Santuzza, Aida und Grafin im „Figaro a er-
brachte sie inzwischen weitere Beweise ihrer
vielversprechenden dramatischen Beanlagung.
In Johanna GeiBler wurde dem Soubrettenfach
ein herzerfrischendes, urwiichsiges Talent zu-
gefuhrt, das fur das heitere Genre in Operette,
wie in Oper die gliicklichsten Attribute mitbringt.
Josef Vogl hat den gewagten Sprung vom Bari-
ton zum Heldentenor ohne den geringsten
Schaden fur sein metallisches Organ uberstanden.
Uber die prachtvolle Baritonstimme Josef
Groenens herrscht nur eine Meinung ruckhalt-
loser Bewunderung und aufrichtiger Freude, in
die sich leider das Bedauern mischt, daB dieser
Singer, gleich unserem intelligenten, stimm-
gewandten Bassisten Otto Stock, von einer
unsererbesserfundierten Nachbarbuhnen entfuhrt
werden diirfte. Die Hauptschaffenskraft aller
beteiligten Faktoren richtet sich zurzeit auf das
Studium von Wagners „Parsifal tt .
Leopold Reichert
MUNCHEN: Paul von Klenau's lyrische
*** Oper „Sulamith" hat an unserer Hofbuhne
ihre Urauffubrung erlebt. Das Werk dialogi-
siert Bruchstucke der Herderschen Ubersetzung
des „Hohen Liedes". DaB ein Musiker von
feinem Empfinden auf diesen Stoff vej-fiel, Qber*
XIII. 6 n:i !!,r?r: :v, C lOOOlC
(V
rascht weniger als der Mangel an der Gegen-
vorstellung, was aus solchem Stoff werden muB,
wenn er zur Oper wird. Die Munchener Auf-
fuhrung hat es gezeigt: Brodersen als Salo-
mon, Frl. Perard-Petzl als seine kSnigliche
Geliebte — vom Standpunkt des Theaters aus
gesehen, vortrefflich; aber wer kann diesen
Gestalten gegenuber den Standpunkt des Theaters
einnehmen wollen? Klenau hat das nicht ge-
wollt und nicht bedacht. Seine Partitur ist eine
Meisterleistung bluhenden, transparenten Or-
chestersatzes, und die vornehme Diktion zeigt
in jedem Takt, wie heilig ernst er seine Auf-
gabe genommen hat. In seinem Bestreben,
durch eine Art musikalischer Exotik die Distanz
der altbiblischen Sphare herzustellen, hat er sich
der Ausdrucksweise Debussys mehr genahert,
als ihm der Ehrgeiz zu hochster OriginalitMt
hatte erlauben durfen. Denn daB Klenau ein
starkes, selbstSndiges Talent ist, hat eines seiner
Kammermusikwerke gezeigt, das wir in der
vorigen Saison hier bewundert haben. Nichts-
destoweniger verdientes das Werk, wegen seiner
farbigen Schonheit und Feinheit, den Weg uber
die Buhnen Deutschlands zu machen. Denn
man darf nicht vergessen, daB nach dem MaB-
stabe gemessen, den ich hier an „Sulamith a
angelegt habe, eben nur noch Pfltzner und
Debussy als wahrhaft originelle dramatische
Komponisten iibrig bleiben. Bruno Walter
hat das Werk ausgezeichnet einstudiert und
geleitet. Alexander Berrsche
DARIS: Eine traurige Kunde fur alle Pariser
* Musikfreunde war es, daB sich Gabriel
As true genotigt sieht, seine Opernvorstellungen
in dem von ihm gegrundeten und am 30. Marz
eroPPneten Theatre des Champs Elys6es ein-
zustellen. Die allgemeine Pariser Theaterkrisis
lastete besonders schwer auf dieser neuen
Grtindung, die ohne jede Subvention der Be-
horden den Kampf gegen drei subventionierte
Opernbuhnen aufnahm. Eine vorzugliche Er-
neuerung von Berlioz* „Benvenuto Cellini", eine
neue, dem Original moglichst getreue Bearbeitung
von Webers „Freischiitz tt , die Einfuhrung in
Paris der modernen Opern „Penelope a von
Faur^ und w Les trois Masques'* von Lara waren
die Haupttaten dieser Direktionsfuhrung, denen
sich in wenig Wochen Wagners „Parsifal a in
deutscher Sprache hatte anschlieBen sollen. Die
letzte und sehr bemerkenswerte Leistung des
Hauses Astruc war die erste Auffuhrung in
franzosischer Sprache von MussorgskPs Haupt-
oper „Boris Godunow". Der Erfolg war sehr
groB, obschon in der Titelpartie der beruhmte
Russe Schaliapin durch den bisher unbekannten
Bariton Giraldoni nicht vollstandig ersetzt
werden konnte. Noch im letzten Fruhjahr
schwankte man im gleichen Opernhaus bei den
russischen Auffuhrungen in der Auswahl der
Bilder des in dramatischer Beziehung wenig
zusammenhangenden Werkes. Man gab ab-
wechselnd Vorstellungen mit dem polnischen
Furstenhof und mit der Herberge an der pol-
nischen Grenze. In der franzosischen Auf-
fuhrung hat die Volksszene mit dem Entenlied
der Wirtin und dem urwiichsigen Lied des be-
trunkenen Monchs mit Recht den Sieg behalten
uber das konventionelle italianisierende Liebes-
duett des falschen-JDemetrius mit seiner pol-
UNIVERSITY OF MICtflfeAN
370
DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
nischen Braut Marina. Was in der Partie des
Zaren Boris fehlte, wurde ubrigens durch die
vorzuglichen Leistungen der Baritone Albers
und Boyer in den Partieen des Chronisten
Pimen und des Mdnches Warlaan ersetzt. Auch
die jugendfriscbe Stimme des Tenors Tirmont
klang erfreulicher als die des russischen Tenors
des letzten Fruhjahrs. Die Altistin Thovenet
war sehr gut in der Partie der Herbergsmutter
und noch besser in derjenigen der Amme der
Zarenkinder. Die angenehmste Uberraschung
war aber, daft Astrucs franzosische Chore
mindestens ebensogut sangen und spielten wie
die vielgeruhmten russischen Chore. Die Volks-
szenen machten daher auch einen machtigen
Eindruck. Keines der drei andern Opernhauser
von Paris ware augenblicklich imstande, eine
solche Chorleistung zu bieten. Alle Zuhorer
waren daher einstimmig in dem Bedauern, daft
das Unternehmen Astrucs wegen ungenugender
Einnahmen verschwinden muft, Felix Vogt
PRAG: Der zweite Teil des Verdi-Zyklus, der
die Opern „Maskenball tt , „Rigoletto*, „Othello tt
und „FaIstafY" umfaftte, stand unter einem gunsti-
geren Stern als der erste. Scampini sollte
glanzen, aber sein Glanz verblich nur zu bald,
dafur ging BaklanofPs Ruhm strahlend auf.
Baklanoflf ist ein Sanger von geradezu idealen
Mitteln. Was singen heiftt, kann man aus seinem
Munde horen. Aber sein echtes Kunstlertum
zeigt sich nieht so sehr darin, daB er die ihm
von einer giitigen Vorsehung verliehene Stimme
gepflegt und gehegt hat, — das tun ja schlieBlich
andere auch, — sondern daB er Empfinden fiir
die kiinstlerische Bedeutung des Ensembles hat
und nie selbstherrlich darauf bedacht ist, sich
in den Vordergrund zu stellen. Dazu durchdringt
er mit scharf bohrendem Geist das Wesen jeder
einzelnen Rolle und bringt auch in italienischen
Opern einen man mochte schon sagen musik-
dramatischen Zusammenhang heraus, an dem
man sonst achtlos vorubergegangen ist. Eine
Neueinstudierung von Rossini's „Wilhelm Tell 44
hat zwar die Leistungsfahigkeit unseres En-
sembles wieder in schonstem Lichte gezeigt,
aber trotzdem nicht dariiber hinwegtauschen
konnen, daB dieser „Tell a ein Ungst iiberholtes
Spiel ist. Als Walter Stolzing gastierte der Recke
Erik Schmedes aus Wien. Bei ausverkauftem
Hause und unter beispiellosen Ovationen gastierte
Alfred Piccaver von der Wiener Hofoper, der
im vorigen Jahre noch unser war, als Rudolf in
„Boheme a , in einer Rolle also, die er vordem
ich weiB gar nicht wie oft hier gesungen hatte.
Dr. Ernst Rychnovsky
VORICH: Als Gast des Stadttheaters trat der
" Tenor Giuseppe Russitano von der Mai-
lander „Scala tt in „Rigoletto" und „Aida tt auf.
Der schon ziemlich bejahrte Sanger verfugt uber
eine weiche, feingeschulte Stimme, doch mangelt
es ihr nun an Tragweite. Von selten anzu-
treffender GroBe ist die Stimme der Sopranistin
Emmy Kriiger. Ihre Amneris war eine wunder-
volle Leistung. Dr. Berthold Fenigstein
KONZERT
A MSTERDAM: Die bedeutendsten Geniisse der
" jetzigen Saison danken wir Gustav Mahler,
dessen „Lied von der Erde** und „Kindertoten-
D 'iijli
i :v, C iOoqIc
lieder" die Hauptereignisse der vergangenen
Monate bildeten. Mengelberg, der einer der
ersten war, die Mahler aufzufuhren wagten, ist
noch jetzt ein eifriger Apostel des Meisters. Fur
das „Lied von der Erde** hatte er sich der iWit-
wirkung Frau Cahier's und des Munchener
Tenors Otto Wol f versichert. Beide Solisten,
herrlich von dem Concertgebouw-Orchester
unterstutzt, gaben eine Glanzleistung zu ge-
nieBen. Die „Kindertotenlieder" wurden von
Messchaert derartig interpretiert, daB sich am
Ende das Publikum, das den Concertgebouw-
saal uberfiillte, wie ein Mann erhob, um dem
gottbegnadeten Sanger zu huldigen. Weitere Neu-
auffuhrungen waren bei Mengelberg die dritte
Symphonie von Bruckner, bei Kapellmeister
Cornelis Dopper zwei Lieder mit Orchester-
begleitung, komponiert von Jeanne Beyermann
(von Frl. Repelaer van Driel gesungen) und
bei Kapellmeister Evert Cornelis eine Sym-
phonie „Moscou a des franzosischen Komponisten
Charles Tournemire. — Von Solisten hatten
wir bisher Elly Ney, die das B-dur Konzert
von Brahms spielte, Aino Ackt£ mit der
SchluBszene der „Salome**, den spanischen
Geiger Man6n mit der Laloschen Rbapsodie
espagnole und den Klavierspieler Egon Petri
mit dem dritten Beethovenschen Konzert.
Chr. Freijer
BERLIN: Am BuBtag fuhrte Siegfried Ochs
mit seinem Philharm onischen Chor die
Matthaus- Passion auf, und zwar wie im ver-
gangenen Jahre ohne jede Kurzung; vormittags
den ersten Teil, abends den zweiten. Uber die
j schnelle Temponahme des ersten Klagechores,
der dadurch an Kraft des Ausdruckes, an
Stimmung verlor, uber die Auffassung der
Chorale wfiren dieselben Bedenken zu auBern,
wie bei der ersten Auffuhrung im vergangenen
Winter. Sonst aber hatte man auch wieder eine
wahre Freude an der lebendigen Ausgestaltung
des Ganzen, an den dramatisch bewegten Volks-
choren, an dem Glanz und der Klangschonbeit
der groBen SchluBchore in beiden Teilen. Eine
ganze Schar Solokrafte war fiir diese Auffuhrung
gewonnen worden: Johannes Messchaert fur
den Christus, Matthaus Roemer fur den Evan-
gelisten; fur den Sopran die Damen Noorde-
wier - Reddingius und Anna Kaempfert,
fur den Alt Emmi Leisner und Lula Mysz-
Gm einer. Ein junger Tenor, George Meader,
fiel vorteilhaft auf durch die bluhende Frische
I des Organs. 100 Knabenstimmen aus dem
Koniglichen Domchor (Hugo Rudel) sangen den
! cantus firmus im ersten Chor; am Klavier
wirkte Max Seiffert, an der Orgel Bernhard
I Irrgang. Dem groBen Apparat all dieser
! Krafte ebenburtig zur Seite stand die Leistung
des Philharmonischen Orchesters mitihren treff-
I lichen Solisten. — Am Totensonntag gab es in
der Singakademie ein neues Werk zu horen.
1 Dort fuhrte Georg Schumann „Das Tranen-
kruglein" auf, das er nach einem Gedicht
von Hermann Erler gescbaffen hat. Der Tenor
erzahlt, wie sich die Mutter trostlos um den
Tod ihres Kindes abharmt. Um Mitternacht,
wahrend aus der nahen Kirche das Volk ein
I altes Weihnachtslied anstimmt, erscheint das
Kind unter dem Christbaum der Mutter, in der
! Hand das Kruglein, in dem es der Mutter
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
371
TrSnen gesammelt hat. Beide werden zum
SchluB von Engeln zum Himmel geleitet. Die
alte Volkssage ist zu einem ganz eigenartigen
Kunstwerk ausgestaltet. Der Musiker hat Klavier,
Orgel und Harfe, zu denen spater nur sparsam
ein kleines Orchester hinzutritt, zu interessantcn
Klangmischungen verwertet, die fast ubersinnlich
wirken. In ergreifendem Gegensatze zu dem
intensiv herben Jammer der Mutter steht dann
der Weihnacbtschor, zu dem eine alte Kirchen-
weise verwcndet ist, ein kunstvolles und doch
einfach gehaltenes Gebilde von schonster Klang-
wirkung. Wie dann das Kind erscheint, der
Jammer der Mutter sich lost, der alles Irdische
abstreifende Engelchor beide zum Himmel hebt,
das weifJ die Musik uns wirklich glaubhaft zu
machen. Die marchenhafte Stimmung, die gleich
anfangs angeschlagen wird, verlaBt uns keinen
Augenblick; das Ganze schwebt visionar an dem
Ohr voriiber. Auf das „Tranenkriiglein a folgte
das Requiem von Mozart, an dessen Ausfuhrung
sich Elfriede Goette, Emmi Leisner, George
A.Walter und J. von Raat z-Brockmann
als Solisten neben dem Chor der Singakademie
und dem Philharmonischen Orchester beteiligten.
Die Herren Eschke und Irrgang, der eine am
Klavier, der andere an der Orgel, Otto Muller
an der Harfe losten ihre Aufgabe in dem
Schumannschen Werke mit feinstem Verstandnis.
In Mozarts Requiem bewahrte die Singakademie
ihren altbegrundeten Ruf als trerTlich diszi-
plinierter Chorverein, — Im 3. Symphonieabend
der Koniglichen Kapelle dirigierte Richard
StrauB die drei Ouvertiiren zu „Genoveva u
von Schumann, zu ^Beatrice und Benedikt tt von
Berlioz und die Tragische von Brahms, ferner
die Serenade fur Violoncellosolo mit Streich-
orchesterbegleitung von Robert Volkmann, in
dem Hugo Dechert durch die Schonheit der
Tongebung erfreute, zum SchluB die Haupt-
nummer des Programms, seinen „Zarathustra a .—
Zwei StrauB-Abende bereiteten auf die StrauB-
Woche im Opernhause vor: Nikisch brachte als
Neuheit im 4. Philharmonischen Konzert das
festliche Praludium fur groBes Orchester, in
dem aber dem Tondichter herzlich wenig Neues
eingefallen ist, dann das Violinkonzert op. 8,
ein Jugendwerk voll reicher melodischer Er-
findung, klassisch geformt, das Alfred Witten-
berg sehr geschmackvoll und tonschon vortrug,
endlich die „Domestika tt , das letzte Glied in der
langen Kette der StrauBschen symphonischen
Dichtungen. — Ebenfalls in der Philharmonie
fand der Richard-StrauB-Abend statt, den Hugo
Riidel an der Spitze des verstarkten Konig-
lichen Opernchores veranstaltet hat. Mit
der schon fruher aufgefuhrten 16stimmigen
Hymne fur a cappella-Chor „Jakob a begann das
Programm, mit der neuen Deutschen Motette, j
ebenfalls fur lBstimmigen gemischten Chor,
a cappella und vier Solostimmen, schloB es. .
In beiden zeigt sich der Tondichter als Meister
in den kontrapunktischen Kunsten, ein Thema
in immer neuen Wendungen zu kuhnstem
architektonischen Aufbau zu verwerten. Was
in beiden Stucken einem Chor an Schwierig-
keiten in der Intonation zugemutet wird, steht
wohl einzig in der Chorliteratur da; auch an ,
die Leistungsfahigkeit der Soprane nach der j
Hone werden fast unmogliche Anfoj-derungenr
(V
gestellt. Selbst die Rudelsche Disziplin ver-
sagte an einigen Stellen bei den Sopranen. Als
Gesamtleistung floBte die Ausfuhrung der
Hymne wie der Motette die hdchste Be-
wunderung ein. Zwischen ihnen wurden noch
Mannerchore (auch a cappella) „geistlicber
Maien" und „Lied der Freundschaft* gesungen.
Dann erschien StrauB selber auf dem Podium,
um „Tod und Verklarung" und ein paar Lieder
fur Sopran mit Orchesterbegleitung zu diri-
gieren, die Frau Andrejewa von Skilondz
vortrug. An beiden Straufiabenden wurde der
Tondichter mit endlosem sturmischen Beifall
bejubelt. — Daran fehlte es auch nicht, als
Jose Vianna da Motta mit Begleitung der
von Busoni dirigterten Philharmoniker Mozarts
Klavierkonzert in Es, das in g von Sgambati, in
F von Saint-Saens und die Lisztsche spanische
Rhapsodie in der Busonischen Bearbeitung
spielte. Kraft, Elastizitat, vollendete Meister-
schaft in den verwegensten technischen Kunsten,
erstaunliche Ausdauer sind dem Pianisten nach-
zuruhmen, dessen kunstlerische Eigenart mich
stets wieder an Tausig erinnert, an dessen
stahlerne Herrschaft uber den Flugel.
E. E. Taubert
An der Spitze des Philharmonischen Or-
chesters erschien Leo Blech, um klarzulegen,
wie sehr ihm Beethovens Eroica ans Herz ge-
gewachsen ist. Der zweite Teil des Programms
bestand aus Fragmenten von „Oberon a und
„Tristan a ; hervorragend mitbeteiligt war dabei
Melanie Kurt, deren prachtvoller dramatischer
Sopran auch im Konzertsaal dank ihrer groBen
Schulung und Vortragskunst aufs schonste zur
Geltung kommt. — Das 2. Orchesterkonzert Max
Fiedlersgestaltetesichzu einem groBen Triumph
fur diesen ausgezeichneten Dirigenten, von dem
man selbst die verwickeltsten Stellen des „Helden-
lebens tt von StrauB aufs klarste und eindringlichste
zu horen bekommt. Das Philharmonische Or-
chester,dessen erster Konzertmeister Thornberg
die schwierigen Violinsoli ausgezeichnet spielte,
ging auf jeden Wink Fiedlers mit groBter Hin-
gabe ein und spielte auch mit besonderer Freu-
digkeit dessen noch ungedruckte Ouverture, ein
ganz famoses Werk, dessen Hauptthema aus-
gesprochenen Lustspielcharakter sowohl in der
Erftndung als Instrumentation hat, wfihrend das
zweite Thema in Wohllaut schwelgt. In dieser
prachtig gearbeiteten, in einer glanzvollen Coda
gipfelnden Ouverture ist kein toter Punkt, alles
lebt und blunt darin, kurz sie kann, wenn sie
gedruckt ist, darauf rechnen, von jedem Orchester
standig gespielt zu werden. Solist in diesem
Fiedlerschen Konzert war Mischa El man, der
mit dem Brahmsschen Konzert groBe Ehre
einlegte. — Auf das groBe Geigentalent Nora
Duesbergs aus Wiendarf nach hal tig hingewiesen
werden; ihr Ton ist selbst in den hochsten Lagen
edel und groB, ihr Vortrag des Tschaikowsky-
schen Konzerts (Bluthner-Orchester) war in jeder
Hinsicht vortrefflich. — Das Brusseler Quar-
tett entzuckte seine erfreulicherweise endlich
sehr gewachsene Zuhorerschaar, in der die Frei-
billetler fehlen, mitSchuberts a-moll, Schumanns
A-Dur und Brahms' B-Dur, einer Zusammen-
stellung, wie sie schoner gar nicht gedacht werden
kann. — In dem Programm des vortrefFlichen
SevSik-Quartett s^ata^mhczw jschen Mozarts
C UNIVERSITY OF MICfflGAN
372
DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
d-moll und Beethovens G-Dur der noch unge-
druckte dreisitzige Zyklus „Lebenslenze a fur
Streichquartett und Klavier op. 5 von dem jungen
Prager V. Stepin, der selbst vortrefflich den
Klavierpart ausfuhrte, recht merkwurdig aus.
Sicherlich fehlt es ihm nicht an Fantasie, auch
nicht an genialen Einfallen, aber seine Freude
an fortwahrenden Dissonanzen und an der rein
willkurlichen Aneinanderreihung von meist sehr
gesuchten, ja bizarren Gedanken wirkt gar zu
verstimmend. — Henri Marteau bildet mit
seinen jungen Quartettgenossen bereits ein
so ausgezeichnetes Ensemble, daft sogar Beet-
hovens a- moll schon eine direkt weihevolle,
technisch selbstverstUndlich vollendete Wieder-
gabe findet. Statt der Bachschen Ciacona, die
Marteau wieder einmal vortrug, hatte ich aber
auf dem mit Beethovens e-moll beginnenden
Programm lieber noch ein Quartett gesehen. —
Das Meistertrio Artur Schnabel, Carl Flesch
und Jean Gerardy begeisterte mich wieder ein-
mal in hohem Grade, besonders als es Tschai-
kowsky's Trio spielte. — Recht jung sind noch
Ricardo Vines, ein feiner Pianist, Mariano
Perello, ein solider Geiger, und J. Pedro
Mares, ein temperamentvoller Violoncellist, die
das Trio aus Barcelona bilden und uns mit
Beethoven D-Dur, Schumann g-moll und Dvorak
f-moll recht annehmbar aufwarteten; ein Trio
eines spanischen Komponisten bekamen wir
leider nicht zu horen. Wilhelm Altmann
John Petersen veranstaltete mit dem Aka-
demischen Chor und den Philharmonikern
eine Auffiihrung der „Jahreszeiten a . Sie liefl
ernstes Streben und fleifiiges Studium erkennen
und nahm, abgesehen von der Neigung des
Dirigenten zu breiten Zeitmafien und einer etwas
spieBburgerlichen Gesamtauffassung, einen im
grofien und ganzen befriedigenden Verlauf. Den
stfirksten Eindruck des Abends vermittelte die
Mitwirkung Messchaert's, neben dem die Ver-
treter der Hanne und des Lucas (Marta Thanner
und Pancho Kochen) begreiflicherweise einen
schweren Stand hatten. — Der Pfannschmidt-
scheChor (Dirigent: Heinrich Pfannschmidt)
machte Berlin am Bufttag mit dem Oratorium
„Quo vadis? a fur Soli, Chor, Orchester und
Orgel von Felix Nowowiejski bekannt. Eine
nicht gerade erfreuliche Bekanntschaft. Den
Komponisten leitete bei der Wahl und musi-
kalischen Behandlung des Stoffes (den drama-
tisch-theatralischen Szenen liegt der vielgelesene
Roman von Henryk Sienkiewicz zugrunde) ofPen-
bar der Gedanke, ein Werk zu schaffen, das sich
weniger an einen beschrankten Kreis von Kunst-
kennern als an das grofie Publikum wendet.
Eine Art Volksoratorium also. Die hohe Zahl
von Auffuhrungen, die sein Werk in vielen
Stadten des In- und Auslands bereits erlebt hat,
spricht fiir die Richtigkeit dieser Annahme.
Weniger allerdings fur die Wahrheit des alten
Wortes, daft fur das Volk das Beste gerade gut
genug sei. „Quo vadis" ist die Arbeit eines ver-
sierten Musikers, der eine ganze Menge, bei-
nahe zu viel, gelernt hat und sich vor allem
auf alles Technische, im Chor- wie im Or-
chestersatz, glanzend versteht. Er weifi mit
routinierter Hand Steigerungcn aufzubauen, ob-
wohl ihn das fortwahrende Schielen nach dem
Effekt ein Massenaufgebot an aufierlichen Mitteln
n'::]":!/r?r! :v,- V fOOQI'C
(V
mit wirklich innerer Kraft des oftern verwechseln
lafit. Nowowiejski ist in alien Arten des Stils so
gut zu Hause, dafi er leider keinen eigenen be-
sitzt. Seine Tonsprache entbehrt zu sehr krif-
tiger Individualist, urn einen Abend lang fesseln
zu konnen. Das Ganze ist mehr ein Triumph
kompositorischer Gewandtheit, als der Nieder-
schlag uberzeugenden Kiinstlertums; weit mebr
an- und nachempfunden, als aus tiefster Seele,
aus innerstem Zwang geboren. Als eine Talent-
probe wird man „Quo vadis" naturlich gern
gelten lassen, es aber ebenso naturlich ablebnen,
dieses Oratorium mit dem Tinelschen „Franzis-
kus" z. B. in einem Atem zu nennen. Die Auf-
fiihrung liefi mit Ausnahme der vortrefflichen
Chorleistungen und der Sopranistin Elsa Laube
infolge der Unzulanglichkeit des Berliner Kon-
zerthaus-Orchesters und der mSnnlichen Solisten
manches zu wunschen ubrig. — Eine neue
Kammermusik - Vereinigung stellte sich vor,
das Berliner Streichquartett: Gertrud
Steiner-Rothstein (1. Violine), David Hait
(2. Violine), Kurt Lietzmann (Bratsche) und
Fritz Becker (Cello). Zur Wiedergabe aus dem
Manuskript kam ein Streichquartett in e-moll
des so fruhzeitig aus dem Leben geschiedenen
Erich J. Wolff. Man hat dem Andenken des
ausgezeichneten Begleiters und feinsinnigen
Lyrikers mit dieser Vorfuhrung wahrlich keinen
Dienst erwiesen: es ist eine schwache Studien-
arbeit, unbedeutend in der Thematik, reizlos in
der Verarbeitung. Eine Hauptschuld an dem
ungiinstigen Eindruck tragt uberdies die Aus-
fiihrung. Was sorgrdltige Durchfeilung, Feinheit
der Abschattierung und Sauberkeit der Intonation,
kurz was kultiviertes Zusammenspiel anbelangt,
lafit diese neue Vereinigung mit dem priten-
siosen Namen vorlaufig so gut wie alles zu
wunschen tibrig. Das Programm verzeichnete
noch Regers op. 74. Willy Renz
Robert Kothe trug in seinem letzten Konzert
eine ganze Reihe alter Volksgesange zur Laute
zum ersten Male vor. Der ausverkaufie
Beethoven-Saal bejubelte wie alle Darbietungen
des Kiinstlers auch diese neuen Gaben. —
Karen Bjerlow ist eine tuchtige Pianistin, die
Beachtung verdient. Sie besitzt eine gute aus-
geglichene Technik, einen kraftigen Anschlag,
auch ist ihr Vortrag nicht ubel, der jedoch unter
einer augenscheinlichen Nervositat litt. Von den
Klavierstiicken von Victor Bendix, die zum
ersten Male in Berlin gespielt wurden, konnte
nur das Menuett durch guten Satz und das
Volkslied durch etwas aparte Erfindung inter-
essieren. — Zwei echte Musiker — Walter
Meyer-Radon (Klavier) und Richard Kroemer
(Violine) — hatten sich zu einem Sonatenabend
zusammengetan; beide besitzen so ziemlich alles,
was man hierzu benotigt. Man konnte daher
auch nur reine Freude an den Darbietungen
dieser beiden noch sehr jungen Kunstler baben
und mud die grofiten Hoffnungen auf sie setzen.
— Bianca del Vecchio (Klavier) ist zwar noch
ein Kind, besitzt jedoch jetzt schon fast die
reife Technik eines Erwachsenen. Hoffentlich
wird aus dem begabten Kinde noch eine echte
Kunstlerin. — Maria Seret-van Eyken gehort
schon seit mehreren Jahren zu unseren be-
liebtesten Altistinnen. Auch an ihrem letzten
Liederabend. erfreute sie ihre zahlreichen Zu-
Uriqinal from
UNIVERSITYOF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
373
borer durch ihre kraftige und klangvolle Stimme.
— Lorle MeiBner hat entschieden Anwartschaft
darauf, in die Reihe unserer allerersten Konzert-
sSngerinnen aufgenommen zu werden. Was ich
zu horen bekam, wurde von ihr fast vollendet
vorgetragen. Die gut geschulte Stimme ist von
selten schdnem Wohlklang, und der Vortrag fein
durchdacht, ein wenig an den Julia Culps er-
innernd, die sie jedoch an Kraft der Stimme
ubertrifft. Max Vogel
Waclaw Kochanski, ein eher tuchtiger
als auBergewohnlicher Geiger, unternahm es,
seinem Publikum nur mit Violin-Soli (Bach-Reger-
Abend) zu dienen. Er entledigte sich seiner sehr
schwierigen Aufgabe zwar nicht ubel, aber immer-
hin nicht so, daB man ihm das Experiment noch
einmal anraten konnte, zumal reine Violin-
Soli so gut wie immer mehr Kunststueke als
vollgultige, erbauende Kunst darstellen. — Im
1. Abonnementskonzert der Herren Florian Zajic
und Heinrich Grunfeld brachte Lula Mysz-
GmeineralsSolistin sechs Liedervon Schumann
zum Vortrag und bewies damit abermals, wie
sie jedem Komponisten auf die ihm eigenste
Weise gerecht wird. Im Brahms-Quartett op. 25
— mit Ossip Gabrilowitsch am Klavier und
Hans Hasse (Bratsche) — wurde leider viel
gekratzt, so daB man beim besten Willen zu
keinem rechten GenuB gelangen konnte. — Betty
Tennenbaum (Geige) spielte mit gut musika-
lischem Temperament die Konzerte a- moll von
Dvorak und h-moll von Saint-Saens. Nament-
lich die langsamen Satze habe ich selten so ein-
dringlich-innig spielen horen. Ihre Mitwirkende,
die Hofopernsangerin Margarete Strauch, kann
sehr viel, aber ihre technischen Fahigkeiten ver-
fuhren sie zu erzwungenen Kunsteleien; in
kleinen Liedern wirkt sie am besten. — Anne-
marie Monti, deren Material recht angenehm
wirkt, sang sonst leider so wenig anziehend, dafi
man um so mehr Aufmerksamkeit dem starken
Talente des jungen Felix Robert Mendelssohn,
der mitwirkte, zuwandte. Dieser junge Cellist
nimmt es heute bereits mit vielen Tuchtigen
seines Faches auf und durfte sen on nach wenigen
Jahren in die erste Reihe einrucken. — 5. Klavier-
abend von Edouard Risler. Das wichtigste Stuck
des Abends war die B-dur Sonate op. 106 von
Beethoven, die „Hauptsonate tt sozusagen. Trotz
der herben, stillen Beseelung, die ihr Risler zu-
teil werden lieG, und trotz des eminenten Spiels
kam die eigentliche poetische Idee nicht rein,
eben nicht leidenschaftlich genug heraus. Den-
noch fiihlte man uberall: hier ist einer der drei,
vier Leute, die diese „groBe Philosophie" ver-
mitteln durfen. — Bei Therese und Willy Bar-
das (Gesang und Klavier) kann man schon mehr
als von einem auBerordentlichen Nachwuchs
sprechen. Namentlich der Pianist sucht mit
seinen klugeroberten technischen Mitteln Feinstes
(Beethoven c-moll Sonate op. Ill) nachzuempfin-
den, was ihm oft erstaunlich gelingt. Auch die
Sangerin, ein schoner, satter Alt, bietet zur Ge-
nuge Bemerkenswertes, das auf ihren Namen
merken heifit. Arno Nadel
Die Pianistin Else Gipser ware den Ersten
in res Faches beizuzahlen, wenn die poetische
Ausdeutung der Kunstwerke auf derselben Stufe
stunde wie ihre Technik. Diese ist bewunderns
wert, aber viele Stellen bei Ctyopfn upd Liizt
[J :i;i/ ? j:! :>Y Citf (Wf i
klangen trocken und nicht restlos ausgeschSpft.
— Einen groBen kiinstlerischen Erfolg erspielte
sich der junge Geiger Roderick White. Sein
edler Ton voll Gefuhl und Wfirme wird durch
eine bedeutende Technik unterstutzt und echtes
Musikertum offenbart sich aus alien AuBerungen.
— Albert Spalding (Violine) und Coenraad
V. Bos (Klavier) gaben einen Sonatenabend
mit klassischem Programm. Beide rechtfertigten
durch ihre gediegenen Leistungen wieder den
Ruf ihres ausgezeichneten Namens. — Der
Hauptvorzug der Mezzosopranistin Fredy Juel
ist ihr hervorragendes Vortragstalent. Die an
sich hubsche Stimme ist nicht ganz ausgeglichen
und klingt manchmal etwas flach. — Im BuB-
tagskonzert vom Orchester des Deutschen
Opernhauses unter Leitung von Ignatz Wag-
halter erlebten vier BuB- und Betlieder von
E. von Reznicek ihre Urauffuhrung. Sie
machten, vom Baritonisten Werner En gel ge-
sungen, einen tiefen und nachhaltigen Eindruck.
Sie zeichnen sich durch Einfachheit der Kon-
zeption und wahre Empfindung aus und sind
von einem wunderbar klingenden instrumentalen
Gewande umgeben. Wladyslaw W a g h a 1 1 e r
spielte das Violinkonzert von Brahms mit sicherer
Erfassung des Stiles. — Ein GenuB war das
Konzert der Geigerin Isolde Menges mit dem
Bluthner-Orchester. Sie ist in jeder Beziehung
eine berufene Kunstlerin,von dernoch vielGroBes
zu erwarten ist. Lyell-Tayler ist ein tuch-
tiger Kapellmeister, der in unsere deutsche Musik
nur etwas zu viele Nuancen hineinbringt. —
Der Ton des Pianisten Nino Rossi ist noch zu
wenig kultiviert, sein uberscharfes forte verdirbt
ihm viel. Sein musikalisches Talent ist sonst
bedeutend. — Die Altistin Maria Freund sang
„Die Winterreise** von Schubert. Ihr Vortrag
zeugt von hoher musikalischer Intelligenz und
warmer Empfindung. Die Stimmkultur, be-
sonders die Atemtechnik, steht nicht auf so
hoher Stufe. — Angenehme Eindrucke nahm
man auch aus dem Klavierabend von Magda
von Hattingberg mit. Man mochte nur
wunschen, daB sie bei ihrer groBen Begabung
etwas mehr aus sich herausginge. — Der Ber-
liner Arzte-Orchester-Verein veranstaltete
unter Mitwirkung der Chor-Vereinigung Berliner
Arzte sein 1. Konzert. Der lnstrumentalkorper
ist gut besetzt und enthalt nur wenige Berufs-
musiker. Die Erste Symphonie Beethovens unter
Leitung von Max G run berg war noch etwas
zu hoch gegriffen. Sauberkeit, PrSzision und
Dynamik lieBen da noch manches zu wunschen
ubrig. Chor und Orchester wurden dann von
dem begabten Kurt Singer geleitet. Auch hier
flel der Mangel aller Nuancierung auf. — Als
besonders nach der musikalischen Seite hin
tuchtiger Cellist stellte sich J. Pedro Mar6s
vor. Schnelle Passagen lieBen noch den letzten
Schliff vermissen. Emil Thilo
Eine Fulle kostlicber Genusse gewahrte die
vornehme Gesangskunst von Edyth Walker.
Die Stimme klingt im forte, besonders in der
Hohe schon oft scharf, im piano hat sie ihre
alte SuBigkeit bewahrt, und hier war es, wo die
Sangerin stets die tiefstgehenden kiinstlerischen
Eindrucke erzielte, so in dem reizend-anmutigen
Vortrag franzosischer Chansons, so in Liszts
„Mignon a , Brah&1qu'l|^i|c(ircgrtJ a usw. Von
UNIVERSITY OF MICHIGAN
374
DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
Gustav Brecher wurde sie ganz meisterhaft be-
gleitct. — Anni Ritters dicker und ausgiebiger
Mezzosopran wies in der Mittellage schon
haufig Spuren von Ubermudung oder unrichtiger
Behandlung der Stimme auf. Zu einem un-
gestorten GenuB kam es, da gelegentlich auch
Intonationsschwankungen sich einstellten, nicht,
auch ware ein nuancierterer Vortrag recht
wunschenswert gewesen. — Licco Amarspielte
mit dem von Max Wachsmann geleiteten
Bliitbner-Orchesterdas Violinkonzertvon Brahms
und zog sich im aligemeinen befriedigend aus
der Affare. Seine Technik bedarf noch der Glatte
und absoluter Sicherheit; der GroBe der Musik
wurde er nur in bescheidenem Mafle gerecht. —
Im wesentlichen dieselben Eindrucke wie fruher
erweckte der Liederabend von Minna Weidele;
wieder konnte man sich an der intelligenten
Art zu singen und ihrem musikalischen Ver-
standnis erfreuen. Stimmlich schien sie an
diesem Abend nicht besonders gunstig disponiert,
dagegen gab sie sich ersichtlich Muhe, dem Vor-
trag groBere Wiirme zu verleihen, was ihr auch
des ofteren gelang. — Mit Gluck fiihrte sich die
Trio-Vereinigung Edith Voigtlaender, Hans
Bottermund und Adolf Miiller ein. Das Zu-
sammenspiel war sauber und zeugte von HeiBigen
Studien. Beethovens Es-dur Trio op. 3 gab den
KunstlernreichlichGelegenheit, sich einzeln und
im Ensemble vorteilhaft zu bewahren. Unein-
geschranktes Lob verdient Angelika Rum m el,
deren Organ sich nach der Tiefe zu ausgedehnt
zu haben scheint, und die in der Tongebung
diesmal die erfreulichsten Wandlungen zum
Besseren aufwies. — Elise Waldmann besitzt
eine hohe Sopranstimme von kleinem Volumen,
aber sehr lieblichem, klarem Timbre. In der
beneidenswerten Lage, sich auf den Tonen um
h 3 herum behaglich wiegen zu konnen, erzielte
sie mit allem, was hierauf zugeschnitten war,
schone Wirkungen. Weniger gut ist es zurzeit
noch um ihre Kehlfertigkeit bestellt; hier war
vieles recht verwischt, und ihr sogenannter
Triller loste sich ofter in eine Art starken Bebens
auf. — Constantin N ottaras violinistische F2hig-
keit ist zurzeit noch nicht besonders entwickelt.
Fur Mozarts A-dur Konzert fehlte ihm Sauber-
keit in der Tongebung und der Technik. Etwas
besser lag ihm die blendendere Schreibart des
d-moll Konzerts von Wieniawski. — Im Voll-
besitz ihres herrlichen Organs und ihrer hohen
Kunst erzielte Ella Gmeiner durch die hin-
reiBende Warme und Gestaltungskraft ihres Vor-
trags ttefgehende Wirkungen. Sie vereinigt in
ihrer Art der Reproduktion alle Vorzuge der gut
geschulten, in Atem und Tongebung untadelhaften
Konzertsfingerin mit dem lebendigen Erfassen
und der Vortragsw2rme der Buhnenkunstler.
Ludwig W. Spoor zeigte sich als hervorragender
Techniker und geistvoller Begleiter. — Mattia
Battistini'sStimmeklingtnochimmerfrischund
bluhend, wie die eines Junglings. Bewunderns-
wert ist die Leichtigkeit seiner Tongebung. Wie
Leuchtkugeln schweben die Tone daher, elastisch,
unbehindert durch irgendwelchen Zwang. Hand
in Hand damit geht eine vollendete Atemfuhrung
und glanzvolle Technik. Battistini ist heute eine
interessanteSpezialitat; Herzund Gemutkommen
bei ihm nicht auf die Kosten, wohl aber das
Ohr, das im Wohllaut^des schanen Organs
(V
schwelgt, wenn es dafur auch die vielen AuBer-
lichkeiten der Manier und die Leere der Musik
mit in Kauf nehmen muB. Hans PleB, der sich
als Dirigent mit der Leonoren-Ouverture No. 3
recht ungunstig eingefuhrt hatte, lied als Kom-
ponist eines Scherzos fiir Orchester zwar leid-
liches Beherrschen des HandwerksmaBigen, aber
wenig Erfindungsgabe und wenig eigene Gedanken
erkennen. Als Begleiter war er besser am
Platz. — Eine schone, besonders in der hohen
Lage wohlklingende Sopranstimme, aber wenig
Kunst zeigte Emmy Nawrath. Die Stimme
steckt fast durchweg bei mittleren Starkegraden
im Hals, und infolgedessen flackert fast jeder
Ton; ruhige Tone erscheinen nur im AfTekt des
forte. Der Vortrag fiel meist befriedigend aus. —
Dora Bern steins angenehmer und besonders
in der hoheren Mittellage wohlklingender Sopran
wurde viel groBere Wirkungen erzielen, wenn
die Sfingerin durch unerbittliche Atemstudien
Ruhe in der Tongebung erlangen mSchte. Jetzt
flackert alles und setzt hie und da sogar die
Intonation in Frage. Der Vortrag zeugt von
musikalischem Erfassen und wurde ebenfalls
viel lebendiger und klarer wirken, wenn er nicht
durch jenen Kardinalfehler beeintrachtigt wurde.
E mil Liepe
Der Putschsche a cappella-Gesang-
v ere in bot unter Leitung seines Dirigenten
Martin Grabert Chorgesange von Ecker, Haupt-
mann, Schein, Reinecke, Kauffmann („Am Meer",
op. 19, mufite wiederholt werden) und Grabert.
Die stimmlichen Qualitaten des Chors hatten
anscheinend unter der damals schlechten Witte-
rung zu leiden, denn bedenkliche Rauheiten und
Intonationsschwankungen durften bei einem gut-
geschulten Chor nicht vorkommen. Technisch
gelang manches recht gut. Die mitwirkende
Sopranistin Mary Mora von Goetz sang u. a.
ein prachtiggelungenesLiedGraberts„Ganymed ft .
Weiterhin steuerte das Ehepaar Otto und Lucy
Nikitits einige kammermusikalische Beitrage
bei, die freundliche Aufnahme fanden. — Agnes
Frid richowicz (am Klavier: CoenraadV. Bos),
absolvierte ein wodernes Programm; u. a. sang
sie Wagners Wesendonk-Lieder, deren groBe
Poesie aber recht wenig erschopft wurde. Manches
gelang immerhin so gut, daB man auf die Zu-
kunft seine Hoffnungen setzen kann. — Elsa
Dankewitz sang, von James Simon stimmungs-
voll und exakt begleitet, ebenfalls (und erfreu-
licherweise) „Moderne Lieder". Ihre umfang-
reiche Stimme klingt wohltimbriert, auBer in
der Hohe, die leicht einige Scharfe (vielleicht
ist dies zuviel gesagt) annimmt. Auch das mezza
voce, das stellenweise recht gut gelang, muB
noch mehr kultiviert werden. Ebenso sollte der
Vokalisation groBere Sorgfalt zugewandt werden.
— Elsa Op pier hatte sich mit dem Organisten
Ludwig Schmidthauer vereinigt. Die Stimme
der Dame ist sehr sympathisch, ihr Vortrag wohl-
durchdacht. Man konnte warmer noch bei ihrem
Singen werden, wurde die Aussprache noch sorg-
faltiger. Der „Orgelschlager tt hat total „moderne
Form". Bach und Reger (als reiner Kontra-
punktiker) ist nichts fur ihn. Eine recht ge-
schickte Transsknption: „Ah, vieni o Flora** aus
Haydns „Jahreszeiten a brachte er mit viel Ver-
standnis zu Gehor. Seine Glanzleistung war
die Ers^t| r jSvm^fif)|n4 | e | - | - | von F. A. Guilmant. Fur-
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
375
wahr eine respektable Leistung. Manual- und
Pedaltechnik erwiesen sich als durchaus zu-
verlSssig, und registrationstechnisch leistcte
Schmidthauer mitunter Hervorragendes. Nur
hatte er sich weniger der Walze bedienen durfen.
Das Kolorit wird dadurch leicbt stereotyp. Auch
seine Manier zu staccatieren gefallt mir nicht.
Ein Orgelstaccato darf keinesfalls k 1 a v i e -
ristisch klingen. Man muB stets bedenken,
daB man nicht „anschlagt*, sondern(durch Tasten-
druck) Ventile offnet und schlieBt. — Lissy
Bottcher hatte in Carl Schaeffer einen
Klavierpartner gefunden. Ihre Stimme ist noch
zu wenig ausgeglichen. Mitunter klingt nicht
ubel, was sie singt, aber der Mangel jedweden
rassigen Empfindens verleidete mir ein langeres
Verweilen. Der Pianist muB sich technisch und
musikalisch noch bedeutend vervollkommnen,
will er nicht in dem heiBen Rennen unsrertasten-
meisternden Welt ein klaglicbes Fiasko erleiden.
— Die Pianistin Else Burger ist technisch
bereits weiter gefordert. Doch muB sie, um
dauernd fesseln zu konnen, in Zukunft bemuht
sein, die Harte ihres Anschlages grundlich zu
revidieren. — Das 4. Konzert Edouard Rislers
war wiederum ein pianistisches Ereignis. Wie
dieser Meister alle Raffinements der Anschlags-
und Pedaltechnik beherrscht, wie er den inneren
Gehalt der Kompositionen mit kunstlerisch
vollendeter Manier zum Vortrag bringt, wie er
es versteht, jenen geheimnisvollen Konnex
zwischen sich und dem Publikum herzustellen,
der notwendige Bedingung ist fur eine tief-
gehende beiderseitige Empfindungseinigkeit, das
ist einfach fabelhaft. — Ein Pianist, der viel
verspricht, ist Ignatz Tiegermann, der mit
dem Bluthner-Orchester unter der Direktion
Leonid Kreutzers konzertierte. Die Konzerte
in c von Rachmaninoff, in e von Chopin
und in g von Saint-Saens wurden von ihm mit
technischer Prazision gespielt. Weniger mit
rhytlimischer; hier erlaubte er sich zu starke
Rubato-Tempi, die manieriert klangen und den
Gesamteindruck nicht unwesentlich beeintrach-
tigten. Sein Anschlag ist besonders im f und ff
viel zu hart. — An kammermusikalischen Ver-
einigungen horte ich das Trio der Herren
Romuald Wikarski (Klavier), Albert Stoessel
(Violine) und Alexander Schuster (Violoncello),
das Ungarische Streichquartett und das
Pariser Capet-Quartett. Erstere musizierten
in hochst erfreulicher Weise, mit ausgeglichener
Nuancierung und mustergiiltiger Phrasierung.
Nur muBten sie sich befleiBigen, mit groBerer
Innerlichkeit zu spielen. Die Ungarn sind
bei uns bereits sehr geschatzt wegen ihres
warmblutigen Spiels. Bei diesem gediegenen
Ensemble war denn auch eine aus dem Manu-
skript erstmalig gespielte „Kleine Suite fur
Streichquartett** in F von Nikolaus Radnai gut
aufgehoben. Sie erspielten ihr einen annehm-
baren, wohlverdienten Erfolg. Das funfsatzige
Werk macht einen durchaus guten Eindruck.
Ein PrSludium beginnt und ein diesem ahn-
liches, will sagen verwandtes Postludium be-
schlieBt die Suite, deren weitere Satze aus einem
zierlichen, effektvolien „Menuett a , einer „Aria a
mit vornehm gefuhrtem Melos und charakteristi-
scher harmonischer Grundfarbung und einem
temperamentvollen, sehr witzigeir ^"Scherzo" tje-
D':::i':l-'uij : )v l lOOQIl
stehen. Eingerahmt wurde diese Novitat durch
C. Francks D-dur und Beethovens Es-durQuartett,
op. 74, die beide hervorragend schon zu Gehor
kamen. Die Franzosen veranstalteten einen
Beethoven-Abend, an dem sie die opera 18/5, 95
und 131 zu vollendetem Vortrag brachten. Warum
allerdings die thematischen J /io des ersten Satzes
aus op. 95 wie ft klingen sollen, ist mir unklar.
Das thematische Bild wird dadurch keineswegs
deutlicher, im Gegenteil. Im ubrigen aber machten
die vier Kunstler ihrem beruhmten Namen alle
Ehre, und es ist jedesmal ein Vergniigen, zu
horen, mit welcher Objektivitat sie unseren
deutschen Meister interpretieren. Manche Kol-
legen mogen sich an ihnen darin ein Beispiel
nehmen. Carl Robert Blum
Lily von M£rkus zeigte an ihrem Klavier-
abend reiches Konnen, das ihr in musikalischer
wie technischer Beziehung in hohem Mafie zur
Verfugung stand. Die Sonate f-moll von Brahms
ware mir in breiterer Auffassung lieber gewesen.
— Joseph Schwarz gab einen wohlgelungenen
Chopin-Abend. Er ist eine gesund musikalische
Natur, die noch mehr der Reife bedarf. Etwas
Einschrankung in bezug auf Schnelligkeit der
Tempi brachte ihm Vorteil. — Mena Nechans-
ky (Topfer) spielte vortrefflich. Die Wiedergabe
der Waldstein-Sonate war groB und mannlich.
— Max Heineken verliert sich zu sehr ins
Detail, und dies wird leider zur Manier. Ein
Mehr- Herausgehen und kraftigeres Zufassen
waren ihrem Klavierspiel giinstiger. — Adolphe
Borchard gab einen Etudenabend; Clementi,
Chopin, Rubinstein, Saint-Saens, Liszt. Obwohl
die Wiedergabe ein sehr gutes Gelingen hatte
und dem Pianisten reiche Ehre brachte, ware es
dennoch besser, wenn Clementi und Rubinstein
ferngeblieben waren. — Edmund Sch mid spielte
u. a eine Sonate d-moll op. 4 von Waldemar
Schmid, die dem Pianisten reiche Gelegenheit
gab, sein Konnen zu zeigen. — Hans Baer steht
noch in den Anfangerschuhen; vielleicht daB
jahrelanges Studium ihn zur Kunst erziehen
kann. — Kurt Paur ist reifer geworden. Sein
ernstes Streben ist nicht zu verkennen. Etwas
groBere Auffassung und mehr Mitgehen des
Innern wurde aus ihm einen Werdenden machen.
— Josef Lhevinne spielte fein Klavier. Ob
diese Feinheit fur ein op. 81a und op. 109 von
Beethoven ausreicht, bestreite ich, da die innere
GroBe und Gestaltungskraft, die wir an unseren
GroBen gewohnt sind, fehlt. Hanns Reiss
Conrad Ansorges treue Gemeinde — von
dieser muB auch einmal gesprochen werden —
hat sich wahrend der letzten Jahre in ihrer Zu-
sammensetzung nicht geandert: Vorn im Saal
wurdige, meist schon ergraute Leute, in stummer
Erwartung vor Beginn des Vortrags, dem sie
dann regungslos mit geschlossenen Augen zu-
horen; hinten im Saal eine Anzahl fragwurdiger
Kunstlertypen mit Notenbuchern; nirgends w Frei-
beuter 44 , andererseits auch wenig Eleganz, zudem
fast gar keine Auslander. Niemand stort den
andern; zwischen den Satzen einer Sonate wird
| nicht geklatscht; der Beifall am Schlusse ist stets
! herzlich, aber nie sturmisch; Zugaben werden
; weder gefordert noch gewahrt; kurzum, dieses
I Publikum ist sympathiser]. Ein unsichtbares
Band verbindet alle Anwesenden untereinander
, und jeden EinzelnCi^prj iqnjit| ^^fr<j^^nstler auf dem
UNIVERSITY OF MICHIGAN
376
DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
Podium. Der freilich ist nicht mehr ganz der-
selbe wie ehedem. Aus dem „Poeten am Kla-
vier" scheint mir immer mehr ein grublerischer
Denker zu werden. Eine Alterserscbeinung, der
man sich nicht freuen kann. — Gleich ihm
spielte auch Ossip Gabrilowitsch die Path£-
tique-Sonate. Daft diesem gewandten musika-
lischen Weltmanne nur der auftere Aufbau ge-
lingen wiirde, war vorauszusehen. Besser liegen
ihm die Chopin'schen Etuden. Hier vermag er
sein eminentes techniscbes Konnen glanzvoll
zu entfalten und seine Horer durch eleganten,
schwungvollen Vortrag zu begeistern. Er kann
alles, was Ansorge nicht kann, aber es fehlt
ihm dessen Innerlichkeit. — Auch TbSophil
Demetriescu ist ein rassiger Klavierspieler;
aber an Gabrilowitsch reicht er in keiner Hin-
sicht heran. Recht ubel waren seine Kadenzen
zu Beethovens G-dur Konzert; sie fielen stili-
stisch ganz aus dem Rahmen (nota bene: Stil-
reine Kadenzen brauchen durchaus nicht immer
langweilig zu sein). — Ein Klavierabend von
W. G a m a 1 6 j a zeigte den Konzertgeber als
einen gewandten Tonsetzer und nicht unbegabten
Klavierspieler. Daft er technische Mangel durch
ubermaftigen Pedalgebrauch zu verschleiern
suchte, gereichte seinen Darbietungen nicht zum
Vorteil. — Uber den ersten Liederabend des
Kotzoltschen Gesangvereins ist nur das
eine zu sagen, daft dieser Verein gut daran tate,
die Kritik nicht zu bemiihen und statt des ehr-
wiirdigen Saales der Singakademie ein beschei-
deneres Lokal zu wahlen, so lange er selbst bei
einfachen kleinen Chorliedern einen halben oder
gar ganzen Ton herabrutscht und weder im
Stil noch im Ausdruck groftstadtischen Anforde-
rungen genugt. — Nicht sehr erhebend verlief
auch ein Konzert des Geigers M. Fibere. Der
junge Kunstler spielte mit warmer, aber schwach-
licher Tongebung zumeist einen Viertelton hoher
oder tiefer als das Orchester, und ein arger
Eklat wurde nur dadurch verhiitet, daft eine vom
Publikum kaum bemerkte Repetition etlicher
zwanzig Takte (des letzten Satzes der Schotti-
schen Phantasie von Bruch) den Solisten wieder
in Konnex mit dem Orchester brachte. Alle
Achtung vor der Schlagfertigkeit der Kapelle
und ihres Dirigenten Edmund v. Strauft. —
Der zweite Kammermusikabend des Klingler-
Quartetts bot eine Novitat, ein Streichquartett
von Karl Klin gler: Wohllautende, aber indiffe-
rente Musik nach klassischem Rezept; in for-
maler Hinsicht aufterordentlich geschickt gear-
beitet, jedoch ohne wertvollen Inhalt. Die Vor-
fiihrung dieser Epigonenarbeit war um so un-
notiger, als das Klingler-Quartett der sonstigen
zeitgenossischen Produktion keinerlei Interesse
entgegenbringt. Im ubrigen sei noch konstatiert,
daft die Interpretation des B-dur Quartetts
(op. 67, No. 3) von Brahms ganz wundervoll und
uber jede Kritik erhaben war.
Richard H. Stein
Der Charlottenburger Lehrergesang-
verein sang zum erstenmal unter seinem neuen
Dirigenten Emil Thilo. Das Konzert machte
einen sehr guten Eindruck, und die Vervoll-
kommnung, die Thilo schon in dieser kurzen
Zeit e*rzielt hat, ist aller Ehren wert. Besonders
nach seiten eines schonen piano sowie auch
nach seiten der lang entbjehrten DiSjZiplin waren
C 1
grofle Fortschritte unverkennbar, so daft man
dem Verein unter Thilos Leitung wohl eine
gute Zukunft voraussagen darf. Marix Lo even-
so hn spielte mit schonem Ton, aber nicht 2u-
reichender Technik einige Cellostiicke, deren
Zusammenstellung allerdings nicht eben viel
Geschmack verriet. — Vernon d'Arnalle, der
mir als guter Klavierspieler bekannt war, zeigte
sich als sehr mittelmaftiger Sanger. Seine Stimme
hat weder in der Hone noch in der Tiefe Resonanz,
und die Mitte nimmt er zu often. — Umgekehrt
ist es bei Marie Lydia Gunther, deren Mittel-
lage nicht klingend genug ist; das fallt um so
mehr auf, als ihre Hone strahlend und schon
klingt; sie hat aber viel gelernt, und ihre Atem-
fuhrung verdient ein besonderes Lob. — Jane
Tetzel-Highgate weift mit ihrer hubschen,
fasteinwandfreigebildeten Stimme nichts Rechtes
anzufangen. Sie singt langweilig und spricht keine
Konsonanten; aufterdem sang sie nur schottische,
irische und englische Volkslieder; ich lernte
daraus wieder einmal schatzen, was fur eine
ungeheure markige Kraft und Vielseitigkeit doch
in unserem deutschen Volkslied steckt. — Mar-
gret Bletzer, nachdem sie eine anfangliche Be-
fangenheit uberwunden hatte, entwickelte sich
uberraschend gut. Ihre Stimme ist voll und
klingend, ihr Vortrag temperamentvoll und mu-
sikalisch. Nur muft sie sich huten vor Aus-
sprachefehlern wie: bebondon statt bebenden.
Schuberts „Du bist die Ruh a vertragt aber am
Schluft nicht so viel Portamento. — Bei den ver-
schiedenen Liederabenden wirkten mit Sandra
Droucker, deren Klaviervortrage nicht eben
sehr farbenreich oder temperamentvoll waren,
und Marie Bergwein, die sehr gut begleitete,
der aber bei der Chopin-Sonate recht bedenkliche
Gedachtnisfehler unterliefen.
Max Burkhardt
Peter von der Osten-Sacken muft vollig
indisponiert gewesen sein. Anders waren seine
Leistungen schwerlich diskutabel. Nicht uner-
wahnt seien die sehr ansprechenden und mit
feinem Stilgefuhl gearbeiteten Lieder von L.
Schutz, der personlich am Flugel fungierte. —
Natalie AktzSry entrollte ein ganzlich inter-
nationales Programm, sang mit Verve und Ele-
ganz russische, franzosische und italienische
Lieder. Aber nicht ein deutscher Laut „entflob
dem Gehege ihrer Zahne a . Hubsche Stimme
und geschmackvolle Singweise bewies sie jeden-
falls, ebenso wie ihr Begleiter M. J owanowitsch
Verstandnis und Konnen. — Martha Schley
war es mit ihrem Liederabend wohl weniger
darum zu tun, als nachschaffende Kunstlerin
zu brillieren, wie den Beffihigungsnachweis einer
vertrauenswurdigen Gesangspadagogin zu er-
bringen. Das ist ihr im groften ganzen scbliefi-
lich auch gelungen, wenngleich nicht verkannt
werden soil, daft das Organ als solches der Zeit
fuhlbar tributpflichtig geworden ist. Scharfen,
hauptsUchlich in den Bruchtonen (e, f) und Un-
reinheiten an exponierter Stelle gab es haufig
genug. Alexander Neumann am Flugel waltete
feinfuhlig und hilfsbereit. — Elsa Kaulich konnte
die sympathischen Eindrucke, die sie besonders
mit Cornelius' Weihnachtsliedern und Gesangen
von Kamillo Horn usw. hinterliefi, fur die Zukunft
noch mehr vertiefen, wenn sie bei Vermeidung
allzuhell^rTongebunc in der Hohe die tiefere
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
377
Mittellage gekraftigt haben wird. Im ubrigen
vereinigt sich bei ihr Qualitat der Mittel mit
ehrlichcm Konnen. Besonders erfreulich wirkt
der schlichte und poesievolle Vortrag unter
ganzlicbem Verzicbt auf effektbascherische Aus-
drucksposen. Die guten Intentionen wurden von
Wilhelm Scholz pianistisch wirksam unterstutzt.
— Als Liedersangerin fehl am Ort scheint
Augusta Scbacht zu sein. Sie kann allenfalls
einmal eine brauchbarehocbdramatischeSSngerin
werden,auf jeden Fall ist ihr aber eine griindliche
Reform ibrer Gesangskultur dringend zu raten.
Dieses schon von Natur aus zwar voluminose
aber etwas robuste und wenig biegsame Organ
entbehrt noch stark des Schliffes und muC auf
Grund ernster Studien zu Resonanz und Trag-
fShigkeit erzogen werden. — Einen gut aus-
geglichenen Mezzosopran von dunklem, warmem
Timbre hatte Hilde Ellger ins Treffen zu fuhren.
Ihre durchweg sympathischen Gesangs- und
Vortragsmanieren bedurfen nur noch in tech-
nischer und asthetischer Hinsicht einiger Re-
touchen, so die Beseitigung der nicht ungefahr-
lichen Schulteratmung und eine etwas lichtere
Farbengebung in der Mittellage. Allein der
Gesamteindrucklaftt eine hoffnungsvolle Prognose
zu, und der mehr lyrische Teil der Geschmack
und Stilgefuhl verratenden Liedfolge zeigt heute
schon eine erfreuliche Reife. An beiden Abenden
leisteten die Herren Coenraad V. Bos und Otto
Bake Vorzuglicbes. — Schade war es um Helene
Gunther, denn ihre Stimme ist wohl konser-
viert und tonlich richtig gebildet, aber ich
habe eine derart ungenugende Sprachbehandlung,
ja eine anscheinend prinzipielle Elimination alles
Sprachlichen aus dem Gesang noch niemals
gehort. Die Dame hatte statt Dichtungen von
Goethe, Geibel usw. ebensogut japaniscbe
Solfeggien zum „Vortrag a bringen konnen. Reine
Freude konnte man an den pianistischen
Leistungen Fritz Lindemanns haben. — Auch
Elisabeth Saatz hat die Meisterregeln nicht
beizeiten gelernt, was bei ihren herzlich un-
bedeutenden Mitteln doppelt notig gewesen ware.
So konnte sie in keiner Weise vor der Offent-
lichkeit bestehen. Eduard Behms Begleitung
dokumentierte reife Kiinstlerschaft.
Rudolf Wassermann
DRAUNSCHWEIG: Aus der Musikflut taucben
"nur wenige bemerkenswerte Konzerte auf:
zwei der Hofkapelle unter Richard Hagel,
eins mit Margarete Siems, das andere mit
Telemaque Lambrino als Cast. Die Kammer-
musik wird von der „Trio-Vereinigung tt (E. K a s e -
litz, W. Wachsmuth, E. Steinhage) und
dem „Verein fur Kammermusik" vertreten, den
A. Bieler nach Riedels Tod mit Frl. E. Knoche,
den Mitgliedern der Hofkapelle Miihlfeld,
Daume und Giemsa neubildete. Unser Solo-
cellist Bieler verband sich mit Paul Aron
(Berlin) zu Sonatenabenden. E. K n o c h e brachte
sich mit einem Klavierabend, K. Gorn mit
einem Orgelkonzert im Dom in empfehlende
Erinnerung. Der Besuch aller Konzerte ist
schwacb, das muGten sogar Burm ester und
Lamond schmerzlich erfahren. Der Gesang-
verein „Franz Abt" unter Heger gestaltete
ein Konzert zum „Hugo-Kaun- Abend", der
dem Komponisten viele Verehrer erwarb und ihm
personliche Ehruneen eintrug. yriTs.uStjer T
Li'inli/r?:: :)y\ iOOvK
O
l^RESLAU: Das 3. Abonnementskonzert des
" Orchestervereins brachte die Symphonie
No. 3 Es-dur von Schumann in tadelloser Aus-
fuhrung. Als Neuheit horten wir den „Lebens-
tanz a fur grofles Orchester von Deli us, ein
Werk, das trotz guter Ausfuhrung nur mafliges
Interesse erregte. Karl Fried berg spielte das
c-moll Konzert von Beethoven und die Sym-
phonischen Variationen von CSsar Franck in der
ihm eigenen musikalisch-plastischen Art. Das
4. Abonnementskonzert wurde von der Sing-
akademie veranstaltet und bescherte uns als
erste Nummer eine sehr interessante alte Neu-
heit, namlich die Trauer-Ode auf das Ableben
der Gemahlin Augusts des Starken von Bach.
Die Auffuhrung erfolgte in Anlehnung an die
Bearbeitung von Ph. Wolfrum. An Stelle des
Originaltextes von Gottsched war die Umdichtung
von W. Rust gewahlt worden. Das alte Werk
machte dank der sehr sorgsamen Vorbereitung
durch Dohrn einen geradezu vorzuglichen Ein-
druck und war auch denen, die sonst Bach gut
zu kennen vermeinen, eine angenehme Ober-
raschung. In dem anschliefXenden Deutschen
Requiem von Brahms wurden die Soli von Luise
Hirt (Sopran), Agnes Leydhecker (Alt), Anton
Kohmann (Tenor) und Alfred Kase (Bali) ge-
sungen. Der zum Tenor kunstlich hinauf-
geziichtete Bariton Kohmann und die Altistin
Leydhecker vokalisierten so dunkel, daB ein
grolier Teil der Wirkung verloren ging. Un-
getriibten GenuQ dagegen bereitete der sehr
wohlklingende und biegsame Sopran von Luise
Hirt und der glanzend geschulte BaB von Alfred
Kase. — In dem Benefizkonzert fur das Stamm-
orchester des Breslauer Orchestervereins sang
Minnie Nast mit grolJem Erfolge eine Arie aus
„Tosca" von Puccini. — Der 2. Kammer-
musikabend wartete auf mit je einem Streich-
quartett von Tschaikowsky (D-dur op. 11),
Schubert (G-dur) und Haydn (D-dur). — Der
Dirigent der volkstiimlichen Mittwochkonzerte
Hermann Behr brachte, reizend ausgefeilt, die
Balletsuite „Der Nuliknacker" von Tschaikowsky
und die Symphonie No. I von Schumann. Elsa
GlaB-Sant sang eine Anzahl fremdliindischer
und deutscher Volkslieder nach dem Satz von
H. Reimann. Mit dem Klavierkonzert No. 1
von Brahms und einer Anzahl Solostucke von
Chopin hat sich der Pianist Richard Buhlig
recht gut in Breslau eingefuhrt. — Von
solistischen Veranstaltungen seien erwahnt der
glanzend verlaufene Klavierabend von Alfred
Hoehn und der erfolgreiche Liederabend von
Elena Gerhardt. In einigem Abstand davon
rangieren die Liederabende von Margarete Kluge,
Else J a e h n , das Konzert des russischen Cellisten
Pokrowsky, sowie die Konzerte von Franz
v. Vecsey und Raoul v. Koczalski.
J. Schink
pvRESDEN: Das 2. Hoftheaterkonzert der
" SerieBverliefohneNeuheit,gababerHermann
Kutzschbach Gelegenheit, sich mit der Inter-
pretation von Beethovens 8. Symphonie als Kon-
zertdirigent von starker Eigenpersonlichkeit zu
zeigen. Solist war Willy Burmester, der mit
Paganinrs Violinkonzert D-dur jenen sagenum-
wobenen Zaubergeiger in technischer Beziehung
noch uberpaganinierte, aber mit allseinerglitzern-
jden, funkelnden ©rtqisi-ldtfrulidht zu Herzen
UNIVERSITY OF MICHIGAN
378
DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
sprach. — Im2. Philharmonischen Konzert
erzielte Frieda Langendorff freundlichen Er-
folg, wurde aber durch Moriz Rosenthal, der
seit langen Jahren Dresden gemieden hatte und
nun die Horer durch seine grofiere, reifere und
vielseitigere Kunst hinrifi, in den Schatten gestellt.
— Die Robert Schumannsche Singaka-
<lemie fuhrte mit einer Wiedergabe des„Messias a
ihren neuen Dirigenten Edwin Lindner ein, in
dem das dramatische Element ziemlich stark zu
sein scheint, wShrend er im Oratoriumstil noch
nich-t ganz heimisch ist. Doch verriet sich eine
Personlichkeit, deren Entwickelung zu beobachten
interessant sein wird. — Johanna Lohr erwarb
sich als Pianistin von grofler Technik, musika-
lischem Verstandnis und schonem Anschlag auf-
richtige Wertschfitzung; in Mary Gleisberg hat
Dresden eine sehr stimmbegabte und im Vortrag
anmutige junge Sopranistin gewonnen; Franz
v. Vecsey erbrachte abermals den Beweis dafdr,
daft aus dem ehemaligen Wunderknaben jetzt ein
Geiger von hohem, solidem Konnen und pracht-
voller Kraft und Naturlichkeit geworden ist. Ein
Abend des Briisseler Streichquartetts ver-
mittelte Genusse, die in ihrer Art einzig sind. In
dem Musiksalon von Bertrand Roth kam Max
Trapp mit eigenen Kompositionen zu Worte,
von denen eine Cellosonate und ein Klavier-
quartett e-moll als Beweise eines erfreulichen,
wenn auch noch nicht ganz geklarten Talentes
gelten konnten. F. A. Geifiler
CRANKFURT a. M.: Man hat eine grolie Uber-
* raschung erlebt. Ludwig Rottenberg, den
man als ungewohnlich feinsinnigen und tempera-
mentvollen Dirigenten kannte, ist mit einer Reihe
von Gesangen in einem Abend der „Gesellschaft
fur Ssthetische Kultur" als Komponist vor die
Offentlichkeit getreten. Diese Lieder sind aus
einem pldtzlichem eruptiven Zwang heraus ent-
standen und haben mit dem, was man so ge-
meinhin Kapellmeistermusik nennt, nichts zu
schaffen. Die charakteristischsten Gesange sind
wohl die Lieder nach Heinrich Heine. Es ist be-
kannt, dafS Schubert und Schumann nureinemTeil
des Heineschen Geistes gerecht geworden sind:
der ironische Zug fehlt ihnenund mufitebei ihnen,
den Romantikern, fehlen. Der ist nun uberden
Einfluli E. T. A. Hoffmanns hinweg durch Gustav
Mahler in die Musik eingefuhrt worden. Diese
Zeitstimmung greift Rottenberg auf und kom-
poniert Gedichte, die dem Durchschnittsgehirn
unkomponierbar scheinen. Mit einem ganz
merkwurdig sicher treffenden Ausdruck kurzer
Motive, mit den Mitteln aparter Rhythmik und
Harmonik weiB Rottenberg musikalische Stim-
mungsbilder von einer plastischen traumsatten
Vision hinzustellen, wie das nur einem Musiker
gelingt, der mit der instinktiven Sicherheit das,
was ist, fuhlt. Dabei nirgends Genrekunst,
nirgends eine kleinliche Ausmalung von Neben-
sachlichem. Die Gesamtstimmungaller Gesange
birgt eine ungluckliche unerfullte Sehnsucht mit
dem leisen Unterton tragischen Schmerzes in
sich. Die Vielseitigkeit und Differenzierung
dieser Gefuhlsregungen ist erstaunlich. Vor
allem: es sind Gesange von einer eigenen
musikalischen Physiognomic Der Baritonist
Karl RehfufJ interpretierte die Gesange mit
dem Komponisten am Flugel in ganz ausge-
zeichneter Weise. — Eiji Schuberjt-Abend des-
C.V
D'::j"«i,-'L
selben Singers, der die Mullerlieder in zyklischer
Form sang, machte auf seine starke Begabung
zum Vortragskunstler wiederum aufmerksam.
In Hermann Zilcher hatte er einen wunder-
vollen Begleiter. Adolf Rebner, der Primarius
des fruheren Rebnerquartettes, hat neue Quartett-
kollegen gefunden: Emil Hauser, Walter
Kunkel und Gerald Maas. Das neue Rebner-
Quartett fuhrte sich gleich beim ersten Abend
sehr vielversprechend ein. In dem glanzenden
Zusammenspiel fiel namentlich der ruhige Cellist
mit seiner wundervollen Tongebung auf. Aucb
das Quartett der Herren Walther Davisson,
Ludwig Keiper, Ludwig Natterer und Her-
mann Keiper brachte an seinem ersten Abend
eine musikalisch sehr beachtenswerte Leistung
zu Gehor. Der Neebsche Mannerchor fuhrte
Fritz Volbachs neues Mannerchorwerk vom
„K6nig Laurin** sehr beifallswurdig auf. Das
Werk mit seinem Streben nach popularen
Wirkungen gefiel sehr. Die Baritonpartie sang
Herr Geifie- Winkel, der auch zwei bubscne
Orchestergesange des tuchtigen Vereinsdirigenten
Rudolf Werner (Siegen) vortrug. Aus der
Reihe der Liederabende verdient Frau Neu-
gebaue r-Ravoth, die mit Coenraad V. Bos
klassische und moderne Lieder sang, vor allem
erwfthnt zu werden. Carl Fried berg lieO sich
wieder in der Stadt seiner fruheren Wirksamkeit
horen; zu seinem Klavierabend war leider nur
wenig Publikum erschienen. Karl Werner
LIALLE a. S.: Das 2. Konzert der Theater-
** kapelle unter Wetzlers Leitung war Berlioz
und Straufi gewidmet und brachte die Sympbonie
phantastique und „Till Eulenspiegel" als Haupt-
werke, wahrend Prof. Winderstein an die
Spitze seines zweiten Programmes Brahms* D-dur
Symphonie gestellt hatte. Als Solisten wirkten
dort Franz Steiner, hier Paul Scbmedes
mit. — Einen bedeutenden kunstlerischen wie
finanziellen Erfolg hatte die Dessauer Hof-
kapelle unter Franz Mikoreys Leitung zu
verzeichnen. Wenn man auch mit der Programm-
aufstellung nicht gerade einverstanden sein
konnte — auBer der Faust-Ouverture und dem
Siegfried-Idyll kamen nur Opernvorspiele zum
Vortrag — , so war es doch einmal interessant,
die musikalische Entwickelung Wagners an der
Hand der Ouvertiiren, die ziemlich treu in der
historischen Folge zur Ausfuhrung gelangten, zu
verfolgen. Die mitwirkende Kammersangerin
Gura-Hummel konnte mit den funf Wesen-
donk-Gesangen keine tieferen Wirkungen aus-
losen. — Einen nachhaltigen Eindruck hinter-
liefi die Auffuhrung von Brahms' w Deutschem
Requiem", das von der Robert Franz-Sing-
akademie unter der alles belebenden Leitung
von Alfred Rahlwes in seltener Schonheit er-
strahlte. Ebenso packend und ergreifend kam
die Bachsche Kantate „Wer weiB wie nahe mir
mein Ende a zur Wiedergabe. Der Chor und die
Solisten Eva Bruhns, Frau Prof. Sch m idt und
Dr. Wolfgang Rosenthal boten Ausgezeicb-
netes. — Ganz und gar in seinen Bann zu
zwingen gelang auch dem Kl ingle r-Quartett,
das aufier Haydn und Beethoven in der Mitte
Karl Kl ingle rs Streichquartett in fis-moll als
Urauffuhrung in seltener Vollendung bot.
Das Werk ist seiner aufieren und inneren Ge-
staltun^ nach pine vollendete Schopfung, ein
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
379
kontrapunktisches Meisterwerk, das fur die Zu-
kunft des noch jungen Tondichters sehr viel
erwarten laBt. Wenn der Komponist den Schlufi
des langsamen Satzes einer Umarbeitung unter-
ziehen wollte, wurde das Quartett entschieden
noch gewinnen. Die skalenartige Partie be-
deutet nach meinem Empfinden den einzigen
toten Punkt in den vier SStzen. Hier lafJt die
sonst starke Empfindung etwas nach. — Das
Wille-Quartett lieft in seinen zwei Abenden
solistisch seltener zu hdrende Instrumente zu
Worte kommen: im 1. Konzerte wirkte die Oboe
in einem Mozartschen Werke mit und in dem
2. Abend brachte das Horn-Trio in Es-dur von
Brahms eine stark fesselnde Abwechselung.
Beide Instrumente wurden von Mitgliedern des
Leipziger Gewandhauses musterhaft gespielt:
Alfred Gleiftberg (Oboe), Arno Rudolph
(Horn). — Von den Solisten interessierte unser
Publikum der LautensSnger Kothe sehr stark
Er hatte einen vollen Saal und sturmische Hul-
digungen zu verzeichnen. Ein starkes Klavier-
talent lernten wir in Jascha Spiwakowski
kennen, der seinen Weg machen durfte, wenn
er sich erst die erforderliche Vertiefung ange-
eignet hat. Auch auf Verbesserung der Ton-
qualitat mufi er noch seine Aufmerksamkeit
lenken. Martin Frey
UANNOVER: Im letzten Abonnements-
" konzert der Koniglichen Kapeile (Gille)
ersang sich die Altistin Hoffmann-Onegin
einen erneuten unbestrittenen Erfolg; Beethovens
„Siebente" und StrauB' „Festliches Praludium"
rahmten als wurdig interpretierte Orchester-
nummern die Soli ein. Das BuBtagskonzert der
Musik-Akademie (Josef Frischen) befaBte
sich mit einer Wiederholung von Bossis „Das ver-
loreneParadies", die Gesellschaftder Musik-
freunde (Leimer) veranstaltete im Festsaal des
neuen Rathauses ein solennes Festkonzert, und
das 1. Lutter-Konzert bestand lediglich aus
Orchestervortragen der „Meininger tt unter
Reger, mit Regers „Bocklin a -Suite als inte-
ressanter Novitat. — Von den vielen Solisten-
konzerten ist das Jubilaumskonzert unseres ein-
heimischen Pianisten Emil Evers besonders
namhaft zu machen, der damit den Tag festlich
beging, an dem er vor 30Jahren zum erstenmal
hier offentlich auftrat. — Kammermusik-Abende
unseres Riller-Quartetts, des Kltngler- so-
wie des Sevoik-Quartetts, verschiedene
Liederabende (Frieda Hempel, Lauenstein,
e tutti quanti) vervollstandigen das kaleidoskop-
artige Bild unseres Konzertlebens.
L. Wuthmann
l^ARLSRUHE: Im Verlauf einer „StrauB-
**> Woche" dirigierte Richard StrauB neben
verschiedenen seiner Buhnenschopfungen auch
ein Orchesterkonzert von nur eigenen Kompo-
sitionen. An Orchesterwerken kamen auBer der
hier wohlbekannten sinfonischen Dichtung „Don
Juan" die neueste Schopfung, das „Festliche
Praludium" fur Orchester und Orgel, sowie
„Salomes Tanz" zu Gehor. Letzterer fand als
cbarakteristischer Ausschnitt der hier noch un-
bekannten „Salome a -Musik mit den schillernden
und glitzernden musikalischen Farben, den
orientalischen Motiven und eigenartigen Rhyth-
men den starksten Beifall. Das „Praludium a
ist naturlich mehr als eine bloBe Qelelenheitsv
n
komposition und durfte bei seiner auBerordent-
lichen Wirkungsfahigkeit bald die Runde durch
unsere Konzertsale machen. Kammersanger
Buttner sang mit sonorer Stimme und guter
Erfassung des Inhalts und lebendigem Vortrag
zwei Lieder fur Bariton, und Hofopernsangerin
Lorentz-Hollischer steuerte ebenfalls zwei
Straufische Gesange ( w Verfuhrung a und „Gesang
der Apollopriesterin**) bei. StrauB wurde sehr
gefeiert. — Aus der grofien, fast ubergroOen
Zahl der Solistenkonzerte erwShnen wir den
ersten Kammermusik-Abend der Pianistin Hedwig
Diefenbacher, die sich im Verein mit dem
Hegner-Quartett nicht nur als feinfuhlige
Kammermusikspielerin, sondern auch als vor-
zugliche Solospielerin von hervorragenden tech-
nischen und musikalischen Qualitaten erwies.
Klavierabende veranstalteten ferner T. Lam-
brino und K. Friedberg, den wir zu den aller-
ersten Vertretern seines Instruments zahlen.
Nicht minderen Erfolg hatte der Geiger Karl
Flesch, der mit seinem meisterlichen Spiel das
Publikum entzuckte. Der Bachverein brachte
im 27. Konzert eine wohlgelungene Auffuhrung
von Mendelssohns „Paulus u , die ebenso die
Tiichtigkeit und Zuverlassigkeit des Chorkorpers
wie die hervorragenden kunstlerischen Fahig-
keiten seines Leiters, Hofkirchenmusikdirektors
Brauer erkennen lieB. Franz Zureich
l/'OLN: Als erste Darbietung des 3. Gurze-
**- nichkonzerts horte man in Urauffuh-
rung Heinrich Zollners neueSymphonie d-moll
mit dem Titel „Im Hochgebirge", des Tonsetzers
Dritte. Grundlegend fur den Gedankengang des
Werks waren Eindrucke, die Zollner bei seinem
jungsten Verweilen in den Graubundner Alpen
hatte, und so spiegelt die Musik in nicht minder
phantasievoller als warmherziger Weise Natur
und Stimmungen wider, dazwischen finden im
Scherzo auch die lustigen Spukgestalten der
Alpenteufel und -feen recht originelle Schil-
derung. Mit offenen Augen und empfindsamem
Herzen hat der Komponist in der Wunderwelt
der Hochalp einen Tempel der Natur gefunden,
und darin konnte auch Andacht dem Kunstler
nicht fehlen, die in feierlich-dankbaren Tonen
zu uns spricht. Die thematische Entwickelung
bringt viel des Interessanten; blumenprangende
Taler und eisige Hohen regten den Tonsetzer
zu vielfarbig wechselnder Instrumentierungs-
kunst an, wahrend die nur auf gewissen kurzen
Strecken ein wenig nachlassende Erfindung sich
im allgemeinen durch kernige Frische und die
sympathisers Kraft des Naturlichen auszeichnet.
Fritz Steinbach hat sich der Neuheit mit aller
Hingebung angenommen, und so gab es eine
prachtvolle Ausfuhrung, die dem Komponisten
nirgends etwas schuldig blieb und dem Audi-
torium das Werk in schonster Beleuchtung zeigte.
Zollner war Zeuge seines schonen Erfolgs und
wurde mit Steinbach. zusammen herzhaft akkla-
miert. Die erstmalig hier erscheinende treffliche
Pianistin Tina Lerner erzielte mit Griegs a-moll
Konzert und Solostucken sturmischen Beifall,
und das Orchester exzellierte unter Steinbach
weiter mit Regers Ballet-Suite und der Ouverture
zu Berlioz' w Corsar". — In der Musikalischen
Gesellschaft hatten sich jungst der jugend-
iiche Pianist Hans Bruch und die Mezzo-
Isopranistin Anna Hafiteioprirtawipfiniat Aufnahme
1 ■ UNIVERSITY OF MICHIGAN
380
DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
zu erfreuen, dann waren es die Silngerin Char-
lotte Lohr-Jager und der Pianist Paul
Schramm, die bei einem gemeinsam ver-
anstalteten Abend recht ungleich abschnitten,
letzterer durch Auffassung und Technik sehr
gut, erstere wegen noch riickstandiger kunst-
lerischer Kultur weit minder vorteilhaft. — Bei
einer von der Kolner Singakademie unter
Josef Mullers (Eschweiler) ruhmlicher Leitung
gebrachten Auffuhrung von Schumanns „Paradies
und Peri" zeichnete sich Cecile Vain or als
Peri, deren hohe Lage sie in bestem Stile be-
herrscht, in erfreulicher Weise aus.
Paul Hiller
KOPENHAGEN: In drangender Fulle sind die
Konzcrte gleich in den ersten Saisonmonaten
gekommen. Namentlich gab es eine Flut von
fremden Garten, gewiB mehr als Kopenhagen
zu konsumieren vermochte. Meistens handelte
es sich um Solistenkonzerte und unter diesen
wieder am haufigsten um Kiinstler, die schon
vorher unsere Hauptstadt erfreut hatten. Von
Chor- oder Orchesterkonzerten fanden verhfilt-
nismaBig wenige statt; in diesem Punkt laBt das
Kopenhagener Musikleben uberhaupt manchen
Wunsch offen. Von den Gasten behaupteten
sich in erster Reihe wohl Ignaz Friedman,
Julia Culp,John Forsell, Ludwig Wullner und
Josef Pembaur; von jungeren oder weniger
gekannten ernteten Lorbeeren der Orgelmeister
Straube, der Geiger Telmanyi und die
Sangerin Susan Metcalfe, nach ihnen die
Pianisten Egon Petri und Paul Schramm und
der Geiger Spalding. Eigenartig warder Grieg-
Abend, an dem die greise Frau Nina Grieg am
Klavier Lieder des verstorbenen Meisters be-
gleitete (gesungen von Frau M. Lendrop). —
An der Spitze der Orchesterkonzerte stand ein
von S a fonof fin seiner bekanntenArt geleitetes,
mit dem hier zum ersten Male spielenden Lh6-
vinnealsSolisten. (MitdemCellistenBelousoff
zusammen gab Safonoff spater einen Beethoven-
Sonaten-Abend, ohne als Pianist besonders zu
begeistern.) Im „Musikverein a fuhrte Neruda
zum ersten Male Sgambatis klangvolles, frei-
lich etwas nach „Gelegenheit tt schmeckendes
Requiem, auf. — Carl Nielsen dirigierte im
ersten „Kapellkonzert tt altere Werke und fuhrte
die finnische S&ngerin Liljequist ein. — Die
jungen Kiinstler Peder Gram als Dirigent und
A. Stoffregen am Klavier dagegen machten
mit Neuigkeiten bekannt, u. a. mit Regers „Lust-
spielouverture" und L. GlaB' groBer „Klavier-
Fantasie" mit Orchester, die in klanglicher und
harmonischer Hinsicht ganz modern anmutet.
Auchdie w Brusseler", die leidernichtganz unter
dem gewohnlichen Andrang des Publikums eine
Reihe ihrer schonen Abende einleiteten, brachten
eine dSnische Neuheit: ein Quartett von Hakon
Borresen, das mit flotter und sicherer Hand-
schrift, die freilich etwas Personlichkeit vermissen
l&Bt, geschrieben ist. William Behrend
I EIPZIG: Im 5. Ge wandhauskonzert ver-
*-* mittelte unser empfindungs- und verstandes-
kniftiger Operndirektor Otto Lohse an Stelle
des beurlaubten Gewandhauskapellmeisters
Schuberts selten gespielte funfte Symphonic in
B-dur und Mozarts Maurerische Trauermusik
mit starker Einfuhlung in zwei der musikalisch-
sten Musiker. Pablo Casals zeigte sich in
! :«vl iOOOK"
(V
D '!!;]"':!
Haydns Cellokonzert und einer Bachschen Suite
von neuem am starksten nach der Seite des
weichen sangreichen Tones und der spielenden
Oberwindung des Technischen. Den folgenden
Abend leitete Nikisch in uberragender Weise
ein mit Draesekes Symphonia tragica, die ein
Standwerk unserer groBen Orchester zu werden
verdient. „Hektors Bestattung", von L. Wullner
mit Botho Sig warts nicht sehr personlicher,
aber vornehmer Orchestermusik vorgetragen,
hinterlieB starke Eindrucke. — Als Hauptwerk
fur sein Philharmonisches Konzert batte
Winderstein August Scharrers d-moll Sym-
phonic „Per aspera ad astra", ein gemafligt
modernes Werk, das flott gezeichnet und vor-
trefflich instrumentiert ist, aufs Programm ge-
setzt. AuBer den Geschwistern Sutro, die
Mozarts Es-dur Konzert fur zwei Klaviere, im
langsamen Satz am besten, fur Mozart aber
vielleicht etwas zu notengetreu spielten, wirkte
als sehr sympathischer Vermittler Mozartschcr
und vor allem Schubertscber Gesange Franz
Steiner mit. — Zu einer wahren Beethoven-
feier gestaltete sich der Abend, den Felix
Weingartner mit dem wohldisziplinienen
Bluthner-Orchester und dem einheimischen
G. Havemann (Violinkonzert) dem Meister
widmete. — Von den beiden BuBtags-Chorkon-
zerten kann hier nur der innerlich belebten
Wiedergabe der Hohen Messe durch den Bacta-
verein (Karl Straube) gedacht werden; unter
den Solisten ragten besonders der Sopran (Frau
v. Rappe) und der Tenor (Herr Globerger)
hervor. — Einen groBen kunstlerischen Erfolg
erspielte sich von neuem das Bohmiscbe
Streichquartett in seinem Schubertabend.
Catharina Bosch vermittelte mit kraftiger Auf-
fassung Sonaten von Brahms, Beethoven und
ihrem temperamentvollen Begleiter Julius Weis-
mann (fis-moll, op. 47), und der hier auch schon
vorteilhaft bekannte Cellist August Bieler ent-
lockte seinem Instrument eine warme Tonfulle.
Einem lieben elfjahrigen Jungen von Geiger
wunschten wir als Weihnachtsgeschenk siatt
einer neuen Violine ein paar Schlittschuhe. Im
ubrigen kehrten von Pianisten mehr als genug
ein; hier konnen nur die spielerisch elegante
Magda v. Hattingberg, die kraftvolle Mena
Nechansky, der technisch glatte Joseph
Lh € vinne, unser feinfuhliger Joseph Pembaur,
der urmusikalische Edwin Fischer und Emil
Sauer — hier genugt der bloBe Name — er-
wahnt werden. Dr. Max Unger
MUNCHEN: Gustav Mablers dritte Symphonie
in d-moll erlebte unter Bruno Walter im
2. Abonnementskonzert des Hoforchesters
eine ganz vorzugliche Auffuhrung, die mir frei-
lich trotz ihrer Vorzuge diese Art von Musik
um nichts naher brachte. Das Altsolo sang die
Hofopernsangerin Luise Wilier, die Chore
Damen des Lehrergesangvereins und Knaben
des Wilhelmgymnasiums. Der Dirigent Heinrich
Laber, der zusammen mit der Pianistin Amelie
Klose konzertierte, brachte gleich zwei sympho-
nische Neuheiten: die Symphonie in A-dur,
op. 134 (Giocosa) von Hans Huber, frische, gut
klingende, aber nicht eben sehr „symphonische*
Musik, und „Lucifer a , eine Tondichtung (nach
Paul Althoff) von dem Munchner A. Albert Noeltc,
I eine s^jigijt|^^|cpj^Ji^entprobe; dazu Julius Weis-
UNIVERSITYQF MICHIGAN
KRIT1K (KONZERT)
381
manns Klavierkonzert in B-dur, das mich etwas
enttauscht hat. Im Neuen Orchesterverein,
der von Hermann Zilcher geleitet wird, spielte
Felix Berber die „Skizzen aus dem Orient",
op. 18(Violine mit Orchester) von dem Dirigenten,
ein farbenschones und dankbares Werk. Der
mitwirkende Frauenchor Hans Schobers sang
a cappella-Stucke von Jan Ingenhoven und Hein-
rich K. Schmid und ermdglichte die Auffuhrung
von Hector Berlioz' „Ophelias Tod* (op. 18 No. 2)
und der Schumannschen Frauenchore (aus op. 69,
91 und 114), die Hans Pfitzner mit einer eigen-
artig genialen Orchesterbegleitung versehen hat:
ganz im Geiste der Schumannschen und ganz
mit den Ausdrucksmitteln seiner eigenen Ro-
mantik. Aus den Volks-Symphoniekonzerten
<Paul Prill) ware eine Auffuhrung von Ernst
Boehes „Insel der Kirke" und der (zum „Ido-
meneo* gehorigen) Szene und Rondo Fur Sopran
und Orchester mit obligatem Klavier (Marie
Peregrinus) zu erwahnen. Boehe selbst, der
ietzt als Hofkapellmeister in Oldenburg wirkt,
stellte sich als ganz prSchtiger, wenn auch in
der Auffassung nicht immer ganz schlichter
Orchesterdirigent vor mit einem Beethoven-
Abend, an dem Eduard Bach hochst beifalls-
wurdig das Klavierkonzert in Es-dur spielte. —
Auf dem Gebiete der Kammermusik machte den
weitaus st3rksten Eindruck — einer der starksten,
die ich iiberhaupt jemals auf diesem Gebiete
gehabt habe — die unbeschreiblich vollendete
Art, wie die Boh men das wundervolle D-dur
Quartett von C6sar Franck spielten: da fuhlte
man sich wirklich einmal wieder bis zum Himmel
erhoben. Das Stuttgarter Wendling-Quartett,
das in die Reihe der allerersten Kammermusik-
vereinigungen vorgeriickt ist, erfreute mit Max
Regers op. 109 (Es-dur). Das Pariser Capet-
Quartett ist sicher ersten Ranges, aber seine
Beethoven-Interpretation ist doch ausgesprochen
romanisch, alles derbere Zugreifen vermeidend,
bei der Kantilene (namentlich die Primgeige)
in einer Weise „schmelzend", die uns un-
beethovenisch vorkommt. Der Tonkunstler-
V ere in erwarb sich das Verdienst, uns mit
einer interessanten Klavier-Violoncellosonate von
Paul Juon (op. 54) und dem erstaunlich unver-
altet wirkenden Klavierquartett in f-moll des
Prinzen Louis Ferdinand von Preufien bekannt
zu machen. (Mitwirkend: die Herren Sieben,
Vollnhals, Hegar und Schmid-Lindner.)
Ebenda sang J. Schweitzer Gesange nach Ge-
dichten Hebbels von Karl Pottgiefier. Die prach-
tige Klavier-Violoncellosonate Hans Pfitzners
spielten sowohl Elisabeth Bokmayer und Giu-
seppina Prelli als auch Julius Klengel und
Fritz v. Bose. Die beiden letzteren brachten
in ihrem Konzert auch einige eigene Kom-
positionen; ebenso ein anderer Violoncellist:
Anton Prokrovsky, den T. Romanoff be-
gleitete. Ein ideales Zusammenmusizieren
brachte der Sonaten- Abend von Ernst von
Dohndnyi und Henri Marteau,gipfelnd in dem
Vortrag der Brahmsischen d-moll Sonate. Franz
von Vecsey, der ein tadelloser, aber nicht
gerade fortreifiender Geiger geworden ist, gab
ein zweites Konzert. Eine Auffuhrung des Handel-
schen „Saul B durch die Konzertgesellschaft fur
Chorgesang unter Eberhard Schwickerath war
erfreulich, ohne gerade zundend zu wirken. Von
n'::]":!/r?r! :v,- V fOOQ
(1
den Solisten war das Ehepaar Felix und Adri-
enne von Kraus seiner Partnerin Eva Bruhn
und Anton Kohmann betrachtlich uberlegen. —
Pianisten: Edouard Risler bot mit Liszts
Klavierbearbeitnng der Phantastischen Sym-
phonie von Berlioz eine uberragende pianistische
und interpretatorische Leistung. Wanda Lan-
dowska entzuckte mit der ungemein feinsinnigen
Wiedergabe des Mozartschen Es-dur Konzertes,
Kochel No. 482. Gottfried Gals ton absolvierte
von seinem grofien Zyklus mit starkstem Erfolge
die beiden Bach und Beethoven gewidmeten
Abende. Wahrend Conrad Ansorge als aus-
gesprochene pianistische und musikalische Per-
sonlichkeit auch mit einem nurauf vielbetretenen
Wegen sich ergehenden Programm zu inter-
essieren vermochte, suchte Ernst Riemann
Lorbeeren auf dem Felde des Liszt-Kultus. Ignaz
Friedman zeichnete sich als Chopin-Spieler
j wieder besonders aus. Hochst genuBreich war
'der Abend Artur Schnabels. Eine nicht blen-
dende, aber anziehende Erscheinung lernte man
in dem Schotten John Petrie Dunn kennen.
Vielversprechend ist der junge Aurelio Giorni,
erwahnenswert etwa noch Georg von Lalewicz,
Friedrich Hackel und Marie Gabriele Lesche-
tizky. — Gesang:Beruhmtheiten wie LeoSlezak
und Tilly Koenen fanden ein begeistertes
Publikum. Bertha Williere trat fur franzosi-
sche Komponisten ein, leider mit nicht ganz
geniigendem Konnen; Margarete Bum (Mezzo-
sopran) zusammen mit Johannes K 6 h 1 e r (Tenor)
fur Lieder und Duette von K. Ansorge, H. K.
Schmid, P. Thaler und K. Weigl. Durch den
sympathischen Ludwig Sinn horte man Gesange
von Heinrich Schalit, durch BertaManz solche
von Gustav Mahler, Josef Marx, R. von Prohdzka,
DvoMk, Robert Kahn und Alfred Schattmann.
Jener erfreute sich der pianistischen Mitwirkung
August Schmid-Lindners, diese der violinisti-
schen des Dresdner Konzertmeisters Rudolf
Bartich. Julius Runger gab zusammen mit
Mariska Aldrich die „Liebesnachte a von
Alexander Ritter, allein Lieder von R. Selnj,
Max Mahler und Clemens von Franckenstein.
DiegleicheAufmerksamkeiterwiesdemMunchner
Hoftheater-Intendanten Elisabeth Desler. Mit
Anerkennung ist noch Margarete Closs zu
nennen. Ein Altwiener Musik-Abend (Alfons
Blumel und Genossen) war glucklicher in der
Idee als gelungen in der Ausfuhrung. In einem
| „Laute und Lied** gewidmeten Abend brachte
Heinrich Scherrer auch Kinderlieder eigener
Komposition, von Else Hoffmann schdn vor-
getragen. Hanns in der Gand war wieder
am erfolgreichsten mit seinen Schweizer Volks-
liedern und Jodlern. Rudolf Louis
NORNBERG: Aus der Hochflut von Konzerten
kann hier nur das Wichtigste kurz erwUhnt
werden. Der Philharmonische Verein hatte
die Leitung seines Oktober-Konzerts Bruno
Walter (Munchen) ubertragen, der an der Spitze
unsereseinheimischen Orchesters die Euryanthe-
Ouvertiire, das Siegfried-Idyll und die Sympho-
nieen in Es von Mozart und B von Schumann
ungeheuer schwung- und stilvoll herausbrachte;
im November-Konzert sang als Ersatz -Solist
Anton van Rooy, wehmutige Erinnerungen an
die Verganglichkeit alles Schonen auslosend.
Einen um so grofleren.ungetrubten Genuft brachte
Original from
L UNIVERSITY OF MICHIGAN
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DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
im Pri vatmusikverein John Forsell, dessen
gleich wundcrvolle Stimme und Sangeskunst
wahre Beifallssturme ausloste, besonders mit
nordischen Liedern; auch das Brusseler
Streichquartett hatte zu Beethoven, Haydn
und Tschaikowsky schon vorher seinen ge-
wohnten Kreis aufmerksamer, dankbarer Zuhorer
um sich vereint. — Karl Hirsch's Privatchor
sang prachtvoll abgetonte a cappella-Chore, und
der Verein fur klassischen Chorgesang
brachte unter Hans Dorners Leitung die
„Chrislnacht a von Hugo Wolf und die f-moll-
Messe von Bruckner, beide im gesanglichen Teil
vollkommen, im Orchestralen der Messe weniger
befriedigend. — Von Solisten waren zu horen
Edith Walter, OttilieMetzger, Anna Kampfert,
Bertha Morena, Heinrich Knote, Leo Slezak
usw. Max Reger fesselte ungemein als Bc-
gleiter zu Violinvortragen Heinrich Labers,
ebenso Karl Fried berg, der mit seinem reich-
begabten Schuler Hans Bruch Werke von Bach,
Reger u. a. auf zwei Klavieren spielte, und Sieg-
fried Wagner, der eigene Opernbruchstucke
dirigierte. Dr. Steinhardt
DARIS: Eine neue Symphonie ohne Programm,
* die sich anhoren lafit und auch das grofie
Publikum nicht langweilt, ist auch in Paris eine
grofie Seltenheit geworden. Es ist Chevillard
gelungen, eine solche dem Konzert Lamou-
reux einzuverleiben. Der bisher unbekannte
Urheber heifit Georges Brun. Seine Symphonie
in e-moll enthalt die vier ublichen Satze. Un-
gewohnlich ist, daB auch der zweite Satz, das
Adagio, vorwiegend in Moll gehalten ist, aber
gerade dieser Satz ist besonders stimmungsvoll,
wShrend die thematische Arbeit des ersten
Satzes etwas sprungweise geblieben ist. Das
Scherzo wirkt gut als Gegensatz, obschon es an
sich wenig originell ist, aber der schwache
Punkt wird durch das Finale gebildet, dessen
Hauptthema theatralisch vulgar ist. Immerhin
kehrt auch das Motiv des ersten Satzes hier
wieder und gibt dem Finale wieder einigen Halt.
Eine ansprechende Neuheit des Konzerts Lamou-
reux war auch das von einem Idyll des Theo-
krit ausgehende kiirzere Orchesterstuck von
Raoul Brunei „L'Oaristys a . — Ziemlich ahnlich
in Anlage und Ausfuhrung war auch bei
C olonne-Pierne* die gefallige Neuheit von
Marcel Gran d jany, n La jeune Tarentine", nach
einem Gedichte von Ch6nier. — Mit der Oper
des Theatre des Champs Elys£es sind leider
auch die damit verbundenen Nouveaux
Concerts eingegangen. Das letzte dieser
Konzerte war besonders interessant, denn das
Symphonische Orchester von Madrid
war eigens nach Paris gekommen, um sich in
klassischen und modernen Sachen horen zu
lassen. Der Dirigent Arbos imponierte durch
seine sichere Leitung und fand auch als Kom-
ponist zweierTanzstiicke fur Geige und Orchester
Gefallen. Die„Catalonia"des verstorbenen Albe-
niz, die in Paris schon bekannt war, hinterlieft
den st&rksten Eindruck der modernen spanischen
Werke. Neben ihm sind Turina und Casas
zu nennen. — Ein junger italienischer Komponist,
Giulio Mathis-Flocco, vereinigte selbst ein
Orchester von neunzig Musikern, um sich als
Dirigent zu erproben. Er wufite sich in Beet-
hovenschen Symphoniesatzen und in Wagner-
C 1
fragmenten nicht ganz zu behaupten, aber
berechtigten Beifall erntete er in der zum
erstenmal in Paris gegebenen Orchestersuite
„Iris" von Mascagni. In einer kleinen italie-
nischen Rhapsodie eigener Erfindung zeigte
Mathis-Flocco wenigstens in rhythmischer Be-
ziehung eine gewisse Frische. — Camille Saint-
Saens gab im Saale Gaveau zu einem wohl-
tatigen Zwecke sein letztes Konzert in Paris,
entwickelte aber trotz seiner achtundsiebzig
Jahre noch eine solche Fingerfertigkeit und
Frische des Vortrags, dafi niemand an dieses
Jetzte Mai" glauben will. Der Altmeister
spielte das gleiche Klavierkonzert in B-dur von
Mozart, das er als Knabe im Jahre 1846 in
seinem ersten Konzert vorgetragen hatte. Als
Organist wagte er sich an die fiufierst schwierige
Phantasie Liszts fiber den Choral des Pro-
pheten heran, und auch dieses sehr lange Stuck
bewaltigte er scheinbar muhelos. — Das
Amsterdamer Streichquartett Zimmer-
man n liefi sich mit gutem Erfolg horen in
Quartetten von Schubert und Brahms und dem
nicht sehr bedeutenden, aber angenehmen
Quartett des modernen Hollanders Ingen-
hoven. — Die Soci6t6 Philharmonique
nahm ihre Konzerte mit den altbewahrten Kraften
Ysaye, Casals, Pugno, Cortot, Dumesnil
und Frau Mysz-Gmeiner wieder auf, ohne
in ihren Programmen etwas wesentlich Neues
zu bieten. — Eine dankenswerte Neuerung boten
dagegen die 12 Konzerte Yvette Guilberts,
die die Slteste franzosische Gesangsmusik sowohl
ernster als komischer Richtung mit Talent wieder
aufleben lafit. Felix Vogt
ST. PETERSBURG: Alexander Siloti hatte
fur sein erstes Abonnementskonzert ein Pro-
gramm aufgestellt, das von seinem idealen
Streben reichlich Zeugnis gab; es stand im
Zeichen Bachs und Beethovens. Ilona Durigo
hatte den solistischen Teil ubernommen und
sang seelen- und verstandnisvoll Arien Bachs
und Lieder von Astorga, Rosa, Caldara und
Durante. Im zweiten Konzert traten als Solisten
auf der hier noch unbekannte ausgezeichnete
Pianist Percy Grainger mit dem a-moll Konzert
von Grieg und die besonders in Wagnerrollen
bedeutende Buhnensangerin Felia L i t v i n n e
(funf Gedichte von Wagner). Auf dem orchestralen
Programm war als Novitat eine „Bottnische
Suite" des jungen finnischen Komponisten Toivo
Kuula vertreten, die durch ihre originelle
Eigenart in bezug auf Instrumentation einen
kiinstlerischen Genull bereitete und dem diri-
gierenden Autor reichlichst gespendeten Beifall
brachte. Scriabins „Poeme de rExtase", von
Siloti interpretiert, beschlofi dieses ICO. Abonne-
mentskonzert des energischen Liszt- Schulers.
Die allgemeinzugSnglichen Siloti - Konzerte
scheinen auch schon voile Hauser zu machen,
das bewies jedenfalls der Tschaikowsky-Abend
mit dem hochbegabten Leonid Kreutzer am
Dirigentenpult (Ouverture w Romeo und Julia*
und Symphonie VI) und Siloti als unvergleich-
lichem Interpreten des b-moll Konzerts. Rach-
maninow's e-moll Symphonie bildete die Haupt-
nummer des ersten popularen Siloti- Konzerts,
in dem der Pianist W. Bujukli in Liszts Es-dur
Konzert eine seiner Individualist nicht gerade
enteegejjkomme,nde Wahl getroffen hatte; dem
uriqinal from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
KRITIK (KONZERT)
383
Vortrage mangelte die geistige Freiheit. Einen
durchaus sympathischen Eindruck machte Frau
Erdeli mit der Introduktion und Allegro fur
Harfe und Orchester von Ravel. — Auch
Kussewitzki eroffnete seinen Zyklus mit
einem streng klassischen Programm: Handel
(concerto grosso in d), Mozarts g-moll und
Beethovens c-moll Symphonie. MargareteSiems
machte im allgemeinen den Eindruck einer
wohlgebildeten SSngerin, doch konnte man ihren
Mozart-Vortr3gen wenig Geschmack abgewinnen.
Des 100. Geburtstages Verdi's wurde mit einer
vollendeten Auffuhrung des Requiems feierlichst
gedacht. Kussewitzki an derSpitze seines illustren
Orcbesters, der beriihmte Archangelsky-
Chor und vier Kunstler der Hofoper haben
sich durch die hervorragende Wiedergabe des
Werkes groBes Verdienst erworben. — Die
Musikhistorische Gesellschaft des Grafen
Scheremetew begann unter Mitwirkung ein-
heimischer Solisten und unter Chessin's
Leitung einen Zyklus franzosischer Musik. —
Zu gleicher Zeit eroffnete auch das Hof-
orchester seine groBangelegten Konzerte „Die
Entwickelung der russischen Musik" mit er-
lauternden VortrSgen des Kritikers A. Koptiaew
und unter Direktion von Wan rl ich und
Belling. — Die KammersSngerin Maria Dolina
wird in mehreren Konzerten „Das europaische
Lied vom XII. Jahrhundert bis zur Gegenwart"
schildern. Im schon stattgefundenen ersten
dieser Konzerte boten die Instrumentalvortnige
der Rigaer Kunstler H. Kreutzburg (Orgel) und
Jean du Chastain JKlavier) reichhaltige Ab-
wechselung. Aus der Uberfulle der sonstigen Ver-
anstaltungen seien u. a. erwahnt: die Beethoven-
Abende des Streichquartetts Garpf, die
Konzerte derSoci6t6 de concerts d'lnstru-
ments anciens, der Geigerin Margarete Ber-
son, des Cellisten Joseph Malkin, der Pianisten
Wladimir Drosdow, Artur Lemba, Alexander
Seiliger, die Liederabende von Ilona Durigo,
Felia Litvinne (Siloti am Klavier), Elena Ger-
hardt (Nikisch am Klavier), ein Abend flnnischer
Tonkunst der S2ngerin Dagmar Parnas und
des Pianisten Kosti Webanen.
Bernhard Wendel
WIEN: Einige belanglose, ein paar anregende
NovitMten und zwei, die eingehender be-
trachtet werden sollen und es bei gelegener Zeit
wohl auch werden. Mit diesem Vorbehalt eine
Ubersicht dieser neuen Werke unter Verschwei-
gung der irrelevanten. An der Grenze steht Joan
ManSns „Juventus", ein symphonisch gedich-
tetes concerto grosso fur zwei Geigen, Klavier
und Orchester, unter Weingartner von den
Philharmonikern, dem Komponisten, Prof.
Prill und Herrn Nin (als kuhl elegantem Ver-
treter des Klavierparts) unter dem Beifall eines
Publikums aufgefuhrt, das so wahllos geworden
ist, daB es ihm einmal passieren konnte, sogar
einem wertvollen Werk zu applaudieren. Was
man diesmal nicht behaupten kann. Ich gehore
nicht zu den Pedanten, die ein „Programm" als
Zuchtrute des Tondichters ausniitzen; mag es
stimmen oder nicht, tief oder unsinnig sein —
wenn nur gute Musik dazu gemacht wird, die
die Worte in Vergessenheit bringt. Aber diese
bier: anfangs flach und schlieBlich breit, durch
und durch voll SGBlichkeit. In dieser tonenden
D'::j"«i,-'L
Darsteliung eines Ktinstlerlebens, in seinem
jugendlichen Suchen nach idealem Ausdruck^
zuerst bei der bosen Moderne, dann bei den
bravenEpigonen (denn alsAbglanzder„Klassiker a
wird hoffentlich nicht einmal der Komponist
diesen hubschen, artigen, weichlich gesungenen
Andantesatz ausgeben wollen!) — und schlieB-
lichem Sichselbstfinden wird ein armes, diinnes
kleines Motiv derart zu Tode gehetzt, dafi man
aus Menschenfreundlichkeit zwar hoffen mag,
dali der Tondichter nicht sich selbst in diesem
Thema symbolisiert hat, aber dafi bei der drei-
hundertsten Wiederholung dieses unabanderlicb
gleichen, wenn auch oft vergroBerten, umge-
kehrten, verkleinerten, niemals aber entwickelten
Motivs schlieBlich auch die Menschenfreundlich-
keit zum Teufel geht und daB alles Gerechtig-
keitsgefuhl aufgeboten werden muB, urn den oft
reizvollen Klang, einige gegluckte Episoden (der
schon erwahnte Andantesatz, eine capriziose
spanische Tanzmelodie und manche geistreiche
Wendung) nachdriicklich festzustellen und im
ubrigen das Werk dorthin zu stellen, wohin es
gehort: zu den vielen ahnlichen der kompo-
nierenden Virtuosen. — Eine zart schwermutige,
in dammerigen Pastellfarben gehaltene, von
schonerEinheitdertraurigversonnenenStimmung
erfullte Symphonietta von Paul Graener, ein
keck zufahrendes, von heller Musizierfreude er-
fulltes, frisch und dreist instrumentiertes, nocfr
in Schumannscber und Wagnerscher Sprache
redendes, aber von beflugelter Energie getragenes
Vorspiel zu einem Ritterstuck von Bernhard
Paumgartner hat Nedbal jungst mit seinem
immer reinere Hohen erreichenden Ton-
kunstlerorchester zum ersten mal vorgefuhrt.
— Artur Schnabel und Carl Flesch, diese
idealen Kammermusiker, zwei Seelen und ein Ge-
danke beim Musizieren, haben jungst Erich Wolf-
gang Korngolds Geigensonate zur Wiener Erst-
auffuhrung gebracht. Die neuen Werke des ge-
nialen Junglings wirken doppelterfreulich, weil sie
nicht mehr das Unheimliche haben, das darin
lag, daB es ein Kind war, das diese fast visionaren,
mit elementarer Gewalt hervorbrechenden Klange
offenbart hatte; und weil der schone Weg offen
daliegt, den diese auBerordentliche Begabung
sicher und unbeirrt beschreitet. Es ist der Weg
zur Musik; zur Einfachheit bei aller Vielfalt der
Harmonik und der thematischen Kombination.
Erich Korngold hat so vieles ganz gewonnen,
daB er nicht mehr so viel zu wagen braucht;
und wenn er fruher in jugendlichem Ubermut
zu fragen schien: warum soil ich ruhig gehen,
wenn ich laufen oder gar springen kann? — so
geht er jetzt, die Fulle seiner Musik wie in
einem edlen GefaB vor sich hintragend, gerade-
aus seinem Ziele zu und pfliickt im Voriiber-
gehen, wenn ihn manchmal eine seltsame Klang-
mischung, ein kiihner Ubergang lockt. Un-
glaublich ist wieder die Einheit der Thematik,
die Kontinuitat des inneren Singens, die ge-
schmiedete Form. Unter den vier Satzen, dem
ersten mit seinem schonen Gesangsthema und
der spukhaft beunruhigenden Episode des Mittel-
teils, dem turbulent hinsturmenden Scherzo,
und einer dem reizenden Trio vorangehenden,
in verschobenen Rhythmen huschenden ge-
spenstigen — „Szene", hfltte ich fast gesagt, die
beinahe Peter Schlemihl, vom eigenen Schatten
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- UNIVERSITY OF MICHIGAN
384
DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913
bedringt, vor Augen bringt, dem aus dem „Herzen
des Herzens" herausgesungenen Adagio, mochte
ich doch fast dem vierten Satz den Preis geben,
in seinen duftigen,leichtschwebendenVariationen,
die derart zum Organismus zusammenwachsen,
dafl man die intermittierende Gliederung gar
nicht fiihlt. Der SchluB in seinem Verhauchen,
ein Zwiegesang des Hauptthemas und dem des
ersten Satzes ist von ruhrender Schonheit. Wird
man das Fremdartige, das jeder neuen Tonsprache
eigen ist, uberwunden und das zwingend Logische
dieser Musik empfunden haben, dann wird erst
das nicht w gewollte", sondern w gewordene" Neue
dieser Erscheinung ganz gefuhlt werden. — Ober
die Preiskomposition der Gesellschaft fur Musik-
freunde, die„Fruhlingsfeier a von Carl Pro bask a,
mochte ich erst sprechen, wenn die haBlichen und
mit widerwartiger Perfidie gefiihrten Kampfe um
das Werk verklungen sein werden und ein
ruhiges Wort vernehmbar sein wird. Das durch-
aus ernst zu nehmende, im Chorsatz Eigentiim-
liches anstrebende und vieles erreichende, gewifi
eklektische, harmonisch oft willkurliche, auf
Brahmssche Erbschaften viel nichtverstandlich
Modernes und auch befremdend Opernhaftes
propfende Werk ist in seiner respektablen Technik,
in der Erfindung einiger stark gefuhrter, polyphon
interessanter Chore und einiger schon kolorierter
orchestraler und vokaler Stimmungsbilder an
sich eines Preises sicherlich nicht unwert.
Richard Specht
7 U RICH: Im2. Abonnementkonzert spielte
^ Maurice Dumesnil mit vollendeter Technik
und grofier Eleganz Liszts Es-dur Klavierkonzert.
GrofJen Eindruck machte durch ihren Gehalt
und die glanzvolle Instrumentation Hermann
Bischoffs E-dur Symphonic AIs weitere
Novitat bot das Tonhalleorchester im 3. Konzert
unter Andreae in prachtiger Wiedergabe die
Tondichtung von Delius „In a Summergarden".
Das Werk, das so meisterhaft impressionistisch
die schwule Stimmung eines Sommertages cha-
rakterisiert, ist den Lesern der „Musik" von
deutsche Auffuhrungen her bekannt. Am selben
Abend erfreute Altmeister Messchaert durch
eine Haydnsche Arie und mehrereSchubertlieder.
Das 4. Konzert vermittelte uns die wertvolle Be-
kanntschaft des jungen Geigers Joseph Szigeti;
ist sein Ton auch noch nicht durchwegs rein,
so sind doch der im ubrigen schone, weiche
Klang und die exakte Technik Iobend anzu-
erkennen. Unter den Geigern, die in letzter
Zeit in Zurich hauflger auftreten, erw5hne ich
Georg Herbst (weiche Gesanglichkeit des
Tones, absolute Reinheit und sichere Technik).
Aus dem erfolgreichen Konzert der Lehrer-
vereinigung des stadt. Konservatori ums
sei hervorgehoben, daQ der ausgezeichnete
Pianist P. O. Mockel funf Klavierstiicke Cyril
Scott's spielte; beim einmaligen Anhoren dieser
rein und bis ins auQerste impressionistischen
Kompositionen hatte man freilich den Eindruck,
nur das ^Caprice** verdiene seinen Titel. Eben-
falls von Scott waren zwei Stucke, fur deren
Wiedergabe sich unser Primgeiger de Boer mit
P. O. Mockel vereinigte. In einem Extrakonzert
der Tonhalle entzuckte ein Meister des Klavier-
spiels, Rudolph Ganz, hauptsachlich mit Kom-
positionen von Chopin.
Dr. Berthold Fenigstein
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
Das Bruchstiick aus Richard Spechts neuem Mahler-Werke illustrieren wir durch eine
Anzahl meist unbekannter Gustav Mahler-Bilder, samtlich dem erwahnten Buch
mit Erlaubnis des Verlages Schuster & Loeffler entnommen.
Auf drei Abbildungen aus Mahlers Knaben- und Jungli ngsjahren lassen wir
ein schones Photo folgen, das den Kunstler in der Blute seiner Jahre zusammen mit seinem
Schwager Arnold Ros6, dem Konzertmeister der Wiener Hofoper und Primarius des seinen
Namen tragenden Quartetts, zeigt. Die reizvollen Amateuraufnahmen der nachsten zwei Blatter,
die hier zum erstenmal der Offentlichkeit vorgelegt werden, belauschen den Meister in den
wenigen Augenblicken der Rune, die der Unermiidliche sich gonnte: den Direktor im Foyer
der Wiener Hofoper und, von besonderer Intimitat, das Duo mit seinem Tochterchen,
den auf der Ruckreise von Amerika Befindlichen, wie den am Schreibtisch von der Arbeit
Aufschauenden. Das scharfgeschnittene Gesicht Mahlers war von besonderem Reiz fur Kari-
katuristen, deren mehrere denn auch mit Erfolg ihre Kunst erprobt haben; eine besonders ge-
lungene Zetchnung Burkardts legen wir unsern Lesern hier vor. Von der Totenmaske haben
wir bereits eine Ansicht en face gezeigt; die hier reproduzierte Profllaufnahme wirkt noch
packender. AIs Handsch riftproben des Meisters endlich bringen wir das Titelblatt des w Liedes
von der Erde**, sowie die erste Partiturseite dieser Tonschopfung.
Nachdruck nur mit besonderer Erlaubnis des Verlages gestattet
Alle Rcchte, insbesondere das der Obersetzung, vorbehalten
Fur die ZurQcksendung unvcrlangter oder nicht angemel deter Manuskripte, falls ihnen nicht geoQgend
Porto bcillcgt, Qbcrnimmt die Redaktion keine Garantic. Schwcr leserliche Manuskripte werden ungepr&ft
zuruckgesandt.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin W 57, BulowstraBe 107 1
r.CoOQk Original from
D'::j"«i,-'L
UNIVERSITVOF MICHIGAN
GUSTAV MAHLER
Aus den Kiuben- und Juaglingsjihren
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GUSTAV MAHLER
UNO SEIN SCHWACER ARNOLD ROSfi
XIII
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
MAHLER MIT TOCHTERCHEN
auf seinem fruhcren Landbesitz
(Milernigg *m Worthersee)
MAHLER
AUF DER OBERFAHRT
VON AMERIKA
MAHLER IN DER WIENER HOFOPER
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
MAHLER AM SCHREIBTISCH
MAHLER 1M FOYER DER HOFOPER AMSTERDAMER PHOTOGRAPHIE
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Digitized by LiOOgl
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
GUSTAV MAHLER
Karikatur von Burkirdt
XIII
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
GUSTAV MAHLERS TOTENMASKE
Abgeformt von Carl Moll
XIII
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
TITELBLATT DES ERSTEN TEILS VON MAHLERS LIED VON DER ERDE
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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ERSTE PARTITURSEITE DES ERSTEN TE1LS
VON MAHLERS LIED VON DER ERDE
XIII
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NAMEN- UND
SACHREGISTER
ZUM I. QUARTALSBAND DES DREIZEHNTEN
JAHRGANGS DER MUSIK (1913/14)
dair Abtco 111.
Abeodroth, Hermann, 313.
Abert, Hermann, 171.
Abonnementskonzerte (Aachen)
305.
Abonnementskonzerte (Berlin)
377.
Abonnementskonzerte (Genf)3 1 3.
Abonnementskonzerte (Hanno-
ver) 379.
Abonnementskonzerte (MOnchen)
380.
Abonnementskonzerte (Riga) 191.
Abonnementskonzerte (StraO-
burg) 255.
Abonnementskonzerte (Weimar)
320.
Abonnementskonzerte (ZQrich)
191. 384.
Abranyi, Emil, 366,
Franz Abt-Liedertafel (Braun-
schweig) 377,
Abweger, Jac, 319.
Achscl, Wanda, 303. 369.
Ackte, Aino, 244. 370.
Adler, Guido, 164. 169.
Agostini, P., 174.
Ahlquist 205.
Aich, Priska, 304. 369.
Aichinger, Gregor, 174.
Akademieen, Musikalische (MOn-
chen), 318.
Akademie, Musikalische (Mann-
heim), 253.
v. AkimofT, Gregor, 319.
Aktze>y, Natalie, 316. 319. 376.
AlabiefT, Alexander, 307.
Albeniz, I., 382.
Albers, Henri, 238. 370.
d'Albert, Eugen, 182. 186.241.
245. 247. 268. 308. 309. 310.
360.
Albert, Heinrich, 111. 191.
d' Albert, Hermine, 241.
Alberti, Werner, 63.
Albini 111.
Albisi, Abelardo, 247.
Aldricb, Mariska, 238. 381.
Alexander Friedrich, Landgraf
v. Hessen, 191.
Alfermann, Marianne, 179.300.
Allen, Perceval, 302.
Altenkirch, Otto, 367.
Althoff, Paul, 380.
Alvincz (General) 268.
Amar, Licco, 186. 374.
Ambros, August Wilhelm, 137.
Ambrus (Sftngerin) 366.
Ammermann, Wilhelm, 188.
Amstad, Marietta, 191. 252.
Andersen, H. Chr., 173.
d'Andrade, Francesco. 243. 365.
Andreae, Volkmar, 191, 384.
Andrejewa-Skilondz, Adelaide,
243. 300. 371.
Ann6eTheatrale (Paris) 135. 143.
Ansorge, Conrad, 186. 319. 375.
376. 381.
Anthes, Georg, 366.
Arbos, Fernandez, 382.
Archangelsky-Chor 383.
Arensen, Heinz, 64.
Arlberg, Hjalmar, 316.
d'Arnalle, Vernon, 319. 376.
d'Arnals, Alexander, 367.
Arndt, Manha, 187. 312.
Arndt-Ober, Margarete, 234. 235.
243. 245.
Arnold von Bruck 174.
Arnoldson, Sigrid, 177.
Aron, Paul, 311. 377.
Arzte-Orchesterverein, Berliner,
373.
Aschaffcnburg, Alice, 313.
Ascher, Leo, 180.
Astorga, Emanuele, 382.
Astruc, Gabriel, 369. 370.
Atterberg, Kurt, 128.
Attilio 318.
Auber, D. E., 13. 369.
Auer, Hans, 191.
v. Aucr, Leopold, 247.
August der Starke 377.
Aumann-Lindn^r, Martha, 250.
Austin, Ernest, 317.
Aye, Ernst Alfred, 246.
Bach, Anna Magdalena, 1 10.
Bach, Eduard, 381.
Bach, Joh. Christoph, 110.
Bach, Joh. Seb., 104. 105. 106.
109. llOfT (Das 2. kleine B.-
Fest in Eisenach). 113. 1 16.
123. 124. 165. 168. 172. 183.
185. 186. 187. 188. 190. 191.
218. 219. 225. 226. 242. 246.
247. 248. 250. 253. 255. 259.
260. 262. 292. 296. 307. 308.
309. 310. 311. 312. 313. 315.
317. 318. 319. 323. 333. 363.
372. 373. 377. 378. 380. 381.
382.
Bach, K. Ph. E., 104. 105. 106.
109 247.
Bach, Wilhelm Friedemann, 122.
233. 318.
Bach-Gcsellschaft,Neue,l 10.1 12.
Bach-Verein (Heidelberg) 314.
Bach-Verein (Karlsruhe) 379.
Bach-Verein (Leipzig) 380.
Bach-Verein(Wflrttembergischer)
319.
Bache, Paulus, 249.
Bachenheimer, Theo, 315.
Backhaus, Wilhelm, 186. 248.
251. 254. 313. 316. 319.
Bader, Willy, 301.
Baer, Hans, 375.
Bagrinowski, Michael, 180.
Bahr-Mildenburg, Anna, 353.
Baistrocchi 6.
Bakaleinikow 242.
Bake, Otto, 184. 247. 312. 377.
Baklanow, Georg, 181. 365. 370.
Balakirew, Mili, 126. 255.
Baldner, Max, 249.
Balokovicz, Zlatko, 182.
Band, Erich, 319.
Bandler, Rudolf, 240.
Bariffy, Graf, 366.
Bantock, Granville, 189.
Barbieri, Nini, 32.
Barby, Gerda, 176. 302.
Bardas, Therese, 373.
Bardas, Willy, 1 25. 1 88. 1 9 1 . 373.
Barezzi 6. 34.
Bargiel, Woldemar, 229.
Barinowa, Marie, 309.
Barnay, Lolo, 250.
Barrientos, Maria, 366.
Barth, Richard, 229.
Bflrtich, Rudolf, 251. 308. 381.
Barton, Pepa, 255.
Bartram, Elisabeth, 179.
Basevi, A., 33.
Bassermann, Florence, 313.
Bassermann, Hans, 123. 124.313.
Bastionelli 191.
Battistini, Mattia, 14. 374.
Bauer, Frida 235.
1
D'::j"«i,-'L
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II
NAMENREGISTER
Bluer, Hirold, 317.
Baum, Karl, 236.
Baumer, Cecil, 317.
v. BauQnern, Waldemar, 307.
Bax, Arnold, 190.
Beaumarchais 320.
Beaumont (Librettist) 33.
Bechstein 186.
Becht, Ella, 124.
Becker, Carl, 253.
Becker, Fritz, 372.
Becker, Fr., 124.
Becker, Gottfried, 300.
Becker, Dr. (Kapellmeister), 300.
Beer, Otto, 239.
van Beethoven, Johanna, 148.
van Beethoven, Karl, 148. 149.
150. 151. 152.
van Beethoven, Ludwig, 62. 109.
113. 116. 123. 124. 125. 126.
127. 132. 147ff (Briefe B.s
an Bernard, Hoffmann, Steiner
& Co. und Schindler). 163.
168 170. 171. 186. 187. 188.
190 191. 201. 204. 218. 219.
225. 226. 227. 228. 240. 242.
243. 247. 248.249. 250. 251.
252. 253. 254. 255. 256. 260
264. 265. 266. 267. 268. 279ff
(B. und Bremen). 290. 291.
292. 305. 306. 307. 308. 309.
310. 311. 312. 314. 315. 316.
317. 318. 319. 323. 334. 335.
336. 345. 371. 372. 373. 374.
375. 376. 377. 378. 380. 381.
382. 383.
Behm, Eduard, 183. 185. 246.
306. 307. 309. 310. 377.
Behr, Hermann, 250. 377.
Behrend, Max, 180.
Beidler, Franz, 253.
Beicr, Franz, 314.
Beines, Carl, 319.
Bekker, Paul, 170.
Belliard 320.
Belling (Dirigent) 383.
Bellini, Vincenzo, 3. 4. 8. 27. 49.
Bellwidt, Emma, 255.
Belousoff, E., 380.
Benda, Georg, 244.
Bender, Paul, 313. 318.
Bendix, Viktor, 372.
Benedict, Carl Siegmund, 295.
Benfey 356.
Benincori, Angelo Maria, 241.
Bennett, John, 250.
Berber, Felix, 253. 3 1 5. 3 1 8. 38 1 .
Berend, Fritz, 254.
Berger, Rudolf, 235.
Berger, Wilhelm, 309.
Berger-Rilba, Isa, 245. 316.
Bergh, Rudolf, 187. 254.
Bergmann, Hans, 304.
Bergwein, Marie, 376.
Berio 67.
Berlioz, Hector, 28. 213. 311.
312. 317. 320 (Bild). 363.
369. 371. 378. 379. 381.
Bernard, Carl, 149. 150.
Bernstein, Dora, 374.
Berson, Margarete, 245. 383.
Berthold, Martha, 185.
Berts (Sftngerin) 366.
Betzak, Anni, 254.
Betzler, Gertrud, 319.
Beyer, Heinz, 123.
Beyermann, Jeanne, 370.
Bieler, August, 377. 380.
Bienstock, Heinrich, 318.
Bierbaum, Otto Julius, 123.
Bildungsverein, Kruppscher,3l 3.
Bilk, Jacques, 365.
Billroth, Theodor, 339.
Bird, William, 331.
Birkigt, Hugo, 253.
Bischoff, Fritz, 239. 255.
Bischoff, Hermann, 384.
Bitter 309.
Bittner, Julius, 303 („Der Aben-
teurer M .UrauffQhrungin Koln).
Bizet, Georges, 1 1. 26. 177. 300.
316. 360.
Bjerlow, Karen, 372.
Blackmore, John J., 126.
Blanchet, Emile, 313.
Blfttter fdr Kirchenmusik, Flie-
gende, 286.
Blech, Leo, 234. 240. 242. 243.
295. 371.
Blechmann, Hansi, 308.
Bletzer, Margret, 376.
Bleyle, Karl, 175.
BlOchlinger 148. 149.
Blodek, Wilhelm, 304.
Blum, Carl Robert, 163.
BIQmel, Alfons, 381.
Blumer jun , Theodor, 187. 363.
BlQmle, Josef, 185. 191. 316.
BlQthner-Orchesterl24. 126. 127.
242. 243. 245. 246. 307. 308.
309. 371. 373. 374. 375. 380.
Bobrick, Anna, 182.
Bocchesi (Sanger) 367.
BOcklin, Arnold, 252.
Bodanzky, Arthur, 237. 253.
Bodenstedt, Friedrlch, 70.
Boehe, Ernst, 381.
Boehm-van Endert, Elisabeth,
235. 308. 315.
Boennecken, Lucie, 177. 236.
Boepple, Paul, 190.
de Boer, Willem, 384.
Boerne, Ludwig, 207.
B/Jhme (Verleger) 291.
Bohnke, Emil, 187.
Boieldieu, F. A., 68. 179. 254.
300.
Boito, Arrigo, 19. 21. 29. 67.
69. 79. 81. 82 83. 84. 85.
86, 87. 88. 89. 90. Wl. 93.
95. 96. 97. 99. 100. 101. 128.
Bokmayer, Elisabeth, 381.
Bolz, Oskar, 176.
Bonaparte, Napoleon, 268.
Borchard, Adolphe, 375.
Borck, Helene, 250.
Borodin, Alexander, 180. 3 19.
BGrresen, Hakon, 380.
v. Borscht, Dr., 128.
Borwick, Leonard, 229.
v. Borzestowski, Gertrud, 253.
Bos, Coenraad V., 31 1. 315. 373.
374. 377. 378.
Bosch, Katharina, 307. 38a
v. Bose, Fritz, 316. 381.
Bosetti, Hermine, 237. 243.318.
Bossi, Enrico, 127. 379.
Botscharow, Michael, 180.
BGttcher, Georg, 308.
BOttcher, Lissy, 375.
BOttcher, Robert, 235.
Bottermund, Hans, 309. 374.
Boucardt (Sanger) 48.
Bouilly 131.
Boyer (Sanger) 370.
Brahms, Johannes, 35. 109. 123.
124. 125. 126. 127. 164. 175.
182. 185. 186. 188. 189. 190.
191. 229. 232. 240. 241.242.
244. 245. 246. 247. 248. 249.
250. 251. 252.253.292. 306.
307. 309. 312. 313. 315. 316.
317. 318.319.339. 370. 371.
373. 374. 375. 376. 377. 378.
379. 380.381. 382. 384.
Brahms- Verein, Berliner, 307.
Brand, Geza, 240.
Brandenburg, Arthur, HI. 112.
Brandes, Gertrud, 185.
Brauer, Max, 379.
Braun, Carl, 64. 251.
Braun, Friedrich, 179. 369.
Braunfels, Walter, 251. 253. 304
( v Ulenspiegel u . UrauflTQhrung
in Stuttgart.)
Braunroth, Ferdinand, s. Toten-
schau XIII, 1. 128.
Brecher, Gustav, 179.302.303.
368. 374.
Breitenbach, F. J., 190.
Breitenbach, J. (Sohn), 190.
Breitenfeld, Richard, 177.
Breitkopf& Hartel 131.219.260.
263. 295.
Bremner, Ernst, 187.
Brentano, Franz, 121. 149.
Breuer, Hans, 240.
Breuning, Gunna, 249.
Brian, Havergal, 317.
Bridge, Frank, 190.
Brieger, Eugen, 240.
Brinkmann, Rudolf, 177. 236.
D '!!;]'":!■
C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
NAMENREGISTER
III
Brockhaus, Hermann, 355. 356.
Brode, Max, 253.
Brodersen, Friedrich, 237. 369.
Brola, Jeanne, 303.
BrOII, Robert, 126. 254.
Broman, Natanael, 245.
Brflmme, Otto, 319.
v. Bronsart, Hans, 230. s. Toten-
schau XIII, 5. 320 (Bild).
Bronsgeest, Cornelis, 234. 243.
Brown, Eddy, 185. 247.
Browne, Alwyn, 125.
Bruch, Hans, 379. 382.
Bruch, Max, 123. 125.229.230.
240. 252. 306. 312. 317. 318.
376.
Bruckner, Anton, 122. 164. 168.
182. 188. 240. 242. 243. 250.
255. 291. 305. 313. 314. 315.
370. 382.
Bruger- Drews, Margarete, 178.
Bruhn, Eva, 184 319. 378. 381.
Brun, Georges, 382.
Brunei, Raoul, 382.
BQchter (Kapellmeister) 181.
Buck, Rudoir, 306.
BOdinger, Dr., 339.
Buers, Willy, 178.
Buhlig, Richard, 125. 253. 312.
377.
Bujukli. W., 382.
Bukofzer 296.
v. BQlow, Hans, 19. 259. 260.
262. 268. 320
BQltemann, Walter, 176.
Bum, Margarete, 381.
Bunte, Wilhtlm, s. Totenscliau
XIII, 2.
Bunzel, Lotte, 188.
Burger, Else, 375.
Burkardt (Zeichncr) 384.
Burkhard (Kapellmeister) 305.
Burmeister, Richard, 248.
Burraester, Willy, 186. 309.320.
377.
Busch, Fritz, 305.
Busoni, Ferruccio, 125. 126.
190 320. 371.
Butterworth, George, 189.
BQttner, Max, 379.
Buxtehude, D etrich, 111.
Byron, Lord, 7. 9.
Caccini, Giulio, 108.
Cahier, Charles, 243. 306. 318.
370.
Cahnbley-Hinken, Tilly, 190.
252. 305. 315.
Calace, Enzo, 183.
Caldara, Antonio, 382.
Cammarano (Librettist) 10. 13.
28. 38.
Camoens, Luiz, 199.
Campa<nola (Singer) 238.
Capet-Quartett 375. 381.
Caponsacchi, Marguerite, 183.
a cappella-Chor, Duisburger, 1 10.
acappella-Gesangverein, Putsch -
scher, 374.
Carreno, Teresa, 317.
Carriere, Paul, 308. 318.
Caruso, Enrico, 14. 181. 236.
304.
Casadesus, Henri, 241.
Casadesus, Marcel, 241.
Casals, Pablo, 191. 306. 307.
313. 317. 318. 380. 382.
Casas (Komponist) 382.
Caslova, Marie, 125.
Catterall, Arthur, 190.
del Cavaliere, Emillo, 108.
Cavalli, Francesco, 169.
Cerny (Tlnzerin) 301.
Cesbron (Singerin) 300.
Chabrier, Emanuel, 230.
Chamberlain, H. St, 113.
Charpentier, Gustave, 302. 303.
du Chastain, Jean, 383.
Chatham, William Pitt, 191.
Chausson, Ernest, 246. 250. 308.
319.
Cheatham, Kitty, 191.
Chewier, Andre*, 382.
Cherubini, Luigi, 68. 131 ft*
(Ch.s „Wassertrager a ). 187.
190.
Chessin, Alexander, 383.
Chevillard, Camille, 254. 382.
Chitz, Dr., 163.
Chop-Groenevelt, Coeleste, 251.
Chopin, Frederic, 109. 125. 126.
168. 183. 184. 185. 186. 1S7.
188. 190. 202. 213. 219. 241.
245. 247. 248. 263. 309. 310.
31*1. 312. 313. 315. 316 337.
373. 375. 376. 377. 381.
Chor,Akademischer(Berlin),372.
Chor, Gemischter (Wilmcrsdorf),
182.
Chor, Pfannschmidtscher, 372.
Chor, Philharmonischer (Berlin),
240. 370.
Chor, Philharmonischer (Bre-
men), 312.
Chor, Victorscher (Bremen), 187.
Chorgesangverein, Zehlendorfer,
307.
Chorverein (Baden-Baden) 306.
Chorvereinigung Berliner Arzte
373.
Christian II., KOnig v. Dane-
mark, 202.
Chrysander, Friedrich, 286.
Cimarosa, Domenico, 3.
Clairmont, Eva, 177.
Classical Concert Society (Lon-
don) 317.
Cl6ment (Sftnger) 313.
Clementi, Muzio, 375.
Clewing, Carl, 250.
Closs, Margarete, 319. 381.
Clutsam, G. H., 317.
Coates, Eric, 189 317.
Colebrooke, Henry Thomas, 356.
Coleridge-Taylor, Samuel, 314.
Colonne-Konzerte 254. 382.
Concertgebouw-Orchester 370.
Concerts Modernes(Luzern) 190.
Concerts populaires (BrQssel)
312.
Conrad, Waldemar, 308.
Corelli, Arcangelo, 116.
Cornells, Evert, 370.
Cornelius, Frieda, 236.
Cornelius, Peter, 182. 249. 376.
Cornell, Louis, 191.
Cortolezis, Fritz, 179. 188.368.
Cortot, Alfred, 305. 382.
Costa, Franz, 302.
Couperin, Francois, 172. 186.
Crabbe, C. A., 317.
Crancy, Willy, 245.
Crancy-MOller, Helene, 245.
Crome, Fritz, 184. 245. 309.
Cronbcrger, Wilhelm, 176.
Cruvelli, Sophie, 45.
Cui, Cesar, 180. 220.
Culbertson, Sascha, 125. 188.
Culp, Julia, 183. 250. 256. 312.
315. 318. 319. 373. 380.
de Curzon, Henri, 320.
Cuypers, H , 318.
Czerny, Karl, 109. 165.
Dachs, Prof., 307.
Dahlke-Kappes, Minna, 312.
Dahmen, Charlotte, 304.
v. Dalen, Hugo, 185.
Dalnoki, V., 366.
Damaew, Wassili, 180.
v. Dameck, Hjalmar, 241.
Damman, Hedwig, 250.
Dankewitz, Elsa, 374.
Dante 23. 67.
Danza, Lorenzo, 314.
Daquin, Louis Claude, 186.
Dargomijschki, Alexander, 220.
225.
Daudet, Alphonse, 300.
Daumas (Sftngerin) 254.
Daume, Karl, 377.
David, Ferdinand, 229.
Davisson, Walther, 378.
Dawidow, Albert, 310.
v. Debicka, Hedwig, 238.
Debogis, Marie-Louise, 255. 315.
Debussy, Claude, 171. 184. 186.
189. 190. 206. 247. 254. 306.
308. 314. 318. 319. 369.
Dechert, Hugo, 371.
Decker, Jacques, 176. 365.
Dehmel, Richard, 205. 308. 313.
315.
Debmlow, Hettha, 182. 247.
I*
D '!!;]'":!■
C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
IV
NAMENREGISTER
Delflco, Melchlorre, 64. 128.
Dclius, Frederick, 187. 189. 254.
306. 317. 377. 384.
Demetriescu, Theophil, 376.
Denkmfiler der Tonkunst in
Osterreich 169.
Densz (Sflngerin) 314.
Denys, Emmy, 184.
Denys, Thomas, 127. 184.
Denzler, Robert, 190.
Derichs, Mathieu, 368.
D^saymard, J., 230.
Desler, Elisabeth, 381.
Dessau, Bernhard, 244.
Dessoir, Max, 161.
Destinn, Emmy, 63. 241. 243.
301. 312.
Destouches, Andr6 Cardinal,
241.
Deutsch, Ludwig, 191.
Deutsch, Piet, 245.
Deutsches Theater, Neues (Prag),
238.
Devilliers, Marcel, 241,
Diabelli & Co. 266.
Diedel-LaaQ, Gertrud, 176.
Diefenbacher, Hedwig, 379.
Diestel, Meta, 319.
Dietz, Justus, 293.
Dillmann, Alexander, 255. 320.
Direnberger, Else, 250.
Dit-Beraneck, Lilly, 239.
Dittersdorf, Karl, 305.
DGbereiner, Christian, 111.
Doepner, Gerta, 245.
Doepner, Use, 245.
Dohrn, Georg, 127. 250. 377.
v. Dohnanyi, Ernst, 183. 186.
190. 317. 318. 319. 381.
Dolina, Maria, 383.
DOmotOr, J., 366.
Donahue, Lester, 318.
Donizetti, Gaetano, 3. 4. 8. 43.
303.
Donndorf, Peter, 319.
Dopper, Cornelis, 370.
Dorda, Martha, 127.
DorfmQller, Franz, 254.
Dorlay, Georges, 317.
Dorner, Hans, 382.
Dost, Walter, 313.
Draeseke, Felix, 154. 163. 166.
167. 181. 226. 247. 252. 380.
Draghi, A., 169.
Dramsch, Gustav, 181.
Draper, Charles, 317.
Draper, Paul, 318.
van Dresser, Marcia, 177.
DrOscher, Georg, 300.
Drosdow, Wladimir, 383.
Droucker, Sandra, 319. 376.
Drugulin, W., 233.
Drusiakina, Sophia, 180.
Du Locle 16.
Dubinski, Wladimir, 180.
v. Dubiska, Irene, 183.
Duesberg, Nora, 250. 371.
Dukas, Paul, 305.
Dumas (PSre), Alexandre, 11.
Dumesnil, Maurice, 313. 382.
384.
Duncan, Elizabeth, 226.
Duncan, Isadora, 226.
Dunhill, Thomas, 190.
Dunn, John Petrie, 381.
Dupaty (Librettist) 300.
Duparc, Henri, 318.
Durand & Fils 174.
Duranowski (Geiger) 210.
Durante, Francesco, 382.
Durigo, Ilona K., 190. 191. 311.
382. 383.
Duveyrier 44.
Dux, Claire, 123. 242. 247.
Dvorak, Anton, 182. 202. 229.
252. 253. 305. 307. 309. 315.
317. 336. 372. 373. 381.
van Dyck, Ernest, 305. 348.
Dyck, Felix, 244. 254.
Easton, Florence, 178. 179.
302.
Ebel, Arnold, 172.
Ebert, Alfred, 147.
Ebner, Adalbert, 319.
Ebncr, Joseph, 191.
Ecker, Karl, 374.
Eckhold, Richard, 302. 314.
Eg6nierT, Franz, 124.
Egidi, Arthur, 125. 185. 247.
Ehrlich, Bianca, 320.
EibenschQtz, Jose, 252.
v. Eichendorff, Joseph Frhr.,
122. 364.
Eisele, Anny, 316.
Eisenberger, Severin, 191. 312.
Eisner (Sflngerin) 238.
Eitner, Robert, 287. 332.
Elb, Margarete, 176.
Elfenbein, Erna, 254.
Elgar, Edward, 189. 190. 241.
317.
Elisabeth, KOnigin v. England,
99. 331.
Ellger, Hilde, 309. 377.
Elman, Mischa, 242. 317. 371.
Engel, Vika, 240.
Engel, Werner, 235. 373.
Engelhard, Leonor, 63. 176.
Engell, Birgit, 63. 190.
Englerth, Gabriele, 240.
Erb, Karl, 318.
v. Erdberg, Matthias, 244.
Erdeli (Harfenistin) 383.
v. Erdody, Marie Grflfin, 147.
Erhard, Eduard, 178.
Erler, Hermann, 370.
Erler-Schnaudt, Anna, 127. 191.
245. 315.
Ernst, Alfred, 124. 186.
Ernst, H. W., 317.
Ertel, Paul, 172.
Eschke, Max, 307. 371.
Esterhazy, FOrst, 152.
Euler, Leonhard, 339.
Euripides 165.
L' Europe Litte>aire 213.
Evers, Emil, 379.
van Eweyk, Arthur, 249. 253.
Faber, Joachim, 236.
Fabian, Georg, 181.
Fflhrmann, Hans, 172. 312.
Fall, Leo, 359. 360.
Faltin, Richard, 195.
Fanger, Otto, 177. 237.
Fanto, Leon, 367.
Farina, Carlo, 218.
Fasch, Joh. Friedrich, 218.
Faure, Gabriel, 185. 317. 318.
319. 369.
Favre, Walter, 237.
Fay, Maud, 237.
Feart, Rose, 238.
Federhof-MOller, Fanny, 247.
Feinhals, Fritz, 304.
Feldser, Alexandra, 306.
Felmy, Max, 237.
Fenten, Willy, 367.
Fergusson, George, 182.
Feus, F. J., 208.
Feuchtinger, Prof., 246.
Feuerlein, Ludwig, 319.
Feuermann, Sigmund, 255.
317.
Fibere, Michael, 376.
Fickenscher, A., 308.
Fickler, Martha, 314.
Fidelmann, Sam, 309.
Fiebig, Hugo, 126.
Fiebiger, Erna, 237.
Fiedler, Max, 241. 242. 314.
371.
Fink, Heinrich, 218.
Fink, Marie, 303.
Filippi, Filippo, 98.
Fischer, Edwin, 240. 254. 311.
318. 380.
Fischer, Franz, 181.
Fischer, Karl, 318.
Fischer, Richard, 182. 240.
Fischer, Wilhelm, 164.
Fischer-Maretzki, Gertrud, 315.
Fitger, Arthur, 205.
v. Fladung, Irene, 304.
Fleisch, Maximilian, 313.
Fleischer, Arthur, 368.
v. Fleischl, Dr., 339.
Flesch, Carl, 182. 187. 188. 242.
253. 310. 313. 316. 318.319.
372. 379. 383.
Floch, Paula, 235.
Flonzaley-Quartett 242. 252.253.
315. 317.
D'::j"«i,-'L
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
NAMENREGISTER
v. Flotow, Friedrich Frhr., 177.
291.
Flury, Alfred, 190.
FOnO, Johannes, 177.
Forchhammer, Ejnar, 177. 240.
313.
Foerstel, Gertrude, 127. 128.
178. 305.
Foerster, J. B., 318.
Forkcl, Joh. Nikolaus, 270.
Forsell, John, 380. 382.
FGrster, August, 164.
Fortelni, Rosine, 177. 367.
Forti, Elena, 367.
Fortner-Halbaerth, Bella, 236.
Foster, Muriel, 252.
Franchetti, Alberto, 236.
Franck, Cesar, 190. 191. 242.
249. 253. 254. 255. 310. 375.
377. 381.
v. Franckenstein, Clemens, 381.
v. Frankenberg, E., 176.
Frankfurter, Walter, 231.
Franz I., Konig v. Frankreich,
331.
Robert Franz-Singakademie 378.
Freid, Sara, 254.
Fremdenblatt, MQnchener, 287.
Fremstad, Olive, 180.
Freund, Maria, 373.
Frey, Adolf, 306.
Frey, Erwin, 184.
Frey, Martin, 172.
Freye, Martha, 245.
Freytag, Gustav, 69. 70.
Fridrichowicz, Agnes, 308. 374.
Fried, Oskar, 123.
Fricdberg, Karl, 242. 253. 310.
315. 377. 378. 379. 382.
Friederici, Daniel, 250.
Friedland, Martin, 188.
Friedman, Ignaz, 316. 380. 381.
Friedrich der GroQe 106. 124.
Friedrichs, Emma, 185.
Friedrichs-Bohmer, Henriette,
124.
FrieB, Pauline, 318.
Frigora (Kapellmeister) 300.
v. Frimmel, Theodor, 148. 149.
150.
Frischen, Josef, 308. 379. j
Froberger, Johann Jakob, 218. |
259.
Froding 205.
Froehlich, Louis, 313. I
Frohlich, Alfred, 235.
Frommer, Paul, 237.
Frostick, Percy, 314.
Fuhrmeister, Fritz, 243.
FOllgrabe, Georg, 185. i
Fumagalli, Angelo, 190.
Funck, Werner, 365.
Funk, Georg, 182. 307.
Funk, Therese, 187.
FQrstner, Adolph, 357. 358.
Furtwflngler & Hammer 125.
v. Gabain, Anna, 247.
Gabor (Singer) 366.
Gabrilowitsch, Ossip, 241. 318.
373. 376.
Gade, Niels W., 164. 195. 199.
Gaertner, Otto, 250.
Gaertner, Walter, 179.
Gales, Weston, 188. 253.
Gallen, Axel, 196.
Gallo, Antonio, 44. 45. 46.
Gallone, Carlo, 318.
Gallus, Jacobus, 110. 174. 299.
Galston, Gottfried, 254. 320.
381.
Gamaleja, W., 376.
in der Gand, Hanns, 381.
Ganz, Rudolph, 306. 313. 384.
Garden, Mary, 238.
de Garmo, Harry, 303.
Garpf Quartett 383.
Gaul, Alfred Robert, s. Toten-
schau XIII, 2.
Gauntier, Margarete, 180.
Gay, John, 334. 335.
Gedeonow (Theaterdirektor) 180.
Geibel, Emanuel, 364. 377.
GeiOe-Winkel, Nicolas, 378.
GeiOler, Johanna, 369.
Gellert, Ludwig, s. Totenscbau
XIII, 1.
Gentner-Fischer, Else, 313.
GeorTroy, Ch., 128.
Georgesco, Georges, 186. 307.
G6rardy, Jean, 310. 372.
Gerber, P., 296.
Gerhardt, Elena, 181. 244.251.
318. 377. 383.
Gerhftuser, Emil, 304.
v. Gerlach, Arthur, 235. 236.
Germer, Heinrich, 264. 265.
Gernsheim, Friedrich, 252. 307.
315. 364.
Gerstmann, Erna, 245.
Gesangverein, Kotzoltscher, 376.
Gesangverein, Rflhlscher, 251.
Gesellschaft der Musikfreunde
(Berlin) 241.
Gesellschaft der Musikfreunde
(Hannover) 379.
Gesellschaft der Musikfreunde
(Wien) 384.
Gesellschaft, Musikalische
(Koln), 252. 315. 379.
Gesellschaft, Musikhistorische
(St. Petersburg), 383.
Gesellschaft, Philharmonische
(Johannesburg), 314.
Gewandhauskonzerte 315. 316.
380.
Gewandhaus-Quartett 316.
Ghislanzoni, Antonio, 17. 128.
Giemsa, Konrad, 377.
Gieseking, Walter, 188.
Giesen, Karl, 303. 369.
Gille, Karl, 368. 379.
Gilly, Dinh, 301.
Gilow, Mathilde, 307.
Gindra, Therese, 124.
Giorni, Aurelio, 316. 381.
Gipser, Else, 315. 373.
Giraldoni (Bariton) 369.
Gischler, Hermann, 312.
Gitarrequartett, MOnchner, 191.
Gittelson, Frank, 246.
Glaeser, John, 221. 235.
GlaD, Louis, 380.
GlaQ-Sant, Elsa, 311. 315.377.
Clazounow, Alexander, 190. 242.
254. 319.
Gleisberg, Mary, 378.
GleiDberg, Alfred, 379.
Gliere, Reinhold, 317.
Glinka, Michael, 180.
Glinz, Helene, 308.
Globerger, August, 380.
Gluck, Chr. W., 116. 125. 169.
178. 181. 182. 237.. 276. 278.
288f (Ergflnzungen' und Be-
richtigungen zu Wotquenne's
Thematischem Verzeichnis der
G.'schen Werke). 333. 334.
Gmeiner, Ella, 374.
Gmeiner, Luise, 320.
Gmeiner, Rudolf, 254. 308.
GmQr, Rudolf, 303.
Goddard, James, 240.
Godowsky, Leopold, 190. 297.
Goedecke, Leberecht, 242.
Goethe, J. W., 27. 39. 85. 113.
114. 118. 132. 165. 175. 227.
284. 290. 292. 295. 305. 306.
335. 377.
Goette, Elfriede, 124. 371.
Goetz, Hermann, 28.
v. Goetz, Mary Mora, 124. 185.
307. 374.
Gohler, Georg, 178. 236. 316.
318. 368.
Goldfisch, Edmund, 250.
Goldmark, Carl, 27. 183. 251.
316.
Goldschmidt, Paul, 252. 318.
Gollanin, Leo, 124. 244.
Gollmer, Frieda, 178.
Gollrich, Josef, 237.
Golowanow, N., 307.
van Gorkom, Jan, 179.
Corn, Kurt, 377.
Gorter, Albert, 180. 190.
Gosnell, Vivian, 250.
Gossec, F. J., 131.
Gothia (Graz) 188.
Gotthard, Karl, 179.
GottschedJohannChristoph,377.
Gotz, Karl, 3 15.
Goudimel, Claude, 233.
D'::j"«i,-'L
C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
VI
NAMENREGISTER
Gounod, Charles, 27. 360.
Grabcrt, Martin, 374.
Gridener, Hermann, 296. 297.
Graener, Paul, 383.
Gragniani 191.
Grainger, Percy, 189. 382.
Gram, Peder, 380.
Grandjany, Marcel, 382.
Gregor, Hans, 239. 365.
Greif, Martin, 318.
Greis, C., 176.
Gr6try, A. E. M., 131. 228.
270 ff (G.). 314. 320 (Bilder).
Grevenberg, Julius, 367.
Grieg, Edvard, 191. 195. 197.
198. 204. 206. 314. 336. 338.
379. 380. 382.
Grieg, Nina, 380.
Grimm, Gebrflder, 279.
Grimm-Mittelmann, Berta, 369.
Grobke, Adolf, 304.
Groenen, Josef, 369.
Groll, Lotte, 308. 316.
Gruder-Guntram, Hugo, 221.
235.
GrQnberg, Georg, 311.
GrQnberg, Max, 373.
GrOnfeld, Heinricb, 244. 373.
Gschrey, Richard, 254.
Guilbert, Yvctte, 382.
Guiimant, Alexandre, 374.
v. Guines, Henog, 240.
Gfllzow, Adalbert, 242.
Gumpel, Erna, 297.
GQnther, Klara, 310.
GOnther, Helene, 377.
GQnther, Marie Lydia, 319. 376.
GQnther, Martha, 313.
GQnzburg, Mark, 252. 311.
Gura-Hummel, Annie, 378.
GQrzenich-Konzerte 252. 315.
379.
GQrzenich-Quartett 315.
Gustavson (Geiger) 313.
Guszalewicz, Alice, 369.
Gutheil-Schoder, Marie, 353.
Guttmann, Alfied, 230.
Guttmann, Wilhelm, 307. 308.
309.
Gutzmann 296.
Gutzmann, Elisabeth, 126.
Haas, Engelbert, 184.
Haas, Joseph, 253.
Haas, Robert, 255.
Habeneck, F. A., 211.
Hickel, Friedrich, 381.
Hadwiger, Alois, 301.
Haehnel, Willy, 308.
Hafcren-Waag, Lilli, 234.
Hagedorn, Gottfried, 236.
Hagel, Richard. 377.
Hagen, Adolf, 226.
v. Hagen, Elis, 170.
v. d. Hagen, Fr. H., 335.
Hagen, Otfried, 176. 365.
Hagenbeck, Karl, 339.
Hagin, Heinricb, 63.
Hahn, M. R , 230.
Habn, Reynaldo, 190.
Hahn, Uta, 311.
Haile, Eugen, 173. 248.
Hait, David, 308. 372.
Haievy, J. E. F., 63. 64.
Hallama, Felicitas, 301.
Haller, Marta, 245.
Hallwachs, Karl, 244.
Halvorsen, Johan, 242.
Hamm, Adolf, 306.
Hammer, Birgcr, 245.
Hftndel, G. F, 104. 109. 111.
112. 165. 168. 172. 184. 218.
232. 241. 242. 243. 254. 259.
312. 313. 314. 315. 318. 381.
383.
Hftnsel, Rudolf, 187.
Hansen, Christian, 181.
Hansen, Paul, 64. 235. 301.
Hanslick, Eduard, 7. 68. 80. 96.
339.
Hansmann, Richard, 166. 167.
HardorfP, Anna, 379.
Harrison, Beatrice, 245.
Harrison, Jules, 190.
Hartmann, Georg, 235. 300.
Hartmann, Joh. Peter Emil, 195.
Hartmann, Ludwig, 365.
Hartwig & Co. 64.
Hany, Hamilton, 189.
Harwood, Basil, 189.
Hasse, Hans, 373.
Hasse, Joh. Adolf, 289.
Hasse, Karl, 172.
HaQler, Hans Leo, 111. 250.
HaQler, Walter, 254.
v. Hatiingberg, Magda, 373. 380.
| Hauptmann, Moritz, 143. 144.
| 374.
v. Hausegger, Siegmund, 243.
I 252. 306. 307. 314.
j Hauser, Emil, 378.
Havemann, Gustav, 380.
Haydn, Joseph, 168. 172. 188.
191. 218. 240. 242 245. 248.
250. 251. 255. 277. 284. 285.
287. 305. 314. 315. 318. 334.
374. 377. 378. 380. 382. 384.
Haym, Hans, 251.
Hebbel, Friedrich, 167. 172. 225.
354. 364. 381.
Heber, Richard, 249.
Heberlein, Richard, 254.
Hebler 79.
Hecke, Otto, 124.
Hecker, Sigmund, 235.
Hedberg 205.
Hedler, Richard, 235.
Hedmond (Singer) 303.
Hedmondt, J., 316.
Heese 124.
Hegar, Friedrich, 187. 306. 307.
318. 381.
Hegedds, Fr., 366.
Heger, Robert, 181. 377.
Hegner, Anna, 255.
Hegner-Quartett 379.
Hegyesi, Lotte, 319.
Heifetz, Jascha, 126.
Heim, Margarete, 308.
Heim, Melitta, 235.
Helms, Dora, 316.
Hein, Paul, 305. 306.
Heine, Heinricb, 308.318.378.
Heineken, Max, 375.
Heinemann, Alexander, 245.
Heinemann, Ernst, 167.
Heinemann, Hans, 312.
Heinricb, Prof, 305.
Heintzsch 111.
Heise, Peter, 164. 202.
Heitzmann 296.
Helger, Otto, 304.
Helmboltz, Hermann, 160.
Hem meter, Hildegard, 254.
Hempel, Frida, 183. 379.
Henessy, Swan, 311.
Henke, Waldemar, 63.
Hensel, Heinricb, 63. 315.
Henze, Hermann, 243.
Herberger, Thea, 188.
Herbst, Geog, 384.
Herder, Joh. Gottfried, 1 18. 369.
Hering, Curt, 112.
Hermann, Agnes, 255.
Hermann, Amalie, 254.
Hermann, Paul, 250.
Herold, Wflhelm, 369.
Herpen, Charlotte, 311.
Herrmann, C, 316.
v. Herzogenberg, Heinrich, 229.
230.
Hcsch 353.
HeO, Ludwig, 241. 248.
HcD, Otto, 181. 237.
HeO-Quartett 249.
HeO, Willy, 249.
Heuberger, Richard, 188.
Heumann, Maria, 185.
HeuO, Alfred, 159. 160. 231.
Hewitt, Maurice, 241.
Heyer, Hanna, 191.
Hey I, Nelly, 181.
Hielscher, Hans, 127.
Hielscher, Paul, 127.
Hignard, A., 230.
Hildebrand, Camillo, 182. 183.
Hill, Tilia, 315.
Hiller, Joh. Adam, 334. 335.
Hillcr, Ferdinand, 213. 294.
Himmel, F. H., 246.
Hindermann, Paul, 191.
Hinze-Reinhold, Anna, 248 318
Hinze-Reinhold, Bruno, 248. 31 8.
D'::j"«i,-'L
C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
NAMENREGISTER
VII
Hirsch, Karl, 382.
Hirschberg, Ludwig, 307.
Hirt, Luise, 377.
Hochheim, Paul, 176. 235.
Hock-Quartett 187.
Hochn, Alfred, 254. 255. 377.
v. HoeQlin, Franz, 318.
Hof- und Domchor, Kgl. (Ber-
lin), 241. 253. 307. 370. 371.
Hofbauer, Rudolf, 239.
Hoffmann, Baptist, 243. 300.
Hoffmann, Else, 381.
Hoffmann, E. T. A., 149. 293.
378.
Hoffmann - Ontfgin, Lilly, 315.
379.
Hofkapelle (Braunschweig) 377.
Hofkapelle (Dessau) 378.
Hofkapelle (Karlsruhe) 188.
Hofkapelle (Meiningen) 312. 379.
Hofkapelle (Stuttgart) 319.
Hofmann, Friedrich, 188.
v. Hofmannsthal, Hugo, 240.
Hofmeier-Hoffes, Elisabeth, 191.
Hofoper (Dresden) 176.
Hofoperntheater, K. K. (Wien),
239.
Hoforchester(Manchen)253 318
380.
Hoforchester(St. Petersburg) 383.
Hoftheaterkonzerte (Dresden)
187. 250. 377.
Hoftheaterkonzerte (Wiesbaden)
256.
Hohenemser, Richard, 131.
v. Hohenlohe-SchillingsfQrst,
Chlodwig FOrst, 357.
Holland, Ruby, 310.
Holz, Arno, 364.
Homer 116.
Hopf, Fritz, 315.
Hopf, Hermann, 253.
Hopffer, Bernhard, 229.
Hopkins, Blowden, 314.
Hoppen, Rudolf, 315.
Horaz 116.
Horder, Kite, 187.
Horn, Kamillo, 376.
v. Hornbostel, Erich, 230.
van Horst, Erik, 178.
Hoy, Emmy, 238.
v. d. Hoya, Amadeo, 298.
Hoyer, Karl, 296.
Huber, Hans, 187. 312. 313.
316. 380.
Huberman, Bronislaw, 251. 253.
256. 313. 316. 319.
Hucbald 329.
Huff, Elfriede Lotte, 182.
H Offer 170.
Hugo, Victor, 9. 10. 29. 50.
254. 318.
Hummel, Joh. Nep., 104. 107.
109.
Hummelsheim, Anton, 235.
Humperdinck, Engelbert, 179.
240. 253. 254. 360.
Hunold, Erich, 236.
Huth, CUre, 187.
Hutt, Robert, 176. 177.
Ibach 123.
Ibsen, Henrik, 199.
Iken, Karl Jacob Ludwig, 280.
283.
Imbert, Hughes, 171.
d'Indy, Vincent, 190. 301. 318.
Ingenhoven, Jan, 256. 381. 382.
Ipolyi, Laszlo, 309.
Ippolitow-lwanow, M., 307.
Iracema-Brdgelmann, Hedy, 304.
Irrgang, Bernhard, 110. 240.
370. 371.
Isaak, Heinrich, 218.
Isler, Ernst, 306.
Issatschenko (Sftnger) 181.
Ivogfln, Marie, 304.
Jadlowker, Hermann, 63. 234.
236. 243. 247. 302. 306.
Jaeger, Walt, 123.
Jaehn, Else, 377.
Jaenicke, Kite, 236.
Jahn, Otto, 150.
Janin, Jules, 215. 216.
Janscn (Sangerin) 178.
Janssen, Max, 250.
Jansson, Greta, 236.
Jaques-Dalcroze, fimile, 248.
Jflrnefelt, Armas, 206.
Jftrnefelt, Arvid, 201.
Jftrnefelt, Eero, 196.
v. Jauner, Franz, 356. 357.
Jeannequin, Clement, 331.
Jelinek, Franz, 242.
Jelmoli, Hans, 191.
Jeritza, Mizzi, 239.
Joachim, Joseph, 229. 230. 247.
253. 262. 298.
Jocosi 192.
Johann Albrecht, Herzog zu
Mecklenburg, 369.
John, Theodor H., 247.
Jonas-Stockhausen, Ella, 124.
245. 316.
Jongen, Joseph, 249.
Josephson, Walter, 110.
Josephson 206.
Journal des D6bats 215. 216.
Jowanowitsch, M., 376.
Juel, Fredy, 373.
Juon, Paul, 318. 364. 381.
Kaehler, Willibald, 249. 319.
Kaempfert, Anna, 241. 251. 370.
382.
Kaempfert, Max, 187. 313.
Kaesser, Lulu, 123.
Kahn, Robert, 182. 183. 184.
186. 242. 308. 311. 381.
Kaiser, Alfred, 235. 236. 368.
Ka)anus, Robert, 195. 196.
Kalbeck, Max, 85. 86. 87. 91.
92. 93. 96. 240.
Kalinnikow, Wassili, 305. 307.
Kalischer, Alfred Christlieb, 148.
149. 150. 152. 279. 280.
Kallenberg, Siegfried Garibaldi,
318.
Kalt, Pius, 313.
Kamienska, Linda, 253.
Kammermusikvereinigung der
KGniglichen Kapelle (Berlin)
242.
Kammermusikvereinigung, Neue
(Mflnchen), 191.
Kflmpf, Karl, 249. 309.
Kander, Hugo, 124.
Kandl, Eduard, 365.
Kant, Imanuel, 323.
Kapelle, Kgl. (Berlin), 240. 306.
371.
Kapelle, Kgl. (Dresden), 312.
Kapelle, Kgl. (Hannover), 379.
Kapelle, Kgl. (Kassel), 314.
Kapelle, Stftdtische (Mainz), 190.
Kaphun-Aronson, Vera, 311.
Kapp, Julius, 256. 363.
Kappel, Gertrud, 368.
Karg - Elert, Sigfrid, 247. 254.
315. 316. 318.
Karl der GroDe 108.
Karlowicz, Mieczyslaw, 309.
Kartasz, Wilhelm, 191.
Kaschowska, Felicia, 245.
Kase, Alfred, 315. 377.
Kaselitz, E., 377.
Kassowitz, Lilly, 304.
Kastalsky, Alexander, 307.
Kastner, Emerich, 170.
Kauffmann, Fritz, 188. 244. 374.
Kaufmann, Hans, 123.
Kaulich, Elsa, 376.
Kaun, Hugo, 125. 183. 185.248.
249. 251. 307. 377.
Kayser, Ph. Chr., 227.
Keiper, Hermann, 378.
Keiper, Ludwig, 378.
Keller, Hans, 180.
Keller, Otto, 147.
Keller (Kammermusiker) 315.
Kellert, BrQder, 191.
Kerekjarto, Duci, 306.
Kelly, F. S., 317.
Kertesz (Sftnger) 366.
Kerntler, Jeno, 124.
Kessissoglu, Angelo, 319.
Kewitsch, Willi, 308.
Kiefer, Heinrich, 318.
Kiel, Friedrich, 309.
Kienlechncr, Karl, 245.
Kienzl, Wilhelm, 239. 360.
365.
KieO, August, 235.
KieDlich, Alexander, 309.
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! :v, C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
VIII
NAMENREGISTER
KieOling, M., 111.
Kjerulf, Halfdan, 191. 195. 338.
KirchenchOre, katholische (StraB-
burg), 255.
Kirchheff, Walther, 235. 240.
253. 314.
Kirchner, Alexander, 123. 235.
365.
Kistler, Cyrill, 286.
Kistner, Fr., 218.
KiO, Johanna, 256.
Kivi 205.
Klein, Johanna, 256.
Klein, Max, 240.
Kleinholz, Hans, 245.
v. Kleist, Heinrich, 249.
v. Klenau, Paul, 369 („Sulamith. u
UrauffQhrung in MQnchen).
Klengel, Julius, 381.
Klengel, Paul, 187. 254.
Klengel, Geschwister, 318.
Klimt, Gustav, 192.
Klindworth, Karl, 263. 268.
Klingler, Karl, 110. 111. 247.
376. 378.
Klingler-Quartett 188. 248. 376.
378. 379.
Klose, Amelie, 316. 380.
Klose, Friedrich, 182. 315. 316.
318.
Kloss, Erich, 295.
Kluge, Margarete, 377.
Knappertsbusch, Hans, 236.
Knoch, Ernst, 235. 236.
Knoche, Emmi, 377.
Knote, Heinrich, 382.
Knflmann, Josef, 126.
Knupfer, Paul, 63. 234. 306.
Kobelatzky-Illyna, Lydia, 313.
315.
Koch, Friedrich E., 244.
Koch, Johann, 120.
Kochanski, Waclaw, 373.
v. Kochel, Ludwig Ritter, 191.
314. 381.
Kochen, Pancho, 183. 372.
Kocholl, Olga, 188.
v. Koczalski, Raoul, 183. 187.
188. 377.
Koczirz, A., 169.
KOhler, Johannes, 381.
Kohler, W., 121.
Koenen, Tilly, 125. 241. 246.
319. 381.
Koenenkamp, Reinhold, 246.
Koenig, Hermann, 190.
Koerner, Julie, 304.
KoeDler, Hans, 240. 249.
Kohmann, Anton, 313. 377. 381.
Konta, Robert, 359.
Konzerte, Philharmonische (Ber-
lin), 181. 241. 306. 371.
Konzerte, Philharmonische (Bre-
men), 312.
Konzerte, Philharmonische (Dres-
den), 251. 378.
Konzerte, Philharmonische
(Hamburg), 252.
Konzerte, Philharmonische (Leip-
zig), 380.
Konzertgesellschaft (Elberfeld)
251.
Konzertgesellschaft fGr Chor-
gesang (MOnchen) 127. 381.
Konzerthaus, Wiener, 255.
Konzerthaus-Orchester, Berlin,
372.
Konzertverein, MQnchner, 127.
191. 253. 318.
Konzertverein, Stfldtischer (Lu-
zern), 190.
Konzertvereinigung des Kaiser-
Wilhelm- Gedftchtniskirchen-
chors 309.
Koptiaew, A., 383.
Kopylow, A., 298.
Korner, Theodor, 175.
Korngold, Erich Wolfgang, 190.
242. 318. 383.
KOrnyei, B., 366.
Koschat, Thomas 363.
Koschitz, Nina, 180.
KoD, Karl, 367.
Kothe, Robert, 254. 255. 319.
372. 379.
Kottmayr, Gabriele, 254.
KOtschke, Hans, 318.
Kotzeluch, Leopold Anton, 335.
Krlhmer, Christian, 176. 236.
Kramm, Hugo, 186.
Kranz, Naum, 242.
Krasselt, Rudolf, 123.
Kraus, Ernst, 183. 234.
v. Kraus, Felix, 253. 381.
v. Kraus - Osborne, Adrienne,
381.
Kraus-Sonderhoff, Irmgard, 309.
Krause, Clara, 308.
Krausescher Frauenchor, Clara,
308.
Krause, Max, 176.
KrauO, Margarete, 126.
KrauO, Max, 191. 245.
Krebs, Joh. Ludwig, 313.
Krebs, Maria, 183.
Kreisler, Fritz, 186. 190. 247.
312. 315. 317.
Kremser, Eduard, 307.
Kretzschmar, Hermann, 1 12. 170.
231.
Kreutzburg, H., 383.
Kreutzer, Conradin, 127. 305.
Kreutzer, Leonid, 186. 254. 308.
316. 375. 382.
Kriehuber, Josef, 256. 320.
Kris, Emeric, 309.
Kroeber-Asche, Lili, 316.
Krocmer, Richard, 307. 372.
Kroll, Franz, 260.
Kronacher, Else, 314.
Krug-Waldsee, Josef, 253.
Krflger, Emmy, 370.
Kruis, Josefa, 185.
Kruse, Georg Richard, 98. 235.
Kru9e, Johann, 229.
Kryzanovsky, J., 182.
KQchler-Weilibrod, Emmy, 320.
KQhling (Karamermusiker) 315.
Kuhn, Josua, 338.
Kuhnau, Johann, 112. 259.
KQhner, Konrad, 263. 264.
Kullak, Theodor, 229.
Kun, Cornelius 176.
Kunkel, Walrer, 378.
Ktlnneke, Eduard, 301 (.Coeur
AQ a . UrauffOhrung in Dres-
den).
Kupfer (Sflngerin) 358.
Kurhauskonzerte (Wiesbaden)
256.
Kurkapelle (Wiesbaden) 12S.
Kursaal Orchesier (Luzern) 190.
Kursch, Richard, 308.
Kurt, Mclanie, 63. 64. 315. 371.
Kurth, E., 169.
Kussewitzki, Sergei, 190. 383.
Kutzschbach, Hermann, 302.
312. 377.
Kuula, Toivo, 382.
Kwast-Hodapp, Frida, 183.
van Laar, Louis, 308. 316.
Laber, Heinrich, 316. 380. 382
Lachmannski-Schaul, Helene,
126.
Lachner, Franz, 294.
Lagenpusch, Felix, 64. 235.
v. Lalewicz, Georg, 310. 381.
Lalo, Edouard, 242. 370.
Lamartine 68.
Lambertz, Peter, 126. 191.
Lambrino, T£16maque, 320. 377.
379.
Lamond, Frederic, 186. 248. 306.
316. 318. 377.
Lamoureux- Konzerte 254. 382.
Landauer, Gustav, 181.
Landeck, Max, 236.
Landeg, Paul, 319.
Landmann, Arno, 253.
Landowska, Wanda, 104. 107.
111. 112. 186. 381.
Lange, Elisabeth, 124.
Lange, Hans, 251. 313.
LangendorfT, Frida, 63. 249. 378
Langheinrich, Franz, 122.
Lapelletrie (Sanger) 238.
Laporte (Impresario) 211.
de Lara, Isidore, 238. 369.
Lassen, Christian, 356.
Lasso, Orlando, 174. 309.
Lattermann, Theodor, 63. 127.
Latzko, Ernst, 304.
D 'iijli
i :v, C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
N AMEN REGISTER
IX
Laube, Elsa, 372.
Laubenthal, Rudolf, 111. 112.
Laudien, Max, 300.
Lauenstcin, Carl Ludwig, 309.
379.
Lauer-Kottlar, Beatrice, 179.
368.
v. Lauff, Joseph, 243.
Laugs, Robert, 63.
Lauprecht-van Lammen, Mientje,
251. 313.
Laurischkus, Max, 250. 307.
312.
Lauweryns (Kapellmeister) 301.
312.
Lavigna (Kapellmeister) 6.
Le bedew, Konstantin, 180.
Leclair, Jean Marie, 253.
v. Ledebur, Karl Frhr., 304.
s. Totenschau XIII, 5.
Lederer-Prina, Felix, 18.*.
Leech- Carreras (Geigerin) 313.
van Leeuwen, Ary, 247.
Lefevre, Robert, 320.
Leffler-Burckard, Martha, 234.
Lehar, Franz, 360.
Lehmann, Lilli, 171.
Lehrergesangverein, Apoldaer,
319.
Lehrergesangverein, Berliner,
241. 306.
Lehrergesangverein, Bremer, 1 87.
255.
Lehrergesangverein, Charlotten-
burger, 376.
Lehrergesangverein, Eisenacher,
319.
Lehrergesangverein, Jenaer, 319.
Lehrergesangverein , Kasseler ,
314.
Lehrergesangverein, MOnchner,
318.
Lehrergesangverein, Weimarer,
319.
Leimer, K., 379.
Leisinger, Berta, s. Totenschau
XIII, 3.
Leisner, Emmi, 316. 370. 371.
Leitzmann, Albert, 147.
Lekeu, Guillaume, 189.
Lemba, Artur, 383.
Lendrop, M , 380.
Lendvai, Erwin, 312.
v. Lengyel, Ernst, 248.
Lenn6, Alice, 313.
Lenska, Auguste, 177.
Lenzewski, Gustav, 124.
Leonard, Gustav, 308.
Leoncavallo, Ruggiero, 238.
Lerner, Tina, 379.
Leroy, Marie, 305. 318.
Leschetitzky, Marie Gabriele,
381.
Leschetizky, Theodor, 255.
Leschke, Hans, 235.
Lessing, G. E., 27. 248.
LeQmann, Eva, 110. 111. 240.
Lesueur, J. F., 131.
Leuer, Hubert, 190. 240.
Leupold, A. W., 172.
Levertin 205.
Levi, Hermann, 164. 179. 230.
Levin, Gustav, 191.
Levis 49.
Leydhecker, Agnes, 377.
Lhevinne, Joseph, 249. 375. 380.
Lh6vinne, Rosina, 249.
Lhdtsky, B., 316.
Lichtenberg, E., 366.
Lie, Jonas, 199.
v. Liechtenstein, Fflrst, 358.
Lieban, Julius, 235.
Lieberson, S., 308.
Liebert, Else, 176.
Liebeskind, Josef, 289.
LiebstSckl, Hans, 237.
Liederkranz, Berliner, 249.
Liedertafel (Luzern) 190.
Lietzmann, Kurt, 372.
Liljequist (Sfingerin) 380.
Lincke, Paul, 301.
Lindberg, Helge, 319.
Lindberg, Oskar, 128.
Lindemann, Fritz, 182.310.377.
Linden, Arlette, 243.
Linden, Suzanne, 243.
Lindner, Edwin, 256. 378.
Lindsay, V., 315.
Ling, Elsa Meta, 182.
Lipmann, Max, 237.
Lipowskaja, Lydia, 181.
Lissauer, Fiitz, 308.
LiOmann, Hans, 303. 369.
Liszt, Franz, 109. 113. 124.
127. 163. 165. 166. 168. 185.
186. 188. 195. 208. 213. 225.
226. 231. 241. 248. 252. 287.
292. 295. 303. 311. 313. 314.
315. 320. 337.338. 363. 371.
373. 375. 381. 382. 384.
Litolff, Edition, 263.
Litvinne, Felia, 181. 382. 383.
Llobet, Miguel, 319.
Lloyd (Pianist) 314.
Loeffler, Charles M., 312.
Loeltgen, Adolf, 369.
Loevensohn, Marix, 243. 245.
308. 316. 376.
Loevensohn- Konzerte 249.
Loevensohn-Quartett 249.
Loewe,Carl, 171. 250. 305. 311.
Loewe, Margarete, 183.
Loewenfeld, Hans, 178. 236. 302.
368.
Loh-Konzerte (Sondershausen)
128.
Lohmann, August, 315.
LOhr, Johanna, 378.
LGhr-J§ger, Charlotte, 380.
Lohse, Otto, 181. 304. 380.
London Symphony Orchestra
317.
Lflnnrot, Elias, 196.
Lordmann, Peter, 235.
Lorentz-HOllischer, Marie, 379.
Lorey-Mikorey, Carola, 254.
Lortzing, Albert, 63. 180. 235.
360.
Lotze-Holz, Marie, 255.
Louis Ferdinand von PreuDen,
Prinz, 124. 381.
Louys, Pierre, 237.
LOwe, Ferdinand, 127. 255. 318.
L6we, Johann Heinrich, 279.
285.
Luboschutz, Lea, 190.
LdboschQtz, Geschwister, 190.
Ludwig, August, 311.
Ludwig, Otto, 79. 88.
Ludwig, Valentin, 183.
Lully, Jean Baptistc, 333.
LuOmann, Adolf, 240.
LOtschg, Waldemar, 307.
Lutter, Heinrich, 379.
v. LOttichau 291.
Luzio, Alessandro, 103.
Lwowsky 307.
Lyell-Tayler (Dirigent) 373.
Lyne, Felicie, 303.
Maas, Gerald, 378.
Mac Dowell, Edward, 317.
Maclennan, Francis, 178.
Madin, Viktor, 240.
Madrigalchor des Berliner Kgl.
Akademischen Instituts fflr
Kirchenmusik 111.
Maeterlinck, Maurice, 197. 201.
Maffei 15. 28. 32.
Mahlendorff, Dina, 239.
Mahler, Gustav, 127. 128. 183.
189. 243. 255. 256. 305. 306.
318. 340ff (G. M. als Opern-
direktor). 368. 370. 380. 381.
384 (Bilder).
Mahler, Max, 319. 381.
Mahn, Stephan, 174.
Maikl, Georg, 127. 367.
Le Maistre, Mattheus, 331.
Malatesta, Anna, 318.
v. Malfatti, Therese, 147.
Malherbe, Charles, 230.
Malibran, Maria, 68.
Malkin, Joseph, 383.
v. Maltzew, Katharina, 230.
Manasse, Otto, 363.
Mane", Annie, 123.
Man6n, Joan, 125. 252. 254.
319. 369. 370. 383.
Mang, Karl, 237.
Mfinnerchor, Neeb'scher, 378.
Mfinnergesangverein (Grazer)
188.
D 'iijli
i :v, C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
NAMENREGISTER
Mlnnergesangvcreln (StraBburg)
255.
Mannst&dt, Franz, 256.
v. Manoff, August, 179.
v. Manovarda, Josef, 177. 367.
Manz, Berta, 255. 308. 381.
Manzoni, Alessandro, 15. 22.
128.
Marcel- Weingartner, Lucille, 179.
241.
Marcello, Benedetto, 3.
Marchesi, Mathilde, s. Toten-
schau XIII, 6.
Marck, Luise, 235.
Marcoux (Sanger) 238.
Mares, J. Pedro, 372. 373.
Marte de Lisle (Sftngerin) 238.
Marienhagen, Otto, 123.
Marientheater (St. Petersburg)
181.
Mario (Sanger) 300.
Markowitz, Georg, 177.
Markowsky, August, 240.
v. Mdrkus, Lily, 375.
Marpurg, F. W., 106.
v. Marmont, Thea, 187.
Marmontel, J. F., 273.
Marschner, Heinrich, 31. 179.
Martel, Betty, 180. 369.
Marteau, Henri, 123. 182. 186.
249. 252. 364. 372. 381.
Marteau-Quartett 186. 248. 307.
319.
MartienQen, C. A., 112.
Martin, Julius, 367.
Martin, Karlheinz, 177.
Martinelli (Sftnger) 301.
Martini, J. P. E., 131.
Martini, Padre, 172. 272.
Martucci, Giuseppe, 316.
Marx, Joseph, 187. 188. 249.
250. 381.
Marx, Mizi, 369.
Marx, Paul, 127.
Mascagni, Pietro, 382.
Massenet, Jules, 300. 365.
Mathieu, Theodor, 238.
Mathis-Flocco, Giulio, 382.
Mattheson, Johann, 106.
Mauke, Wilhelm, 309.
Maurice, Pierre, 248.
Mayer-Mahr, Moritz, 244.
Mayr, Richard, 353.
Mayrhofer, Robert, 160.
Meader, George, 370.
zu Mecklenburg-Strelitz, Herzog
Georg Alexander, 315.
Medek, A., 366.
ter Meer, Max, 368.
Me-hul, E. N., 131.
Meier, Hans,*,253.
MeiOner, Lorle, 373.
Melanin, Erkki, 206.
Melcer, Henryk, 187.
Melms, Hans, 239.
Melzer, Josef, 250.
Mendel, Else, 123.
Mendelssohn, Arnold, 187. 254.
Mendelssohn, Felix Robert, 310.
373.
Mendelssohn Bartholdy, Felix,
27. 226. 229. 241. 253. 294.
312. 318. 319. 379.
Menges, Isolde, 247. 373.
Mengelberg, Willem, 317. 370.
Menou (General) 210.
Menzinsky, Modest, 179. 303.
369.
M6r£, Charles, 238.
Merelli (Impresario) 7.
Merikanto, Oskar, 206.
Merrem, Crete, 302.
Mersenne, Marin, 109.
Mery 16.
Meser (Verleger) 357.
Messager, Andr6, 238.
Messchaert, Johannes, 250. 255.
370. 372. 384.
AlcDner, Georg, 254.
Meszaros, Emerich, 366.
Metastasio, Pietro, 288. 289.
Metcalfe, Susan, 380.
Methfessel, Albert Gottlieb, 285.
Metz, Adolf, 187. 255.
MetzdorfT, Richard, 182.
Metzen, Sophie, 313.
Metzgcr-Latterraann,Ottilie, 127.
382.
Meyer, Eduard, 319.
Meyer-Radon, Walter, 125. 372.
Meyerbeer, Giacomo, 12. 16.31.
49. 51.89. 177. 220. 242.243.
Meyerowitz, Felix, 183.
Meyrowitz, Selmar, 178. 302.
368.
Michaelis, Hans, 182. 245. 319.
Michaelis, Mclanie, 245. 319.
Michailowa, Helene, 180.
Micheli, GebrQder, 320.
Mikorey, Franz, 182. 301. 309.
378.
Mittasch, Susanne, 187.
Mlynarski, Emil, 317.
Mockridge, Louise, 184.
Mockridge, Whitney, 184.
Moest, Rudolf, 251.
v. Mojsisovics, Roderich, 311.
MOckel, P. O., 187. 384.
Monaldi, Gino, 27. 28. 30. 50.
52. 97.
Monatshcfte fQr Musikgeschichte
332.
Moniuszko, Stanislaus, 124.
Monnaie-Oper 301.
Monsigny, Pierre Alexandre, 273.
Monteverde, Giulio, 64.
Monteverdi, Claudio, 253.
Monti, Annemarie, 373.
Montua, Otto, 311.
Moodie, Alma, 182.
Moog, Willi, 303.
Moor, Charles, 237.
Moor, Emanuel, 305. 318.
Moos, Paul, 159.
Morena, Berta, 253. 319. 382.
Moret 319.
Morike, Eduard (Kapellmeister),
63. 64. 235. 301.
Moris, Maximilian, 178. 236.
Morse, Earl William Frederick,
310.
Mosebach, Hilde, 123. 124.
Mosenthal, S., 28.
Moser, Andreas, 229. 298.
Mosschuchin (Sftnger) 181.
da Motta, Jos6 Vianna, 371.
Mottl, Felix, 182. 314.
Mottl-FaDbender, Zdenka, 181.
368.
Mouquet, J., 185.
Mozart, Leopold, 104. 107. 109.
Mozart, W. A., 6. 22. 68. 104.
107. 116. 118. 123. 124. 125.
127. 144. 167. 168. 172. 177.
179. 180. 183. 186. 187. 188.
191. 218. 227. 235. 237. 238.
240. 242. 246. 248. 249. 250.
251. 252. 253. 254. 255.265.
272. 277. 285. 291.302 304.
305. 307. 310. 313. 314. 315.
316. 317. 318. 319. 323.334.
335. 345. 360.363.371.374.
379. 380. 381. 382. 383.
Mozart, W. A. (Sohn), 109.
Mozartgemeinde, Berliner, 307.
Mozartgemeinde, MQnchen, 318.
Mozartverein, Dresdner, 312.
Muck, Karl, 234.
MOhlbauer, Franz Xaver, 306.
MQhlfeld, Hans, 377.
MOller, Adolf, 374.
MQller, Auguste, 235.
Mailer, Elise, 280. 284.
Mailer, Jean, 303. 369.
MOller, Josef, 380.
MOller, Otto, 371.
MOller, Wilhelm, 248. 254.
MOller, Wilhelm Christian, 279.
280. 284. 285.
MOller (Sftnger) 358.
MOller-Barneck, Friedrich, 308.
Mailer-Raven, Fritz, 239.
MOHer-Reichel, Therese, 179.
MOller-Sollner 296.
MQnnich-ProDl, Frida, 319.
Munsterhjelm, Erik, 197.
MOnzer, Georg, 231.
MOnzersdorf, Theodor, 311.
Musica sacra 286. 287.
Musikakademie (Hannover) 379.
Musikfest (Leeds) 189.
Musikverein (Kopenhagen) 380.
D 'iijli
C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
NAMENREGISTER
XI
Musikvercln, Sta"dtlscher(DQssel-
dorf), 251.
de Musset, Alfred, 68.
Mussorgsky, Modest, 180. 181.
220 f („Boris Godunow".
Deutsche UrauffQhrung in
Breslau). 311. 319. 365. 369.
Myers, Charles S., 159.
Mysz-Gmeiner, Lula, 244. 254.
305. 308. 313. 319. 320. 370.
373.
Nagel, Albine, 176. 365.
Nagel, Wilibald, 168. 170.
Nast, Minnie, 302. 377.
Natterer, Ludwig, 378.
Naumann, Ernst, 168.
Naumow, N., 313.
Nawrath, Emmy, 374.
Neberich (Weinhindler) 149.
Necbansky-Topfer, Mena, 375.
380.
Nedbal, Oscar, 124. 383.
Neeter, Philipp, 182.
Neglia, Fr. Paolo, 178.
NeitzeJ, Otto, 249. 251. 301.
Nering, Agnes, 124.
Neruda, Franz, 380.
Neubner, Ottomar, s. Totenschau
XIII, 2.
Neudarffer-Opitz, Julius, 243.
319.
Neufeldt, K., 188.
Neugebaucr, Helmuth, 187.
Neugebauer-Ravoth, Kate, 244.
316. 378.
Neuhaus, M., 169.
Neumann, Alexander, 245. 311.
315. 376.
Neumann, Ellen, 244.
Neumann, Franz, 240.
Ney, Elly, 190. 256. 370.
Niccollni 241.
Nicode, Jean Louis, 229. 312.
Nicola i, Otto, 22. 28. 30. 98.
99. 100. 101. 102.
v. Niedeck, Margarete, 236.
Niedermayr, Otto, 241.
Nielsen, Carl, 380.
Niemann, Martha, 124.
Niemann, Walter, 172. 294. 295.
333.
Niering, Wilhelm, 177.
Nietzsche, Friedrich, 102.
Nikel, Otto, 125. 188.
Nikisch, Arthur, 181. 189. 241.
251. 252. 253. 306. 314. 315.
316. 317. 362. 371. 380. 383.
Nikitits, Lucy, 374.
Nikitits, Otto, 374.
Nin, Joaquin, 383.
Nivell, Paula, 308.
Noelte, A. Albert, 380.
Nohl, Ludwig, 152.
Nollet (Singer) 358.
Noordewier-Reddingius, Alida,
250. 306. 370.
Norden, Juanita, 124.
Noren, Heinrich G., 245. 312.
313. 316. 319. |
Noren-Gjertsen, Signe, 312. 316. ;
Norman, Ludwig, 195.
Nottara, Constantln, 374.
Nouveaux Concerts (Paris) 382.
Novaoek, Rudolf, 186.
Novak, J. V., 182.
Novak, Vitezlav, 182.
Nowowiejski, Felix, 372.
Nuitter (Librettist) 33.
NQQle, Wilhelmine, 126.
OberhofTer 287.
y. Oberleithner, Max, 237.
Obsner, G. E., 313.
Ochernal, Karl Friedrich, 285.
Ochs, Siegfried, 229. 240. 370.
Oderwald-Lander, Karen, 237.
Ohlhoff, Elisabeth, 184. 249.
Ohmann, Fritz, 160.
d'Oisley, Maurice, 303.
Oksanen 205.
Olenin, Peter, 180.
v. Oliva 149.
On6gin, Eugen, 315.
Onken (Kammermusiker) 315.
Oper, FranzOsische (Antwerpen),
300.
Oper, GroBe (Paris), 238.
Oper, Kgl. (Budapest), 366.
Oper, Kgl. (Hannover), 368.
Oper, Neue (Hamburg), 236.
302. 368.
Oper, Vlimische (Antwerpen),
300.
Opernhaus, Deutsches (Char-
lottenburg), 63. 123. 235. 300.
365. 373.
Opernhaus, Kgl. (Berlin), 235.
243. 300.
v. Opieiiski, Henryk, 244. 245.
Opplcr, Elsa, 374.
Oratorienverein (Neukolln) 182.
Orchester, Philharmonisches
(Berlin), 123. 124. 182. 183.
240. 242. 251. 307. 370.
371.
Orchester, Philharmonisches
(Leipzig), 315. 316.
Orchester, Stfldtisches (Baden-
Baden), 305.
Orchester, Stfldtisches (Magde-
burg), 253.
Orchestcrverein (Breslau) 250.
377.
Orchesterverein, Neuer (MOn-
chen), 381.
Ordenstein, Heinrich, 188.
Orlandi (Librettist) 232.
Ossian 199.
Ossipow, Wasslli, 180.
v. d. Osten-Sacken, Peter, 191.
376.
Osterrieth, Armin, 362.
Ostwald, Wilhelm, 153.
v. Othegraven, August, 188.
Otten, Else, 314.
Otto, Julius, 176.
de Pachmann, Wladimir, 317.
Pacius, Friedrich, 195.
Paganini, Nicolo, 207 ff (P. in
Paris und London). 252. 256
(Bilder). 315. 363. 377.
Palestrina, G. P., 3. 23. 174.
287. 309. 331.
Palmgren, Selim, 206.
Panis (Sangerin) 301.
Panzner, Karl, 251. 285.
Paque, D6sir*, 296. 363.
Parbs, Margarete, 246.
Pardy, Armand, 236.
Parker, Robert, 302.
Parnas, Dagmar, 383.
Parry, Hubert, 189.
Parvi (SAnger) 366.
Pascolato, Alessandro, 34. 35.
Pataky, Hubert, 184. 312.
Patorni, Regina, 241.
Pauer, Ernst, 172.
Pauer, Max, 251. 319.
Paul, Adolf, 201. 202. 205.
Paumgartner, Bernhard, 383.
Paur, Kurt, 375.
Pauthier 356.
Pecz, Kathinka, 301.
Pellegrini, Alfred, 319.
Pelz, Hans, 188.
Pembaur, Josef, 251. 254. 296.
308. 380.
Penkert, Max, 160.
Pennarini, Alois, 181.
Perard-Petzl, Louise, 237. 318.
369.
Peregrinus, Marie, 184. 381.
Perello, Marianne, 372.
Pergolese, G. B., 3. 272. 278.
Perinello, Carlo, 7. 52. 97.
Peroux- Williams, Alice, 244.
251.
Perron, Carl, 302. 303. 369.
Peter, W., 314.
Peters, C. F., 291.
Petersen, John, 372.
Petofi, Alexander, 173.
Petri, Egon, 186. 187. 255. 370.
380.
Petri, Helga, 183. 251.
Petri- Quartett 187. 312.
Petrowa-Swanzewa, Vera, 180.
PetschnikorT, Alexander, 191. 253.
Petschnikoff, Lili, 191.
Petzet, Walter, 186.
Pfannschmidt, Heinrich, 372.
Pfeilschneider, Hertha, 301.
Pfltzner, Hans, 179. 239. 254.
D 'iijli
C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XII
NAMENREGISTER
255. 295. 313. 314. 316. 318.
369. 381.
Philharmonic (Hamburg) 252.
Philharmonic (KOnigsberg i. Pr.)
253.
Philharmonic, Tschechischc
(Prig), 255.
Philharmoniker (Wien) 256. 383.
Philip, Achille, 254.
Philipp, Robert, 63.
Philippi, Maria, 246. 251. 254.
305. 306.
Piastro, M., 308.
Piavc 7. 13. 16. 28. 30. 31. 39.
Piccaver, Alfred, 239. 370.
Pierne, Gabriel, 254. 382.
Piltz, Erna, 124. 191.
Piotrowski, Waclaw, 244.
Pisendel, Georg, 186.
Pitoni, G. O., 250.
Piit, Percy, 317.
Piuk, F. X., 148. 149.
Pizzi, Italo, 29. 98. 99.
Plamondon, Charles, 255.
Plaschke, Friedrich, 63. 176.
Plaschke-v. d. Osten, Eva, 63,
176. 367.
Plaut, Joseph, 365.
PlcO, Hans, 374.
Pleyel, Ignaz, 335.
Plotnikow, Eugen, 180.
Poensgen, Mimi, 181.
Poerner, Josef, 239.
Poglietti, Alessandro, 333.
Pokorny, Hans, 238.
Pokrovsky, Anton, 308. 377.
381.
Polacco (Kapellmeister) 301.
Poley 356.
Pollak, Egon, 176. 177. 236.
Pollhcim, Mira, 248.
Popowa, Eugenie, 180.
Poppen, Hermann, 314.
Porges, Maurice, 125. 188.
Poschner, Agnes, 236.
Pott, Emil, 318.
Pott, Therese, 252.
PottgieOer, Karl, 381.
Pougin, Arthur, 52.
Powell, John, 244.
v. Pozniak, Bronislaw, 123.
Pracher, Fanny, 177. 367.
Practorius, Michael, 250.
Preite (Kapellmeister) 238.
Prelli, Giuseppina, 381.
PreD, Joseph, 182. 316.
PreO, Michael, 307.
Pretzsch, Karl, 251.
PreuD, Arthur, 240.
Prieger, Erich, s. Totenschau
XIII, 6.
Prill, Emil, 240. 242.
Prill, Karl, 383.
Prill, Paul, 191. 253. 318. 381.
Privatchor (NQrnberg) 382.
Privatmusikvercin (NQrnberg)
382.
Prochnewski-Petzhold, Marga-
rets, 245.
Procop6, Hjalmar, 201.
Prohaska, Carl, 384.
v. Proh*zka, Rudolf, 381.
Promenade Concerts (London)
189. 317.
Proske, Karl, 286.
Provesi 6.
PrQwer, Julius, 127. 221. 235.
Puccini, Giacomo, 26. 60. 119.
179. 180. 221. 236. 239. 240.
300. 302. 304. 365. 377.
Pugno, Raoul, 241. 244. 382.
Purcell, Henry, 186.
Quantz, J. J., 104. 105.
Queen's Hall Orchestra 316.
Quidde, Margarete, 318.
Quinlan, Thomas, 302. 303.
Quintan Opera Company 302.
314.
Raabe, Peter, 320.
v. Raatz-Brockmann, Julius, 24 1 .
244. 371.
Rachmaninoff, Sergei W., 307.
319. 375. 382.
Radnai, Nicolaus, 375.
Raffael 165. 248.
Rahlwes, Alfred, 378.
Rahm-Rennebaum, Julia, 312.
Rahner, Hugo, 188.
Rains, Leon, 303.
Ramann, Lina, 226.
Rameau,Jean Philippe, 123. 172.
318.
Ramrath, Conrad, 252.
Ranzenberg, Marie, 367.
Rappe, Signe, 380.
Rasch, Hugo, 254.
Rau, Elsa, 308.
Raucheisen, M., 309.
Ravel, Maurice, 190. 308. 383.
Rebner, Adolf, 378.
Rebner-Quartett 378.
Reclam jun., Philipp, 98.
Reemy, Maria, 312.
Reemy, Tula, 312.
Regcr, Max, 125. 127. 172. 174.
182. 185. 187. 189. 191. 219.
243. 247. 248. 252. 253. 295.
296. 306. 309. 311.312. 313.
314, 315. 320 (Bild). 372. 373.
379. 380. 382.
RehfuB, Karl, 254. 378.
Reichardt, Joh. Friedrich, 136.
227. 246.
Rcichenbach, Egon, 235.
Reichert, Johannes, 309.
Reichmann, Theodor, 348.
Reichner-Feiten, Anna, 311.
Rcichwein, Leopold, 239.
Reimann, Heinrich, 377.
Reimers, Paul, 183.
Reinecke, Carl, 374.
Reinhardt, Delia, 235.
Reinhardt, Max, 179.
ReiOiger, K. G., 291. 292.
Reitz, Robert, 111. 112. 186.
253. 316.
Rembt, Paul, 124.
R6mond, Fritz, 303. 369.
Renard, Marie, 348.
Renner, Karl, 303.
Renner, W.. 320.
Renz, Willy, 270.
Repelaer-van Driel, Jacoba,
370.
Rettich, Richard, 318.
Reubke, Julius, 185.
ReuO-Belce, Luise, 181.
Reutcr, Fritz, 304.
v. Reuter, Florizel, 317.
Revue Musicale 210.
v. Reznicek, E. N., 306.
Rheinberger, Joseph, 226.
Ricordi & Co., G., 34. 41. 42.
44. 97. 162.
Richards, Max, 177.
Richter, Eugen, 312.
Richter, Hans, 164. 189. 226.
317.
Richter, Kurt, 316.
Richter, Franz Xaver, 313.
Riedel, Hermann, s. Totenschau
XIII, 3. 377.
Riedel- Verein 316.
Riem, Friedrich, 285.
Riemann, Ernst, 253. 381.
Riemann, Hugo, 217. 218. 232.
233. 263. 264. 266. 267. 268.
289.
Riemann, Robert, 160.
Riemenschneider, Georg, s.Toten-
schau XIII, 2.
Ries, Hubert, 298.
Ries, Louis, 8. Totenschau
XIII, 3.
v, Riesemann, Oskar, 221.
Rigo, Lebret & Cie. 128.
Riller-Quartett 379.
Rimsky-Korssakow, Nikolai, 127.
180. 190. 220. 221. 311. 312.
317.
RingstrOm, Axel, 310.
del Rio, Giannatasio, 149.
Rio, Giuseppe, 235.
Risler, Edouard, 248. 310. 311.
313. 319. 373. 375. 381.
Ritter, Alexander, 381.
Ritter, Anni, 374.
Ritter, Rudolf, 304.
Rittmann, Karl, 239.
Roeder, Carlotta, 240.
Roemer, Matthfius, 127. 251.
370.
■■---■■ n
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
NAMENREG1STER
XIII
Roesgen, Marguerite, 313.
v. Roessel, Anatol, 185. 191. 316.
Roha, Franz, 179. 368.
R6hr, Hugo, 237.
Rohr, Katharina, 303.
Romagnoli, Ettore, 165.
Romani 40. 49.
Romanoff, T, 381.
Romberg, Andreas, 285.
Rontgen, Julius, 229.
van Rooy, Anton, 244. 253. 381.
Ropartz, Guy, 254. 318.
Rosa, Salvator, 382.
Rose, Arnold, 384 (Bild).
Rose\ Eduard, 242.
Ro?£-Quartett 242. 255. 314.
317.
ROseler, Marcella, 301.
Rosenthal, Archy, 317.
Rosenthal, Moriz, 190. 253. 315.
378.
Rosenthal, Wolfgang, 378.
Rossi, Ernesto, 19.
Rossi, Nino, 373.
Rossini, Gioacchino, 3. 4. 8. 27.
49. 67. 68. 179. 302. 370.
R6Dle, Gabriele, 319.
Roth, Bertrand, 313. 378.
Roth, Rudolf, 356.
Rothschild, Fritz, 187.
Rottenberg, Ludwig, 177. 251.
378.
Rottscher, Eva, 245
Rouard (Sflnger) 301.
Rousseau, Jean-Jacques, 114. 275.
334.
Rozsa, L., 366.
Rubinstein, Anton, 260. 375.
Rubinstein, Josef, 294.
RQckward, Fritz, 307.
RQdel, Hugo, 240. 243. 253.
307. 370. 371.
RQdiger, Hans, 302.
RQdinger, Gottfried, 171. 253.
364.
Rudolph, Arno, 379.
Rudolph, Otto, 178.
Rudorff, Ernst, 229. 230.
Rudow, Karl, 365.
Rudy, Mary, 236. 398.
Rueff, Rolf, 191.
Rummel, Angelika, 311. 374.
Runeberg 195. 205. 206.
Runge, Gertrud, 237.
Runge, Woldemar, 221. 235.
RQnger, Julius, 318. 381.
Russitano, Giuseppe, 370.
Rust, Wilhelm, 377.
Rutz, Clara, 161.
Rutz, Josef, 161.
Rutz, Ottmar, 161. 230.
Rydberg, Victor, 205. 206.
Ryken (Komponist) 300.
Rywkind, Josef, 111. 112. 308.
Saal, Alfred, 182. 319.
Saatz, Elisabeth, 377.
Sachs, Curt, 104. 105.
Sachse, Leopold, 63.
Sachse-Oper 63.
Sack, Sophie, 310. 314.
Sacke, Selma, 314.
Safonoff, Wassili, 247. 249. 317.
380.
Saint-Hilaire 356.
Saint-Safins, Camille, 123. 172.
177. 182. 186. 191. 202. 234.
245. 253. 254. 305. 314. 371.
373. 375. 382.
Sakrewskaja, Martha, 180.
Salenius, R., 178.
Saleski 316.
Salvatini, Mafalda, 176.
Salvi, Matteo, 355.
Salvini 19.
Sammartini, G., 252.
Samuel (Sanger) 302. 303.
Saridor, E., 366.
van de Sandt (Pianist) 305.
Sftngerbund, Schlesischer, 126.
Sangerbund, Steirischer, 188.
Sangerverein, Berliner, 307.
de Sarasate, Pablo, 314.
Sarsen, Ellen, 311.
Satz, Cacilie, 186. 319.
Satz, Else, 186. 319.
Sauer, Emil, 155. 247. 254. 310.
319. 380.
Scampini, Augustino, 238. 370.
Scarlatti, Domenico, 172. 218.
259. 318.
Schacht, Augusta, 377.
Schachtebeck, H., 316.
Schacko, Hedwig, 251.
Schaeffer, Carl, 375.
Schfifer, Dirk, 190.
Schaichet, Alexander, 252.
v. Schaik, Rudolf, 304.
Schaliapin, Fedor, 220. 369.
Schalit, Heinrich, 381.
Scharrer, August, 251.306. 380.
Scharwenka, Xaver, 124.
Schattmann, Alfred, 381.
Schauer-Bergmann, Martha, 127.
Schaum, Emmy, 126.
v. Scheele-MQller, Ida, 300.
ScheidI, Theodor, 304.
vom Scheidt, Julius, 179. 303.
vom Scheidt, Robert, 176. 236.
Scheidt, Samuel, 218.
vom Scheidt, Selma, 310. 320.
Schein, Joh. Hermann, 111. 218.
374.
Scheinpflug, Paul, 183. 249.
Schelling, F. W.J., 165.
Schelle, Seraphine, 316.
Schemelli, Georg Christian, 110.
Schenk, Peter, 181.
Schennig, Emil, 254.
Scheremetew, Graf, 383.
Schering, Arnold, 160.
Scherrer, Heinrich, 381.
Schick-Nauth, Paula, 313.
Schidenhelm (Pianist) 313.
Schiedmayer 185.
Schiffner, Johannes, 256.
Schiller, Friedrich, 7. 9. 12. 16.
28. 29. 47. 52. 81. 113. 114.
115. 290. 295.
Schillings, Max, 227. 239. 304.
316. 319.
Schindler, Anton, 151. 152. 170.
279. 283. 284.
Schink, Alfred, 237.
Schink, Josef, 192.
v. Schirach, Carl, 304.
Schitteler, Ludwig, 122.
Schkolnik, Ilja, 245. 316.
Schlemmer 152.
Schley, Martha, 376.
Schlotke, Julius, 187.
Schmalstich, Clemens, 246. 308.
Schmedes, Erik, 353. 370.
Schmedes, Paul, 251. 316. 378.
Schmid, Anton, 288.
Schmid, Edmund, 375.
Schmid, Heinrich Kaspar, 254.
381.
Schmid, Waldemar, 375.
Schmid -Lindner, August, 191.
318. 381.
Schmidt, Felix, 241. 306.
v. Schmidt, Hetta, 307.
Schmidt, Kate, 245.
Schmidt, Leopold, 68.
Schmidt, Paul, 185.
Schmidt (Sangerin) 378.
Schmidtborn, Lydia, 184. 191..
Schmidthauer, Ludwig, 374. 375.
Schmidt-Held, Else, 244.
Schmieter, Georg, 235.
Schmuller, Alexander, 182. 315.
Schnabel, Artur, 182. 187. 242.
253. 310. 372. 381. 383.
Schnabel-Behr, Therese, 253.
Schneevoigt, Georg, 191.
Schneider, Walter, 177.
Schnitzler, Artur, 240.
Schober, Hans, 381.
Scholander, Lisa, 314. 319.
Scholander, Sven, 314. 319.
Scholz, Wilhelm, 183. 185. 377.
SchOnaich, Gustav, 358.
Schonberg, Arnold, 163. 164.
189. 242. 315. 317. 364.
Schopenhauer, Arthur, 309.
Schorr, Fritz, 177. 367.
Schott, Ottilie, 304.
Schramm, Hermann, 177. 236.
Schramm, Paul, 124. 188. 247.
308. 311. 318. 319. 380.
Schreiber, Gottlieb, 308.
Schreker, Franz, 243.
D 'iijli
C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XIV
NAMENREG1STER
Schrems, Joseph, 286.
Schrey (Kapellmeister) 300.
Schroeder, Alfred, 183. 318.
Schroder, Carl, 179. 303.
Schroder, O., 187.
Schroth, Karl, 303.
Schrotb, Max, 246.
Schubart-Czermak, Sofie, 355.
Schubert, Franz, 51. 123. 124.
126. 127. 161. 168. 191. 240.
242. 243. 244. 246. 248. 250
251.254. 255. 291. 305. 306.
311. 312. 315. 317. 318. 319.
323.336. 371. 376. 377. 378.
380. 382. 384.
Schubert, Kurt, 126.
Schubert, Oskar, 241.
Schuch, Benno, 241.
v. Schuch, Ernst, 176. 251. 312.
367.
Schuh, Mathilde, 368.
SchOUer, Eduard, 301.
Schultz, Heinrich, 63.
Schultz, Johann, 120.
Schulz, J. P. A., 246.
Schulz - Dornburg, Richard, s.
Totenschau XIII, 4.
Schumacher, Hildegard, 315.
Schumann, Camillo, 112.
Schumann, Georg, 1 1 1. 1 12. 187.
241. 246. 309. 370. 371.
Schumann, Robert, 127. 144.
168. 175. 184. 187. 205.229.
240. 242. 246. 248. 261. 294.
306. 310. 311. 312. 315.317.
319. 371. 372.373.377.378.
380. 381. 383.
Robert Schumannsche Sing-
akademie 378.
Schumann-Trio 309.
Schunck, Elfriede, 318.
SchQnemann, Georg, 124.
Schuricht, Karl, 128. 251. 256.
SchQrmann, Harry, 177. 367.
Schuster, Alexander, 375.
Schuster, Stephanie, 183.
Schuster & Loeflfler 207. 256.
339. 384.
SchQtt, £douard, 175.
SchQtz, Heinrich, 110. 174.
SchQtz, Helene, 316
SchQtz, L., 376.
SchQtzendorf, Guido, 301.
SchOtzendorf, Gustav, 255.
Schuyer, Ary, 313.
Schwarz, Franz, 178.
Schwarz, Josef, 313. 375.
Schwarz (Pianist) 251.
Schwedler, Maximilian, 111.
Schwegler, Gustav, 234.
Schweitzer, J., 381.
Schwendy, Otto, 254.
Schwers, Paul, 104. 106. 107.
Schwickerath, Eberhard, 381.
Scott,Cyr», 187.1 90.254.255.384.
Scriabin, Alexander, 189. 316.
382.
Scribe, Eugene, 13. 44. 220. 301.
Seelig, Otto, 314.
Seemann, Lorenz, 318.
Seemann (Verleger) 218.
Seiffert, Max, 111. 124. 370.
Seifriz, Max, 298.
Seiliger, Alexander, 383.
Seitz, Friedrich, 319.
Seitz, Ludwig, 177. 188.
Sekles, Bernhard, 177. 251. 253.
Selnj, R., 381.
Sembach, Johannes, 241. 253.
| Semet, Th., 230.
Senaill6, Jean Baptiste, 125.
Senfl, Ludwig, 218.
Senftleben, Johannes, 307.
Sengstack, C., 176.
Senius, Felix, s. Totenschau
XIII, 3.
Seret-van Eyken, Maria, 372.
Servator, Edmond, 184.
Servieres, Georges, 230.
Sevoik, Otokar, 298. 363.
I Sevdik-Quartett 315. 316. 371.
379.
Seydel, Irma, 123.
Seyer, Friedrich W., 192.
Sgambati, Giovanni, 227. 318.
371. 380.
Shakespeare, William, 7. 9. 19.
27 ff (Verdi und Sh. I: .Mac-
beth* 4 ; II: Briefe Ober „Konig
Lear"). 67 fF (Verdi und Sh
SchluQ). 114. 189. 205. 206.
Sibelius, Jean, 195ff (J. S. und
die finnische Musik).
Siebeck, Robert, 119. 120.
Sieben, Wilhelm, 122. 191. 381.
Sieben-Quartett 191.
Siegel, Rudolf, 182. 246.
Siegert, A. Hanna, 301.
v. Siegstftdt, Frl., 356.
Siems, Margarete, 377. 383.
Sienkiewicz, Henryk, 372.
Sievers, Eduard, 161.
Sievert, Hans, 256.
Sigwart, Botho, 318. 380.
Silcher, Friedrich, 335.
Siloti, Alexander, 290. 382. 383.
Simon, James, 245. 374.
Sinding, Christian, 125. 191.204.
245.
Singakademie (Berlin) 241. 370.
Singakademie (Breslau) 377.
Singakademie (Koln) 380.
Singer, Edmund, 298.
Singer, Kurt, 373.
SinigagHa, Leone, 312.
Sinn, Ludwig, 381.
Sistermans, Anton, 308.
Sitt, Hans, 307.
Sittard, Alfred, 185.
Sizes (Sfinger) 238.
Skibicki 124.
v. Skopnik, Eva, 312.
Slezak, Leo, 177. 237. 240. 253.
306. 307. 314. 368. 381. 382.
Smetana, Friedrich, 315.
Smetana, Dr., 150.
Smithson, Harriet, 213. 215.
Smyth, Ethel, 190.
Sobolewski 253.
Soci6t6 de concerts d' instruments
anciens (Paris) 241. 383.
Society, Musical (Johannesburg),
314.
Soci6t6 Philharmonique (Paris)
382.
SOderman, August, 195.
Solera 7. 13. 37.
Soot, Fritz, 176.
Somma, Antonio, 13. 28. 29. 34.
35. 36. 37 ff. 53.
Sommer, Charles, 244.
Sommerstorff, Otto, 243.
Sonnenthal, Adolf, 84.
Sonntag, Marguerite, 311.
Soomer, Walter, 176. 303. 367.
Soot, Fritz, 302.
Sormann, Alfred, s. Totenschau
XIII, 2.
Spalding, Albert, 373. 380.
Specht, Richard, 339. 384.
Spencer, Eleanor, 190.
Speranski, Nicolai, 180.
Spezia (Sfingerin) 45.
Spiering, Theodore, 246. 306.
Spies, Hans, 303. 365.
Spitta, Philipp, 229. 230.
Spitzner 187.
Spiwak, Juan, 301.
Spiwakowski, Jascha, 379.
Spoel, Arnold, 171.
Spohr, Louis, 109. 123. 144. 314.
Spoliansky, Lisa, 186.
Spontini, Gasparo, 4.
Spoor, Ludwig W., 374.
Strltz, Carl, 181.
Straube, Karl, 127. 155. 156.
157. 255. 310. 380.
Strauch, Margarete, 373.
v. StrauB, Edmund, 234. 246.
255. 376.
StrauO, Franz, 232.
StrauO, Johann, 51. 323.
StrauO, Richard, 26. 98. 127.
167. 174. 181. 184. 188. 189.
190. 191. 232.234. 239. 24a
241. 243. 244. 252. 255. 256.
294. 300. 303. 305. 306. 307.
313. 314. 316.317. 318.319.
360. 362. 368.371. 378.379.
Strawinsky, Igor, 317.
Streicher, Nanette, 280.
Streichquartett, Berliner, 372.
D 'iijli
C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
NAMENREGISTER
XV
Strelchquartctt, Bohmisches, 305.
380. 381.
Streichquartett, BrQsseler, 242.
314. 318. 319.371. 378. 380.
382.
Streichquartett,DQsseldorfer,251.
Streichquartett, KOnigsbcrger,
253.
Streichquartett, MQnchner, 253.
318.
Streichquartett, St. Petersburger,
190. 242. 313. 315.
Streichquartett, Stuttgarter, 182.
Streichquartett, Ungarisches, 375.
Strepponi, Giuseppina, 128.
StiickroJt, Curt, 301.
Striegler, Kurt, 250.
Strindberg, August, 202.
Stronck-Kappel, Anna, 312. 316
Stadthalle-Orchester (KOnigs-
berg i. Pr.) 253.
Stadttheater (Hamburg) 236. 302.
368
Staegemann, Waldemar, 1 76. 302.
Stamitz, Johann, 285.
Stamitz, Karl, 122. 186.
Standhartner, Josef, 358.
Stange, M., 246.
Stapeifeldt, Martha, 240.
Starcke, Friedricb, 149. 150.
Starke, Ottomar, 176.
Starzer, Josef, 288.
Stavenhagen, Bernhard, 313.314.
Stebel, Paula, 187.
StefTani, Agostino, 232. 233.
Stehmann, Johannes, 182.
Stein, Paula, 177.
Steinbach, Fritz, 252. 253.315.
317. 379.
Steinbrflck, K., 316.
SteinbrQck, Meta, 316.
Steiner, Franz, 378. 380.
Steiner, Robert, 319.
Steiner & Co., S. A., 150.
Steinhausen, F. A., 231. 298.
Steiner-Rothstein, Gertrud, 372.
Stelnhage, E., 377.
Stengel 124.
Stendhal 68.
Stenz, Arthur, 251.
Stepan, V., 372.
Stephan, Rudi, 182.
Sternfeld, Richard, 170.
Stiles, Vernon, 179.
Stock, Herbert, 236.
Stock, Otto, 369.
Stockmarr, Johanne, 317.
Stoeber, Emmeran, 253.
Stoeber, Georg, 318.
Stoessel, Albert, 249. 325.
StofTregen, Alexander, 380.
St6hr, Richard, 245.
Stolz, Susanne, 178.
Stolzenberg, Hertha, 235. 365.
Storm, Theodor, 122.
Sudermann, Hermann, 360. 364.
Sulzer, Julius, 164.
v. Suppe, Franz, 363.
Suter, Hermann, 306.
Sutro, Emilie, 191. 380.
Sutro, Ottilie, 247. 313.
Sutro, Rosa, 191. 247. 313.
380.
Svardstrflm, Valborg, 253.
Svendsen, Johan, 195. 230.
338.
Swedenborg, Emanuel, 204.
Synodal -Chor, Moskauer, 307.
Symphoniekonzerte (Basel) 306.
Symphoniekonzerte (Dresden)
312.
Symphoniekonzerte (Halle) 188.
Symphoniekonzerte (K6nigsberg
i Pr.) 253.
Symphonieorchester (Madrid)
382.
Symphonieorchester, Rigaer, 191.
Szanto, Theodor, 317.
Szende (Singer) 366.
Szigeti, Joseph, 312. 384.
v. Szkilondz, Adelaide, 190.
Szymanowski, Karol, 187. 310.
Tadolini (Sflngerin) 103.
Takats, Michael, 366.
Tanejew, Sergei, 190. 242. 315.
Tango, Egisto, 366.
Tartini, Giuseppe, 125. 128. 186.
Tauber, Richard, 176. 302.
Taubert, E. E., 184. 318.
Taubmann, Otto, 306.
Tausig, Karl, 371.
Tavastjerna 205.
Taylor 296.
Telmanyi, Emil, 380.
Tenger 170.
Tennenbaum, Betty, 373.
Teonsa, Marie, 181.
Terpander 326.
Tetrazzini, Luisa, 366.
Tetzel-Highgate, Jane, 376.
Teyte, Maggie, 305.
Thaler, P., 381.
Thanner, Marta, 372.
Thayer, A. W., 132. 150.
Theatre de la Monnaie 214.
Theatre des Champs Elys6es
238. 369.
Theater fur Musikdramen (St.
Petersburg) 181.
Theile (Verleger) 356.
Thibaud, Jacques, 315. 317.
Thiel, Carl, 110. 111.
Thiele, Rudolf, 231.
Thiele, Walter, 182.
Thienhaus, Hugo, 244.
Thilo, Emil, 376
ThomAn, Stefan, 186.
Thomas, Ambroise, 27.
Thomas-San Galli, Wolfgang A.,
170.
Thom6, Francis, 190.
Thompson, John, 309.
Thomson, George, 335.
Thornberg, Julius, 371.
Thornton, Edna, 302. 303.
Thovenet (Sfingerin) 370.
Thuille, Ludwig, 123. 254. 311.
318.
Tiegermann, Ignaz, 245. 316.
375.
i Tiersot, Julien, 134.
Tinel, Ed*ar, 255. 372.
Tirmont (Sanger) 370.
Tittel, Bernhard, 240.
Tflmlich, Richard, 320.
Tonhalleorchester (ZQrich) 384.
Tonhalle-Pavillonkonzert (ZQ-
rich) 191.
Tonkflnstlerkonzerte (Frankfurt
a. M.) 187. 313.
TonkQnstlerorchester, Wiener,
383.
TonkQnstlerverein (MQnchen)
381.
TonkQnstlerverein (StraBburg)
255.
Topelius 195. 205.
Torchiana, Andr6, 185.
Torrefranca, Fausto, 118.
Tosta, Willy, 177. 367.
Tournemire, Charles, 370.
v. Toussaint, Clodia, 184.
Tovey, Francis, 229.
Trapp, Max, 244. 249. 308. 378.
Triesch, Irene, 306.
Trio, Dresdener, 251.
Trio aus Barcelona 372.
Trio, Osterreichisches, 318.
Trio, Russisches, 182.
Trio, Stuttgarter, 319.
Triovereinigung, Braun-
schweiger, 377.
Tromlitz 109.
Trostorff, Fritz, 235.
Tschaikowsky, Peter, 127. 185.
189. 198. 202. 204. 205. 241.
247. 250. 300.307. 312. 314.
315. 316. 318. 338. 371.372.
377. 382.
Tubb, Carrie, 317.
Turgenjew, Iwan, 244.
Turina, Joaquin, 382.
Uhland, Ludwig, 240.
Uhr, Charlotte, 236.
Ulrich, Bernhard, 311.
Unkenstein, B., 111. 187.
Urbanek, Mojmir, 254.
Urlus, J., 240. 369.
Van Neste, Alphons, 243.
VAradi, M., 366.
Vally, Andr6e, 238.
Valnor, C6cile, 315. 380.
D '!!;]'":!■
! :v, C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XVI
NAMENREGISTER
Valori, FOrst, 67.
Varcse (Singer) 32.
del Vecchio, Bianca, 372.
v. Vecsey, Franz, 307. 316. 319.
377. 378. 381.
Vcrband der konzcrtierenden
KOnstler Dcutschlands 123.
124. 126. 168. 184. 185. 188.
191. 244. 245.
Verband Deutscher Musikkritiker
228.
Verdi, Giuseppe, 3 ff (V. geb.
10. Oktober 1813). 27 ff (V.
und Shakespeare I: „ Macbeth 4 *;
II : „Briefe Qber K5nig Lear**).
50fT(V.sdramatischeTechnik).
64(Bilder). 67 ff (V. u. Shake-
speare, SchluB. Ill: Othello;
IV:FalstarT). 119. I28(Bilder).
162 (Taschenpartituren V.-
scher Werke). 163. 176. 177.
178. 179. 180. 190. 192(Bild).
234. 235. 236. 237. 238. 239.
240. 256 (Bild). 290. 291.
300. 301. 304. 312. 318. 319.
360. 367. 370. 383.
Verein der Musikfreunde (Ham-
burg) 188.
Verein fflr Kirchengesang (Frank-
furt a. M.) 313.
Verein fflr klassischen Chor-
gesang 382.
Verein fflr klassische Kirchen-
musik (Stuttgart) 319.
Verein, Kaufmftnnischer (Magde-
burg), 253.
Verein, Neuer (Mflnchen), 318.
Verein, Philharmonischer (Nflrn-
berg), 381.
Vereinigung fflr alte Musik,
Deutsche, 318.
Vereinigung fflr moderne Kam-
mermusik, Berliner, 243. 249.
308.
Vereinigung KOlner Kammer-
musikfreunde 252.
Verheyden (Komponist) 300.
Viardot, Pauline, 184.
Victori, Abb6, 255.
Vierne, Louis, 310.
Victor, Gertrud, 125.
Victor, Hilde, 125.
Vietor, Otto, 312.
Vieuxtemps, Henri, 123. 190.
246. 306.
Vigna, Cesare, 14. 15. 44. 45.
46. 48.
Vilmar, Emma, 63.
Vincent fSfinger) 305.
Vines, Ricardo, 372.
Violin, Mischa, 123.
Viotti, Giovanni Battista, 305.
Vitali, Giovanni Battista, 309.
Vittoria, Lodovico, 174.
Vivaldi, Antonio, 112. 172.
187.
Vogel, Niel, 112.
Vogeler, Heinrich, 237.
Vogelstrom, Fritz, 176. 367.
Voghera, Tulio, 303. 314.
Vogl, Josef, 369.
Vogrich, Max, 242.
v. Voigtlaender, Edith, 247. 249.
374.
Vokalquartett, Berliner, 240.
Vokalquartett, Breslauer, 250.
v. Volborth, Eugen, 305.
Volker, K., 173.
Volkmann, Robert, 254. 371.
Volkschor (Frankfurt a. M.) 313.
Volkschor „Union tt (Frankfurt
a. M.) 313.
Volksoper (Wien) 240.
Volks-Symphoniekonzerte (Mfln-
chen) 191.
Volkstheater Nikolaus II. (St.
Petersburg) 181.
Vollmoeller, Karl, 179.
Vollnhals, Ludwig, 381.
Voltaire 9. 45. 114. 273.
de Vries, H. W , 308.
Wachsmann, Max, 127. 374.
Wachsmuth, W., 377.
Waghalter, Ignatz, 365. 373.
Waghalter, Wladislaw, 123. 373.
Wagner, Arnold, 310.
Wagner, Emil, 318.
Wagner, Richard, 4. 14. 15. 16.
17. 21. 23. 24. 25. 26. 27.
28. 29. 31. 33. 36. 51. 52.
53. 62. 68. 96. 97. 102. Il3ff
(Zu R. W.'s 100. Geburtstag.
SchluO). 121. 123. 127. 143.
162. 163. 164. 166. 167. 170.
177. 180. 181. 188. 190. 195.
206. 220. 225. 226. 229. 230.
231. 232. 234. 240. 241. 253.
255. 271. 276. 277. 278. 287.
290. 291. 292. 293. 294. 295.
301. 302. 304. 305. 306. 309.
312. 313. 314. 315. 316. 320.
336. 341. 343. 345. 348. 355ff
(Eine Nachlese ungedruckter
W.-Briefe). 359. 360. 363.
366. 367. 368. 369. 374. 378.
382. 383.
Wagner, Siegfried, 239. 382.
Wagner-Verein (Graz) 188.
Wahrlich, Hugo, 383.
Walcker, Paul, 155. 157.
Waldmann, Elise, 374.
Walker, Edith, 180. 253. 256.
302. 314. 318. 373. 382.
WallnOfer, Adolf, 318.
Wallner, Leonore, 187. 254.
Walter, Bruno, 180. 237. 253.
304. 318. 369. 380. 381.
Walter, Elsa, 308.
Walter, George A., 185. 305.
307. 371.
Walter, Raoul, 254.
Waller, Rose, 308.
v. Waltershausen, Hermann W.,
304. 318.
Walther, J. G., 106.
Wambach, £mile, 300.
v. Wangenheim, Frhr., 176.
Wappenschmitt, Oskar, 311.
Warjagin, Sergei, 311.
Warwick-Evans, C, 317.
Waschow, Gustav, 235.
Wasailenko, Sergei, 317. 319.
Watson (Impresario) 214. 215.
Watson, MiQ, 215.
Waterman, Adolf, 310.
Weber, Albrecht, 356.
v. Weber, Carl Maiia, 109. 118.
127. 135. 138. 139. 179. 186.
187. 241. 250. 262. 270.272.
292. 293. 319. 360. 369.
v. Weber, Max Maria, 139.
Weber, Miroslav, 318.
Weckerlin, Jean Baptiste, 305.
Wecksell 205.
Wedekind-Klebe, Agnes, 235.
Wehanen, Kosti, 383.
Weidele, Minna, 184. 374.
Weidcmann, Friedrich, 353.
Weidt, Lucy, 190.
Weigl, Karl, 381.
Weil, Hermann, 304.
Weill, Rudolf, 235.
Weinbauin, Paula, 247.
Weindel, Otto, 236.
Weingarten, Paul, 316.
Weingartner, Felix, 178. 191.
236. 241. 253. 256. 301. 302.
308. 315. 316.362. 367. 368.
380. 383.
Wcinreich, E., 316.
Weisbach, Hans, 319.
Weismann, Julius, 244. 307.
318. 380.
v. Weis-Ostborn, Julius, 188.
WetB, Josef, 307. 316.
WeiDenborn, Hermann, 110.
111. 244.
Wellesz, Egon, 169. 243.
Wellmann, Friedrich, 284.
Wendel, Ernst, 187. 241. 255.
285. 312.
Wendling, Carl, 182. 319.
Wendling-Quartett 182. 319.
381.
Werner, Gustav, 247. 365.
Werner, Rudolf, 378.
Werner-Jensen, Paula, 110.245.
Wesel, Tinka, 365.
Wesendonk, Mathilde. 378.
WeDbecher 188.
Wessely-Quartett 317.
Wetz, Richard, 187. 254. 316.
D'::j"«i,-'L
C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
NAMENREGISTER
XVII
Weizel, Hermann, 160.
Wetzler, Hans Hermann, 177.
188. 367. 378.
Wever, Franzi, 185.
Wever, Max, 185.
Weyersberg, Bruno, 124.
While, Roderick, 373.
Whitman, Walt, 189.
Widmann, Josef Victor, 28.
Wieland, Chr. M., 166.
Wieniawski, Henri, 186. 374.
Wiesike, Lillian, 240.
Wietrowetz, Gabricle, 186.
Wikarski, Romuald, 245. 375.
Wildner, Milly, 314.
Wilhelmj, August, 229.
Wilhelmi, Julius, 221.
Wilhelmi, Maximilian, s. Toten-
schau XIII, 1.
Wilks, Nonnan, 312.
Wille-Quartett 379.
Wilier, Luise, 304. 380.
Williams, Artur, 247. 308.
Williams, Gwendolyn, 247.
Williere, Bertha, 381.
Wilson, Horace Hayman, 356.
Winderstein, Hans, 315. 316.
378. 380.
Winkelmann, Hermann, 347.
Winsel, Louis, 191.
Winter, Hans, 124.
Winterberg, Robert, 236.
Witt, Franz, 286 f (F. W.). 320
(Bild).
Wittekindt, Dora, 246.
Wittenberg, Alfred, 250. 371.
v. Woikowsky - Biedau, Viktor,
244. 245. 300. 301.
Woiku, Petrescu, 310.
Wolf, Hugo, 122. 184. 185. 188.
244. 246. 248. 249. 250. 252.
311. 312. 356. 382.
Wolf, Otto, 370.
Wolf, Sophie, 369.
Wolf, Wilhelm, 318.
Wolf, William, 168.
Wolff, Erich J., 173. 183. 230.
244. 315. 318. 372.
Wolff, Hildegard, 319.
Wolff, Werner, 235.
Wolf- Ferrari, Ermanno, 176.
237. 254. 301. 360.
Woiffheim, Werner, 161.
Wolfram v. Eschenbach 163.
Wolfrum, Philipp, 314. 377.
Wolschke, A., 111.
v. Wolzogen, Elsa Laura, 250.
254.
Wood, Henry, 189. 190. 316.
317.
WOrl, Georg, 128.
Worska (Sflngerin) 254.
Woskow, Erika, 248.
Wotquenne, Alfred, 288. 289.
WOllner, Ludwig, 248. 256. 314.
318. 380.
Wunderwald, Gustav, 123.
Yeats, W. B., 190.
Ysaye, Eugene, 24 1 . 305. 3 1 2.382.
Zador, Desider, 302.
v. Zadora, Michael, 126.
Zajic, Florian, 373.
Zarlino, Gioseffo, 331.
Zee, Nicola, 238.
Zelenka 242.
Zemanek, Wilhelm, 255.
v. Zemlinsky, Alexander, 238.
Ziegenhein, Josef, 240.
Ziegler, Benno, 304.
Ziegler, Carl, 178.
Ziegler, Franz, s. Totenschau
XIII, 4.
Ziegler, Walter, 308. 316.
Zilcher, Hermann, 254. 308.
313. 318. 319. 378. 381.
Zimbalist, Efrem, 186.
Zimin, Sergei, 180.
Zimmermann, Emmy, 64. 235.
Zimmermann-Quartett 382.
Zlotnicka, Meta, 308.
Zobel, Alfred, 127.
Zollner, Heinrich, 379.
Zollner, Karl, 127.
v. Zopoth, Johann, 235.
Zottmayr, Georg, 367.
Zscherneck, Georg, 310. 316.
REGISTER DER BESPROCHENEN BOCHER
BeitrSge zur Akustik und Musik-
wissenschaft. Herausgegeben
von Carl Stumpf. 7. Heft. 230.
Benedict, Carl Siegmund: Richard
Wagner, sein Leben inBriefen.
295.
Erlfluterungen zu Franz Liszts
Symphonieen und symphoni-
schen Dichtungen. Heraus-
gegeben von Alfred HeuD. 231.
v. HOpflingen - de Lyro, Irma:
Renaissance der Gesang- und
Sprechkunst. 295.
Joachim, Johannes, und Moser,
Andreas : Briefe von und an
Joseph Joachim. 3. Bd. 229.
Kapp, Julius: Paganini. Eine
Biographic. 363.
Kastner, Emerich: Bibliotheca
Beethoveniana. 170.
Kleemann, Hans: Beitrage zur
Asthetik und Geschichte der
Loeweschen Ballade. 171.
Klocke, Erich: Richard Wagners
„Parsifal u an der Hand des
Textbuches erklftrt. 121.
Niemann, Walter: Die Musik
seit Richard Wagner. 294.
Osterrieth, Arrain: Der sozial-
wirtschaftliche Gedanke in der
Kunst. 362.
R6v6sz, Geza: Zur Grundlegung
der Tonpsychologie. 121.
Schultz, Detlef: Heilkraft des
Gesanges. Mazdaznan-Harmo-
nielehre. 169.
Servieres, Georges: Emmanuel
Chabrier. 230.
Siebeck, Robert: Joh. Schultz.
(Publikationen der I. M. G.,
Beihefte, 2. Folge, No. XII.)
119
Steinhausen, F. A.: Die physio-
logischen Fehler und die Urn-
gestaltung der Klaviertechnik.
2. Aufl., bearbeitet von Lud-
wig Riemann. 231.
Studien zur Musikwissenschaft.
I. Heft. (Beihefte der Denk-
mfller der Tonkunst in Oster-
reich.) 169.
Torrefranca, Fausto: Giacomo
Puccini e l'opera internazio-
nale. 119.
REGISTER DER BESPROCHENEN MUSIKALIEN
Bach, Wilh. Friedemann: Vier I Siciliano fQr Oboe, Fagott und I brecht, zerreilit, ihr schnCden
Sonaten fQr zwei Floten. (Neu- Cembalo. (Neuausgabe von Bande." Aria per Soprano
ausgabe von R. Tillmatz.) — | A. Beer-Walbrunn.) — „Zer- 1 con Organo e corno obligate
II
D'::j"«i,-'L
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XVIII
REGISTER DER BESPROCHENEN MUSIKAUEN
(Hcrausgcgebcn von Ludwig
Schirteler.) 122.
Bachmann, Alberto: Sonate pour
Piano. 297.
Berke, Emil: Sechs Gesfinge fOr
eine Singstimme. 122.
Bleyle, Karl: op. 25. Prome-
theus." Fflr Mftnnerchor und
groQes Orchester. 175.
Blumer jr., Theodor: op. 30.
Drei KlavierstQcke. 363.
Bortkicwicz, Sergei: op. 16. Kon-
zert (B-dur) fQr Klavier und
Orchester. 298.
Bruckner, Anton: Intermezzo.
Ein nachgelassener Streich-
quintettsatz. 122.
BrOggemann, Ernst: op. 5. Drei
leichte Sonaten fQr Violine in
der ersten Lage und Klavier.
298.
Debussy, Claude: Preludes pour
Piano. 2me livre. 171.
Denkmller der Tonkunst in
Bayern. XI. Jahrgang. Bd. 2.
Ausgewfihlte Werke von Ago-
stino Steffani. Herausgegeben
von Hugo Ricmann. 232.
Denkmller der Tonkunst in
Osterreich. XX. Jahrg. I.Teil.
40. Bd. Jacob Handl: Opus
musicum, IV. Teil. 299.
v. DohnAnyi, Ernst: op. 23. Drei
StQcke fur Klavier. 232.
Ebel, Arnold: op. 19. „DieWeihe
der Nacht. a Kantate far Ba-
riton- (oder Alt-) Solo, ge-
mischten Chor und groOes
Orchester. 172.
Ehrenbcrg, Carl: op. 16, 17, 18.
Gesfinge. 121.
Ertel, Paul: op. 27. Quatre im-
pressions de la Suisse. Suite
pour le piano. 171.
Ffthrmann, Hans: op.41.Streich-
quartett. 172.
Flath, Walter: Drei Liedcr. 364.
Frey, Martin: Rund urn Bach.
Fflnfzehn Meistersfitze fflr Kla-
vier zu zwei Hflnden, aus
Bachscher Zeit. Ausgewfihlt
und fQr den Unterricht be-
zeichnet. 172.
Gernsheim, Friedrich: op. 86.
Konzert No. 2 F-dur fQr Vio-
line mit Orchester. 364.
Grfldener, Hermann: Erstes Lie-
derheft. 296.
Gunst, Eugen: op. 8. Sonate-
Fantaisie pour Piano. 363.
Haas, Joseph: op. 23. Ein Krfinz-
lein Bagatellen fQr Oboe und
Klavier. 171.
Haile, Eugen : Lieder fQr eine
Singstimme mit Klavierbeglei-
tung. 173.
Hasse, Karl: op. 10. Suite in
e-moll fflr Orgel. 172.
Hermann, Hans: op. 53a. Sieben
Duette far zwei Singstimmen
und Klavier. — Lieder. 231.
Horn, Kamillo: op. 62, 63, 64.
Lieder und Ges&nge. Liebes-
weisen. 122.
v. d. Hoya, Amadeo: Moderne
Lagenstudien fQr Violine. 298.
Hoyer, Karl: Einleitung, Varia-
tionen und Fuge fiber den
Choral: Jerusalem, du hoch-
gebaute Stadt" fQr Orgel. 296.
Huber, Hans: Ein Liederspiel
nach alten Tanzliedertexten,
fQr Mftnnerchor, Soli und zwei-
hlndige Klavierbegleitung.
363.
Jaques-Dalcroze, Emile: Zehn
Lieder. 231.
Juon, Paul: op. 54. Sonate fQr
Violoncello und Klavier. 364.
Kallenberg, Siegfried Garibaldi:
Vier Sonette nach Dante Ga-
briel Rossctti fQr eine Sing-
stimme und Klavier. 171.
Karel, Rudolf: op. 6. Slawisches
Scherzo-Capriccio f. Orchester.
232.
Kopylow, A.: op. 32 und 33.
3Cme c t 4*me Quatuor pour
2 Violons, Alto et Violoncelle.
298.
KOrte, Oswald: Jugend-Sym-
phonie fQr Klavier zu 4 Hln-
den, Streichquartett oder
Streichorchester und Pauken.
364.
KQchler, Ferdinand: Praktische
Violinschule. 298.
Lange, Kurt: Drei Gesflnge. 174.
Leichtentritt, Hugo: Geistliche
Frauenchflre alter Meister.
174.
Leupold,A.W.: op.8. Passacaglia
fQr Orgel. 172.
Levy, Heniot: op. 6. Sonate fQr
Pianoforte und Violine. 297.
Liepe, Emil: op. 32. Vier Ge-
sfinge fQr mittlere Stimme.
121.
v. Lingen, Gottfried: op. 4. So-
nate fQr Klavier. 175.
Manasse, Otto: Metamorphosen
fQr Klavier. 363.
Mraczek, J. G.: Quintett Es-dur
fQr Klavier, zwei Violinen,
Bratsche und Violoncell. 122.
Niemann, Walter: op. 26. Deut-
sche Lfindler und Reigen fQr
Klavier. 172.
Noren, Heimch G.: op. 45.
Zwei Geinge mit Klavier
oder Orcaester. 122.
Pflque, Desir£: op. 57. Zehn
Kompositionen fQr Orgel. 296.
— Sieben Lieder fQr eine Sing-
stimme und' Klavier. 297.
— Compositions pour Piano,
op. 36. Chants intimes. Suite
po6tique.— op. 49. Impromptu.
— op. 56. Huit morceaux. —
— op. 59. Six morceaux.
363.
Pembaur d. J., Joseph: Marien-
lieder fQr eine Singstimme und
Klavier. 297.
Ravel, Maurice: Valses Nobles
et Sentimentales pour orche-
stre. 174.
Riemann, Hugo: Zehn Klavier-
stQcke zu 2 Hftnden. 363.
ROcklot, Heinrich: Zehn aus-
gewihlte Lieder. FQnf Lieder.
364.
RQdinger, Gottfried : op. 1 . „Mfir-
chenstunde". Acht Klavier-
stQcke. 364.
— op. 5. Sechs Sinnsprflche
aus „Des Angelus Silesius
CherubinischerWandersmann"
fQr eine Singstimme und Kla-
vier. 171.
Saint-Sagns, Camille: op. 139.
Valse gaie pour le piano.
171.
Sammlung musikalischer Ein-
blattdrucke. 233.
Schruid, Heinrich Kaspar: op. 17.
FQnf Gedichte fQr eine Sing-
stimme und Klavier. — op. 20.
Kleine Lieder fQr eine Sing-
stimme und Klavier. 297.
SchQtt, Edouard : op. 94. Pages
gracieuses. Quatre morceaux
pour piano. 175.
Seemann, L. : op. 9. Zwei Lie-
der. — op. 11. Vier Lieder.
— op. 12. Zwei Lieder.
364.
Spoel, Arnold: 25 Solfeges fQr
mittlere Stimme mit Klavier-
begleitung. 171.
Steffani, Agostino, s. Denkmiler
der Tonkunst in Bayern.
Stojanovits, Peter: op. 15. Kla-
vierquartett. — op. 16. Kla-
viertrio. 297.
Weifl, Josef: op. 40. Suite in
Walzerform fQr Pianoforte.
363.
Wendel, Ernst: op. 13. „Das
Reich des Gesanges". FQr
Mfinnerchor und Orchester^
175.
D 'iijli
i :v, C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
REGISTER DER BESPR. ZEITSCHR1FTEN- UND ZEITUNGSAUFSATZE XIX
Wernicke, Alfred : op. 36. „Mee-
resbrandung*. Ballade fGrMln-
nerchor und Orchester. 174.
Wickenhaufler, Richard: op. 72. j Wolff, Erich J.: op. 26. SechsGe-
Zehn kleine Tonbilder far i dichte J. P. Jacobsen's fflreine
Klavier. 157. | Singstimme u. Pianoforte. 173.
REGISTER DER BESPROCHENEN ZEITSCHRIFTEN-
UND ZEITUNGSAUFSATZE
Aders, Egon: Richard Wagner
und die Gegenwart. 117.
Bauckner, Artur: Richard Wag-
ner als Mensch. 1 15.
Beer, August: Richard Wagner.
117.
Behrend, William : Wagner und
Dflnemark. 164.
BeOmertny, Marie: Alexander S.
Dargomyszsky. 225.
Bie, Oscar: Richard Wagner und
das Volk. 116.
Bloch, Josef: Moderne Violin-
pfidagogik. 228.
— Ober den Fingersatz auf der
Violine. 227.
Bloch - Wunschmann, Walther:
Hebbels Verhflltnis zur Musik
und zu Musikern. 225.
Bolte, Theodor: Liszt als Orgel-
komponist. 225.
Brandes, Friedrich: Felix Drae-
seke f. 226.
BQlow, Paul: Vom Bayreuther
Festspielzettel. 293.
Cahn-Speyer, Rudolf: Zur Text-
frage von Mozarts „DonJuan tt .
167.
Conrad, Michael Georg: Richard
Wagner. 115.
Conze, Johannes: Zur Wieder-
einfflhrung der SchnabelflOte.
293.
Crome, Fritz: Peter Heise. 164.
Daffner, Hugo: Felix Draeseke
f. 166.
Dinnreuther, Edward: Musika-
lische Ornamentik. 168.
Dillmann, Alexander: Zura
Schaffen Richard Wagners.
114.
Dittmer, Eugen : Kino und Oper.
167.
Ehlers, Paul: Richard Wagner.
114.
Ehrenhaus, Martin : RichardWag-
ners w Heldenoper* „Siegfrieds
Tod u in ihrem Verhflltnis zur
splteren n G6tterdftmmerung M .
166.
Erckmann, Fritz: Lieder und
Balladen aus Island. 226.
Frey, Martin: Ober metrische
Interpretationskunst. 225.
Graf, Max: Arnold Schflnbergs
Basso continue 163.
Guttmann, Oscar: Etwas vom
Walzer. 166.
Hatzfeld, Joh. H.: Richard Wag-
ner. Nachdenkliches zu sei-
nem 100. Geburtstage. 115.
Hayek, Max: Richard Wagner,
der Mensch. 1 14.
Heinemann, Ernst: „Sprach-
schOnheiten" der klassischen
Opern. 291.
Heller, Leo: William Wolf. 168.
HeuO, Alfred: Das Volk im
Drama. 226.
Honold, Eugen: Publikum, werde
hart! 225.
Hflbner, Otto R.: Die Musik als
Erzieherin. 166.
Hynais, C.: Ein unbekannter
Symphoniesatz von Anton
Bruckner. 291.
Istel, Edgar: Goethe und J. F.
Reichardt. 227.
— E. T. A. Hoffmanns „Undine tt
als „Kunstwerk der Zukunft*.
293.
Kaiser, Georg: Adolf Hagen.
226.
Koch, Matthius: Tonsatzlehre.
167.
— Ein Gang zu den Quellen
der Sprache. 225.
Koch, Max: Richard Wagner.
118.
Kohut, Adolph: Aus den musi-
kalischen Erinnerungen eines
alten TonkOnstlers. 293.
KOlnische Volkszeitung: Richard
Wagner. 116.
Kraus, H.: Vom Musikerlehrling
zum Musikdirigenten. 292.
La Mara: Beethovens WeihekuD.
292.
LeOmann, Otto: Erinnerungen an
das Berliner Musikleben vor
50 Jahren. 292.
M., W.: Richard Wagners Werk.
Seine Bedeutung und die
Grenzen seiner Geltung. 1 18.
Meier-WOhrden, M.: Ernst Nau-
mann. 168.
Meyer, Semi: Die Psychologie
dermusikalischen Obung. 168.
225.
du Moulin-Eckart, Richard Graf:
Richard Wagner und das
deutsche Volk. 1 14.
Nagel, Wilibald: Schule und
Musik. 168.
Neue Zeitschrift fQr Musik:
Hans Richter. 226.
— Isadora Duncan und ihre
Schule. 226.
Osterrieth, Armin : Der Verband
der konzertierenden Kflnstler
Deutschlands und seine auOer-
ordentliche Hauptversamm-
lung in Berlin. 168.
Petzet, Walter: A. E. M. Greuy.
228.
Pisling, Siegmund: Musikalische
Fiktionen. II. 163.
PlaO, Ludwig: Was die Ge-
schichte der Posaunen lehrt.
167.
Pohl, Luise: Erinnerungen an
Felix Draeseke. 167.
Prufer, Arthur: Zur 100. Wieder-
kehr von Richard Wagners
Geburtstag. 113.
PrQmers, Adolf: Offentliche
Musiken anno 1787. 167.
Redhardt, Willy: C. M. von
Webers erste Polemik. 292.
Reichelt, Johannes: Richard
Wagner und sein Kollege
ReiDiger. 291.
Rentsch, Arno: Felix Draeseke f.
163.
Rieaenfeld, Paul: Schelling ale
Musikphilosoph. 165.
— Alte italienische Sinnbilder
der Musik. 225.
Sander, Hjalmar G.: Wer ist
musikalisch? 163.
Scherber, Ferdinand: Hans
Richter. 164.
— Eine unbekannte Episode
aus Anton Bruckners Leben.
164.
— Verdi und die Wiener Kritik.
291.
Scheyer, Moritz: Kurkapellen.
227.
Schlegel, Artur: Ist Musik
Luxus? 291.
Schflnemann, Georg: Richard
Wagner in unserer Zeit. 113.
Schwartz, Heinrich: FOr den
Klavierunterricht. 168.
Schwers, Paul: Berlin als Musik-
feststadt. 202.
Segnitz, Eugen: Wieland. 166.
II*
D'::j"«i,-'L
C iOoqIc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XX
REGISTER DER BESPR. ZEITSCHRIFTEN- UND ZEITUNGSAUFSATZE
Signale fOr die musikalische
Welt: Ein Notschrei zur Ver-
sicherungspflicht der Musik-
lehrer. 228.
— Zwei Briefe Verdi's. 291.
— Das Wiener Konzerthaus.
291.
Siloti, Alexander: Neuemetrische
Auslegung in Beethovens
Siebenter. 228.
Soonik: H. E.: Unsere Noten-
schrift und ihre Reformer.
163.
Spanuth, August: Ein drittes
Tongeschlecht? 163.
— Neue Methoden im Musik-
betrieb. 164.
— Musik unter freiem Himmel.
227.
— Der Verein der Unverein-
baren. 228.
— Die Konzertierenden und ihre
Agenten. 228.
— Das KonzertQbel. 290.
— Zur Verdi-Kritik. 291.
Spiro, Friedrich: Verdi und sein
Volk. 163.
— Ein Beethoven-Fund. 163.
— Eine Auferstehung. 165.
— Verdi und Goethe. 290.
Springer, Hermann: Bach-, Beet-
hoven-, Brahms-Autographen
in der Berliner Kgl. Bibliothek.
292.
Steinitzer, Max: Mehr Achtung
vor dem geistigen Eigentum.
165.
— Zu Silotfs metrischer Aus-
legung des Scherzos in Beet-
hovens Siebenter. 290.
Stolzing, Josef: Richard Wagner
und die deutschen Freiheits-
kriege. 1 1 3.
Storck, Karl: Zum Neubau des
Kgl. Opernhauses in Berlin.
165.
— Zum Tode eines Idealistcn.
166.
— Hebbel und Wagner. 167.
— Unser Opernspielplan. 293.
Stradal, August: Die „Tech-
nischen Studien" Franz Liszts.
165.
— Erinnerungen an Anton
Bruckner. 168.
— Die erstenjugendwerke Liszts.
226.
Tiessen, Heinz: Die reine Wir-
kung der StrauOischen Pro-
gramm-Symphonie. 167.
Unger, Max : Zu Giovanni Sgam-
bati's 70. Geburtstag. 227.
Volbach, Fritz: Ober die Or-
chesterbesetzung Bachscher
Werke. 165
— Zwei akustische Studien. 293.
Walter, H.: Mehr musikalische
Bildung auf unseren h&heren
Schulen! 163.
— MSngel des Gesangsunter-
ricbts. 293.
Walzel, Oskar: Richard Wagner
und wir. 113.
Weingartner, Felix: Verdi, der
Begrflnder der modernenSpiel-
oper. 290.
WeiOmann, Adolf: Beethoven in
Berlin. 292.
Wirth, Moritz: Die dekorativen
und maschinellen Erforder-
nisseder Nibelheimszene. 225.
— Die zweite Speerszene. Eine
unbekannte Szene im „Rhein-
gold". 293.
de Witt, Wilhelm: Vom Volks-
lied in Niedersachsen. 168.
Woltereck, K.: Goethe und
Wagner. 292.
Zeller, Prof.: Schuie und Musik.
168.
C 1
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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DIE
MUSIK
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G. Sgambati's Werke
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Milrnr, Pforihatm, Q«r«, Ation*, P«rHn. TflfrlRfft, Ebr»wH»» llfUfttcftwij. SHrtt-
flirt, Worn, U«Qftft«. M>frn»t»r t Mymw»gii>, ■"fVfl»_i L L»tpilfl, Oim»»jflc* t KM***, WrfltZ
KAMMER-MUSIK
Op. 1 t QUINTETT io f inell HOmer, 2 Vielbc* Viola, Cdlo) Siimnm 12L—
Op. & 2, QUINTETT in B dur (KUrar, 2 Vidian. Viol* Ctlb) Stiawi*** 15.—
Op, 17, QUARTET! (2 Violbcc, VioU, Cello) , Pkrtitar Z—
StimtMtt IL—
*Mffl»fdhft wen fatt *lmlHch»n n»mh»H»rt Kifnmtrmm<^V^r<INflunfl>lL
KLAVIER-KONZERT
Op. 15. g moll mil Ordiesler ... . Fiftitiir 750
Ordiciter-Sttnunea 9. —
Klavirr (mit lutteriegiom x we item KUvier) &—
iangtt* Atttffihninfl la dl»*»r Sitton durch Vlimnji MoHi,
KLAVIER-WERKE
Op, 14. GAVOTTE in as moll ..♦.♦.. 130
Diesclbe ericichtert in g moll 1.25
Op. IS, Vier KUvitnjlGcke :
1 Preludio 1.50, 2. VeccKio Mionetto I JO, 3, Ncaui 1.50, 4. Tocc*U X—
Op, 31. 5- NOCTURNE . ■♦ . . 50
Von EniM SatiT In will flo»f IQQ Kotiitrltn Q»§pi«tt.
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■:■ die wertYollnen, fUr die Erkrnmni* iter fncniebllcb kiinatlrna.iVen Peeedoiiebkeli do JAeWf* brMFftdrr*
. BrirTe- Solcbe, d*e elnrn Efnbllck la dfe Htu jptsiadlcn *on Wupm Inntrtm l_tb*n gt »
tritrden n«*orcuf i : *Jch liehc nJchr Brlefr, «iic mm wle fin KuftYertuartont- Lei ikes nacbicJilifftn knnn. Bin len
tftpfindrtttig vnll. mill* dltee icn Brief »l!c1n ItftJRMBCfl*, tenrfrb Winner tinmjJ in elnt Schwei'.cr Sivcfce
I ropftadung voile d b BrJeft, In die Rich die fuiit Seele den MeiiTer* rati Jer ibm elgetifa Wkniir und Leiden*
■I J-n dm Intuli dieter £iimniiun£. Sir «ind i:*imnol&fi*ch flttrdntt und (Kflicilf n : In dit teefti
H*j)prtb*chnlm von Wifnen Leben INI3 \%\2, m->-\M% l*«f--lftNi. IfcVl-- :*M. 1A64 -JA £& Jedrm
dletar Abvtbnltti *urdt flue ktiixe Magra phjicttt Skfsi* vonuijeeiEbfQtf, die dm VtrMiitdnE* und den Zueimncn*
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S. IW. TAHEJEW, op 30 „
G. CATOIRE, op. 23- Streich Quartett
H. RIMSKY-K0RS3AK0W, Slrekh Sextet!
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9. I*. TANEJEW, op. 28, Kf»H2»rt Suite
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I. STRAVINSKY, Pr-trtischka (BiHett, 4k)
Le Sacreduprlntemp* .,
H. MEDTNER, op 23 Vter lyriitho Frtfiiuflto
op 25 No 1 o 2 Sonitrn
op m
op 27.
A. SXR/ABIN, op 63
<H* 64*
op, 59.
op 61.
•p. 63
Vltr Mrcnrn
Sonata Ba Hade
S«ehst« Sonata
Slebofito Sonne
7wf-i Ktavlftf*
Poeme-Noctume
DeuM Poemoi
LIEOER FOR EINE StHGSTIMWE
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G- CATOIRE, op 22. Six Paeiiei
N. MJA5K0WSKY, Am GipiUui." DfilStOeae
1. STRAVINSKY, Troti Poiili da li lyrtqia
japomifo
S. IV. TANEJEW, op. 33. Fflnf Gedichtn
„ „ op 34- Sii»bon Gpdlcbtc
Br. S.TOLSTOY, op 3 ZchriSchoUiiche Ueder
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0* in* bv H*
Anna Erler-Schnaudt
Herzogl. Meriting. KammersSngerin ; Altistin
■agdeburger Generalart*ciga)ri Fran Erler-Schnaudt's prl&ntjgar Alt. ibre
babe Sangesktinat und ihre ernste Auffit«tti| fandrn rtteke frcirdige Wflrffigung,
Man scbmeletieJte ihr unJ dem Kom pants ten tchlieBlieb doch cine Wkdcr-
holung ab.
Magdcburger Z«itungi Nun trat der Gesang ku dem Orcticuter mil einer
ecMcn Altatlmme, wle lie so aetten lit. Frtu ErJcr-Scnnaudt form re *An die
Hoffnung* nil inren mflchtigcn Mitteln ?u slier mMiikallich-dtciiteriacbefi Elnljelt,
die tfefen Elndruck hinttrliefc. Aucb die frlgenden Ueder fanden wkder in der
Geiatigssolistin ein« firfifle, die Ihre taefanittcheit ScJvwiertgkeitfln batiegte uad ihre a
Gehalt erg rQndete. Man wlrd den pempflsen KontrabaB-Kiang ihrer Stimm* so rasch
nieht vergessen.
Karl QJildbrunn
Tenor
Karl WUdbrunn erfreute durch eelne horrliche Tenarsirmme nil stark barilanafer
FIrbung das Publifcum in ho hem Mi Be, so daft bedauert wurde, dafl er nur
vler Gesinge mm beaten gcben feonnte; mit diesen enieite er einen un-
bestrittenen Effolg. ScMackenfrei Kind wohfyabildet kommen seine Tone an unaer
Ohr, und man viraimmt Schfinei In schflntter Osrbietung. Tonalldunf, Ktengfarbe,
Textaueiprache and Vortrag ajnd bei dam Singer la prlchtlger Wefae verelnlg t und
machen «eln Single lit einem relnen Genusae.
Bertha Hanz
Bay ritche StaavtHaitungi Bertlia Man/., wekhe bcretts vtderom, so auth in
Berlin, recht atireavelle Erf alga crcielre, 1st aueh in den Spalten dteser Zeiiung
action im gGnstigcn Sinnc genannt worden. Sk trug die Gesfinge mit feint torn
Verat&ndnle und In toohem Grade imiBikaliach, mlt Geerhmack, Anmut und eehr feinem
Empfmden vor. Brahms* ^Stlndcnen* t. B* war ein KabinetfistOck.
laai-laao EHIL GUTMANN ml BERLIN (0 35 «"■"■""
Telegram me: Konxcrtgutmanrt — Telepbon: Unit Ltttzour 4047 und 4lt2,
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werke, Orchester- und
Kammermusik
von
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S5&
und das
Mo nu mental work
y*~ „DIe Rnnst lies Regiilrierens 11
erregen durch ihre Eigenart das wadisende Intcr-
esse der Musiker. — Wcrkverzeichnfsse auf Verlangent
HarmonlnmliBUS Carl Simon * Haslkwrlae * Berlin w 35, Steglitzer StraBe 35,
Master jclwlc fir Gesang
von Ernst von Schuch und Giacomo Minkowski
DRESDEN
Gesangliche und darstellerische Ausbildung Fur
Oper und Konzert bis zur Qffentliehkeitsrdfe
Prospekte und schrtftllche AuskunFre durch das S
Dresden-A n Bergt
VIJI
t der Meiaterschule fifr Gesxng,
NACHRICHTEN und ANZEIGEN zur JVIUSIK" XJII/6
NEUE OPERN
Francesco Malapierl: ^Canoasa*, das bei
dem Operawettbewerb der Stadt Rom unter
55 elngereichten Opcm mtt dem Preia aua-
gezelcbnete Werk, wird Mitte Jinuar am
Costanzl-Theater in Rom zur Uraufflihrung
gelangen.
Italo Montemcxii: w Die feme Prin*
zessin*, Text uacb Edmond de Rostand's
Scbaosplel glelchen Namena.
Ignmtz WaghalUr: w Ma n d rago la a , komlsche
Oper, nach der Komfidie Paul Egers, soil
im nichsteo JHonat am Deutsche n Opernhaus
in Chartottenburg Ihre UraulTuhning erleben.
OPERNREPERTOIRE
Frankfort a. 0+: Die Operette ,DIe Angst
vor der Ebe 4 von E. N. von Reznlcek ging
mm Stadttheater mit stark* m Erfolg in Szene,
Lauchatadt: Die Festspiele im Juni 1014
bringen — zur Erinncruog an aeincn 200. Ge-
burtstag — Glucks B Orpheus* in eincr Neu-
bearbeitung von Hermann Abert, «
KONZERTE
Berlin: Die Berliner Liedertafcl (Cbor-
meister Max Wiedemann) unternimmt In det
Zelt vom 22. Februar bjs 15. Mftrz 1914 eine
Konzertreiae nach Agypten. Die Fahrt
geht Gber Base] (Konzert Im Munater), Genua,
Neapel nach Kairo. Dort atnd zwei Kon-
zerte in der Oper dea Khedive und ein Garten*
konzert vorgesehen. Die Ruckfabrt erfolg t
aaf dem Lloyddampfer *Schleswi£* durcb d"
Adrlatische Meer. In Venedtg und auf der
Rtickreise in Muachen aind eben rails gcaang-
liebe Veranstalrungen vorgesehen. An der
Fahrt nehmen 300 Mttglleder tell, je xur
HaJfte ausubende und ffirdernde.
Dtteseldorf: Im Auastellungajahr 1915 wird in
der zwelten Juniwoche ein Beethoven -Feat
stattflnden. Es aind fltaf Abende zu volks-
tumlichen Preisen vorgeaehen.
Hof; Der Chorverein Liederkranz Hof ver-
anstaltete Endc November eine Au Huh rung
des Bruchschen „Lied von der Glocke*. Lei-
tung: K, G- Scbarschmldt, So listen: Martha
Schauer-Bcrgmami', Alma Schubert; Karl Lud-
wig Lauenatetn; Max RothenbGcber. Or-
cheater: Stadtmusik-Kapelle. Orgel; Adolf
Kolb.
TAGESCHRONIK
Die *verschollene B Wagner-Partlrur.
Von Herrn Dr. Edgar Istel wird unsge&chrieben:
Ein musikaliscbea Ammenmlrchen von der bis-
tier verachoHenen und nun wfeder glucklicb in
Mottls NachlaB aufgefundenen Origin at partitur
ler ersten Wagnerschen Oper j.DieHocbzeit"
vurde den glftubigen Lesern einiger deutscher
ttusikzeitungen aufeetiscnt und aucb prompt von
jebr verbreiteten Tageazeitungen — sogar vom
.Berliner TagebUtt* — nacfagedruckt. leb braucbe
Jen Lesern der v Musik*» die meine ausfubrltehe
Studio im 2. Mirzheft 1910 kennen, wobl nicbt erst
tu veralchern, daB die Partitur nicbt verschollen
«r, aondern woblbehutet beira Munchener
Amlquar Ludwig Rosenthal rubte* und dad Felix
HofltefftFUll
Gear, it
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Unoilmfabrlk
la Deutuhland nich
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Bedeutende
Orchester-Qerke
aus dem
Verlage von Ries & Erler in Berlin W 1 5.
Walter Braunf els, Op. 20. „Serenade"
fflr kleines Orchester.
— Op. 22. Carneval8-0uvert0re zu E. T. A.
Hoffmanns „Prinzessin Brambilla", fQr
groOes Orchester.
Siegmund von Hausegger, „Barba-
ro88a." Symphonische Dichtung in drei
S&tzen, fflr groDes Orchester.
— Dionysische Phantasie. Symphonische
Dichtung, fflr groOes Orchester.
— „Wieland der Schmied." Symphonische
Dichtung, fflr groQes Orchester.
Hans Pfitzner, Op. 17. OuvertQre zu
Kleist'8 K&thcben von Heilbronn.
— Op. 20. OuvertOre zu „Das Christ-Elfleln".
Weihnachtsmlrchen.
Geerg Schumann, Op. 54. „Leben8-
freude", OuvertQre fQr groOes Orchester.
Die Preise des AuffGhrungsmaterials
unterliegen besonderer Vereinbarung.
Officier der franzosischen Akademie I
der schonen Kiinste,
Dozent der Musikasthetik an der
Berliner Humboldtakademie.
Heue Adresse :
Bcrlln-Wllmersilorf , aiwKt mrw n
Telephon: Amt Pfalzburg 686.
HarmoDlelehre * Kontraponkt • Komposition
Instrumentation.
VorUereitung zum musiholischen
=== Doktorat. =
Fur Auswartige:
Korrektur von Kompositionen.
Mottl der Letzte gewesen w3re, der 20000 Mk.
fur dies Manuskript hatte ausgeben wollen und
konnen. Der einzige Umstand, der den Namen
des beruhmten Dirigenten mit der Partitur ver-
knupft, ist die Versteigerung des Werkes zu-
sammen mit einigen im Nachlali von Mottl ge-
fundenen anderen Dingen.
Wagnerian a. (Eine Wagner - Reliquie;
Wagnerfreie Programme.) Es wird uns aus Buda-
pest geschrieben: Da man heutzutage alte Hute
ersteht, die Wagner getragen, und Taschentucher
sammelt, die der Meister benutzt hat, mochte
ich mir erlauben, auf eine nicht ganz wertlose
Reliquie hinzuweisen, die es wert w§re, daG
man sie fur das Wagner-Museum in Eisenach
erwirbt, bevor sie der Vergessenheit an-
heimfallt. Als ich beuer einen Besuch auf dem
„Grunen Hugel" in der ehemaligen Villa Wesen-
donk in Zurich machte, fuhrte mich die gegen-
w&rtige Besitzerin, Frau Rieter-Bodmer, liebens-
wurdig durch die geweihten Raume des Hauses,
wo Wagner bei dem Ehepaar Wesendonk gluck-
liche Stunden verbrachte, wo er im Jahre 1855 mit
Liszt dessen 44. Geburtstag feierte und in
der akustisch gunstigen Vorhalle durch ein
kleines Orchester mit Beethovenschen Stucken
der Villa die musikalische Weihe gab (1858)
Am Ende des Besuches bemerkte die nicht zur
Wagner-Gemeinde z&hlende Dame, daB sich noch
ein Schreibpult, das Wagner benutzte, auf dem
— Dachboden befinde.. Das Stuck, aus der Zeit
seines Schweizer Aufenthaltes stammend, auf
dem die Hand des Meisters gerubt und er viel-
leicht mit der goldenen Feder geschrieben, die
er durch seine Freundin Mathilde erhielt, ware
wahrlich wert, dem unwurdigen Dasein, obgleich
an historischer Statte, entrissen zu werden. Die
Besitzerin war nicht abgeneigt, die Reliquie zu-
gunsten eines wohltStigen Zweckes zu entauBern.
— Die wagnerfreundliche Schweiz, die heuer die
erste „Parsifal a -Auffuhrung deutscher Zunge
herausbrachte, bot mir in dem nabeliegenden
Bern folgende Uberraschung. Im w Berner
Fremdenblatt" vom 12. Juli dieses Jahres fand
ich die auf das Repertoire der Gartenmusik am
Schanzli beziigliche Anzeige: „Auf Reklamationen
mehrerer Anti-Wagnerianer teilt die Konzert-
direktion mit, dafi nun bis auf weiteres wagner-
freie Programme zur Auffuhrung gelangen, wor-
auf die Freunde reiner Unterhaltungsmusik
aufmerksam gemacht werden." Also geschehen
im Wagner-Zentenarjahr 1913.
Vergessene Kompositionen Richard
Wagners zu Goethes „Faust*. Derl.Januar
1914 wird nicht nur eine Flut von Auffuhrungen
und Neuausgaben des „Parsifal* und der anderen
zehn Musikdramen Richard Wagners mit sich
bringen, sondern auch jene Werke aus fruher
Jugendzeit ans Licht schaffen, die bisher in den
Archiven der Verleger vergraben waren. So
werden, wiegemeldetwird, Kompositionen Richard
Wagners zu Goethes „Faust" im Januar er-
scheinen, die er in der PariserZeit komponierte.
Es ist bekannt, dafi sich Richard Wagner in
seiner Pariser Zeit so intensiv mit Goethes
„Faust a beschaftigte, dafi er den Gedanken einer
grofien „Faust a -Symphonie faBte, von der freilich
nur ein jetzt als „Eine Faustouverture* 4 bekannt
gewordener Satz vollendet wurde. Weniger be-
kannt diirfte dagegen sein, dafl der junge Meister
II
D'::j"«i,-'L
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
daraals auch einige GesSnge aus „Faust* in
Musik setzte: die Lieder des Meptaisto „Es war
einmal ein Konig" und das Standchen, und
Branders Lied von der w Ratt' im Kellerloch 44 .
Diese Lieder lassen in der Scharfe der Dekla
mation den spateren Dramatiker erkennen; die
Begleitung ist mandolinenhaftgehalten, geht aber
doch durch ausfuhrlichere Harmonisierung fiber
die Moglichkeiten dieses Instruments hinaus,
und sie sind von einer Keckheit derStimmung,
die sehr in Widerspruch zu der Trostlosigkeit
seiner damaligen Lage steht.
Vorbereitungen zum Gluck-Jubilaum.
Schon jetzt werden fur die 200jahrige Jubelfeier
von Clucks Geburtstag am 2. Juli 1914 umfang-
reiche Vorbereitungen getroffen. Einen besonders
groBartigen Zuschnitt wird die Ehrung in Paris
aufweisen, wo ja der deutsche Meister 1773 bis
1775, sowie 1777 weilte und „Orpheus a , „Alceste a ,
„Armida a , namentlich aber seine „Ipbigenie in
Aulis" zur Auffuhrung brachte. In der musi-
kaliscben Kaiserstadt Wien, in der Gluck als
Kapellmeister am kaiserlichen Hoftheater seit
1748 einen 25 jahrigen, nur zeitweise durch Reisen
unterbrochenen Aufenthalt nahm und seit 1779
seinen standigen Ruhesitz bis zu seinem Tode
batte, plant man, dem hervorragenden Refor-
mator der Oper ein wurdiges Denkmal zu er-
richten, zu dem am 2. Juli 1914 der Grundstein
gelegt werden soil; an der Spitze des vorbereiten-
den Komitees steht Karl Goldmark.
Aus dem Leben einer groBen Ge-
sangspadagogin. Manuel Garcia, Pauline
Viardot, Mathilde Marchesi — nun ist auch die
Letzte dieses weltberuhmten Dreigestirns am
Gesangshimmel dahingegangen, die Frankfurter
Patriziertochter, die als Signora Marchesi neben
dem vor siebenjahren verstorbenen Manuel Garcia
den Ruhm genofi, als die groftte Gesangsmeisterin
der Welt zu gelten. 87 Lebensjahre lagen hinter
ihr, als sie jetzt, in dem Londoner Heim ihrer
Tochter Blanche, dem Rufe des Todes folgte,
87 Jahre, von denen sieben Jahrzehnte eine
luckenlose Kette unermudlicher aufopfernder
Arbeit und reicher groBer Erfolge wurden. Dem
jungen Frankfurter MSdchen, der kleinen Tochter
des reichen Kaufmannesjohann Friedrich Grau-
mann, war es nicht an der Wiege gesungen
worden, dafl sie dereinst ihre liebste Freude, ihre
Neigung zur Musik, zu ihrem Lebenserwerb
machen muBte. Aber Mathilde Graumann zllhlte
kaum 17 Lenze, als das Schicksal mit rauher und
doch im letzten Ende wohlmeinender Hand in
ihr Leben eingriff. Ihr Vater verlor durch un-
gluckliche Spekulationen sein Vermogen, und
eines schonen Morgens muBte das verwohnte, in
Sorglosigkeit erzogene junge Madel der Not-
wendigkeit ins Auge sehen, sich selbst sein Da-
sein zu zimmern. Die schonen Tage, die sie in
der Frankfurter Oper in der Loge der Rothschilds
oder im Konzertsaal Musik genoB und die groBten
Kunstler ihrer Zeit horen durfte, waren voruber.
Es lag nahe genug, daB sie, das ungewohnlich
musikalische Geschopf und die gluckliche Be-
sitzerin einer bezaubernden Stimme, zuerst daran
dachte, die Musik und den Gesang zu ihrem
Berufe zu machen, aber die Angehorigen straubten
sich gegen den Gedanken, ein Mitglied der alt-
angesehenen Frankfurter Patrizierfamilie fur Geld
in der Offentlichkeit singen zu horen, und so
» ii^— im— nil— im— im— im— nn<
8
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natj) den akuftifdtjen Prim
zipten der alten Italiener
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rOefl pftpsikalisd) ritfttig gebaut, sind meine
selbstgebauten uleisterMnstrumente den oor*
ziiglidjsten Originalroerken Stradioariu's und
6uarneriu's absolut glei^mertig und Don Ktinst*
lern wit nikif*, fcekmg, fflarteau, Isape,
Cbibaud u. a. langst als soldtje anerkannt
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Zur Probe und flnstdn gegen Sidjer&eit Oder i«. Krferenzen.
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lesen Sie grfl. die bodjinteressante Brosifciire:
M Uerbe$$ert das Alter und vieles Spielen wlrk-
lid) den ton und die Jlnipracbe der 6eige?"
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entstand der Plan, sie nich Wieo, zu rhren Tanten,
zu scbicken, wo ste bleiben eollte, bis sicb in
irgenrfeiner vomchmen dsterreicbiscben Familie
vfelleichr cine passende Stelle als Gesellschaftcrin
oder Erzieberin gefunden haben wurde, Aber man
ermSglichte es Matbilde docb, ibrc muslkalincben
Studlen dabei fortzusetzen. Ktin G cringe re r at«
Otto Nicolal, damals bescbeldener Kapellmeister
am Klrnlnertor- Theater, ward ihr Lefarcr, und
Im Fruhjahr 1844 trat der musikalische Sch5pfcr
der „Lustigen Weiber von Windsor* an seino
SchQIerta mit dem Vorschleg beran, seine Lebens*
geflhrtin zu werden* Matbilde lehnte ab, kehrte
nacb Frankfurt zurGck, und nun gelang ea ibr,
von den El tern die Erlaubnis zu erwirkco, in
Paris bei Garcia Ibre gesangliche Erzlchung
zu vollenden. Nur das Geld fehltc; es durcb
eigene Arbeit zu crobern, war Ibr Entscblull und
ihr Ztel, Sie begann Ges&ngstunden zu ceben,
debuticrte crrolgreicb in cinem Komerte, das die
Bruder Helimesberger gaben, Felix Mendelssohn
wurde auf sie aufmerksam, aorgte, daB sie za dem
NiederrheiniscbenMusikfestEmMaHd45engagiert
wurde, er selbst studiertc mlt ihr ihre Rollen; und
nun war das Eis gebrochen. in kurzer Zeit hatte
sie genug erspart, urn die Obereiedelung nacb
Paris wagen zu ktinnen. Garcia war entzuckt von
der ungewGbnllchen Begabung seiner neuen
Schfilerin, und Matbilde war kaum 21, als der
Meister sie zu seiner Vertreterln best elite, Was
fo1gt t geb5rtderMusikgeschicbtean:ihreTriuii]phe
auf dem K on zert podium und ihre noch grfDeren
und bedeutungsvolleren Triumphe als Pldagogin
der GesangskunsL Batd wurde Mathilde, die
durch Ibre Ebe mlt dem Bariton March eft i aus
einem Frlulein Graumann zur Signora Marches!
geworden war, die beste Freuntiin und zugleich
die gr5Qte Rival in von Pauline Viardot. In
London* in Wieu, in KflJo nnd schlie&lich in
Paris ward sie Fuhrerin und Mittelpunkt eines
Kref&es begeisterter Schulerlnnen, und alle, di«
durch sie den V eg zur Beruhmtheit fanden, be-
trauern nicbt nur die Kunstlerin und die Lebrerin,
aondern aucb einen seitenen, groQangelegteo
Menschen.
Versteigerung von Musiker-Auto-
grapben. Aug London wird berichtet: Auf der
kurzlich bei Sotheby abgebaltenen Versteigerung
von Handschrlften beruhmter Musiker erzieiten
einige Stucke ungew^bnHcb bofae Prelse. Die
hochste Ebrung brachte die Welt der Autograpben-
sammler dem Andenken G lucks dar: ^xr eln
drei Folio&eiten umTassendes Manuskript, das
sua Vien vom 31. Dezember 1769 datiert ist,
wurden 4400 Mk. bezablt. Etn einseiiiger Brier
Scbuberta erzielte 1000 Mk n eine Seite von
Bach 500 und vier Seiten von Beethoven
900 Mk. Dagegen zahlte der Liebbaber eines
Briefea von Gounod an Auber nur 15 Mk. Eln
Schretben von Mendelssohn, das von einem
Musikfest bandelt und sich mit der Frage be-
sch&ftigt, nb aucb die Orgel verwendet werden
kdnne, wurde mit 160 Mk. bezablr, und das
Originalmanuskript von Meyerbeers Lied v Der
Garten des Hercens* eriielte 168 Mk. Fur einen
Brief von Bizet an Fontenay t in dem der
Schfipfer der ^Carmen" einen v pracbtroIlen
Tenor* einfuhrt, legte ein Sammler 20 Mk, an,
und cbensovie) erzielte ein an Monaldi ge-
ricbteter Brief Mascigni's, Drei St it en
IV
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Gustav Bosse Verlag, Regensburg.
Soeben erschien:
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Zehn Jahre in Anhalt.
Gesammelte Aufsatze aus Erlebnissen, Anregungen und Studien
von
Arthur Seidl.
Lexikon-Format, VIII und 736 Seiten. Von diesem Buche wurden 150 Exemplare mtt der
Ingeborg-Antiqua nach Entwurf von Prof. F. W. Kleukens-Darmstadt auf feinem Hadern-
papier in Schwarz, Gold und Blau gedruckt, mit dem Bilde Herzogs Fried rich II. von
Anhalt in Mattdruck und mit ausgemalten Initialen geschmuckt.
Preis :
fur das in Japankarton broschierte Expemplar M. 30. — ,
fur das mit der Hand in Halbpergament gebundene Exemplar M. 45.—.
Chopin's, an seinen Verleger gerichtet, mit
einigen Passagen aus seiner ^Tarantella", wurden
auf 400 Mk. bewertet. Das Originalmanuskript
von Sir Edward Elgar's „Cockaigne", das
1 10 Seiten umfaftt, faod fiir 380 Mk. einen Lieb-
haber, und ein vier Seiten Janger Brief von
Anhur Sullivan wurde von einem Sammler fur
40 Mk. erstanden. — Im Antiquariat von Leo
Liepmannssohn in Berlin wurden Ende
November Musiker-Manuskripte aus dem Besitz
des Barons Andre* Caccamisi-Marchesi versteigert.
Ein vollstandiges Musikmanuskript von Beet-
hovens „Quartetto No. II**, von der Hand eines
Kopisten geschrieben, aber mit eigenhandiger
Widmung des Komponisten, kam auf 1900 Mk.
zu stehen. Es war die bisher unveroffentlichte,
ursprungliche Fassung von Beethovens Streich-
quartett op. 18 No. 1, die er seinem Freunde
Karl Ferdinand Amenda gelegentlich dessen
Aufenthaltes in Wien, wahrscheinlich bei der
Trennung, schenkte. Die eigenhandige Widmung
des Komponisten am Kopfe der ersten Geigen-
stimme lautet: „Lieber Amenda! Nimm dieses
Quartett als ein kleines Denkmal unserer
Freundschaft. So oft Du Dir es vorspielst,
erinnere dich unserer durchlebten Tage, wie
innig gut Dir war und immer sein wird Dein
wahrer und warmer Freund Ludwig van Beet-
hoven. Wien, 1799, am 25. Juni." Ein Skizzen-
blatt mit Noten zu einem Beetbovenschen
„Kanon" und bandschriftlichen Bemerkungen
von der Hand des grofien Tonsetzers wurde
mit 750 Mk. und ein anderes Notenmanuskript
von Beethovens Hand, bezeichnet als „Sinfonia"
und „Rondo", mit 525 Mk. , bezahlt. Fernery
wurde ein aus dem Anfang des Jahres 1812
stammendes Skizzenblatt desselben Kunstlers
mit Entwiirfen zur Siebenten Sympbonie und
zu den „Ruinen von Athen" fiir 380 Mk. verkauft.
Der Heilige Synod und der „Parsifal".
Die oberste kirchliche Behorde Rufilands, der
Heilige Synod, der sich mit aller Entschieden-
heit gegen eine Auffuhrung des ^Parsifal" in
Petersburg gewandt und das Werk fiir RufJland
verboten hatte, wird nun doch nachgeben miissen.
Wie der „Guide Musical" mitteilt, hat der Zar
selbst Einspruch erhoben und den Heiligen Synod
veranlafit, seine Entscheidung zuruckzunehmen.
Die heftigen Verfolgungen des Wagnerschen
Weihefestspieles sind verstummt, und „Parsifal"
wird in Petersburg sogar zwei Darstellungen er-
leben. Das Werk soil im Volkshaustheater und
im Operntheater aufgefiihrt werden.
Schubert- Geden ktafel in Wien. Am
19. November, dem 85. Todestage Franz Schuberts,
wurde eine vom Wiener Mannergesangverein er-
richtete Gedenktafel am Hause No. 3 der S3ulen-
gasse im 9. Bezirk, in dem Schubert vom Jahre
1801 an mehrere Jahre gewohnt hat, enthullt.
Ernennungen und A u szeich n u ngen.
Dem Kapellmeister des Stadtischen Orchesters
in Nordhausen a. H. Gustav Muller ist der
Titel KoniglicherMusikdirektor verliehen worden.
— Eugdne Ysaye wurde vom Konig von Belgien
zum Hofkapellmeiser ernannt. — Eugen d 'Al be rt
hat vom GroCherzog von Oldenburg den Titel
Hofrat erhalten. — Der Kaiser von Osterreich
hat dem in London lebenden Pianisten Richard
D'::j"«i,-'L
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Nenigkeiten aus dem Verlag von
MaxBrockhaus in Leipzig:
i. Die Braut
von Corinth
(Goethe) fiir Deklamation mit durch-
gehender Klavierbegleitung von
Max Steinitzer
3 Mark.
2. Passacaglia
und Fuge
im vierfachen Kontrapunkt fiir Streich-
quartett von
Bernhard Sekles, op. 23
Kleine Partitur 50 Pf. n.
Stimmen 4 Mark n.
Anfftthrungen in Frankfort, Berlin,
Leipzig und Dresden im Januar. —
Sekles' neuestes Werk wird Von alien
Quartettvereinigungen freudigst begriifit
werden; der kurzen Spieldauer (1 1 Min.)
wegen wird sich leicht ein Platz daftir
in den Programmen finden lassen.
Leo Llepmannssolin, Antiqaariat
Berlin SB, Bernburserstr. 14.
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Autographen
Muslker: Wertvolle Briefe und Manuskripte
von Beethoven, Berlioz, Chopin, Graun, Haydn,
Liszt, Ldwe, Mendelssohn, Paganlnl, Rossini,
Spohr, Verdi, Wagner, Weber. AuOerdem: Die
Freiheltskriege und das napolconische Zeitalter. —
Historische Autographen: Fiirsien, Staatsmanner,
Militars, Politiker, Sozialistcn, Geistliche Wurden-
tniger. — Deutsche und auslandische Schriftsteller:
Dichter, Philosophen, Gelehrte und Naturforscher. —
Bildende Kunstler und Schauspielcr. — Stammbucber.
(774 Nummern, darunter groGc Seltenhelten.)
Katalog mit Faksimiles gratis und franko.
Epstein das Ritterkreuz desFranz-Josefs-Ordens
verliehen.
TOTENSCHAU
Am 18. November f in London, 87 Jahre alt,
Mathilde Marchesi, die hervorragendste und
beruhmteste Gesanglehrerin des vorigen Jahr-
hunderts. Zu ihren Schulerinnen geboren u. a.:
Gabrielle KrauB, Zelia Trebelli, Emma Nevada,
Klementine Schuch-Proska, Antoinette Sterling,
Etelka Gerster, Rosa Papier, Emma Calve\
Nelli Melba, Emma Eames, Sybil Sanderson.
(Vgl. die Notiz „Aus dem Leben einer groOen
Gesangspadagogin" in der Tagescbronik.)
Am 27. November f in Bonn, im Alter von
64 Jahren, der bekannte Bach- und Beethoven-
Forscber Dr. Erich Prieger. Der Verstorbene
hat sich durch verschiedene Veroffentlichungen,
u. a. fiber die Lukaspassion von Bach, einen
angesehenen Namen als Musikschriftsreller
erworben. Durch sein opferwilliges Eintreten
rettete er im Jahre 1897 die groBe zum Ver-
kauf stehende Autographensammlung Artaria
fur Deutschland. Einem warmherzigen Nachruf
Marie v. Bulows in der „Frankf. Ztg.* ent-
nehmen wir das Folgende: „Er *rar ein Aufspurer
mehr als ein Sammler grotter Manuskripte von
eminenter Bedeutung; mit seinem Namen ist die
Geschichte der Handschriften von Beethovens
Pastorale und der Neunten verknupft: beide
Werke hat er rechtzeitig unter groften Mfihen
und unter Aufgebot eines Vermogens fur Deutsch-
land zu sichern gewuBt, indem er sie personlich
kaufte, als fur uns die Gefahr bestand, diese
nationalen Kostbarkeiten an England und Amerika
zu verlieren. Ein Idealist vom reinsten Wasser,
hatte er dabei keinerlei personliche Nebenab-
sichten; Ehrfurcht und Liebe fur die Meister
waren seine einzige Triebfeder. Diese allein
bewog denvollkommenunabhSngigen Mann, seine
Kraft und Begabung auf diese Weise in den
Dienst der Musen zu stellen. So entstand in
jahrzehntelanger, muhevoller Arbeit zunachst
durch die Beschaffung verstreuter Blatter und
dannderen Durcharbeitung, endloses Vergleichen,
Prufen eine Wiederherstellung der verschollenen
Partitur von Beethovens erster Fassung des
,Fidelio', als ,Leonore* im November 1805 in drei
Auffuhrungen ,zu Grabe getragen 4 und nach 100
Jahren an der Berliner Kgl. Oper nach Priegers
Partitur wieder zu Gehor gebracht. Nur Fach-
genossen und Kenner der oft unentzifferbaren
Beethovenschen Handschriften wie der Ge-
schichte des Werkes — ein wahres Schmerzens-
kind seines Schopfers — konnen ermessen, was
solches Unternehmen zu bedeuten hatte. . . .*
„Aber nicht nur Werken der Alten, langst Ge-
storbenen erwies er solche Liebesdienste, seine
tatkraftige Hilfe gait ebensosehr den Lebenden;
junge unbekannte Kunstler wurden unterstutzt,
geleitet, Fuhlung mit ihnen behalten, ihre Werke,
wenn hoffnungsreich, gedruckt, sie wurden in
Schutz genommen vor Ausbeutung durch ge-
schaftsmaBig vorgehende Arbeitgeber Oder ehr-
geizige Streber. . .*
SchluB des redaktionellen Teils
Verantwortlich: Willy Renz, SchOneberg
VI
J , ::;]'«i.-'l , i:
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B Der EvaugeHrotun 11 , Opcr von Wilbelm
Klenzl, erlebte im 23* November die 100. Auf-
f&hruitg am Hamburger Stndttbeater.
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Hochgebirge") bat direkt nach der Kolner Ur-
auffubnmg nttnmebr such la Osterreicb, und
Ewar am 23. November la Unz a. D. unter
August Gollerlcfaa Leitung dnen gro&en Erfolg
emingefi.
Der ausgezefchnete Gelger Robert Politic
aus Geaf bat im vorigea Monat dne uberaus
erfolgreicbe Konzerttonrnee durcb Kan ad a
beendet
Der Junge boebbegabte Pianist Ernst von
Lengyel absolviert zutzeit eln Tournee durcb
die Hauptstidte [(aliens und batte in Malland^
Genua, Bologna usw. groGe kunsderlscbe Erfolge
in verzeiebneu.
Palms von Pasztbory, die bekannte
Gefgerln, bat kiirzHcb in cineni Abonnements-
konzertunter MusikdirektorHammacbers Leitung
in Trier mlt Mozart und Bacb einen durcb-
acblagenden Erfolg erzielt.
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geblete tn Berlin, bletet auflerdem mrzeit eine
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BulgarischerTanz Nr.5 — Raff: Cavatina.
II. Tschaikowsky: S^r^nade melancolique —
Fini Henriques: Muckentanz — Novacek:
Dudelsack — Sinding: Alte Weise —
Vieuxtemps: Reverie —J. M.Weber: Marsch
aus „Miniatursuite a — Halvorsen: Fete
nuptiale rustique.
III. Sinding: Fete — Sinigaglia: Intermezzo —
Sauret: Nocturne — Halvorsen: Elegie —
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Soeben erschien die 4. Auflage
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I-Jj-Vwl 1 Pirro. Herausgegeben von Dr.
Bernhard Engelke. Mit 40 Bildern. Geheftet
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S c h i n d 1 e r. Neudruck mit Erganzungen
und Erlauterungen von Dr. Alfr. Chr. Ka-
lischer. Mit 5 Bildern. Geheftet 12 M.,
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„SchindIers Biographie wird audi weiterhin
die Grundlage der Beethoven - Forschung
bleiben, etwas vom Geist Beethovens spridit
daraus; sie ist von unschatzbarem Wert."
Badische Neueste Nachrichten.
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Wilhelm von Lenz. Neudruck des I.Teils:
Das Leben des Meisters, herausgegeben von
Dr. Alfr. Chr. Kalischer. Geheftet 4 M.,
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M Das geniale, phantasievolle Buch zeichnet
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Beethovens aus." National-Zeitung.
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schen in vier Banden von Dr. Alfr. Chr.
Kalischer. Mit 7 Bildern. Geheftet je
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Bande ist eine unschatzbare Fundgrube."
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Historiker gab ein Buch von ruhigster Sach-
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Mozarts Musik entgegenweht, liegt auch iiber
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Mit 8 Bilden. Geheftet 3 M., gebunden 4 M.
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Jabrea' das bGchste Lob, das wir elnem Verke aus inbaltlicben und stilistiacben Grunden
apenden fcdnnen, iat in dfeser Bezeicbnung das Urteil ausgesprocben, daQ wir ea in
Aufrcgung laaen, mit HeiBbunger vcracbJangen, dann von neuem in tbra biatterten nnd
viederum aein Sklave wurden, dann iat dieses ,8ucb dea musifcliterarUchen
Jabrea* Weill manna ,Chopin 4 , Das Bucb wurde m elner Hterariacben Tat,
sein Sti I zu einem Poem. Jem steben wir Chopin nlber denn je, und Wei&mann
danken wirtl* Paul Mittmaon,
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Anno Erler-Schnoudt
Neuesie Erfolge:
Bonn, 13. November 1913. Reger-StrauQ-Abend (Prof. Grtiters).
Generalanzelger I Mit dem ihr zugeeigneten Gesang „An die Hoffnung* bewies Frau Anna Erler-Schnaudt
aufs neue, daO sie geradezu unerreichbar ist in dem Vortrag Regerscher Kompositionen. Und dal) so Regers
Kunst nicht nur auf die wenigen Auserwahlten wirkt, zcigt uns der eminente Beif all, den die Sangerin erntete. Im
dritten Teil gab sie uns noch drei Lleder von Richard Straufl. Und noch mehr vielleicht als bei dem Orcbestergange
kamen hierbei die reine Tongebung. der Wohllaut ihrer Stmme und das Erfassen der rechten Slimmung zur Geltung.
Leipzig, 19. November 1913. H-moll-Messe J. S. Bach (Thomaskirche, Prof. Straube).
Tageblatt: Am hochsten entwickelt erwies sich unfraglich die eminente gesangliche, stimmliche und
musikalische Befahigung Anna Erler-Schnaudts, deren herrlicher Alt und ausgereifte Vortragskunst vielleicht zu dem
Bedeutendsten gehoren, dem man auf dem kirchenmusikalischen Gebiete heute begegnen kann.
DUsSOldorf, 21. November 1913. Lehrergesangverein (Prof. Buths).
Dusseldorffer Zeitung: Frau Erler-Schnaudt gab wleder reife und reiche Proben ihrer Kunst. Nicht
nur in technischer Hinsicht ist ihre Stimme von htichster Vollendung, sondern dahinter steht eine Persbnlichkeit,
die etwas zu geben hat. Jedes kleine Lied gestaltete sie zu einem lebendigen Kunstwerk. und mit der tiefen Quell-
kraft ihres Alt sang sie sich in die Herzen ihrer Htirer hinein. Weich und voll, gleichmaBig gerundet im forte wie
im piano und herrlich in seiner Modulationsfahigkeit war der Ton. Bald war er wie in Trauer getaucht, wie in
dem Schubcrtschcn Liede „Die Liebc hat gelogen*, bald k'ang in ihm ein goldiger Humor, wie in der reizenden
Morickeschen „Storchenbotsehafi u . Dann wieder ist die Stimme beseelt von religitiser Weihe, wie in dem Liede von
StrauB: „Ruhe meineSeele*. Die Heinesche Friihlingsfeier in der groOan;igen Strauiischen Komposition war getragen
von orgiast'scher Lust. Den tiefsten Eindruck hat aber die „Allmacht" von Schubert: GroB Ist Jehova, der Herr! in
ihrer erhabenen GrbQe und Gewalt gemacht. Rcicher Beifall lohnte der Kiinstlerin, die dafur mit einer Zugabe dankte.
Ernest
Hutcheson
Pianist
konzertiert 1913-14
auf dem Kontinent.
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apklen du VergnQgen hatte, sind du Ideal von Vollkoramcnheit, und der KQnuler, der dell Vorzujj bat, ale ju
lino shh In der Tat irttuliercn, Fs i*t das Insirumcnr, wrkhct illen tnderen voraua den Antprflcbcu einea K
enifcpriciit und ihm dazu verhiilt, tile Effekte des To net und dea Antehtigftf zu errklcn, die er ru er
Mcinc Bewunderung fOr die Bechsreln^Pianoa iat unbegrcnit.
I^Copultl GodowKky: Fs lit mir eta wihrea HerzrnKhcdarfnifi, Ihncn meine unbc^renrir Brwund^
md Begeifterune far Ehre so herrllchen Ensfrumrnte hiermlt iUKdrucken zu kOnnen. Die Scbonhnt und uncr^ili
dnduiatiDnillhlgkelt dei Tones, aowie die auaierorden filch ■□■cnehEne Spietan beHbigen den Kua&tter, daa
vas er im Grundc des Her/ens fQhlt. Mlf cincm Wurte, dit BftOhltain-liistrumenS iat und nlelfat dtt Vi
■Ut [deal dea KQnttiirt.
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